Open Access
{"created":"2022-01-31T14:26:10.093438+00:00","id":"lit4226","links":{},"metadata":{"alternative":"Philosophische Studien","contributors":[{"name":"Lehmann, Alfred","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Philosophische Studien 9: 66-95","fulltext":[{"file":"p0066.txt","language":"de","ocr_de":"lieber die Beziehung zwischen Athmung und Aufmerksamkeit.\nVon\nAlfred Lehmann.\nMit Tafel I.\nEinleitung.\nDer Streit \u00fcber die Natur der Aufmerksamkeit ist noch unentschieden. Trotz zahlreicher, theils experimenteller theils kritischer Untersuchungen \u00fcber diese Frage, welche in den letzten Jahren erschienen, sind unsere Kenntnisse augenscheinlich noch zu l\u00fcckenhaft, um irgend eine der aufgestellten Hypothesen als die einzig m\u00f6gliche festzustellen. Die k\u00f6rperlichen Ver\u00e4nderungen, die jede Spannung der Aufmerksamkeit begleiten, sind nach einigen Forschem nur Wirkungen einer besonderen psychischen oder psychophysischen Ursache, der Aufmerksamkeit; nach der Ansicht anderer dagegen ist die Aufmerksamkeit das psychische Resultat dieser k\u00f6rperlichen Ver\u00e4nderungen. Es ist indessen wohl begreiflich, dass Einigkeit \u00fcber diese gro\u00dfe Principienfrage nicht erreicht werden kann, weil wir bei weitem noch nicht dar\u00fcber im Reinen sind, welche k\u00f6rperlichen Ver\u00e4nderungen mit den Aufmerksamkeitsspannungen parallel laufen. Den Untersuchungen F \u00e9r\u00e9\u2019s1) und M\u00fcnsterberg\u2019s2) zufolge ist es unzweifelhaft, dass Muskelinnervationen bei der Concentration der Aufmerksamkeit eine Rolle spielen; die Selbstbeobachtung aber\n1)\tNote sur la physiologie de l\u2019attention. Revue philosophique. T. 30. 1890. p. 392 ff.\n2)\tDie Schwankungen der Aufmerksamkeit. Beitr\u00e4ge II. S. 69 ff.","page":66},{"file":"p0067.txt","language":"de","ocr_de":"Heber die Beziehung zwischen Athmung und Aufmerksamkeit.\n67\nzeigt Wirkungen der Aufmerksamkeit, welche nicht ausschlie\u00dflich aus Muskelinnervationen erkl\u00e4rt werden k\u00f6nnen. Das Problem, oh die Aufmerksamkeit ein besonderer psychophysischer Vorgang oder nur eine Resultante verschiedener physiologischer und psychophysischer Processe sei, kann augenscheinlich erst dann gel\u00f6st werden, wenn alle die physiologischen Vorg\u00e4nge nachgewiesen sind, welche eine jede Aufmerksamkeitsspannung begleiten und beeinflussen. Gelingt es dann weiter darzuthun, dass beim Zusammenwirken aller dieser Factoren diejenigen Erscheinungen hervorgebracht werden k\u00f6nnen, welche gew\u00f6hnlich \u00bbWirkungen der Aufmerksamkeit\u00ab genannt werden, dann brauchen wir nicht einen besonderen hypothetischen Vorgang anzunehmen. Wir sind jedoch zweifelsohne von diesem Ziele weit entfernt ; das Experiment hat hier noch ein freies Feld.\nEine der Erscheinungen, die noch keine befriedigende Erkl\u00e4rung gefunden haben, ist die unwillk\u00fcrliche Schwankung der Aufmerksamkeit. Mir scheint es wenigstens, dass die Sache, trotz der j\u00fcngst erschienenen Untersuchungen Eckener\u2019s und Pace\u2019s, noch fortw\u00e4hrend vollst\u00e4ndig dunkel ist. S\u00e4mmtliche Forscher, welche bisher das Ph\u00e4nomen untersucht haben, sind uneinig, nicht nur in Bezug auf die Erkl\u00e4rung desselben, sondern auch r\u00fccksichtlich der gefundenen Thatsachen. N. Lange fand bekanntlich1), dass die Aufmerksamkeitsperiode, d. h. die Zeit zwischen zwei einander folgenden Maximis einer eben merklichen Empfindung, nur wenig variabel ist f\u00fcr Empfindungen, die von demselben Sinnesorgane herr\u00fchren. F\u00fcr Empfindungen verschiedener Sinnesorgane dagegen sind die Perioden verschieden: f\u00fcr Lichtempfindungen 3,4 a, f\u00fcr Schallempfindungen 3,8 ff, und bei elektrischer Reizung der Haut 2,5 ff. Eine Erkl\u00e4rung der Thatsachen hat Lange eigentlich nicht gegeben ; sie sind f\u00fcr ihn eine besondere \u2014 fast r\u00e4thselhafte \u2014 Eigent\u00fcmlichkeit des centralen Vorgangs, welcher Aufmerksamkeit genannt wird.\nM\u00fcnsterberg kam zu einem ganz anderen Resultate. Er untersuchte nur die Periode der Lichtempfindungen, fand aber hier, dass die Dauer derselben, unter unver\u00e4nderten Versuchsbedingungen,\n1) Phil. Stud. IV, S. 404.","page":67},{"file":"p0068.txt","language":"de","ocr_de":"68\nAlfred Lehmann.\nsehr variabel sein konnte. Die Dauer der Periode schwankte zwischen 3,7 und 10,2 a, war aber im Mittel 6,9 a, also ungef\u00e4hr zweimal gr\u00f6\u00dfer als die von Lange gefundene. Au\u00dferdem war sie von der Athmung sehr abh\u00e4ngig, indem eine willk\u00fcrliche Beschleunigung oder Verlangsamung der Athmung eine Verk\u00fcrzung oder Verl\u00e4ngerung der Periode herbeif\u00fchrte. Die Versuchsumst\u00e4nde wurden stark variirt, und aus s\u00e4mmtlichen Versuchen folgerte er schlie\u00dflich, dass die Schwankungen durch Erm\u00fcdung der Accommodations- und der Directionsmuskeln des Auges verursacht w\u00fcrden.\nEcken er und Pace endlich, von welchen der erstgenannte Schallempfindungen, letzterer aber Lichtempfindungen untersucht hat, stimmen M\u00fcnsterberg bei in Betreff des Thats\u00e4chlichen, in theoretischer Hinsicht dagegen stehen sie N. Lange n\u00e4her. Doch hat Ecken er einen bedeutenden Portschritt \u00fcber Lange hinaus gemacht, indem er es versuchte, nachzuweisen, wie unwillk\u00fcrlich sich |hervordr\u00e4ngende Vorstellungen die Schwankungen der Aufmerksamkeit verursachen k\u00f6nnen1). Dies ist jedenfalls eine m\u00f6gliche Erkl\u00e4rung, wenngleich ich dieselbe als vollst\u00e4ndig falsch ansehe, was unten n\u00e4her dargelegt werden soll. Pace stimmt Eckener bei, gibt aber zu, dass Accommodationsschwankungen und Augenbewegungen auf irgend eine Weise mitspielen2).\nSehen wir nun vorl\u00e4ufig von diesen verschiedenen, mehr oder weniger einseitigen Erkl\u00e4rungsversuchen ab und halten uns ausschlie\u00dflich an die Versuchsergebnisse. Der Unterschied zwischen den von Lange einerseits und den \u00fcbrigen Beobachtern anderseits gefundenen Thatsachen ist so gro\u00df, dass es keinem Zweifel unterliegt, die genannten Forscher haben ganz verschiedene Ph\u00e4nomene untersucht. Dieser Schluss ist auch von M\u00fcnsterberg gezogen worden; au\u00dferdem zeigen die Versuchsanordnungen, welche von den'Beobachtern angewandt wurden, dass es so sein muss. W\u00e4hrend Lange nur die Punkte markiren lie\u00df, wo eine Empfindung durch einen schwachen Reiz pl\u00f6tzlich hervorgebracht wird, suchte M\u00fcnsterberg mittelst des Kymographion den ganzen Verlauf einer eben merklichen Empfindung aufzuzeichnen. Auf dieselbe Weise ver-\n1)\tPhil. Stud. VIII, S. 381\u2014383.\n2)\tPhil. Stud. Vm, S. 401.","page":68},{"file":"p0069.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die Beziehung zwischen Athmung und Aufmerksamkeit.\n69\nfuhren Eckener und Pace; ihr Apparat war weniger dazu geeignet, ein langsames Anschwellen oder Sinken der Empfindung genau graphisch wiederzugeben, hatte dagegen in andern Beziehungen vor dem M\u00fcnsterberg\u2019schen Vorz\u00fcge. Jedenfalls war die Aufgabe der drei letztgenannten Forscher; den ganzen Verlauf einer eben merklichen Empfindung eine l\u00e4ngere Zeit hindurch zu verfolgen und zu registriren. In diesen Versuchen musste deshalb die Aufmerksamkeit ohne Unterbrechung m\u00f6glichst stark gespannt sein; hei Lange\u2019s Versuchen dagegen konnte die Aufmerksamkeit, sobald die Empfindung aufgelodert war, einen Augenblick sich abspannen, um unmittelbar danach sich wieder zu concentriren. Die Experimente Miinst erber g\u2019s und seiner Nachfolger zeigen also, wie eine stetig concentrirte Aufmerksamkeit dann und wann zerstreut wird trotz aller willk\u00fcrlichen Anstrengung; aus den Versuchen Langes aber lernen wir, wie die Aufmerksamkeit periodisch gespannt und abgespannt wird, wenn wir uns nicht um eine stetige Concentration bem\u00fchen. Es sind also ganz verschiedene Dinge, die hier untersucht worden sind, und es wird von gro\u00dfem Interesse sein, beide F\u00e4lle genau zu beleuchten. Ich kann deshalb gar nicht Muns t erb erg beistimmen, wenn er sagt, dass nur seine Versuche Werth haben ]). Und noch weniger gl\u00fccklich scheint mir Eckener, wenn crjlen Nachweis versucht2), dass die Versuchsergebnisse Lange\u2019s durch theoretische Vorurtheile beeinflusst seien. W\u00e4re es wirklich m\u00f6glich, seine Mitarbeiter bei psychophysischen Versuchen so zu suggestio-niren, dass die theoretischen Ansichten des Versuchsleiters sich lin den gewonnenen Resultaten abspiegelten, so st\u00fcnde es um die Fortschritte der Wissenschaft herzlich schlecht. Gl\u00fccklicherweise gtht dies nicht so leicht, wenn man nur einigerma\u00dfen gewissenhaft verf\u00e4hrt; wenigstens kann ich aus mehlj\u00e4hriger Erfahrung bezeugen, dass ich \u00e4u\u00dferst selten meine vorl\u00e4ufigen Hypothesen durch die Versuche best\u00e4tigt gefunden habe. Meines Erachtens hat Lange unzweifelhafte Thatsachen nachgewiesen, die nur einer richtigen Erl\u00e4uterung bed\u00fcrfen, um ein werthvolles Licht auf den Aufmerksamkeitsvorgang zu werfen.\n\u00d9 M\u00fcnsterberg, a. a. O. S. 83.\n2) Eckener, a. a. O. S. 375.","page":69},{"file":"p0070.txt","language":"de","ocr_de":"70\nAlfred Lehmann.\nGehen wir jetzt zu einer kritischen Er\u00f6rterung der verschiedenen Erkl\u00e4rungsversuche \u00fcber, so k\u00f6nnen wir uns damit begn\u00fcgen, die zwei j\u00fcngst erschienenen Theorien, die von M\u00fcnsterberg und Eck en er, n\u00e4her zu betrachten. Diese sind n\u00e4mlich einerseits die am meisten durchgef\u00fchrten, und repr\u00e4sentiren anderseits die prin-cipiellen Gegens\u00e4tze, indem M\u00fcnsterberg als Ursache der Aufmerksamkeitsschwankungen nur periphere, Eckener dagegen nur centrale Vorg\u00e4nge annimmt. Gegen beide Annahmen k\u00f6nnen nicht unwesentliche Einw\u00e4nde erhoben werden.\nDie M\u00fcnsterberg\u2019sche Erkl\u00e4rung scheint beim ersten Blick recht bestechend. Wehn man irgend ein kleines Object fest anstarrt, werden die Fixations- und Accommodationsmuskeln nach und nach m\u00fcde, und man sp\u00fcrt eine stetig wachsende Neigung, die Augen wegzuwenden. Unzweifelhaft schwanken dann auch zuletzt die Augen, und die Empfindung wird nun dadurch verschwinden k\u00f6nnen, dass der Reiz, je nach der Natur des Objectes, auf mehr oder minder lichtempfindliche Theile der Netzhaut f\u00e4llt. So k\u00f6nnten die Aufmerksamkeitsschwankungen bei Lichtempfindungen durch periodische Erm\u00fcdung der Augenmuskeln verursacht werden. Und dieselbe Erkl\u00e4rung lie\u00dfe sich vielleicht auch f\u00fcr Schallempfindungen behaupten, wo Accommodationsmuskeln auch eine Rolle spielen, obwohl dieselbe viel weniger bedeutend ist. Wodurch werden aber die Schwankungen solcher Empfindungen verursacht, die von Sinnesorganen herr\u00fchren, welche gar keine Accommodationsapparate besitzen? Der M\u00fcnsterber g\u2019schen Theorie zufolge m\u00fcssten wir erwarten, dass z. B. bei elektrischer und thermischer Reizung der Haut Intensit\u00e4tsschwankungen der betreffenden Empfindungen gar nicht stattfinden k\u00f6nnen. Nichtsdestoweniger hat Lange die Dauer der ersteren1), Dessoir der letzteren2) gemessen. M\u00fcnsterberg hat augenscheinlich die Sache zu leicht genommen, indem er nur die Lichtempfindungen untersuchte. So sicher wie seine Erkl\u00e4rung hier m\u00f6glich sein k\u00f6nnte, ebenso sicher ist sie f\u00fcr die meisten andern Empfindungen undurchf\u00fchrbar.\nDies erhellt auch deutlich, wenn wir die Versuche von N. Lange\n1)\tLange, a. a, O. S. 404.\n2)\tUeber den Hautsinn. Arch. f. Anat. u. Physiol. Phys. Abth. 1892. S. 259.","page":70},{"file":"p0071.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die Beziehung zwischen Athmung und Aufmerksamkeit.\t71\nbetrachten. Da bei diesen Experimenten weder Auge noch Ohr dauernd accommodirt zu sein brauchen, k\u00f6nnen die gefundenen Perioden nicht von M\u00fcdigkeit der Muskeln herr\u00fchren. Die periodische Anspannung und Zerstreuung der Aufmerksamkeit, oder richtiger \u2014 um keine theoretischen Vorurtheile hineinzumengen \u2014 das periodische Auflodern der Empfindung muss hier eine ganz andere Ursache haben. M\u00fcnsterberg hat auch selbst dies gef\u00fchlt, indem er die Hypothese aufstellte, dass die Perioden, bei der Versuchsanordnung Lange\u2019s, durch die Athmung verursacht w\u00fcrden. \u00bbDrei bis vier Secunden pflegt ja bei ruhigem Sitzen ein normaler, nicht zu tiefer Athemzug zu dauern; bedenken wir, dass Lange nur die Inten-sit\u00e4tsmaxima der Empfindung registrirte, solch ein Maximum der st\u00e4rksten peripheren Spannung entsprechen muss und anderseits jede Inspiration, da nur sie durch active Muskelkraft entsteht, den Tonus aller Muskeln verst\u00e4rkt, also die Spannungen steigert und anregt, w\u00e4hrend die passive Exspiration synchron den Tonus herabsetzt, so ist es klar, dass die Bedingungen g\u00fcnstig liegen, unwillk\u00fcrlich die st\u00e4rkste Spannung zur Zeit der Inspiration zu erzeugen. Die Schwankungen w\u00e4ren dann einfach in letzter Linie vom Athemrhythmus abh\u00e4ngig ^ .... \u00ab Hier bleibt aber noch ein ungel\u00f6stes R\u00e4thsel \u00fcbrig: woher r\u00fchren die Perioden bei elektrischer oder thermischer Reizung der Haut? Die Sinnesorgane in der Haut haben doch keine Muskelapparate, welche gleichzeitig mit den Athmungsmuskeln innervirt werden k\u00f6nnen, und wie l\u00e4sst es sich dann annehmen, dass die Respiration einen Rhythmus in derartigen Empfindungen hervorbringen k\u00f6nne ? Hier scheint auch diese Hypothese zu scheitern. Und endlich -muss wohl daran erinnert werden, dass sie \u00fcberhaupt nur eine Hypothese ist. Wir wissen noch gar nicht, ob die Empfindung unter solchen Versuchsbedingungen wirklich nur w\u00e4hrend der Inspiration auflodert, und wenn dies nicht der Fall sein sollte, wird die Hypothese vollst\u00e4ndig hinf\u00e4llig.\nEs muss also, um diese Frage zu beantworten, die Beziehung zwischen den sogenannten Aufmerksamkeitsschwankungen und dem Athemrhythmus experimentell untersucht werden. Die unten zu beschreibenden Versuche waren urspr\u00fcnglich hierauf gerichtet, und\n1) M\u00fcnsterberg, a. a. O. S. 111.","page":71},{"file":"p0072.txt","language":"de","ocr_de":"72\nAlfred Lehmann.\nwie wir sp\u00e4ter sehen werden, zeugen die Ergebnisse sehr bestimmt gegen die Richtigkeit der M\u00fcnsterberg\u2019schen Hypothese. Diese Versuche wurden im Herbste 1891 und Fr\u00fchjahr 1892 angestellt, und danach wurde im August ein kurzes Referat der Resultate dem psychologischen Congresse in London mitgetheilt. In der Discussion, die auf den Vortrag folgte, erhoben sich verschiedene Ein w\u00e4nde; um dieselben zu beseitigen, setzte ich im Herbste meine Versuche fort. Als diese eben beendigt waren, erschienen die Abhandlungen von Eckener und Pace, welche gleichfalls gegen Mj\u00fcns terberg\u2019s Auffassung gerichtet sind. Dass meine Untersuchungen nun nicht durch die erw\u00e4hnten Arbeiten \u00fcberfl\u00fcssig geworden sind, folgt einfach daraus, dass ich einen ganz anderen Weg eingeschlagen habe. Selbst wenn ich also nur die Resultate der genannten Autoren best\u00e4tigen k\u00f6nnte, w\u00fcrde diese Uebereinstimmung von Interesse sein. Einig sind wir nun zwar in der Hauptsache, dass die sogenannten Aufmerksamkeitsschwankungen centraler Natur sind, dagegen bin ich fest \u00fcberzeugt, dass die von Eckener gegebene Erkl\u00e4rung der Schwankungen unrichtig ist. Ich fange nun damit an, meine Bedenken \u00fcber diese Erkl\u00e4rung zu er\u00f6rtern ; wie die neuen Thatsachen, welche Eckener gefunden hat, aufgefasst werden m\u00fcssen, wird sich sp\u00e4ter ergeben.\nDas interessanteste Resultat der Versuche JE ck en er \u2019s ist unstreitig die gefundene Beziehung zwischen der Dauer des Erinnerungsbildes einer gegebenen Empfindung und der Zahl der Schwankungen derselben. \u00bbKurz andauernde und seltene Schwankungen treten bei denjenigen Schallempfindungen ein, deren Erinnerungsbilder lebendig und lange festgehalten werden k\u00f6nnen\u00ab1). Diese Thatsache betrachtet Eckener als eine Best\u00e4tigung seiner, durch kritische Auseinandersetzungen gewonnenen Ueberzeugung, \u00bbdass w\u00e4hrend des Appercipirens der minimalen Empfindung ein innerer (psychophysischer Zustand vorhanden ist, der sich in dem Festhalten des Erinnerungsbildes \u00fcber die reale Reizung hinaus beth\u00e4tigt, [und dass nur in einer Ver\u00e4nderung dieses Zustandes die Ursache der Schwankungen zu suchen sei\u00ab2). Ich bedauere sehr, gestehen zu m\u00fcssen,\n1)\ta. a. O. S. 379.\n2)\ta. a. O. S. 371.","page":72},{"file":"p0073.txt","language":"de","ocr_de":"Heber die Beziehung zwischen Athmung und Aufmerksamkeit.\t7 3\ndass mir dieser Gedankengang vollst\u00e4ndig unbegreiflich ist. Wenn meine Aufmerksamkeit auf irgend Etwas gerichtet ist, und der Gegenstand nun pl\u00f6tzlich verschwindet, so bleibt doch immer das Erinnerungsbild in meinem Bewusstsein. Sei nun in einem gegebenen Falle das \u00bbEtwas\u00ab, worauf ich aufmerksam bin, eine sehr schwache Empfindung, so werde ich das Aufh\u00f6ren der Empfindung gar nicht bemerken, wenn sie nur so schnell wiederkehrt, dass ein deutlicher Unterschied zwischen dem langsam abbleichenden Erinnerungsbilde und der wieder auftauchenden, realen Empfindung nicht gesp\u00fcrt werden kann. Also, je l\u00e4nger das deutliche Erinnerungsbild dauert, je seltener und k\u00fcrzer m\u00fcssen die Empfindungspausen werden, wenn nur die Ursache der Empfindungspausen constant bleibt. Welches diese Ursache sei, ist aber vollst\u00e4ndig gleichg\u00fcltig. Eck en er hat selbst den experimentellen Beweis hierf\u00fcr gef\u00fchrt, indem erzeigt, \u00bb dass eine l\u00e4ngere [objective] Unterbrechung des appercipirten Minimalger\u00e4usches n\u00f6thig ist, wenn diese \u00fcberhaupt merklich werden soll\u00ab1). Ein deutliches Erinnerungsbild kann also eine kurze objective Unterbrechung unmerklich machen und wahrscheinlich auch eine lange Unterbrechung verk\u00fcrzen. Folglich kann aus der Bedeutung des Erinnerungsbildes gar nichts gefolgert werden in Betreff der Ursache der Schwankungen. Die Ursache kann eine objective Unterbrechung oder eine jede beliebige periphere oder centrale St\u00f6rung sein, kurz gesagt: sie ist noch ein reines X.\nDie eben angef\u00fchrte und discutirte Thatsache ist, obgleich nicht der einzige, doch jedenfalls der gewichtigste'Beweis, welchen Eck en er f\u00fcr die centrale Natur der Empfindungsschwankungen f\u00fchrt, und dieser ist, wie wir gesehen haben, nicht eigentlich \u00fcberzeugend. Wir wollen jetzt untersuchen, wie er die Schwankungen erkl\u00e4rt. Es gibt, nach ihm, wenigstens zwei verschiedene Arten von Schwankungen. \u00bbEine Art derselben scheint ganz unvermittelt bei v\u00f6llig klarem Bewusstsein und bei bestimmt auf das Ger\u00e4usch gerichteter Aufmerksamkeit zu kommen und besteht in einem kurzen Ausf\u00e4lle der Empfindung, worauf sofort wieder klar die Apperception einsetzt. \u00ab Es konnte leicht constatirt werden, dass diese Erscheinung\n1) a. a. O. S. 370.","page":73},{"file":"p0074.txt","language":"de","ocr_de":"74\nAlfred Lehmann.\nnicht in einer Ver\u00e4nderung des \u00e4u\u00dferen Reizes ihren Grund hat. \u00abDennoch aber werden die in Rede stehenden Schwankungen, die nur selten und bei den verschiedenen Reagenten verschieden h\u00e4ufig vorkamen, auf das bestimmteste als \u00e4u\u00dferlich bedingte empfunden. Es liegt demnach kein Grund vor, ihnen die Verursachung durch Nervenerm\u00fcdung abzusprechen. Anders liegt es bei der zweiten, h\u00e4ufiger eintretenden Art der Schwankungen1)\u00ab. Man f\u00fchlt sich ge-n\u00f6thigt, dieselben als subjectiv anzusehen; sie sind von sehr verschiedener und l\u00e4ngerer Dauer als die vorigen, und endlich bedarf es einer deutlich f\u00fchlbaren inneren Sammlung, um die entschwundene Empfindung wieder zu fassen. Diese Schwankungen sind es, deren Ursache Ecken er in centralen St\u00f6rungen sucht. Und welche sind denn diese centTalen St\u00f6rungen ? Unaufmerksamkeit der allergew\u00f6hnlichsten Art. Die minimale Empfindung verschwindet, weil das Aufmerken nicht constant bleibt ; theils vergessen wir, dass wir aufmerksam sein sollen, theils wird die Aufmerksamkeit durch fremde, sich hineindr\u00e4ngende Vorstellungen abgelenkt. So lautet wirklich die Erkl\u00e4rung Eckener\u2019s, wenn man seine ausf\u00fchrlichen Auseinandersetzungen m\u00f6glichst reducirt.\nIch wage es nicht, zu behaupten, dass Ecken er beim Selbstbeobachten durch theoretische Vorurtheile irre gef\u00fchrt worden ist, denn es kommt wirklich vor, dass man sich w\u00e4hrend des Beob-achtens dar\u00fcber ertappen kann, fremden Vorstellungen Raum gegeben zu haben, und dass folglich die Empfindung so lange aus dem Bewusstsein entschwunden ist. Der Beobachter wei\u00df aber gew\u00f6hnlich selbst sehr gut, dass er unaufmerksam gewesen ist, und wenn dies mehrmals in einer Versuchsreihe stattgefunden hat, habe ich immer eine solche Reihe als unbrauchbar gestrichen. Meines Erachtens hat es n\u00e4mlich gar keinen Sinn, derartige Aufmerksamkeitsschwankungen zu untersuchen, denn das wei\u00df man ja im Voraus, dass es Personen gibt, die \u00fcberhaupt nicht aufmerksam sein k\u00f6nnen, und dass selbst die gespannteste Aufmerksamkeit zeitweise distrahirt werden kann. Die ganze Frage \u00fcber die Schwankungen der minimalen Empfindungen dreht sich gar nicht um solche, die durch handgreifliche Unaufmerksamkeit verursacht sind, dagegen um diejenigen, welche,\n1) a. a. O. S. 361.","page":74},{"file":"p0075.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die Beziehung zwischen Athmung und Aufmerksamkeit.\t7 5\nwie Eckener sehr richtig sagt, \u00bb ganz unvermittelt hei v\u00f6llig klarem Bewusstsein und hei bestimmt auf die Empfindung gerichteter Aufmerksamkeit ein treten\u00ab. Solche Schwankungen sind nicht, wie Eckener meint, selten und von kurzer Dauer; im Gegentheil, wenn die Reagenten nicht zerstreute Personen sind, die 100 Se-cunden hindurch nicht aufmerksam sein k\u00f6nnen, kommen derartige Schwankungen ausschlie\u00dflich vor. Sie k\u00f6nnen von sehr verschiedener Dauer sein, wie wir sp\u00e4ter sehen werden, und es sind nur diese, welche einer Untersuchung werth sind. Dass zuweilen Schwankungen durch Unaufmerksamkeit mit unterlaufen k\u00f6nnen, habe ich schon zugegeben.\nDie Erkl\u00e4rung Eck en er\u2019s ist somit, meines Ermessens, vollst\u00e4ndig falsch. Er hat sehr richtig beobachtet, dass es zwei verschiedene Arten der Schwankungen gibt, von welchen die eine einfach durch Unaufmerksamkeit verursacht ist. Dann hat er aber \u2014 vielleicht aus theoretischen Yorurtheilen \u2014 angenommen, dass die letztere Ursache die gew\u00f6hnlichere sei, und er h\u00e4lt nun dieselbe als Erkl\u00e4rung s\u00e4mmtlicher Versuchsergebnisse fest. Dies w\u00fcrde richtig sein, insofern seine Reagenten sehr zerstreute oder leicht hypnotisirbare Personen gew-esen w\u00e4ren, was doch eine h\u00f6chst unwahrscheinliche Annahme ist. Seine Versuchsergebnisse sprechen wenigstens nicht daf\u00fcr, und ich bin deshalb davon \u00fcberzeugt, dass er haupts\u00e4chlich nur die Schwankungen bei gespannter Aufmerksamkeit untersucht hat. F\u00fcr diese Schwankungen ist seine Erkl\u00e4rung aber nicht stichhaltig, wie wir soeben gesehen haben, und noch weniger liegt ein Grund vor, \u00bbihnen die Verursachung durch Nervenerm\u00fcdung zuzuschreiben\u00ab. Ich gehe nun dazu \u00fcber, eine wahrscheinlichere Ursache dieser h\u00f6chst merkw\u00fcrdigen Erscheinungen zu suchen. Es wird jedoch zuv\u00f6rderst n\u00f6thig sein, die Versuchsanordnung und die angewandten Apparate in aller K\u00fcrze zu besprechen.\nDie Versuchsanordnung und die Apparate.\nDa ich mir urspr\u00fcnglich die Aufgabe gestellt hatte, die Aufmerksamkeitsperioden mit dem Athemrhythmus zu vergleichen, mussten beide Erscheinungen neben einander aufgezeichnet werden.","page":75},{"file":"p0076.txt","language":"de","ocr_de":"76\nAlfred Lehmann.\nZu diesem Zweck benutzten wir ein Kymographion, dessen Cylinder, wie gew\u00f6hnlich bei physiologischen Versuchen, mit beru\u00dftem Papier bekleidet war. Zwei Marey\u2019sche Schreibapparate, unmittelbar unter einander befestigt, schrieben auf den Cylinder die Athem-bewegung und die lleactionen der Beobachter. Die Reactionen wurden ausgefiilirt mittelst eines Cautschukballes, der in der Hand gehalten wurde und durch einen Gummischlauch mit dem einen Schreibapparate verbunden war. Diese Vorrichtung Erlaubte dem Reagenten, die m\u00f6glichst bequeme Stellung einzunehmen, indem er nicht gezwungen war, seine Hand an einem bestimmten Orte unver\u00e4nderlich zu halten; au\u00dferdem konnte jede Ver\u00e4nderung der minimalen Empfindung genau, durch einen st\u00e4rkeren oder schw\u00e4cheren Druck auf den Ball registrirt werden. Die Athembewegung wurde mittelst eines Pneumographen aufgenommen, der mit dem zweiten Schreibapparate in Verbindung stand. Selbstverst\u00e4ndlich waren die Schreibstifte genau in dieselbe verticale Linie gestellt, so dass die unter einander liegenden Punkte der beiden Curven wirklich correspondirende Punkte waren.\nDie Walze des angewandten Kymographion war 60 cm im Umkreis, und das Uhrwerk wurde so regulirt, dass die Umdrehungsgeschwindigkeit ungef\u00e4hr 6 mm in der Secunde betrug. Polglich ward eine Umdrehung in 100 Secunden gemacht, und so lange konnten die Versuche ohne Unterbrechung fortgesetzt werden; viel l\u00e4nger darf jedenfalls eine Versuchsreihe nicht dauern, wenn nicht die Schwankungen wegen Unaufmerksamkeit zu h\u00e4ufig werden sollen. Es braucht kaum gesagt zu werden, dass das Kymographion in einem entfernten Zimmer stand, damit dessen L\u00e4rm die Reagenten nicht st\u00f6rte ; die Reactions- und Respirationsbewegungen wurden von dem einen Zimmer zum anderen durch Gummischl\u00e4uche von gleich gro\u00dfer L\u00e4nge und Weite \u00fcbergef\u00fchrt.\nDie Reagenten bei meinen Versuchen waren die Herren Pastor Oestrup und stud. med. Claudius. An ihnen sind die meisten Versuche gemacht, und um die individuellen Unterschiede deutlich hervortreten zu lassen, haben sie beinahe dieselbe Anzahl Beobachtungen angestellt. Im Herbste 1892 trat prakt. Arzt Dr. Lange als Reagent ein, da die genannten Herren verhindert waren, sich wieder an den Versuchen zu betheiligen. S\u00e4mmtlichen Herren","page":76},{"file":"p0077.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die Beziehung zwischen Athmung und Aufmerksamkeit.\n77\nspreche ich hier meinen besten Dank aus f\u00fcr ihre Ausdauer hei den oft recht erm\u00fcdenden Versuchen.\nWir haben die Aufmerksamkeitsschwankungen sowohl bei Licht-und bchallempfindungen als bei elektrischer Reizung der Haut untersucht. Als Lichtquelle wurde ein wei\u00dfes Quadrat auf einem schwarzen Hintergrund angewandt, welches von einer constant brennenden Petroleumlampe belichtet wurde. Als Schallquelle diente ein gew\u00f6hnlicher Bunsen-Brenner. Wenn der Gasdruck unver\u00e4nderlich ist \u2014 und dies kann leicht erreicht werden, besonders in der Nacht, der f\u00fcr solche Versuche am meisten geeigneten Zeit \u2014 hat das Zischen der Flamme eine \u00e4u\u00dferst constante Intensit\u00e4t, und es ist zugleich continuirlich, worauf M\u00fcnsterberg gro\u00dfes Gewicht gelegt hat. Ich halte jedoch diesen Umstand f\u00fcr ganz unwesentlich, da ich mehrmals die Ergebnisse bei continuirlichem Zischen der Flamme und beim intermittirenden Tick-tack der Uhr verglichen habe, ohne irgend welche bedeutende Unterschiede zu finden. \u2014 Die elektrische Reizung hot anfangs verschiedene Schwierigkeiten dar, auf welche ich nicht n\u00e4her eingehe; ich beschr\u00e4nke mich darauf, diejenige Anordnung zu beschreiben, welche sich als die beste erwies. Als Unterbrecher der Inductionsmaschine wurde eine sehr kurze, und folglich schnell vibrirende Feder genommen, wodurch erreicht wurde, dass die von dem Strome verursachte Empfindung einen fast continuirlichen Charakter bekam. Die Elektroden waren Kupferplatten ; die eine lag auf dem Unterarm, belastet mit ungef\u00e4hr 500 g, was n\u00f6thig war, um die leichte Platte in ihrer Stellung festzuhalten. Bei dieser Vorrichtung erreichten wir, dass der Druck der Platte unver\u00e4nderlich war ; wurde sie dagegen festgebunden, so war der Druck und damit die Stromst\u00e4rke von den variirenden Dimensionen des Arms abh\u00e4ngig. Die zweite Elektrode lag in einer Porcellanschale mit Wasser von der Temperatur des K\u00f6rpers; dicht \u00fcber der Elektrode war eine Glasbr\u00fccke, auf welcher der Finger ?i\u2018es Reagenten ruhen konnte. Auf diese Weise war es ausgeschlossen, dass unwillk\u00fcrliche Bewegungen des Fingers die Entfernung von der Elektrode ver\u00e4ndern konnten, wodurch Schwankungen der Stromst\u00e4rke und somit der Empfindung verursacht wurden.\nDie beiden Arten der Reactionen, sowohl die momentanen Reaktionen Lange\u2019s als die constanten Miinsterberg\u2019s, wurden gleich","page":77},{"file":"p0078.txt","language":"de","ocr_de":"78\nAlfred Lehmann.\nvom Anf\u00e4nge an abwechselnd ausgef\u00fchrt, jedoch so. dass eine Versuchsreihe hindurch nur eine Reactionsmethode angewandt wurde. Eine Versuchsreihe umfasst s\u00e4mmtliche Reactionen. die w\u00e4hren einer Umdrehung der Kymographionwalze, also in 100 Secunden, ausgef\u00fchrt sind. Es ist nicht mit irgend einer Schwierigkeit verbunden, sich auf das eine oder das andere Verfahren einzustellen, und die Abwechslung hat wenigstens den Vortheil, dass der Reagent nicht so schnell erm\u00fcdet wird, weil die momentane Methode keine gro\u00dfe Anstrengung erfordert. Das automatische Registriren der Empfindungsvariationen wurde nat\u00fcrlich sehr gr\u00fcndlich einge\u00fcbt, ehe wir zu den entscheidenden Versuchen gingen ; ich glaube deshalb annehmen zu d\u00fcrfen, dass die Curven in den Hauptz\u00fcgen ein genaues Bild der Empfindungsschwankungen geben. In der That war es auch so leicht, mit dem Steigen oder Sinken der Empfindung den Druck auf den Gummiball zu verst\u00e4rken oder abzuschw\u00e4chen, dass das Registriren zuletzt ganz reflexartig ausgef\u00fchrt wurde.\nDie Versuchsergebnisse.\nWir fangen damit an, die Resultate des constanten Registrirens zu betrachten. Reactionen sind hier von den Herren O. und C. auf alle drei Arten der Reize ausgef\u00fchrt ; da indessen die Ergebnisse nur unwesentliche pers\u00f6nliche Differenzen zeigen, beschr\u00e4nke ich mich darauf, diejenigen des Herrn O. anzuf\u00fchren. Diese sind in Tabelle I angegeben. S\u00e4mmtliche Zeitgr\u00f6\u00dfen sind hier mittlere Werthe. Ad ist [die Athmungsdauer in Secunden; Z die Anzahl der Reactionen. Unter S ist die ganze mittlere Dauer einer Schwankung angegeben, vom Anfang der Empfindung bis zum n\u00e4chsten Auf lodern derselben gemessen. Diese Gr\u00f6\u00dfe setzt sich aus zwei Theilen zusammen : der Dauer der Empfindung E und der Empfindungspause P. Au\u00dferdem ist in der Tabelle angegeben : unter mV die mittlere Variation der Empfindungsdauer, und unter P/S der Bruchtheil, welchen die Empfindungspause von der ganzen Schwankungsdauer ausmacht.\nMit den drei Reizen wurden gleich viele Versuchsreihen gemacht; deshalb ist die Anzahl der Reactionen dort am kleinsten, wo die Dauer der Schwankungen am gr\u00f6\u00dften ist. Wir sehen nun,","page":78},{"file":"p0079.txt","language":"de","ocr_de":"lieber die Beziehung zwischen Athmurig und Aufmerksamkeit.\t79\nTabelle I.\nIleagent O. Constante Eeactionen.\n\tAd\tz\ts\tE\tmV\tP\tP/S\nLieht\t4,4\t35\t00 (M*1\t8,1\t1,6\t4,7\t0,37\nSchall\t4,6\t61\t9,1\t5,9\t1,3\t3,2\t0,35\nElektr. Reiz\t4,1\t142\t4,1\t3,4\t0,8\t0,7\t0,17\ndass die Schwankungen in den drei F\u00e4llen von sehr verschiedener L\u00e4nge sind, w\u00e4hrend die Athmungsdauer nur unerhebliche Differenzen zeigt. Die interessanteste Thatsache, die aus der Tabelle hervorgeht, ist jedoch, dass die Dauer der Schwankungen bei Licht-und Schallreizen viel gr\u00f6\u00dfer als die Athmungsperiode ist, w\u00e4hrend dieselbe bei elektrischer Eeizung genau gleich der Dauer der Athem-z\u00fcge ist. Auf die genaue Gleichheit der Perioden im letzteren Falle kann nat\u00fcrlich kein gro\u00dfes Gewicht gelegt werden, da die Zahlen nur mittlere Wer the sind, weshalb es sich factisch nur selten ereignet, dass eine Schwankung genau ebenso lange dauert wie der gleichzeitige Athemzug. Betrachten wir aber die unter E gegebenen Zahlen, so sehen wir, dass bei elektrischer Eeizung die Empfindung durchschnittlich nur 3,4 Sec. dauert, und da die mittlere Variation hier 0,8 Sec. betr\u00e4gt, wird es also nur selten Vorkommen k\u00f6nnen, dass die Empfindung l\u00e4nger als ein Athemzug dauert. Hieraus darf unzweifelhaft geschlossen werden, dass eine Beziehung zwischen der Athmung und der Empfindungsdauer bei elektrischer Eeizung bestehe ; von einer solchen Beziehung l\u00e4sst sich aber keine Spur bei den zwei andern Arten der Eeize nachweisen. Dieser Unterschied, welcher aus den berechneten mittleren Zahlenwerthen hervorgeht, zeigt sich auch recht augenf\u00e4llig, wenn man die Curven betrachtet. Auf Tafel I sind mehrere Curven in der halben Gr\u00f6\u00dfe des Originals wiedergegeben. Von den zwei zusammengeh\u00f6rigen Linien stellt die obere, regelm\u00e4\u00dfige Curve die Athmung dar ; die untere gebrochene Linie ist die Eeaction. Fig. 1 ist bei Lichtreizung, Fig. 3 bei elektrischer Eeizung gewonnen. Die erstere Eeactionscurve ist viel unregelm\u00e4\u00dfiger als die letztere, die au\u00dferdem eine, obwohl nicht","page":79},{"file":"p0080.txt","language":"de","ocr_de":"80\nAlfred Lehmann.\nganz constante Abh\u00e4ngigkeit von der Athmung zeigt. Eine solche Abh\u00e4ngigkeit l\u00e4sst sich zwar auch in Fig. 1 nachweisen, davon sehen wir aber vorl\u00e4ufig ab. Wir begn\u00fcgen uns hier damit, con-statirt zu haben, dass eine Beziehung zwischen Athmung und Empfindungsdauer bei elektrischer Reizung unzweifelhaft bestehe.\nEntspricht nun diese Beziehung der Hypothese M\u00fcnsterberg\u2019s? Lodert die Empfindung, wie er annimmt, nur w\u00e4hrend der Inspiration auf? Die gegebenen Curven zeigen, dass dies keineswegs der Fall ist. Alle Curven sind von links nach rechts geschrieben; Fig. 3 zeigt also, dass die Empfindung hier gew\u00f6hnlich pl\u00f6tzlich auftritt, um wieder langsam zu sinken. Die Athmungscurve steigt und sinkt mit dem Thorax, so dass die Hebungen der Curve den Inspirationen entsprechen. Man sieht nun. sogleich aus der Figur, dass das Auflodern der Empfindung ebenso h\u00e4ufig w\u00e4hrend der Exspiration als w'\u00e4hrend der Inspiration stattfindet. W\u00e4re es m\u00f6glich gewesen, s\u00e4mmtliche Curven in der Gr\u00f6\u00dfe der Originale hier beizugeben, so w\u00fcrde die regelm\u00e4\u00dfige Yertheilung unter den beiden Phasen der Respiration nat\u00fcrlicher Weise noch viel deutlicher hervorgetreten sein ; wir werden indess bald Thatsachen kennen lernen, welche das Verh\u00e4ltniss \u00fcber jeden Zweifel erheben. Als unser erstes Resultat k\u00f6nnen wir deshalb feststellen:\nDie Schwankungen der elektrischen Empfindungen r\u00fchren nicht von unwillk\u00fcrlichen Muskelinnervationen her, welche durch die Innervation der Athmungsmuskeln verursacht sind.\nDa nun, wenigstens in einem Falle, eine Beziehung zwischen Athmung und Empfindungsschwankung unzweifelhaft nachgewiesen ist, wird es augenscheinlich von Bedeutung sein, zu untersuchen, ob irgend eine Respirationsphase besonders g\u00fcnstig f\u00fcr das Auflodern oder Verschwinden der Empfindungen sei. Und eine solche Untersuchung muss nicht nur f\u00fcr elektrische Empfindungen, sondern auch f\u00fcr Licht- und Schallempfindungen angestellt werden. Zwar haben wir bisher f\u00fcr die beiden letzteren eine Beziehung zur Athmung nicht feststellen k\u00f6nnen, gleichwohl ist es nicht unm\u00f6glich, dass es eine solche gibt. Auge und Ohr sind ja viel complicirter gebaut als die kleinen Sinnesorgane in der Haut, besonders haben die h\u00f6heren Sinnesorgane ihre Accommodationsapparate, und es w\u00e4re deshalb sehr wohl denkbar, dass die Schwankungen hier durch","page":80},{"file":"p0081.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die Beziehung zwischen Athinung und Aufmerksamkeit.\n81\nmehrere, in einander greifende Umst\u00e4nde verursacht seien, welche mittelst geeigneter Methoden sich isoliren lie\u00dfen. Durch eine solche Isolation der zusammenwirkenden Ursachen w\u00fcrde dann eine Erkl\u00e4rung des ganzen Schwankungsvorganges viel sicherer erreicht werden k\u00f6nnen, als durch blo\u00dfe Zeitmessungen mit Selbstbeobachtungen combinirt.\nDie Methode der momentanen Reactionen \u00f6ffnet uns einen Weg, um die fragliche Abh\u00e4ngigkeit der Empfindungsschwankungen von der Athmung n\u00e4her zu untersuchen. Beim momentanen Verfahren wird nur das Auflodern der Empfindungen registrirt ; zeichnet man also gleichzeitig die Athmungscurve, so ist es bei einer hinreichenden Anzahl der Versuche leicht zu sehen, ob irgend eine Phase der Respiration f\u00fcr das Auf lodern der Empfindung besonders g\u00fcnstig oder ung\u00fcnstig sei. Tafel I Fig. 5 stellt einen Theil einer solchen gleichzeitigen Aufnahme der Athmung und der Reactionen dar, und bedenkt man, dass die Figur nur die halbe Gr\u00f6\u00dfe des Originals hat, so wird es einleuchten, dass durch Ausmessen der Lage der Reactionen die gestellte Frage ohne Schwierigkeit beantwortet werden kann. Es wurde eine sehr gro\u00dfe Anzahl derartiger Versuche gemacht; die Resultate derselben sind in Tab. II gegeben. F\u00fcr beide Beobachter sind hier angef\u00fchrt die mittlere Dauer der Athmung, die Gesammtzahlen der bei jedem Reize gemachten Reactionen, und endlich die Procentzahl der Reactionen, welche unter jedem Zehntel der Athmung fielen.\nUm die letztere zu berechnen, verfuhr ich folgenderma\u00dfen. Erstens wurde auf den Originaltafeln die Zeitdauer eines bestimmten Athemzuges gemessen, vom Maximum der Inspiration zum n\u00e4chsten Maximum gerechnet. Danach wurde die Lage derjenigen Reactionen bestimmt, welche w\u00e4hrend dieses Athemzuges stattgefunden hatten, indem die Entfernung der Reactionen vom Anf\u00e4nge des Athemzuges, also vom ersten Inspirationsmaximum, gemessen und in Zeitma\u00df ausgedr\u00fcckt wurde. Bei Division dieser Zeitentfernungen durch die Dauer des betreffenden Athemzuges erhielt ich Decimalbr\u00fcche, welche eben diejenigen Zehntel der Respiration angeben, unter welchen die Reactionen fielen. Diese Operationen wurden nun f\u00fcr jeden Athemzug und die dazu geh\u00f6rigen Reactionen ausgef\u00fchrt, und schlie\u00dflich konnte aufgez\u00e4hlt\nWundt, Philos. Studien. IX.\tu","page":81},{"file":"p0082.txt","language":"de","ocr_de":"82\nAlfred Lehmann.\nTabelle IL\nReagenten 0. und C. Momentane Reactionen.\n\t\t0.\t\t\tC.\t\t\n\t\tI Licht\tSchall !\t\tElektrischer Reiz\tLicht\tSchall\tElektrischer Reiz\nAthmungsdauer\t\t4,5\t4,5\t4,4\t4,5\t6,2\t6,1\nZahl der Versuche\t\t130\t144\t169\t176\t179\t147\nProcentzahl der Reactionen in\t0\u2014 1\t8,5\t13,2\t11,8\t6,2\t15,1\t6,8\n\t1\u2014 2\t11,6\t10,4\t13,6\t11,9\t17,9\t12,3\n\t2\u2014 3\t12,3\t13,9\t10,0\t15.4 11.4\t9,5\t16,4\n\t3\u2014 4\t5,4\t8,3\t10,0\t\tLS\t14,3\n\t4\u2014 5\t6,2\t6,2\t12,4\t8,5\t1,7\t2,4\n\t5\u2014 6\t9,2\t13,9\t8,9\t5,7\t9,0\t2J\n\t6\u2014 7\t7,7\t7,6\t5,3\t2,8\t17,3\t10,9\n\t7\u2014 8\t10,8\t7,6\t16,0\t9,1\t15,1\t17,7\n\t8- 9\t13,8\t9,7\tLi\t11,4\t6,1\t15,0\n\t9\u201410\t14,6\t9,7\t4,7\t17,6\t0,6\t2,4\nwerden, wie viele Reactionen unter jedem Zehntel gefallen waren. Aus den so erhaltenen Zahlen in Verbindung mit der ganzen Anzahl der Reactionen wurden dann die in Tab. II gegebenen Procentzahlen berechnet.\nEin allgemeines Gesetz l\u00e4sst sich schwerlich aus der Tabelle ersehen, wir k\u00f6nnen aber leicht eine Gesetzm\u00e4\u00dfigkeit nach weisen, wenn wir die Ergebnisse graphisch darstellen. Dies ist in Fig. 6\u201411 (Taf. I) ausgefiihrt. Als Abcisse ist hier die mittlere Athmungsdauer genommen, die, trotz individueller und anderer Verschiedenheiten, als eine \u00fcberall gleich gro\u00dfe Strecke aufgetragen ist. Die Abeissen sind in zehn gleich gro\u00dfe Theile getheilt, und in der Mitte eines jeden Theils ist als Ordinate die zugeh\u00f6rige, in Tab. II gegebene Procentzahl aufgetragen. Indem nun die Endpunkte der Ordinaten","page":82},{"file":"p0083.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die Beziehung zwischen Athmung und Aufmerksamkeit.\n83\nverbunden werden, kommt eine gebrochene Linie zu Stande, die die H\u00e4ufigkeit der Reactionen in jedem Zehntel einer Respiration zeigt. Endlich ist die Respirationscurve eingezeichnet; die Lage dieser Curve ist dadurch bestimmt, dass die Punkte 0 und 10 der Abscisse den beiden Inspirationsmaxima entsprechen, w\u00e4hrend die Lage der Respirationspause [des tiefsten Punktes der Athmungswelle] durch Ausmessen einer gro\u00dfen Anzahl Respirationscurven an den Originaltafeln gefunden ist. Wie die Figuren zeigen, liegt dieser Punkt f\u00fcr Herrn C. genau in der Mitte zwischen den Inspirationsmaxima, f\u00fcr Herrn O. dagegen dem zweiten Maximum etwas n\u00e4her, ungef\u00e4hr bei Punkt 6. Die H\u00f6he der Respirationswellen ist willk\u00fcrlich genommen, jedoch ist auch in dieser Beziehung ein Unterschied zwischen den Reagenten in den Figuren angedeutet, indem die Athmung des Herrn O. w\u00e4hrend der Versuche gew\u00f6hnlich weniger tief wurde. Da dies Verh\u00e4ltniss, wie wir sp\u00e4ter sehen werden, nicht ohne Bedeutung ist, habe ich es in den Figuren dargestellt.\nBetrachten wir nun n\u00e4her die Figuren, so sehen wir, dass ein H\u00e4ufigkeitsmaximum der Reactionen ohne Ausnahme, d. h. f\u00fcr beide Reagenten und unabh\u00e4ngig von der Art des Reizes, eine kurze Zeit nach dem Anf\u00e4nge der Exspiration f\u00e4llt. In Fig. 7 und 8 hat sich dies Maximum in zwei Gipfel gespalten, es ist aber nicht unwahrscheinlich, dass diese Spaltung durch zuf\u00e4llige Umst\u00e4nde herbeigef\u00fchrt ist und deshalb bei einer noch gr\u00f6\u00dferen Anzahl der Versuche verschwinden w\u00fcrde. Ein zweites Maximum kommt w\u00e4hrend der Inspiration vor, und dies zeigt sich sehr deutlich, ohne irgend eine Abweichung, in allen sechs Figuren. Bemerkenswerth ist es \u00fcbrigens, dass die Lage der verschiedenen Maxima nur von der Natur der Reizung, dagegen nicht von der reagirenden Person ab-h\u00e4ngig ist. Dies kann leicht aus der Tafel ersehen werden, da die bei gleichartiger Reizung erhaltenen Curven unter einander gestellt sind. Bei Lichtempfindungen fallen f\u00fcr beide Reagenten die Maxim\u00e4 zwischen Punkt 2 und 3 und zwischen 9 und 10. Bei elektrischer Reizung f\u00e4llt das eine Maximum f\u00fcr Herrn C. zwischen 2 und 3, und hier liegt auch die Mitte der Maximumsgipfel f\u00fcr Herrn (). ; das zweite Maximum liegt zwischen 7 und 8. Nur bei den Schall-reactionen zeigt sich ein unbedeutender, individueller Unterschied. Das erste Maximum liegt f\u00fcr beide Beobachter zwischen 1 und 2 ;\n6*","page":83},{"file":"p0084.txt","language":"de","ocr_de":"84\nAlfred Lehmann.\ndas zweite dagegen liegt f\u00fcr O. zwischen 5 und 6, f\u00fcr C. zwischen 6 und 7. Diese fast durchg\u00e4ngige Uebereinstimmung d\u00fcrfte wohl ein vollg\u00fcltiger Beweis daf\u00fcr sein, dass wir es hier mit einer tief begr\u00fcndeten Gesetzm\u00e4\u00dfigkeit zu thun haben. Erinnert man sich, durch wie viele Ausmessungen und Ausrechnungen die hier in Rede stehenden Thatsachen gewonnen sind, und bedenkt man ferner, dass die Bearbeitung der Versuche erst nach dem Abschluss der experimentellen Arbeit angefangen wurde, so leuchtet es ein, dass die Reagenten unm\u00f6glich eine Ahnung von der Lage der Maxima haben und durch diese Ahnung beeinflusst sein konnten. Wenn also f\u00fcr beide Reagenten die Reactionsmaxima fast genau in denselben Phasen der Athmungsperiode liegen, so muss diese Thatsache physiologisch oder richtiger: psychophysiologisch begr\u00fcndet sein.\nEs wird nun auch nicht schwierig sein, die gefundenen Thatsachen zu erkl\u00e4ren. Wir sahen, dass die Reactionen am h\u00e4ufigsten sind in der N\u00e4he des Inspirationsmaximums. Hier ist eben der Blutdruck am gr\u00f6\u00dften, und von diesem Zustand muss angenommen werden, dass er f\u00fcr die psychophysische Arbeit des Gehirns g\u00fcnstig sei. Wir wissen ja, dass das Blut, w\u00e4hrend der Arbeit irgend eines Organes, demselben reichlicher zuflie\u00dft. Deshalb ist es h\u00f6chst wahrscheinlich, dass auch die Arbeit eines Organes erleichtert werde, wenn durch irgend eine Ursache eine Vergr\u00f6\u00dferung des Blutzuflusses herbeigef\u00fchrt wird. Da dieser Satz wenigstens f\u00fcr die Muskelarbeit schon experimentell best\u00e4tigt worden ist1), wird es nicht sehr gewagt sein, denselben auch f\u00fcr die psychophysische Arbeit des Gehirns als g\u00fcltig anzunehmen. Daher lodern die Empfindungen besonders in der N\u00e4he des Inspirationsmaximums auf, oder mit anderen Worten: die Reactionen werden hier am h\u00e4ufigsten, wie wir eben gefunden haben. \u2014 Nun erhebt sich aber die Frage: wenn eine Vergr\u00f6\u00dferung des Blutdruckes g\u00fcnstig ist f\u00fcr das Auflodern der Empfindungen, warum f\u00e4llt dann das Reactionsmaximum nicht mit dem Inspirationsmaximum zusammen? Warum finden wir, statt eines Maximums, das mit dem Inspirationsgipfel zusammenf\u00e4llt, deren zwei, eins w\u00e4hrend der Inspiration und ein anderes w\u00e4hrend der Exspiration? Und eben da, wo die Athmung den gr\u00f6\u00dften\n1) F\u00e9r\u00e9, Sensation et mouvement, p. 04 et 113.","page":84},{"file":"p0085.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die Beziehung zwischen Athramig und Aufmerksamkeit.\t85\nBlutdruck verursacht, finden wir constant ein partielles R\u00e9actions-minimum.\nDieser Schwierigkeit k\u00f6nnte man wohl aus dem Wege gehen mit der Bemerkung, ein zu gro\u00dfer Blutdruck im Gehirn sei ebenso wenig f\u00fcr die Entstehung der Empfindungen g\u00fcnstig wie ein zu kleiner. Eine solche Annahme scheint mir aber unstatthaft. Es ist verst\u00e4ndlich, dass die Arbeit eines Organes sofort erschwert wird, wenn dasselbe zu wenig Nahrung erh\u00e4lt; h\u00f6chst unwahrscheinlich aber ist es, dass ein klein Wenig zu viel dieselbe Wirkung haben sollte. Und da es sich hier nur um solche kleine, vollst\u00e4ndig normale Blutdrucksschwankungen handelt, welche durch die Athmung verursacht werden, d\u00fcrfen wir gewiss nicht annehmen, dass das Reactionsminimum auf der H\u00f6he der Inspiration durch einen zu gro\u00dfen Blutdruck verursacht sei. Mir scheint wenigstens die Annahme nat\u00fcrlicher, dass die Innervation der Athmungsmuskeln hier eine Rolle spiele. Diese Innervation ist selbstverst\u00e4ndlich am gr\u00f6\u00dften in dem Augenblicke, wo die Inspiration ihr Maximum erreicht; es wird also eine gewisse Energiemenge des Gehirns hierzu verbraucht, und folglich kann nicht so viel Energie gleichzeitig zu andern Arbeiten angewandt werden. Das Auflodern der Empfindungen findet deshalb besonders schwierig auf der H\u00f6he der Inspiration statt. Die Richtigkeit dieser Erkl\u00e4rung zugegeben, k\u00f6nnen die verschiedenen Lagen der Reactionsmaxima leicht erkl\u00e4rt werden. Bei Lichtempfindungen z. B. zeigen die Figuren, dass das zweite Reactions-maximum der Inspirationsh\u00f6he sehr nahe ger\u00fcckt ist, n\u00e4her jedenfalls, als bei den andern Arten der Empfindungen. F\u00fcr das Auf lodern der Lichtempfindungen spielt aber die genaue Accommodation der Augenmuskeln verh\u00e4ltnissm\u00e4\u00dfig eine gro\u00dfe Rolle, und da die Innervation der Augenmuskeln wahrscheinlich durch die Innervation der Athmungsmuskeln erleichtert wird, f\u00e4llt das Reactionsmaximum hier dem Inspirationsgipfel relativ n\u00e4her. Bei Schallempfindungen, wo das n\u00e4mliche vielleicht erwartet werden k\u00f6nnte, finden wir dagegen, dass das zweite Maximum der Respirationspause n\u00e4her ger\u00fcckt ist. Hier muss also ein anderer Umstand das Uebergewicht haben, und die Selbstbeobachtung hat gezeigt, dass dieser im Ger\u00e4usch der Athmung zu suchen ist. Man kann sich leicht davon \u00fcberzeugen, dass das Ger\u00e4usch desto st\u00e4rker wird, je schneller die","page":85},{"file":"p0086.txt","language":"de","ocr_de":"86\nAlfred Lehmann.\nRespirationsbewegung verl\u00e4uft. Nun ist die Respirationscurve des Herrn O. eben besonders steil am Anf\u00e4nge der Inspiration ; f\u00fcr ihn ist also das Ger\u00e4usch hier am st\u00e4rksten, und in der vollst\u00e4ndigen Stille, die bei diesen Versuchen n\u00f6thig ist, st\u00f6rt dies nicht wenig. Deshalb liegt sein Reaetionsmaximum eben in der Respirationspause [Fig. 7], Auch f\u00fcr Herrn C. [Fig. 10] hat dieser Umstand unzweifelhaft dazu beigetragen, das zweite Reaetionsmaximum der Respirationspause n\u00e4her zu r\u00fccken, als es bei den \u00fcbrigen Reizen der Fall ist. Auf diese Weise k\u00f6nnen verschiedene Umst\u00e4nde die Lagen der Reactionsmaxima beeinflussen ; als allgemeines Gesetz kann aber festgehalten werden :\nDie f\u00fcr die Entstehung der minimalen Empfindungen relativ ung\u00fcnstigsten Respirationsphasen sind: einerseits die Respirationspause, wo der Blutdruck im Gehirn am kleinsten ist, anderseits die Respirationsh\u00f6he, wo wahrscheinlich die Energie des Gehirns f\u00fcr die Innervation der Athmungsmuskeln in Anspruch genommen ist.\nDiese Gesetzm\u00e4\u00dfigkeit erkl\u00e4rt leicht sowohl die pers\u00f6nlichen Differenzen zwischen den Reagenten bei den in Rede stehenden Versuchen als auch die sehr variablen Empfindungsschwankungen, wrelche mittelst der Methode der constanten Reactionen gefunden sind. Wir fangen nun damit an, die pers\u00f6nlichen Differenzen zu betrachten.\nDie Fig. 6\u201411 zeigen, dass die individuellen Unterschiede der Reagenten im allgemeinen folgenderma\u00dfen festgestellt werden k\u00f6nnen: der Bewusstseinszustand ist bei C. (Fig. 9\u201411) viel mehr von den physiologischen Ver\u00e4nderungen abh\u00e4ngig als bei O. (Fig. 6\u20148). W\u00e4hrend die Reactionsminima des Erstgenannten beinahe Null erreichen, gibt es bei weitem nicht einen so gro\u00dfen Unterschied zwischen den Maxima und Minima des Letzteren; die Reactionen sind hier viel gleichm\u00e4\u00dfiger unter die verschiedenen Respirationsphasen vertheilt. \u00bbDies ist aber eine nat\u00fcrliche Consequenz von dem Unterschiede in Betreff der Athmung, welcher sich w\u00e4hrend der Versuche bei den Reagenten zeigte und aus den Athmungscurven der Figuren ersehen werden kann. Ich habe schon oben darauf aufmerksam gemacht, dass die Respiration des Reagenten C. w\u00e4hrend der Versuche ihre nat\u00fcrliche Tiefe behielt, dagegen wurde sie bei Herrn O. sehr bald oberfl\u00e4chlich mit einer langen Pause zwischen Exspiration und","page":86},{"file":"p0087.txt","language":"de","ocr_de":"Lieber die Beziehung zwischen Athmung und Aufmerksamkeit.\n87\nInspiration. Hieraus folgt, dass weder die Ver\u00e4nderung des Blutdruckes, welche die Athmung verursacht, noch die Hirnenergie, die zur Innervation der Athmungsmuskeln gebraucht wird, besonders gro\u00df werden k\u00f6nnen, und folglich sind die Bedingungen g\u00fcnstiger f\u00fcr ein Auf lodern der Empfindungen in jedem Momente. Nichtsdestoweniger kann die gesetzm\u00e4\u00dfige Abh\u00e4ngigkeit der Reactionen von der Respiration auch hier deutlich ersehen werden.\nWir kommen nun schlie\u00dflich zur Erl\u00e4uterung der sehr variablen Reactionen, die nach der Methode des constanten Reagirens gefunden sind. Die elektrischen Empfindungen bieten hier den einfachsten Fall dar. indem wir schon aus den Reactionscurven hei elektrischer Reizung eine Abh\u00e4ngigkeit von der Respiration ersehen konnten. Dies ist auch leicht verst\u00e4ndlich, da die Sinnesorgane der Haut keine Accommodationsapparate besitzen, und folglich eine mehr oder weniger genaue Accommodation als Ursache der Empfindungsschwankungen nicht mitwirken kann. Indem die Schwankungen daher nur durch die Athmung, als einzige Ursache, hervorgerufen werden, treten die Reactionscurven so regelm\u00e4\u00dfig hervor, wie es Fig. 3 (Tafel I) zeigt. In einer g\u00fcnstigen Respirationsphase lodert die Empfindung auf und kann, nachdem sie erst merklich geworden ist, w\u00e4hrend einer img\u00fcnstigen Respirationsphase festgehalten werden; sie sinkt aber allm\u00e4hlich bis auf Null, um wieder unter den n\u00e4chsten g\u00fcnstigen Umst\u00e4nden aufzulodern. Oh das Erinnerungsbild der Empfindung zum Festhalten derselben beitr\u00e4gt, ist hier h\u00f6chst zweifelhaft. Erstens ist n\u00e4mlich das Erinnerungsbild einer Hautempfindung sehr undeutlich, und zweitens scheint mir eine gewisse Beobachtung gegen das Mitwirken des Erinnerungsbildes zu sprechen. In untenstehender Tabelle III sind die Resultate zweier Versuchsreihen gegeben, von welchen die erste mit einem Reiz der gew\u00f6hnlich angewandten Intensit\u00e4t, die zweite dagegen mit einer m\u00f6glichst schwachen Reizung ausgef\u00fchrt wurde. Die Schwankungen A sind in diesen F\u00e4llen von fast gleicher Dauer, die Empfindungen E sind aber bei der schwachen Reizung viel k\u00fcrzer, und die Empfindungspause P verh\u00e4ltnissm\u00e4\u00dfig l\u00e4nger als bei der st\u00e4rkeren Reizung. Dies ist leicht erkl\u00e4rlich, wenn die Schwankungen nur durch die Athmung verursacht sind. Eine schwache Empfindung wird dann schwerlich \u00fcber eine g\u00fcnstige ' Respirations-","page":87},{"file":"p0088.txt","language":"de","ocr_de":"88\nAlfred Lehmann.\nTabelle III.\nlleagent O. Constante Reactionen.\nE\u00eeektri seller Reiz\tAd\tz\t&\tE\tm Y | P\t\tPS\ni\t4,1\t19\t5,1\t4,1\t0,8\t1.0\t0,20\nii\t4,1\t20\t4,8\t2,8\t0,8\t2,0\t0,42\nphase hinaus verfolgt werden k\u00f6nnen, und deshalb wird die Dauer der einzelnen Empfindung kurz und die Pause verh\u00e4ltnissm\u00e4\u00dfig l\u00e4nger. Denkt man sich aber, dass das Erinnerungsbild mitwirke, so w\u00fcrde dies unzweifelhaft oft das Festhalten der Empfindung w\u00e4hrend einer ung\u00fcnstigen Respirationsphase verursachen. Eckener hat ja gefunden, dass bei akustischen Empfindungen, die deutlich erinnert werden k\u00f6nnen, eine kurze objective Unterbrechung der Reizung gar nicht merklich wird. Wo also ein deutliches Erinnerungsbild mitspielt, da k\u00f6nnen kleine Schwankungsursachen ihren Einfluss nicht geltend machen. Nun sehen wir aber aus Tabelle III, dass bei schwacher elektrischer Reizung die Empfindungen au\u00dferordentlich kurz werden. Noch deutlicher geht dies aus Fig. 2 (Tafel I) hervor, die eben einen Theil der besprochenen Reactionscurve darstellt. Man sieht hier, dass die Empfindungen \u00fcberall momentan auflodern in einer g\u00fcnstigen Respirationsphase und fast niemals \u00fcber eine solche hinaus dauern. Bei elektrischer Reizung scheinen die Empfindungsschwankungen somit nur durch die Athmung vei-ursacht zu sein.\nAnders stellt sich die Sache beim constanten Registriren optischer und akustischer Empfindungen. Wir haben schon gesehen (Tabelle I), dass diese Empfindungen bei weitem nicht so ahh\u00e4ngig von der Athmung sind wie die elektrischen Empfindungen. Dass jedoch die Respiration auch hier mitspielt, kann leicht aus Fig. 1 ersehen werden. Nachdem wir nun gefunden haben, dass Exspiration und Inspiration die f\u00fcr die Empfindung g\u00fcnstigen Phasen sind, ist es leicht zu bemerken, dass die Gipfel der Reactionscurve fast durchg\u00e4ngig in der Figur unter die genannten Respirationsphasen fallen. Selbst wenn die Curve nicht die Nulllinie erreicht, sinkt sie gew\u00f6hnlich ein wenig in den ung\u00fcnstigen Athmungsphasen.","page":88},{"file":"p0089.txt","language":"de","ocr_de":"\u00fceber die Beziehung zwischen Athmung und Aufmerksamkeit.\t89\nWeshalb ist aber die Reactionscurve hier so unregelm\u00e4\u00dfig? W\u00e4ren die Schwankungen nur durch die Athmung bedingt, so m\u00fcssten die Curven unzweifelhaft denjenigen \u00e4hnlich sein, welche hei elektrischer Reizung erhalten werden. Es muss also hier wenigstens noch eine Ursache mitwirken, welche, indem sie mit der Athmung inter-ferirt, die unregelm\u00e4\u00dfigen Wellen hervorbringt. Das Erinnerungsbild der Empfindung spielt wahrscheinlich hierbei eine Rolle. Erinnerungsbilder optischer und akustischer Empfindungen sind gew\u00f6hnlich recht deutlich, und sie k\u00f6nnen, wie Eckener nachwies, den Einfluss kurz dauernder Schwankungsursachen aufheben. Da es nun eben aus Tabelle I hervorgeht, dass die minimalen Empfindungen bei Licht- und Schallreizen verh\u00e4ltnissm\u00e4\u00dfig l\u00e4nger dauern als bei elektrischer Reizung, so ist es nicht unwahrscheinlich, dass diese gr\u00f6\u00dfere Dauer dem Erinnerungsbilde zugeschrieben werden muss. Hiermit ist aber nicht alles erkl\u00e4rt; im Gegentheil, die Sache scheint noch complicirter zu werden. Wenn n\u00e4mlich das Erinnerungsbild der Empfindung dann und wann zu verhindern vermag, dass die Empfindung w\u00e4hrend einer ung\u00fcnstigen Respirationsphase verschwindet, so entsteht nat\u00fcrlich die Frage, warum es dies nicht immer thut. Wie die Curven zeigen, sinkt die St\u00e4rke der Empfindung nicht einmal immer in den ung\u00fcnstigen Athmungs-phasen; kann das Erinnerungsbild wirklich diese Illusion hervorbringen, dass die Empfindung in voller Intensit\u00e4t da ist, dann sollte man erwarten, dass Schwankungen solcher Empfindungen, die deutlich erinnert werden, \u00fcberhaupt nicht eintreten k\u00f6nnten. So verh\u00e4lt es sich aber nicht, und es muss deshalb noch eine dritte, mitwirkende Ursache angenommen werden.\nMan beobachtet leicht, wie schon Eckener richtig bemerkt hat, dass genau ebenmerkliche Reize f\u00fcr diese Versuche nicht sehr geeignet sind; die Empfindungspausen werden dann unverh\u00e4ltniss-m\u00e4\u00dfig lang. Die Reize d\u00fcrfen deshalb nicht die m\u00f6glichst kleine, nur in wenigen Augenblicken merkliche Gr\u00f6\u00dfe haben, sondern sie werden am besten etwas st\u00e4rker genommen1). Wird nun der Reiz immer st\u00e4rker gemacht, h\u00f6ren die Empfindungsschwankungen daher\n1) Was \u00fcbrigens hei\u00dft eigentlich \u00bbebenmerklich\u00ab, wenn selbst \u00fcbermerkliche Reize zeitweise unmerklich werden?","page":89},{"file":"p0090.txt","language":"de","ocr_de":"90\nAlfred Lehmann.\nnicht pl\u00f6tzlich auf, sie werden jedenfalls nur seltener, und selbst wenn der Reiz eine bedeutende Intensit\u00e4t erreicht hat, kann eine Schwankung der Empfindung dann und wann eintreten. Nehmen wir ein bestimmtes Beispiel. Ich sitze zwischen zwei Lampen, die ein wei\u00dfes, 1 mm gro\u00dfes Quadrat auf schwarzem Hintergr\u00fcnde in 5 m Entfernung belichten. In dieser Entfernung vermag ich eben das Quadrat in einzelnen, gl\u00fccklichen Momenten zu sehen. Wird nun das tiefschwarze Papier mit dem wei\u00dfen Quadrat in 2,5 m Entfernung aufgestellt, so ist das Object also viermal st\u00e4rker beleuchtet, und au\u00dferdem ist der Abstand vom Auge auf die H\u00e4lfte verk\u00fcrzt; nun sehe ich das Object constant. Nachdem ich aber dasselbe zwei Minuten fest angestarrt habe, verschwindet es pl\u00f6tzlich, um bald wieder aufzutauchen, und von Zeit zu Zeit tritt dann wieder ein solches pl\u00f6tzliches Verschwinden ein. In diesem extremen Falle r\u00fchrt die Schwankung zweifelsohne von M\u00fcdigkeit der Muskeln her; die Accommodations- und Riehtungsmuskeln des Auges zittern ganz so wie die Armmuskeln, wenn ich den Arm 2\u20143 Minuten wagerecht ohne Unterst\u00fctzung gehalten habe. Eine kurze Unterbrechung reicht aber hin, um sie wieder leistungsf\u00e4hig zu machen. Dass wirklich die Riehtungsmuskeln des Auges zittern, kann man selbst leicht \u00bbf\u00fchlen\u00ab; dass auch die Accommodationsmus-keln erm\u00fcdet sind, schlie\u00dfe ich daraus, dass das verschwinden der Empfindung immer damit eingeleitet wird, dass der Gegenstand verschwommen wird und sich anscheinend vergr\u00f6\u00dfert. Dies ist bekanntlich die einfache Folge einer ungenauen Accommodation.\nEs leuchtet nun ein, dass h\u00f6chst wahrscheinlich das Zittern der Augenmuskeln einen Einfluss aus\u00fcbt auch vor dem Augenblicke, wo es geradezu \u00bbf\u00fchlbar\u00ab wird. Bei minimaler Reizung wird eine kleine Ungenauigkeit der Accommodation vollst\u00e4ndig ausreichen, um den Reiz unmerklich zu machen, besonders wenn sie mit einer ung\u00fcnstigen Athmungsphase zusammenf\u00e4llt. Da aber das Zittern von der Reizgr\u00f6\u00dfe unabh\u00e4ngig ist, so k\u00f6nnen wir erwarten, dass kleine Ver\u00e4nderungen der Reizgr\u00f6\u00dfe keinen Einfluss auf die Empfindungsdauer aus\u00fcben werden. Nur die Empfindungspausen m\u00fcssen wahrscheinlich gr\u00f6\u00dfer werden, weil der kleine Reiz schwieriger wieder gefunden werden kann, wenn die Empfindung wegen ungenauer Accommodation verschwunden ist. So verh\u00e4lt es sich nun","page":90},{"file":"p0091.txt","language":"de","ocr_de":"lieber die Beziehung zwischen Athmung und Aufmerksamkeit.\t91\nauch in der That. In Tabelle IV sind die Resultate einer Versuchsreihe gegeben, die eben angestellt wurde, um \u00fcber diesen Punkt Aufschl\u00fcsse zu erhalten. Die Versuchsanordnung war die oben beispielsweise angef\u00fchrte. Das Object war ein wei\u00dfes Quadrat auf schwarzem Hintergr\u00fcnde, und die Reizgr\u00f6\u00dfe wurde dadurch ge\u00e4ndert, dass das Object in verschiedenen Entfernungen von den Lampen und dem zwischen denselben sitzenden Beobachter aufgestellt wurde. Als Reagent fungirte bei diesen Versuchen Dr. Lange.\nTabelle IV.\nReagent L. Constante Reactionen.\nEntfernung des\ti Ad Objectes ]\t\tz\ts\tE\t\u25a0m V\tP\tP\\S\n383 cm\t3,3\t18\t5,2\t4,7\t2,4\t0,5\t0,10\n395 \u00bb\t3,0\t4S\t6,0\t4,9\t2,4\t1,1\t0,18\n407 \u00bb\t2,8\t84\t5,8\t4,2\t2,0\t1,6\t0,28\n422 \u00bb\t3,2\t28\t6,7\t4,4\t2,1\t2,3\t0,34\n430 \u00bb\t3,3\t13\t7,5\t4,5\t2,2\t3,0\t0,40\nIn der ersten Columne sind die Entfernungen des Objectes angegeben, und da die Reizgr\u00f6\u00dfe abnimmt, wenn die Entfernung w\u00e4chst, so sieht man, dass die totale Schwankungsdauer durchgehend w\u00e4chst, wenn die Reizgr\u00f6\u00dfe abnimmt. Dies Wachsen der Schwankungsdauer f\u00e4llt jedoch ausschlie\u00dflich auf die Empfindungspause _P; die Empfindungsdauer E ist fast constant. Sehr deutlich geht dies aus der letzten Columne hervor, wo das Verh\u00e4ltniss P/S gegeben ist.\n\u00ab \u00bbemerkenswerth ist es \u00fcbrigens, dass die Empfindungsdauer bei den zwei st\u00e4rksten Reizen, den Entfernungen 383 und 395 cm, schon etwas gr\u00f6\u00dfer ist als bei den \u00fcbrigen. Hier ist also der Reiz so stark gewesen, dass die Accommodationsschwankung in Verbindung mit einer ung\u00fcnstigen Athmungspause verh\u00e4ltnissm\u00e4\u00dfig seltener im Stande war, ein Verschwinden der Empfindung herbeizuf\u00fchren. Bei noch gr\u00f6\u00dferen Reizen tritt dies immer seltener ein, weil, wie","page":91},{"file":"p0092.txt","language":"de","ocr_de":"92\nAlfred Lehmann.\nschon oben gesagt, das Verschwinden dann eine noch st\u00e4rkere hr-m\u00fcdung der Muskeln erfordert.\nDas Resultat dieser Untersuchungen ist also, dass die Schwankungen der Lichtempfindungen und wahrscheinlich auch der Schallempfindungen durch die Athmung in Verbindung mit dem Zittern der Accommodationsmuskeln verursacht sind. Das Erinnerungsbild der Empfindung wirkt diesen beiden Schwankungsursachen entgegen, und durch das Interferiren dieser drei Factoren erhalten die Schwankungen ihren regellosen Charakter.\nUnter besonderen Umst\u00e4nden k\u00f6nnen andere Ursachen mit-wirken. Wenn man z. B. bei elektrischer Reizung die eine Elektrode \u00fcber eine Radialarterie legt, erh\u00e4lt man eine Schwankungscurve wie Fig. 4, wenn momentan registrirt wird. Das Auflodern der Empfindung findet hier genau bei jeder Pulsation statt, was auch nicht merkw\u00fcrdig ist, da die Pulsation die Ber\u00fchrung mit der Elektrode inniger macht, womit die Stromst\u00e4rke w\u00e4chst. Solche Schwankungen sind also eigentlich nur durch eine fehlerhafte Versuchsanordnung herbeigef\u00fchrt. Die Resultate Dessoir\u2019s k\u00f6nnen leider auch kaum anders erkl\u00e4rt werden, da er eben die W\u00e4rme auf den Ort der Pulsation der linken Radialarterie ein wirken lie\u00df. Die Schwankungen variirten hier \u00bbinnerhalb der Grenzen von 2\t8 Secunden\nohne jede erkennbare Gesetzm\u00e4\u00dfigkeit\u00ab........ \u00bbAugenscheinlich\nwaren Frequenz und St\u00e4rke der Pulsation, sowie \u00fcberhaupt die Ver\u00e4nderungen im Kreisl\u00e4ufe von entscheidendem Einfl\u00fcsse\u00ab .... Dies ist wohl nicht besonders merkw\u00fcrdig, wenn der Reiz auf die n\u00e4chste Umgebung der pulsirenden Arterie wirkt.\nSchlie\u00dflich m\u00f6chte ich noch eine interessante Thatsache erw\u00e4hnen. Es ist bekannt, dass Kinder, welche an Nasenverstopfung leiden und folglich gen\u00f6thigt sind, durch den Mund zu athmen, fast immer unf\u00e4hig sind, ihre Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Gegenstand zu lenken. Verschiedene hypothetische Erkl\u00e4rungen dieser \u00bbAprosexia bei behinderter Nasenathmung\u00ab sind aufgestellt worden; die oben mitgetheilten Versuchsresultate scheinen wenigstens einen Beitrag zur Erkl\u00e4rung der Sache gehen zu k\u00f6nnen. Wir haben gesehen, dass die minimalen Empfindungen sehr leicht ver-\n1) Arch. f. Anat. u. Physiol. Phys. Abth. 1892. S. 259.","page":92},{"file":"p0093.txt","language":"de","ocr_de":"Deber die Beziehung zwischen Athmung und Aufmerksamkeit.\t93\nschwinden, wenn die Athmungsmuskeln am st\u00e4rksten innervirt sind; diese Arbeit ist also \u00fcberhaupt ung\u00fcnstig f\u00fcr das aufmerksame Festhalten einer Vorstellung, weshalb wohl auch gew\u00f6hnlich die Athmung oberfl\u00e4chlich wird hei angestrengtem Denken. Da nun bei Nasenverstopfung nicht nur die Athmungsmuskeln, sondern viele andere Muskeln zugleich arbeiten m\u00fcssen, um Luft in die Lungen hineintreten zu lassen, so ist es leicht verst\u00e4ndlich, dass eine gleichzeitige Concentration der Aufmerksamkeit fast unm\u00f6glich wird.\nTheoretische Schlussheinerkimgen.\nNachdem wir jetzt gesehen haben, dass alle diejenigen Factoren, welche von fr\u00fcheren Forschern auf diesem Gebiete mehr oder minder einseitig als Ursache der Empfindungsschwankungen angenommen wurden, sich wahrscheinlich beim Hervorbringen der Erscheinung beth\u00e4tigen, entsteht nat\u00fcrlich die Frage, ob nun diese Schwankungen Aufmerksamkeitsschwankungen genannt werden d\u00fcrfen. Beim ersten Blick scheint es, als ob die Antwort ganz von den theoretischen Ansichten abh\u00e4ngig sein w\u00fcrde, mit welchen man zur Beantwortung geht. Wer die Aufmerksamkeit, oder richtiger das aufmerksame Festhalten einer Vorstellung, nur als Resultat bekannter physiologischer und psychophysischer Processe ansieht, kann augenscheinlich kein Bedenken tragen, die in Rede stehenden Schwankungen Aufmerksamkeitsschwankungen zu nennen, weil, nach seiner Ansicht, das Appercipiren einer Vorstellung eben durch Blutdruckver\u00e4nderungen, Muskelinnervationen etc. verursacht wird. Wer aber zur Annahme einer besonderen, psychophysischen Apperceptionsth\u00e4tig-keit neigt, wird schwerlich die besprochenen Schwankungen Aufmerksamkeitsschwankungen nennen, weil sie gar nicht Schwankungen der angenommenen Apperceptionsth\u00e4tigkeit, sondern durch ganz andere Ursachen herbeigef\u00fchrt sind. Bedenkt man aber, dass eine Apperceptionsth\u00e4tigkeit doch immer als psychophysischer Vorgang, d. h. von centralen Erregungen abh\u00e4ngig, gedacht werden muss, so leuchtet es ein, dass ein solcher Vorgang auch von verschiedenen physiologischen Ver\u00e4nderungen beeinflusst wird. Wenigstens die, durch die Athmung verursachten, Blutdruckver\u00e4nderungen im Gehirn m\u00fcssen ihren Einfluss auf die Apperceptionsth\u00e4tigkeit geltend","page":93},{"file":"p0094.txt","language":"de","ocr_de":"94\nAlfred Lehmann.\nmachen, und die nachgewiesene Abh\u00e4ngigkeit der Empfindungs-Schwankungen von der Athmung l\u00e4sst sich demnach leicht als eine Abh\u00e4ngigkeit der Apperception von der Athmung erkl\u00e4ren. Und ferner schlie\u00dft die Annahme einer besonderen Apperceptionsth\u00e4tig-keit nat\u00fcrlich nicht aus, dass einer Aufmerksamkeitsabspannung durch Erm\u00fcdung von Accommodationsmuskeln und dergleichen vorgearbeitet werden k\u00f6nne. Es zeigt sich also, dass die beiden Theorien \u00fcber die Natur der Aufmerksamkeit mit den hier nachgewiesenen Thatsachen in Uebereinstimmung gebracht werden k\u00f6nnen. Daraus folgt aber einfach, dass diese Thatsachen uns nichts \u00fcber die Natur der Aufmerksamkeit lehren au\u00dfer dem, wohl von Niemand bestrittenen Satze, dass auch die Aufmerksamkeit von organischen Processen abh\u00e4ngig ist.\nEine ganz andere Frage ist es, ob nicht die eine Theorie voider anderen einen Vorzug habe, wenn wir uns dar\u00fcber Rechenschaft zu geben suchen, was eigentlich geschieht, wenn die Aufmerksamkeit auf irgend einen psychischen Zustand concentr\u00e2t wird. Dies kann wohl mittelst der Annahme einer besonderen Appercep-tionsth\u00e4tigkeit erreicht werden, jedoch scheint wenigstens mir die Sache verst\u00e4ndlicher, wenn man annimmt, dass die Steigerung des psychischen Zustandes durch ein Zusammenwirken von vasomotorischen Ver\u00e4nderungen, Muskelinnervationen u. dergl. verursacht werde. Au\u00dferdem ist dadurch gewonnen, dass die Hypothese experimentell gepr\u00fcft, und also schlie\u00dflich best\u00e4tigt oder beseitigt werden kann. Nun hat j\u00fcngst Prof. Wundt nachgewiesen, dass die anormalen, einseitigen Steigerungen verschiedener Th\u00e4tigkeiten in der Hypnose durch eine functionelle, neurodynamische Ausgleichung in Verbindung mit vasomotorischen Reflexen erkl\u00e4rt werden k\u00f6nnen1). Die hypnotischen Steigerungen der Th\u00e4tigkeiten sind indessen kaum mehr als intensiv verschieden von derjenigen normalen Steigerung, welche durch eine sogenannte Aufmerksamkeits-concentration erreicht wird; jedenfalls sind sie der letzteren so \u00e4hnlich, dass die Annahme berechtigt ist, die physiologischen Ursachen seien dieselben und nur intensiv verschieden. Eben deshalb habe ich fr\u00fcher die naheliegende Hypothese aufgestellt, dass\n1) Phil. Stud. VIII, S. 42 ff.","page":94},{"file":"p0095.txt","language":"de","ocr_de":"Heber die Beziehung zwischen Athmuug und Aufmerksamkeit.\t95\n* lie Steigerung der psychischen Zust\u00e4nde, welche der Aufmerksamkeit zugeschrieben wird, haupts\u00e4chlich durch vasomotorische Reflexe verursacht werde \u2019), und demnach habe ich den Nachweis versucht, dass diese Hypothese die hypnotischen und die verwandten normalen Erscheinungen erkl\u00e4ren k\u00f6nne. Dass der von mir gew\u00e4hlte Weg der Deduction nicht gl\u00fccklich gewesen ist, gebe ich nach den kritischen Bemerkungen Wundt\u2019s1 2) gern zu; ebenso dass Wundt\u2019s SPrincip der functionellen Ausgleichung\u00ab vielleicht noch gr\u00f6\u00dfere Bedeutung hat als die Hypothese der vasomotorischen Wirksamkeit. Die Hauptsache ist nur, dass eine Theorie der Aufmerksamkeit aufgestellt wird, die einerseits verwandte, normale und anormale Erscheinungen auf dieselbe Weise erkl\u00e4rt, und anderseits einer experimentellen Pr\u00fcfung unterworfen werden kann. Diesen Forderungen entspricht vollst\u00e4ndig Wundt\u2019s Erkl\u00e4rung der hypnotischen Erscheinungen, welche sich leicht erweitern l\u00e4sst, und es leuchtet ein, dass die oben dargestellten Yersuchsresultate jedenfalls nicht gegen eine solche Theorie sprechen.\n1)\tDie Hypnose und die damit verwandten normalen Zust\u00e4nde. 1890.\n2)\tPhil. Stud. VIII, S. 21.","page":95},{"file":"p0150s0001table1.txt","language":"de","ocr_de":"Wandt,Fh\u00fcosopMschc Studien. IX.Band. FLg.J.\nTtif.I.\nFig. 6.0. Licht.\n\u00e7 1\t?\nFig. 7. 0. Sch all\n/tarn\n7 s a to\n0 1\n5 0\t1\t8\t9\t10\n2 ,?\n\"Verlag v.Willi. Entmann.Leipzig.\nLi tK.An\u00a3t, Julius Klmkli\u00c4rdt,! eipziu.\nAlfr. Lehmann, iel.","page":0}],"identifier":"lit4226","issued":"1893","language":"de","pages":"66-95","startpages":"66","title":"Ueber die Beziehung zwischen Athmung und Aufmerksamkeit","type":"Journal Article","volume":"9"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:26:10.093444+00:00"}