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Beiträge zur physiologischen Psychologie des Geschmackssinnes

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{"created":"2022-01-31T14:17:58.975755+00:00","id":"lit4216","links":{},"metadata":{"alternative":"Philosophische Studien","contributors":[{"name":"Kiesow, Friedrich","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Philosophische Studien 10: 329-368","fulltext":[{"file":"p0329.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur physiologischen Psychologie des Geschmackssinnes.\nVon\nFriedrich Kiesow.\nUnter den Schwierigkeiten, denen man in der Erforschung des Geschmackssinnes begegnet, steht die Frage nach der Natur der physikalischen Agentien, die als objective Reizmittel die Bedingungen f\u00fcr die subjectiven Empfindungen abgeben, heute noch als eine ungel\u00f6ste da. Haycraft1) hat Recht, wenn er sagt: \u00bbthis matter has as yet received so little attention that scarcely anything is known to the specialist, which is not the intellectual property of every one\u00ab. In dieser Beziehung steht die Kenntniss des Geschmackssinnes derjenigen der beiden h\u00f6heren Sinne \u2014 Gesicht und Geh\u00f6r \u2014 noch sehr weit nach. K\u00f6nnen wir bei jenen die ad\u00e4quaten Eindr\u00fccke als Wellenl\u00e4ngen des allerdings noch hypothetischen Licht\u00e4thers oder als Schwingungszahlen von Luftst\u00f6\u00dfen berechnen und variiren, so wissen wir in unserem Falle von den objectiven Reizen nur die chemischen Formeln gewisser Substanzen, die als Kohlehydrate, metallische Salze, S\u00e4uren etc. die Ursachen der Geschmackswahrnehmungen sind. Die Beantwortung dieser Fragen f\u00e4llt jedoch den chemischen Wissenschaften zu. Die Arbeiten von Cor in2) und Haycraft3) d\u00fcrfen als erste verdienstvolle Versuche dieser Art bezeichnet werden. Abgesehen\n1)\tThe nature of the object, cause of sensation. II. Taste. Brain X. p. 147.\n1887.\n2)\tAction des acides sur le go\u00fbt. Bull, de l\u2019Acad. royale des sciences. 1887. No. 11.\n3)\tBrain X. p. 146.\nWandt, Philos. Studien. X.\t22","page":329},{"file":"p0330.txt","language":"de","ocr_de":"330\nFriedrich Kiesow.\nvon dieser Thatsache sind aber der Forschung innerhalb des uns inter-essirenden Sinnesgebietes nach den verschiedensten Richtungen hin die Wege zum weiteren Vordringen bereits gewiesen worden. Unter Ber\u00fccksichtigung der von den einzelnen Wissenschaften \u2014 Physiologie, Entwickelungsgeschichte, Histologie, vergleichende Anatomie \u2014 bereits dargelegten Befunde die Verh\u00e4ltnisse des Geschmackssinnes einer Betrachtung zu unterwerfen und dieselben, soweit dies psychophysisch geschehen kann, experimentell zu untersuchen, ist die Aufgabe dieser Arbeit.\nVon geringen Anf\u00e4ngen ausgehend, bin ich im Laufe der Zeit auf immer weitere Fragen gesto\u00dfen, so dass die Untersuchung schlie\u00dflich das ganze Gebiet umfasste. Dabei wurde jedoch mehr und mehr Beschr\u00e4nkung im Einzelnen nothwendig. Demnach bleiben der elektrische wie der metallische Geschmack einer besonderen Untersuchung Vorbehalten. Der alkalische ist nur insoweit ber\u00fccksichtigt, als mir aus den sonst gewonnenen Resultaten Vermuthungen \u00fcber denselben zustehen, die letzten Fragen nach der Existenz oder Nichtexistenz desselben k\u00f6nnen wieder nur durch experimentelle Einzelpr\u00fcfung entschieden werden. Bleiben somit f\u00fcr diese Arbeit nur die jetzt wohl allgemein als besondere Qualit\u00e4ten anerkannten Empfindungen des S\u00fc\u00dfen, Salzigen, Sauren und Bittern zur\u00fcck, so musste jedoch auch unter dieser Begrenzung noch manche Frage in ihrer letzten Beantwortung auf sp\u00e4tere Zeit verschoben werden. * Innerhalb des erw\u00e4hnten Qualit\u00e4tenkreises sucht die nachfolgende Arbeit zun\u00e4chst zu ermitteln, welche Theile der Mundcavit\u00e4t perceptionsf\u00e4hig sind. Ein zweites Capitel behandelt die Verh\u00e4ltnisse der Intensit\u00e4t, ein drittes die der Qualit\u00e4t der Geschmacksempfindungen. Capitel IV hat die Gef\u00fchlsseite des Gebietes zum Gegenst\u00e4nde, w\u00e4hrend die Untersuchung zum Schl\u00fcsse auf die Pr\u00fcfung einzelner Papillen der Zungenschleimhaut zur\u00fcckkehrt, um auf Grund der gewonnenen Gesammtresultate eine Stellung zu gewinnen zu der in der Physiologie herrschend gewordenen Lehre von den specifischen Energien der Sinnesorgane und der Sinnesnerven.\nAls Hauptbedingungen, unter welchen die nachfolgenden Untersuchungen vom Wintersemester 1892/93 his dahin 1893/94 im","page":330},{"file":"p0331.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur physiologischen Psychologie des Geschmackssinnes.\t331\nLaboratorium des Herrn Professor Dr. Wundt ausgefiihrt worden sind, seien kurz folgende hervorgehoben: 1) Die Schmecksubstanzen waren Chlornatrium, Chlorwasserstoffs\u00e4ure, Sacharum alb., Sacharin, Chinin sulf. und reines Chinin. In allen F\u00e4llen, in denen die verwandten Stoffe unter einander in keinerlei chemische Verbindung treten durften, ist schwefelsaures Chinin vor dem absolut reinen bevorzugt. Die L\u00f6sungen dieser nach M\u00f6glichkeit chemisch rein gew\u00e4hlten Substanzen sind mit destillirtem Wasser hergestellt. 2) Die Application der Schmeckstoffe erfolgte theils mit tropfglas\u00e4hnlichen R\u00f6hren, denen eine Scala nach J/io ccm eingeschliffen war, theils mit weichen Haarpinseln. Ein Verschluss an der oberen Oeffnung der R\u00f6hre durch einen Kautschukballon gestattete eine leichte Aufnahme und Abgabe der betreffenden Fl\u00fcssigkeiten. 3) St\u00f6rende Begleitempfindungen suchte ich auszuschalten. Mit Bezug auf die Ausschaltung des Temperatursinnes sind zwei Methoden verwendet worden. Anfangs lie\u00df ich sowohl vor dem Beginn einer Versuchsreihe als auch zwischen den Einzelversuchen mit dem Wasser der Leitung den Mund sp\u00fclen. Dieses wie die angewandten Schmeckstoffe besa\u00dfen Zimmertemperatur. Indem auf diese Weise die Eigentemperatur des Mundes herabgesetzt und der reizenden Substanz angepasst wurde, glaubte ich damit der Forderung gen\u00fcgt zu haben, nach welcher die Schmeckf\u00e4higkeit bei einer Temperatur von 10\u201420\u00b0 C. als die g\u00fcnstigste angegeben wird'). Da sich aber trotzdem im weiteren Verlaufe der Untersuchung st\u00f6rende Einfl\u00fcsse von Temperaturschwankungen nicht vermeiden lie\u00dfen, so gab ich diese Methode sp\u00e4ter auf und brachte das zum Aussp\u00fclen des Mundes dienende Leitungswasser, sowie die zu verabreichenden Fl\u00fcssigkeiten auf die Mundtemperatur von 37\u00b0 C. Ich hielt zu diesem Zwecke Wasser unter einer Gasflamme best\u00e4ndig warm und konnte auf diese Weise die betreffenden Fl\u00fcssigkeiten, welche in Bechergl\u00e4sern in ein warmes Wasser haltendes, flaches Gef\u00e4\u00df gestellt waren, leicht unter gleicher Temperatur erhalten. Die Empfindlichkeit f\u00fcr Temperaturschwankungen ist eine au\u00dferordentlich feine1 2). Die Versuchs-\n1)\tCamerer, Pfl\u00fcg. Arch. II, p. 322ff.\n2)\tDessoir, Ueber den Hautsinn. Arch, f\u00fcr Physiol, p. 256. 1892. Siehe meine Abhandlung \u00fcber Cocain und Gymnema. Phil. Stud. IX, p. 510.\n22*","page":331},{"file":"p0332.txt","language":"de","ocr_de":"332\nFriedrich Kiesow.\npersonen waren angewiesen, jede Schwankung sofort anzugeben. Die aus solchen St\u00f6rungen hervorgehenden Resultate wurden als ung\u00fcltig vernichtet. Nach einigen Versuchen hatte ich mich auf diese Methode derart einge\u00fcht, dass die Mitwirkung des Temperatursinnes als ausgeschlossen betrachtet werden muss1). Tastempfindungen kamen bei der sanften Art der Application nicht in Betracht. Die durch die einzelnen Schmeckstoffe selber verursachten Tastsensationen sind in Capitel III behandelt. Eine Ausschaltung des Geruchs war bei den verwandten Stoffen in der Regel nicht noth-wendig, betreffs des Gesichts gen\u00fcgte der Verschluss der Augenlider.\nBewegungsempfindungen suchten wir dadurch zu verh\u00fcten, dass die applicirte Fl\u00fcssigkeit bei offen gehaltenem Munde ohne Bewegung der Zunge w\u00e4hrend der zur Sensation n\u00f6thigen Zeit unbeweglich auf der gereizten Stelle ruhen blieb.\nAls Versuchspersonen dienten mir freundlichst die Herren: Prof. K\u00fclpe, Mag. Ser\u00e9brenikoff, Dr. Mentz, Gale, Child, Dr. Henri, Rogers, Buck, Dr. Cohn, Heller, Eissler, Dr. Karl Kiesow, Dr. Hoch. Die Verwendung derselben ist bei den einzelnen Versuchen angegeben. Die Versuchspersonen enthielten sich vor den Untersuchungen des Rauchens. Wo durch irgend welche Ver\u00e4nderung im k\u00f6rperlichen Befinden oder durch Di\u00e4twechsel die Urtheilsf\u00e4higkeit einer Versuchsperson getr\u00fcbt war, sind die daraus resultirenden Angaben nicht ber\u00fccksichtigt worden. Schlie\u00dflich habe ich noch dankbar hervorzuheben, dass mir einige Kinder im Alter von 8\u2014121/2 Jahren zu meinen Untersuchungen freundlichst zur Verf\u00fcgung gestellt wurden.\nAlle Versuchspersonen habe ich l\u00e4ngere Zeit auf die betreffenden Versuche einge\u00fcht. Dies war um so nothwendiger, als wir im gew\u00f6hnlichen Leben nicht in gleichem Ma\u00dfe wie bei den h\u00f6heren Sinnen gen\u00f6thigt sind, die Aufmerksamkeit ausschlie\u00dflich auf Geschmacksreize, geschweige denn auf solche von sehr geringer Intensit\u00e4t zu richten. Aus diesem Umstande erkl\u00e4rt sich auch die\n1) Controlversuche mit dem Mare y\u2019sehen Sphygmographen und Pneumographen zeigten bei Application von auf die Mundtemperatur erh\u00f6htem destill. Wasser keine Abweichung vom normalen Verhalten der Puls- und Athemfrequenz. Siehe Capitel IV.","page":332},{"file":"p0333.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur physiologischen Psychologie des Geschmackssinnes.\t333\nleicht eintretende Erm\u00fcdung, welche au\u00dferdem bedingt durch die unbewegte Haltung des gesammten K\u00f6rpers und die ungewohnte Stellung des normaler Weise durch den Luftdruck unterst\u00fctzten, nach oben gehaltenen Unterkiefers das Urtheil leicht beeintr\u00e4chtigt und daher hei Geschmacksversuchen in erster Linie mit in R\u00fccksicht gezogen werden muss.\nDas Verfahren war mit der im Schlusscapitel zu erw\u00e4hnenden Ausnahme unter strengster Durchf\u00fchrung ein unwissentliches.\nCapitel I.\nDie Schmeckf\u00e4higkeit einzelner Mund- und Zungentheile.\nDie \u00e4ltere Zeit hielt wie das popul\u00e4re Bewusstsein noch heute wohl die Zunge f\u00fcr das Hauptorgan des Geschmacks, schrieb aber daneben dem gesammten Tractus intestinalis Schmeckf\u00e4higkeit zu. Grew1) und selbst Magendie2) lie\u00dfen noch Oesophagus und Magen Geschmacksempfindungen vermitteln, Tourtual3) lie\u00df noch die Nasenschleimhaut am Geschmacke theilnehmen, Magendie hielt au\u00dferdem sogar die Z\u00e4hne f\u00fcr perceptionsf\u00e4hig. Man hatte noch nicht hinreichend erkannt, dass eine subjectiv als Einheit empfundene Perception objectiv sehr zusammengesetzter Natur sein kann. So liegt es auf der Hand, dass Tourtual zwischen Geruch und Geschmack keine scharfe Grenze zieht, bei Magendie sind es Tasteindr\u00fccke und Gemeinempfindungen, die mit Geschmackssensationen verwechselt werden. Diese Vermischung von Getast, Geruch und Geschmack zieht sich lange Zeit durch die Wissenschaft. Sie zeigt sich hei der Classification der Geschm\u00e4cke von Seiten der \u00e4lteren Autoren, wie Linn\u00e9, Luchtmann, Bravo4) u. a. in besonders auff\u00e4lliger Weise: acerhus, austerus, adstringens, siccus, pinguis, oleosus, unctuosus, vinosus u. s. f. sind als Geschmacks-\n1)\tAnatomy of plants. 16S2. p. 284. Cit. nach Dumas, Principes de Physiol. Uebers. von Kraus u. Pickhard. II. S. 388. 1807.\n2)\tGrundriss der Physiologie. A. d. Franzos, v. Heusinger. I. S. 121. 1820.\n3)\tDie Sinne des Menschen. 1827. S. 93. \u2014 Rittmeyer, Geschmackspr\u00fcf. Dissert. 1885.\n4)\tv. Horn, Ueber den Geschmackssinn des Menschen. 1825. O ehrwall. Untersuchungen \u00fcber den Geschmackssinn. Skand. Arch. f. Physiol. II, S. 5.","page":333},{"file":"p0334.txt","language":"de","ocr_de":"334\nFriedrich Kiesow.\nempfindungen bezeichnet. Andere fassten den Geschmackssinn \u00fcberhaupt nur als ein verfeinertes Tastverm\u00f6gen auf. So Dumas1). Der ganze innere Mundraum und die gesammte Zungenoberfl\u00e4che l\u00f6sen Geschmackseindr\u00fccke aus; denn auch auf papillenfreien Stellen der Zungenschleimhaut finden sich Geschmacksempfindungen, und Nie\u00dfwurz, Tollkirsche, Wermuth reizen besonders Lippen, Gaumen, Schlund.\nDie Streitfrage um die Mitwirkung des Tastsinns bei Geschmackseindr\u00fccken zieht sich fort bis in die neueste Zeit. Man \u00fcbersieht, wie mir scheint, dass alle unsere Geschmackswahrnehmungen von Tasteindr\u00fccken begleitet sind, nicht nur die des Sauren und Salzigen2). Immerhin d\u00fcrfte man, von vereinzelten Annahmen abgesehen, jetzt im allgemeinen zu einer einheitlichen Auffassung gekommen sein.\nNeben den eben ber\u00fchrten Punkten hat die Abgrenzung der einzelnen Schmeckfl\u00e4chen der Zunge wie des Mundraumes die Forschung lange Zeit besch\u00e4ftigt. Au\u00dfer der Frage nach den eigentlich percipirenden Stellen des Zungenk\u00f6rpers drehte sich die Controverse besonders um die Mitwirkung von hartem und weichem Gaumen, der Uvula, der Gaumenb\u00f6gen, der Tonsillen, der Zungenwurzel, des Pharynx u. s. f. Joh. M\u00fcller3) tritt f\u00fcr eine gr\u00f6\u00dfere Verbreitung der geschmackempfindenden Partien im Munde ein. Rud. Wagner4) konnte nach einem an ihm selbst und zwei andern Personen angestellten Versuche \u00bbam Gaumen und sonst in der Mundh\u00f6hle durchaus keinen Geschmack constatiren\u00ab. Valentin5) l\u00e4sst dagegen wieder neben der ganzen Zungenfl\u00e4che auch ihre Unterseite, die beiden Gaumenb\u00f6gen, die Tonsillen, die Umgebung des Kehldeckels und den Schlundkopf am Geschmack theilnehmen. Je mehr diese Fragen zum Gegenst\u00e4nde der Untersuchung gemacht wurden, desto mehr lassen die Resultate die Ueberzeugung gewinnen, dass, obwohl mit h\u00e4ufigen individuellen Differenzen, der Regel nach eine Mitwirkung dieser oder jener der genannten\n1)\tPrincipes de Physiologie. Uebers. v. Kraus u. Piekhard. II, S. 388. 1807.\n2)\tVergl. Cap. III dieser Arbeit.\n3)\tHandbuch der Physiologie. 4. Aufl. II, S. 490. 1840.\n4)\tLehrbuch der speciellen Physiologie. 3. Aufl. S. 337, 1845.\n5)\tLehrbuch der Physiologie. 2. Aufl. II. S. 551. 1850.","page":334},{"file":"p0335.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur physiologischen Psychologie des Geschmackssinnes.\t335\nTheile oder aller angenommen werden muss (Schirmer1), Klaatsch2), Stich3), Drielsma4)}. Eine Hauptst\u00fctze gegen die ausschlie\u00dfliche Verwendung des Zungenk\u00f6rpers bei der Geschmacksth\u00e4tigkeit bildeten Erfahrungen, die man an zungenlosen oder mit rudiment\u00e4rer Zunge behafteten Individuen gemacht hatte, sei es dass dieselben so geboren waren, oder dass die Zunge oder ein Theil derselben in Folge pathologischer St\u00f6rungen hatte entfernt werden m\u00fcssen; denn in keinem Falle fehlten Geschmacksempfindungen. Konnte man auch gegen die G\u00fcltigkeit der F\u00e4lle mit rudiment\u00e4rer Zunge mit Eecht Bedenken tragen (Wagner, Rudolphi), so erwiesen sich diejenigen mit operativ entfernter Zunge als ein um so annehmbareres Krite-terium5 6). Eine Arbeit aus neuester Zeit ist \u00fcber einen solchen Fall von Thiery\u00ab) ver\u00f6ffentlicht worden. Auf Grund einer totalen Zungenexstirpation mit Einschluss eines Theiles des Arcus glosso-palatinus und der Verbindungsligamente mit der Epiglottis konnte der Verf. an 16 verschiedenen Substanzen best\u00e4tigen, dass der weiche Gaumen und die Gaumenb\u00f6gen mit Einschluss der Uvula auf alle Qualit\u00e4ten reagirten. Nur die Empfindung des Alkalischen scheint dem Betreffenden nach Thier y\u2019s Protocoll zu fehlen (S. 19). Eine andere Untersuchung neuester Zeit von Peterson7) \u00fcber den gleichen Gegenstand ist mir leider nicht zug\u00e4nglich gewesen.\nBieten nun F\u00e4lle der letztgenannten Art bez\u00fcglich der hinteren Mundtheile der Untersuchung immerhin eine gro\u00dfe Erleichterung dar, so best\u00e4tigen sie, so weit es sich um Feststellung schmeckf\u00e4higer Stellen des Mundraumes handelt, doch nur was auch unter normalen Verh\u00e4ltnissen bereits gefunden ist. In der That bedarf es kaum einer Zungenexstirpation, um den Nachweis der Perceptions-f\u00e4higkeit f\u00fcr den weichen Gaumen oder den vorderen Gaumen-\n1)\tNonnullae de gustu disquisitiones. Dissert. 1856.\n2)\tArchiv f\u00fcr patholog. Anatomie. XIV. S. 225. 1858.\n3)\tCit. nach Funke-Gr\u00fcnhagen, Physiologie. S. 71ff. 6. Aufl. 1879.\n4)\tEbenda.\n5)\tSiehe die Lehrb\u00fccher \u00fcber specielle Chirurgie. Blumenbach, Handbuch der vergleich. Anatomie. 2. Aufl. S. 337 Anm. 1815.\n6)\tUntersuchungen \u00fcber die Geschmacksempfindungen, die Kau- u. Schlingbewegungen eines Zungenlosen. Bonner Diss. Berlin 1885.\n7)\tA note upon the disturbance of the sense of taste after the amputat. of the tongue. Med. Record. 38. 1892.","page":335},{"file":"p0336.txt","language":"de","ocr_de":"336\nFriedrich Kiesow.\npfeiler zu liefern. Um so werthvoller aber d\u00fcrften Versuche sein, die sich unter diesen Bedingungen auf die Intensit\u00e4tsverh\u00e4ltnisse dieser Schmeckfl\u00e4chen beziehen, vorausgesetzt, dass die betreffenden \\ ersuchssubjecte dem Beobachter hinreichende Zeit zur Verf\u00fcgung stehen. Unter den unter normalen Verh\u00e4ltnissen \u00fcber diese Fragen angestellten Untersuchungen neuerer Zeit muss in erster Linie eine Arbeit des Otiaters Dr. Urbantschitsch aus dem Jahre 1876 genannt werden1). Urbantschitsch d\u00fcrfte der erste gewesen sein, der durch seine Befunde zur Kl\u00e4rung des viel umstrittenen Ph\u00e4nomens beigetragen hat. An einer gro\u00dfen Anzahl von Versuchspersonen konnte festgestellt werden, dass nicht nur die gesammte Zungenoberfl\u00e4che, der vom Munde aus sichtbare Theil der Bachenwand 2), die Uvula, der Arcus glosso-palatinus, der weiche und der harte Gaumen empfindlich seien, sondern auch die Unterseite der Zungenspitze und die Wangenschleimhaut. Andere Stellen hat Urbantschitsch nicht untersucht3). Der Fortschritt dieser durch viele Einzelangaben inhaltsreichen Schrift besteht in zwei Punkten. Zun\u00e4chst hat Urbantschitsch als der erste experimentell den Nachweis erbracht, dass die Ausbreitung der Perceptionsf\u00e4higkeit im Munde vom verschiedenen Lebensalter der einzelnen Individuen abh\u00e4ngig sein kann: Wangenschleimhaut und meistens auch harter Gaumen percipirten nur im jugendlichen Alter. Sodann hat er aber auch meines Wissens zuerst darauf hingewiesen, dass Anomalien des Geschmacks innerhalb des erwachsenen Lebens vielfach auf Affec-tionen des Mittelohres zur\u00fcckgef\u00fchrt werden m\u00fcssen, die auch nach erfolgter Heilung noch fortbestehen k\u00f6nnen4).\nBei einfachem Katarrh der Paukenh\u00f6hle fand Urbantschitsch Anomalien der Geschmacksempfindung am Arcus glosso-palatinus, am weichen Gaumen und an der Zunge oder nur an einzelnen dieser Stellen5). Nimmt man nun dazu die Thatsache \u00bbder au\u00dferordentlichen H\u00e4ufigkeit, mit welcher Ohraffectionen vorzukommen pflegen, so zwar, dass unter drei Menschen sicherlich*einer an einem Ohre\n1)\tBeobachtungen \u00fcber Anomalien des Geschmacks etc. in Folge von Erkrankungen der Paukenh\u00f6hle. 1876.\n2)\tAuch von Valentin angenommen. Lehrbuch der Physiol. Bd. II. 1848. Ebenso von Verni\u00e8re. Recherch. sur les sens du go\u00fbt. 1827.\n3)\ta. a. O. S. 6, 43.\t4) a. a. O. S. 11\u201423, 45 f. 5) a. a. O. S. 41.","page":336},{"file":"p0337.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur physiologischen Psychologie des Geschmackssinnes.\n337\nwenigstens nicht mehr gut oder normal h\u00f6rt, \u2014 wie dies von Tr\u00f6ltsch1) mit voller Berechtigung behauptet \u2014 so verdient der bedeutende Einfluss, welchen die Erkrankungen der Paukenh\u00f6hle auf die Geschmacksfunction auszu\u00fcben verm\u00f6gen, unsere volle Ber\u00fccksichtigung\u00ab2). In der That m\u00f6chten sich manche Differenzen in den diesbez\u00fcglichen Angaben der Autoren aus diesem Umstande erkl\u00e4ren.\nDiese Differenzen in den Angaben sind aber nicht die einzigen. Auch in der Frage nach der Perceptionsf\u00e4higkeit der einzelnen Zungentheile gehen die Ansichten auseinander. So waren bei Funke3) Spitze und R\u00e4nder f\u00fcr Geschmacksreize unempfindlich. Ebenso gibt v. Vintschgau4) an, dass er an den Zungenr\u00e4ndern nicht percipirt u. dgl. Auch diese Erscheinungen sind vielleicht als Anomalien aufzufassen und finden als solche in den Untersuchungen von Urbantschitsch eine Erkl\u00e4rung, sofern eine fr\u00fchere Erkrankung der Paukenh\u00f6hle sowohl einseitigen wie doppelseitigen Verlust des Geschmacks nach sich gezogen haben kann5). Ob die erw\u00e4hnten und \u00e4hnliche F\u00e4lle unter allen Umst\u00e4nden auf derartige Erscheinungen zur\u00fcckzuf\u00fchren sind, k\u00f6nnen wir freilich nicht wissen. Sicherlich sind sie nicht die einzigen Ursachen individueller Schwankungen. Auch in den von Urbantschitsch mitge-theilten Tabellen6) finden sich bei vollkommen gesunden Individuen F\u00e4lle, wo Geschmacksfl\u00e4chen nicht reagiren, so dass auch er au\u00dfer den erw\u00e4hnten Befunden noch zur Annahme individueller Unterschiede sich gen\u00f6thigt sieht7).\nAls Grund des Geschmacksverlustes sowie auch der im n\u00e4chsten Capitel zu besprechenden Herabsetzung der Sensibilit\u00e4t einzelner Mund- und Zungentheile betrachtet Urbantschitsch: \u00bbDruck auf die Chorda tympani und auf den Plexus tympanicus, Irritation dieser Nerven, Zerst\u00f6rung derselben\u00ab8). Eine Erkl\u00e4rung der durch die verschiedenen Lebensalter bedingten Ver\u00e4nderungen wie einiger anderer individueller Verschiedenheiten (Unterseite der Zungenspitze, Schmeckf\u00e4higkeit des harten Gaumens) bei Erwachsenen sei\n1)\tLehrb. d. Ohrenheilkde. S. 6. 5. Aufl. 1873. Cit. nach Urbantschitsch.\n2)\ta. a. O. S. 42.\t3) Funke-Gr\u00fcnhagen, a. a. O. S. 71.\n4) Hermann, Handb. d. Physiol. Ill, 2. S. 157.\t5) a. a. O. S. 45.\n0) a. a. O. S. 53\u201458.\t7) a. a. O. S. 8, 43.\t8) a. a. O. S. 46.","page":337},{"file":"p0338.txt","language":"de","ocr_de":"338\nFriedrich Kiesow.\nweiter unten versucht. Zun\u00e4chst m\u00f6chte ich meine eigenen hierher geh\u00f6rigen Befunde mittheilen.\nIch habe anfangs an Erwachsenen experimentirt und konnte gelegentlich der im n\u00e4chsten Capitel zu behandelnden Intensit\u00e4tsverh\u00e4ltnisse feststellen, dass hei allen mir zu Gebote stehenden Herren ohne Ausnahme die Spitze, die R\u00e4nder und die Basis der Zunge f\u00fcr alle vier Qualit\u00e4ten empfindlich waren. Sp\u00e4ter fand ich bei einer Versuchsperson auf dem rechten Zungenrande 2 cm von der Mittellinie der Spitze entfernt eine 4 cm lange Strecke, welche gegen jeden Geschmacksreiz unempfindlich war, w\u00e4hrend der \u00fcbrige Theil der Zunge mit Ausnahme einiger im Schlusscapitel behandelten Einzelpapillen v\u00f6llig correct reagirte. Angeregt durch die Lect\u00fcre der erw\u00e4hnten Schrift von Urbantschitsch habe ich dann auch andere Mundtheile mittels weicher Haarpinsel untersucht. Das Ergebniss war, dass die Mitte der Zungenoberfl\u00e4che bei keinem der Herren einen Geschmack ausl\u00f6ste, wohl aber bei zwei andern und mir die Unterseite der Spitze zu beiden Seiten des Frenulum. Am harten Gaumen fand ich nur in einem Falle unter sieben Geschmacksempfindung und zwar wiederum aller Qualit\u00e4ten. Die empfindliche Stelle lag auf der Grenze zum Velum hin. Daf\u00fcr blieb in diesem Falle die Empfindung am weichen Gaumen aus, w\u00e4hrend bei allen andern Versuchspersonen derselbe intensiv per-cipirte. Die beiden Gaumenb\u00f6gen, die Uvula und die Tonsillen habe ich nur an zwei Herren pr\u00fcfen k\u00f6nnen. Das Resultat war f\u00fcr alle Qualit\u00e4ten ein positives.\nDie Untersuchung der beiden Gaumen bietet keinerlei Schwierigkeit, mehr die der hinteren Mundtheile. Durch die Ber\u00fchrung mit dem Pinsel entstehen leicht Schlingreflexe, wodurch das Urtheil ung\u00fcltig wird. Am besten fand ich, die Zunge ausstrecken zu lassen und w\u00e4hrend der Application mit einem L\u00f6ffelstiele niederzuhalten, wobei die Versuchsperson den Athem wie bei Hervorbringung des Vocallautes a ausstr\u00f6men l\u00e4sst. Die rechte Hand lag bequem auf dem Tische und gab bei offen gehaltenem Munde durch Aufklopfen mit dem Finger zu erkennen, ob und wann die Sensation erfolgte. Dann wurde der Mund geschlossen und das Urtheil abgegeben und notirt.\nUrbantschitsch arbeitete mit concentrirten L\u00f6sungen von","page":338},{"file":"p0339.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur physiologischen Psychologie des Geschmackssinnes.\n339\nKochsalz, Zucker, Weinsteins\u00e4ure und Chinin1). Ich habe 20# Sach, alb., 10# NaCl, 0.2# HCl und 0,1# Chin. suif, verwandt, da ich diese Stufen f\u00fcr hinreichend hielt, falls die gefundene Per-ceptionsf\u00e4higkeit eine praktische Bedeutung haben soll. Nur die Zungenspitze habe ich an ihrer untern Seite und ebenso die Zungen-mitte und den harten Gaumen mit concentxirter Sacharinl\u00f6sung, conc. NaCl, 0,4# HCl und 2# Chin. suif, nachgepr\u00fcft. Mitte und harter Gaumen reagirten hierauf hei Erwachsenen ebenfalls nicht. Ebenso war auf der Unterseite der Zungenspitze in den beiden positiven Resultaten durch die verst\u00e4rkten L\u00f6sungen nur eine gr\u00f6\u00dfere Intensit\u00e4t zu verzeichnen, bei den andern Personen blieb das Ergebnis ein negatives.\nNach Feststellung dieser Verh\u00e4ltnisse verlangte mich sehr, die von Urhantschitsch an Kindern gefundenen Resultate, wie eingangs erw\u00e4hnt, nachzupr\u00fcfen. Diese Versuche sind alle mit weichen Haarpinseln ausgef\u00fchrt. Die Untersuchung der hintern Zungen-theile bietet bei Kindern weniger Schwierigkeit wie hei Erwachsenen, da die Zungenbasis und -Wurzel noch nicht eine gleiche Massenhaftigkeit besitzen. Dass auch hier die ersten Versuche ausschlie\u00dflich der Uebung dienten und nur vorwurfsfreie Urtheile ver-werthet wurden, bedarf kaum noch der Erw\u00e4hnung.\nZu meiner Ueberraschung zeigte sich schon bei den ersten Versuchen die Zungenmitte auf Geschmacksreize reagirend. Hierdurch ermuthigt pr\u00fcfte ich die \u00fcbrigen erw\u00e4hnten Theile mit Ausnahme des hintern Gaumenpfeilers und der Pharynxwand, weil mir die Resultate hier nicht fehlerfrei zu sein schienen. Ich kam zu dem Ergebniss, dass, obwohl auch hier individuelle Schwankungen vorhanden waren, in der Regel die ganze Zungenoberfl\u00e4che, die Unterseite der Zungenspitze zu beiden Seiten des Frenulum ling., harter und weicher Gaumen, die Uvula, der vordere Gaumenpfeiler und die Tonsillen percipirten. Die Abweichungen zeigt die unten angef\u00fcgte Tabelle. An der Wangenschleimhaut fand ich auch bei Kindern keinen Geschmack. Dies ist jedoch kein Widerspruch mit Urbantschitsch\u2019s Befunden, da er eine gr\u00f6\u00dfere Anzahl von Kindern hierauf pr\u00fcfen konnte und au\u00dferdem die Erscheinung,\n1) a. a. O. S. 5.","page":339},{"file":"p0340.txt","language":"de","ocr_de":"340\nFriedrich Kiesow.\nwenn sie gleich nach Urbantschitsch1) im Kindesalter keineswegs selten, so doch auch wohl nicht gerade h\u00e4ufig ist. Ebenso wenig l\u00f6sten Lippen und Zahnfleisch Geschmacksempfindungen aus. In der nachstehenden Tabelle bedeutet + Sensation, 0 keine Sensation, ? zweifelhaftes Urtheil, \u2014 dass die Untersuchung auf den so si-gnirten Stellen aus \u00e4u\u00dfern Gr\u00fcnden nicht fortgesetzt werden konnte. Die Resultate sind aus mehreren Einzelversuchen gewonnen worden.\nA. Versuche an Erwachsenen. 1. S\u00fc\u00df.\n\tProf.\tGale\tDr.\tDr.\tHeller\tDr.Karl\tVerf.\n\tK\u00fclpe2)\t\t(John\tMentz\t\tKiesow\t\nMitte\t0\t0\t0\t0\t\u00fc\t0\t0\nWeicher \"Gaumen\t0\t+\t+\t+\t+\t+\t+\nHarter Gaumen\t+\t0\t0\t0\t\u00bb\t0\t0\nUvula\t\u2014\tH-\t\u2014\t\u2014\t\u2014\t+\t\u2014\nVordere Gaumenb\u00f6gen\t\u2014\t+\t\u2014\t\u2014\t\u2014\t+\t\u2014\nUnterseite der Spitze\t0\t+\t\u2014\t+\t0\t0\t+\n2. Salz.\n\tProf. K\u00fclpe\tGale\tDr. Cohn\tDr. Mentz\tHeller\tDr.Karl Kiesow\tVerf.\nMitte\t0\t0\t0\t0\t0\t0\t0\nWeicher Gaumen\t0\t+\t+\t+\t+\t+\t+\nHarter Gaumen\t+\t0\t0\t0\t0\t0\t0\nUvula\t\u2014\t+\t\u2014\t\u2014\t\u2014\t+\t\u2014\nVordere Gaumenb\u00f6gen\t\u2014\t+\t\u2014\t\u2014\t\u2014\t+\t\u2014\nUnterseite der Spitze\t0\t+\t\u2014\t+\t0\t0\t\"1\"\ni\n1) a. a. O. S. 10.\n2) Vergl. U. a. a. O. S. 66. Versuch XII.","page":340},{"file":"p0341.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur physiologischen Psychologie des Geschmackssinnes.\t341\n3. Sauer.\n\tProf. K\u00fclpe\tGale\tDr. Cohn\tDr. Mentz\tHeller\tDr. Karl Kiesow\tVerf.\nMitte\t0\t0\t0\t0\t0\t0\t0\nWeicher Gaumen\t0\t+\t+\t+\t+\t+\t+\nHarter Gaumen\t+\t0\t0\t0\t0\t0\t0\nUvula\t\u2014\t+\t\u2014\t\u2014\t\u2014\t+\t\u2014\nVordere Gaumenb\u00f6gen\t\u2014\t+\t\u2014\t\u2014\t\u2014\t+\t\u2014\nUnterseite der Spitze\t0\t+\t\u2014\t+\t0\t0\t+\n4. Bitter.\n\tProf. K\u00fclpe\tGale\tDr. Cohn\tDr. Mentz\tHeller\tDr.Karl Kiesow\tVerf.\nMitte\t0\t0\t\u00dc\t0\t0\t0\t0\nWeicher Gaumen\t0\t+\t+\t+\t\t+\t\u201ch\nHarter Gaumen\t+\t0\t\u00fc\t0\t0\t0\t0\nUvula\t\u2014\t+\t\u2014\t\u2014\t\u2014\t+\t\u2014\nVordere Gaumenb\u00f6gen\t\u2014\t1\t\u2014\t\u2014\t\u2014\t\u201cT\t\u2014\nUnterseite der Spitze\t0\t\t\u2014\t+\t0\t0\t+\nZu diesen vorstehenden Tabellen w\u00e4re noch zu bemerken, dass an der Uvula, den Gaumenb\u00f6gen und der Unterseite der Spitze schw\u00e4cher als an andern Stellen percipirt wurde, doch wieder mit individuellen Differenzen. So empfand Mr. Gale\u2019s Unterseite der Zungenspitze bedeutend intensiver als dies in den beiden andern F\u00e4llen geschah. Der weiche Gaumen percipirte \u00fcberall intensiv, ebenso der harte bei Herrn Prof. K\u00fclpe. Bei schw\u00e4cherer Wahrnehmung \u2014 Gaumenpfeiler, Uvula, Unterseite \u2014 war auch die Perceptionszeit eine bedeutend l\u00e4ngere. Die n\u00e4heren Angaben hier\u00fcber geh\u00f6ren erst in das n\u00e4chste Capitel.","page":341},{"file":"p0342.txt","language":"de","ocr_de":"342\nFriedrich Kiesow.\nB. Versuche an Kindern. 1. S\u00fc\u00df.\n\tM. W. 121/2 J.\tA. B. 12 J.\tM.D. 11 J.\tC.M. 11 J.\tW.F. 10 J.\tH. F. 8 J.\nMitte\t0\t1\t\t+\t+\t+\nWeicher Gaumen\t+\t+\t+\t+\t+\t+\nHarter Gaumen\t+\t+\t+\t+\t+\t+\nTonsillen\t\u2014\t+\t+\t+\t+\t+\nVordere Gaumenb\u00f6gen\t+\t+\t+\t+\t+\t+\nUvula\t\u2014\t4-\t+\t+\t_j_\t+\nUnterseite der Spitze\t+\t+\t+\t+\t+\t-r\n2. Salz.\n\tM. W. 12i/2J.\tA. B. 12 J.\tM.D. 11 J.\tC. M. 11 J.\tW.F. 10 J.\tH. F. 8 J.\nMitte\t0\t+\t+\t+\t+\t+\nWeicher Gaumen\t+\t+\t+\t+\t+\t+\nHarter Gaumen\t4-\t+\t+\t+\t+\t+\nTonsillen\t\u2014\t+\t+\t+\t+\t+\nVordere G'aumenb\u00f6gen\t+\t+\t+\u25a0\t+\t+\t+\nUvula\t+\t+\t+\t+\t+\t+\nUnterseite der Spitze\t+\t+\t+\t+\t+\t+","page":342},{"file":"p0343.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur physiologischen Psychologie des Geschmackssinnes.\t343\n3. Sauer.\n\tM. W. 121/2 J.\tA. B. 12 J.\tM.D. 11 J.\tC. M. 11 J.\tW.F. 10 J.\tH. F. 8 1.\nMitte\t0\t+\t+\t+\t4-\t+\nWeicher Gaumen\t+\t+\t+\t+\t4-\t+\nHarter Gaumen\t+\t+\t4-\t+\t+\t4-\nTonsillen\t\u2014\t\u2014\t\u2014\t?\t?\t+\n' Vordere Gaumenb\u00f6gen\t+\t\u2014\t\u2014\t+\t+\t4-\nUvula\t+\t\u2014\t\u2014\t+\t4-\t4-\nUnterseite der Spitze\t+\t+\t+\t4-\t+\t+\n4. Bitter.\n\tM. W.\tA. B.\tM. D.\tC. M.\tW.F.\tH. F.\n\t12*/2 J.\t12 J.\t11 J.\t11 J.\t10 J.\t8 J.\nMitte\t0\t4-\t+\t4-\t+\t4-\nWeicher Gaumen\t4\t4-\t+\t4-\t4-\t4-\nHarter Gaumen\t+\t+\t+\t4-\t4-\t4-\nTonsillen\t\u2014\t+\t\u2014\t4-\t4-\t4-\nVordere Gaumenb\u00f6gen\t4-\t4-\t\u2014\t+\t+\t+\nUvula\t4-\t+\t\u2014\t+\t4-\t4-\nUnterseite der Spitze\t4-\t4-\t4-\t4-\t+\t4-\nDie in der 3. Tabelle bei C. M. und W. F. an den Tonsillen mit ? bezeichneten Urtheile schienen mir zweifelhaft, da die betreffenden Yersuche nicht ohne Reflexerscheinungen gelingen wollten, obwohl die Kinder bestimmt angaben, auch an diesen Stellen das Saure zu schmecken.\nAuffallend erschien mir anfangs, dass bei Kindern die abgegebenen Urtheile nicht den erwarteten entsprachen. So wurde bei Reizung mit HCl der Eindruck anfangs fast ausschlie\u00dflich als salzig","page":343},{"file":"p0344.txt","language":"de","ocr_de":"344\nFriedrich Kiesow.\nbezeichnet. Ebenso lauteten die Urtheile bei einigen, wenn ich Chinin applicirte, fast regelm\u00e4\u00dfig auf salzig. Sp\u00e4ter ergab sich, dass die Betreffenden \u00fcberhaupt noch nicht gut zwischen salzigen und sauren Eindr\u00fccken unterscheiden konnten, und erst nachdem ich dieselben hierauf ein\u00fcbte, indem ich an gut percipirenden Stellen der Zunge beide Sensationen zugleich hervorzubringen suchte, konnten die Angaben verwerthet werden. Der Grund lag in den beide Reize begleitenden starken Tasteindr\u00fccken. Auf den gleichen Umstand kann ich auch nur die Verwechselung zwischen Chinin und Salz zur\u00fcckf\u00fchren; denn auch hier wurden die Urtheile durch wiederholte Uebungen richtig. Das Moment der Uebung durfte hier um so weniger vernachl\u00e4ssigt werden, als das Geschmacksverm\u00f6gen und die F\u00e4higkeit, die Aufmerksamkeit ausschlie\u00dflich auf derartige Reize zu lenken, bei Kindern \u00fcberhaupt noch nicht sehr ausgebildet sind. S\u00fc\u00df wurde ohne Ausnahme stets richtig erkannt1).\nAehnliche Beobachtungen sind auch von Urbantschitsch und Horn2) gemacht worden, wenn auch nicht an Kindern, sondern an Erwachsenen. So beobachtete Urbantschitsch, dass in einem Falle an einer 28j\u00e4hr. Versuchsperson \u00bbChinin au\u00dfer dem bitteren gleichzeitig einen salzigen Geschmack hervorrief\u00ab3). Auf den Charakter dieser Doppelempfindungen, die Urbantschitsch auch sonst constatirt, habe ich erst sp\u00e4ter einzugehen, \u2014 das Auftreten des Salzigen aber scheint mir sicher eine durch Tastsensation hervorgerufene Association zu sein, um so mehr, da Urbantschitsch f\u00fcr seine Versuche concentrirte L\u00f6sungen der Schmecksubstanzen benutzte. War das verwandte Chinin au\u00dferdem etwa schwefelsaures, so liegt die Vermuthung um so n\u00e4her, als sich in den in den Apotheken k\u00e4uflichen Chininl\u00f6sungen h\u00e4ufig \u00fcbersch\u00fcssige S\u00e4ure befindet. Betreffs dieser letzteren Thatsache verweise ich auf das Schlusscapitel dieser Abhandlung. Eine Perceptionsf\u00e4hig-keit der Zungenmitte konnte ich nur im kindlichen Alter, nie wie Urbantschitsch auch an Erwachsenen finden. Die bei ihm in Betracht kommende Stelle ist mir aus seinen Protocollen nicht ganz\n1)\tVergl. Lichtenstein, Ueber die Geschmacksempfind, gesunder u. rha-chitischer Kinder. Heubner, Jahrb. f. Kinderheilkde. XXXVII. Heft 1. 1893.\n2)\tUeber den Geschmackssinn des Menschen. 1825. S. 95.\n3)\ta. a. O. S. 9, 57. Versuch J.","page":344},{"file":"p0345.txt","language":"de","ocr_de":"345\nBeitr\u00e4ge zur physiologischen Psychologie des Geschmackssinnes.\nersichtlich1). Meine Angaben beziehen sich f\u00fcr die Mitte der Zunge direct auf die von den Pap. fungiformes eingeschlossene Provinz der fadenf\u00f6rmigen Papillen. Nehmen wir zu diesen soeben dargelegten Gesammtbefunden noch hinzu, dass Michelson und Langendorff2) 1891 an den von ihnen mittelst der Schroeter\u2019-schen Kehlkopfsonde angestellten Versuchen die Geschmacksempfindlichkeit auch f\u00fcr die Innenfl\u00e4che des Kehlkopfes an Chinin und Sacharin erweisen konnten, so muss dem Geschmackssinn gem\u00e4\u00df der Ansicht der \u00e4lteren Autoren eine gro\u00dfe Verbreitung in den sensationsf\u00e4higen Theilen zugeschriehen werden. Eine nochmalige Zusammenfassung der Gesammtresultate ergibt folgendes :\n1)\tAn der Geschmacksempfindung nehmen Antheil neben der gesammten Zungenoberfl\u00e4che, ihrer Basis, der unteren Fl\u00e4che ihrer Spitze \u2014 der weiche und der harte Gaumen, sicher die vorderen Gaumenpfeiler, die Tonsillen, die Uvula, die hintere Rachenwand, das Innere des Kehldeckels und die Wangenschleimhaut.\n2)\tAlle diese Theile percipiren im kindlichen Alter, im erwachsenen reagiren nicht mehr die Wangenschleimhaut und die Zungenmitte, mit vereinzelten Ausnahmen auch nicht mehr der harte Gaumen, in Einzelf\u00e4llen bleibt die Unterseite der Zungenspitze zu beiden Seiten des Frenulum bei Erwachsenen percep-tionsf\u00e4hig.\n3)\tEingetretene St\u00f6rungen erkl\u00e4ren sich theils aus einer Affection des Mittelohres, theils sind sie individuell begr\u00fcndet.\nNach Darlegung dieser Verh\u00e4ltnisse ist es unsere Aufgabe, nach einer Erkl\u00e4rung f\u00fcr das Zur\u00fcckgehen gewisser Schmeckfl\u00e4chen im erwachsenen Leben, sowie f\u00fcr die innerhalb des letzteren auftretenden individuellen Schwankungen, f\u00fcr welche keine pathologische Ursachen gefunden werden k\u00f6nnen, zu suchen; denn es ist unm\u00f6glich, dass diese Erscheinungen anders als in den Entwickelungsverh\u00e4lt-, nissen ihre letzte Bedingung und Begr\u00fcndung finden sollten. F\u00fcr diesen Zweck ist es jedoch unerl\u00e4sslich, den psychophysischen Standpunkt auf kurze Zeit zu verlassen, um auf entwickelungsgeschichtlichem, vergleichend anatomisch-histologischem Gebiete Rath zu holen. Doch beschr\u00e4nken wir uns auf die haupts\u00e4chlichsten hierher\n2) Cit. nach Centralbl. f. Physiol. 1892. S. 204.\n23\n1) a. a. O. S. 53 ff.\nWundt, Philos. Studien. X.","page":345},{"file":"p0346.txt","language":"de","ocr_de":"346\nFriedrich Kiesow.\ngeh\u00f6renden Arbeiten und verweisen im Uebrigen auf die einschlagende Litteratur.\nNachdem ich diese Fragen oftmals bei mir erwogen, bin ich gelegentlich einer vorz\u00fcglich klaren Darstellung, die mein verehrter Lehrer, Herr Prof. Dr. Leuckart, betreffs der Entstehung der Z\u00e4hne bei den Vertebraten aus dem Hautzahnpanzer der Se-lachier in seinen Vorlesungen gab1), zum ersten Male auf den Gedanken gef\u00fchrt worden, ob nicht f\u00fcr das uns interessirende Gebiet \u00e4hnliche Verh\u00e4ltnisse gefunden werden m\u00fcssten. Nachdem ich mich sodann in die bez\u00fcgliche Literatur vertieft, ist mir diese Annahme zur Ueberzeugung geworden.\nF\u00fcr das histologische Verst\u00e4ndniss der f\u00fcr das Geschmacksorgan in Betracht kommenden Gebilde ist an Ley dig\u2019s2) Namen f\u00fcr alle Zeiten das Verdienst gekn\u00fcpft, hier absolut neue Wege gezeigt zu haben. Im Jahre 1851 fand derselbe im geschichteten Epithel der \u00e4u\u00dferen Flaut von S\u00fc\u00dfwasserfischen becherf\u00f6rmige Gebilde, die er freilich in ihrer Bedeutung nicht vollst\u00e4ndig erkannte und sp\u00e4ter als Organ eines 6. Sinnes aufzufassen geneigt war. Diese Entdeckung ist aber der Ausgangspunkt f\u00fcr die weitere Forschung gewesen. Von Franz E. Schulze3) wurden diese Gebilde f\u00fcr Geschmacksorgane erkl\u00e4rt, indem derselbe sie auch in der Gaumenschleimhaut der Fische, besonders der Cyprinoiden unter der Herrschaft des 9. Hirnnerven stehend erkannte und den Nachweis lieferte, dass diese Gebilde \u00fcbereinstimmten mit den von Axel Key4) 1861 in den Pap. fungiformes der Froschzunge gefundenen Geschmackszellen. 1867 sind sodann die gleichen Gebilde als Elementarorgane des Geschmackssinns durch die gleichzeitigen Entdeckungen Schwalbe\u2019s5) und Lov\u00e9n\u2019s6) auch f\u00fcr die h\u00f6heren S\u00e4ugethiere und den Menschen gefunden worden. 1870 hat endlich F. E. Schulze!) auch die Uebereinstimmung der in der Mundh\u00f6hle der Froschlarven gefundenen knospenf\u00f6rmigen Bildungen mit\n1)\tVergl. auch Hertwig, Lehrb. d. Entwickelungsgeschichte. 1888. S. 225.\n2)\tZeitschr. f. wiss. Zool. Bd. III. S. 1\u201412. 1851.\n3)\tEbenda, Bd. XII. 1863. S. 218.\n4)\tArch. f. wiss. Medicin v. Reich, u. Du Bois-Reymond. 1861. S. 346.\n5)\tArch. f. wiss. mikrosk. Anat. Bd. III. 1867. S. 504; Bd. IV. 1868. S. 154.\n6)\tEbenda, Bd. IV. 1868. S. 96.\t7) Ebenda, Bd. VI. 1870. S. 407 ff.","page":346},{"file":"p0347.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur physiologischen Psychologie des Geschmackssinnes.\t347\nden Geschmacksknospen der h\u00f6heren Thiere hervorgehoben. Seitdem sind diese Gebilde au\u00dfer bei den Fischen auch auf der Haut vieler Wirbellosen nachgewiesen worden \u2014 ich verweise auf die Arbeiten von Flemming1) und Eisig2) \u2014 und fast \u00fcberall bei den Vertebraten im Mundraume. Auf die von Blaue gefundenen becherf\u00f6rmigen Endorgane des Nervus olfactorius bei Fischen und Amphibienlarven will ich hier nicht eingehen3). Eine kurze Zusammenstellung der in Rede stehenden Gebilde in der Reihe der Wirbelthiere m\u00f6chte die folgende sein.\nBei den Acraniern ist \u00fcberhaupt noch keine Differenzirung der Sinnesorgane eingetreten, wenn man nicht einen in die Nerven-masse eingelagerten Pigmentk\u00f6rper als rudiment\u00e4res Auge und ein dorsal in die Mundh\u00f6hle einm\u00fcndendes trichterf\u00f6rmiges Wimperorgan als das Geruchs- und Geschmacksorgan auffassen will. Im \u00fcbrigen werden die sich \u00fcber den ganzen K\u00f6rper zerstreut findenden Sinneszellen als ein diffuser Sinn aufzufassen sein, aus dem auf den1 h\u00f6heren Stufen die \u00fcbrigen Sinnesorgane durch Differenzirung secund\u00e4r hervorgingen. Bis zu den Cyclostomen fehlen die Ueber-g\u00e4nge. Von hier an aber finden sich jene uns interessirenden becherf\u00f6rmigen Organe bei allen Fischfamilien regellos \u00fcber den ganzen K\u00f6rper zerstreut, jedoch mit der Neigung, sich am Kopfe, an den Barteln, Lippen, der Nase, im Mundraume und Oesophagus zu sammeln4). Steigt das Wasserthier an\u2019s Land, so h\u00f6rt die Bedeutung jener Gebilde f\u00fcr den \u00e4u\u00dfern K\u00f6rper auf und wir finden dieselben von den Amphibien an nur noch im Innern des Mund-und Rachenraumes etc. Bei den Ophidiern sind sie nicht nachgewiesen, wohl aber neuerdings durch Tuckermann5) bei den Cheloniern. Sie fehlen ferner bei den V\u00f6geln, um dann bei den S\u00e4ugethieren wieder aufzutreten. Mit diesen Organen d\u00fcrfen nicht\n1)\tArch. f. mikrosk. Anat. Bd. XXV.\n2)\tMittheil. d. zool. Station zu Neapel. I. S. 306.\n3)\tArch. f. Anat. u. Physiol, (anat. Ahth.) 1884. Heft 3 und 4. Eine vorz\u00fcgliche Darstellung mit weiteren Literaturangaben bietet Hermann, Studien \u00fcber den feineren Bau des Geschmacksorganes. Sitzung d. Wiener Akad., math.-phys. Klasse. 5. Mai 1888.\n4)\tClaus, Zoologie. 5. Aufl. 1891. S. 87.\n5)\tIntern. Monatsschr. f\u00fcr Anat. u. Physiol. IX. S. 1. Cit. nach Centralbl. f\u00fcr Physiol. 1892. S. 527.\n23*","page":347},{"file":"p0348.txt","language":"de","ocr_de":"348\nFriedrich Kiesow.\ndie unter der Herrschaft des Trigeminus und Vagus stehenden Seitenorgane hei den Fischen, die in weiter Verbreitung auch den Salamandrinen zukommen, verwechselt werdenl).\nVon Merkel2) werden jene uns interessirenden becherf\u00f6rmigen Elementargebilde bis zu den S\u00e4ugern herauf als Tastorgane aufgefasst und von ihm als Endknospen bezeichnet, der Glossopharyn-geus fungirt bis dahin als Gefiihlsnerv im Sinne des Trigeminus. Auch Wiedersheim3) h\u00e4lt ihre Function auf der Fischhaut als Tastorgane f\u00fcr wahrscheinlich, von den Amphibien an werden sie als Geschmacksorgane anerkannt. Auf diese Fragen gehe ich nicht ein, da es f\u00fcr unsere Argumentation mehr auf die Anordnung als auf die urspr\u00fcngliche Natur derselben ankommt. Es kann jedoch kaum bezweifelt werden, dass die fraglichen Gebilde zur Ausl\u00f6sung chemischer Reizprocesse bestimmt sind, und die Streitfrage w\u00fcrde sich nur darum drehen, ob diese auf den unteren Stufen noch als Getast oder bereits als Geschmack zum Bewusstsein kommen. Ich habe mich der von Fr. E. Schulze bereits dargelegten Ansicht angeschlossen4).\nIn der That ist im Princip in dem \u00e4u\u00dfern Bau der auf der Fischhaut vorkommenden Gebilde und derjenigen, die wir als Geschmacksknospen in den Papillen unserer Mund- und Zungenschleimhaut besitzen, kein Unterschied* und wir h\u00e4tten somit zu der phylogenetisch sich entwickelnden Anordnung der Z\u00e4hne hei den Vertebraten ein Analogon gefunden. Auch diese sind hei den Selachiern und Ganoiden noch \u00fcber die ganze Haut zerstreut, gehen dann in das Innere der Mundh\u00f6hle, wo sie anfangs in weiter Ausdehnung \u00fcberall im Munde und auf den Kiemenb\u00f6gen sich finden. In aufsteigender Folge passt sich sodann das Gebiss immer mehr dem jeweiligen Lebensbed\u00fcrfnisse an, bis auf der h\u00f6chsten Stufe der \u00bbZaun der Z\u00e4hne\u00ab sogar \u00e4sthetischen Reiz gew\u00e4hrt. Die Hautz\u00e4hne dienen als Angriffs- und Schutzwaffen und den Charakter der Waffe behalten die Z\u00e4hne bis zu den Quadrumana neben\n1)\tWiedersheim, Grundriss der vergleich. Anat. 1884. S. 134.\n2)\tDie Endigung der sensiblen Nerven in der Haut der Wirbelthiere. 1880. S. 90\u201494. Hermann, a. a. O.\n3)\tGrundriss der vergleich. Anat. 1884. S. 135.\n4)\tVergl. Hermann, a. a. O. S. 282ff.","page":348},{"file":"p0349.txt","language":"de","ocr_de":"349\nBeitr\u00e4ge zur physiologischen Psychologie des Geschmackssinnes.\ndem des Ergreifens und Zerkleinerns der Nahrung. So behalten auch jene becherf\u00f6rmigen Gebilde des Mundes die Function der Vermittelung chemisch fl\u00fcssiger Reize, wenn auf der \u00e4u\u00dfern Haut kein Bed\u00fcrfniss mehr dazu vorliegt.\nDas Fehlen der Organe bei den Ophidiern und V\u00f6geln ist keine L\u00fccke. Auch die Z\u00e4hne fehlen den V\u00f6geln, sie fehlen nach dem das ganze Leben* des Vogels beherrschenden Princip der Entlastung und sind durch andere Einrichtungen des Intestinalapparates ersetzt. Nach demselben Princip fehlen jene Gebilde. Die aufgenommene Nahrung darf nicht lange im Munde verweilen, schnell und oft verschlingt der Vogel seine Beute \u2014 kein Wunder, wenn der Geschmackssinn nicht zur Ausbildung gelangte oder reducirt wurde. Bei den Ophidiern dagegen gleitet die Nahrung in toto tr\u00e4ge und in gro\u00dfen Zeitintervallen den Oesophagus hinab \u2014 kein Wunder, wenn auch hier jene Gebilde nicht gefunden werden sollten, da das Thier in seiner Nahrungsaufnahme sicherlich mehr durch H\u00fclfe der \u00fcbrigen Sinne und vom Gemeingef\u00fchl des Hungers als vom Geschmackssinn controlirt wird \u2018).\nGehen wir zur\u00fcck auf die Verh\u00e4ltnisse des Menschen, von denen wir ausgingen. Auch hier ist die F\u00e4higkeit des Schmeckens erworben wie jede andere, und die Organe unterliegen in ihrer Entwickelung dem allgemeinen Gesetze, dass sich ontogenetisch wiederholt, was phylogenetisch vorgebildet wurde, wie dem andern, dass ein vermehrter Gebrauch dieselben f\u00f6rdert, ein verminderter sie r\u00fcckbildet.\nUeber die Entstehung und Entwickelung der Schmeckbecher beim Menschen sind erst wenige Untersuchungen angestellt, auch an Thieren scheinen dieselben in ihrer Entwickelung kaum eingehend studirt worden zu sein. Eine mir von Lustig1 2) bekannt gewordene Untersuchung hat die Entwickelung einiger Zungen des\n1)\tBergmann und Leuckart, Vergleich. Anat. u. Physiol. 1852. S. 71. \u00bbDie Sch\u00e4rfe des sonstigen Instinktes, die H\u00fclfe der \u00fcbrigen Sinne k\u00f6nnen die Thiere schon sehr richtig in der Wahl ihrer Nahrung leiten. Und was sollte der Geschmackssinn manchen Thieren n\u00fctzen, welche die Nahrung in gro\u00dfen St\u00fccken ergreifen und sogleich verschlingen?\u00ab\n2)\tBeitr\u00e4ge zur Kenntniss der Entwickelung der Geschmacksknospen. 89. Bd. d. Sitzungsher. d. k. k. Akad. d. Wiss. III. 1884.","page":349},{"file":"p0350.txt","language":"de","ocr_de":"350\nFriedrich Kiesow.\nf\u00f6talen und postf\u00f6talen Lebens zum Gegenst\u00e4nde. Lustig hat diese Untersuchungen sowohl an Kaninchen wie am Menschen vorgenommen. Im ersteren Falle konnte er constatiren, dass die Entwickelung jener Gebilde erst im postembryonalen Leben vor sich gehe, bei menschlichen Embryonen fand er das erste Auftreten von Geschmacksknospen im 8. Lunarmonat. Die Zungen dreier reifer todtgeboren\u00e8r Kinder zeigten Geschmacksorgane in den Papillae vallatae und foliatae. Doch fehlten sie noch in den seitlichen Abh\u00e4ngen des Wallgrabens bei den Vallatae und trugen in den Foliatae nicht die \u00bbCharaktere jener des Erwachsenen\u00ab. An einem andern normal entwickelten todtgeborenen Kinde hatte auch die freie Fl\u00e4che einiger Papillae fungiformes \u00bbetliche kleine runde Becher\u00ab1).\nIch habe aus dieser Arbeit die Annahme gewonnen, dass die Schmeckbecher und somit die Geschmacksf\u00e4higkeit sich auch beim menschlichen Kinde erst entsprechend dem Entwickelungsgesetze mit der Nahrungsaufnahme im nachembryonalen Leben stetig entwickeln. Im weitern Verlaufe der Entwickelung werden die Geschmacksknospen eine immer gr\u00f6\u00dfere Verbreitung finden, ebenso wird die ganze Zungenoberfl\u00e4che davon besetzt sein2). Die fl\u00fcssige Nahrung beg\u00fcnstigt diese Ausbildung, ebenso die durch die Th\u00e4tigkeit des Saugens bedingte Compression der Wangen, die Zunge ist in diesem Zustande nach unten gew\u00f6lbt, die Mundcavit\u00e4t nur von geringem Volumen. Dieselben Umst\u00e4nde beg\u00fcnstigen die Weiterentwickelung \u00f6der den Fortbestand der meiner Annahme nach im Munde weitverbreiteten Elementargebilde des Geschmacks, nachdem die fl\u00fcssige Nahrung durch eine von fest-weicher Beschaffenheit mehr und mehr ersetzt wird. Immer noch ist der Mundraum klein, So dass\n1)\tHans v. Wy\u00df fand an neugeborenen Kaninchen zwei bechertragende Pap. fol., doch von einer vom entwickelten Stadium abweichenden Gestalt, nach drei Wochen war kein Unterschied mehr von letzteren. Arch. f. mikrosk. Anat. VI. S. 254. Hi s fand die ersten (heeherlosen) Pap. heim Menschen am Ende ,des 2. Monats (Embryo Zw.). MenschL Embryonen. IH. S. 72.\n2)\tDiese Annahme wird gest\u00fctzt durch die Befunde Arthur Hoffmann\u2019s, nach welchen die Geschmacksknospen des Menschen an der Zunge, am Arcus glosso-palatinus, oberhalb der Uvula und am Palatum molle bei Embryonen und Neugeborenen dicht gedr\u00e4ngt stehen. Virchow\u2019s Archiv. 1875. Bd. 62. S. 516 ff. Urbantschitsch, a. a. O. S. 10.","page":350},{"file":"p0351.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur physiologischen Psychologie des Geschmackssinnes.\t351\ndie aufgenommenen Stoffe alle in Betracht kommenden Schmeckfl\u00e4chen treffen. Diese. Momente m\u00fcssen lange Zeit nachwirken, auch noch, nachdem sich mit der Zahnanlage die Verh\u00e4ltnisse umzugestalten beginnen. Auf dieses Verhalten w\u00e4re dann die gr\u00f6\u00dfere Ausdehnung der geschmackvermittelnden Fl\u00e4chen im Kindesalter zur\u00fcckzuf\u00fchren. Betreffs der die Mitte der Zungenoberfl\u00e4che innehabenden Papillen w\u00e4re dann vielleicht daran zu denken, dass entweder hier neben den Papillae filiformes fungiformes sich ausbildeten, die sp\u00e4ter verschwinden, oder dass die P. filiformes selber eine R\u00fcckbildung der fungiformes w\u00e4ren. Die Thatsache ist nicht zu leugnen, dass wirklich die Zungenmitte bei Kindern Geschmack percipirt. Bei der psychophysischen Untersuchung dieser Verh\u00e4ltnisse an einem 11 j\u00e4hrigen Kinde fiel mir beim ersten Blick in den M\u00fcnd die Menge der Fungiformes auf der Zungenmitte auf, die sich durch ihre blaurothe Farbe deutlich von den andern ahhoben. Die genauere Feststellung dieser Thatsachen muss der mikroskopischen Anatomie anheim gegeben werden. Sp\u00e4ter folgt die Ausbildung der schmeckf\u00e4higen Zungentheile immer mehr der Anordnung der Z\u00e4hne, und je mehr der Mundraum sich vergr\u00f6\u00dfert, desto stetiger geht die Sensationsf\u00e4higkeit der Mitte zur\u00fcck. Dieses Moment ist bedeutsam. Wir pflegen immer nur eine Seite zum Zerkleinern der Speisen zu verwenden. Daher die M\u00f6glichkeit, auf den beiden R\u00e4ndern der Zunge die Geschmacksfunction zu erhalten. Die Spitze der Zunge bleibt in vielfacher Beziehung bevorzugt. Die Zungenbasis und der weiche Gaumen, wie Gaumenb\u00f6gen, Tonsillen u. s. w. bleiben bei jedem Schluckacte am Geschmack betheiligt. Daher sieht man auch fast regelm\u00e4\u00dfig der Reihe der Papillae vallatae noch einen Streifen von fungiformes vorgelagert. Der harte Gaumen nimmt beim Erwachsenen am Geschmack\u00e9 nicht mehr Theil, daher verschwindet die Perceptionsf\u00e4higkeit hier. Au\u00dferdem ist mit Bezug auf den R\u00fcckgang der perceptionsf\u00e4higen Stellen der Zunge im Verlaufe des Wachsthums gewiss wesentlich mit in Betracht zu ziehen, dass die Anzahl der Nervenfasern und deren Endgebilde von einem gewissen Lebensalter an constant bleiben, w\u00e4hrend die Hautoberfl\u00e4che sich zu vergr\u00f6\u00dfern fortf\u00e4hrt. Wir h\u00e4tten somit an eine Analogie mit den Tastorganen zu denken, bei denen die Unterschiedsempfindlichkeit durch die Erweiterung der","page":351},{"file":"p0352.txt","language":"de","ocr_de":"352\nFriedrich Kiesow.\nsogenannten Web er\u2019sehen Empfindungskreise1) in Folge des Wachsthums der K\u00f6rperoberfl\u00e4che abnimmt. Bei der Zunge kommt ferner hinzu, dass der K\u00f6rper derselben wahrscheinlich schneller w\u00e4chst als die Wurzel und die Spitze. Aus den dargelegten That-sachen m\u00f6chte der Unterschied in der Ausbreitung der Schmeckfl\u00e4chen bei Erwachsenen und Kindern genugsam erwiesen sein. Wir haben aber noch eine Erkl\u00e4rung solcher abweichender F\u00e4lle zu geben, die nicht aus pathologischen Ursachen herr\u00fchren, und sonst vereinzelt auftretender Differenzen, wie wenn in dem oben angef\u00fchrten Falle die Sensation an einer Stelle des rechten Zungenrandes ausbleibt, oder wenn entgegen der Regel der harte Gaumen bei einem Erwachsenen percipirt und der weiche nicht, oder wenn drittens die Unterseite der Zungenspitze in einigen F\u00e4llen Geschmack vermittelt, in andern wieder nicht. Die letzten Ursachen derartiger F\u00e4lle entziehen sich jeder Berechnung, es ist m\u00f6glich, dass Hemmungen oder St\u00f6rungen in der R\u00fcckbildung eintraten, oder dass schon in den ersten Anlagen Verschiedenheiten Vorlagen. Doch ist daran zu erinnern, dass der menschliche Mundraum neben mancherlei Momenten der R\u00fcckbildung, au\u00dferdem auch individuelle Verschiedenheiten in diesen Verh\u00e4ltnissen aufweist. Mit Bezug auf die Erscheinungen der R\u00fcckbildung will ich nur hinweisen auf die Plica 2)3) an der Unterseite der Zungenspitze, ferner auf den thats\u00e4ch-lichen R\u00fcckgang des 3. Molaris3). Man denke ferner an die Gaumenleisten des harten Gaumens zu beiden Seiten der Raphe3) u. s. w. An Hemmungen bei der genannten R\u00fcckbildung erinnern nicht selten der Canalis nasopalatinus, das Foramen coecum, die Verh\u00e4ltnisse der Regio foliata3)4) u. s. f.\n1)\tWundt, Physiol. Psychol. 4. Aull. II. S. 13ff. Vergl. Hoffmann, a. a. O.\n2)\tBergmann und Leuckart, a. a. O. S. 72: \u00bbEine eigenth\u00fcmliche Bildung von Lappen unter der Zungenspitze, sogenannte Unterzungen kommen bei manchen Affen u. s. w. vor; auch ihre Function ist unbekannt\u00ab.\n3)\tGegenbaur, Lehrbuch der Anatomie des Menschen. Bd. II. 1890. S. 9. 10. 26. 27. 90.\n4)\tVergl. die Entwickelung dieser Verh\u00e4ltnisse bei His, Menschliche Embryonen. III. 1885. S. 64ff.","page":352},{"file":"p0353.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur physiologischen Psychologie des Geschmackssinnes.\n353\nCapitel II.\nDie Intensit\u00e4t der Geschmacksempfindungen.\nHat die vorige Betrachtung ergeben, dass das Resultat der Forschungen mit Bezug auf die geschmackvermittelnden Stellen der Zunge und des Mundraumes individuelle Verschiedenheiten zulie\u00df, so zeigt sich ein gleiches Ergebniss, sobald wir die Frage aufwerfen, welche dieser Theile in der Sensibilit\u00e4t die bevorzugteren sind. Die Ansichten gehen in dieser Beziehung weit auseinander und es d\u00fcrfte kaum m\u00f6glich sein, aus den bez\u00fcglichen Angaben zu einer einheitlichen Anschauung zu gelangen. Nach Einigen percipiren die Zungenr\u00e4nder am besten, nach Andern vermittelt der weiche Gaumen die intensivste Empfindung, nach wieder Andern der hintere Zungentheil u. s. f., so dass kaum einer der in Betracht kommenden Theile \u00fcbrig geblieben ist, dem man in der Schmeckf\u00e4higkeit nicht die Superiorit\u00e4t vor andern zugeschrieben hat. Am meisten scheint die Ansicht heute dahin zu neigen, dass der hintere Zungentheil, die Gegend der Papillae foliatae und vallatae, in der Perceptionsf\u00e4higkeit den Vorzug verdient. Wir \u00fcbergehen die hierher geh\u00f6rigen Einzelarbeiten unter Hinweis auf die klassische Arbeit \u00fcber den Geschmackssinn von Vintschgau\u2019s in Hermann\u2019s Handbuch der Physiologie1). Sind nun auch diese Angaben zum Theil ohne strenge Ma\u00dfmethode angestellt, so st\u00fctzen sie sich doch auf Beobachtungen und wir haben nach den Ursachen zu fragen, die diesen Widerspr\u00fcchen zu Grunde liegen m\u00f6gen.\nIn erster Linie ist wiederum an die im vorigen Capitel erw\u00e4hnten Befunde von Urbantschitsch zu erinnern, nach welchen eine Erkrankung der Paukenh\u00f6hle in der Regel eine Herabsetzung der Geschmacksfunction nach sich zieht. Je nach dem Grade des katarrhalischen Zustandes ist auch die Ausbreitung des Ge-schmacksdefectes verschieden. Sie kann schon bei einseitigem Katarrh die beiden Zungenh\u00e4lften befallen, bleibt jedoch in geringerem Grade auf eine Seite beschr\u00e4nkt. In vereinzelten F\u00e4llen hat Urbantschitsch auch eine Steigerung auf der Seite des affi-cirten Mittelohres constatiren k\u00f6nnen2). Urbantschitsch befolgte\n1) III, 2. S. 145 ff.\n2) a. a. O. S. 19. 45.","page":353},{"file":"p0354.txt","language":"de","ocr_de":"354\nFriedrich Kiesow.\ngelegentlich seiner Geschmacksuntersuchung die Praxis, erst nach der Pr\u00fcfung auf den Geschmack bei den betreffenden Versuchspersonen eine Untersuchung des Ohres vorzunehmen, und konnte auf diese Weise wiederholt feststellen, \u00bbdass an der Seite der herabgesetzten Geschmacksperception ein Mittelohrkatarrh vorhanden war, von dem der Patient vorher keine Ahnung hatte\u00ab1). Nehmen wir diese Thatsache zusammen mit der schon erw\u00e4hnten H\u00e4ufigkeit von anormalen Zust\u00e4nden im Ohre, so m\u00f6chten manche der \u00e4lteren Angaben auf diesen Umstand ebenfalls zur\u00fcckgef\u00fchrt und Widerspr\u00fcche in denselben auf Anomalien der Geschmacksfunction bezogen werden k\u00f6nnen.\nSicherlich lassen sich jedoch auch hier nicht alle Abweichungen auf diese Weise erkl\u00e4ren. Auch Urbantschitsch nimmt neben den hervorgehobenen Momenten mit Bezug auf die Verschiedenheit der Sensationsf\u00e4higkeit einzelner Schmeckfl\u00e4chen noch individuell verschiedene Anlagen an. Man k\u00f6nnte nun noch daran denken, dass jene Anomalien auf fr\u00fchzeitig in die Entwickelung der Elementarorgane eingreifende St\u00f6rungen zur\u00fcckgef\u00fchrt werden k\u00f6nnten. Seien es Erkrankungen des Mundraumes in den ersten Kindesjahren, Vernachl\u00e4ssigung in der Pflege der Z\u00e4hne, fr\u00fches Ausfallen derselben, so dass die eine Seite des Kiefers bei der Kauth\u00e4tigkeit mehr als die andere im Gebrauch ist, oder dass andere Hemmungserscheinungen einwirkten, immer werden sich im einzelnen Falle die Abnormit\u00e4ten der Berechnung entziehen. Nach der bisherigen Darlegung k\u00f6nnte es scheinen, als wenn jene Abnormit\u00e4ten innerhalb der in Betracht kommenden Verh\u00e4ltnisse die Regel w\u00e4ren, und man d\u00fcrfte wenig ermuthigt werden, einer Untersuchung dieser Art einen Werth beizulegen. Ich habe aber dennoch versucht, an sieben verschiedenen Personen zun\u00e4chst die einzelnen Zungentheile auf die Verh\u00e4ltnisse der Intensit\u00e4t bei den einzelnen Geschmacksqualit\u00e4ten zu pr\u00fcfen; an einem Herrn, Mr. Harlow Gale, konnte ich auch die \u00fcbrigen im vorigen Capitel erw\u00e4hnten Geschmacksfl\u00e4chen untersuchen, an einem 12 j\u00e4hrigen Kinde ebenso alle Schmeckstellen innerhalb der Qualit\u00e4t des S\u00fc\u00dfen.\nDie Ermittelung der Intensit\u00e4t einer Geschmacksempfindung\ni) a. a. O. S. 41.","page":354},{"file":"p0355.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur physiologischen Psychologie des Geschmackssinnes.\n355\nmacht v. Vintschgau1) abh\u00e4ngig von der Quantit\u00e4t des wirksamen K\u00f6rpers, der Gr\u00f6\u00dfe der erregten Fl\u00e4che, von mechanischen Bedingungen und dem Erregbarkeitszustande der Nerven. Sie sind ihm freilich nicht die einzigen, aber doch die Haupthedingungen. Mit Bezug auf die beiden letzten Punkte sind eingangs unter 3) schon die Bedingungen, unter denen wir arbeiteten, hervorgehoben worden, v. Vintschgau rechnet zu den mechanischen Bedingungen die Bewegung der betreffenden Geschmacksfl\u00fcssigkeit im Mundraume und \u00bbAnpressung der schmeckenden Theile an andere Theile\u00ab. Beide Momente spielen heim Schmecken zweifelsohne eine bedeutende Bolle und sind von den namhaftesten Forschern auf diesem Gebiete stets hervorgehohen worden (Guyot, J. M\u00fcller, Raspail, Valentin u. A.). Wenn aber von der \u00e4lteren Forschung hierf\u00fcr keine oder keine ausreichende (J. M\u00fcller)2) Erkl\u00e4rung gegeben werden konnte, so ist darauf hinzuweisen, dass ihre Beobachtungen vor die Zeit der Schwalbe\u2019schen und Lov\u00e9n\u2019schen Entdeckung der Schmeckbecher fielen. Seitdem aber diese als die peripherischen Endorgane des Geschmackssinns erkannt sind, ist die Erscheinung verst\u00e4ndlich, sofern man bedenkt, dass die betreffende Fl\u00fcssigkeit erst den Porus der einzelnen Becher zu passiren hat und diese M\u00f6glichkeit durch die mechanische Bewegung erleichtert wird, sei es nun dass die Fl\u00fcssigkeit eine gr\u00f6\u00dfere Fl\u00e4che trifft oder durch die Th\u00e4tig'keit des Reibens intensiver in die Schmeckhecher hineingetrieben wird. Diese mechanischen Bewegungen sind uns aber bei der Schmeckth\u00e4tigkeit fast zu Reflexvorg\u00e4ngen geworden, so dass wir kaum je eine Substanz kosten, ohne dass wir unwillk\u00fcrlich und unbewusst diese Bewegungen ausf\u00fchren. Wie sehr diese Momente namentlich beim Erkennen einer Qualit\u00e4t mitwirken, habe ich oftmals wahrnehmen k\u00f6nnen. Wird ein eben die Schwelle pas-sirender Geschmackseindruck bei ruhig gehaltener Zunge noch nicht erkannt, so wird derselbe augenblicklich richtig bestimmt, sobald die Zunge, wie dies meistens geschieht, reflexartig zur\u00fcckschnellt. Es macht daher bei psychophysischer Bestimmung der\n1)\ta. a. O. S. 209\u2014219.\n2)\tDie Bewegung sei nothwendig, um die Schmecksubstanzen auf immer neue noch nicht durch die Erregung abgestumpfte Nervenenden zu bringen. Handb. der Physiol. S. 489 fF. v. Vintschgau, a. a. O. S. 217.","page":355},{"file":"p0356.txt","language":"de","ocr_de":"356\nFriedrich Kiesow.\nIntensit\u00e4tsverh\u00e4ltnisse Anfangs einige M\u00fche, derartige Bewegungen zu unterdr\u00fccken. Man ist, sobald die Fl\u00fcssigkeit die Zunge ber\u00fchrt, immer wieder geneigt, den Mund zu schlie\u00dfen, die Zunge zur\u00fcckzuziehen und die Schmecksubstanz durch Reiben gegen den harten Gaumen, die Z\u00e4hne oder die Lippen unbewusst in die Becher zu bef\u00f6rdern. Nach einiger Uebung jedoch werden diese Bewegungen \u00fcberwunden. Erst die Urtheile, welche bei den eingangs unter 3) (S. 331) angegebenen Bedingungen abgegeben wurden, sind in den nachstehenden Tabellen verwerthet worden.\nUnter den letzten der vorzugsweisen Bedingungen f\u00fcr die Intensit\u00e4t des Geschmacks, den Erregbarkeitszustand der Nerven betreffend, hebt v. Vintschgau Temperatureinfl\u00fcsse hervor, die wie \u00fcberall auf den Erregungszustand der Nerven auch auf die Geschmacksf\u00e4higkeit der Zunge ver\u00e4ndernd einwirken. Luchtmann, E. H. Weber, Guyot1) haben in dieser Beziehung Untersuchungen angestellt und sind zu dem Ergebniss gekommen, dass sowohl hohe W\u00e4rme- wie K\u00e4ltegrade im Sinne der Abt\u00f6dtung au\u00ee Geschmacksempfindungen ein wirken. Camerer2) gibt als die g\u00fcnstigste Temperaturstufe f\u00fcr Geschmackswahrnehmungen 10\u201420\u00b0 C. an, bemerkt aber selber, dass seine Versuche nicht fehlerfrei sind. Da sich bei unsern Versuchen St\u00f6rungen aus Temperaturschwankungen, auch wenn die Fl\u00fcssigkeiten Zimmertemperatur besa\u00dfen, zeigten, so schalteten wir, wie eingangs unter 3) bereits beschrieben, den Temperatursinn ganz aus. Diese Beeintr\u00e4chtigung von Temperatureinfl\u00fcssen ist wohl individuell verschieden und bei manchen Personen, auch bei mir selber kaum st\u00f6rend, aber da der Ausschluss jeder Mitwirkung von Temperaturempfindungen das Urtheil zweifelsohne in jedem Falle erleichtert, so glaubte ich am besten zu thun, f\u00fcr alle Personen die gleichen Bedingungen herzustellen. Au\u00dferdem kam es mir darauf an, m\u00f6glichst reine Geschmacksempfindungen zu gewinnen.\nR\u00fccksichtlich der erregten Fl\u00e4che beziehen sich die Angaben auf die Spitze der Zunge, 1 cm jederseits von der Mittellinie, mit Bezug auf die R\u00e4nder von hier bis zur ersten Papilla vallata exclusive, die Regio foliata ist also mitgerechnet. Als hinterer Theil\nIj v. Vintschgau, a. a. 0. p. 218.\n2) Pfl\u00fcger\u2019s Arch. II. p. 322 ff.","page":356},{"file":"p0357.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur physiologischen Psychologie des Geschmackssinnes.\t357\nder Zunge, oder Basis bleibt somit die Reihe der Papillae vallatae mit den ihnen vorgelagerten Papillae fungiformes zur\u00fcck.\nDas Quantum der applicirten Schmeckfl\u00fcssigkeiten betrug, soweit die unter 2) angegeben R\u00f6hren in Betracht kommen, \u00fcberall 1/2 ccm, soweit Pinsel verwandt wurden stets hei gleicher F\u00fcllung derselben. F\u00fcr jede Geschmacksqualit\u00e4t hatten wir einen besonderen Pinsel. Alle fassten das gleiche Volumen Fl\u00fcssigkeit.\nDie ersten messenden Versuche sind von Valentin f\u00fcr die Intensit\u00e4tsverh\u00e4ltnisse aller 4 Qualit\u00e4ten angestellt worden. Er kam zu dem Resultate, \u00bbdass die kleinste noch schmeckbare Menge nicht gefunden wird, wenn man sich der m\u00f6glichst st\u00e4rksten Verd\u00fcnnung bedient, wohl aber l\u00e4sst sich dieselbe leichter finden, wenn man die erforderliche Minimalquantit\u00e4t einer dichteren L\u00f6sung anwendet\u00ab. So geben 20 ccm einer 1,2^ Zuckerl\u00f6sung keinen sogleich auffallenden Geschmack, wohl aber 1 ccm einer 2,4^ L\u00f6sung1). Ebenso hat Camerer2) mit Salz und Chinin derartige Untersuchungen an einem Quantum von 30 ccm ausgef\u00fchrt und in einer andern Arbeit mittelst Glasr\u00f6hren eine einzige Papilla fungi-formis auf die schw\u00e4chste zu percipirende Kochsalzl\u00f6sung, ferner eine 7 mm Durchmesser haltende Stelle der Zungenspitze auf die Perceptionsf\u00e4higkeit des Kochsalzes untersucht. Alle Arbeiten Cain er er\u2019s sind nach der Methode der richtigen und falschen F\u00e4lle angestellt worden. Nach der ersten Arbeit waren %,1% richtige F\u00e4lle zu verzeichnen, wenn das verschluckte Quantum 4,8 mg Salz, und 98,7^, wenn dasselbe 28,6 mg enthielt3). Bei den Chininversuchen musste das Quantum der verschluckten L\u00f6sung (30 ccm) eine absolute Menge von 0,089 mg Chinin enthalten, wenn 9/10 der F\u00e4lle richtige waren. Die Reizungen der einzelnen Fungiformes ergaben, dass eine L\u00f6sung von 0,0062 in 88^ der F\u00e4lle richtig erkannt wurde, bei der letzten Arbeit gen\u00fcgte eine L\u00f6sung von 0,00089, um noch 12^ richtige F\u00e4lle zu erzeugen. Au\u00dfer einer Arbeit von Keppler4), welche die Untersuchung des Weber\u2019schen Gesetzes auf die Geschmacksverh\u00e4ltnisse zum Gegenst\u00e4nde hat, sind\n1)\tv. Vintschgau in Hermann\u2019s Handb. d. Physiol. III. 2. S. 211.\n2)\tPfl\u00fcger\u2019s Archiv. II. p. 322 ff.\n3)\tZeitschr. f. Biologie. Bd. XXI. p. 570 ff.\n4)\tArchiv f. d. gesammte\u2018Physiol. II. 1869.","page":357},{"file":"p0358.txt","language":"de","ocr_de":"358\nFriedrich Kiesow.\nkeine andern Untersuchungen dieser Art nach methodischer Messung angestellt worden. Alle andern Angaben, auch die von Urbant-schitsch beziehen sich auf eine stets gleiche Concentrationsstufe, die nach ihrer Wirkung auf die verschiedenen Schmeckfl\u00e4chen be-urtheilt wurde.\nIch habe f\u00fcr meine Untersuchungen nach Wundt1) die absolute Schwelle zum Ma\u00dfstab der Empfindlichkeit genommen. Beide Werthe verhalten sich reciprok zu einander, indem, je tiefer die erstcre, um so h\u00f6her die zweite ist. Je geringer demnach die Concentrationsstufe einer Geschmacksfl\u00fcssigkeit ist, um die eben merkliche Empfindung zu erzeugen, um so gr\u00f6\u00dfer ist die Perceptions-f\u00e4higkeit f\u00fcr diese Qualit\u00e4t auf derjenigen Schmeckfl\u00e4che, die damit gereizt wurde. Die auf diese Weise auf den verschiedenen Zungen-theilen ermittelten Werthe lassen sodann innerhalb der verschiedenen Qualit\u00e4ten wieder einen Vergleich des Empfindlichkeitsgrades dieser Stellen zu, und man d\u00fcrfte ein objectives Kriterium f\u00fcr die Schmeckf\u00e4higkeit jedes einzelnen Zungentheiles gefunden haben. Werden diese Versuche an mehreren Personen angestellt, so d\u00fcrften die Durchschnittszahlen aus den Einzelwerthen eine gewisse Gesetzm\u00e4\u00dfigkeit dieser Verh\u00e4ltnisse gewinnen lassen.\nDie angewandte Methode war dementsprechend die der minimalen \u00c4nderungen. Anfangs habe ich genau nach Wundt\u2019s Vorschrift beide Reihen, die aufsteigende wie die absteigende, benutzt und aus beiden erhaltenen Resultaten die Mittel gezogen. Ich konnte mich jedoch bald \u00fcberzeugen, dass der auf diese Weise gefundene Schwellenwerth der Wirklichkeit nicht genau entsprach, sondern bei manchen Versuchspersonen zu tief lag. Ich gab deswegen diese Methode auf und glaubte der Wahrheit n\u00e4her zu kommen, wenn ich mich mit der aufsteigenden Reihe begn\u00fcgte. Auf diese Weise war das Verfahren ein absolut unwissentliches, der Schwellenwerth war die erste Concentrationsstufe der Schmecksubstanz, auf welcher dieselbe qualitativ erkannt wurde. Die absteigende Reihe aber gab, da sie wissentlich vorgenommen werden muss, zu mancherlei St\u00f6rungen Anlass. Besonders differirte der Endwerth sehr mit dem nach der aufsteigenden Reihe gefundenen,\n1) Physiol. Psychol. 4. Aufl. I. S. 341.","page":358},{"file":"p0359.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur physiologischen Psychologie des Geschmackssinnes.\t359\nda derselbe in Folge der Nachwirkungen zu tief lag. Indem ich dann ausschlie\u00dflich minimal aufsteigend verfuhr, sind die in den Tabellen angegebenen Werthe als das arithmetische Mittel aus 10 Einzelversuchen anzusehen. Durch Control versuche mit destil-lirtem Wasser konnte ich mich \u00fcberzeugen, dass dieses der normalen Schwelle entsprach.\nBei der mit Mr. Gale vorgenommenen Untersuchung der \u00fcbrigen Mundtheile habe ich nur das Mittel aus 3 aufsteigend gefundenen Werthen nehmen und durch destillirtes Wasser contro-liren k\u00f6nnen. Doch sei bemerkt, dass Gale seit Jahren in psychophysischen Sch\u00e4tzungen ge\u00fcbt ist, und dass diese Versuche erst nach denjenigen an den Zungentheilen angestellt wurden. Bei der Untersuchung des 12j\u00e4hrigen Kindes musste ich mich leider mit den aus je zwei Reihen gefundenen Werthen begn\u00fcgen. Vielleicht w\u00e4ren die Schwellen nach gr\u00f6\u00dferer und l\u00e4ngerer \u00dcbung tiefer gefunden worden.\nDas Moment der \u00dcbung ist schon mehrfach und genugsam betont worden. Es bildet eine Bedingung f\u00fcr jedes psychophysische Experiment und kann bei Geschmacksuntersuchungen nicht genug in R\u00fccksicht gezogen werden, weil das gew\u00f6hnliche Leben uns nicht in gleichem Ma\u00dfe wie bei den h\u00f6heren Sinnen anleitet, die Aufmerksamkeit auf die betreffenden Empfindungen zu concentriren. Es bedarf einer geraumen Zeit, bis diese Schwierigkeiten \u00fcberwunden werden. Aus dieser Anstrengung und den unter 3) im Eing\u00e4nge erw\u00e4hnten Momenten resultirt die gro\u00dfe Erm\u00fcdung, welche abstumpfend auf die Urtheilsf\u00e4higkeit einwirkt. Ebenso wirken aber auch die Reize selber schon im Sinne einer Abstumpfung auf die Endorgane, so dass wir in der Folge eine Versuchsperson nicht l\u00e4nger als 30\u201445 Min. verwenden durften.\nAu\u00dferdem k\u00f6nnen die Urtheile einer und derselben Versuchsperson an verschiedenen Tagen verschieden sein, auch wenn dieselbe bereits hinreichend einge\u00fcbt ist. Es spielen hier so viele Momente mit, die gar nicht vorher in Anschlag gebracht werden k\u00f6nnen. Haupts\u00e4chlich wirken Ver\u00e4nderungen in der Auswahl der Nahrungsstoffe st\u00f6rend auf eine gleichm\u00e4\u00dfige Sch\u00e4tzung der Empfindungsgr\u00f6\u00dfen ein. Wird pl\u00f6tzlich einmal von Jemand eine vegetabilische Kost vor einer animalischen bevorzugt, so habe ich","page":359},{"file":"p0360.txt","language":"de","ocr_de":"360\nFriedrich Kiesow.\nmeistens gefunden, dass die Schwellenwerthe f\u00fcr S\u00fc\u00df betr\u00e4chlich herabsinken, ebenso zeigte sich wiederholt, dass Rauchen im Sinne der Erh\u00f6hung der Empfindlichkeit auf S\u00fc\u00df wirkte. Wechsel im k\u00f6rperlichen Befinden beeintr\u00e4chtigt das Urtheil ebenso von der psychologischen wie von der physiologischen Seite. Alle diese Umst\u00e4nde mussten bei den Untersuchungen stetig ber\u00fccksichtigt werden. Am gr\u00f6\u00dften sind die Schwankungen innerhalb der Qualit\u00e4t des S\u00fc\u00dfen, hier mussten die meisten aus abnormen St\u00f6rungen hervorgehenden Urtheile verworfen werden: geringer fand ich dieselben bei Sauer und Bitter, obwohl bei beiden Qualit\u00e4ten auch manche Missergebnisse zu tilgen waren ; fast stets constant blieben die Schwellenwerthe des Salzigen. Innerhalb dieses Empfindungskreises sind die her vor gehobenen St\u00f6rungen nur von minimalem, oft von gar keinem Einfluss. Um m\u00f6glichst gleiche Bedingungen herzustellen, wurden die Versuche an den einzelnen Beobachtern bei constanter Tagesstunde vorgenommen. Ich muss au\u00dferdem dankbar hervorheben, dass die einzelnen Herrn mir in der Erf\u00fcllung auch der sonstigen Bedingungen nach besten Kr\u00e4ften entgegen gekommen sind. Die Zeitdauer eines Reizes betrug 3 Sec.\nBevor ich die aus den Untersuchungen hervorgegangenen Tabellen mittheile, mag mir gestattet sein, die gefundenen Endresultate selber vorauszuschicken. So weit dieselben die Zunge betreffen, gipfeln sie in zwei Punkten. Setzen wir f\u00fcr den gefundenen Schwellenwerth nach Wundt\u2019s Vorgang ohne weiteres den Grad der Empfindlichkeit ein, so ergibt sich, dass dieser mit Bezug auf die verschiedenen Geschmacksqualit\u00e4ten einmal bei einer und derselben Versuchsperson f\u00fcr die einzelnen Zungentheile verschieden ist, sodann aber differiren diese Werthe wieder bei den einzelnen Beobachtern, nur Salz bildet in beiden F\u00e4llen eine Ausnahme.\nIn Bezug auf den ersten Punkt fand ich allgemein, dass die Zungenspitze die gr\u00f6\u00dfte Empfindlichkeit f\u00fcr S\u00fc\u00df besitzt, an den R\u00e4ndern tritt eine Neigung hervor, am intensivsten das Saure zu percipiren, w\u00e4hrend die Zungenbasis, wie man auch sonst vielfach beobachtet hat, am meisten bef\u00e4higt ist, bittere Sensationen zu vermitteln. Diese Ergebnisse wurden noch dadurch bekr\u00e4ftigt, dass sich bei 2 Herren auf der Zungenspitze eine s\u00fc\u00dfe und auf den R\u00e4ndern eine s\u00e4uerliche Empfindung zeigte, wenn diese Theile mit destil-","page":360},{"file":"p0361.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur physiologischen Psychologie des Geschmackssinnes.\t361\nlirtem Wasser gereizt wurden, und weiter, dass bei manchen Personen, welche ich auf dieses Ph\u00e4nomen pr\u00fcfte, das gleiche Reizmittel auf der Zungenbasis eine bittere Sensation erzeugte. Letztere ist hier au\u00dferdem intensiver, als die erw\u00e4hnten Empfindungen auf der Spitze und den R\u00e4ndern. Salz bildet hier insofern eine Ausnahme, als die bez\u00fcglichen Werthe im vordem Mundraume durchweg constantere sind, in einigen F\u00e4llen wird es am hintern Zungentheile weniger intensiv empfunden. In einem einzigen Falle habe ich sogar bei Reizung mit destillirtem Wasser auf der Zungenbasis eine salzige Empfindung feststellen k\u00f6nnen. Bei Reizung mit destillirtem Wasser fand ich au\u00dferdem bei 2 Personen eine bittere Empfindung im ganzen Mundraume. Die gleiche Erscheinung ist auch 1870 schon von Camerer1) beobachtet worden2).\nMit Bezug auf den zweiten Punkt der Differenz in den Angaben der einzelnen Versuchspersonen innerhalb der verschiedenen Qualit\u00e4ten ist hervorzuheben, dass die Empfindlichkeit f\u00fcr Salz wiederum eine bei weitem constantere ist, als bei den \u00fcbrigen Sensationen. F\u00fcr die letzteren l\u00e4sst sich kaum eine gesetzm\u00e4\u00dfige Beziehung herausfinden. Bei den einen besitzt das S\u00fc\u00dfe in der Perceptionsf\u00e4higkeit die gr\u00f6\u00dfte Intensit\u00e4t, bei den andern gilt dies f\u00fcr Bitter oder Sauer.\nAus allen Werthen habe ich f\u00fcr jede Qualit\u00e4t das arithmetische Mittel der einzelnen Schwellenwerthe genommen und dieses als ein allgemeines Ma\u00df der Empfindlichkeit gew\u00e4hlt. Die angegebenen Zahlen beziehen sich auf eine L\u00f6sung in 100 Theilen destillirtem Wasser.\n1)\tZeitschr. f. Biologie. 1870. S. 445 ff. v. Yintschgau, a. a. O. S. 203.\n2)\tSiehe Capitel III.\nWundt, Philos. Studien. X.\n24","page":361},{"file":"p0362.txt","language":"de","ocr_de":"Friedrich Kiesow.\n1. Schwellenwerthe f\u00fcr Salz:\nSp. bedeutet Zungenspitze, R = rechter Rand, L. = linker Rand, B. = Zungenbasis, 0,00 = dest. Wasser.\nVersuchsperson\tSp.\tR.\tL.\tB\nH.\t0,26\t0,19\t0,18\t0,00\nG.\t0,18\t0,21\t0,20\t0,30\nCh.\t0,2S\t0,29\t0,30\t0,40\nProf. K.\t0,23\t0,23\t0,29\t0,30\nDr. M.\t0,30\t0,30\t0,29\t0,32\nS.\t0,22\t0,22\t0,23\t0,35\nDr. H.\t0,25\t0,25\t0,26\t0,27\nabgerundetes Gesammtmittel\t0,25\t0,24\t0,25\t0,28\n2. Schwellenwerthe f\u00fcr S\u00fc\u00df (Sach. alb.).\nVersuchsperson\tSp.\tR.\tL.\tB.\nH.\t0,03\t0,03\t0,03\t0,05\nG.\t0,60\t1,40\t0,84\t0,90\nCh.\t0,52\t0,70\t0,72\t0,84\nProf. K.\t0,44\t0,50\t0,56\t0,58\nDr. M.\t0,97\t1,18\t1,19\t1,39\nS.\t0,00\t0,45\t0,40\t0,39\nDr. H.\t0,86\t1,08\t1,30\t1,40\nabgerundetes Gesammtmittel\t0,49\t0,76\t0,72\t0,79","page":362},{"file":"p0363.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur physiologischen Psychologie des Geschmackssinnes.\t363\n3. Schwellenwerthe f\u00fcr Sauer (HCl).\nVersuchsperson\tSp.\tR.\tL.\tB.\nH.\t0,0150\t\u2014\t\u2014\t\u2014\nG.\t0,0080\t0,0070\t0,0070\t0,0130\nCh.\t0,0060\t0,0070\t0,0075\t0,0080\nProf. K.\t0,0200\t0,0160\t0,0100\t0,0540\nDr. M.\t0,0080\t0,0069\t0,0070\t0,0080 '\nS.\t0,0070\t0,0000\t0,0000\t0,0075\nDr. H.\t0,0073\t0,0065\t0,0065\t0,0078\nabgerundetes Gesammtmittel\t0,0102\t0,0072\t0,0063\t0,0164\n4. Schwellenwerthe f\u00fcr Bitter (Chin. suif.).\nVersuchsperson\tSp.\tR.\tL.\tB.\nH.\t0,00060\t0,00060\t0,00050\t0,00020\nG.\t0,00026\t0,00018\t0,00016\t0,00012\nCh.\t0,00000\t0,00000\t0,00000\t0,00000\nProf. K.\t0,00034\t0,00030\t0,00038\t0,00000\nDr. M.\t0,00000\t0,00000\t0,00000\t0,00000\nS.\t0,00020\t0,00010\t0,00020\t0,00000\nDr. H.\t0,00033\t\u2014\t\u2014\t\u2014\nabgerundetes Gesammtmittel\t0,00029\t0,00020\t0,00021\t0,00005\nDie in den beiden letzten Tabellen mit (\u2014) ausgef\u00fcllten L\u00fccken konnten leider aus \u00e4u\u00dferen Gr\u00fcnden nicht mehr auf die Schwellenwerthe gepr\u00fcft werden.\nWo in den Werthen der beiden Zungenh\u00e4lften eine betr\u00e4chtlichere Differenz stattfindet, wie dies thats\u00e4chlich einige Male der\n24*","page":363},{"file":"p0364.txt","language":"de","ocr_de":"364\nFriedrich Kiesow.\nFall ist, ist der Erkl\u00e4rungsgrund wohl in den von Urbantschitsch gezeigten Anomalien zu suchen. Wir haben aber auch zu versuchen, eine Erkl\u00e4rung f\u00fcr die oben hervorgehohenen beiden Punkte zu finden, sofern es sich einmal um die bei einer und derselben Person stattfindende Verschiedenheit in der Perception auf den in Betracht kommenden Zungentheilen, zum andern um die bei verschiedenen Personen auftretenden Differenzen in der Empfindlichkeit innerhalb der einzelnen Qualit\u00e4ten handelt.\nMit Bezug auf den ersten Punkt ist es schwer, eine Erkl\u00e4rung zu finden. Irgendwie aber m\u00fcssen sich die einzelnen Theile des Organs den einzelnen Reizen adaptirt haben. Man d\u00fcrfte daran denken, dass Salz schon durch die unaufh\u00f6rliche Speichelsecretion \u00fcberall ziemlich gleich, wenigstens im vorderen Mundraume vertheilt ist, Zungenspitze und R\u00e4nder sind daher fortw\u00e4hrend von einem schwachgradigen Salzstrome umflossen. Man k\u00f6nnte ferner daran denken, dass die durchgehends mit Lustgef\u00fchlen begleiteten Empfindungen des S\u00fc\u00dfen l\u00e4ngere Zeit in der vorderen Mundh\u00f6hle verweilen, die Zungenspitze au\u00dferdem im kindlichen Alter sich zweifellos s\u00fc\u00df erregenden Stoffen adaptirt, w\u00e4hrend die in den weitaus meisten F\u00e4llen mit Unlust behafteten reinen Empfindungen des Bitteren gemeinhin m\u00f6glichst bald aus dem Munde entfernt werden, sei es, dass diese Stoffe ausgespieen, wenn sie die vordere, oder in Folge des Schlingreflexes verschluckt werden, wenn sie die hintere Zunge treffen. Der letztere Umstand ist sicherlich um so weniger zu \u00fcbersehen, als durch die jedesmaligen Schluckbewegungen die Schmeckfl\u00fcssigkeiten intensiver in den Porus der Schmeckbecher hineingepresst werden. Auf dieses Moment haben wir weiter unten zur\u00fcckzukommen. Die Neigung zu Ekelempfindungen auf der Zungenbasis ist ebenfalls f\u00fcr diese Erscheinung in R\u00fccksicht zu ziehen, mit diesen werden sich die in Rede stehenden Sensationen h\u00e4ufig und fr\u00fchzeitig associiren. \u2014 Die Tendenz, das Saure auf den R\u00e4ndern zu. bevorzugen, m\u00f6chte auf den Umstand zur\u00fcckgef\u00fchrt werden, dass auch diese Eindr\u00fccke in einer gro\u00dfen Anzahl von F\u00e4llen im erwachsenen Leben angenehm empfunden werden, wenigstens in schw\u00e4cheren und mittleren Stufen, so dass auch hier keine Veranlassung vorliegt, den Geschmacksstoff schnell aus dem Mundraume zu beseitigen. Dazu kommt dann die schon erw\u00e4hnte","page":364},{"file":"p0365.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur physiologischen Psychologie des Geschmackssinnes.\t365\nentschieden st\u00e4rkere Anpassung der Zungenspitze an S\u00fc\u00df w\u00e4hrend eines gro\u00dfen Theiles des vergangenen Lebens. Bei meinen an Kindern vorgenommenen Untersuchungen durfte ich mich \u00fcberzeugen, dass die durch saure Stoffe erregten Eindr\u00fccke zweifellos mehr mit Unlust behaftet sind und zum Theile noch gar nicht als solche erkannt, sondern mit salzigen verwechselt werden, dass aber S\u00fc\u00df unabweislich bevorzugt wird1).\nAuf dasselbe Anpassungssystem ist auch wohl der zweite Punkt zu beziehen, indem man theils an die durch die ganze Erziehung, theils durch die sp\u00e4tere Lebensweise bedingte Bevorzugung in der Auswahl gewisser Nahrungsstoffe zu denken hat. Das Organ wird sich, je nachdem ein mit dieser oder jener Empfindungsqualit\u00e4t behafteter Nahrungsstoff unausgesetzt bevorzugt wird, diesem im allgemeinen mehr als dem andern adaptiren. Aus dem gleichen Umstande w\u00fcrde sich somit die Thatsache der geringen oder kaum vorhandenen Differenzen in den Intensit\u00e4tsverh\u00e4ltnissen des Salzigen bei den einzelnen Versuchspersonen erkl\u00e4ren, indem unsere Geschmacksorgane, wie schon hervorgehoben wurde, stetig von dem salzhaltigen Speichel umflossen sind. Au\u00dferdem aber sind unsere Speisen von fr\u00fcher Jugend an mit Salz gew\u00fcrzt. Es kann wohl kaum bezweifelt werden, dass auch eine ererbte Disposition hier mitwirkt.\nNeben den normalen Dispositionen existiren jedoch auch zweifelsohne anormale. \u2014 Gelegentlich einer Pr\u00fcfung der Intensit\u00e4tsVerh\u00e4ltnisse f\u00fcr S\u00fc\u00df, die ich an einem Herrn anstellte, wunderte ich mich \u00fcber die H\u00f6he der Concentrationsstufe, zu der ich aufsteigen musste, damit der Eindruck \u00fcberhaupt percipirt wurde. Auf weiteres Nachfragen nach dessen Lebensgewohnheiten musste ich mich noch mehr wundern \u00fcber die Anzahl der Zuckerst\u00fccke, welche derselbe\u201d verwenden musste, um Kaffee und Thee zu vers\u00fc\u00dfen. Aus dem weiteren Gespr\u00e4che ergab sich, dass der Betreffende die Zucker-\n1) Vergl, eine unl\u00e4ngst von Lichtenstein an Neu- und Fr\u00fchgeborenen angestellte Untersuchung (Heubner, Jahrbuch f\u00fcr Kinderheilkunde. XXXVII, Heft 1.). S\u00fc\u00df war stets mit heftigen Ausdrucksbewegungen des Lustgef\u00fchls, Salz, Sauer, Bitter mit solchen der Unlust begleitet. Die ziemlich hohen Con-centrationsstufen der letzteren Geschmacksstoffe k\u00f6nnten jedoch au\u00dfer den Geschmacksempfindungen auch Unlust erregende Tastsensationen ausgel\u00f6st haben.","page":365},{"file":"p0366.txt","language":"de","ocr_de":"366\nFriedrich Kiesow.\nmenge nicht gebrauchte, um die Empfindung des S\u00fc\u00dfen zu erh\u00f6hen, sondern dass dieselbe umgekehrt zur Erzeugung der normalen Empfindung \u00fcberhaupt erst noth wendig war. Von besonderem Interesse war die Mittheilung, dass die gleiche Erscheinung in der ganzen Familie dieses Herrn vorhanden war. Mir scheint dieser Fall in \u00fcberzeugender Weise darzuthun, wie neben normalen auch anormale Dispositionen in R\u00fccksicht gezogen werden m\u00fcssen.\nDie an Mr. Gale untersuchten \u00fcbrigen Theile der Mundh\u00f6hle sind: der weiche Gaumen, die vorderen Gaumenpfeiler, die Uvula und die Unterseite der Zungenspitze zu beiden Seiten des Frenulum linguae l\u00e4ngs der Plica fimbriata. Diese Versuche sind mit weichen Haarpinseln angestellt worden. Nach den aus drei Einzelpr\u00fcfungen gefundenen Werthen besitzt unter diesen Theilen das Velum die gr\u00f6\u00dfte Empfindlichkeit, diesem folgen die beiden Gaumenb\u00f6gen rechts und links, die Uvula und die Unterfl\u00e4che der Zungenspitze, doch ist die Empfindlichkeit f\u00fcr Salz auf der letztem gr\u00f6\u00dfer als an der Uvula und den Gaumenb\u00f6gen, dieselbe f\u00e4llt ebenso wie diejenige des weichen Gaumens nahe zusammen mit den auf den sonst in Betracht kommenden Zungentheilen gefundenen Schwellen-werthen. Die Gaumenpfeiler und die Uvula wurden an der ganzen vorderen, der Mund\u00f6ffnung zugekehrten Fl\u00e4che mit dem Pinsel einmal bestrichen, die gleichen Bedingungen gelten betreffs des Velum f\u00fcr einen Streifen jenseits der Grenze des harten Gaumens.\nDie gefundenen Werthe stelle ich in folgender Tabelle \u00fcbersichtlich zusammen :\n\tPal. molle\tArcus glosso-palat. rechts |\tlinks\t\tUvula\tUnterseite rechts\t. Zungensp. links\nNaCl\t0,2\t0,6\t0,5\t0,9\t0,3\t0,3\nSach. alb.\t1,5\t1,5\t2,0\t2,5\t6\t5\nHCl\t0,015\t0,01\t0,013\t0,02\t0,04\t0,05\nChin. suif.\t0,003\t0,0036\t0,004\t0,004\t0,1\t0,1\nIn einer nun folgenden Tabelle lasse ich die an einem ^j\u00e4hrigen Kinde A. B. innerhalb der Qualit\u00e4t des S\u00fc\u00dfen gefundenen","page":366},{"file":"p0367.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur physiologischen Psychologie des Geschmackssinnes.\t367\nScliwellenwertlie folgen. Dieselben resultirten aus je 2 Einzeluntersuchungen , welche \u00fcberall mittels Bestreichen der betreffenden Schmeckfl\u00e4chen mit Pinseln angestellt wurden. Die Tonsillen habe ich auf die Schwellenwerthe nicht untersucht, weil sich hier so leicht Fehlerquellen einschieben. Die Tabelle l\u00e4sst erkennen, dass die Spitze und die R\u00e4nder der Zunge in der Perception wohl bevorzugt sind, dass aber auf den \u00fcbrigen Theilen die Empfindlichkeit eine mehr gleichartige ist.\nA. B. 12 Jahre alt.\n\tSpitze\tEa rechts\tnd links\tBasis\tMitte\tUnte der S rechts\trseite pitze links\tPala molle\ttum durum\tArcus rechts\tgl.-pal. links\tUvula\nSach. alb.\t0,6\t0,6\t0,6\t0,8\t0,9\t0,9\t0,9\t0,8\t0,85\t0,9\t0,9\t0,8\nEs er\u00fcbrigt noch, auf Eines einzugehen. Es betrifft dies die Frage, ob wirklich der hintere Zungentheil, die Gegend der Papillae foliatae und circumvallatae der Hauptsitz des Geschmackssinns sei. v. Vintschgau1) macht f\u00fcr diese Annahme geltend, dass auf den \u00fcbrigen in Betracht kommenden Stellen sich viele individuelle Verschiedenheiten f\u00e4nden. Soweit sich diese bei einer Person in einer bedeutenden Herabsetzung oder im g\u00e4nzlichen Mangel von Geschmackswahrnehmungen an einigen oder an allen \u00fcbrigen Geschmacksfl\u00e4chen \u00e4u\u00dfern, kann thats\u00e4chlich die Zungenbasis als die Hauptstelle Zur\u00fcckbleiben, welche die Geschmackseindr\u00fccke vermittelt. Aber diese individuell begr\u00fcndeten Abweichungen k\u00f6nnen doch nicht ohne Weiteres als die Regel, sondern sie m\u00fcssen mit Bezug auf die Verh\u00e4ltnisse der Zunge selber als Ausnahmef\u00e4lle betrachtet werden. Die von Urbantschitsch dargelegten Befunde betreffen doch in den meisten F\u00e4llen nur die eine Zungenseite. Dazu sind diese Anomalien meist nur als eine Herabsetzung der Geschmacksfunction auf der betreffenden H\u00e4lfte anzusehen, nicht als ein g\u00e4nzliches Verschwundensein derselben. In meinen Proto-collen finde ich eine solche Herabsetzung nicht bei allen Qualit\u00e4ten gleichm\u00e4\u00dfig, auch ist die oben angef\u00fchrte gesetzm\u00e4\u00dfige Beziehung\n1) a. a. O. S. 160.","page":367},{"file":"p0368.txt","language":"de","ocr_de":"368 Friedrich Kiesow. Beitr\u00e4ge zur physiologischen Psychologie des Geschmackssinnes.\nder einzelnen Zungentheile zu den vier Geschmacksarten nicht gest\u00f6rt. Nach dieser aber ist die Empfindlichkeit an der Zungenbasis nur f\u00fcr Bitter am gr\u00f6\u00dften.\nAbgesehen von dem durch v. Vintschgau beigebrachten Grunde kann in dieser Beziehung wohl insofern leicht eine T\u00e4uschung erwachsen, als bei jedem Schluckacte eine gro\u00dfe Schmeckfl\u00e4che getroffen wird (Basis, Yelum, Gaumenpfeiler, Tonsillen, Uvula, Pharynxwand). Au\u00dferdem werden die Schmeckstoffe gewaltsam in die Geschmacksknospen getrieben, wodurch in der hinteren Mundh\u00f6hle ein intensiverer und anhaltender Nachgeschmack verursacht wird. Beide Momente lassen leicht die Vorstellung entstehen, als percipire der hintere Zungentheil alle Qualit\u00e4ten am intensivsten.\nDie Ergebnisse dieses Capitels sind demnach die folgenden:\n1)\tt)ie Empfindlichkeit ist an den einzelnen Zungentheilen f\u00fcr die einzelnen Qualit\u00e4ten verschieden. S\u00fc\u00df wird von der Spitze, Sauer vom Rande und Bitter von der Basis der Zunge am besten percipirt. Salz wird an Spitze und R\u00e4ndern gleich, an der Basis geringer empfunden.\n2)\tMit Bezug auf die in einem Einzelfalle an den \u00fcbrigen Schmeckfl\u00e4chen gefundenen Werthe ordnet sich die Empfindlichkeit f\u00fcr S\u00fc\u00df und Bitter folgenderma\u00dfen : weicher Gaumen, Gaumenpfeiler, Uvula, untere Seite der Spitze; f\u00fcr Sauer: Gaumenpfeiler, weicher Gaumen, Uvula, Unterseite der Spitze; f\u00fcr Salz: weicher Gaumen, Unterseite der Spitze, Gaumenpfeiler, Uvula. \u2014 Die Werthe stehen den unter 1 bezeichneten zum Theil bedeutend nach, nur am weichen Gaumen erreicht Salz fast die normale Schwelle.\n.3) Eine Einzeluntersuchung ergab f\u00fcr das kindliche Alter mit Bezug auf S\u00fc\u00df mit Ausnahme von Spitze und R\u00e4ndern der Zunge f\u00fcr alle Theile eine nahezu gleiche Empfindlichkeit. Spitze und R\u00e4nder percipirten intensiver.\n4) Die Erkl\u00e4rung f\u00fcr die normalen Verh\u00e4ltnisse, sowie f\u00fcr die individuellen Differenzen ist, soweit nicht pathologische Ursachen, Hemmungserscheinungen u. dgl. nachweisbar sind, wohl \u00fcberall in dem Adaptationsgesetze zu suchen.\n(Fortsetzung folgt.)","page":368}],"identifier":"lit4216","issued":"1894","language":"de","pages":"329-368","startpages":"329","title":"Beitr\u00e4ge zur physiologischen Psychologie des Geschmackssinnes","type":"Journal Article","volume":"10"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:17:58.975760+00:00"}

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