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{"created":"2022-01-31T14:20:19.300503+00:00","id":"lit4215","links":{},"metadata":{"alternative":"Philosophische Studien","contributors":[{"name":"Jerusalem, Wilhelm","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Philosophische Studien 10: 323-325","fulltext":[{"file":"p0323.txt","language":"de","ocr_de":"Ein Beispiel von Association durch unbewusste Mittelglieder.\nVon\nDr. W. Jerusalem.\nIn einem Vortrage \u00fcber die Aufgaben und Methoden der neuern Psychologie, den ich im \u00bbWissenschaftlichen Cluh\u00ab zu Wien hielt, erw\u00e4hnte ich u. a. die interessanten Experimente Scripture\u2019s und theilte deren Resultate mit. Gerade diese Bemerkungen schienen vielfach anzuregen, und es wurden mir nach dem Vortrage mehrfach Mittheilungen gemacht, die die Annahme einer Association durch unbewusste Mittelglieder zu best\u00e4tigen scheinen. Unter diesen Mittheilungen war es besonders eine, die mich lebhaft fesselte. Dieselbe kam von Herrn Max v. Baumgarten, Feldmarschalllieutenant i. P. Hier waren einerseits die Thatsachen so interessant und erschienen anderseits so genau beobachtet und klar dargestellt, dass ich den Herrn um schriftliche Fixirung ersuchte. Derselbe war so freundlich, meine Bitte zu erf\u00fcllen und mir seine Darstellung zur Verf\u00fcgung zu stellen. Der Verfasser beginnt mit einer allgemeinen Bemerkung, worin er sagt, dass es schon lange sein Streben sei, das pl\u00f6tzliche Auftauchen von Vorstellungen auf nat\u00fcrlichem wissenschaftlichem Wege zu erkl\u00e4ren. Er wolle nun einige interessante F\u00e4lle aus seiner eigenen Erfahrung mittheilen. Wir lassen die Erz\u00e4hlung eines dieser F\u00e4lle mit den eigenen Worten des Beobachters folgen:\n\u00bbIch sa\u00df eines Abends bei einer Arbeit, die meine ganze geistige Th\u00e4tigkeit in Anspruch nahm. Vor mich hinstarrend und","page":323},{"file":"p0324.txt","language":"de","ocr_de":"324\nW. Jerusalem.\nsinnend, sah ich pl\u00f6tzlich zwei Gestalten vor mir: einen alten Mann, gef\u00fchrt von einem jungen M\u00e4dchen. Ich verscheuchte sie. Sie dr\u00e4ngten sich wieder in meine Berechnungen. Immer deutlicher wird die Vorstellung; ich kann sie nicht los werden, immer mehr tritt hinzu : die \u00e4rmliche Bekleidung, der zerdr\u00fcckte Hut, der Stock, das M\u00e4dchen barfu\u00df, einen leeren Korb auf dem Arm; sie wendet den Blick zum Himmel, gleichsam fragend, wo werden wir ein Nachtlager, wo Mitleid finden\"? Vater und Tochter, sie kommen herab auf lehmigem Boden in einem tiefeingeschnittenen Hohlwege, an dessen einem Rande ein Wald. Zun\u00e4chst vertiefte ich mich in Gedanken an die Oertlichkeit, an die Gegend. Jetzt wusste ich\u2019s: sie war fern von mir in einem andern Lande, und dort habe ich die Gestalten gesehen vor nahezu 30 Jahren.\nWoher nun jetzt, zu solcher Zeit, inmitten solcher Arbeit, pl\u00f6tzlich diese Vorstellung\u201c? Ich pr\u00fcfte alles, was vor mir lag; es waren die Schreibmappe, B\u00fccher, zwei Landkarten und Zeitungen, nichts, das mir zu H\u00fclfe kam. Es lie\u00df mir keine Ruhe ; ich erhob mich von meinem Sitze und ging auf und nieder. Da blieb ich wie gebannt vor einem Tischchen, das zwischen meinem Sitze und dem Fenster in meiner N\u00e4he stand. Ich nahm das Glas mit dem Blumenstr\u00e4u\u00dfe in die Hand. Der Duft ! Begierig roch ich und siehe da ! versteckt unter den gr\u00f6\u00dferen Pflanzen waren einige Bl\u00fcmchen der Pyrola uniflora.\nVon dem Augenblicke an war mir alles klar: Diese Pyrola fand ich zum ersten Male \u2014 damals noch wenig vertraut mit der Flora \u2014 am Waldrande zun\u00e4chst des erw\u00e4hnten Hohlweges. Die liebliche Blume und der angenehme Duft hie\u00dfen mich eine, vielleicht dieserhalb mir im Ged\u00e4chtnisse gebliebene Person, um den Namen der Pflanze fragen. Ich werde wohl noch einige Jahre darnach, bei Begegnung der Pyrola uniflora in den Monaten Juni und Juli an den Hohlweg und die beiden Gestalten gedacht haben, bis dann sp\u00e4ter durch mein Interesse f\u00fcr das Pflanzenleben und das rasch zunehmende Bekanntwerden mit allerlei Namen und Eigenschaften die Erinnerung daran allm\u00e4hlich geschwunden ist.\u00ab\nDas Erlebniss scheint mir aus verschiedenen Gr\u00fcnden interessant und f\u00fcr die Scripture\u2019sehen' Beobachtungen wichtig zu sein. Zun\u00e4chst ist es vortrefflich beobachtet von einem Manne, der an","page":324},{"file":"p0325.txt","language":"de","ocr_de":"Ein Beispiel von Association durch unbewusste Mittelglieder.\t325\neiner bestimmten Theorie gar kein Interesse hat und also ganz unbefangen ist. Durch mehrfache Gespr\u00e4che habe ich mich \u00fcberdies \u00fcberzeugt, dass Herr v. Baumgarten, der auch \u00fcber die Wahrnehmung von Schallintensit\u00e4ten Beobachtungen ver\u00f6ffentlicht hat, durchaus die F\u00e4higkeit besitzt, objectiv darzustellen, was er sub-jectiv erlebt hat. Die Lebhaftigkeit, mit welcher die reproducirte Vorstellung, das Erinnerungsbild, die Landschaft mit den zwei Gestalten auftrat, schlie\u00dft jede Selbstt\u00e4uschung aus. Es ist ferner ganz zweifellos, dass hier wirklich die Geruchsempfindung das unbewusste Mittelglied war. Man findet wohl nicht leicht, selbst beim Experimentiren, einen so reinen, so correct beobachteten Fall. Solche einzelne Beobachtungen scheinen mir nun das einzige Mittel, die Wahrscheinlichkeit einer Hypothese zu erh\u00f6hen, und ich muss hier der Behauptung O. K\u00fclpe\u2019s entgegentreten, welcher die Beweiskraft von Einzelbeobachtungen untersch\u00e4tzt. K\u00fclpe gibt zwar zu (Grundriss der Psychologie, S. 192), dass eine nachtr\u00e4gliche Analyse oft zu dem Resultate f\u00fchre, dass die Reproduction durch unbewusste oder unbemerkte Verbindungsglieder erfolgt sei, allein er f\u00fcgt hinzu: \u00bbOb sie aber als eine allgemeing\u00fcltige angesehen werden darf, bleibt ganz fraglich und h\u00e4ngt nicht sowohl von den in dieser Hinsicht unzureichenden Einzelbeobachtungen, als vielmehr von den theoretischen Vorstellungen ab, die man ihrem Verst\u00e4ndniss zu Grunde legt.\u00ab Nach meinem Daf\u00fcrhalten ist die Annahme unbewusster Verbindungsglieder eben selbst schon die theoretische Vorstellung, die wir dem Verst\u00e4ndniss dieser Einzelbeobachtung zu Grunde legen m\u00fcssen. Je mehr uns nun die Einzelbeobachtung veranlasst, dies zu thun und je genauer sie selbst durch diese Annahme erkl\u00e4rt wird, desto st\u00e4rker wird mein Glaube an die Wahrheit jener Hypothese. Ich glaube demnach, dass der mitgetheilte Fall die Annahme unbewusster Verbindungsglieder auch f\u00fcr andere F\u00e4lle wahrscheinlich macht.","page":325}],"identifier":"lit4215","issued":"1894","language":"de","pages":"323-325","startpages":"323","title":"Ein Beispiel von Association durch unbewusste Mittelglieder","type":"Journal Article","volume":"10"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:20:19.300512+00:00"}