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{"created":"2022-01-31T12:36:12.608631+00:00","id":"lit4242","links":{},"metadata":{"alternative":"Philosophische Studien","contributors":[{"name":"Thi\u00e9ry, Armand","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Philosophische Studien 12: 67-126","fulltext":[{"file":"p0067.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber geometrisch-optische T\u00e4uschungen.\nVon\nArmand Thi\u00e9ry.\n(Schluss.)\nMit 42 Figuren im Text.\n\u00a7 3. T\u00e4uschungen an ungleichen Figuren, welche von parallelen Transversalen geschnitten werden;\n(M\u00fcller-Lyer\u2019sche Figuren.)\nWir bemerken an Fig. 34 (Bd. XI, S. 617), dass die in \u00a7 2 verglichenen geraden Linien als Basen eines Trapezes betrachtet werden k\u00f6nnen, durch dessen convergente Linien die beiden anderen Seiten gebildet werden ; ebenso bilden die St\u00e4bchen unseres Modells (Fig. 31, ebend. S. 608) die Basen eines Trapezes. In einem und demselben Trapez erscheint nun eine auf der k\u00fcrzeren Basis gemessene Strecke gr\u00f6\u00dfer, als die gleich gro\u00dfe Strecke auf der l\u00e4ngeren Basis. Dieser Einfluss der convergenten Linien in einem und demselben Trapez ist demjenigen Einfl\u00fcsse analog, den wir bei zwei identischen Trapezen festgestellt haben. Bei diesen lie\u00dfen die con-vergirenden Linien eines Trapezes die andere Figur, nach welcher sie convergirten, gr\u00f6\u00dfer erscheinen. (Ygl. Fig. 29 S. 605.) Obgleich aber diese beiden Einfl\u00fcsse analog sind, lassen sie sich doch als zwei verschiedene T\u00e4uschungsursachen unterscheiden. Jede dieser Ursachen kann n\u00e4mlich f\u00fcr sich allein wirken, und beide k\u00f6nnen entweder in derselben oder in entgegengesetzter Richtung wirken.\nBei unseren Experimenten mit zwei gleichen Trapezen haben wir schon die eine Ursache isolirt ; denn dabei wurden die gr\u00f6\u00dferen oder die kleineren Basen der Trapeze mit einander verglichen. Die\n5*","page":67},{"file":"p0068.txt","language":"de","ocr_de":"68\nArmand Thi\u00e9ry.\neinzige T\u00e4uschungsursache war der Einfluss der convergirenden Linien des einen Trapezes auf das andere. Es bleiben daher noch folgende F\u00e4lle zu untersuchen \u00fcbrig: 1) Beide T\u00e4uschungsursachen wirken in derselben Richtung; 2) sie wirken in entgegengesetzter Richtung; 3) es wird diejenige T\u00e4uschungsursache f\u00fcr sich allein untersucht, durch welche eine auf der kleineren Basis eines Trapezes gemessene Strecke gr\u00f6\u00dfer erscheint, als die gleiche auf der gr\u00f6\u00dferen Basis.\n1) Beide T\u00e4uschungsursachen wirken in einer und derselben Richtung. Man erinnert sich der vier Transversalen in der Z\u00f6llner\u2019sehen Figur, vermittels deren wir die gleichen Trapeze gebildet haben (Fig. 28, S. 605). Das von dieser T\u00e4uschung Gesagte wird auch dann noch Anwendung finden,, wenn wir die\n\u00df\tvier Transversalen A C,\nn.\tB D, ac, bd in der Weise\n---\u2014construiren, dass AB =\ncd ist (Fig. 35). Obwohl diese beiden Gr\u00f6\u00dfen gleich sind, erscheint ^\tdem Auge A B gr\u00f6\u00dfer\nals cd.\nDie Gr\u00f6\u00dfe dieser T\u00e4uschung bestimmten wir wie zuvor. Beide \u25a0Trapeze waren 4 cm hoch, dasjenige, nach welchem die nicht parallelen Seiten convergirten, war das gr\u00f6\u00dfere, seine Basen waren constant und glichen 30 resp. 20 cm. Die Vergleichung der Basis von 20 cm mit der gr\u00f6\u00dferen Basis des anderen Trapezes ergab:\nTabelle XXXVIII.\n\t90\u00b0\t135\u00b0\nBeobachter A B H\t231,3\t4,1 232,5\t2,7 233,9\t0,9\t209.7\t2,5 211,5\t3,2 217.7\t2,9\nDiese Zahlen sind bedeutend gr\u00f6\u00dfer als diejenigen bei den gleichen Trapezen (Fig. 29, S. 605), was wohl anzeigt, dass hier noch eine weitere T\u00e4uschungsursache hinzugekommen ist. Wie bei","page":68},{"file":"p0069.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber geometrisch-optische T\u00e4uschungen.\t69\nden gleichen Trapezen erscheint auch hier eine auf dem gr\u00f6\u00dferen Trapez gemessene Strecke gr\u00f6\u00dfer als eine gleiche auf dem kleineren Trapez gemessene, weil letzteres in der Richtung liegt, nach welcher die nicht parallelen Seiten des ersteren convergiren. AB erscheint also gr\u00f6\u00dfer als cd. Ueberdies wird aber die kleine Basis des gr\u00f6\u00dferen Trapezes durch dieselbe Strecke AB = cd gebildet. Nun haben wir gesehen, dass die kleinere Basis eines Trapezes gr\u00f6\u00dfer und die gr\u00f6\u00dfere kleiner erscheint, als sie wirklich ist; daher erscheint wiederum AB gr\u00f6\u00dfer als cd, d. h. beide T\u00e4uschungsursachen unterst\u00fctzen sich gegenseitig.\nBei gleichen Trapezen bewirkten die convergenten Linien, dass jenes Trapez, nach welchem hin dieselben convergirten, entfernter schien als das andere. Au\u00dfer diesem Einfluss \u00fcben die convergenten Linien noch einen weiteren auf die Lage der einen Basis im Vergleiche zur zweiten Basis eines und desselben Trapezes aus, den wir bereits untersucht haben. An demselben Trapez erscheint die kleinere Basis durch eine Vorstellungsassociation entfernter und daher gr\u00f6\u00dfer als eine gleich gro\u00df gemessene Strecke auf der l\u00e4ngeren Basis. Bei zwei gleichen Trapezen vergleicht man die beiden gleichen Basen der Trapeze unter sich, die gr\u00f6\u00dfere mit der gr\u00f6\u00dferen, die kleinere mit der kleineren (Fig. 29). Der Einfluss der convergenten Linien bleibt dann bei beiden Vergleichungen derselbe, und die entfernter gesehene Linie muss auch hier wieder gr\u00f6\u00dfer erscheinen. Bei ungleichen Trapezen jedoch vergleichen-wir umgekehrt die kleinere Basis des einen mit der gr\u00f6\u00dferen des andern. Hier ist der Einfluss der convergenten Linien auf jede der verglichenen Linien AB und cd ein ganz verschiedenartiger. Bei dem Trapez I (Fig. 35) rufen die convergenten Linien ac und bd die Association hervor, als ob cd dem Beobachter n\u00e4her liege als ab ; und ebenso rufen bei dem Trapez II die convergenten Linien AC und BD die Association hervor, als ob AB dem Beobachter ferner w\u00e4re als CD. In Folge dessen muss also AB erheblich gr\u00f6\u00dfer erscheinen als cd.\n2. Beide T\u00e4uschungsursachen wirken in entgegengesetzter Richtung. Die vier Trapeze AB CD, EFGH, abcd und efgh (Fig. 36) werden, wie die Figur zeigt, combinirt; anstatt jedoch die Basen AD und ad, F G und fg zu ziehen, construiren","page":69},{"file":"p0070.txt","language":"de","ocr_de":"70\tArmand Thi\u00e9ry\nwir zwischen je zwei Trapezen Rechtecke. Auf diese Weise sind\ndie L\u00e4ngen BC und bc, EH und eh der zu vergleichenden Basen durch ein die Mitte der Figur einnehmendes Rechteck gegeben, was die Genauigkeit der vorzunehmenden Messungen erleichtert. Das Rechteck II hatte eine constante L\u00e4nge von 20 cm. Wie fr\u00fcher bezeichnen wir auch hier durch 0\u00b0 die durch die Figur dargestellte Lage und in Graden die Umdrehung der Zeichnung in ihrer Ebene.\nTabelle XXXIX. Beobachter A.\n0\u00b0\t90\u00b0\tC O 00 T\u20141\n193,3\t0,7\t198,5\t1,0\t195,0\t0,5\nHieraus ersieht man, dass die T\u00e4uschung dieselbe ist, wie bei gleichen Trapezen. Figur I, nach welcher sich die convergenten Linien richten, erscheint gr\u00f6\u00dfer.v\nNunmehr lie\u00dfen wir die convergenten Linien EF, GH, ab und cd weg und erhielten hierdurch die Figur 37. Die daran vorgenommenen Messungen ergaben folgende Zahlen:\nTabelle XL.\n\t0\u00b0\t\t90\u00b0\t180\u00b0\t\nBeobachter S\t208,1\t2,0\t200,7\t0,7\t189,8\t1,6\nA\t204,3\t\t200,6 1,0\t'196,6\t1,0\nFig. 36.","page":70},{"file":"p0071.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber geometrisch-optische T\u00e4uschungen.\n7t\nHieraus ersieht man, dass 1) bei 180\u00b0 die Figur I, nach der die Seiten convergiren, gr\u00f6\u00dfer als Figur II, und 2) bei 0\u00b0 und 90\u00b0 umgekehrt die Figur I kleiner erscheint als die Figur II. Bei 180\u00b0 iiberwiegt offenbar der Einfluss, welchen die convergenten Linien einer Figur auf die andere ausiiben; das Auge durchl\u00e4uft die Figuren von dem niedrigsten Punkt des Gesichtsfeldes aus und begegnet dabei zun\u00e4chst der Gegend, wo die Linien AB,\nCD, ef, gh convergiren.\nDiese Convergenz ist es, die besonders auff\u00e4llt und die beiden Figuren in ihrer relativen Lage zum Convergenz-punkt betrachten l\u00e4sst. Die jenem Punkte am n\u00e4chsten gelegene, also scheinbar entfernteste Figur I erscheint demnach gr\u00f6\u00dfer, genau so, wie es bei den beiden gleichen oder bei den vier combinirten Trapezen der Fall war. Bei 0\u00b0 und 90\u00b0 hingegen erscheint die Figur I kleiner. Da n\u00e4mlich die gerade Linie eh in der Dichtung liegt, in welcher die Geraden ef und gh divergiren, so erscheint sie k\u00fcrzer; BC aber erstreckt sich in der Richtung, nach welcher die Geraden AB und CD convergiren, und erscheint daher l\u00e4nger. Dies stimmt mit den Beobachtungen \u00fcberein, die wir an einer geraden Linie, nach der mehrere andere Linien convergiren, gemacht haben. Der Unterschied zwischen den Zahlen bei 0\u00b0 und 90\u00b0 einerseits und bei 180\u00b0 andererseits beruht somit darauf, dass man dort jede Figur f\u00fcr sich allein in Bezug auf die convergenten Linien dieser Figur, hier beide Figuren in ihrem Verh\u00e4ltniss zu einander und zu den convergenten Linien beachtet.\n3. Die Uebersch\u00e4tzung der kleineren Basis eines Trapezes im Verh\u00e4ltniss zu einer geich gro\u00dfen Strecke auf der l\u00e4ngeren Basis eines andern Trapezes ohne Nebeneinfl\u00fcsse betrachtet. In diesem dritten Fall untersuchen wir eine Anordnung, bei welcher die Basen des einen Trapezes in der\nFig. 37.","page":71},{"file":"p0072.txt","language":"de","ocr_de":"72\nArmand Thi\u00e9ry.\nVerl\u00e4ngerung der Basen des anderen liegen (Fig. 38). In dieser Anordnung verlieren die nicht parallelen Seiten des einen Trapezes ihren oben constatirten Einfluss auf das andere Trapez, da letzteres nicht in der Richtung der convergenten Seiten des ersteren liegt. Trotzdem ist auch hier eine T\u00e4uschung zu beobachten: die gr\u00f6\u00dfere Basis des kleineren Trapezes erscheint kleiner als die gleich gro\u00dfe kleinere Basis des gr\u00f6\u00dferen Trapezes. Die Ursache dieser T\u00e4uschung liegt in dem Einfl\u00fcsse, den die convergirenden Seiten eines jeden Trapezes in demselben aus\u00fcben. Um zu beweisen, dass diese T\u00e4uschungsursache von der andern, die in dem Verh\u00e4ltnis der beiden Trapeze zu einander ihren Grund hat, ganz unabh\u00e4ngig ist, sind die zwei Trapeze so angeordnet, dass sie in der Verl\u00e4ngerung\na' ~b\u2018\tA\tb\nFig. 38.\nzu einanander liegen (Fig. 38). Wenn man nun in dieser Anordnung zwei gleiche Trapeze mit einander vergleicht, so l\u00e4sst sich keine T\u00e4uschung beobachten.\nVergleicht man die ungleichen Trapeze in Fig. 38 mit der in Fig. 39 theilweise wiedergegebenen Z\u00f6llner\u2019schen Figur, so ergibt p p E E sich, dass dieselben einen Theil dieser Figur bilden. In der That ist die T\u00e4uschungsursache hier dieselbe wie dort. Wir haben bereits oben gesehen, dass die Theile CD und A' B' (Fig. 39) in der Entfernung zu liegen und in Folge dessen auch die parallelen Geraden PC, PD, CE und D'E je nach CD und nach EE zu divergiren scheinen. In Folge dieser Divergenz erscheint dann die Strecke CD gr\u00f6\u00dfer als C'D'.\nNach dem fr\u00fcher bei der Z\u00f6llner\u2019schen Figur Gesagten sind wir nun geneigt, einerseits die Linie PD \u00fcber EC, anderseits die Linie BD \u00fcber A'C' liegend zu sehen. In Folge dessen ist f\u00fcr die \u00fcber einander liegenden geraden Linien eine doppelte Inter-\n\t/\t. / \\\n\t/*\t\n\t/\tV N \u2022\nD\nC\nD\nFig. 39.","page":72},{"file":"p0073.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber geometrisch-optische T\u00e4uschungen.\n73\npretation m\u00f6glich, \u00e4hnlich wie bei der Schr\u00f6der\u2019schen Treppenfigur. Betrachtet man n\u00e4mlich die geraden Linien PC und AC, so werden die mit ihnen \u00fcbereinstimmend liegenden geraden Linien, wie ED' und BD', auch \u00fcbereinstimmend mit PC und AG interpretirt, die Punkte PE und B'A der beiden Geraden PC und ED' werden also n\u00e4her gesehen als die Punkte D'C. Dagegen werden, wenn man die geraden Linien ED' und B'D' betrachtet, die mit ihnen \u00fcbereinstimmenden geraden Linien nach ED' und B'D' interpretirt; es werden daher die Punkte PE und B'A entfernter erscheinen als die Punkte D\u2019C.\nDurch diese doppelte Interpretation entsteht eine Unbestimmtheit des Urtheils, indem ein und derselbe Punkt ebenso wohl in der Entfernung und in der N\u00e4he gesehen werden kann, sohin eine Umkehrung des perspectiven Standpunktes stattfindet. Brentano, welcher diese Thatsache bei den beiden Trapezen beobachtet hat, best\u00e4tigt dies, ohne daf\u00fcr eine Erkl\u00e4rung zu geben. Er constatirt nur, dass die T\u00e4uschung gr\u00f6\u00dfer ist, wenn man die Seite AC in Fig. 38 mit B'D\u2019 zur Deckung bringt.\nEbenso wurde jene unbestimmte Unruhe, welche man bei der Schr\u00f6der\u2019schen Treppenfigur beobachtet, und welche der Umkehrung der Perspective entspricht, von Helmholtz auch bei der Z\u00f6llner\u2019sehen Figur beobachtet. Er empfand dasselbe, als bei seinem Experiment der Zirkel den zwischen zwei gro\u00dfen Strichen liegenden Raum verlie\u00df, und er sah dann, dass die gro\u00dfen Striche eine Umkehrung erfuhren und die Figur in einer unruhigen Bewegung zu sein schien.\nEin weiteres Experiment lie\u00df uns erkennen, dass sich die T\u00e4uschung in der Z\u00f6llner\u2019schen Figur vergr\u00f6\u00dfert, wenn man sie symmetrisch um eine auf die gro\u00dfen Striche senkrechte Achse anordnet (Modell von Pisco, Fig. 9, Bd. XI, S. 326). Der n\u00e4mliche Fall","page":73},{"file":"p0074.txt","language":"de","ocr_de":"74\nArmand Thi\u00e9ry.\nliegt nun in Fig. 40 vor, wo sich die schr\u00e4gen Linien symmetrisch zu den horizontalen Geraden verhalten. Die bei dieser Figur beobachtete T\u00e4uschung kann auch an dem von uns fr\u00fcher beschriebenen Rahmen direct beobachtet werden (Fig. 12, Bd. XI, S. 333). Diese Pseudoskopie wurde im Jahre 1889 von M\u00fcller-Lyer mitgetheilt. Seit jener Zeit ist sie ein beliebtes Discussionsthema geblieben, besonders in Folge eines Aufsatzes von Brentano. Da derselbe nicht M\u00fcller-Lyer als den ersten Entdecker dieser Figur nannte, so ist sie manchmal f\u00e4lschlich auch Brentano\u2019sche Figur genannt worden1).\nAuf eine vielleicht noch auff\u00e4lligere Weise kann man die M\u00fcller-Lyer\u2019sehe Figur von einer andern ableiten, welche man\nB\nb\n<1\nA\nFig. 41.\nWundt verdankt2). In der Wundt\u2019schen Figur (Fig. 41) sieht man deutlich, dass die Punkte A und B in der Entfernung, dagegen die Schnittpunkte der von A und B ausgehenden Strahlenb\u00fcschel n\u00e4her liegend scheinen. Wundt hatte diese Figur in gro\u00dfen Dimensionen mittelst kleiner Streifen wei\u00dfen Papiers auf schwarzem Grund ausgef\u00fchrt. Der Reliefeindruck war sehr auffallend und wurde sogar von den Zuh\u00f6rern der letzten B\u00e4nke des sehr gro\u00dfen H\u00f6rsaals in Leipzig wahrgenommen. Wenn man nun von derWundt-schen Figur nur vier beliebige zusammengeh\u00f6rige Transversalen bei-\n1)\tM\u00fcller-Lyer, Archiv f\u00fcr Physiologie. 1889. Suppl, p. 265. .\n2)\tSie ist bis jetzt nicht ver\u00f6ffentlicht, aber von Wundt in seiner Vorlesung \u00fcber Psychologie demonstrirt worden.","page":74},{"file":"p0075.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber geometrisch-optische T\u00e4uschungen.\n75\nbeh\u00e4lt, so ergibt sich genau eine M\u00fcller-Lyer\u2019sche Figur. In der von Hering angegebenen Fig. 42 scheint dagegen der das Centralb\u00fcndel bildende Punkt in der Entfernung zu liegen. Wenn wir uns nun diesen Punkt zu einer geraden Linie ausgezogen denken, so sehen wir auch diese Linie in der Entfernung. Ursache dieser T\u00e4uschung sind wiederum die Strahlenb\u00fcndel, die in diesem Fall die Gerade entfernter und daher gr\u00f6\u00dfer erscheinen lassen. Wenn man nun, wie oben, blo\u00df vier zusammengeh\u00f6rige schr\u00e4ge Linien beibeh\u00e4lt, so ergibt sich die M\u00fcller-Lyer\u2019sche Figur in der zweiten verl\u00e4ngernden Form. (Fig. 40 die obere Figur.) *)\nDie M\u00fcller-Lyer\u2019sche Figur stellt nach den Elementarregeln der Perspective zwei Rechtecke dar, welche eine Seite, die Horizontale in Fig. 40, gemeinschaftlich haben, wobei diese in der einen\nFig. 42.\nForm der Figur (der oberen in Fig. 40) vom Beobachter entfernter, in der andern (der unteren) ihm n\u00e4her ist, als die anderen Seiten.\nMan kann auf diese Weise die M\u00fcller-Lyer\u2019schen Figuren ohne Zuhiilfenahme anderer bereits bekannter Figuren, wie z. B. der Z\u00f6llner\u2019schen, erkl\u00e4ren. Zeichnet man die Figuren auf die R\u00fcckseite einer matten Glasplatte und betrachtet dieselben in einiger Entfernung oder mit einem Auge, so sieht man deutlich die verschiedene scheinbare Entfernung der beiden Horizontallinien in Fig. 40, w\u00e4hrend zugleich die Winkel der oberen Figur als concave, die der unteren als convexe Ecken erscheinen. Dieselbe Beobachtung ergibt sich, wenn die M\u00fcller-Lyer\u2019sche Figur in einem Modell aus schwarzem Kupferdraht ausgef\u00fchrt wird, welches man\n1) Nat\u00fcrlich ist aber die T\u00e4uschung beim Vorhandensein mehrerer Transversalen etwas gr\u00f6\u00dfer (Delboeuf) ; denn dann verst\u00e4rkt sich die Tiefenassociation.","page":75},{"file":"p0076.txt","language":"de","ocr_de":"76\nArmand TTii\u00e9ry.\nunter richtig geneigten, ebenen Winkeln in verticaler Richtung vor das Auge h\u00e4lt und entweder in einer gen\u00fcgend weiten Entfernung oder blo\u00df monocular betrachtet, damit keine Verschiedenheit der beiden Halbbilder vorkomme. In beiden F\u00e4llen m\u00fcssen, damit die beiden parallelen Linien mit einander verglichen werden k\u00f6nnen, die Augen die Figuren durchlaufen; man sieht sonst in gewissen F\u00e4llen entweder die Figuren mit entgegengesetztem Relief oder auch nur das Relief an einem einzigen Ende.\nDiese Thatsache l\u00e4sst sich mit H\u00fclfe der Fig. 37 (S. 71) n\u00e4her untersuchen, wenn man die beiden Figuren I und II durch symmetrisch zu ef, gh, AB, CD gezogene Linien vervollst\u00e4ndigt. Die Figur unterscheidet sich dann von den Miiller-Lyer\u2019schen nur dadurch, dass das mittlere Rechteck convergente Linien tr\u00e4gt, welche den in Fig. 40 gezogenen entsprechen. Wiederholten wir nun hier f\u00fcr zwei solche zu einander symmetrische Rechtecke die fr\u00fcher an Fig. 37 (S. 70) gemachten Messungen, so erhielten wir f\u00fcr die drei dort angegebenen Lagen folgende Zahlen:\nTabelle XLI.\n\tM\t\tS\t\tC\t\tA\t\n0\u00b0\t216,0\t1,2\t214,1\t0,6\t215,0\t1,2\t208,3\t1,1\n180\u00b0\t203,2\t1,1\t194,7\t1,1\t198,5\t3,5\t195,0\t0,8\n\ts\tj\tc\t\t\t\n90\u00b0\t207,0\t1,3\t215,3\t1,4\nDie T\u00e4uschung ver\u00e4ndert sich demnach je nach der relativen Lage der Figuren zu einander, und sie ist st\u00e4rker bei 0\u00b0 als bei 90\u00b0. Demnach ist sie ganz dieselbe wie bei den unvollst\u00e4ndig gezeichneten Figuren (S. 71). Dies beweist, dass das Auge die beiden Figuren in der dort angegebenen Richtung durchl\u00e4uft.","page":76},{"file":"p0077.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber geometrisch-optische T\u00e4uschungen. '\n77\nWie bereits fr\u00fcher erw\u00e4hnt, ist der Einfluss der convergenten Linien der einen Figur auf die andere bei der um 180\u00b0 gedrehten Lage beider Figuren besonders auff\u00e4llig. Dieser Einfluss kann dann aber auch die umgekehrte T\u00e4uschung in derjenigen Figur hervorbringen, der die Convergenten angeh\u00f6ren. Um diese Gegenwirkung nachzuweisen, haben wir Controlexperimente an dem Modell einer Figur vorgenommen, welche der Fig. 37 glich, mit dem Unterschiede, dass I und II mit einander vertauscht waren, so also, dass II oben und I unten lag. Wir beobachteten hierbei nur eine \u00e4u\u00dferst schwache T\u00e4uschung.\nTabelle XLII.\n\t0\u00b0\t\t90\u00b0\t\t1806\t\nBeobachter A\t203,2\t1,6\t203,5\t1,7\t200,5\t1,5\nBeobachter S\t197,1\t1,0\t200,1\t0,5\t198,3\t0,9\nMan sieht, dass die T\u00e4uschung nicht immer dieselbe Richtung f\u00fcr beide Beobachter beh\u00e4lt. F\u00fcr S. zeigte sie bei 0\u00b0 und 90\u00b0 die umgekehrte Richtung. Dies ist abh\u00e4ngig von der Richtung, nach welcher das Auge die Figur durchl\u00e4uft.\nFig. 43.\nWundt zeigte bei seinen stereoskopischen Experimenten mit verschiedenartigen Halbbildern, dass bei der Fig. 43, je nach der relativen Lage der Halbbilder, das centrale Rechteck entfernter oder n\u00e4her gesehen werden kann als das umgebende Rechteck. Dass dies auch der Fall ist, wenn die Halbbilder identisch sind, bemerkte Sully1). Wie bei der Schr\u00f6der\u2019schenTreppenfigur (Fig. 7, Bd. XI,\n1) J. Sully, op. cit. p. 70.","page":77},{"file":"p0078.txt","language":"de","ocr_de":"78\nArmand Thi\u00e9ry.\nS. 320), so ist es auch hier die Richtung, in welcher man die von einem Rechteck zum andern gehenden convergenten Linien durchl\u00e4uft, die uns das centrale Rechteck n\u00e4her oder entfernter erscheinen l\u00e4sst als das andere. Geht das letztere von dem kleineren zu dem gr\u00f6\u00dferen Quadrat \u00fcber, so erscheint jenes n\u00e4her als dieses ; hei umgekehrter Richtung der Bewegung erscheint es ferner.\nVergleicht das Auge die Rechtecke I und II der Fig. 37 (S. 71) in ihrer urspr\u00fcnglichen oder in ihrer umgekehrten Anordnung (II oben, I unten), so dass es die oberen Convergenten von den von den Rechtecken abliegenden Punkten an bis zu den Rechtecken, die unteren dagegen in der umgekehrten Richtung verfolgt, so l\u00e4sst diese Art des Durchlaufens I ferner und II n\u00e4her erscheinen. Die Figur I kann daher nun gr\u00f6\u00dfer als II gesehen werden, gerade das Gegentheil der gew\u00f6hnlichen T\u00e4uschung, bei der I kleiner scheint. Wenn man nun wei\u00df, dass der Beobachter S. in der Regel die Figuren in jener Richtung (von II, welches oben, nach I, das unten lag) durchlief, so ist es begreiflich, dass auch durchschnittlich bei ihm die T\u00e4uschung in einer der gew\u00f6hnlichen entgegengesetzten Richtung stattfand. Diese Annahme wird durch den Umstand verst\u00e4rkt, dass sich die T\u00e4uschung bei diesem Beobachter bei 180\u00b0 verminderte, w\u00e4hrend sie sich bei A. vergr\u00f6\u00dferte. In der That war es bei 180\u00b0 f\u00fcr beide Beobachter viel nat\u00fcrlicher, die Figuren in der Richtung von I nach II zu durchlaufen, da dann I dem Beobachter n\u00e4her lag. Wichtig ist es, zu bemerken, dass, wenn in Fig. 43 das mittlere Quadrat einer der beiden Figuren bei monocu-larer Betrachtung aus dem es umgebenden gr\u00f6\u00dferen hervorzuragen scheint, die von den Seiten der Quadrate und den schr\u00e4gen Linien gebildeten Winkel keine rechten Winkel darstellen. Erscheint hingegen das mittlere Quadrat in der Entfernung, so sind die Winkel s\u00e4mmtlich rechte. Diese Association, welche rechte Winkel sehen l\u00e4sst, ist dann zugleich wegen der H\u00e4ufigkeit der F\u00e4lle die be-g\u00fcnstigtere gegen\u00fcber der andern. Wenn es trotzdem m\u00f6glich ist, die Figur sowohl erhaben wie vertieft zu sehen, so erkl\u00e4rt sich dies \u00fcbrigens wohl daraus, dass wir 1) im allgemeinen eher geneigt sind, uns ein Gesichtsobject erhaben als vertieft vorzustellen, wahrscheinlich weil Objecte mit erhabenem Relief in unserer Wahrnehmung h\u00e4ufiger Vorkommen; und dass wir 2) geneigt sind, derartige nach","page":78},{"file":"p0079.txt","language":"de","ocr_de":"Heber geometrisch-optische T\u00e4uschungen.\n79\nallen Seiten symmetrische Figuren von einem centralen Punkte aus zu durchlaufen. Letzteres verh\u00e4lt sich wesentlich anders bei den Idiiller-Ly er\u2019sehen Figuren, wo wir, um eine der geraden Horizontallinien (Fig. 40) zu durchmessen, unbedingt bei einem excentrischen Punkte die Betrachtung beginnen, um die Figur vollst\u00e4ndig zu durchmessen.\nWie sehr die Auffassung von Figuren von der Bewegung des Auges abh\u00e4ngt, l\u00e4sst sich auch an Fig. 44 nachweisen. Wenn wir z. B. fordern, die Linien LM und NO sollen mit einander verglichen werden, so wird der Beobachter auch dann, wenn wir ihm die Richtung nicht vorschreiben, in welcher er LM und NO durchlaufe, dieselben am ungezwungensten von L nach M und von N nach 0 zur\u00fccklegen. Der Eindruck der Figur ist dann aber nicht mehr der eines W\u00fcrfels, sondern die beiden ebenen Winkel LM und NO erscheinen convex, wie die Giebel zweier D\u00e4cher, deren Rinnen jedesmal durch die Seiten PKQR gebildet werden.\nDagegen sieht man dieselben D\u00e4cher vertieft, wenn das Auge die Spitze eines Zirkels fixirt, welchen man und dann von 0 nach N bewegt. Ohne H\u00fclfe eines Zirkels ist es schwerer, diese Form der Perspective zu erhalten.\nWundt hat mit Recht bemerkt, dass es wesentlich f\u00fcr die T\u00e4uschung bei der M\u00fcller-Lyer\u2019schen Figur sei, dass das Auge, welches die beiden L\u00e4ngen zu vergleichen hat, den Winkel der k\u00fcrzer erscheinenden Figur (der unteren in Fig. 40) nicht durchlaufen kann, ohne eine Richtungs\u00e4nderung der Augenbewegung zu erleiden1). Um diese Umkehrung der Bewegung zu vermeiden, folgt das Auge der Figur von einem Ende zum andern, w\u00e4hrend\n1) Wundt, Grundz\u00fcge, IV. Aufl., II. Bd., S. 149 unten.\nFig. 44.\nzuerst in der Richtung von M nach L","page":79},{"file":"p0080.txt","language":"de","ocr_de":"80\nArmand Thi\u00e9ry.\nes zu gleicher Zeit im indirecten Sehen die Richtungen der beiden schr\u00e4gen Linien wahrnimmt. Dadurch muss also, gem\u00e4\u00df dem an Fig. 43 beobachteten Einfluss der Bewegungsrichtung, die Vorstellung entstehen, dass die Gerade n\u00e4her liege als die schr\u00e4gen Linien. An derselben Stelle seiner Grundz\u00fcge bemerkt Wundt, dass das Auge, wenn es die obere der Figuren 40 durchl\u00e4uft, die schr\u00e4gen Linien im indirecten Sehen leicht als Fortsetzungen der Richtungen der Geraden wahrnehmen wird. Dem entsprechend wird diese Figur, umgekehrt wie die vorige, von der Geraden nach einem der schr\u00e4gen Linienpaare hin durchlaufen werden, wodurch jene ferner erscheinen muss als diese. Die fr\u00fcher (Bd. XI, S. 313) erw\u00e4hnten Beobachtungen von Helmholtz an der Z\u00f6llner\u2019sehen Figur entsprechen durchaus diesen Einfl\u00fcssen der Augenbewegungen bei den M\u00fcller-Lyer-schen Figuren.\nEinfluss der Gr\u00f6\u00dfe der durch die Schenkel gebildeten Winkel. Von M\u00fcller-Lyer wurde schon bemerkt, dass die von ihm beobachtete T\u00e4uschung sich mit der Gr\u00f6\u00dfe der durch die Schenkel gebildeten Winkel ver\u00e4ndert, und dass das Maximum der T\u00e4uschung einer Neigung von 30\u00b0 auf die Centrallinie entspricht. Ebendasselbe ist auch bei der Z\u00f6llner\u2019sehen Figur der Fall, wodurch das \u00fcber die Identit\u00e4t der beiden Figuren fr\u00fcher Gesagte noch weiter best\u00e4tigt wird.\nEinfluss der absoluten Gr\u00f6\u00dfe der Figuren. Wie fr\u00fcher bemerkt, wurde die Frage, ob die T\u00e4uschung dem Weber\u2019schen Gesetz folge, von uns nicht n\u00e4her untersucht. Einige Controlexperimente haben wir jedoch ausgef\u00fchlt, um die von uns benutzten Ma\u00dfe, Modelle und Methoden mit den von M\u00fcller-Lyer angewandten zu vergleichen. Bei unseren Versuchen mit Kupfermodellen benutzten wir die beiden constanten L\u00e4ngen von 150 und 200 mm f\u00fcr den Centraldraht der Figuren 40 (S. 73).\nTabelle XLHI. Beobachter C.\nGr\u00f6\u00dfe\t150\t168,5\t1,3\n-\t200\t228,3\t2,86","page":80},{"file":"p0081.txt","language":"de","ocr_de":"81\n\u00fceber geometrisch-optische T\u00e4uschungen.\nDie T\u00e4uschung liegt demnach zwischen \u2018/7 und i/8 der gemessenen Gr\u00f6\u00dfe, was sich dem von Miiller-Lyer beobachteten Durchschnitt n\u00e4hert.\nBei weiteren Versuchen experimentirten wir mit Ma\u00dfen, die den von M\u00fcller-Lyer beobachteten fast gleich waren; wir \u00e4nderten aber die Methode ab. Wir lie\u00dfen n\u00e4mlich die Figuren nicht direct unter sich, sondern jede derselben mit einer geraden Linie vergleichen. Au\u00dferdem wurden die Gr\u00f6\u00dfen\u00e4nderungen nicht vom Experimentator, sondern vom Beobachter selbst ausgef\u00fchrt, welcher auf der geraden Linie einen mit 1 mm breiten Spitzen versehenen Zirkel hielt. Wenn er die eine Spitze auf einen Punkt der Linie dr\u00fcckte, so konnte er mittelst einer Schraube die andere auf der Linie gleiten lassen, bis sie eine Linie abschnitt, welche der Centrallinie der M\u00fcller-Lyer\u2019schen Figur gleich zu sein schien. Als Vergleichungslinien benutzten wir zuerst eine einfache Gerade von 40 mm und dann abwechselnd die beiden Figuren 40, wobei in diesen die Centrallinie ebenfalls 40 mm lang war.\nTabelle XLIV.\n\tGerade Linie\tObere Fig. 40\tUntere Fig. 40\nBeobachter A Beobachter H\t39,25\t0,15 ' 39,52\t0,14\t44,47\t0,6 45,50\t0,85\t39,17\t0,47 37,95\t0,56\nDies ergibt ein Verh\u00e4ltniss von y9 f\u00fcr A und von */s f\u00fcr H; die T\u00e4uschung bleibt demnach relativ ann\u00e4hernd constant.\nEinfluss der Transversalen. Wir untersuchten nunmehr an der auf Papier gezeichneten Figur die Ver\u00e4nderung der T\u00e4uschung beim Hinweglassen einer oder mehrerer der Transversalen (Fig. 45 I\u2014III). Die Achse der Figur blieb constant und gleich 150 mm.\nTabelle XLV.\nBeobachter A.\nGanze Figur\tFig. I\tFig. II\tFig. III.\n115,0\t3,7\t118,3\t3,4\t131,0-\t1,9\t133,1\t0,9\nWundt, Philos. Studien. XII.","page":81},{"file":"p0082.txt","language":"de","ocr_de":"82\tArmand Thi\u00e9ry.\nDie T\u00e4uschung ist demnach bei der ganzen Figur I am gr\u00f6\u00dften, hei Figur III am kleinsten.\nDiese Experimente best\u00e4tigen das bei der Z\u00f6llner\u2019schen Figur Bemerkte, dass n\u00e4mlich die T\u00e4uschung gr\u00f6\u00dfer sei, wenn eine symmetrische Achse vorhanden ist.\nEinfluss der L\u00e4nge der Schenkel. Miiller-Lyer hat zuerst auf diesen Einfluss hingewiesen, und mehrere Beobachter haben ihn best\u00e4tigt. Wir ver\u00e4nderten ein wenig die Bedingungen der Beobachtung. In unseren Experimenten benutzten wir n\u00e4mlich anstatt der Zeichnungen Modelle, die aus cylindrischen, theilweise\nhohlen St\u00e4ben aus geschw\u00e4rztem Kupfer bestanden. Der Durchmesser der Cylinder war 2 mm. Die ganze Figur aus den Schenkeln und dem Stabe, welcher die Schenkel tr\u00e4gt, wurde aus zwei Theilen ge-\u2019 bildet, von denen der eine in den andern hineingeschoben werden konnte, so dass sich die L\u00e4nge ver\u00e4ndern lie\u00df. Der Theil, welcher in den andern geschoben wurde, musste naturgem\u00e4\u00df d\u00fcnner sein. Er wurde aber von einem halben Hohl-cylinder gedeckt, damit der ganze Stab von gleicher Dicke erschien. Die beiden Theile waren durch Einschnitte in das Kupfer in mm graduirt. Die Achse der Figuren 40 (S. 73) blieb constant gleich 20 cm. Die schr\u00e4gen Linien hatten eine L\u00e4nge von 6 cm oder von 12 cm. Wir geben in folgender Tabelle am Kopfe der senkrechten Columnen die L\u00e4nge der Schenkel an, und zwar an erster Stelle die Schenkell\u00e4nge der oberen, l\u00e4nger erscheinenden Figur, an zweiter die der unteren Figur.\nI\nFig. 45.","page":82},{"file":"p0083.txt","language":"de","ocr_de":"lieber geometrisch-optische T\u00e4uschungen. Tabelle XEVI.\n83\nObere Figur\tI6\t(!2\t( 6\nUntere Figur\t(6\t1 6\t|l2\n/ Beobachter C\t230,2\t1,2\t228,3\t2,8\t237,4\t4,5\nBeobachter E\t224\t0,7\t216\t2,3\t230,2\t2,1\nMan sieht, dass die T\u00e4uschung am gr\u00f6\u00dften ist f\u00fcr die Combination |j2 und am kleinsten f\u00fcr\nDie Wirkung der L\u00e4nge der Schenkel schlie\u00dft sich an andere analoge Thatsachen an. So ist es bekannt, dass von zwei Figuren von gleicher H\u00f6he die schm\u00e4lere h\u00f6her erscheint (Fig. 47). Wenn man nun die Schenkel der oberen Figur 40 verk\u00fcrzt, so hat dies zur Folge, dass die Figur schm\u00e4ler wird ; dies vergr\u00f6\u00dfert da-\t\"\u2122~\u201c\nher die T\u00e4uschung. Wenn man dagegen die Schenkel verl\u00e4ngert,\nso kommt dies einer Verbreiterung\t\u2014\nder Figur gleich, wodurch sie zu-\tpjg 46\ngleich k\u00fcrzer erscheint. Aus demselben Grunde erscheint dann auch umgekehrt von zwei Paaren paralleler Linien bei den k\u00fcrzeren die Distanz der zwei Parallellinien gr\u00f6\u00dfer (Fig. 46). Der Grund dieser Erscheinungen liegt im allgemeinen in derselben Association, welche wir bei Gelegenheit der Convergenten studirt haben. Mit der Vergr\u00f6\u00dferung der Breite verbindet sich der Eindruck einer kleineren Entfernung; und was von der Breite, gilt f\u00fcr jede Dimension. \u00bbJe gr\u00f6\u00dfer, l\u00e4nger, h\u00f6her, breiter die mathematische Form eines Gegenstandes erscheint, desto mehr haben wir Ursache, ihn nahe zu sch\u00e4tzen; je kleiner, k\u00fcrzer, niedriger schmaler, desto mehr vermuthen wir ihn in der Ferne\u00abJ). Der zwischen den beiden Rechtecken enthaltene freie Theil scheint breiter zu sein als der zwischen den beiden Quadraten enthaltene (Fig. 47 u. 48).\n1) Classen, Physiologie des Gesichtssinnes, p. 194. Braunschweig 1876.\n6*","page":83},{"file":"p0084.txt","language":"de","ocr_de":"84\nArmand Thi\u00e9ry.\nEine auf einer Geraden abgeschnittene Strecke, die von zwei andern Strecken umgeben ist, welche auf derselben Geraden abgeschnitten sind, scheint gr\u00f6\u00dfer, wenn die umgebenden andern Geraden klein, als wenn sie gro\u00df sind (Fig. 49, M\u00fcller-Lyer). Ebenso scheint ein Winkel, der von zwei andern Winkeln begrenzt wird, gr\u00f6\u00dfer, wenn diese Winkel klein, als wenn sie gro\u00df sind (Fig. 50). Ein Kreis, der von mehreren andern Kreisen umgehen wird, erscheint gr\u00f6\u00dfer, wenn die ihn um-\nFig- 47.\nFig. 48.\ngebenden Kreise klein, als wenn sie gro\u00df sind (Fig. 51A u. B, Ebbinghaus). Wenn ein Winkel von zwei gleichen Schenkeln\ngebildet wird, und man '\t1\t\"\tzeichnet in der Verl\u00e4nge-\nrung des freien Endes jedes Schenkels einen Punkt, so erscheint der Schenkel p. 49\tgr\u00f6\u00dfer, f\u00fcr welchen die\nDistanz zwischen dem Punkt und dem Schenkel die geringere ist (Fig. 52, L\u00e4ska). In allen\nFig. 50.","page":84},{"file":"p0085.txt","language":"de","ocr_de":"lieber geometrisch-optische T\u00e4uschungen.\n85\ndiesen Figuren sind die Elemente, welche man vergleicht, unter sich gleich; aber diejenigen, welche gr\u00f6\u00dfer erscheinen, werden begrenzt oder umgeben durch andere Elemente, welche kleiner sind als die\nFig. 51 A.\tFig. 51 B.\ncorrespondirenden Elemente der andern Figur. Aus diesem Grunde erscheint die Figur, an welcher sich die kleineren Elemente befinden, in der Entfernung, die Fig. A erscheint also z. B. ferner als Fig. B. Man sieht, dass man die Convergenten als einen besonderen Fall dieser allgemeineren Association betrachten kann; sie stellen zwei Parallele dar, welche sich entfernen. Die Distanz von einer Convergenten zu der andern wird ln dem Ma\u00dfe geringer, als sie sich dem Convergenzpunkte n\u00e4hern, und in dem Convergenzpunkte wird sie gleich Null.\nDie nahe bei dem Convergenzpunkte gelegenen Objecte werden also in der Ent-\tFig. 52.\nfernung erscheinen (Fig. 34, Bd. XIS. 617).\nWeitere T\u00e4uschungen an der Figur von M\u00fcller-Lyer. Die umstehenden Zeichnungen (Fig. 53) reproduciren die Form","page":85},{"file":"p0086.txt","language":"de","ocr_de":"86\nArmand Thi\u00e9ry.\nIl\nder Figuren von M\u00fcller-Lyer. Die Figur R entspricht der unteren Fig. 40, mit dem Unterschied, dass nicht C und D' durch eine\nLinie verbunden sind, sondern A'B' und WX. Ebenso entspricht die Figur S der oberen Fig. 40, wobei aber nicht C und D durch eine Linie verbunden sind, sondern AB und ZY. Anstatt die Distanz CD gleich der Entfernung CD' zu machen, werden die Strecken AB und Z Y gleich A'B' und WX construirt. In den Figuren R und S waren die Distanzen AB, ZY, A'B', XW einander gleich; sie ma\u00dfen 15 cm. Die H\u00f6he der beiden Figuren war ebenfalls gleich, 15 cm, sodass die Punkte ABZ Y und A'B'XW den Eckpunkten des zwischen ihnen liegenden Quadrates T entsprachen. Die Entfernung C'D\u2019 ma\u00df 25 cm. Wir brachten nun nach einander diese Figuren in dem oben beschriebenen Rahmen an und construirten eine rechteckige Figur, deren Breite oder L\u00e4nge ver\u00e4ndert werden konnte. Die H\u00f6he und die Breite dieses Rechtecks wurden mit der H\u00f6he und der Breite der Figuren R und S verglichen.\nTabelle XLVII.\nConvexe Polygonalfigur R.\nBeobachter\tL\t\tII.\t\tIII.\t\n\tMittlere Breite I [CD')\tmv\tObere Breite {A\u2019B')\tmv\tH\u00f6he\tmv\nC\t24,29\t0,96\t14,8\t0,45\t14,77\t0,52\nH\t|\t23,82\t1,07\t15,13\t0,62\t14,63\t0,23\nE\t23,40\t2,3\t16,07\t0,7\t14,87\t0,73","page":86},{"file":"p0087.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber geometrisch-optische T\u00e4uschungen.\n87\nConcave Polygonalfigur S.\nBeobachter\tI. Mittlere Breite {CD)\t\tII. Obere Breite (AB)\t\tIII. H\u00f6he\t\nC\t6,21\t1,18\t13,06\t1,48\t15,6\t0,66\nH\t5,61\t0,94\t14,74\t0,54\t15,4\t0,27\nE\t5,6\t2,1\t14,37\t2,21\t15,6\t1,29\n1) Die Figur R erscheint demnach weniger hoch als ein Quadrat T von derselben H\u00f6he. 2) Die obere Breite derselben erscheint breiter als dieses Quadrat. 3) Ihre mittlere Breite erscheint kleiner als die eines Eechtecks, welches dieselbe H\u00f6he und dieselbe Breite hat.\nDie Figur S dagegen erscheint 1) h\u00f6her als ein Quadrat von derselben H\u00f6he. 2) Ihre obere Breite erscheint schmaler als dieses Quadrat. 3) Ihre mittlere Breite erscheint gr\u00f6\u00dfer als die eines Rechtecks, welches dieselbe H\u00f6he und dieselbe Breite hat. Die Erscheinungen 1) sind nur Best\u00e4tigungen der allgemeinen Thatsache, dass von zwei Figuren gleicher H\u00f6he die weniger breite h\u00f6her erscheint. Die Erscheinungen 2 und 3 best\u00e4tigen ebenfalls nur schon betrachtete T\u00e4uschungen. Die gro\u00dfen parallelen Seiten der Trapeze erscheinen kleiner als sie sind, die kleinen parallelen Seiten gr\u00f6\u00dfer als sie sind.\nDer Einfluss der L\u00e4nge der Schenkel ist ein Element, das mehrere Autoren, M\u00fcller-Lyer, Auerbach, Brunot als einen Beweis f\u00fcr die Hypothese angesehen haben, mittelst deren sie die T\u00e4uschungen der Figur von M\u00fcller-Lyer erkl\u00e4ren. Nach der von M\u00fcller-Lyer selbst gegebenen Erkl\u00e4rung k\u00f6nnen wir, wenn wir die Linien CD und CD' vergleichen, uns nicht enthalten, zu gleicher Zeit einen Theil der Fl\u00e4chen der Trapeze in Rechnung zu ziehen, und das Vergleichungsurtheil \u00fcber die Fl\u00e4chen beeinflusse dann das \u00fcber die Linien. Ebenso erscheint nach M\u00fcller-Lyer in Fig. 40 (S. 73) von zwei gleichen Linien die obere gr\u00f6\u00dfer, weil sie zusammen mit den schr\u00e4gen Linien eine gr\u00f6\u00dfere Fl\u00e4che begrenzt als die untere. Diese Hypothese l\u00e4sst sich aber durch","page":87},{"file":"p0088.txt","language":"de","ocr_de":"88\nArmand Thi\u00e9ry.\nkeine einzige Thatsache erweisen. Der Einfluss der L\u00e4nge der Schenkel widerspricht ihr vielmehr. Denn wenn in der Figur R (Fig. 53) die Schenkel an L\u00e4nge zunehmen, so nimmt auch die Fl\u00e4che zu, welche sie begrenzen; nach der Hypothese von M\u00fcller-Lyer m\u00fcsste also die Linie C D' dabei immer gr\u00f6\u00dfer erscheinen. Aber gerade das Gegentheil findet statt. M\u00fcller-Lyer st\u00fctzt seine Hypothese ferner darauf, dass die Schenkel eines spitzen Winkels k\u00fcrzer scheinen als die eines stumpfen; nun ist aber in diesem Falle die T\u00e4uschung sehr klein, -w\u00e4hrend sie bei den Figuren 40 sehr gro\u00df ist. Zudem hat Laska gezeigt, dass f\u00fcr die Schenkel des spitzen und stumpfen Winkels die T\u00e4uschung im entgegengesetzten Sinne erfolgen kann.\nBrunot1) schreibt die T\u00e4uschung dem Umstande zu, dass das Auge vorziehe, den Abstand der Mittelpunkte jener Fl\u00e4chen zu messen, welche durch die spitzen und stumpfen Winkel gebildet werden. Wenn wir die Figuren 40 vergleichen, so sollen wir in Wirklichkeit die Distanzen von Punkten vergleichen, die ungef\u00e4hr in der Mitte der Dreiecke liegen, deren Katheten durch die schr\u00e4gen Linien gebildet werden. Diese Erkl\u00e4rung unterscheidet sich nicht wesentlich von derjenigen M\u00fcller-Lyer\u2019s. Wie dieser nimmt auch der franz\u00f6sische Autor an, das Auge vermische mit der Messung der Linien die Messung der Fl\u00e4chen, welche durch die Schenkel der Winkel begrenzt werden, nur zieht er statt der Trapeze die Dreiecke heran. Weiter f\u00fcgt Brunot eine neue Hypothese hinzu; er nimmt an, dass das Auge diese Dreiecke hinsichtlich der Distanz vergleiche, welche zwischen ihren Mittelpunkten liegt. Diese neue Hypothese begegnet denselben Schwierigkeiten, die wir eben f\u00fcr die M\u00fcller-Lyer\u2019sehe dargelegt haben, und sie ruft au\u00dferdem neue Einw\u00fcrfe hervor. Sie erkl\u00e4rt n\u00e4mlich nicht, dass die T\u00e4uschung vorhanden ist, wenn die Mittelpunkte der Fl\u00e4chen unm\u00f6glich aufzufinden sind oder gar nicht existiren, wenn man z. B. einzelne der schr\u00e4gen Linien wegl\u00e4sst. (Vgl. z. B. Fig. 45, S. 82.)\nAuerbach glaubt, dass die T\u00e4uschung durch imagin\u00e4re Linien hervorgerufen werde, welche wir parallel zu den zu vergleichenden Linien ziehen und welche bis an die Schenkel der Winkel reichen.\n1) Revue scientifique 1893, p. 212.","page":88},{"file":"p0089.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber geometrisch-optische T\u00e4uschungen.\n89\nStatt der Linien CD und CD' (Fig. 54) sollen wir die Linien em und no mit einander vergleichen. Um zu beweisen, dass seine Annahme der Wirklichkeit entspreche, hat Auerbach Messungen \u00fcber den Einfluss der Gr\u00f6\u00dfe der Schenkel angestellt, aber diese Experimente zeigten nicht, was der Autor von ihnen erwartete. Denn sie sind ausgef\u00fchrt, ohne die Thatsache zu ber\u00fccksichtigen, dass der Einfluss der Schenkell\u00e4nge ein entgegengesetzter ist f\u00fcr die spitzen und f\u00fcr die stumpfen Winkel. Auerbach, welcher von den Arbeiten von M\u00fcller-Lyer keine Kenntniss hatte, igno-rirte diesen Einfluss und variirte gleichzeitig die Gr\u00f6\u00dfe der Schenkel an beiden Figuren. Aus diesem Grunde ist die Interpretation, die er seinen Messungen gegeben hat, offenbar falsch. Noch weniger erkl\u00e4rt sie den verschiedenen Einfluss der Verl\u00e4ngerung der Schenkel in der Fig. 40.\n\u2018Auerbach nimmt n\u00e4mlich an, dass die Punkte e und m in der Mitte von AB und CD liegen und dass sie sich um so mehr von CD entfernen, je l\u00e4nger die Geraden A C und B D sind. Die T\u00e4uschung m\u00fcsste also zunehmen, wenn AC und BD verl\u00e4ngert werden. Aber gerade das Gegentheil ist der Fall. Weiter wird die Hypothese von Auerbach widerlegt durch die Thatsache, dass die T\u00e4uschung abnimmt, wenn man die schr\u00e4gen Linien' auf der einen Seite der beiden M\u00fcller-Lyer\u2019sehen Figuren (Fig. 40) wegl\u00e4sst.\nDie Erkl\u00e4rung, welche Brentano f\u00fcr die Figur von M\u00fcller-Lyer gegeben hat, setzt als feststehend voraus, dass die spitzen Winkel gr\u00f6\u00dfer erscheinen, als sie in Wirklichkeit sind. Zugegeben, Brentano h\u00e4tte den Grund dieser Thatsache erkl\u00e4rt, so w\u00fcrde dies aber noch nicht gen\u00fcgen, die T\u00e4uschung zu erkl\u00e4ren. Denn durch eine Ver\u00e4nderung in der scheinbaren Gr\u00f6\u00dfe der spitzen Winkel Wlrd die scheinbare Gr\u00f6\u00dfe der gesch\u00e4tzten Geraden nicht im ge-\u2022'Ugsten ver\u00e4ndert. Diese Unzul\u00e4nglichkeit veranlasst denn auch Brentano zu der weiteren Annahme, die schr\u00e4ge Linie, welche den spitzen Winkel begrenzt, f\u00fchre eine Rotation um irgend einen\nFig. 54.","page":89},{"file":"p0090.txt","language":"de","ocr_de":"90\nArmand Thi\u00e9ry.\nauf dieser Linie liegenden Punkt aus, so dass sich dadurch die Endpunkte der Horizontallinien in Fig. 40 in der oberen Figur nach ausw\u00e4rts, die der unteren nach einw\u00e4rts bewegen, dort also im Sinne der Vergr\u00f6\u00dferung, hier in dem der Verkleinerung der verglichenen Geraden. Nun kann man nach der fr\u00fcher erw\u00e4hnten Methode von Helmholtz die scheinbare Abweichung, welche der Schenkel eines spitzen Winkels erf\u00e4hrt, sehr genau verfolgen. Man sieht aber dabei deutlich, dass die scheinbare Rotation um den Scheitelpunkt des Winkels selbst stattfindet1). Dies widerspricht geradezu der Hypothese von Brentano. Zudem m\u00fcsste nach dieser die T\u00e4uschung zunehmen, wenn die Schenkel der Fig. 40 verl\u00e4ngert werden. Wie\nFig. 55.\tFig. 56.\nwir aber gesehen, nimmt die T\u00e4uschung in diesem Fall allm\u00e4hlich ab, anstatt zu wachsen. Endlich kann man noch gegen diese Hypothese geltend machen, dass die T\u00e4uschung auch in Fig. 55 stattfindet, wo es nur rechte Winkel gibt, und sogar in Fig. 56, in der es \u00fcberhaupt keine Winkel gibt. Brentano hat selbst erkannt, dass sich seine Hypothese auf diese Figuren nicht anwenden l\u00e4sst.\n1) Um diese scheinbare Drehung um den Scheitelpunkt zu beobachten, ziehe man eine gerade Linie und setze die eine Spitze eines Zirkels so auf das Papier auf, dass sich die andere in einem die Gerade schneidenden Bogen hin und her bewegen kann. Wenn man dann dieser beweglichen Spitze mit dem Auge folgt, so scheinen sich die beiden H\u00e4lften der Geraden um die Durchschnittspunkte zu drehen. (Helmholtz, Ph. Op. 1. Aufl. p. 568.)","page":90},{"file":"p0091.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber geometrisch-optische T\u00e4uschungen.\n91\nWir haben aber oben gezeigt, dass die T\u00e4uschung der Convergenten und der Winkel nur ein besonderer Fall einer allgemeinen Classe von T\u00e4uschungen ist, unter die auch die Figuren 55 und 56 sub-sumirt werden k\u00f6nnen. Die kurzen Yerticallinien bei Fig. 55 scheinen in der verl\u00e4ngert erscheinenden Figur rechts sammt dem Zwischenraum zwischen ihnen ein einheitliches Ganzes in einer einzigen Entfernung zu bilden, im Vergleich mit der die verticale Gerade weiter entfernt zu sein scheint. Um darzuthun, dass dem so ist, gen\u00fcgt es, die Figur so zu ver\u00e4ndern, dass die beiden Ansatzst\u00fccke nicht mehr mit der mittleren Geraden verglichen werden k\u00f6nnen. Zu diesem Zwecke verl\u00e4ngere man die Geraden der Ansatz-\nFig. 57.\nst\u00fccke in beiden Figuren bedeutend und verbreitere zugleich diese St\u00fccke in der ersten Figur: man beobachtet dann eine T\u00e4uschung im entgegengesetzten Sinne. Die Figuren stellen nun das Bild von zwei Parallelenpaaren dar, von denen das Paar, welches geringere L\u00e4ngen hat, in gr\u00f6\u00dferer Entfernung zu liegen scheint. Da also nun in Fig. 55 u. 56 die links gelegenen Figuren weiter entfernt zu sein scheinen, so wird hier die mittlere Linie gr\u00f6\u00dfer erscheinen. Ebenso widersprechen die in Fig. 57 auftretenden, von Hering beobachteten T\u00e4uschungen der Hypothese von Brentano. Die Parallelen ah, cd haben denselben Abstand. Vergleicht man nun die beiden Senkrechten, welche in der Mitte jeder Figur diesen \u25a0Abstand messen, mit einander, so erscheint diese Senkrechte","page":91},{"file":"p0092.txt","language":"de","ocr_de":"92\nArmand Thi\u00e9ry.\nin der oberen Figur gr\u00f6\u00dfer als in der unteren J). Das Gegentheil m\u00fcsste aber hervorgerufen werden, wenn nach der Hypothese von Brentano die Schenkel der spitzen Winkel sich um einen mittleren Punkt zu drehen schienen. Behalten wir von beiden Figuren nur auf der einen Seite zwei Punkte bei, welche Endpunkte zweier paralleler Linien bilden, auf der andern Seite au\u00dfer zwei entsprechenden Punkten noch zwei Paare von einander zugekehrten Convergenten, so bleiht die T\u00e4uschung dieselbe, n\u00e4mlich der Abstand der Punkte erscheint gr\u00f6\u00dfer bei x als bei y (Fig. 58). Aus diesem Experiment kann man nicht schlie\u00dfen, wie Delhoeuf ge-than, dass die Punkte sich deshalb bei x mehr zu entfernen scheinen\nals bei y, weil die Convergenten hier eine Anziehungskraft auf den Blick aus\u00fcben. In den beiden Figuren 57 erscheint die Distanz ac verschieden, obgleich die Zahl und die Gr\u00f6\u00dfe der Linien \u00fcber den Punkten c und a in beiden \u00fcbereinstimmen. Diese Hypothese erkl\u00e4rt also die T\u00e4uschung nicht. Auch w\u00fcrde man dieselbe nicht aufrecht erhalten k\u00f6nnen, wenn man etwa sagte, dass die Convergenten wegen ihrer Richtung in der unteren Figur den Blick mehr auf sich lenken, weil sie hier bis an die Enden der Geraden gehen, die man vergleicht. Denn dies w\u00fcrde im Gegensatz stehen zu der T\u00e4uschung in Fig. 40, wo in der unteren Figur die Convergenten bis an die Endpunkte der centralen Senkrechten gehen und diese\n1) Hering hat bei diesen Figuren noch auf eine andere T\u00e4uschung aufmerksam gemacht, welche die oben erw\u00e4hnte begleitet. Wenn man die Distanz ac oder bd mit der centralen Senkrechten vergleicht, so erscheint diese Senkrechte in der oberen Figur gr\u00f6\u00dfer, in der unteren kleiner als ac und bd. Wie Wundt angedeutet hat, sind diese Figuren nur ein Theil der Figur von Z\u00f6llner (Modell von Pisco) und die T\u00e4uschung ist dieselbe wie dort. (Wundt, 4. Aufl. H. p. 147.)","page":92},{"file":"p0093.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber geometrisch-optische T\u00e4uschungen.\n93\ntrotzdem k\u00fcrzer erscheint. Dagegen stimmen die T\u00e4uschungen der Figuren 57 und 58 beide mit dem oben Gesagten \u00fcberein. Um dies zu zeigen, reduciren wir die untere Fig. 57 auf das folgende Schema (Fig. 59): Die Geraden EE, E'E' stellen die Parallelen ab, cd dar, pp' die centrale Senkrechte und ee' den Theil dieser Senkrechten, der zwischen den Parallelen liegt. Die Linien EP'E, E'PE' bilden die scheinbar kleinere der Figuren von M\u00fcller-Lyer (Fig. 40, S. 73). Wie wir gesehen haben, scheinen die Punkte PP' gen\u00e4hert und die Punkte EE' in der Entfernung zu liegen, die Gerade PP' wird also n\u00e4her erscheinen als die Geraden EE, E'E'. Und in der That kann man dies an der Fig. 58 y, ebenso wie an der Fig. 59 beobachten. An der letzteren wird die Entfernung ee' nicht als ein Theil von PP' betrachtet, sondern als eine selbst\u00e4ndige Linie, welche ihre Endpunkte auf den Geraden EE, E'E' hat und zugleich in derselben Entfernung liegt wie diese; und zwar wird eine solche Auffassung erfolgen wegen der Aehnlichkeit mit den Distanzen EE', welche gleich ee' sind, und deren Endpunkte ebenfalls in den st\u00f6rt man durch eine an der Figur vorgenommene Ver\u00e4nderung die Analogie zwischen den Strecken EE' und ee', so verschwindet die T\u00e4uschung. Dies kann man an der Fig. 58 best\u00e4tigen. Zeichnet man z. B. in dieser die Linien mit rother Tinte und die vier Punkte toit schwarzer, so verschwindet die T\u00e4uschung (Brentano).\nAndere T\u00e4uschung im Dreieck PEE. Im Dreieck PEE (Fig. 60) beobachtet man noch eine andere T\u00e4uschung, welche mit der soeben wahrgenommenen \u00fcbereinstimmt. Erscheinen die Punkte EE und der Punkt e in der Entfernung, so werden die Punkte E'e' entfernter als P und weniger entfernt als EeE gesehen; die Strecke Ee wird also n\u00e4her als e'e gesehen, und demnach erscheint die Strecke Pe' kleiner als e'e, falls beide gleich gro\u00df sind.\nP\nFig. 59.\nGeraden EE, E'E' liegen. Zer-","page":93},{"file":"p0094.txt","language":"de","ocr_de":"94\nArmand Thi\u00e9ry.\nAus einem Papierbogen schnitten wir ein dreieckiges Loch PPP heraus, dessen Basis EE und H\u00f6he Pe je 15 cm betrugen. Unter\ndiesen Papierbogen legten wir einen andern, dessen Band die Linie E'e'E' bildete; die Zeichnungen wurden so in den fr\u00fcher beschriebenen Rahmen gelegt. Dann verstellten wir den unteren Bogen so lange, bis die Seite E'e'E' die H\u00f6he Pe in zwei gleiche Theile zu theilen schien. Wir geben im Folgenden die wirkliche H\u00f6he des Theiles ee' an. Die Gesammtl\u00e4nge Pe betrug 150 mm. Der Winkel PPP ma\u00df 40\u00b0. Wir modificirten diese Versuche noch weiter, indem wir die Zeichnung in ihrer Ebene um 180\u00b0 und zwar so drehten, dass die Figur von oben nach unten umgekehrt wurde.\nTabelle XLVIII. Beobachter E.\n0\u00b0\t180\u00b0\n71,7\t1,8\t71,3\t1,4\nDemnach war die T\u00e4uschung f\u00fcr 0\u00b0 und 180\u00b0 merklich gleich. Bei einer zweiten Reihe vergr\u00f6\u00dferten wir den Winkel PPP nach und nach von 20\u00b0 bis auf 40\u00b0; wir experimentirten zuerst mit einem Auge und sodann mit beiden Augen. Die H\u00f6he Pe betrug hier 20 mm.\nTabelle XLIX. PPP= 20\u00b0.\n\tmit einem Auge\t\tmit beiden Augen\t\nBeobachter A\t83,9\t1,0\t85,2\t1,8\nBeobachter H\t84,2\t2,3\t84,9\t3,2\nP\nFig. 60.","page":94},{"file":"p0095.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber geometrisch-optische T\u00e4uschungen.\n95\nTabelle L. EPE = 40\u00b0.\n\tmit einem Auge\t\tmit beiden Augen\t\nBeobachter A\t90,1\t0,8\t87,1\t2,0.\nBeobachter H\t88,9\t1,7\t88,0\t1,2\nDie T\u00e4uschung blieb demnach bei einem Auge bestehen. Sie war f\u00fcr 40\u00b0 kleiner als f\u00fcr 20\u00b0.\nVorstehende T\u00e4uschung ist schon lange in der Praxis bekannt; die Schriftzeichner wissen, dass, wenn der Querstrich im Buchstaben A genau auf halber H\u00f6he des Buchstabens erscheinen soll, derselbe n\u00e4her der Spitze als der Basis geschrieben oder gezeichnet werden muss. Lipps beobachtete denselben Fall bei der mit der Basis parallelen Theilung der H\u00f6he eines Dreieckes.\nUm diese Ergebnisse zu interpretiren, wollen wir dieselben mit den Ergebnissen vergleichen, welche man bei der Halbirung einer senkrechten, geraden Linie erh\u00e4lt. Schon Delboeuf hat solche Experimente ausgef\u00fchrt *). Bei einzelnen seiner Beobachter war aber die T\u00e4uschung in entgegengesetzter Richtung vorhanden. Meilinghoff fand' dass sie in der Gr\u00f6\u00dfe abweicht, aber in der von Delboeuf angegebenen Richtung constant ist* 2). Helmholtz dagegen fand sie unbestimmter und sowohl nach der einen wie nach der andern Richtung im Laufe einer Sitzung bei einem und demselben Beobachter abweichend. Fischer fand sogar eine der Delboeuf\u2019schen entgegengesetzte T\u00e4uschung; w\u00e4hrend sie bei Delboeuf -f- yi8 betrug, war sie bei Fischer \u2014 730 3). Dies scheint nun dagegen zu sprechen, dass die T\u00e4uschung von der verschiedenen Vertheilung der Muskelkr\u00e4fte des Auges herr\u00fchrt. Denn es w\u00e4re dann zu erwarten, dass sie in Richtung und Gr\u00f6\u00dfe constant sei.\nWundt hat bemerkt, dass, wenn das Auge sich nach dem unteren Theil des Gesichtsfeldes richtet, diese Abw\u00e4rtsbewegung\nDelboeuf, Bullet, de l\u2019acad. roy. de Belgique. 2. s\u00e9r. XIX, 2, p. 9.\n2)\tWundt, Physiol. Psych. 4. Aufl. II, S. 139, Anm. 2.\n3)\tR. Fischer, Archiv f\u00fcr Ophthalm. XXXVII, 1, p. 97 ff.","page":95},{"file":"p0096.txt","language":"de","ocr_de":"96\nArmand Thi\u00e9ry.\nvon einer Vermehrung der Convergenz begleitet ist; weiterhin, dass diese Convergenz den Bedingungen des Sehens entspricht. In der That sind, wenn der Blick sich senkt, die von uns erblickten Gegenst\u00e4nde n\u00e4her und verlangen eine gr\u00f6\u00dfere Convergenz. Demnach ist durch eine tief eingewurzelte Association die Ann\u00e4herung des Gegenstandes mit einer gr\u00f6\u00dferen Convergenz verbunden. Die untere H\u00e4lfte einer senkrechten Linie liegt aber im unteren Theile des Gesichtsfeldes; sie wird also mit einer st\u00e4rkeren Convergenz gesehen und erscheint daher n\u00e4her und deshalb auch kleiner. Um nun diesen Einfluss der Convergenz auf die vorliegende T\u00e4uschung zu beweisen, wollen wir durch Thatsachen darthun, dass eine solche Association zwischen Convergenz und scheinbarer Gr\u00f6\u00dfe der Gegenst\u00e4nde wirklich besteht.\nAssociation zwischen Convergenz und scheinbarer Gr\u00f6\u00dfe. Die st\u00e4rkere Convergenz beeinflusst direct unsere Sch\u00e4tzung der Dimensionen, weil sie mit einer kleineren Entfernung des Gegenstandes verbunden ist. Im Laufe der im Leipziger Laboratorium von Herrn Arrer \u00fcber die Convergenz der Blicklinien vorgenommenen Versuche konnten wir diese Wirkung bei einer Entfernung von 4 m auf einer wei\u00dfen Schirmwand beobachten, auf welcher schwarze senkrechte Linien so gezeichnet waren, dass sie durch ihre Gesammtheit ein Rechteck darstellten. Heftete nun der Beobachter durch eine Ocularr\u00f6hre seine Blicke auf einen circa 2 m entfernten Faden, so wurde das Rechteck ziemlich deutlich weiter gesehen, seine Dimensionen aber schienen stark reducirt zu sein.\nEine \u00e4hnliche bei diesen Versuchen beobachtete T\u00e4uschung war die folgende. Zwei Lothschn\u00fcre machten gleiche Schwingungen, die entgegengesetzte Amplituden hatten, aber sich gleichzeitig in einem mittleren Punkte kreuzten. Wenn nun die Augen auf diese zwei beweglichen Lothschn\u00fcre c\u00f6nvergirten, so schien es, als wenn eine entfernter befindliche, vollst\u00e4ndig unbewegliche, dritte Schnur sich so bewegte, dass sie im Moment der Kreuzung der beweglichen Schn\u00fcre n\u00e4her, im Moment ihrer Divergenz ferner zu sein schien. Zugleich beobachteten wir, dass die Augen den Lothschn\u00fcren bei ihrer Bewegung folgten, was dann ein Maximum der Convergenz, wenn sie sich deckten, ein Minimum der Convergenz f\u00fcr die Lage ihrer gr\u00f6\u00dften Divergenz zur Folge hatte.","page":96},{"file":"p0097.txt","language":"de","ocr_de":"lieber geometrisch-optische T\u00e4uschungen.\n97\nStarke Convergenz pflegt nun auch mit plastischen stereoskopischen Vorstellungen verbunden zu sein. Bekanntlich kann daher durch eine intensive Convergenz ein Reliefeindruck mittelst vollst\u00e4ndig identischer Halbbilder erhalten werden. So sehen wir z. B. bei starker Convergenz den Mond im Relief wie eine Kugel und nicht mehr wie eine ebene Scheibe1). Eine starke Convergenz ruft die Vorstellung eines k\u00fcnstlichen Reliefs hervor, weil die Halbbilder die Netzhaut in solchen Lagen afficiren, welche normalerWeise erhabenen, sehr nahe gesehenen Gegenst\u00e4nden entsprechen. In Folge dessen erscheint auch der Mond bei diesem Versuch \u00e4u\u00dferst klein. Aus demselben Grunde erscheint der Durchmesser einer Kugel kleiner als derjenige eines Kreises, den man erh\u00e4lt, wenn die Kugel so halbirt wird, dass man dem Blick die kreisrunde Durchschnittsfl\u00e4che zeigt; und allgemein erscheint ein beliebiger Reliefgegenstand kleiner als der Umriss seines flachen, in Projection gezeichneten Querschnittes.\nEinfluss der Convergenz des Blickes auf die T\u00e4uschung im Dreieck PEE (Fig. 60).\nBewegt sich der Blick beim Dreieck PEE senkrecht, so ist die Convergenz der Augen f\u00fcr den Punkt P gr\u00f6\u00dfer als f\u00fcr irgend einen Punkt der geraden Linie EE] die Convergenz ist ferner beim Durchlaufen des Theiles Pe' gr\u00f6\u00dfer als beim Durchlaufen von e'e. Der obere Theil der Figur erscheint demnach n\u00e4her und in Folge dessen relativ kleiner als der untere Theil.\nDie Vergr\u00f6\u00dferung der Convergenz bei der Bewegung des Auges nach dem unteren Theil des Gesichtsfeldes \u00e4ndert sich mit der Prim\u00e4rstellung. Nun wei\u00df man aus den Untersuchungen von Donders und Moll und von Helmholtz, dass sich die Prim\u00e4rstellung bei einem und demselben Beobachter im Laufe derselben Sitzung ver\u00e4ndern kann. Aehnliche Ver\u00e4nderungen haben wir aber in Bezug auf die Gr\u00f6\u00dfe der T\u00e4uschung beobachtet2).\nAuch die Richtung, in welcher das Auge die Linie durchl\u00e4uft, nbt einen T\u00e4uschungseinfluss aus : das Durchlaufen von unten nach\n1)\tHoppe op. cit. p. 187.\n2)\tUeber diese T\u00e4uschung unten mehr.\nWandt, Philos. Stadien. XII.\n7","page":97},{"file":"p0098.txt","language":"de","ocr_de":"98\nArmand Thi\u00e9ry.\noben beg\u00fcnstigt n\u00e4mlich die T\u00e4uschung, ein Durchlaufen in ent-gegengesetzter Richtung von ohen nach unten vermindert sie. Wie Wundt bemerkt, geschieht die h\u00e4ufigste Art des Durchlaufens einer Figur von unten nach oben, und entspricht diese Art des Sehens in der That dem Umstand, dass wir zum Sch\u00e4tzen der Gr\u00f6\u00dfe von entfernteren, im Gesichtsfelde h\u00f6heren Gegenst\u00e4nden stets von den n\u00e4heren uns umgebenden ausgehen.\nWenn man die einzelnen Lettern vergleicht, so findet man solche, bei denen die obere H\u00e4lfte gr\u00f6\u00dfer als die untere erscheint. Dies beobachtet man hei den Buchstaben B, E, F, H, R, S, X und den Ziffern 3, 5 und 8. Bei anderen dagegen scheint die untere H\u00e4lfte die gr\u00f6\u00dfere zu sein; es ist dies besonders hei den Buchstaben A, P und bei den Ziffern 4 und 9 der Fall. Bei allen diesen Schriftzeichen erscheint der Mittelstrich in der Mitte der senkrechten H\u00f6he ; mit Erstaunen sieht man den Unterschied, wenn man die gesammten Schriftzeichen derart umkehrt, dass man sie auf den Kopf stellt:\n6, f, ff, Y,\n8> S, 8, g, R, H, ff, ff, S-\nDelboeuf nahm an, dass die obere H\u00e4lfte des Buchstabens S in Folge des Kraftunterschiedes zwischen den oberen und den unteren geraden Augenmuskeln gr\u00f6\u00dfer erscheine. Dieser Kraftunterschied ist aber bei allen Schriftzeichen derselbe; die T\u00e4uschung m\u00fcsste also bei allen gleich sein. Ein weiterer Gegenbeweis besteht darin, dass die T\u00e4uschung nicht nur f\u00fcr die senkrechte, sondern auch noch f\u00fcr die wagerechte Dimension existirt. So z. B. weist der Buchstabe Z dieselbe T\u00e4uschung wie S auf. Kehrt man nun 2 um, so sieht man, dass auch die wagerechten St\u00e4be, welche gleich erschienen, in der That ungleich sind. Augenscheinlich kann aber auf diesen Fall die Delboeuf\u2019sehe Hypothese keine Anwendung finden. Die Gr\u00f6\u00dfe dieser T\u00e4uschung haben wir an einer Figur gemessen, die die Form des Buchstabens Z hatte. Der obere wagerechte Strich blieb constant gleich 150 mm; der untere wagerechte Strich wurde ihm nach dem L\u00e4ngenma\u00df gleich gemacht.","page":98},{"file":"p0099.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber geometrisch-optische T\u00e4uschungen.\t99\nTabelle LI.\nBeobachter K\t152,5\t1,5\nBeobachter A\t153,1\t1,2\nEbenso erkl\u00e4rt die Delboeuf\u2019sche Hypothese nicht, wie beim Buchstaben E der obere wagrechte Theil, der kleiner ist als der untere, trotzdem ebenso gro\u00df erscheint als dieser.\nDurch ebendieselbe Hypothese will Delboeuf erkl\u00e4ren, dass bei zwei senkrecht \u00fcber einander gestellten bezw. gezeichneten Kreisen von gleicher Dimension der obere gr\u00f6\u00dfer erscheint. Lipps bemerkte, dass die Biegung der beiden Kreise merklich gr\u00f6\u00dfer an der Stelle erscheint, wo sie sich n\u00e4hern. Dies wird durch die Thatsache erkl\u00e4rt, dass die sich n\u00e4hernden Bogen mit einander spitze Winkel bilden, welche gr\u00f6\u00dfer erscheinen, als sie wirklich sind. Zugleich bildet die obere H\u00e4lfte des unteren Kreises zwei gegen den oberen Kreis convergente Linien, welche die scheinbare Gr\u00f6\u00dfe dieses oberen Kreises zunehmen lassen\nDer Buchstabe K (Fig. 61) bietet eine eigenth\u00fcmliche Form des Einflusses der convergenten Linien. Angenommen, dass A die genaue Mitte der geraden Linie IN ist, so lassen, wenn der Blick die Figur in der Richtung von I nach N durchl\u00e4uft, die convergenten Linien MA und IA den oberen Theil AN gr\u00f6\u00dfer erscheinen, eis er wirklich ist. Durchl\u00e4uft hingegen das Auge die Figur in der Richtung von N nach J, so lassen die convergenten Linien NA Und den unteren Theil AI gr\u00f6\u00dfer erscheinen. Um dieser doppelten T\u00e4uschung gerecht zu werden, haben die Schriftzeichner die Moderne Form (Fig. 62) angenommen, bei welcher sich die geraden\n7*","page":99},{"file":"p0100.txt","language":"de","ocr_de":"100\nArmand Thi\u00e9ry.\nLinien LD, MB bei C schneiden, ehe sie zur Geraden IN gelangen. Durchl\u00e4uft nun das Auge die Figur in der Richtung von I nach N, so scheint IN durch den Punkt B in zwei gleiche Theile getheilt zu sein; wenn man dagegen die Figur in der Richtung von N nach I durchl\u00e4uft, so erscheint umgekehrt I) als der Halbirungspunkt.\nDiese T\u00e4uschung ist so unmerklich, dass, wenn man Jemanden auffordert, den Anfangsbuchstaben K in Druckschrift zu zeichnen, der Aufgeforderte dem Buchstaben fast ausnahmslos die archaistische Form gibt und nicht wenig erstaunt ist, wenn man ihn darauf aufmerksam macht, dass unsere B\u00fccher alle die moderne Form des K zeigen.\nDasselbe gilt f\u00fcr die gothische Form des Buchstabens S (5). Ebenso wie man den Punkt A durch die Punkte BD (Fig. 62) ersetzt hat, so hat man hier die beiden Biegungen des S getrennt. Durch diese Trennung kann man dieselben vergr\u00f6\u00dfern, ebenso wie man LD und MB gr\u00f6\u00dfer als LA und MA machen konnte. Aehn-lich ersetzt man oft beim Buchstaben A die wagerechte Linie E'E' (Fig. 60) durch zwei Querlinien, die nach unten convergiren (A).\nF\u00fcr den Buchstaben H haben wir eine der fr\u00fcher beschriebenen \u00e4hnliche Figur von 20 cm H\u00f6he und 15 cm Breite ausgeschnitten und quantitative Bestimmungen ausgef\u00fchrt \u00fcber die Gr\u00f6\u00dfe, die dem oberen Theil der Figur nach dem Augenma\u00df gegeben wurde.\nTabelle LII.\n\tMit einem Auge\t\nBeobachter C\t97\t1,3\nBeobachter E\t97\t0,5\nBeobachter H\t96,7\t1,2\nTabelle LUI.\n\tMit beiden Augen\t\nBeobachter C\t96,9\t0,5\nBeobachter E\t98,7\t0,4\nBeobachter H\t97,1\t0,9","page":100},{"file":"p0101.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber geometrisch-optische T\u00e4uschungen.\n101\nDasselbe Experiment wurde wiederholt bei einer Drehung des Modells um 45\u00b0 in seiner Ebene.\nTabelle LIV.\n\t0\u00b0\t\t45\u00b0\t\nBeobachter C\t96,9\t0,7\t97,5\t0,5\nBeobachter A\t96,7\t0,4\t98,0\t0,7\nDie T\u00e4uschung vermindert sich demnach bei 45\u00b0, und bei einer Neigung von 90\u00b0 w\u00fcrde sie verschwinden.\nBeim Buchstaben A (/\\_ PEE, Fig. 60) haben wir dagegen folgende Zahlen f\u00fcr die Linie e'e erhalten:\nTabelle LY.\n\t0\u00b0\t\t90\u00b0\t\nBeobachter K.\t92,9\t0,6\t99,1\t1,3\nDie T\u00e4uschung bleibt also auch hier f\u00fcr 90\u00b0 kaum bestehen, was unsere Interpretation best\u00e4tigt.\nDie Ziffer 8 stellt die Figur der beiden Kreise dar; die Buchstaben B, R und S und die Ziffern 3 und 5 stellen da- v gegen nur einen Theil jener Figur dar. Die Biegung des Buchstabens P kann man sich als die halbe Peripherie des oberen Kreises denken (Fig. 63). Die convergente Linie BA' l\u00e4sst die H\u00e4lfte AI gr\u00f6\u00dfer erscheinen als NA. Dies best\u00e4tigt sich darin, dass, wenn der Theil A A B, wie beim Buchstaben H, verschwindet, die T\u00e4uschung sich umkehrt, d. h. der untere Theil scheint nun kleiner zu sein.\nF\u00fcr die Ziffer 9 gilt dieselbe Erkl\u00e4rung \u2018 wie f\u00fcr den Buchstaben P. Die Ziffer 4 hingegen ist ein Theil / der Figur PEE. Wie ,K, so besteht X aus zwei \u00fcber- Fig. 63. einander gestellten Dreiecken.\nSollen die verschiedenen Buchstaben gleich erscheinen, so","page":101},{"file":"p0102.txt","language":"de","ocr_de":"102\nArmand Thi\u00e9ry.\nm\u00fcssen sie etwas ungleiche Dimensionen besitzen. So muss ein rundes O gr\u00f6\u00dfer sein als ein gew\u00f6hnlicher geradliniger Buchstabe (I), denn O gibt, ebenso wie alle regul\u00e4ren Polygone, die kleiner erscheinende M\u00fcller-Lyer\u2019sche Figur 40 wieder.\nAehnliche Beobachtungen lie\u00dfen sich auch auf die kleinen Buchstaben des Alphabets ausdehnen. Doch soll das unterbleiben, da wir auf dieses Gebiet nur gef\u00fchrt wurden, um den Werth der Schl\u00fcsse zu pr\u00fcfen, welche Delboeuf aus seinen Untersuchungen \u00fcber die typographischen Schriftzeichen gezogen hat.\n\u00a7 4. Gr\u00f6\u00dfent\u00e4uschungen an bestimmten Distanzen ohne R\u00fccksicht auf transversale Linien.\nScheinbare Neigung der Verticalen. Wir wissen, dass monocular gesehen eine mit ihrem oberen Ende f\u00fcr das rechte Auge nach rechts und f\u00fcr das linke Auge nach links gerichtete Linie vertical erscheint. Halbe Bilder, die solche Neigungen besitzen, w\u00fcrden im allgemeinen, wenn sie stereoskopisch combinirt werden, einer Linie entsprechen, deren unteres Ende dem Beobachter n\u00e4her ist. Doch wenn sich die horizontale Visir-ebene in ihrer Prim\u00e4rlage und der Faden in der Medianebene befindet, wird der wirklich verticale Faden auch f\u00fcr vertical gehalten. Diese Erscheinung wird dadurch hervorgerufen, dass die Ebene der seitlichen Muskeln und ebenso die Prim\u00e4rlage des Netzhauthorizontes nach vorn unter den wirklichen Horizont geneigt ist. Da unsere beiden Augen nicht vertical \u00fcbereinander, sondern in einer horizontalen Ebene liegen, und da wir uns im allgemeinen auch in horizontaler Richtung bewegen, so ist nothwendig die Stereoskopie verticaler Parallelen am st\u00e4rksten. Wenn wir daher den Kopf so um 90\u00b0 drehen, dass die beiden Augen vertical \u00fcbereinander stehen, so erscheint die Tiefe der verschiedenen horizontalen Fl\u00e4chen einer Landschaft oder eines beliebigen Gegenstandes auffallend vergr\u00f6\u00dfert. Bei normaler Lage der Augen gibt es dagegen f\u00fcr horizontale Parallelen fast nur eine monoculare Stereoskopie. Es k\u00f6nnen darum auch, wie Wundt gezeigt hat, die zwei disparaten Halbbilder zweier verticaler paralleler Linien stereoskopisch zusammenfallen, w\u00e4hrend dies bei disparaten Bildern von","page":102},{"file":"p0103.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber geometrisch-optische T\u00e4uschungen.\n103\nzwei horizontalen Linien nicht der Fall ist1). Yolkmann hat ferner auf experimentellem Wege gefunden, dass beim Sehen von Querlinien die Verschiedenheit des Abstandes der zwei Linien in den beiden Halbbildern (Grenzdistanz) desto gr\u00f6\u00dfer sein darf, je mehr die Querlinien sich den verticalen n\u00e4hern, n\u00e4mlich je weniger sie zum Horizont geneigt sind, und dass ein Kreis leichter mit einer kleineren Ellipse als mit einem kleineren Kreise verschmilzt, vorausgesetzt dass die kleine Achse der ersten in der Richtung der Horizontale liegt2).\nDass f\u00fcr horizontale Distanzen zwischen verticalen Parallelen monoculare Stereoskopie blo\u00df ausnahmsweise oder wenigstens viel seltener vorkommt als f\u00fcr verticale, das hat nat\u00fcrlich zur Folge, dass, wenn wir die Zeichnung eines rechtwinkligen Kreuzes vor Augen haben, die plastische Ansicht einer ungleichen Entfernung der beiden Enden der wagerechten Distanzen nicht zur Geltung kommen kann, w\u00e4hrend die f\u00fcr verticale Distanzen viel leichter stattfindet, vorausgesetzt dass die Zeichnungsebene senkrecht zur Medianebene steht. Recklinghaus\u00e9n hat gezeigt, dass, wenn man auf einer ebenen Fl\u00e4che einen aus einer Anzahl von Linien, die sich in einem Punkte schneiden, bestehenden Stern zeichnet und dessen Mittelpunkt fest mit nach ohen gerichtetem Blick fixirt, die nach oben gerichteten Strahlen des Sterns in einer concaven Kegelfl\u00e4che zu liegen scheinen, die nach unten in einer convexen; \u2014 umgekehrt, wenn man den Kreuzungspunkt der Strahlen mit nach unten gerichtetem Blick fixirt. Helmholtz fand idie T\u00e4uschung noch auffallender, wenn man die fast horizontalen Strahlenlinien wegl\u00e4sst (Phys. Opt. S. 683). Eine \u00e4hnliche falsche Stereoskopie eines verticalen Fadens wird beobachtet, wenn man den Kopf nach hinten oder nach vorn gebeugt hat. Man muss dann das untere Ende des Fadens vom Beobachter entfernen bez. ihm n\u00e4her bringen, damit der Faden vertical erscheint (Hering, Beitr\u00e4ge V. p. 297. Helmholtz p. 663). Dreht man das ganze rechtwinklige Kreuz etwas gegen den Horizont, so ver\u00e4ndert sich die scheinbare Neigung der Verticalen je nach der Richtung der Drehung. Helmholtz beobachtete, dass f\u00fcr eine Neigung von 18\u00b0 nach links\n1)\tWundt, Grundz\u00fcge. 4. Aufl. Bd. II. S. 135.\n2)\tArchiv f\u00fcr Ophthalmologie 1859, Bd. V. II. S. 45.","page":103},{"file":"p0104.txt","language":"de","ocr_de":"104\nArmand Thi\u00e9ry.\ndie T\u00e4uschung der geneigten Lage des oberen Schenkels f\u00fcr das rechte Auge aufh\u00f6rte. In der That scheint in diesem Falle das obere Ende nicht mehr das entferntere zu sein, weil eine monocular betrachtete Linie, die in der Medianebene steht, und deren beide Enden ungleich entfernt sind, mit ihrem entfernteren Ende immer nach links gerichtet zu sein scheint, wenn man mit dem linken, nach rechts, wenn man sie mit dem rechten Auge ansieht. Dem entspricht, dass beim Sehen mit dem rechten Auge die rechts liegende H\u00e4lfte einer horizontalen Linie als die entferntere aufgefasst und deshalb f\u00fcr die gr\u00f6\u00dfere gehalten wird.\nWenn durch vergr\u00f6\u00dferte Convergenz die Prim\u00e4rlage sich tiefer senkt, wird auch die scheinbare Neigung der monocularen Halbbilder der Verticalen entsprechend vergr\u00f6\u00dfert (Helmholtz p. 469). Die scheinbare Neigung der Halbbilder einer verticalen Linie wird dagegen kleiner, wenn man nicht Kreuze, sondern einfache Linien betrachtet, wahrscheinlich deshalb, weil die Fixation des Kreuzungspunktes die stereoskopische Ansicht beg\u00fcnstigt. Volkmann beobachtete in diesem Falle die T\u00e4uschungsgr\u00f6\u00dfe 91,1\u00b0, 90,6\u00b0, also eine Abweichung von 0,5.\nHering glaubte, die scheinbare Neigung sei vom Horopter abh\u00e4ngig. Helmholtz zeigte aber, dass dies nicht der Fall ist. Man muss vielmehr mit Wundt annehmen, dass alle diese Thatsachen zusammen, der Horopter, die Neigung der Ebene der Musculi ex-terni und interni, die schr\u00e4ge Richtung der Prim\u00e4rlage und die davon abh\u00e4ngende scheinbare Neigung einer monocular gesehenen verticalen Linie, der allgemeinen Bedingung des Sehens entsprechen, dass die Objecte in der Regel mit nach vorn geneigter Visirebene gesehen werden. Da in Folge dessen falsche Stereoskopien der verticalen Linie sehr leicht m\u00f6glich sind, so wird die Gr\u00f6\u00dfensch\u00e4tzung derselben dadurch fortw\u00e4hrend beeinflusst.\nAuf die Entwickelung der Tiefenvorstellungen sind vor allem die Bewegungen der Augen von Einfluss. Wir lassen unser Auge vom Nahen zum Fernen hinschweifen, und der Weg, den es dabei zur\u00fccklegt, gibt uns ein Ma\u00df f\u00fcr die Distanzen der nach einander gesehenen Gegenst\u00e4nde'). Dasjenige Ende, das zuerst gesehen wird,\n1) Wundt, Menschen- und Thierseele. 2. Aufl. S. 185.","page":104},{"file":"p0105.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber geometrisch-optische T\u00e4uschungen.\n105\nscheint daher am n\u00e4chsten. Dass die untere H\u00e4lfte einer verticale\u00bb Linie gew\u00f6hnlich zuerst gesehen wird und deshalb n\u00e4her und k\u00fcrzer erscheint, haben wir schon gelegentlich erw\u00e4hnt.\nEine Linie, deren Enden ungleich weit vom Beobachter entfernt sind, wird unter einem verkleinerten Gesichtswinkel gesehen. Wir sind jedoch im Stande, uns von einer solchen scheinbaren Verkleinerung Rechenschaft zu geben, und wir sch\u00e4tzen in Folge dessen gew\u00f6hnlich die Gr\u00f6\u00dfe dieser Linien nicht nur nach ihrem verkleinerten Gesichtswinkel, sondern nach dem gr\u00f6\u00dferen Gesichtswinkel, welchen sie haben w\u00fcrden, wenn ihre beiden Enden vom Beobachter gleich entfernt w\u00e4ren, was ihrer objectiven Gr\u00f6\u00dfe entspricht. Wenn nun die beiden Enden einer Linie durch falsche Stereoskopie ungleich entfernt erscheinen, so erscheint die Linie selbst entsprechend vergr\u00f6\u00dfert. Wenn dagegen die Vorstellung einer verschiedenen Entfernung der beiden Enden einer verticalen Linie nicht mehr m\u00f6glich ist, so h\u00f6rt auch die Uebersch\u00e4tzung auf, und die verticale Linie wird nun ebenso gro\u00df erscheinen wie eine horizontale: das ist in der That der Fall f\u00fcr cfen verticalen und horizontalen Durchmesser eines Kreises. Beide erscheinen gleich gro\u00df, denn die Vorstellung einer ungleichen Entfernung des oberen und unteren Theiles eines Kreises ist nicht so leicht m\u00f6glich wie die des oberen und unteren Theiles einer einfachen verticalen Linie.\nWenn die Verticale sehr kurz ist, dann werden ihre beiden Enden ebenfalls nicht so leicht als ungleich entfernt aufgefasst, weil eine Bewegung der Augen, welche das zuerst gesehene Ende n\u00e4her erscheinen lie\u00dfe, kaum erfolgt. Vielmehr wird die ganze Linie zugleich aufgefasst, weshalb auch hier die T\u00e4uschung kleiner ist. Chodin1) beobachtete z. B. an Linien von verschiedener Gr\u00f6\u00dfe folgende T\u00e4uschungen:\nGr\u00f6\u00dfe der Linie\t2,5 mm\t5\t10\t20\t40\n- T\u00e4uschung\tV61\tVas\tV*o\tVu\tVu-\nUmgekehrt wird eine nur durch zwei Punkte markirte verticale Distanz in jedem der beiden Punkte getrennt beobachtet, da beide Punkte getrennt empfunden werden. Deshalb wird eine ungleiche\n1) Chodin, Archiv f. Ophth. XXIII, S. 106.","page":105},{"file":"p0106.txt","language":"de","ocr_de":"106\nArmand Thi\u00e9ry.\nEntfernung derselben viel leichter vorgestellt. Man kann sich hierbei\nsogar plastisch die verticale Richtung um eine horizontale Achse\nsich drehend denken, so dass sich der eine Punkt den Augen zu n\u00e4hern, der andere zur\u00fcckzutreten scheint. Thats\u00e4chlich bemerkte Wundt, dass die T\u00e4uschung bei einer solchen durch zwei Punkte markirten Verticalen gr\u00f6\u00dfer ist als bei einer ausgezogenen verti-calen Linie. So wurde z. B. eine wagerechte Distanz von 25 mm einer verticalen von 20 mm gleich gesch\u00e4tzt, was einer T\u00e4uschung von yB entspricht. Ein verticaler Ahstand kann aber auch durch zwei wagerechte Linien markirt werden. Werden diese als ungleich entfernt vorgestellt, so erscheint in \u00e4hnlicher Weise ihr verticaler Abstand vergr\u00f6\u00dfert. Gew\u00f6hnlich scheint der Abstand der k\u00fcrzeren Parallelen gr\u00f6\u00dfer als der der l\u00e4ngeren (Fig. 46, S. 83). Man kann aber den letzteren Abstand gr\u00f6\u00dfer erscheinen lassen, wenn man schr\u00e4ge Seitenlinien bei den l\u00e4ngeren Parallelen zieht (Fig. 64),\nso dass ein schr\u00e4ges Parallelogramm entsteht. Die Figur stellt dann perspectivisch ein Rechteck dar, dessen beide horizontale Linien ungleich weit vom Beobachter entfernt sind, w\u00e4hrend dies nicht der Fall\nFig. 64.\nist bei einem rechtwinkligen Viereck, das man zu den k\u00fcrzeren Parallelen construirt. Diese T\u00e4uschung wird noch verst\u00e4rkt, wenn die Perspective durch Schattirung deutlicher hervortritt.\nConcentrische Kreise. Wenn man ein System concentri-scher Kreise auf ein Blatt Papier zeichnet und bei convergirenden Gesichtslinien und geneigter Blickebene deren Mittelpunkt fixirt, so erfahren die Kreise eine kleine scheinbare Drehung um eine horizontale Achse in demselben Sinne wie die verticalen Linien, aber von geringerer Gr\u00f6\u00dfe. Hat man nun einen verticalen Diameter der Kreise hinzugef\u00fcgt, so wird dieser st\u00e4rker geneigt als die Kreise und l\u00f6st sich scheinbar von ihnen los. Bei gehobener Blickebene erscheint das obere Ende des Durchmessers dem Beobachter n\u00e4her als die Ebene des Kreises und das untere Ende entfernter. Zuweilen werden jedoch die oberen und unteren Kreisbogen auf den Durchmesser projicirt; dann erblicken wir sie aber zugleich","page":106},{"file":"p0107.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber geometrisch-optische T\u00e4uschungen.\n107\nwinkelicr verbogen1). Hierdurch l\u00e4sst sich auch verstehen, dass ein spitzer Winkel von 30\u00b0\u201445\u00b0, wenn der eine der beiden Schenkel wagerecht liegt, gr\u00f6\u00dfer erscheint, als wenn der betreffende Schenkel senkrecht steht. Im letzteren Fall erscheinen beide Schenkel um die horizontale Achse gedreht, so dass ihre Ebene schr\u00e4g zu liegen scheint. Ist dagegen der Schenkel wagerecht, so wird er als in der Zeichnungsebene bleibend aufgefasst, w\u00e4hrend der andere Schenkel sich um die horizontale Achse zu drehen scheint. Wie oben bemerkt, ist die scheinbare Vergr\u00f6\u00dferung des Winkels davon abh\u00e4ngig, dass die beiden Schenkel in zwei um die Achse zugleich gedrehten Ebenen vorgestellt werden. Steht der eine Schenkel vertical, so dass die beiden Schenkel in derselben schr\u00e4gen Ebene erscheinen, so muss also die scheinbare Vergr\u00f6\u00dferung der Winkel geringer werden, als wenn blo\u00df ein Schenkel gedreht wird.\nFig. 65.\nDie concentrischen Kreise in dem oben erw\u00e4hnten Versuch lassen sich nun als Darstellungen von Scheiben betrachten, die eventuell in verschiedenen Entfernungen vom Beobachter gelegen sein k\u00f6nnen.\nUntersuchungen an wirklichen und an gezeichneten Scheiben. A. Wirkliche Scheiben. Holtz2) brachte eine gr\u00f6\u00dfere Scheibe HH und eine kleinere ee in verschiedene Entfernungen vom Auge o (Fig. 65). Er beobachtete dann, dass die kleine Scheibe ee vergr\u00f6\u00dfert erschien. Diese Vergr\u00f6\u00dferung wurde von\n1)\tHelmholtz, Phys. Optik. I. Aufl. S. 664.\n2)\tHoltz, G\u00f6ttinger Nachrichten, 1893, S. 496. Ein analoger Versuch findet sich schon bei Smith, Optics, Vol. I, S. 63. Priestley\u2019s Geschichte der Optik, \u00fcbers, von Kluge, II, S. 508.","page":107},{"file":"p0108.txt","language":"de","ocr_de":"108\nArmand Thi\u00e9ry.\nihm quantitativ bestimmt, indem er ee mit verschiedenen anderen seitlich stehenden Scheiben vergleichen lie\u00df. Aus diesen Bestimmungen ging hervor, dass die beobachtete Vergr\u00f6\u00dferung einer Projection entsprach, die nicht genau auf der hinteren Ebene HH, sondern etwa in aa, d. h. etwas n\u00e4her, stattfand, was zu erwarten\nwar, da eine solche stereoskopische Vorstellung nie so stark ist, dass sie die k\u00f6rperhafte Wirklichkeit vollst\u00e4ndig erreicht. Da die Scheibe HH ebenfalls in eine zwischenliegende Entfernung projicirt wird, so erscheint sie in hh, d. h. etwas verkleinert. Man sieht \u00fcbrigens, dass die Vergr\u00f6\u00dferung der Scheibe ee um so bedeutender sein wird, in je weitere Entfernung die hintere Ebene verlegt wird.\nB. Gezeichnete Scheiben. Zwei concentrische Kreise (AFig. 66) stellen perspectivisch dieselben ungleich entfernten Scheiben vor wie im vorigen Versuche. Delboeuf beobachtete auch an diesen Kreisen dieselbe T\u00e4uschung und dieselben Variationen derselben wie Holtz an wirklichen Scheiben. Dabei zeigte sich jedoch folgender Unterschied. Wenn die zwei Kreise objectiv fast gleich gro\u00df sind und ihre Peripherien sehr nahe an einander liegen, so ist die T\u00e4uschung nur klein. Es werden n\u00e4mlich in diesem Falle die zwei Kreise nicht mehr so leicht als einzelne ungleich entfernte Kreise oder Scheiben aufgefasst, sondern eher als ein einziger King. Nimmt man aber die Unterschiede, wie in Fig. 66 A, so wird der \u00e4u\u00dfere Kreis untersch\u00e4tzt und der innere \u00fcbersch\u00e4tzt, wie dies unmittelbar die Vergleichung mit den isolirt gezeichneten Kreisen B und G zeigt.","page":108},{"file":"p0109.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber geometrisch-optische T\u00e4uschungen.\n109\nDelboeuf hat f\u00fcr diese T\u00e4uschung eine ganz andere Erkl\u00e4rung gegeben, indem er meint, dass die innere Figur deshalb \u00fcbersch\u00e4tzt werde, weil sich das Auge nach der \u00e4u\u00dferen Figur hin bewege. Obgleich er quantitative Messungen der T\u00e4uschungen machte, hat er aber nicht erkl\u00e4rt, warum die T\u00e4uschung sehr gro\u00df fiir concentrische Figuren sein kann, w\u00e4hrend andere nicht con-centrische, aber ebenfalls von seitlichen Theilen umfangene Figuren nicht \u00fcbersch\u00e4tzt werden. Nach Delboeuf soll jedoch nicht nur diese T\u00e4uschungsursache in den concentrischen Figuren wirken, sondern noch eine zweite, indem, w\u00e4hrend man die \u00e4u\u00dfere concentrische Figur durchl\u00e4uft, man auch die inneren Conturen durchlaufen m\u00fcsse, was eine gr\u00f6\u00dfere Muskelspannung erfordere und deshalb die \u00e4u\u00dfere Figur kleiner erscheinen lasse. Ferner werde der Durchmesser des \u00e4u\u00dferen Kreises durch den inneren Kreis getheilt und solle in Folge dessen \u00fcbersch\u00e4tzt werden. So konnte also Delboeuf mit der einen oder der anderen dieser beiden T\u00e4uschungsursachen ebenso gut eine Uebersch\u00e4tzung als eine Untersch\u00e4tzung der \u00e4u\u00dferen Figur erkl\u00e4ren. Wenn \u00fcbrigens jede dieser beiden T\u00e4uschungsursachen allein wirkte, w\u00fcrde sie, quantitativ gemessen, blo\u00df eine sehr kleine T\u00e4uschung verursachen. Wie kann man dann aber annehmen, dass, wenn beide einander entgegen wirken, sie so bedeutend gro\u00dfe T\u00e4uschungen in den concentrischen Figuren hervor-rufen? Delboeuf beobachtete, dass die T\u00e4uschung mindestens i/i betr\u00e4gt, n\u00e4mlich ein Kreis von 3 cm Durchmesser wurde gleich einem von 4 cm gesch\u00e4tzt1).\n1) Wie wenig eine solche Attraction wirkt, kann man sehen, indem man nicht concentrische, sondern neben einander liegende Linien oder Bogen vergleicht. Die in der Mitte liegende Strecke wird nicht \u00fcbersch\u00e4tzt, und die von dem Endtheile markirte Strecke wird nicht untersch\u00e4tzt, sondern eher \u00fcbersch\u00e4tzt. Wir haben fr\u00fcher darauf hingewiesen, dass thats\u00e4chlich eine solche Attraction der Augen \u00fcber die Grenzen einer Strecke von nebenstehenden Linien \u00fcberhaupt nicht immer so wirkt, dass eine Uebersch\u00e4tzung dieses Strecke entsteht. Vielmehr wenn die seitlich liegenden Theile passend perspectivisch aufgefasst werden, kann sogar eine Untersch\u00e4tzung Vorkommen. Dieselbe Erkl\u00e4rung, welche Delboeuf f\u00fcr die concentrischen Figuren gab, hat er auch bei den uIIer-Lyer\u2019schen Figuren angewendet. Er hielt die T\u00e4uschung an concen-rischen Figuren f\u00fcr ein Beweismittel, um die Richtigkeit seiner Erkl\u00e4rung der u ler-Ly er\u2019sehen Figuren durch Analogie zu best\u00e4tigen. Das soeben Gesagte gen\u00fcgt, um zu beweisen, dass beide Erkl\u00e4rungen von Delboeuf unzul\u00e4ssig sind.","page":109},{"file":"p0110.txt","language":"de","ocr_de":"110\nArmand Tliicry.\n\u00a7 5. Allgemeine T\u00e4uschungsursachen bei Gr\u00f6\u00dfensch\u00e4tzungen.\nWir wollen hier zun\u00e4chst einige Thatsachen untersuchen, welche Delboeuf ver\u00f6ffentlichte, um seine Hypothese betreffs der T\u00e4uschung bei den M\u00fcller-Lyer\u2019sehen Figuren zu vertheidigen. Die T\u00e4uschung bei den Figuren bleibt bestehen, wenn man den schr\u00e4gen Linien (Fig. 40) die Form von Halbkreisen gibt (M\u00fcller-Lyer). Als Delboeuf die Kreise vervollst\u00e4ndigte, blieb die T\u00e4uschung bestehen. Delboeuf macht nun ferner darauf aufmerksam, dass sich die T\u00e4uschung ab\u00e4ndert, wenn man in den Kreisen Parallellinien zieht. Er findet, dass die T\u00e4uschung gr\u00f6\u00dfer wird, wenn die Linien in den Kreisen in derselben Richtung wie die horizontalen Geraden in Fig. 40 gezogen werden, und dass sie kleiner wird, wenn jene Linien zu diesen Geraden senkrecht gezogen werden. Haben die Parallellinien die Richtung der geraden Linien, so ziehen sie den Blick von dieser fort; hierdurch glaubt Delboeuf beweisen zu zu k\u00f6nnen, dass die Anziehung der Linien jenseits der Grenzen der Geraden in der Regel die T\u00e4uschungsursache bei der M\u00fcller-Lyer-schen Figur sei.\nVergleicht man die Linien CD, yd und cd in Fig. 67, so ist es richtig, dass die T\u00e4uschung in Fig. III gr\u00f6\u00dfer als in Fig. II ist; dagegen ist die T\u00e4uschung in Fig. III gr\u00f6\u00dfer, wenn man die \u00e4u\u00dferen Strecken y'd' und cd' vergleicht. Dies konnte Delboeuf nicht leicht beobachten, weil er keine quatitativen Untersuchungen ausf\u00fcnrte. Wir zeichneten Figuren, deren Distanz CD = yd = cd 34,5 mm war. Die Beobachter verglichen die einzelnen Strecken successiv mit einer geraden Linie, auf welcher sie mittelst des fr\u00fcher beschriebenen Zirkels eine Strecke abnabmen, die ihnen von gleicher Gr\u00f6\u00dfe schien:\n\tCD\ty S\tcd\nBeobachter A H E\t36,9\t0,2 36.7\t0,5 35.8\t0,3\t38,9\t2,3 38,9\t1,3 37,7\t0,8\t36.7\t1,8 36.8\t1,3 35,4\t0,6\nDaraus ersieht man, dass die T\u00e4uschung f\u00fcr yd gr\u00f6\u00dfer ist als f\u00fcr CD und cd. Die mittlere Variation ist f\u00fcr CD eine minimale.","page":110},{"file":"p0111.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber geometrisch-optische T\u00e4uschungen.\nIll\nWir untersuchten dann auf dieselbe Weise die Strecken C'D\u2019, y'\u00f6' und c'd', welche 80 mm ma\u00dfen :\n\tCD\u2019\t\ty'\u00e4\u2019\t\tcd'\t\nBeobachter A\t73,5\t0,9\t79,4\t0,4\t75,0\t1,5\nBeobachter E\t74,3\t0,7\t78,3\t0,5\t75,9\t1,0\nDie T\u00e4uschung ist hier eine minimale f\u00fcr y'\u00f61, ebenso die mittlere Variation.\nFig. 67.\nIm Gegens\u00e4tze zu der Annahme Delhoeuf\u2019s wird also die Vergr\u00f6\u00dferung der T\u00e4uschung nicht dadurch verursacht, dass die Parallel-linien den Blick \u00fcber die Grenzen der zu vergleichenden Strecke lenken oder auf ihr zur\u00fcckhalten. Delboeuf beachtete eben nicht","page":111},{"file":"p0112.txt","language":"de","ocr_de":"112\nArmand Thi\u00e9ry.\ndie T\u00e4uschung, welche in einem beliebigen, Parallellinien enthaltenden Kreise, oder die analoge, die in beliebigen durch Parallellinien eingetheilten Figuren stattfindet (Fig. 68). Jede solche Figur erscheint in der Richtung der Parallellinien erweitert, woraus sich die soeben besprochenen Thatsachen erkl\u00e4ren.\nFig. 68.\nGanz dasselbe gilt auch von der andern von Delboeuf ver\u00f6ffentlichten Figur. Das Quadrat C (Fig. 69) erscheint breiter und nicht so hoch als das Quadrat D. Dies r\u00fchrt davon her, dass die H\u00f6he des Quadrates C durch eine wagerechte Linie halbirt ist.\nFig. 69.\nWundt bemerkte, dass im allgemeinen jede beliebige halbirte Strecke kleiner erscheint, weil das Auge, anstatt die Strecke gleichm\u00e4\u00dfig zu durchlaufen, sich auf den Mittelpunkt heftet. So erscheint auch hier die verticale Strecke 1\u20143 kleiner als die gleich gro\u00dfe horizontale. Noch manche andere T\u00e4uschungen, die von M\u00fcller-Lyer, Wundt u. A. mitgetheilt sind, erkl\u00e4ren sich ohne weiteres nach Analogie von Fig. 68 oder 69.\nDie gothischen Bauwerke, besonders diejenigen der zweiten Periode, bestehen aus neben einander stehenden S\u00e4ulchen, welche","page":112},{"file":"p0113.txt","language":"de","ocr_de":"113\nUeber geometrisch-optische T\u00e4uschungen.\nununterbrochene Parallellinien in senkrechter Richtung darbieten; diese Bauwerke erscheinen h\u00f6her und schm\u00e4ler.\nDie antiken griechischen Bilds\u00e4ulen waren mit langfaltigen Kleidern bedeckt, deren Falten ununterbrochen in der senkrechten Richtung liefen; diese Kleidung scheint die Statur schlanker und h\u00f6her zu machen.\nAlle diese T\u00e4uschungen basiren auf dem allgemein bekannten Gesetze, dass die vom Auge durchlaufenen Strecken gr\u00f6\u00dfer als jene erscheinen, welche es sieht, ohne sie zu durchlaufen, oder die es nur theilweise durchl\u00e4uft.\nUm f\u00fcr diese Classe von T\u00e4uschungen noch weitere messende Bestimmungen zu gewinnen, verglichen wir mittelst des fr\u00fcher beschriebenen Zirkels eine gerade Linie mit der Breite eines in Papier ausgeschnittenen Quadrats, wenn dieses Quadrat entweder aus wei\u00dfem oder aus in Millimeterquadraten liniirtem Papier bestand. Die verwendeten Quadrate hatten 40 mm lange Seiten:\n\tWei\u00dfes Papier\t\tLiniirtes Papier\t\nBeobachter H\t39,5\t1,1\t40,1\t0,9\nBeobachter A\t40,1\t0,4\t41,45\t0,3\t\u25a0\nIn Folge des fr\u00fcher besprochenen Einflusses der Convergenz sind die Zahlen kleiner, wenn die H\u00f6he verglichen wird.\n\tWei\u00dfes Papier\tLiniirtes Papier\nBeobachter A\t39,87\t1,1 ,\t39,96\t0,3\nDie Linien, welche vorwiegend, in einer Figur die Aufmerksamkeit fesseln und so den Blick bestimmen, sie in ihrer Richtung zu durchlaufen, treten lebhafter hervor; in dieser Richtung wird daher die Gr\u00f6\u00dfe der Linien \u00fcbersch\u00e4tzt. Diese Art Linien nennt Wundt Fixationslinien1). So sagt z. B. Wundt mit Beziehung\nU Wundt, Physiol. Psychol. 4. Aufl. II, S. 148.\nWandt, PhildB. Studien. XII.\n8","page":113},{"file":"p0114.txt","language":"de","ocr_de":"114\nArmand Thi\u00e9ry.\nauf die Figur 70: \u00bbDa die Figur verticale Fixationslinien zeigt, w\u00e4hrend in der horizontalen Richtung dieselben fehlen, sch\u00e4tzen wir die verticale Ausdehnung gr\u00f6\u00dfer als sie ist\u00ab.\nDie stereoskopischen Beobachtungen \u00fcber den Streit der Con-turen bieten ein weiteres Beispiel einer solchen Wirkung. In einem Experimente von Wundt wird jedem Auge eine Figur dargehoten; beide Figuren unterscheiden sich darin, dass die eine verticale, die andere horizontale Gerade enth\u00e4lt (Fig. 71). Wenn man nun die beiden Bilder durch ein Stereoskop vereinigt, so erscheint uns die Totalfigur entweder mit den horizontalen oder den verticalen Linien, je nachdem wir eine Bewegung der Augen nach der einen oder der andern Richtung vor-^\t^ nehmen. Die Bewegung kann zuf\u00e4llig, unfreiwillig\n\u00b0\toder absichtlich sein.\nMan sieht also, dass die Muskelbewegung des Auges in einer bestimmten Richtung das Sehen der Linien beg\u00fcnstigt, die nach dieser Richtung gezogen sind. Da nun unsere Augen sich naturgem\u00e4\u00df nach den bequemsten Functionshedingungen einstellen, so\nFig. 71.\ndurchlaufen wir im allgemeinen eine Figur in der Richtung der vorwiegenden Linien, welche haupts\u00e4chlich die Figur bilden.\nWundt hat auch gezeigt, dass ein solcher Umstand zur T\u00e4uschung in der Figur von M\u00fcller-Lyer beitr\u00e4gt. In der stumpfwinkligen Figur (der oberen Fig. 40) stellen die Schenkel mit der Hauptlinie zusammen eine Fixationslinie dar. Nun durchl\u00e4uft das Auge mit einem einzigen Blicke die Schenkel und die Hauptlinie, wogegen es in der spitzwinkligen Figur (der unteren Fig. 40) nur die Hauptlinie durchl\u00e4uft.","page":114},{"file":"p0115.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber geometrisch-optische T\u00e4uschungen.\n115\nM\u00fcller-Lyer hat darauf aufmerksam gemacht, dass die Schenkel eines spitzen Winkels kleiner erscheinen als die eines stumpfen. Diese T\u00e4uschung beruht auf demselben Princip. In den stumpfen Winkeln sind die Schenkel nicht weit davon entfernt, eine einzige Richtung zu bilden, die gleichzeitig Fixationsrichtung wird; die Schenkel eines spitzen Winkels hingegen bilden sehr abweichende Richtungen.\nM\u00fcller-Lyer meinte, die T\u00e4uschung werde dadurch hervorgerufen, dass der durch einen spitzen Winkel eingeschlossene Zwischenraum geringer sei als der durch einen stumpfen Winkel umschlossene, und das Urtheil \u00fcber den eingeschlossenen Zwischen-\nFig. 72.\nFig. 73.\nraum beeinflusse jenes \u00fcber die Schenkelgr\u00f6\u00dfe des Winkels. Experimente, die von Laska1) ausgef\u00fchrt worden sind, zeigen aber, dass dem nicht so ist; in Fig. 72 erscheinen die Schenkel des spitzeren Winkels l\u00e4nger. Dies r\u00fchrt davon her, dass die horizontale Linie, weil sie l\u00e4nger ist, Fixationslinie wird. Da sich nun der schr\u00e4ge Schenkel des spitzeren Winkels dieser Fixationsrichtung n\u00e4hert, und zwar am meisten, so wird auch dieser Schenkel \u00fcbersch\u00e4tzt.\nEin anderes gleichfalls von Laska herr\u00fchrendes Beispiel zeigt dies noch klarer. In der Figur C (Fig. 73) erscheint der schr\u00e4ge Schenkel des spitzen Winkels kleiner als der analoge schr\u00e4ge Schenkel des gr\u00f6\u00dferen Winkels. In der Figur D findet das Gegentheil statt: hier stellen die horizontalen Schenkel, da sie verbunden sind, eine mehr hervortretende lange Linie dar, welche Fixationslinie\n1) Laska, Archiv f. Physiologie, 1890, S. 326.\n8*","page":115},{"file":"p0116.txt","language":"de","ocr_de":"116\nArmand Thi\u00e9ry.\nwird. Doch sei bemerkt, dass L\u00e4ska diese T\u00e4uschungen, statt sie an die Erscheinungen der Fixationslinien anzureihen, von einem neuen Princip, das er das \u00bbPrincip der Discontinuit\u00e4t\u00ab nennt, abh\u00e4ngig machte. Nach diesem Principe sollen wir Linien beurtheilen, indem wir ihre freien Enden in irgend einem Punkte der Figur durch imagin\u00e4re Linien verbinden, so als wenn alle Unterbrechungen ausgef\u00fcllt w\u00e4ren. So z. B. erg\u00e4nzt L\u00e4ska die Figuren 72 und 73 in der in Fig. 74 angegebenen Weise. Er bemerkt nun, dass sich die T\u00e4uschung im entgegengesetzten Sinne zeigt, d. h. dass die schr\u00e4gen Schenkel des minder spitzen Winkels gr\u00f6\u00dfer erscheinen. Er meint, dies werde dadurch hervorgerufen, dass in diesem Falle die Unterbrechungen ausgef\u00fcllt werden, indem man die freien Enden der Schenkel der spitzeren Winkel und in derselben Weise die der minder spitzen Winkel verbinde. Da diese letzteren imagin\u00e4ren\nLinien gr\u00f6\u00dfer seien, so sollen die Schenkel selber gr\u00f6\u00dfer erscheinen. Aber, wie wir gesehen haben, wird das Auge diese Figur in der verti-calen Richtung durchlaufen, da in dieser Richtung die wesentlichen Elemente symmetrisch gef\u00fchrt sind; die Schenkel der weniger spitzen Winkel werden also in diesem Falle l\u00e4nger erscheinen, weil sie mehr in der Blickrichtung liegen.\nAus diesen zwei Beispielen ersieht man, wie leicht es ist, die durch M\u00fcller-Lyer beschriebene T\u00e4uschung \u00fcber die Schenkel der spitzen und stumpfen Winkel zu ver\u00e4ndern und die umgekehrte T\u00e4uschung an deren Stelle zu setzen. Ueberdies ist, wie M\u00fcller-Lyer selbst best\u00e4tigt, die T\u00e4uschung \u00e4u\u00dferst minimal. Diese beiden Umst\u00e4nde beweisen, dass die Uebersch\u00e4tzung der Schenkel eines stumpfen Winkels die T\u00e4uschungsursache der M\u00fcller-Lyer\u2019schen Figuren nicht sein kann.\nVerm\u00f6ge einer wohlbekannten T\u00e4uschung erscheint ein gleichseitiges Dreieck gleichschenklig aber ungleichseitig; die eine Seite erscheint kleiner als die beiden anderen. Denkt man sich, dass irgend eine der drei Seiten die Basis des Dreiecks sei, so erscheint diese Seite sofort kleiner; die anderen erscheinen unter sich gleich,\nFig. 74.","page":116},{"file":"p0117.txt","language":"de","ocr_de":", Deber geometrisch-optische T\u00e4uschungen.\n117\naber gr\u00f6\u00dfer als jene. Man kann sich daher successive je eine der drei Seiten als Basis des Dreiecks denken und solcherma\u00dfen die scheinbaren Gr\u00f6\u00dfen \u00e4ndern. Wenn man bei dieser T\u00e4uschung die eine Seite als Basis annimmt, betrachtet man aber in Wirklichkeit als symmetrische Linie die auf der Mitte jener Seite gezogene Senkrechte, und diese ist dann die Blickrichtung. In Fig. 75 A sind zwei Seiten eines Dreiecks zwei Seiten eines andern parallel. Die nicht wagerechten parallelen Seiten liegen auf der Verl\u00e4ngerung zu einander. Die parallelen Seiten sind gleich lang, die dritte Seite wird daher als die Basis angesehen. Der soeben besprochenen T\u00e4uschung gem\u00e4\u00df erscheinen nun die beiden ersten Seiten verl\u00e4ngert, und es scheint die H\u00f6he des Dreiecks vergr\u00f6\u00dfert, woraus sich erkl\u00e4rt, dass die in Wirklichkeit auf der Verl\u00e4ngerung zu einander liegenden Seiten zwar parallel, aber gegen einander verschoben erscheinen. Es scheint so, als w\u00e4re das untere Dreieck\tFig. 75.\netwas nach rechts verstellt. Verl\u00e4ngert man dagegen die wagerechte Seite um eine sehr geringe Gr\u00f6\u00dfe (Fig. 75 2?), so findet die T\u00e4uschung in umgekehrter Richtung statt: es scheint nun das untere Dreieck nach links verstellt zu sein. Durch diese Ab\u00e4nderung der Figur ist n\u00e4mlich die wagerechte Linie vergr\u00f6\u00dfert worden, und dies gen\u00fcgt, um die fr\u00fcher untersuchte T\u00e4uschung der beiden, von einer Transversalen durchkreuzten Parallellinien zu erzeugen (s. oben Fig. 70). Brentano bat diese Figuren mit der fr\u00fcheren Orts bereits mitgetheilten unzul\u00e4nglichen Erkl\u00e4rung ver\u00f6ffentlicht. Der Einfluss der Fixationslinien muss nun noth wendigerweise jedes Mal eine umgekehrte T\u00e4uschung hervorbringen, wenn das Auge, statt der Richtung","page":117},{"file":"p0118.txt","language":"de","ocr_de":"118\nArmand Thi\u00e9ry.\nder Linien einer Figur zu folgen, gezwungen wird, diese Figur in umgekehrter Richtung zu durchlaufen. Nehmen wir z. B. das schon besprochene gleichseitige Dreieck an. Wenn wir darin von einander gleich weit entfernte, mit einer der Dreiecksseiten parallel laufende gerade Linien zeichnen, so ist es kaum mehr m\u00f6glich, eine beliebige Seite als die Basis des Dreiecks zu betrachten, sondern durch die Linien werden wir veranlasst, diejenige Seite als Basis zu betrachten, zu der die Parallellinien gezogen sind. Aber auch noch auf andere Weise kann man bewirken, dass eine Seite allein als Basis betrachtet wird, und dass die Dimension der anderen beiden Seiten in Folge dessen gr\u00f6\u00dfer erscheint. Wenn man z. B. in einem gleichseitigen Dreieck eine Seite durch Farbe oder durch Punktirung auszeichnet, so wird diese als die Basis angesehen. L\u00e4sst man in der Dreiecksfigur, die durch die Parallellinien zur Basis gewonnen ist, die beiden andern Seiten ganz weg, so dass die Richtung dieser Seiten nur durch die Enden der Parallellinien bezeichnet wird, so muss der Blick, um sich \u00fcber die Form der Figur klar zu werden, die zu den Parallellinien senkrechte Richtung durchlaufen. Da also das Auge nicht den Parallellinien folgen kann, sondern die Fl\u00f6he des Dreiecks durchl\u00e4uft, so scheint diese H\u00f6he gr\u00f6\u00dfer zu sein, eine T\u00e4uschung, die au\u00dferdem durch die Eintheilung der Figur unterst\u00fctzt werden kann.\nAus den Hering\u2019schen und Kundt\u2019sehen Experimenten wei\u00df man, dass eine durch unzusammenh\u00e4ngende Punkte gezeichnete Strecke gr\u00f6\u00dfer erscheint als eine ununterbrochen gezeichnete. Ferner erh\u00e4lt man verschiedene quantitative Ergebnisse, je nachdem man mit Punkten oder mit zu der gemessenen Richtung senkrechten geraden Linien experimentirt. Kundt hat sorgf\u00e4ltige Versuche gemacht, um die Gr\u00f6\u00dfe der T\u00e4uschung zu bestimmen, die uns eine von Punkten ausgef\u00fcllte Strecke gr\u00f6\u00dfer als eine leere Strecke erscheinen l\u00e4sst. Die von ihm erhaltenen Zahlen waren kleiner als die von Aubert bei sonst gleichen Verh\u00e4ltnissen an geraden Linien erhaltenen, die durch leere Zwischenr\u00e4ume getrennt sind. Dieser Unterschied bei so genauen Experimentatoren fiel Messer auf, welcher die Kundt\u2019schen und Aubert\u2019sehen Experimente erneuerte1),\n1) Poggendorff\u2019s Annalen, CLVII, S. 172.","page":118},{"file":"p0119.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber geometrisch-optisehe T\u00e4uschungen.\n119\nund es gelang ihm nachzuweisen, dass der Unterschied zwischen den Ergebnissen der beiden Gelehrten ein regelm\u00e4\u00dfiger und con-stanter ist, indem bei geraden Linien die T\u00e4uschung stets gr\u00f6\u00dfer ist als hei unzusammenh\u00e4ngenden Punkten. Auch fand Messer, dass die Distanz zwischen den Parallellinien um so gr\u00f6\u00dfer erscheint, je l\u00e4nger die Parallellinien sind. Ebenso erscheint hei geraden Linien, welche so angeordnet sind, dass ihre Enden den Umriss eines vollkommenen Quadrats bilden, das Quadrat in der zu den Parallellinien senkrechten Richtung gr\u00f6\u00dfer. Auch hier entscheidet, wie heim Dreieck, neben der vergr\u00f6\u00dfernden Wirkung der Einthei-lung, die Richtung, in welcher das Auge die Figur durchl\u00e4uft.\nW\u00e4re die fr\u00fcher (S. 109) erw\u00e4hnte Delhoeuf\u2019sche Erkl\u00e4rung der von ihm beobachteten scheinbaren Verkleinerung einer aus con-centrischen Kreisen bestehenden Figur richtig, so m\u00fcsste eine ge-theilte Linie dieselben T\u00e4uschungen darbieten. Ein Kreis, welcher zwei andere Kreise umschlie\u00dft, hat 6 Eintheilungen in der Richtung des Durchmessers; er m\u00fcsste also gr\u00f6\u00dfer erscheinen als ein einfacher Kreis vom selben Durchmesser. In der That erscheint auch, -wenn man nicht einen Kreis (wie in Fig. 66, S. 108), sondern zwei Kreise concentrisch in einen gr\u00f6\u00dferen Kreis einf\u00fcgt, dieser Kreis nicht kleiner, wie Delboeuf glaubt, sondern gr\u00f6\u00dfer als ein leerer Kreis, und diese T\u00e4uschung wird noch gr\u00f6\u00dfer, wenn man die Zahl der concentrischen Kreise weiter vermehrt. Doch geht dies nur bis zu einer gewissen Grenze, jenseits deren dann die T\u00e4uschung wieder abnimmt. Dies zeigen die folgenden Messungen. Ein einfacher Kreis oder ein Kreis von gleichem Durchmesser, welcher zwei oder mehr andere, kleinere Kr\u00e9ise umschloss, wurde dem Beobachter vorgelegt, welcher die Distanz eines Zirkels ab-\u2022\u00e4nderte, bis dieselbe ihm dem Kreisdurchmesser gleich schien. Der Zirkel wurde hierbei auf eine gerade Linie gelegt, und die Versuchsperson ver\u00e4nderte die Distanz des Zirkels mittelst einer angebrachten Schraube.\nTabelle LVI.\n\t1 Kreis\t3 Kreise\t14 Kreise\t28 Kreise\nBeobachter A\t27,6\t0,7\t28,1\t0,9\t29,6\t1,0\t28,8\t0,7","page":119},{"file":"p0120.txt","language":"de","ocr_de":"120\nArmand Thi\u00e9ry.\nPL\nPr\nBei 28 concentrischen Kreisen fand sich demnach ein Ma\u00df von 28,83 mm, w\u00e4hrend blo\u00df 14 Kreise ein solches von 29,66 mm ergaben. Ein Kaum scheint nicht proportional der Zahl seiner Ein-theilungen gr\u00f6\u00dfer. Dagegen ist bekannt, dass ein regelm\u00e4\u00dfig ein-getheilter Raum kleiner erscheint als ein unregelm\u00e4\u00dfig einge-theilter.\nWir haben bereits gesehen, dass eine in zwei gleiche Theile ge-theilte Linie k\u00fcrzer erscheint als eine eingetheilte Linie, dies h\u00e4ngt nach Wundt davon ab, dass man, sobald man die Mitte einer geraden Linie bezeichnet, versucht wird, die ganze Linie durch Fixirung dieses Mittelpunktes zu sehen, ohne sie zu durchlaufen. Vielleicht k\u00f6nnte man sagen, dass dasselbe bei zwei concentrischen Kreisen geschieht, und dass man dabei versucht wird, diese Kreise durch Fixirung des gemeinschaftlichen Mittelpunktes zu sehen, ohne diese Kreise zu durchlaufen, und dass der \u00e4u\u00dfere Kreis deswegen kleiner erscheine. Ein anderer Factor besteht darin, dass wir, wenn wir die Mitte einer wagerechten Strecke fixiren, versucht werden, die Mitte in gr\u00f6\u00dfere Entfernung zu localisiren als die Enden und zwar wegen der Disparit\u00e4t der Bilder.\nDie drei Punkte (Fig. 76) sind in gleichen Abst\u00e4nden von einander und auch vom Beobachter 0 gleich entfernt. Da die Strecke JE PI dem linken Auge n\u00e4her ist als dem rechten, so ist sie auf der Netzhaut dieses Auges gr\u00f6\u00dfer als die Strecke PrE (umgekehrt f\u00fcr das rechte Auge) ; die beiden ungleichen Halbbilder erwecken aber stereoskopisch combinirt den Schein, als ob der Punkt E vom Beobachter entfernter w\u00e4re als die beiden andern Punkte. Helmholtz beobachtete diese T\u00e4uschung mittelst dreier senkrechter Stangen oder F\u00e4den und stellte die Lage fest, welche der Faden E vor den Punkten Pr und PI einnehmen musste, damit diese drei Punkte auf einer geraden Linie zu liegen schienen. Wir denken, dass die griechischen Architekten aus diesem Grunde der Vorderseite des Tempels eine leichte convexe Biegung gaben, damit die Mitte der Tempelfront nicht vertieft aussehen sollte. Diese Ursache steht zugleich\nO\nFig. 76.","page":120},{"file":"p0121.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber geometrisch-optische T\u00e4uschungen. \"\t121\nin Verbindung mit dem Umst\u00e4nde^ dass das subjective Sehfeld kugelf\u00f6rmig ist.\t*\nDass eine in zwei gleiche Theile getheilte Distanz kleiner scheint, ist eine dem Gesichtssinne eigenth\u00fcmliche T\u00e4uschung. So scheint sie z. B. beim Tastsinn nicht kleiner, sondern gr\u00f6\u00dfer als eine ungetheilte Distanz. Abgesehen von den in zwei Theile ge-theilten Distanzen ist aber die Uebersch\u00e4tzung der getheilten Distanzen beim Tast- wie beim Gesichtssinn \u00fcbereinstimmend zu finden.\n\u00a7 6. Schlussbemerkungen.\nEs ist eine interessante Thatsache, dass bei den geometrischoptischen T\u00e4uschungen die Sch\u00e4tzung einem\" rein sinnlichen Reize zu entsprechen scheint, so dass, wenn die Versuchsperson befragt wird, warum sie von zwei gleich gro\u00dfen Figuren die eine gr\u00f6\u00dfer sch\u00e4tzt als die andere, sie dies nicht sagen kann, also z. B. auch \u00fcber die Motive der Perspective sich keine Rechenschaft gibt. Hiernach beruht die T\u00e4uschung auf einer Art von Simultan-Asso-ciation, die man Assimilation nennt1). Bei dieser Associationsform glaubt man das \u00e4u\u00dfere Object unmittelbar und nur nach seinen unmittelbar gegebenen Eigenschaften wahrzunehmen, w\u00e4hrend in der That sich auch andere mittelbare, durch Gewohnheit erworbene Elemente an der Vorstellung des Objectes betheiligen, ohne dass das Bewusstsein von diesem Zusatz eine besondere Vorstellung empf\u00e4ngt. Bekannte Assimilationen sind beispielsweise diejenigen, welche darin bestehen, dass man ein bekanntes Wort liest, wo nur einige bedeutungslose Buchstaben vorhanden sind. In diesem Falle merken wir gar nicht, dass wir zu den vorhandenen Buchstaben irgend etwas hinzugef\u00fcgt haben, vielmehr glauben wir das Wort wirklich gesehen zu haben. Noch auffallender ist eine solche Assimilations-Association, wenn man die auf den Cou-lissen einer B\u00fchne gemalten Gegenst\u00e4nde wahrnimmt. Wir haben auch in diesem Falle keine Ahnung von den vielen Elementen, die wir dem Vorhandenen hinzuf\u00fcgen, und wir merken z. B. keineswegs, dass diese falsche Sch\u00e4tzung der Dimensionsverh\u00e4ltnisse durch einen perspectivischen Einfluss hervorgerufen wird.\n1) Wundt, Physiol. Psychol. 4. Aufl. II, S. 439.","page":121},{"file":"p0122.txt","language":"de","ocr_de":"122\nArmand Thi\u00e9ry.\nDie Assimilation \u00fcberhaupt beruht auf der Gewohnheit, diejenigen Elemente hinzuzuf\u00fcgen, welche man mit dem Vorhandenen immer verbunden gesehen hat. Ist man z. B. mit einer bestimmten Lect\u00fcre fortw\u00e4hrend besch\u00e4ftigt, so werden die speciellen Worte dieser Lect\u00fcre gel\u00e4ufig, und man glaubt sehr oft dieselben zu sehen, wenn man auf der Stra\u00dfe zuf\u00e4llig Namen liest, die mit jenen Worten nur eine geringe Aehnlichkeit, d. h. nur einige Buchstaben und allgemeine Formen mit ihnen gemein haben (Wundt). Bei den perspectivisch-geometrischen T\u00e4uschungen k\u00f6nnen ebenso wie bei dem Anblick von Theatercoulissen Dimensionst\u00e4uschungen entstehen. Ein Unterschied zwischen beiden F\u00e4llen liegt aber darin, dass bei den perspectivisch-geometrischen T\u00e4uschungen die perspec-tivische Ansicht zuweilen nicht so auffallend ist.\nWir haben in der That mehrere Beispiele von geometrischoptischen T\u00e4uschungen kennen gelernt, welche die Eigenschaft hatten, dass sie von Relief- oder perspectivischen Vorstellungen begleitet werden k\u00f6nnen. Im allgemeinen gibt es aber zwei Classen perspectivisch-geometrischer T\u00e4uschungen :\n1)\tT\u00e4uschungen, welche so beschaffen sind, dass Relief-Vor-stellungen der Figur entstehen k\u00f6nnen. Durch die Relief-Ansicht erscheint die Figur nicht mehr als eine Ebene, sondern als ein erhabenes Object. Zum Beispiel kann man diese Relief-Ansicht an den prismatischen Figuren (Fig. 4\u20146, Bd. XI S. 319) und bei der Helmholtz\u2019sehen Untersuchung der Z\u00f6llner\u2019schen Figur (Bd. XI S. 313) wahrnehmen.\n2)\tT\u00e4uschungen, bei welchen man keine directe Relief-Ansicht beobachtet, wobei man jedoch erkennen kann, dass es m\u00f6glich ist, die Figur perspectivisch zu interpretiren. Das hei\u00dft: die Figur erscheint in der Zeichnungsebene, stellt jedoch erhabene Gegenst\u00e4nde dar, so dass sie wirklichen Gegenst\u00e4nden entspricht, deren verschiedene Theile in verschiedenen Entfernungen vom Beobachter liegen w\u00fcrden.\nMan k\u00f6nnte die T\u00e4uschungen beider Classen erkl\u00e4ren wollen, indem man sagte, die Relief- und die perspectivische Vorstellung veranlasse eine entsprechende Ver\u00e4nderung der Dimensionen der Figur. Diese Erkl\u00e4rung ist indess unzul\u00e4ssig, denn die T\u00e4uschung existirt auch, wenn die Relief- oder perspectivischen Vorstellungen","page":122},{"file":"p0123.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber geometrisch-optische T\u00e4uschungen.\n123\nnicht mehr vorhanden sind, so dass nur die Dimensionsvorstellung der Figur, d. h. die Dimensionst\u00e4uschung allein zum Bewusstsein kommt. Demnach ist die T\u00e4uschungsursache in keiner anderen Vorstellung als in der Dimensionsvorstellung seihst, d. h. in der einfachen Dimensionssch\u00e4tzung der Figur zu suchen. Die falsche Sch\u00e4tzung, welche die T\u00e4uschung bildet, erscheint in unserem Bewusstsein als ganz unabh\u00e4ngig von irgend einer anderen Vorstellung; sie entsteht keineswegs als Schluss oder Ergehniss einer Reihe oder Kette von Vorstellungen. Dem entsprechend ist eine successive Association kein nothwendiges Element der T\u00e4uschung.\nUm die Art der hier vorhandenen Simultanassociationen zu verstehen, muss man bedenken, dass \u00fcberhaupt die Dimensionssch\u00e4tzung beim Gesichtssinn immer eine Verschmelzung von mehreren Bestandteilen ist, in denen der Gesichtswinkel und die Distanz, in welche wir das Netzhautbild projiciren, zwei notwendige Elemente jeder Sch\u00e4tzung sind. Doch sind auch sie keineswegs als solche distincte Vorstellungen, sondern sie verschmelzen in der einzigen Vorstellung der Dimensionen. Betrachtet man z. B. die Sonne am freien Himmel, so wird man eine gewisse Sch\u00e4tzung ihrer Gr\u00f6\u00dfe bekommen; betrachtet man alsdann die Sonne durch ein in einer schwarzen Mappe gemachtes Loch, so wird man von der Gr\u00f6\u00dfe der Sonne eine viel kleinere Vorstellung haben (vorausgesetzt, dass die Mappe ungef\u00e4hr einen Fu\u00df vom Auge entfernt ist, und dass in dieser Lage der Gesichtswinkel des Loches ungef\u00e4hr zweimal so gro\u00df ist wie derjenige der Sonne). Indem man diese scheinbare Verkleinerung der Sonne beobachtet, wird man nicht zum Bewusstsein davon gelangen, dass dieselbe dadurch verursacht worden ist, dass man die Sonne viel n\u00e4her projicirt hat. Man hat vielmehr keine Ahnung davon, dass man dieselbe einmal n\u00e4her und einmal weiter projicirt; nur die Reflexion a posteriori kann uns hier\u00fcber aufkl\u00e4ren.\nDie Projectionsdistanz, der Gesichtswinkel sowie die anderen Elemente der Sch\u00e4tzung sind also keineswegs distincte Vorstellungen, die separat zum Bewusstsein gelangen und dann in einer ganz bestimmten Weise sich vereinigen, sondern sie sind verschmolzen in die Gesammtvorstellung der Dimensionssch\u00e4tzung, so dass, wenn sich ein ein einziges Element \u00e4ndert, die Gesammtvorstellung auch sich \u00e4ndert, insofern dieses Element ein constitutiver Bestandteil","page":123},{"file":"p0124.txt","language":"de","ocr_de":"124\nArmand Thi\u00e9ry.\nder Gesammtvorstellung ist. Aber nur diese Ver\u00e4nderung des Ganzen, d. h. der Gesammtvorstellung, ist f\u00fcr unser Bewusstsein wahrnehmbar. So ist die Ver\u00e4nderung der Projectionsdistanz im obigen Beispiele unwahrnehmbar; blo\u00df die Ver\u00e4nderung der scheinbaren Gr\u00f6\u00dfe der Sonne wird wahrgenommen.\nUeberhaupt kann das Bewusstsein keineswegs sagen, ob die wahrgenommene Ver\u00e4nderung der Gesammtvorstellung von der Ver\u00e4nderung des einen oder des andern Elementes hervorgerufen wird, denn die verschiedenen Elemente einer Gesammtvorstellung verschmelzen, so dass nur die planm\u00e4\u00dfige Untersuchung und die Beachtung der Umst\u00e4nde und der physiologischen und geometrischen Momente dar\u00fcber entscheiden k\u00f6nnen, von welchen Ver\u00e4nderungen der Elemente die Ver\u00e4nderung der Gesammtvorstellung hervorgerufen worden ist.\nIn dem vorstehenden Beispiele der scheinbaren Gr\u00f6\u00dfe der Sonne wird, obgleich man von einer Ver\u00e4nderung der Projectionsdistanz nichts wahrnimmt, doch niemand zweifeln, dass die Ver\u00e4nderung der scheinbaren Gr\u00f6\u00dfe von jener herr\u00fchrt.\nIn diesem Falle w\u00e4re demnach der Schluss nicht richtig: man hat keine perspectivische Vorstellung der Ver\u00e4nderung der Projectionsdistanz wahrgenommen, also kann die Ver\u00e4nderung dieser Projectionsdistanz nicht die Ursache der Ver\u00e4nderung der scheinbaren Gr\u00f6\u00dfe der Sonne sein. Ein solcher Schluss kann also auch f\u00fcr die anderen in dieser Arbeit behandelten T\u00e4uschungen nicht richtig sein. Nicht nur haben Nebenvorstellungen offenbar Einfluss auf eine Vorstellung, sondern auch deren verschiedene Bestandteile. Ein solcher Bestandteil, keine Nebenvorstellung, ist aber die Projectionsdistanz. An und f\u00fcr sich kann sie nicht von der Sch\u00e4tzung, auf die sie eine Wirkung aus\u00fcbt, abgetrennt werden; sie braucht nicht selbst eine besondere Vorstellung zu bilden, um einen Einfluss auf die Gesammtvorstellung auszu\u00fcben, welche sie mit anderen Bestandteilen constituirt, sondern man muss annehmen, dass, wenn ein Bestandtheil einer solchen Vorstellung ver\u00e4ndert wird, dieses einen Einfluss auf die Gesammtvorstellung aus\u00fcbt. Blo\u00df in einem speciellen Sinne darf man sagen, die perspectivisch-geometrischen T\u00e4uschungen seien unbewusste Schl\u00fcsse, insofern n\u00e4mlich, als die Sch\u00e4tzung als eine unmittelbare erscheint. Eine wissenschaftliche","page":124},{"file":"p0125.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber geometrisch-optische T\u00e4uschungen.\n125\nDarlegung ist aber allein im Stande, den Einfluss der verschiedenen Elemente der Sch\u00e4tzung und speciell den der perspectivischen Elemente direct zum Vorschein zu bringen; gerade so wie Wundt f\u00fcr mehrere andere psychologische Gebiete diesen Process beschreibt. So verh\u00e4lt es sich z. B. mit optischen T\u00e4uschungen gerade so wie mit Vorstellungen der Bewegung. Die Vorstellung der Dimensionen der Gegenst\u00e4nde ist f\u00fcr uns die Hauptsache, w\u00e4hrend die Elemente einzeln nicht in Betracht kommen.\nIn diesem Sinne ist es richtig, dass distincte perspectivische Vorstellungen im allgemeinen die geometrisch-optischen T\u00e4uschungen nicht verursachen, da solche distincte Vorstellungen an und f\u00fcr sich erst nach Ueberlegung erscheinen und zuweilen \u00fcberhaupt nicht zum Vorschein kommen. Die perspectivische Erkl\u00e4rung der T\u00e4uschung ist daher nicht so zu verstehen, dass eine perspectivische Vorstellung nothwendig sei, damit die T\u00e4uschung entstehe. Vielmehr haben viele Menschen, f\u00fcr welche diese T\u00e4uschungen bestehen, die perspectivische Bedeutung der Figuren \u00fcberhaupt nicht bemerkt1).\n1) Anmerkung des Herausgebers. Den eingehenden Untersuchungen des Yerf.\u2019s, die \u00fcber die wechselseitigen Beziehungen zahlreicher geometrischoptischer T\u00e4uschungen Licht verbreiten, m\u00f6chte ich nicht unterlassen hier die kurze Bemerkung beizuf\u00fcgen, dass ich zwar mit dem Verf. die gro\u00dfe Bedeutung der perspectivischen Projection f\u00fcr diese Erscheinungen anerkenne, dass ich aber mit seinen Interpretationen, insofern in denselben fast durchg\u00e4ngig die perspectivische Vorstellung als prim\u00e4re Ursache der T\u00e4uschungen betrachtet wird, nicht \u00fcberall einverstanden sein kann. Ich glaube vielmehr, dass in der Regel die perspectivische Vorstellung selbst erst als die Wirkung anderer prim\u00e4rer Momente, namentlich der Augenstellungen und Augenbewegungen, zu betrachten ist, und es scheint mir, dass der Beweis f\u00fcr diese Thes\u00e9^*zu einem gro\u00dfen Theil aus den oben mitgetheilten Beobachtungen selbst sich ergibt. Ich behalte mir vor, demn\u00e4chst in einem besonderen Aufsatze dieser Studien auf diesen Gegenstand zur\u00fcekzukommen.\nNachtrag. In dem Augenblick, in dem die letzte Correctur dieser Arbeit zur Druckerei gehen soll, erhalte ich einen Aufsatz von Prof. G. Heymans in Groningen mit dem Titel \u00bbQuantitative Untersuchungen \u00fcber das optische Paradoxon\u00ab (Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane, Bd. IX, S. 221\u2014255), der sich mit der T\u00e4uschung der M\u00fcller-Lyersehen Figuren besch\u00e4ftigt. Die interessante Untersuchung von Heymans hat demnach dasselbe Thema wie ein Theil der in \u00a7 3 der obigen Arbeit enthaltenen Beobachtungen, und es ist erfreulich zu bemerken, dass in einigen wichtigen und f\u00fcr die Erkl\u00e4rung entscheidenden Punkten die Resultate beider Beobachter zusammen-","page":125},{"file":"p0126.txt","language":"de","ocr_de":"126\nArmand Thi\u00e9ry. Ueber geometrisch-optische T\u00e4uschungen.\ntreffen. In anderer Beziehung divergiren sie freilich, haupts\u00e4chlich deshalb, weil die Messungen Thi\u00e9ry\u2019s an den M\u00fcller-Lyer\u2019schen Figuren in Beziehung zu andern verwandten Erscheinungen gebracht sind, die Heymans nicht herbeigezogen hat. Da die obige Arbeit lange vor dem Erscheinen der Heymans-schen abgeschlossen und sogar gedruckt war (das Manuscript wurde zu Anfang des Sommers, der Satz im August d. J. vollendet, aber bis zum Schluss der Ferien zur\u00fcckgestellt), so war es selbstverst\u00e4ndlich f\u00fcr Herrn Thi\u00e9ry nicht mehr m\u00f6glich, die Untersuchungen von Heymans zu ber\u00fccksichtigen.\n1. November 1895.\t. W. Wundt.","page":126}],"identifier":"lit4242","issued":"1896","language":"de","pages":"67-126","startpages":"67","title":"Ueber geometrisch-optische T\u00e4uschungen, Schluss","type":"Journal Article","volume":"12"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T12:36:12.608636+00:00"}