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{"created":"2022-01-31T12:23:27.707157+00:00","id":"lit4261","links":{},"metadata":{"alternative":"Philosophische Studien","contributors":[{"name":"Schubert-Soldern, R. von","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Philosophische Studien 13: 305-317","fulltext":[{"file":"p0305.txt","language":"de","ocr_de":"Erwiderung auf Prof. Wundt\u2019s Aufsatz \u201eUeber naiven und kritischen Realismus\u201c.\nVon\nR. von Schubert -Soldera.\nIm y TT Bande der \u00bbPhilosophischen Studien\u00ab hat Prof. Wundt sich in dem genannten Aufsatz mit den Anh\u00e4ngern der sogenannten \u00bbImmanenten Philosophie\u00ab auseinanderzusetzen gesucht. Allerdings hat er dabei vorzugsweise Schuppe im Auge gehabt, scheint aber der Ansicht zu sein, damit in allem Wesentlichen auch die \u00fcbrigen Anh\u00e4nger dieser Richtung mit getroffen zu haben. Das ist aber keineswegs der Fall. Denn wenn man unter dem etwas ungl\u00fccklichen Ausdruck\u00bb Immanente Philosophie\u00ab (der aber nicht auf Wundt\u2019s Rechnung kommt) \u00fcberhaupt alle Bestrebungen, die Erkenntnisstheorie von metaphysischen Voraussetzungen zu befreien, zusammenfasst, so geh\u00f6ren nicht nur die Denker, die Wundt ber\u00fccksichtigt hat, sondern noch eine gr\u00f6\u00dfere Anzahl Andrer dazu, so z. B. die Neukantianer, von allen Andern abgesehen1). Will man aber einen engem Kreis ziehen, wie das Wundt gethan hat, so d\u00fcrfte es heute schwer sein, eine Gruppe von Denkern mit ausgepr\u00e4gtem gemeinsamen philosophischen Charakter von allen andern auszusondern. Theilweise Uebereinstim-mungen, scharfe Verschiedenheiten anderseits, aber auch allm\u00e4hliche\n1) Vergl. meine Einleitung zum \u00bbDas menschliche Gl\u00fcck und die sociale Frage\u00ab, wo ich die betreffende mir bekannte Literatur dieser Richtung angegeben habe. Nachzuholen habe ich hier noch F. Rickert, \u00bbDer Gegenstand der Erkenntnis\u00ab 1892.","page":305},{"file":"p0306.txt","language":"de","ocr_de":"306\ntl. von Schubert-Soldern.\nUeberg\u00e4nge trennen und verbinden alle Anh\u00e4nger dieser Richtung im weitesten Sinn. Es ist deshalb auch Wundt m. E. nicht gelungen, den gemeinsamen Grundzug dieser Richtung zu finden und zu charakterisiren ; er scheint in dem Irrthum befangen gewesen zu sein, in Schuppe auch alle \u00fcbrigen Anh\u00e4nger dieser Richtung (so viele er ihrer kannte) getroffen zu haben. Obgleich nun ein so hervorragender Denker wie Schuppe auf Alle, die seine Arbeiten kennen, eine bedeutende Wirkung ausge\u00fcbt hat, so ist er doch keineswegs der gemeinsame Ausgangspunkt dieser Richtung, viel eher w\u00e4re noch Kant als solcher zu bezeichnen, aber auch er war f\u00fcr Viele mehr ein wichtiger Durchgangs- als Ausgangspunkt.\nEs ist eine jedenfalls h\u00f6chst erfreuliche Erscheinung, wenn ein Mann von dem wissenschaftlichen Rufe Wundt\u2019s sich mit unserer Richtung auseinanderzusetzen sucht; ich f\u00fchle mich, jedoch durcli seine Kritik, wie gesagt, theils nicht getroffen, theils aber auch missverstanden.\nZun\u00e4chst verwechselt, wie mir scheint, Wundt unsem Standpunkt mit dem des naiven Realismus (S. 13). Dieser ist die Auffassung des gemeinen Mannes, des gesunden Menschenverstandes ; er verwirft nicht alle Reflexionen, sondern nimmt nur die gew\u00f6hnlichsten und allgemeinsten ohne weiteres als wahr an. Wir aber, wenigstens ich f\u00fcr meine Person, stellen uns nicht auf den Standpunkt des gemeinen Mannes, sondern wir wollen, indem wir von allem Gewordenen abstrahiren, den urspr\u00fcnglichen Eestand (das unmittelbar Gegebene) des menschlichen Denkens feststellen, um dann von diesem Standpunkt aus das Gewordene (die Erfahrung) einer Pr\u00fcfung zu unterziehen. Dieser Standpunkt ist der Standpunkt der h\u00f6chsten und schwierigsten Abstractionen und g\u00e4nzlich verschieden vom naiven Realismus, der sich gerade dadurch von unserer Richtung unterscheidet, dass er dogmatisch gewisse Voraussetzungen macht. Er ist daher in keiner Beziehung unser Ausgangspunkt; in den Resultaten stehen wir ihm freilich oft n\u00e4her als der naturwissenschaftlichen Ansicht, und das mag auch Wundt dazu verleitet haben, ihn als unsern Ausgangspunkt zu betrachten.\nWenn aber Wundt meint, dass die Erkenntnisstheorie nicht beim eigenen Bewusstsein beginnen soll (S. 317), sondern bei den wissenschaftlichen Resultaten, so muss ich fragen, wo diese Resultate","page":306},{"file":"p0307.txt","language":"de","ocr_de":"Erwiderung auf Prof. Wundt's Aufsatz \u00bbUeber naiven und kritischen Realismus\u00ab. 307\nzu finden sind, wenn nicht im eigenen Bewusstsein? Auch m\u00fcsste Wundt, soll seine Forderung gerecht sein, vorher nachgewiesen haben, dass die einzelnen Wissenschaften thats\u00e4chlich voraussetzungslos verfahren. Darum handelt es sich ja doch, ob dasjenige, was alle Wissenschaften zu einem Ganzen verbindet, aus ihren gemeinsamen Voraussetzungen besteht oder ein Resultat aller Einzelforschungen ist \u2014 oder vielleicht auch beides. Aber alles das muss eben gepr\u00fcft werden, und man darf nicht, wie das die Naturwissenschaft noch vielfach thut, gewisse Begriffe voraussetzen, die weder experimentell noch logisch (analytisch) einer Pr\u00fcfung unterworfen wurden. Selbst wenn diese Begriffe den Naturwissenschaften gen\u00fcgen sollten, f\u00fcr einen Zusammenhang aller Wissenschaften gen\u00fcgen sie nicht. Man n\u00e4hert sich heute in gef\u00e4hrlicher Weise dem Standpunkt x-facher Wahrheit je nach dem Standpunkt der einzelnen Wissenschaften.\nWas aber Wundt (S. 318ff.) als unsern allgemeinen Standpunkt hinstellt, kann ich zum gro\u00dfem Theil gar nicht als meinen Standpunkt anerkennen; gerade oft das mich von Schuppe Unterscheidende ist hier als die uns Allen gemeinsame Grundlage betrachtet. Ich kenne weder ein \u00bbdenkendes Ich\u00ab noch ein \u00bbgattungsm\u00e4\u00dfiges Ich\u00ab, noch ist f\u00fcr mich allgemeing\u00fcltig, was dem \u00bbgattungsm\u00e4\u00dfigen Ich\u00ab angeh\u00f6rt. Ich kenne kein \u00bbIch\u00ab als eigenen Bewusstseinsinhalt, deswegen kann ich auch keine Gattung \u00bbIch\u00ab anerkennen. Vielmehr ist erkenntnisstheoretisch \u00bbmein Ich\u00ab f\u00fcr mich die Grundlage der Erkenntnis aller andern Ich und jedes Ich nur ein Zusammenhang von erschlossenen oder unmittelbar gegebenen Bewusstseinsinhalten. Ich kenne auch kein \u00bbunpers\u00f6nliches Bewusstsein\u00ab im Sinne Rickert\u2019s *), weil mein Leib und meine individuelle Innenwelt r\u00e4umlich, zeitlich und dem Gef\u00fchle nach stets den Mittelpunkt des Bewusstseins einnehmen, das stets seinem Standpunkt nach durch sie charakterisirt ist; jeder andere Standpunkt ist Abstraction. Mein individuelles Ich ist in meinem Bewusstsein, aber es gibt kein allen Ich gemeinsam angeh\u00f6rendes transcendentes Bewusstsein, das sogenannte \u00bbgattungsm\u00e4\u00dfige Ich\u00ab. Es gibt nicht zwei Bewusstseine, sondern nur eines, und wenn dieses nicht meines sein soll, dann kann ich gar keins haben.\n1) 1. c. p. 14.\nWundt, Philos. Studien XTTT.\n21","page":307},{"file":"p0308.txt","language":"de","ocr_de":"308\nB. von Schubert-Soldern.\nAllgemeing\u00fcltig im strengsten Sinn ist aber nur, was den elementaren Zusammenhang meines Ich ausmacht, denn ich kann erkenntnisstheoretisch die Welt nur aus den Elementen meines Ich zusammensetzen, weil mir gar nichts anderes gegeben ist. Die allen Ich gemeinsame Erfahrungswelt ist aber dann allgemeing\u00fcltig im weitern Sinn, sie hat keine unmittelbare, sondern eine inductive Allgemeing\u00fcltigkeit.\nDie Ansicht endlich, dass die Beziehungen, in die das denkende Subject alle seine Bewusstseinsinhalte bringt, sich den Gesetzen der Identit\u00e4t und Causalit\u00e4t unterordnen, ist ebenfalls Schuppe\u2019s Ansicht allein. Gerade ich bin entschieden gegen den logischen Grundsatz der sogenannten Identit\u00e4t aufgetreten1), der m. E. vom Standpunkt der erkenntnisstheoretischen Logik falsch ist und nur eine theils sprachliche, theils causale Bedeutung besitzt, in diesem Sinn aber kein einfacher und urspr\u00fcnglicher logischer Grundsatz ist. Die causale Identit\u00e4t des Dinges habe ich in meiner Erkenntnistheorie2) behandelt, \u00fcber die sprachliche Bedeutung des Identit\u00e4tssatzes will ich hier einige Worte hinzuf\u00fcgen. Der Satz A = A hat inhaltlich gar keinen angebbaren Sinn, denn zwei Inhalte sind nicht identisch und einer ist es noch weniger. A \u2014 A kann daher nur den Sinn haben, dass beide A dasselbe in der Anschauung bezeichnen und in Bezug auf diese ihre Bedeutung einander gleichgesetzt werden k\u00f6nnen; der Satz der Identit\u00e4t hat daher f\u00fcr mich nur eine sprachliche, d. h. formallogische Bedeutung.\nWas das Causalit\u00e4tsgesetz anbelangt, so leite ich es keineswegs aus der Nothwendigkeit einer Verbindung des Gleichzeitigen und Aufeinanderfolgenden im Bewusstsein her (S. 320), sondern von der Nothwendigkeit, die Zukunft analog der Vergangenheit zu denken; w\u00fcrde sich diese Analogie nicht best\u00e4tigen, so g\u00e4be es kein Causalgesetz; k\u00f6nnten wir die Zukunft nicht analog der Vergangenheit denken und vorstellen, so w\u00e4re uns das Causalgesetz nichts n\u00fctze.\nWie weit Wundt in seinen Ausf\u00fchrungen mit Schuppe\u2019s Ansichten thats\u00e4chlich \u00fcbereinstimmt, das zu er\u00f6rtern ist nicht meine, sondern Schuppe\u2019s Angelegenheit; mir kann es gen\u00fcgen, jene An-\n1)\tVergl. meine \u00bbGrundlagen einer Erkenntnistheorie\u00ab S. 169.\n2)\t1. c. p. 126 ff.","page":308},{"file":"p0309.txt","language":"de","ocr_de":"Erwiderung auf Prof. Wundt's Aufsatz \u00bbUeber naiven und kritischen Realismus'\u00bb. 309\nsichten von mir gewiesen zu haben; ich habe jetzt nur noch auf jene Theile der Wundt\u2019sehen Kritik zu erwidern, die auch mich betreffen.\nZun\u00e4chst ist hier die doppelte Bedeutung der Transcendenz, deren Vernachl\u00e4ssigung uns Wundt zum Vorwurf macht, zu er\u00f6rtern. Er sagt: \u00bbWenn wir aber auf das, was jenseits unseres Er-kennens \u00fcberhaupt liegt, und auf das, was jenseits unseres Ich liegt, gleichzeitig den Begriff des Transcendenten anwenden, so ist hier das \u00bbtranscendere\u00ab beidemal in einem ganz verschiedenen Sinn genommen.\u00ab Wundt hat m. E. nicht ganz unrecht, wenn er diese beide Arten der Transcendenz von einander unterschieden wissen will, aber in einem ganz andern als seinem Sinn. Es ist unerfindlich, wie Jemand etwas erfahren soll, was seinem Bewusstsein nicht angeh\u00f6rt. Bewusstsein ist der Denkbarkeit nach der weitere Begriff, Erfahrung der engere; ich kann keine Erfahrung machen, die nicht meinem Bewusstsein angeh\u00f6ren w\u00fcrde, wohl kann ich mir aber einen Inhalt denken, der jenseits aller Erfahrung liegt. Die Betrachtung der Sonne in unmittelbarer N\u00e4he liegt jenseits aller Erfahrung, dennoch kann ich aus andern Erfahrungen ihre Beschaffenheit erschlie\u00dfen; sowohl jene Erfahrungen als meine Schl\u00fcsse sind aber mein Bewusstseinsinhalt. So verh\u00e4lt es sich m. E. gerade umgekehrt, wie Wundt zu denken scheint, nicht die Erfahrung ist der weitere Begriff, sondern das Bewusstsein.\nDas muss aber auch denjenigen gegen\u00fcber in Erinnerung gebracht werden, welche an der absoluten Wahrheit und damit gleichsam an einer absoluten Erfahrung festhalten zu m\u00fcssen meinen, wie z. B. Rickert. Seine Ausf\u00fchrungen sind mit Sch\u00e4rfe, Klarheit und auch einer gewissen Vorurtheilslosigkeit geschrieben und stimmen vielfach mit schon fr\u00fcher von mir ge\u00e4u\u00dferten Ansichten \u00fcberein; sein Begriff der absoluten Wahrheit aber ist m. E. unrichtig und beruht auf einer falschen Auffassung des Relativismus, wenigstens wie ich ihn vertrete. Rick er t scheint von der Ansicht auszugehen, dass der Relativismus gleichbedeutend sei mit dem Skepti-cismus, was wenigstens f\u00fcr meinen Relativismus nicht gilt. Der Relativismus braucht nicht nur nicht jede Wahrheit zu leugnen, er muss m. E. sogar alles Gedachte f\u00fcr wahr anerkennen, aber nur f\u00fcr eine gewisse Zeit und oft auch nur f\u00fcr einen bestimmten Ort. Ein falsches Denken ist blo\u00dfes Wortdenken, d. h. ein Gebrauchen von\n21*","page":309},{"file":"p0310.txt","language":"de","ocr_de":"310\nR. von Schubert-Soldern.\nWorten, ohne etwas dabei wirklich zu denken, wie z. B. wenn ich von einem viereckigen Kreis spreche. Das einzige Kriterium der Wahrheit ist eben, dass ich sie denken kann; g\u00e4be es ein wahres und falsches Denken, dann m\u00fcsste es auch allgemeine Kriterien des wahren und falschen Denkens gehen; wo sind diese? Freilich gibt es noch einen andern Irrthum, die falsche Erwartung, aber sie besteht nicht in einem falschen Denken. Wenn ich f\u00fcr die Zukunft etwas erwarte, so denke ich die Zukunft nach Analogie der mir zu Gebote stehenden vergangenen Erfahrungen. Denke ich die Zukunft wirklich und nicht blo\u00df in Worten nach solchen Analogien, so denke ich sie so gut (wahr), als ich kann. Ich besitze die f\u00fcr mich im Augenblick m\u00f6gliche Erkenntniss der Wahrheit; was ich denke, ist nicht falsch, sondern nur unvollst\u00e4ndig; unsere exactesten Wissenschaften befinden sich der Wahrheit gegen\u00fcber in dieser Lage, ihre Wahrheit ist unvollst\u00e4ndig und wird immerfort durch neue Erfahrungen erg\u00e4nzt. Man wird nun freilich sagen, dass in dieser unvollst\u00e4ndigen Wahrheit immer ein St\u00fcck absolute Wahrheit stecken muss; auch ich bin dieser Ansicht vom rein praktischen Standpunkt aus und habe auch diese praktische Ansicht manchen meiner Arbeiten zu Grunde gelegt. Die Elemente und elementaren Verh\u00e4ltnisse unseres Denkens und Vorstellens sowohl wie jene alles \u00e4u\u00dferen Geschehens m\u00fcssen als \u00fcberall gleich angenommen werden, soweit irgendwie und wo Zukunft oder Vergangenheit zu praktischen Zwecken erschlossen wird; ohne Voraussetzung der Gleichheit der elementaren Beschaffenheit und Gesetzm\u00e4\u00dfigkeit ist \u00fcberhaupt keine Erkenntniss, die irgend eine praktische Tragweite f\u00fcr die einzelnen Wissenschaften h\u00e4tte, m\u00f6glich. F\u00fcr die reine Erkenntnisstheorie (und f\u00fcr eine nicht trans-cendente Metaphysik, die ich hier bei Seite lassen will) steht die Sache jedoch anders. Mein jetziges Wissen besteht aus meinen Erfahrungen und den erschlossenen fremden unter Voraussetzung und auf Grundlage der Gleichheit elementarer Beschaffenheit aller Erfahrungen. Nehmen wir an, in der Zukunft w\u00fcrde das Menschengeschlecht ganz andere Erfahrungen machen, es w\u00fcrden die elementare Beschaffenheit seiner Erfahrungen sowohl als auch die herrschenden Naturgesetze ganz andere sein, nat\u00fcrlich m\u00fcssten auch der den Mittelpunkt des Bewusstseins bildende Leih und das Ich ganz andere geworden sein. Dann w\u00e4re auch die ganze Wahrheit vollst\u00e4ndig","page":310},{"file":"p0311.txt","language":"de","ocr_de":"Erwiderung auf Prof. Wundt\u2019s Aufsatz \u00bbUeber naiven und kritischen Realismus\u00ab. 311\numge\u00e4ndert, und was heute f\u00fcr wahr gilt, w\u00e4re in jener Zukunft falsch. Die absolute Wahrheit w\u00e4re dann verloren gegangen, die relative aber doch gehliehen; denn vorausgesetzt, dass die Kenntniss unserer Vergangenheit erhalten gehliehen w\u00e4re, so w\u00fcrde man dann sagen, vor einer Milhon Jahren etwa war es wahr, dass auf a b folgen musste, heute ist das Umgekehrte der Pall. Unsere jetzige Wahrheit w\u00e4re dann falsch, aber nicht absolut falsch, sondern nur f\u00fcr die Zeit nach einer Million Jahren; und sie w\u00e4re richtig, aber nicht absolut richtig, sondern nur f\u00fcr unsere Zeit. Absolute Bedingung jeder Erkenntniss und Wahrheit bleibt nur, dass zu irgendwelcher Zeit Gleichheit der Elemente des Erkennens und ein gesetzm\u00e4\u00dfiges Geschehen vorhanden ist. Absoluter Zufall und wechselnde Beschaffenheit der Elemente der Erkenntniss w\u00fcrden diese selbst ausschlie\u00dfen. F\u00fcr diejenigen, welche in einem nach Millionen Jahren bestehenden Menschengeschlecht eine Transcendenz erblicken m\u00f6chten, kann ich ein bequemeres Beispiel ahsw\u00e4hlen. Ich brauche blo\u00df anzunehmen, dass sich mein Denken nach dem Tode v\u00f6llig ver\u00e4ndert hat und mit ihm nat\u00fcrlich die Welt, in der ich lebe, dann k\u00f6nnte, was wahr f\u00fcr das Diesseits ist, falsch f\u00fcr das Jenseits sein und umgekehrt. Die Ansicht dieses Relativismus ist ja nichts Neues, sie ist, m\u00f6chte ich sagen, nur verloren gegangen, hatte aber fr\u00fcher in der Form geherrscht, dass nur Gott die volle (ad\u00e4quate) Erkenntniss zugeschrieben wurde, uns Menschen aber nur eine beschr\u00e4nkte relative. Die absolute Wahrheit ist eine Folge des naturwissenschaftlichen Materialismus, wonach die Naturgesetze ewige sein sollen, obgleich eine solche Ewigkeit unerfahrbar und ein Dogma ist. Allerdings f\u00fcr den jetzt f\u00fcr uns einzig wissenschaftlich m\u00f6glichen Standpunkt sind derartige Er\u00f6rterungen unfruchtbar, sie k\u00f6nnten nur eine Tragweite haben f\u00fcr eine menschliche Weiterentwicklung nach dem Tode oder \u00fcberhaupt f\u00fcr eine f\u00fcr uns jetzt unvorstellbare Zukunft.\nIn dem Abschnitt \u00bbDie Transcendenz des Objects und der naive Realismus\u00ab behauptet Wundt, dass daraus, dass das Ding f\u00fcr mein Denken existire, es nicht durch mein Denken existire (S. 325), oder mit andern Worten, dass die Dinge unabh\u00e4ngig von meinem Bewusstsein existiren. Ich ergreife hier gern die Gelegenheit meine L\u00f6sung des Transcendenzproblems auseinanderzusetzen, sowohl deswegen, weil Wundt, als auch, weil andere (z. B. Rickert) sie gar","page":311},{"file":"p0312.txt","language":"de","ocr_de":"312\nR. von Schubert-Soldern.\nnicht beachten und vielleicht nicht kennen. Ich leugne n\u00e4mlich gar nicht, dass die Dinge unabh\u00e4ngig vom Bewusstsein existiren, wenn man unter \u00bbunabh\u00e4ngig\u00ab die causale Unabh\u00e4ngigkeit versteht. Auch diese muss aber noch n\u00e4her bestimmt werden. Die Gesetze, nach denen Wahrnehmungen aufeinander folgen und gleichzeitig miteinander Zusammenh\u00e4ngen, sind n\u00e4mlich ganz unabh\u00e4ngig von meinem Bewusstsein; noch mehr auch von meinem Wollen, F\u00fchlen, Vorstellen; ich kann mittelst des Willens auf meinen Leib und dadurch auf die Au\u00dfenwelt einwirken, aber die Gesetzlichkeit des \u00e4u\u00dferen Geschehens bleibt davon unber\u00fchrt, und ich kann nur mit ihrer H\u00fclfe das \u00e4u\u00dfere Geschehen (die Au\u00dfenwelt) beeinflussen. Durch mein Wollen und durch Ver\u00e4nderungen meiner Innenwelt \u00fcberhaupt kann an der Gesetzm\u00e4\u00dfigkeit der Au\u00dfenwelt nicht das Geringste ge\u00e4ndert werden. Umgekehrt, Ver\u00e4nderungen der Au\u00dfenwelt k\u00f6nnen die Gesetzlichkeit meines innem Geschehens (der Innenwelt) nicht ver\u00e4ndern, sie k\u00f6nnen nur durch Ver\u00e4nderung ihres Inhaltes sie beeinflussen: die Associationsgesetze, jene des Denkens, F\u00fchlens und Wollens k\u00f6nnen sie aber nicht ver\u00e4ndern. Trotzdem vollzieht sich die ganze innere und \u00e4u\u00dfere Gesetzm\u00e4\u00dfigkeit der Erscheinungen im Bewusstsein; kein einziger dieser gesetzm\u00e4\u00dfigen Vorg\u00e4nge f\u00fchrt \u00fcber das Bewusstsein hinaus. Ich habe das so ausgedr\u00fcckt, dass erkenntnisstheoretisch der Solipsismus unleugbar ist, praktisch (causal) dagegen Wahnsinn w\u00e4re J). Popul\u00e4rer, aber ungenauer kann man es so ausdr\u00fccken: ich kann mittelst meiner Erkenntniss nicht hinter meine Erkenntniss gelangen, aber das Erkannte ist in seiner Gesetzm\u00e4\u00dfigkeit (in seinem causalen Verhalten) ganz unabh\u00e4ngig vom Erkennen. Man darf nicht glauben, dass damit sehr wenig gesagt sei. Mit dem erkenntnisstheoretischen Solipsismus steht vielmehr fest, dass eine Erkl\u00e4rung aller Bewusstseinsvorg\u00e4nge als solcher f\u00fcr alle Zeit unm\u00f6glich ist. Die Gesetzm\u00e4\u00dfigkeit alles Geschehens vollzieht sich unabh\u00e4ngig vom Bewusstsein, aber im Bewusstsein. Das ist m. E. die einfachste L\u00f6sung des Transcendenzproblems. Deswegen ist auch der Gegenstand der Naturwissenschaft, das \u00bbwirkliche Object\u00ab (S. 329), eine Abstraction aus dem unmittelbar (suhjectiv) Gegebenen und deswegen nicht Ursache des Bewusstseinsgegenstandes, sondern selbst Bewusstseinsgegenstand.\n1) Vierteljahrssehr. f. wissensch. Philos. X. 4. S. 471.","page":312},{"file":"p0313.txt","language":"de","ocr_de":"Erwiderung auf Prof. Wundt\u2019s Aufsatz \u00bbUeber naiven und kritischen Realismus\u00ab. 313\nGibt Wundt zu, dass der \u00bbGegenstand naturwissenschaftlicher Welt-betrachtung\u00ab ein \u00bbbegriffliches Erzeugniss\u00ab ist (S. 328), so muss er zugeben, dass er nicht Ursache des Bewusstseinsgegenstandes sein kann, sondern selbst Bewusstseinsgegenstand sein muss.\nWenn Wundt weiter meint, dass der Satz, dass \u00bbObjecte immer nur einem Subject gegeben sein k\u00f6nnen\u00ab, nicht eine \u00bbunmittelbare und nie aufzuhebende Erfahrung\u00ab sei (S. 342), so hat er dabei vergessen, dass der Begriff des Subjects nicht eindeutig ist. Ich habe in meinen Arbeiten darauf hingewiesen, dass der Begriff des Ich ein sehr schwankender ist, bald alles und bald wieder fast nichts umfasst, je nachdem man darunter das \u00fcberhaupt im Bewusstsein Befindliche oder den Gegensatz zur \u00e4u\u00dfern Natur (Nicht-ich) oder den Gegensatz zum fremden (erschlossenen) Ich u. s. w. versteht '). Niemals bleibt aber vom Ich nichts \u00fcbrig, ein Minimum des zum Ich Gerechneten muss immer da sein, soll sp\u00e4ter die M\u00f6glichkeit vorhanden sein, \u00bbzur Reflexion auf das Subject zur\u00fcckzukehren\u00ab, d. h. das Vorherdagewesene wieder in Beziehung zum Ich zu setzen. Dieses Minimum ist oft nur eine r\u00e4umliche Beziehung zu meinem Leibe und eine zeitliche zu irgend einem dem Ich zurechenbaren Datum der Innenwelt. Spricht man \u00fcbrigens von einem \u00bbObject\u00ab, so ist es selbstverst\u00e4ndlich, dass man ein \u00bbSubject\u00ab schon mitdenkt, denn Object und Subject sind correlate Begriffe; deswegen ist es auch unrichtig zu sagen, \u00bbObjecte sind gegeben\u00ab (S. 343); es ist vielmehr nur die M\u00f6glichkeit gegeben, alles in der Beziehung von Object und Subject aufzufassen; sobald ich aber etwas als Object denke, muss ich ein Subject hinzudenken, und ich kann mich nicht als Subject denken ohne ein mir gegebenes Object.\nUebrigens trifft mich auch dieser Einwand Wundt\u2019s nicht, denn ich kenne keinen eigenen Ichinhalt, und jener von Wundt angegriffene Satz hat daher f\u00fcr mich auch einen ganz andern Sinn, als ihm Wundt unterlegt. Das individuelle Ich oder Subject sind f\u00fcr mich nur die jeweiligen Inhalte, welche den r\u00e4umhchen, zeitlichen Unterscheidungs- und Gef\u00fchls-Mittelpunkt des Bewusstseins bilden; oft umfassen sie fast den ganzen Inhalt des Bewusstseins, oft schwinden sie wieder zum fast inhaltlosen Centralpunkt desselben zull Erkenntnisstheorie S. 83 ff. und \u00bbDer Gegenstand der Psychologie und des Bewusstseins\u00ab, Yierteljahrsschr. f. wissensch. Philos. VIII. 4. S. 435.","page":313},{"file":"p0314.txt","language":"de","ocr_de":"314\nR. von Schubert-Solderu.\nsammen. Es ist also ein Bewusstsein fast ohne Subject und Object denkbar, doch ist ein Rest jener Einheitsbeziehungen immer vorhanden.\nWundt behauptet weiter, die \u00bbimmanente Philosophie\u00ab st\u00fctze ihren Beweis f\u00fcr eine objective Wirklichkeit auf zwei Momente: 1) auf Analogieschl\u00fcsse aus fremden Leibern, und 2) auf die Ueberein-stimmung der so erschlossenen und der unmittelbar gegebenen Wahrnehmungen (S. 358 ff.). Auch hier erscheint, was meine eigenen Airsichten anbelangt, Wahrheit und Irrthum seltsam gemischt. Das n\u00e4mlich, was ich objective Wirklichkeit nenne und was Wundt so nennt, ist etwas ganz Verschiedenes. Indem er beide Begriffe verwechselt, fragt er, wie ich seinen Begriff der objectiven Wirklichkeit mit meinen Argumenten nachgewiesen haben will? Er fragt, ob die fremden Leiber nicht auch subjective Erlebnisse sind? Ganz gewiss, | weil das, was ich objective Wirklichkeit nenne, erkenntnisstheoretisch aus subjectiven Erlebnissen gar nicht herausf\u00fchrt. Die objective Wirklichkeit ist f\u00fcr mich kein erkenntnisstheoretisch er, sondern ein praktischer (oder causaler) Begriff, wie ich schon dargelegt habe.\nWenn Wundt aber meint, dass die Uebereinstimmung der Wahrnehmungen der verschiedenen Individuen nicht die objective Realit\u00e4t der Welt zu begr\u00fcnden vermag, so hat er wieder Recht und Unrecht. Er hat Recht, dass sie sie nicht allein zu begr\u00fcnden vermag; das habe ich aber auch nirgends behauptet, vielmehr immer darauf hingewiesen, dass die gesetzliche Wiederkehr meiner und der erschlossenen Wahrnehmungen die Objectivit\u00e4t der Welt mitbegr\u00fcndet. Deswegen sage ich an der von Wun dt citirten Stelle meiner Erkenntnisstheorie (S. 27) : \u00bbDadurch erw\u00e4chst aber 3) die Nothwendigkeit, die von verschiedenen Personen wahrgenommenen Dinge wegen ihres continuirlichen, wenn auch indi-recten, causalen Zusammenhanges als identisch zu setzen.\u00ab\nEr hat aber Unrecht, wenn er glaubt, dass die Uebereinstimmung in den individuellen Wahrnehmungen zur Begr\u00fcndung der objectiven Wirklichkeit nicht nothwendig sei. Jedes Experiment muss von jedem Fachmann nachgemacht werden k\u00f6nnen (wenn ihm die n\u00f6thigen Mittel dazu geboten sind). Ein Experiment, das nur mir allein m\u00f6glich w\u00e4re und keine Best\u00e4tigung durch Andere erfahren k\u00f6nnte, w\u00e4re wissenschaftlich absolut bedeutungslos. Bei dem Beispiel mit dem Quadrat, das als Rechteck gesehen wird, schreibt uns Wundt offenbar die Vermengung zweierlei Standpunkte zu, n\u00e4mlich jenes der","page":314},{"file":"p0315.txt","language":"de","ocr_de":"Erwiderung auf Prof. Wundt\u2019s Aufsatz \u00bbUeber naiven und kritischen Realismus\u00ab. 315\ngemeinsamen und der objectiven Welt. Auch das trifft mich nicht. Ich erkenne vollkommen an, dass nicht jede Gemeinsamkeit der Wahrnehmungen ihre wissenschaftliche Ohjectivit\u00e4t begr\u00fcndet, behaupte aber, dass jede objective Thatsache zum gemeinsam Wahrnehmbaren geh\u00f6ren muss. Etwas, was mir ich allein wahmehmen kann, kann niemals objective G\u00fcltigkeit besitzen, weder ich kann davon \u00fcberzeugt sein noch die Andern. Wenn Wundt sagt (S. 362): \u00bbWie h\u00e4tten das Kopernikanische System, die neuere Akustik und Optik, ja die ganze heutige Astronomie und Physik jemals entstehen k\u00f6nnen, wenn dem Kriterium der Uebereinstimmung der wahrnehmenden Subjecte die ausschlie\u00dfliche oder \u00fcberhaupt nur die entscheidende K\u00f6lle in der Entwicklung unserer wissenschaftlichen Erkenntnisse zuk\u00e4me?\u00ab, so muss ich meinerseits fragen, wie k\u00f6nnte das Kopernikanische System objective Geltung besitzen, wenn es uns unm\u00f6glich w\u00e4re,Kopernikus\u2019 Beobachtungen nachzupr\u00fcfen, d.h. doch die Uebereinstimmung seiner und unserer Beobachtungen zu constatiren?\nWas Wundt \u00fcber \u00bbdie logische Begr\u00fcndung der objectiven Wirklichkeit\u00ab sagt, trifft mich wieder nicht im geringsten, trotzdem dass Wundt meine Habilitationsschrift citirt. Ich habe die Stelle nachgelesen, aber nichts gefunden, was sich als Annahme eines \u00bbGattungsm\u00e4\u00dfigen des Bewusstseins\u00ab oder eines abstracten Ichmoments deuten lie\u00dfe; doch will ich zugestehen, dass in dieser meiner Erstlingsschrift die Ausdr\u00fccke nicht immer richtig und eindeutig gew\u00e4hlt sind; ich kann aber versichern, dass mir der Gedanke eines allgemeinen, unpers\u00f6nlichen oder gattungsm\u00e4\u00dfigen Bewusstseins stets ganz fremd war, dass ich diese L\u00f6sung des Transcendenzproblems stets von mir gewiesen habe. Auch die Behauptung der nothwendigen Annahme einer Pr\u00e4existenz und Postexistenz meines Ichzusammenhanges begr\u00fcnde ich nicht auf einem \u00fcberindividuellen Bewusstsein, sondern auf dem Yer-h\u00e4ltniss meines individuellen Ich (des Centralpunktes) zu meinem Bewusstsein. Und nun gar eine zeit- und raumlose, \u00fcbersinnlicheRealit\u00e4t des Ich (S. 372) ist mir g\u00e4nzlich fremd. Ich erkenne vollst\u00e4ndig an, dass, wenn das Subject einmal transcendent geworden ist, der Trans-cendenz des Objects kein Hinderniss mehr entgegenstehen kann1).\n1) Nur eine psychologische Unpers\u00f6nlicheit des Bewusstseins habe ich seiner Zeit (Erkenntnissth. S. 83) \u00e4hnlich wie Rickert behauptet, dagegen auch diese sp\u00e4ter (\u00bbDer Kampf um die Transcendenz\u00ab Viertel)ahrsschr. X. 4) zur\u00fcckgenommen.","page":315},{"file":"p0316.txt","language":"de","ocr_de":"316\nR. von Schubei't-Soldern.\nWas die \u00bbApriorit\u00e4t des Ich\u00ab anbelangt (S. 382), so ist auch diese Ansicht, gegen welche Wundt\u2019s Angriffe sich richten, nicht die ineinige. Uebrigens habe ich schon darauf hingewiesen, dass der Begriff des Subjects kein eindeutiger ist und dass man daher nicht ohne weiteres S\u00e4tze \u00fcber das \u00bbSubject\u00ab leugnen oder ihnen beistimmen kann, ohne vorher den Begriff des Subjects selbst bestimmt zu haben. Ich kenne, wie gesagt, keinen eigenen Inhalt des Ich, sondern nur verschiedene Inhalte (von welchen einige freilich eine gewisse St\u00e4ndigkeit und Oontinuit\u00e4t besitzen), welche das r\u00e4umliche, zeitliche, das Unterscheidungs- und Gef\u00fchlscentrum des Bewusstseins bilden. Diese Centralbeziehungen, wenn auch in ihren einfachsten Formen, sind immer da, nicht aber ein st\u00e4ndiger besonderer Ichinhalt. Auch in dem Momente, wo unser Bewusstsein ganz in der Anschauung der Objecte auf geht, m\u00fcssen die Objecte in irgend welchen r\u00e4umlichen, zeitlichen Aufmerksamkeits- und Gef\u00fchlsbeziehungen zum Centrum des Bewusstseins gegeben sein; das ist der minimale Best des an Umfang so wechselvollen Ichinhaltes. Dass aber Ich im Gegensatz zum fremden Ich oder auch nur im Gegensatz zum Nichtich (der Au\u00dfenwelt) ein Object betrachte, das ist freilich eine Reflexion, die oft nicht vorhanden ist, worauf ich \u00fcbrigens in meinen Arbeiten hingewiesen habe. Ich stimme daher vollst\u00e4ndig mit Wundt \u00fcberein, wenn er sagt (S. 385): \u00bbOhne den Zusammenhang unserer Bewusstseinsvorg\u00e4nge w\u00e4re es nicht denkbar, dass der Begriff des reinen Ich entst\u00fcnde. Denn dieser Begriff ist in Wahrheit nichts anderes, als eben jener Zusammenhang in abstracto und losgel\u00f6st gedacht von allen wirklichen Verbindungen psychischer Vorg\u00e4nge und Zust\u00e4nde. \u00ab Nur, worin dieser Zusammenhang besteht, darin werden wir vielleicht nicht \u00fcbereinstimmen.\nDer Abschnitt \u00fcber \u00bbIdentit\u00e4t und Causalit\u00e4t\u00ab streift meine Ansichten \u00fcber diesen Gegenstand kaum, ich finde daher keinen Anlass, mich dagegen zu vertheidigen. Doch auch hier kann ich Manchem zustimmen, wenn ich mich auch in Anderem fundamental von Wundt unterscheide.\nV\nDer 7. Abschnitt \u00bbDie Au\u00dfenwelt als Bewusstseinsinhalt\u00ab kommt noch einmal auf die Gemeinsamkeit der Wahrnehmungswelt als einziges Kriterium der Objectivit\u00e4t (auch ein mehrdeutiger Ausdruck) unserer Erkenntniss zur\u00fcck, eine Ansicht, die auch ich verwerfe. Dagegen","page":316},{"file":"p0317.txt","language":"de","ocr_de":"Erwiderung auf Prof. Wundt\u2019s Aufsatz \u00bbUeber naiven und kritischen Realismus\u00ab. 317\nbehauptet \"Wundt, dass die \u00bbprimitive Erfahrung\u00ab \u00bbnicht das im, sondern das au\u00dfer dem Bewusstsein gelegene Object\u00ab sei. Wie ich ein Object au\u00dfer dem Bewusstsein erfahren soll, um dann mittelst Reflexion nachtr\u00e4glich zu erkennen, dass dieses Object doch im Bewusstsein vorgestellt wird, ist mir unerfindlich. Wundt muss, wie mir scheint, eine urspr\u00fcngliche Wahrnehmung des Objects au\u00dfer dem Bewusstsein stattfinden lassen, sollen die Bewusstseinsvorg\u00e4nge nur Zeichen f\u00fcr ein objectives Sein sein (S. 396). Denn g\u00e4be er, wie die meisten andern Philosophen, zu, dass die Objecte \u00bbzun\u00e4chst\u00ab im Bewusstsein erfasst werden, dann k\u00e4me er ohne logischen Sprung aus diesem \u00bbZun\u00e4chst\u00ab nicht heraus; er macht diesen Sprung gleich im Anfang, um sich ihn f\u00fcr sp\u00e4terhin zu ersparen.\nWas den 8. und letzten Abschnitt anbelangt, so stimme ich hier wieder vielfach mit Wundt \u00fcberein und kann gar nicht begreifen, dass er in diesen Punkten auch mich angegriffen zu haben meint. So vor allem darin, dass der Standpunkt der Naturwissenschaft und jener der Psychologie dasselbe von verschiedenen Gesichtspunkten aus betrachten, der erste vom Subject abstrahirt, der zweite nicht (S. 400). Daf\u00fcr muss ich entschieden dagegen protestiren, dass mir Psychologie blo\u00df Untersuchung reproducirter Vorstellungen ist (S. 401). Denn es ist ganz etwas anderes, wenn ich sage, dass der Standpunkt der Psychologie \u00bbdie Welt nur auf fasst in ihrem unmittelbaren, d. h. in ihrem durch Reproduction bedingten Zusammenh\u00e4nge\u00ab. Denn damit spreche ich aus, dass auch die Wahrnehmungen und daher die Au\u00dfenwelt zum Reproductionszusammenhang geh\u00f6ren und nicht blo\u00df die \u00bbreproducirten Vorstellungen\u00ab. Die Psychologie ist der Standpunkt des Reproductionszusammenhanges, in dem alles gegeben ist.","page":317}],"identifier":"lit4261","issued":"1898","language":"de","pages":"305-317","startpages":"305","title":"Erwiderung auf Prof. Wundt's Aufsatz \"Ueber naiven und kritischen Realismus\"","type":"Journal Article","volume":"13"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T12:23:27.707163+00:00"}