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{"created":"2022-01-31T12:39:06.789440+00:00","id":"lit4271","links":{},"metadata":{"alternative":"Philosophische Studien","contributors":[{"name":"Buch, Ejnar","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Philosophische Studien 15: 1-66","fulltext":[{"file":"p0001.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die \u201eVerschmelzung\u201c von Empfindungen, besonders bei Klangeindr\u00fccken.\nVon\nDr. phil. Ejnar Buch\nPrivatdocent an der Universit\u00e4t Kopenhagen.\nUnter Mitwirkung des Verfassers aus dem D\u00e4nischen -\u00fcbertragen\nvon\nM. phil. Carl K\u00fcchler.\nI. Stumpfs u. A. Darstellungen der \u201eVerschmelzung\u201c.\nDen ersten Anlass zu unserer Untersuchung hat Professor Dr. Carl Stumpfs Behandlung der Frage \u00fcber die Verschmelzung von Empfindungen und besonders T\u00f6nen in seinem gro\u00dfen Werke \u00bbTonpsychologie\u00ab gegeben. Es ist deshalb am nat\u00fcrlichsten, mit seiner Darstellung der Sache zu beginnen.\nH\u00f6ren wir z. B. ein Intervall, sagt Stumpf, so haben wir eine Mehrheit von Empfindungen, selbst wenn wir es vielleicht als eine Einheit auffassen. Denn es gibt viele, die, wenn sie das Intervall h\u00f6ren, unbestreitbar eine Mehrheit von Empfindungen haben; und viele, die es zuerst als eine Einheit auf fassen, \u00fcberzeugen sich bei n\u00e4herer Beobachtung \u2014 freilich vielleicht erst nach einiger Uebung \u2014, dass es wirklich eine Mehrheit ist. Nun kann indess Aufmerksamkeit, Analyse und \u00e4hnliches nicht den Empfindungsinhalt, sondern nur die Auffassung desselben ver\u00e4ndern; folglich muss der Inhalt stets eine Mehrheit gewesen sein. Aber dann ist die Frage: woran kann es liegen, dass ein solcher Eindruck gleichwohl oft als eine\nWundt, Philos. Studien. XV.\t1","page":1},{"file":"p0002.txt","language":"de","ocr_de":"2\nEjnar Buch.\nEinheit auf gefasst wird? Man k\u00f6nnte ja im G-egentheile erwarten, dass es z. B. leichter w\u00e4re, zwischen zwei T\u00f6nen zu unterscheiden, wenn sie gleichzeitig sind, als wenn sie auf einander folgen, da es ja ein allgemeines Gesetz ist, dass zwei Eindr\u00fccke in einer gewissen Hinsicht desto leichter zu vergleichen sind, je gleicher sie in allen anderen Hinsichten sind. Es ist z. B. leichter, die St\u00e4rke zweier T\u00f6ne zu vergleichen, wenn sie ungef\u00e4hr gleich hoch sind, als wenn sie in der H\u00f6he weit aus einander liegen; es ist leichter, wenn man sie kurze Zeit nach einander h\u00f6rt, als wenn der zeitliche Zwischenraum lang ist. Aber sollte es dann nicht am allerleichtesten sein, wenn sie gleichzeitig sind? Die Erfahrung zeigt das Gegentheil! Ja, die Erfahrung zeigt \u00fcberhaupt, dass unser Sch\u00e4tzungsverm\u00f6gen Eindr\u00fccken gegen\u00fcber, die unmittelbar auf einander folgen, feiner ist als gleichzeitigen Eindr\u00fccken gegen\u00fcber. Ueber den Grund hierzu\nspricht sich Stumpf in folgender Weise aus: \u00bb----------alle Em--\npfindungsqualit\u00e4ten treten, wenn sie aus auf einander folgenden in gleichzeitige \u00fcbergehen, au\u00dfer in dieses Verh\u00e4ltniss der Gleichzeitigkeit noch in ein anderes Yerh\u00e4ltniss, dem zu Folge sie als Theile eines Empfindungsganzen erscheinen. Auf einander folgende Empfindungen bilden als Empfindungen eine blo\u00dfe Summe, gleichzeitige\nschon als Empfindungen ein Ganzes. Die Qualit\u00e4ten werden--------\nnicht im geringsten ver\u00e4ndert, geschweige denn zu einer einzigen neuen Qualit\u00e4t umgewandelt, aber es tritt ein neues Verh\u00e4ltniss zwischen ihnen auf, das eine engere Einheit herstellt, als sie zwischen\nden Gliedern einer blo\u00dfen Summe stattfindet----------. In Folge\ndieses neuen Verh\u00e4ltnisses wird der Eindruck gleichzeitiger Empfindungen dem einer einzigen Empfindung \u00e4hnlicher als derjenige derselben Empfindungen in blo\u00dfer Aufeinanderfolge\u00ab1). Eine solche Einheit, wie hier beschrieben, findet sich zwischen den verschiedenen \u00bbMomenten\u00ab bei derselben Empfindung, z. B. ihrer Qualit\u00e4t und Intensit\u00e4t. Doch will Stumpf den Ausdruck Verschmelzung besonders brauchen, wenn es verschiedene Empfindungs-Qualit\u00e4ten sind, die durch ihre Gleichzeitigkeit in h\u00f6herem oder geringerem Grade eine Einheit ausmachen.\nWie man sieht, ist Stumpf\u2019s \u00bbVerschmelzung\u00ab hier nur ein\n1) \u00bbTonpsychologie\u00ab. Leipzig 1883 und 1890. II, S. 64.","page":2},{"file":"p0003.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die \u00bbVerschmelzung\u00ab von Empfindungen, besonders bei Klangeindr\u00fccken. 3\nanderer Ausdruck f\u00fcr die Thatsache, dass gleichzeitige Empfindungen schwieriger zu vergleichen oder zu unterscheiden sind als auf einander folgende. Oder richtiger gesagt: die Verschmelzung ist die Ursache zu dieser Schwierigkeit \u2014 wie es Stumpf an einer anderen Stelle ausdr\u00fccklich hervorhebt: \u00bbVerschmelzung ist dasjenige Verh\u00e4ltniss zweier Empfindungen, in Folge dessen der Gesammteindruck mit h\u00f6heren Stufen desselben sich unter sonst gleichen Umst\u00e4nden immer mehr dem Einer Empfindung n\u00e4hert und immer schwerer analysirt wird\u00ab1).\t<\nSo weit bietet also Stumpf\u2019s Verschmelzungsbegriff keinerlei Hinderniss f\u00fcr das Verst\u00e4ndniss. Allerdings wird das anders, sobald er zu der Betrachtung der Verschmelzung von T\u00f6nen \u00fcbergeht.\nF\u00fcr den Augenblick ist es uns indess mehr darum zu thun, uns eine allgemeinere Vorstellung von der Verschmelzung und dem, was dazu geh\u00f6rt, zu bilden, als dem Stumpf\u2019sehen Gedanken auf seinen Winkelz\u00fcgen zu folgen. Wir werden uns deshalb bis auf weiteres mit der gegebenen Darstellung gen\u00fcgen lassen.\nStumpf\u2019s Behandlung der Verschmelzung hat nun von verschiedenen Seiten Entgegnungen und neue Er\u00f6rterungen der Frage hervorgerufen. Von diesen heben wir die von H. Cornelius2) als den klarsten und eingehendsten Beitrag zu den Verhandlungen hervor. Cornelius spricht sich u. a. folgenderma\u00dfen aus: \u00bbWo immer in einem Empfindungsganzen eine Summe von Theilempfindungen angenommen werden muss, ohne dass diese einzeln bemerkt werden, wollen wir im Folgenden, gleichg\u00fcltig oh es sich um gleichzeitige oder successive Theilempfindungen handelt, von Verschmelzung der Theilempfindungen sprechen. Der Begriff der Verschmelzung erscheint nach dieser Festsetzung einfach als Correlat der Analyse: nicht analysirte Empfindungen sind verschmolzen, durch die Analyse wird die Verschmelzung zerst\u00f6rt\u00ab3). Wie man sieht, kann Verschmelzung nach Cornelius\u2019 Auffassung nicht blo\u00df zwischen gleichzeitigen Empfindungen stattfinden, sondern auch zwischen auf einander folgenden. Wenn es \u00fcbrigens etwas sonderbar aussehen k\u00f6nnte, von\n1)\t\u00bbTonpsychologie\u00ab. II, S. 128. Vergl. I, S. 101.\n2)\t\u00bbUeber Verschmelzung und Analyse\u00ab in der Vierteljahrsschrift f\u00fcr wissenschaftliche Philosophie Bd. XVI, S. 404\u2014446 und Bd. XVII, S. 30\u201475.\n3)\tAn der angef. Stelle, XVI, S. 417.\n1*","page":3},{"file":"p0004.txt","language":"de","ocr_de":"4\nEjnar Buch.\neiner Summe von Empfindungstheilen zu sprechen, wo diese nicht pin win bemerkt werden, so erkl\u00e4rt Cornelius diese Ausdrucksweise so: eine Vorstellung muss als zusammengesetzt betrachtet werden, wenn ihre einzelnen Theile mit H\u00fclfe der Aufmerksamkeit beobachtet werden k\u00f6nnen oder wenn ihr Wegfall jedes einzelne Mal sofort durch eine Aenderung an dem Gesammteindrucke gemerkt wird1). Von Beispielen der Verschmelzung nennt Cornelius nat\u00fcrlich vor allem die von T\u00f6nen. Aber fernerhin findet sie sich auch auf dem Gebiete des Gesichtssinnes: das Band gewinnt seine Vorstellungen von einfachen Farben nicht von ganz kleinen Theilen, die wirklich durch und durch gleichfarbig sind, sondern von gr\u00f6\u00dferen Fl\u00e4chen, die, wie sich bei n\u00e4herer Betrachtung zeigt, eine Menge Farben-schattirungen enthalten: gr\u00fcn von B\u00e4umen oder Wiesen, wei\u00df von Schnee oder Papier u. s. w. Erst nach und nach lernt man diese Eindr\u00fccke in ihre einzelnen Theile aufl\u00f6sen2). Von anderen Beispielen aus dem Gebiete des Gesichtssinnes kann die Wiedergabe von Schatten auf Kupferstichen, Radirungen und \u00e4hnliches genannt werden: wir finden hier schwarze Striche mit gr\u00f6\u00dferen oder kleineren lichten Zwischenr\u00e4umen \u2014 und doch fasst man sie, wenn man nicht genauer zusieht, als ganz gleichfarbig auf. Ueherhaupt begn\u00fcgen wir uns als Regel mit einem Gesammteindrucke von dem, was wir sehen, ohne dass die darin enthaltenen Einzelheiten vor uns tr\u00e4ten: wir sind oft im Stande, einen Menschen wieder zu erkennen, ohne dass wir uns im geringsten eine Vorstellung von der Gestalt seiner Nase oder seines Mundes, von der Farbe seiner Augen u. s. w. gebildet haben3). Als Beispiele f\u00fcr die Verschmelzung auf einander folgender Empfindungen nennt Cornelius endlich zun\u00e4chst fast alle Arten Ger\u00e4usch: das Rollen eines Wagens, das Pl\u00e4tschern des Regens, das Heulen des Sturmes u. s. w. ; ferner besonders die Bewegungsempfindungen des Gesichts- -und Gef\u00fchlssinnes4).\nMehr unabh\u00e4ngig von der durch Stumpf eingeleiteten Discussion und im Zusammenhang mit einer Darstellung der gesammten Psychologie behandelt den Verschmelzungshegriff Oswald K\u00fclpe5).\n1)\tAn der angef. Stelle XVI, S. 415; vergl. S. 441.\n2)\tXVII, S. 35.\t3) XVII, S. 3Iff. 4) XVII, S. 42ff.\n5) \u00bbGrundriss der Psychologie\u00ab. Leipzig 1893; bes. S. 284\u2014330.","page":4},{"file":"p0005.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die \u00bbVerschmelzung\u00ab von Empfindungen, besonders bei Klangeindr\u00fccken. 5\nUnsere Bewusstseinselemente k\u00f6nnen, sagt K\u00fclpe, auf zwei Weisen verbunden werden: entweder so, dass das Herausfinden der einzelnen Theile des zusammengesetzten Zustandes durch die Verbindung erschwert wird, oder so, dass es erleichtert oder auf jeden Fall nicht schwieriger gemacht wird. Im ersten Falle nennen wir die Verbindung Verschmelzung. Diese wird dann in der Hauptsache folgenderma\u00dfen beschrieben: \u00bbEine Verschmelzung tritt dann ein, wenn die sich vereinigenden Qualit\u00e4ten mehr oder weniger hinter dem Ge-sammteindruck, den sie bilden, zur\u00fccktreten, wenn sie also s\u00e4mmtlich oder theilweise durch die Verbindung an ihrer Deutlichkeit Einbu\u00dfe erleiden. Der Gesammteindruck kann hierbei eine Art Resultante gleichwertiger Qualit\u00e4ten sein oder unter der Herrschaft eines oder mehrerer pr\u00e4valirender Elemente stehen\u00ab *). Zur weiteren Bestimmung des Verh\u00e4ltnisses zwischen der Verschmelzung und den Verbindungen der anderen Art wird bemerkt: \u00bb---------------dass eine Ver-\nbindung als Verschmelzung zu bezeichnen ist, wenn bei r\u00e4umlicher und zeitlicher Gleichheit eine qualitative Verschiedenheit der verbundenen Elemente besteht, als eine Verkn\u00fcpfung dagegen, wenn diese r\u00e4umliche oder zeitliche Unterschiede darbieten\u00ab1 2). Zugleich meint K\u00fclpe, wie sp\u00e4tere Aeu\u00dferungen zeigen, dass in der Verschmelzung leicht unbemerkte oder unbewusste \u00bbComponenten\u00ab gefunden werden k\u00f6nnen oder vielleicht normal zu finden sind, die also an dem Ge-sammteindrucke mitwirken, ohne doch jeder einzeln wahrgenommen zu werden3). Als das typische Beispiel f\u00fcr Verschmelzung nennt auch K\u00fclpe die der T\u00f6ne. Darnach bespricht er ausf\u00fchrlich eine Verschmelzung zwischen den farbigen und farblosen Theilen eines Farbeneindruckes, indem er davon ausgeht, dass alle Farbeneindr\u00fccke beide Arten Elemente enthalten4). Endlich kommt eine ganze Reihe verschiedener Arten von Verschmelzungserscheinungen: ein Geruch oder ein Geschmack kann aus mehreren Geruchs- oder Geschmacksempfindungen zusammengesetzt sein, gar nicht davon zu reden, dass wir oft den Ausdruck Geschmack brauchen, wo wir es in Wirklichkeit mit einer Zusammensetzung von Geruchs-, Geschmacks- und Ber\u00fchrungsempfindungen zu thun haben; ebenso haben wir die Organ-\n1)\tAn der angef. Stelle S. 21; vergl. S. 285.\n2)\tS. 286.\t3) S. 300.\t4) S. 318 ff.","page":5},{"file":"p0006.txt","language":"de","ocr_de":"6\nEjnar Buch.\nempfindungen und verschiedene Empfindungen auf dem Gebiete des Gef\u00fchlssinnes: das Gef\u00fchl des Glatten oder Rauhen, des Stumpfen oder Spitzen, des Harten oder Weichen. Zwischen Hautempfindungen allein kann dagegen auf Grund ihrer r\u00e4umlichen Verschiedenheit keine Verschmelzung stattfinden. Auch verschiedene Arten Ger\u00e4usch nennt K\u00fclpe als Verschmelzungserscheinungen1). Als eigenth\u00fcmlich f\u00fcr K\u00fclpe kann endlich genannt werden, dass er von Verschmelzung zwischen den Empfindungen und den Gef\u00fchlst\u00f6nen spricht, die an jene gebunden sind2), w\u00e4hrend er dagegen ausdr\u00fccklich alle Verschmelzung zwischen auf einander folgenden Empfindungen ausschlie\u00dft.\nHoch eine Darstellung des Verschmelzungshegriffes wollen wir besprechen, n\u00e4mlich die Wundt\u2019s. Wundt beginnt damit, dass er drei Formen f\u00fcr \u00bb Simultan - Asso ciati on \u00ab aufstellt: Verschmelzung, Assimilation und Complication. Bei der Verschmelzung kann man wieder zwischen zwei Formen unterscheiden: der intensiven, zwischen gleichartigen Empfindungen, z. B. T\u00f6nen; und der extensiven, zwischen ungleichartigen Empfindungen, wie wir sie z. B. hei den Gesichts- und Ber\u00fchrungsvorstellungen haben. Zur allgemeinen Charakteristik der Verschmelzungen f\u00e4hrt dann Wundt fort: \u00bbAllen diesen Verschmelzungen ist die eine Eigenschaft gemein, dass in dem Complex der mit einander vereinigten Empfindungen eine einzige, und zwar im allgemeinen die st\u00e4rkste, die Herrschaft \u00fcber alle anderen gewinnt, so dass diese nur noch die Rolle modificirender Elemente \u00fcbernehmen, deren selbst\u00e4ndige Eigenschaften in dem Verschmelzungsproduct untergehen\u00ab. \u00bbDieser Verlust der Selbst\u00e4ndigkeit, welcher alle Elemente eines Verschmelzungsproductes mit Ausnahme des herrschenden trifft, kann nicht ausschlie\u00dflich in der geringen St\u00e4rke jener Elemente seinen Grund haben\u00ab3). Um jedoch besser in Wundt\u2019s Auffassung der Verschmelzung einzudringen, m\u00fcssen wir uns die F\u00e4lle n\u00e4her betrachten, die er etwas ausf\u00fchrlicher behandelt. Was die T\u00f6ne anlangt, so h\u00f6rt man z. B. die Obert\u00f6ne in einem Klange nicht als selbst\u00e4ndige T\u00f6ne, sondern sie rufen zusammen das hervor, was wir Klangfarbe nennen. Mehr verwickelt werden die Verh\u00e4ltnisse bei den Ber\u00fch-\n*1) An der angef. Stelle S. 326\u2014330.\t2) S. 287.\n3) \u00bbGrundz\u00fcge der physiologischen Psychologie\u00ab. Leipzig 1893, 4. Aufl.; H, S. 437\u2014438.","page":6},{"file":"p0007.txt","language":"de","ocr_de":"7\nUeber die Verschmelzung\u00ab von Empfindungen, besonders bei Klangeindriicken.\nrungs- und Gesichtsvorstellungen. Eine wichtige Eigent\u00fcmlichkeit hei diesen Vorstellungen ist die r\u00e4umliche Ordnung, die wir in ihnen stets den Gegenst\u00e4nden geben, welche sie hervorrufen. Es erhebt sich dann die Frage, wie sie diesen r\u00e4umlichen Charakter erhalten haben; und um dies zu beantworten, m\u00fcssen wir untersuchen, von welchen elementaren Empfindungen sie als abh\u00e4ngig angenommen werden m\u00fcssen. Was die Ber\u00fchrungsvorstellungen anlangt, so k\u00f6nnen wir unseren Ausgangspunkt nun entweder in den urspr\u00fcnglichen physiologischen Bedingungen des Organismus nehmen: dem Bau der Tastorgane, ihrer Verteilung in der Haut u. s. w., und meinen, dass die Ber\u00fchrungsvorstellungen allein hierdurch bestimmt sind. Oder wir k\u00f6nnen das Hauptgewicht auf die Bewegungen der Theile legen, die Sch\u00e4rfung oder Erschlaffung der Organe durch den Gebrauch u. s. w., in diesem Falle k\u00f6nnen die Ber\u00fchrungsvorstellungen nicht mit den urspr\u00fcnglichen physiologischen Bedingungen gegeben, sondern m\u00fcssen in wesentlichem Grade ein Product von Erfahrungen sein. Die Untersuchung zeigt nun, dass unsere Ber\u00fchrungsvorstellungen und unsere damit verbundene r\u00e4umliche Auffassung und Sch\u00e4tzung von Baumverh\u00e4ltnissen von den beiden genannten Factoren abh\u00e4ngen: sowohl von Hautempfindungen wie von Bewegungsempfindungen u. a. Man muss sich die Entwicklung auf folgende Weise vorgegangen denken: auf Grund h\u00e4ufigen Zusammentreffens zwischen verschiedenen Haut-und Bewegungsempfindungen und \u00e4hnlichem haben sich diese gruppenweise mit einander verbunden, und zwar so fest, dass Eine Empfindung zuk\u00fcnftig nicht entstehen kann, ohne sogleich alle die anderen hervorzurufen, welche zu derselben Gruppe geh\u00f6ren; ja, in Wirklichkeit kennen wir diese Empfindungen gar nicht im einzelnen, sondern nur ihr Gesammtproduct: die vollkommen fertige Ber\u00fchrungsvorstellung mit ihren r\u00e4umlichen Eigenschaften u. s. w. Dieses Product der elementaren Empfindungen nennen wir dann eine Verschmelzung, weil es neue Eigenschaften \u2014 die r\u00e4umliche Auffassung \u2014 besitzt, die sich hei seinen einzelnen Theilen nicht finden. Dass es wirklich von diesen abh\u00e4ngig ist, kann denn auch nur dadurch gezeigt werden, dass es seihst \u2014 d. h. die gesammte Ber\u00fchrungsvorstellung \u2014 sich ver\u00e4ndert, wenn sich die einzelnen Theile \u00e4ndern1).\n1) An der angef. Stelle II, S. 32\u201438.","page":7},{"file":"p0008.txt","language":"de","ocr_de":"8\nEjnar Buch.\nWas die Gesichts Vorstellungen anlangt, so m\u00fcssen wir uns f\u00fcr diese auf \u00e4hnliche Weise eine Verschmelzung zwischen den Netzhautempfindungen und den Ber\u00fchrungs- und Bewegungsempfindungen des Auges denken1).\nW\u00e4hrend Wundt\u2019s Verschmelzungsbegriff in der hier gegebenen Darstellung etwas enger erscheint als der der fr\u00fcher besprochenen Verfasser, hat er doch auch an einer anderen Stelle eine Definition gegeben, welche sich der jener mehr n\u00e4hert: \u00bbBezeichnen wir, dem hei der Analyse der Tastv\u00f6rstellungen eingef\u00fchrten Sinne entsprechend, alle solche Verbindungen elementarer Empfindungen, in welchen die einzelnen Bestandteile nicht oder nur unter besonderen Bedingungen der Aufmerksamkeit gesondert unterschieden werden, als Verschmelzungen, so u. s. w.\u00ab2). Vielleicht m\u00fcssen dann die angef\u00fchrten Beispiele am richtigsten als Beispiele f\u00fcr einen besonders hohen Grad von Verschmelzung aufgefasst werden.\nNur noch erw\u00e4hnen wollen wir, was Wundt unter Assimilation und Complication versteht: Assimilation findet statt, wenn eine neu eintretende Vorstellung fr\u00fchere hervorruft, die sich mit ihr zu Einer Vorstellung verbinden; als Beispiele k\u00f6nnen genannt werden die Vorstellungen von der Entfernung und wirklichen Gr\u00f6\u00dfe von Gegenst\u00e4nden, das Uebersehen von Druckfehlern u. a. m. ; \u00fcberhaupt geh\u00f6ren alle Illusionen hierher3). Complicationen sind gleichzeitige Verbindungen zwischen Vorstellungen von verschiedenen Sinnesgebieten, wie wenn das Sehen eines Dinges Vorstellungen von dessen H\u00e4rte, Rauhheit u. a. m. erweckt4).\nEs ist nun nicht unsere Absicht, n\u00e4her auf einen Vergleich zwischen den gegebenen Darstellungen oder ein Abw\u00e4gen von ihren verschiedenen Vorz\u00fcgen und M\u00e4ngeln einzugehen. Wir haben durch sie nur ins Beine dar\u00fcber kommen wollen, welche seelischen Erscheinungen es seien, die die Grundlage f\u00fcr die gesammte Verschmelzungsfrage bilden, um darnach diese Erscheinungen zum Gegenst\u00e4nde f\u00fcr weitere Betrachtungen zu machen.\nWir m\u00fcssen jedoch in Hinsicht auf K\u00fclpe\u2019s Behandlung der Verschmelzung eine kurze Bemerkung einschalten. Es ist bei einer\n1)\tAn der angef. Stelle H, S. 215 ff.\n2)\tH, S. 71.\t3) n, S. 439 ff.\n4) II, S. 448.","page":8},{"file":"p0009.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die \u00bbVerschmelzung\u00ab von Empfindungen, besonders bei Klangeindr\u00fccken. 9\nUntersuchung wie dieser von besonderer Wichtigkeit, dass man nicht von vornherein willk\u00fcrlich eine Grenze daf\u00fcr festsetzt, welche Erscheinungen man mit in Betracht ziehen und welche man ausschlie\u00dfen will, sondern dass man, mit Ausschluss aller anderen, gerade alle diejenigen zu vereinigen sucht, welche, wirklich verwandt sind und von demselben Gesichtspunkte aus betrachtet werden k\u00f6nnen. Aber gerade in dieser Hinsicht scheint es uns, dass sich K\u00fclpe etwas vers\u00fcndigt hat, indem er damit beginnt, eine recht willk\u00fcrliche und scharf begrenzte Definition von Verschmelzung zu geben, ohne gen\u00fcgende R\u00fccksicht darauf, ob dabei das, was nat\u00fcrlich zusammengeh\u00f6rt, auch zusammenkommt. Die Folge ist denn auch, dass er Verschmelzungen zwischen Gef\u00fchlst\u00f6nen und Empfindungen annimmt, von denen nicht behauptet werden kann, dass sie nat\u00fcrlich mit denjenigen Verschmelzungen zusammengeh\u00f6ren, von denen wir sonst Beispiele kennen lernten; und auf der anderen Seite schlie\u00dft K\u00fclpe Verschmelzungen zwischen Empfindungen aus, die unmittelbar auf einander folgen, wozu von vornherein kein Grund vorliegt, weil es in Wirklichkeit rein sprachlich ist, wenn wir einen scharfen Unterschied zwischen \u00bbgleichzeitig\u00ab und \u00bbrasch auf einander folgend\u00ab machen.\nSehen wir nun ab von diesen etwas unbegr\u00fcndeten Abweichungen bei K\u00fclpe, so m\u00fcssen wir sagen, dass es im Gro\u00dfen und Ganzen dieselben seelischen Erscheinungen sind, welche die verschiedenen Verfasser bei ihren Behandlungen der Verschmelzungsfrage vor Augen gehabt haben: sie haben bemerkt, dass Empfindungen, welche gleichzeitig sind oder unmittelbar auf einander folgen, nicht wie sonst klar und deutlich jede f\u00fcr sich auf gefasst werden, sondern eher als eine Art Ganzheit auf treten, als Eine Vorstellung oder Vorstellungsmasse, die sich nur bei Entfaltung einer besonderen Th\u00e4tigkeit in einzelnere Theile aufl\u00f6st \u2014 und dieses Verh\u00e4ltnis haben sie mit dem Ausdrucke Verschmelzung bezeichnet.\nDass es nun wirklich eine Thatsache ist, dass Empfindungen nicht so klar und deutlich aufgefasst werden, wenn sie gleichzeitig1)\n1) Im Folgenden werden wir uns der K\u00fcrze wegen, wenn etwas anderes nicht ausdr\u00fccklich bemerkt wird oder aus dem Zusammenh\u00e4nge hervorgeht, mit dem Worte \u00bbgleichzeitig\u00ab als Bezeichnung f\u00fcr Empfindungen begn\u00fcgen, die sich in der Zeit so nahe liegen, dass Verschmelzung zwischen ihnen stattfinden kann.","page":9},{"file":"p0010.txt","language":"de","ocr_de":"10\nEjnar Buch.\nsind, als wenn sie jede f\u00fcr sich auftreten, d\u00fcrfte unbestreitbar sein: das Vorhergehende hat ja auch genug Beispiele hierf\u00fcr erbracht. Ehen so wenig k\u00f6nnen wir, auf jeden Fall vorl\u00e4ufig, etwas dagegen einzuwenden haben, dass man diese Thatsache Verschmelzung nennt. Aber dann muss man allerdings dessen wohl eingedenk sein, dass wir damit nur eine gemeinschaftliche Bezeichnung f\u00fcr eine gewisse Klasse von Erscheinungen eingef\u00fchrt, uns jedoch nicht dar\u00fcber ausgesprochen haben, worin diese Verschmelzung, n\u00e4her betrachtet, bestehe. Dies soll nun unsere n\u00e4chste Aufgabe sein; und namentlich wollen wir die Verbindung zwischen der Verschmelzung und anderen, bekannten, seelischen Factoren untersuchen. Ist die Verschmelzung etwas f\u00fcr sich seihst, eine neue merkw\u00fcrdige Thatsache im Seelenleben, oder l\u00e4sst sie sich vielleicht ganz oder theilweise aus unserem sonstigen psychologischen Wissen erkl\u00e4ren?\nII. N\u00e4here Untersuchung der Verschmelzung.\na. Einleitung.\nWir haben schon fr\u00fcher (S. 1) gesehen, dass Stumpf behauptet, dass es eigentlich nicht die Empfindungen selbst seien, welche verschmelzen, sondern dass die Verschmelzung erst hei der Auffassung der Empfindungen stattfinde. Indess muss man, um Stumpf in diesem Punkte nicht misszuverstehen, beachten, dass er den Begriff Empfindung auf eine etwas besondere Weise auf fasst. Er spricht n\u00e4mlich von unhemerkharen Empfindungen, d. h. solchen, die so schwach sind, dass wir sie f\u00fcr sich seihst mit voller Aufmerksamkeit und unter den g\u00fcnstigsten Bedingungen nicht wahmehmen k\u00f6nnen. Dies kann z. B. bei sehr schwachen Nebent\u00f6nen in einem Klange oder einem Ger\u00e4usche oder \u00fcberhaupt hei den einzelnen Theilen eines stark zusammengesetzten Empfindungs-Ganzen, wie Organempfindungen und \u00e4hnlichen, stattfinden; dass sich diese Empfindungen wirklich vorfinden, k\u00f6nne man daraus ersehen, dass ihr Wegfall den Gesammteindruck merklich ver\u00e4ndere1).\nEs kann demnach kein Zweifel dar\u00fcber herrschen, dass Stumpf\n1) \u00bbTonpsychologie\u00ab I, S. 34ff. und S. 379ff. sowie II, S. 222ff.","page":10},{"file":"p0011.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die \u00bbVerschmelzung\u00bb von Empfindungen, besonders bei Klangeindr\u00fccken. 11\nden Ausdruck Empfindung hier als Bezeichnung f\u00fcr jeden Einfluss braucht, der eine Wirkung auf den Vor Stellungsinhalt als Ganzes haben kann, selbst wenn dieser \u00bbEinfluss\u00ab nicht als eine selbst\u00e4ndige Bewusstseinserscheinung auftritt, die sich deutlicher oder undeutlicher von dem \u00fcbrigen Bewusstseinsinhalte unterscheidet. Ob nun diese Bezeichnungsweise auch f\u00fcr diejenigen F\u00e4lle durchgef\u00fchrt ist, wo die Wirkungen stark genug sind, um selbst\u00e4ndige, wahrnehmbare Empfindungen hervorzurufen, dar\u00fcber wird allerdings nichts Ausdr\u00fcckliches gesagt; aber Stumpf\u2019s ganze Darstellung deutet darauf hin, ebenso wie keine Andeutungen des Gegentheiles gemacht werden; und da dies zugleich das (konsequenteste sein wird, darf man wohl berechtigt sein, davon auszugehen, dass dies wirklich seine Meinung sei. H\u00f6re ich also, um ein Beispiel anzuf\u00fchren, einen Grundton mit seinen Ohert\u00f6nen, so m\u00fcsste ich Stumpf zufolge eine Mehrheit von Empfindungen haben, oh ich nun den Grundton und verschiedene der Ohert\u00f6ne deutlich von einander zu unterscheiden vermag, oder oh es mir ganz unm\u00f6glich ist, mehr als Einen ungetheilten Klang zu h\u00f6ren. Dass ich auch im letzteren Falle mehrere Empfindungen habe, kann ich darum eigentlich nur daher wissen, dass z. B. eine Vernichtung eines oder mehrerer der Obert\u00f6ne meinen Klangeindruck merklich ver\u00e4ndert.\nZu der gegebenen Definition der Empfindung f\u00fcgt dann Stumpf die Behauptung, dass die Empfindungen hei dem Uebergange von dem ungetheilten Eindr\u00fccke zu einer mehr oder minder scharfen Analyse der Vorstellung nicht ver\u00e4ndert werden. Dies kann er insoweit ganz sicher thun, als wir kein Mittel haben, hei der Verschmelzung jede der Empfindungen f\u00fcr sich zu untersuchen \u2014 f\u00fcr das Bewusstsein existiren sie ja gar nicht jede f\u00fcr sich \u2014 und darum au\u00dfer Stande sind, die Bichtigkeit seiner Behauptung zu pr\u00fcfen. Aber in Folge dessen bleibt diese dann allerdings auch eine ganz willk\u00fcrliche.\nEs ist nun fernerhin deutlich, dass Stumpf nur kraft seiner Definition der Empfindung in Verbindung mit der Annahme der Unver\u00e4nderlichkeit der Empfindungen so sicher behaupten kann, dass Verschmelzung oder Analyse nur die Auffassung der Empfindungen ver\u00e4ndere. Aber aus allem, was wir so gesehen haben, geht hervor, dass Stumpf\u2019s Betrachtung des Verh\u00e4ltnisses der Verschmelzung zu","page":11},{"file":"p0012.txt","language":"de","ocr_de":"12\nEjnar Buch.\nden Empfindungen und ihrer Auffassung in Wirklichkeit gar nicht zur Beleuchtung der Natur der Verschmelzung dient, sondern eher nur eine Art Definition ist, die zugleich keineswegs besonders gl\u00fccklich genannt werden kann.\nEs ist darum kein Grund f\u00fcr uns vorhanden, Stumpf in diesem Punkte zu folgen und so eine Frage zu vermeiden, die doch gleichwohl an einer anderen Stelle wieder auftauchen muss. Wir halten deshalb an unserer gew\u00f6hnlichen Definition der Empfindungen fest, in Folge deren eine Empfindung eine selbst\u00e4ndige Bewusstseinserscheinung ist, die also von dem \u00fcbrigen Bewusstseinsinhalte unterschieden wird. Der Begriff von \u00bbunbewussten Empfindungen\u00ab ist dadurch von vornherein ausgeschlossen.\nFerner ist es ein anderer Punkt, \u00fcber den wir auch um gr\u00f6\u00dferer Klarheit willen ins Beine kommen m\u00fcssen, bevor wir weitergehen. Wenn wir es n\u00e4mlich mit einer so starken Verschmelzung zu thun haben wie in dem fr\u00fcheren Beispiele von einem Tone und seinen Obert\u00f6nen, die jedenfalls oft einen scheinbar einfachen Eindruck her-vorrufen, wie sollen wir da wissen k\u00f6nnen, dass wirklich eine Verschmelzung vorliegt; ja, mit welchem Rechte sprechen wir \u00fcberhaupt in solchen F\u00e4llen von einer Verschmelzung mehrerer Empfindungen, da diese doch faktisch nicht existiren? Cornelius\u2019 Antwort auf diese Frage *) befriedigt uns nicht ganz, weil sie, was den ersten Theil betrifft, die st\u00e4rksten Verschmelzungen ausschlie\u00dft: diejenigen, welche zu analysiren uns noch nicht gegl\u00fcckt ist; was den letzten Theil betrifft, weil wir dabei leicht wieder auf die unbewussten Empfindungen gerathen. Wir ziehen es deshalb vor, unserer Beantwortung etwas andere Ausdr\u00fccke zu verleihen, die \u00fcbrigens praktisch auf dasselbe hinauslaufen, indem wir zugleich die Gelegenheit benutzen, eine etwas sch\u00e4rfere und klarere Definition der Verschmelzung zu geben als diejenige, mit welcher wir uns bisher haben gen\u00fcgen lassen. Wir sprechen also von Verschmelzung \u00fcberall da, wo wir mehrere Beize antreffen, die, statt dass jeder eine Vorstellung erzeugt, die ebenso klar und deutlich ist, als wenn der entsprechende Reiz allein auf tr\u00e4te, Ein Vorstellungsganzes hervorbringen, w\u00e4hrend sich doch sofort eine Aenderung in diesem Vorstellungsinhalte ergibt, wenn einer von den Beizen \u2014\n1) Siehe S. 4 dieser Abhandlung, oben.","page":12},{"file":"p0013.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die \u00bbVerschmelzung\u00ab von Empfindungen, besonders bei Klangeindriicken. 13\ngleichg\u00fcltig welcher \u2014 wegf\u00e4llt. Und unter \u00bbeinem einzelnen Reize\u00ab verstehen wir dann nicht einen einfachen Reiz; denn physikalisch oder physiologisch betrachtet, kann nicht gut die Rede von einfachen Reizen sein; sondern wir meinen damit einen Reiz, der nicht in mehrere aufgel\u00f6st werden kann, von denen jeder f\u00fcr sich im Stande sein w\u00fcrde, eine deutliche Empfindung hervorzurufen. Der reine, obertonfreie Ton ist so \u00bbein einzelner Reiz\u00ab, da er nicht in mehrere aufgel\u00f6st werden kann, die jeder f\u00fcr sich eine Empfindung hervor-rufen, w\u00e4hrend der zusammengesetzte Klang nat\u00fcrlich als \u00bbmehrere Reize\u00ab zu bezeichnen ist, seihst wenn es uns nicht gl\u00fcckt, ihn zu analysiren.\nMit H\u00fclfe der vorhergehenden Definitionen sind wir nun besser im Stande, zu sehen, in welcher Richtung wir zun\u00e4chst unsere Untersuchung der Verschmelzung in ihrer Beziehung zu dem \u00fcbrigen Seelenleben zu f\u00fchren haben. Am nat\u00fcrlichsten wird es n\u00e4mlich sein, damit zu beginnen, die Bedingungen f\u00fcr die Bildung deutlich und klar aufgefasster Empfindungen auf Grundlage gegebener Reize zu betrachten. Denn die Verschmelzung muss entweder darauf beruhen, dass diese Bedingungen nicht vorhanden sind, oder darauf, dass andere Factoren auftreten, welche sich ihrer Wirksamkeit widersetzen; und in beiden F\u00e4llen m\u00fcssen wir in den genannten Bedingungen den sichersten Ausgangspunkt f\u00fcr unsere Betrachtungen haben.\nVon den Bedingungen f\u00fcr die Bildung der klaren Auffassung k\u00f6nnen wir an oberster Stelle die Aufmerksamkeit nennen. Es k\u00f6nnte vielleicht nat\u00fcrlicher erscheinen, mit den Reizen und der Einrichtung und Empf\u00e4nglichkeit der Sinneswerkzeuge f\u00fcr die verschiedenen Reize zu beginnen. Wenn wir gleichwohl die Aufmerksamkeit gew\u00e4hlt haben, so ist der Grund dazu der, dass die gro\u00dfe Ver\u00e4nderlichkeit in dem Auftreten der Aufmerksamkeit es wahrscheinlich macht, dass wir gerade hier eine wesentliche Ursache zu den Unterschieden in der Auffassung gegebener Reize finden k\u00f6nnen.\nWenn wir demnach in dem folgenden Abschnitte kurz die Aufmerksamkeit betrachten werden, so ist es doch nat\u00fcrlich nicht unsere Absicht, eine vollst\u00e4ndige und ausf\u00fchrlich begr\u00fcndete Theorie der Aufmerksamkeit zu geben. Wir wollen nur im Anschl\u00fcsse an vorliegende Thatsachen solche Dinge hervorzuziehen suchen, welche Bedeutung f\u00fcr die Fragen gewinnen k\u00f6nnen, die wir hier behandeln wollen.","page":13},{"file":"p0014.txt","language":"de","ocr_de":"14\nEjnar Buch.\nb. Die Aufmerksamkeit.\nUm die Aufmerksamkeit in einer so wenig zusammengesetzten Form wie m\u00f6glich zu betrachten, wollen wir mit einer Feihe von Beispielen aus W. Preyer\u2019s Buch \u00bbDie Seele des Kindes\u00ab1) beginnen, und zwar zuerst mit einer Schilderung des Entwicklungsganges in dem Verh\u00e4ltnisse des Bandes gegen\u00fcber Gesichtseindr\u00fccken.\nPreyer bespricht zun\u00e4chst die Empf\u00e4nglichkeit des Kindes f\u00fcr Lichteindr\u00fccke bereits an seinem ersten Lebenstage, indem sich sein Gesichtsausdruck ver\u00e4nderte, weniger zufrieden wurde, wenn seine Augen mit der Hand beschattet wurden. Unlust bei zu starkem Lichtreize gab es. zu erkennen, indem es die Augen zusammenkniff oder den Kopf wegwandte2). Am elften Tage starrte das Kind mit weit ge\u00f6ffneten Augen ein Licht oder einen schimmernden Gegenstand an, der in kurzem Abstande in seine Gesichtslinie gebracht wurde, und es schrie, wenn man seinen Kopf wegwandte, wurde aber wieder zufrieden, wenn man den Kopf dem Lichte wieder zuwandte3). Schon an demselben Tage ereignete es sich, dass das Kind, nachdem es \u00fcber eine Minute lang seines Vaters Gesicht angestarrt hatte, den Blick einem Lichte zuwandte, das sich daneben im Gesichtsfelde zeigte4). Am 23. Tage folgte das Kind zum ersten Male einem langsam bewegten Lichte mit den Augen, indem der Gesichtsausdruck zugleich \u00bbauffallend intelligent\u00ab5) wurde. Zu derselben Zeit begann das Kind auch selbst, den Blick \u2014 jedoch best\u00e4ndig starrend \u2014 auf Gegenst\u00e4nde zu richten, wenn sie nur in sein Gesichtsfeld kamen6). Erst einige Zeit sp\u00e4ter, am 81. Tage, aber kam es soweit, dass es mit dem Auge neue Gegenst\u00e4nde f\u00fcr seine Beobachtung suchte7). Und ungef\u00e4hr zu derselben Zeit begann sich dann das Accommoda-tionsverm\u00f6gen zu entwickeln, so dass Gegenst\u00e4nde in verschiedenen Abst\u00e4nden ihre Bilder auf der Netzhaut scharf abgezeichnet erhalten konnten8). Hiermit war erst die M\u00f6glichkeit f\u00fcr eine deutliche und genaue Beobachtung des Gesehenen gegeben.\n1)\tAlle folgenden Citate aus diesem Buche sind seiner 3. Aufl. (Leipzig 1890) entnommen.\n2)\tS. 4.\t3) S. 5 und 30.\t4) S. 31.\t5) S. 31.\t6) S. 32.\t7) S. 34.\n8) S. 39\u201440.","page":14},{"file":"p0015.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die \u00bbVerschmelzung\u00ab von Empfindungen, besonders bei Klangeindr\u00fccken.\t15\nMit diesen Beispielen f\u00fcr Wirkungen von Gesichtseindr\u00fccken wollen wir nun andere, den \u00fcbrigen Sinnen entnommene, zusammenstellen. Wir sehen dann, dass z. B. Ber\u00fchrungen gern verschiedene locale Reflexbewegungen hervorrufen; starke K\u00e4lte oder W\u00e4rme gr\u00f6\u00dfere Reflexbewegungen und vielleicht Schreien, bisweilen auch abwehrende Bewegungen; Geschmacksempfindungen rufen besonders Ausdrucksbewegungen und zugleich entweder Saugen oder Ausst\u00f6\u00dfen des geschmeckten Stoffes hervor; unbehagliche Geruchsempfindungen u. a. ein Abwenden des Kopfes; Hunger und Schmerz rufen starke Unruhe und Schreien hervor; S\u00e4ttigung ein weites Oeffnen der Augen, Lachen u. s. w. Ueberhaupt rufen viele Eindr\u00fccke ausgepr\u00e4gte Zeichen von Lust und Unlust hervor: im ersteren Falle weites Oeffnen der Augen, Lachen, h\u00fcpfende Bewegungen mit Armen und Beinen, im letzten Zukneifen der Augen in Verbindung mit Stimrunzeln, Abwenden des Kopfes, Schreien u. s. w.1).\nMan sieht nun leicht, dass sich die Beispiele aus dem Gebiete des Gesichtssinnes in wesentlichen Hinsichten von den \u00fcbrigen angef\u00fchrten Beispielen unterscheiden. Wenn wir die allererste Zeit ausnehmen, so k\u00f6nnen wir n\u00e4mlich bemerken, dass ein Gesichtseindruck beim Kinde eine Th\u00e4tigkeit hervorruft, die darauf ausgeht, die Sinneswerkzeuge auf die f\u00fcr den Eindruck m\u00f6glichst g\u00fcnstige Weise einzustellen, und deren Folge deshalb theils ein l\u00e4ngeres Festhalten des Eindruckes \u2014 oder des Reizes \u2014, theils ein sch\u00e4rferes und deutlicheres Gesichtsbild ist. Dieser Th\u00e4tigkeit begegnen wir schon in dem weiten Oeffnen der Augen, wenn das Licht in die Gesichtslinie gebracht wird; wir sehen sie noch mehr in den Bewegungen des Auges und des Kopfes, um dem bewegten Lichte zu folgen; ferner in dem Einstellen der Augen, wenn diese von Gegenst\u00e4nden gefesselt werden, welche weiter drau\u00dfen in dem Gesichtsfelde liegen, und welche so angebracht sind, dass sie gerade in die Gesichtslinie fallen; endlich finden wir sie am vollst\u00e4ndigsten, wenn das Accommodations-verm\u00f6gen entwickelt ist und die Augen scharf und genau auf den betrachteten Gegenstand eingestellt werden. Au\u00dfer dieser mehr directen Einstellung oder Anpassung findet sich dann zugleich eine indirecte: eine Hemmung aller unzugeh\u00f6rigen eigenen Bewegungen,\n1) S. 76\u2014123 an mannigfachen Stellen.","page":15},{"file":"p0016.txt","language":"de","ocr_de":"16\nEjriar Buch.\ndie selbst oder durch die Empfindungen, welche sie hervorrufen. st\u00f6rend auf die directe Anpassung und die Vorstellungswirksamkeit einwirken k\u00f6nnen, welche durch sie beg\u00fcnstigt wird.\nWenden wir uns darnach den \u00fcbrigen Beispielen zu, so begegnen wir auch da einer gr\u00f6\u00dferen oder geringeren Activit\u00e4t, hervorgerufen durch die Eindr\u00fccke. Aber diese ist entweder direct ganz zwecklos, wie es z. B. mit den meisten Ausdrucksbewegungen der Fall ist, oder sie ist auch wohl auf ein bestimmtes Ziel gerichtet, hat aber gleichwohl einen wesentlich anderen Charakter als die Th\u00e4tigkeit, die durch die Gesichtseindr\u00fccke hervorgerufen wurde. Das Letztere ist der Fall mit den Saugbewegungen: sie werden besonders durch Hungerempfindungen in Verbindung mit Ber\u00fchrungsempfindungen des Zungenr\u00fcckens und der Lippen hervorgerufen, und ihr Zweck ist die Befriedigung des Hungers oder vielmehr die Erregung der dabei vorhandenen Empfindungen. Hier ist also durchaus keine Rede von einer ausschlie\u00dflichen subjec-tiven Anpassung an Eindr\u00fccke, die sich vorher geltend gemacht haben, sondern von einer Hervorrufung neuer Eindr\u00fccke. Und zugleich wird die gesammte Th\u00e4tigkeit eher alles andere als g\u00fcnstig f\u00fcr ein Festhalten oder eine Beobachtung dieser neuen Eindr\u00fccke sein, da die Saugbewegungen selbst und die damit verbundenen Empfindungen in dieser Hinsicht in hohem Grade st\u00f6rend wirken m\u00fcssen.\nIn der Th\u00e4tigkeit, der wir bei den Beispielen vom Gesichtssinne begegneten, und die theils darauf ausging, den Eindruck festzuhalten und zu versch\u00e4rfen, theils darauf, alle st\u00f6renden Einfl\u00fcsse zu hemmen und dadurch den Eindruck im ganzen so g\u00fcnstig wie m\u00f6glich f\u00fcr eine n\u00e4here Beobachtung und Auffassung zu machen \u2014 in dieser Th\u00e4tigkeit finden wir die erste und einfachste Form der Aufmerksamkeit beim Kinde.\nIndessen zeigt eine n\u00e4here Untersuchung, dass die Aufmerksamkeit nicht immer ganz auf dieselbe Weise auftritt wie in den besprochenen Beispielen. Man sieht n\u00e4mlich, dass die directe Anpassung, welche bei diesen eine so hervorragende Rolle spielte, gar kein noth-wendiges Element der Aufmerksamkeit ist, indem wir bei uns selbst Beispiele f\u00fcr Anpassung an einen Reiz auf finden k\u00f6nnen, w\u00e4hrend die Aufmerksamkeit gleichzeitig auf einen anderen gerichtet ist, als auch f\u00fcr Aufmerksamkeit in F\u00e4llen, wo Anpassung, soweit wir sehen k\u00f6nnen, \u00fcberhaupt nicht m\u00f6glich ist. Die ersteren Beispiele k\u00f6nnen","page":16},{"file":"p0017.txt","language":"de","ocr_de":"Uebet die \u00bbVerschmelzung\u00ab von Empfindungen, besonders bei Klangeindr\u00fccken. 17\nnamentlich dem Gesichtssinne entnommen werden. So kann der bekannte Versuch zum Nachweise des blinden Fleckes auf der Netzhaut angef\u00fchrt werden, der zur Sicherung der Genauigkeit der Einstellung gut bei Oeffnung beider Augen, wenn diese z. B. auf ein Gesichtszeichen rechts gerichtet sind, unternommen werden kann, wenn man nur Sorge tr\u00e4gt, dass die Nase sich zwischen dem Gesichtszeichen links und dem rechten Auge befindet. Beispiele von Aufmerksamkeit ohne eigentliche Anpassung haben wir bei den Sinnen, wo eine directe Anpassung nicht stattfinden kann. Sorge ich n\u00e4mlich f\u00fcr eine so v\u00f6llig indirecte Anpassung als m\u00f6glich, ohne Bewegungen irgend eines K\u00f6rpertheiles, hei angehaltenem Athem u. s. w., so sind offenbar alle Sinne Reizen gegen\u00fcber gleich g\u00fcnstig gestellt; aber ich hin noch im Stande, z. B. alle Eindr\u00fccke auf Auge und Ohr niederzuhalten und meine Aufmerksamkeit auf die vielen verschiedenen kleinen Empfindungen meines K\u00f6rpers zu concentriren, die mich \u00fcber dessen Zustand unterrichten; ja, ich kann die Aufmerksamkeit allein auf einen einzelnen K\u00f6rpertheil richten und z. B. nur die Empfindungen in meinem Fu\u00dfe oder in meiner Hand oder vielleicht in der Spitze meines kleinen Fingers beobachten.\nDie Frage ist hiernach: wo haben wir die Gleichheit zwischen den zuletzt angef\u00fchrten Beispielen und den fr\u00fcheren \u2014 und also den Grund daf\u00fcr, dass wir in beider Art F\u00e4llen von Aufmerksamkeit sprechen? Und betrachten wir den Versuch zum Nachweise des blinden Fleckes, so kann allerdings nicht geleugnet werden, dass man das Object, auf welches die Augen eingestellt sind, scharf und deutlich sieht, w\u00e4hrend das Bild des indirect gesehenen Objectes verwischt und undeutlich ist. Gleichwohl nimmt dieses letztere entschieden den vordersten Platz im Bewusstsein ein. Und w\u00e4hrend die \u00e4u\u00dferen Theile des Gesichtsfeldes ohne H\u00fclfe der Aufmerksamkeit nur hin und wieder fl\u00fcchtig vor dem Bewusstsein auftauchen, fast ohne beachtet zu werden \u2014 es sei denn, dass sie seihst eine ganz neue directe Anpassung hervorrufen \u2014, wird in unserem'Beispiele das Bild des indirect gesehenen Objectes l\u00e4ngere Zeit in vorderster Reihe festgehalten, seine Form und sein Aussehen wird wahrgenommen, jede Ver\u00e4nderung, die mit ihm vorgeht, sofort aufgefasst, seine verschiedenen Phasen werden mit einander verglichen u. s. w. Gleichzeitig aber ist das direct gesehene Object nur Gegenstand eines todten\nWundt, Philos. Studien. XV.\t.\t2","page":17},{"file":"p0018.txt","language":"de","ocr_de":"18\nEjnar Bach.\nund leeren Anstarrens. Alles dies jedoch findet statt, trotzdem der Reiz in Verbindung mit der Einstellung des Auges, wenn diese allein die bestimmenden Eactoren sein sollten, zu einem ganz anderen Resultate f\u00fchren m\u00fcsste.\nDas gemeinsame Sondergepr\u00e4ge f\u00fcr unser letztes Beispiel und die fr\u00fcheren ist nun eben dies, dass die Reize und die augenblickliche zuf\u00e4llige Einstellung der Sinneswerkzeuge nicht die allein bestimmenden Eactoren f\u00fcr die Richtung des Vorstellungsverlaufes sind, sondern dass zugleich eine ausw\u00e4hlende subjective Th\u00e4tigkeit auftritt, die, ohne die Reize in der geringsten Weise zu \u00e4ndern, den einen Eindruck auf Kosten der anderen beg\u00fcnstigt, indem sie ihm einen Platz in der vordersten Reihe im Bewusstsein anweist und ihn dort festzuhalten und im ganzen die Bedingungen f\u00fcr eine n\u00e4here Beobachtung und Auffassung desselben so g\u00fcnstig wie m\u00f6glich zu machen sucht.\t\u00bb\nDass diese Charakteristik der Aufmerksamkeit und ihrer Wirkung auch f\u00fcr die Aufmerksamkeit ohne directe Anpassung zutrifft, brauchen wir nicht n\u00e4her zu zeigen. Im \u00fcbrigen stimmt sie auch wohl mit dem \u00fcberein, was wir von zahlreichen experimentellen Untersuchungen her \u00fcber den Einfluss der Aufmerksamkeit auf das Unterscheidungsverm\u00f6gen wissen.\nW\u00e4hrend wir also kein Bedenken zu tragen brauchen, die Aufmerksamkeit als eine seelisch-k\u00f6rperliche Th\u00e4tigkeit zu bezeichnen, die einen Eindruck auf Kosten anderer beg\u00fcnstigt, kann es dagegen Schwierigkeit genug bieten, genauer zu bestimmen, welcher Art diese Th\u00e4tigkeit ist, wie sie es anstellt, die geschilderten Wirkungen hervorzuhringen. Doch kommen wir sicherlich in den F\u00e4llen, wo sich keine directe Anpassung findet, der Wahrheit nahe, wenn wir jene Wirkung als wesentlichst hemmend betrachten, indem sich die Hemmungen nicht nur auf die st\u00f6renden k\u00f6rperlichen Bewegungen und Functionen, sondern auch auf das Vorstellungsleben erstrecken, wo Sinneseindr\u00fccke und andere Vorstellungen, die sich aus dem einen oder anderen Grunde nat\u00fcrlich geltend zu machen suchen, sozusagen mit Macht zur\u00fcckgezwungen werden, um den Platz f\u00fcr den Eindruck \u2014 oder die Vorstellung \u2014 frei zu halten, der im Augenblicke beg\u00fcnstigt werden soll. Denn wir werden in diesen F\u00e4llen von Th\u00e4tigkeiten, die direct dazu dienen k\u00f6nnen, den Eindruck, welcher","page":18},{"file":"p0019.txt","language":"de","ocr_de":"Deber die \u00bbVerschmelzung\u00ab von Empfindungen, besonders bei Klangeindr\u00fccken. 19\nGegenstand der Aufmerksamkeit ist, zu verst\u00e4rken oder hervorzuheben, kaum andere als die finden, dass wir uns oft, um einen gegebenen Eindruck besser zu erfassen, schon vorher ein Phantasiebild von ihm bilden, z. B. wenn wir den Ton, den wir aus einer gr\u00f6\u00dferen Tonmasse h\u00f6ren sollen, erst \u00bbinwendig\u00ab singen. Und im \u00fcbrigen werden wir unter den Wirkungen der Aufmerksamkeit schwerlich eine bezeichnen k\u00f6nnen, die wir nicht gerade als Folge der factisch vorliegenden Hemmungen erwarten m\u00fcssten. Man betrachte so nur unser Beispiel von vorhin: den Versuch zum Nachweise des blinden Fleckes. Allerdings k\u00f6nnte man hiergegen geltend machen, dass insonderheit schwache Eindr\u00fccke mit H\u00fclfe der Aufmerksamkeit oft verst\u00e4rkt werden; aber Stumpf hat sicher recht, dass dies sehr wohl dadurch erkl\u00e4rt werden k\u00f6nne, dass die Schw\u00e4chung, welche ein solcher Eindruck sonst von anderen gleichzeitigen, besonders st\u00e4rkeren, Eindr\u00fccken empfange, wegfalle, weil diese von der Aufmerksamkeit gehemmt werden1).\nZusammengesetzter sind die Verh\u00e4ltnisse hei der Aufmerksamkeit mit directer Anpassung. Doch kann kein Zweifel dar\u00fcber herrschen, dass sich die hemmende Th\u00e4tigkeit \u2014 sowohl Bewegungen wie Vorstellungen gegen\u00fcber \u2014 hier ebensowohl wie in den \u00fcbrigen F\u00e4llen findet. Ebenso deutet die unmittelbare Beobachtung \u2014 in den Beispielen von Aufmerksamkeit mit directer Anpassung, die wir bisher zu betrachten Gelegenheit hatten, \u2014 entschieden darauf hin, dass die hemmende Th\u00e4tigkeit ohne Zwischenglied durch den Eindruck selbst, also gleichzeitig mit den Anpassungshewegungen, hervorgerufen wird. Die beiden Th\u00e4tigkeiten scheinen daher einander am ehesten nebengeordnet zu sein, und dienen sich nat\u00fcrlich gegenseitig als St\u00fctze.\nIn dem Vorhergehenden haben wir die Aufmerksamkeit seihst und ihre Wirkungen zu charakterisiren gesucht. Die n\u00e4chste Frage ist nun: wie kommt dieselbe von Anfang an zu Stande, was ist es, was ihre Entstehung und ihre Richtung nach der oder der bestimmten Seite bedingt?\nUm diese Frage zu beantworten, wollen wir zu unseren fr\u00fcheren Beispielen zur\u00fcckkehren, um zu sehen, ob wir nicht hier bisher unbeachtete Erscheinungen finden k\u00f6nnen, die uns auf die rechte Spur\n1) Siehe Stumpf: \u00bbTonpsychologie\u00ab I, S. 72 und S. 373ff; II, S. 290ff.\n2*","page":19},{"file":"p0020.txt","language":"de","ocr_de":"20\nEjnar Buch.\nleiten. Und da finden wir denn sofort in mannigfachen F\u00e4llen ein unverkennbares Interesse mit der Aufmerksamkeit verbunden, oder richtiger gesagt: mit den Beobachtungen, welche durch die Aufmerksamkeit bedingt werden. So schon bei dem Beispiele, wo wir die ersten schwachen Andeutungen von Aufmerksamkeit beim Kinde fanden: sein Anstarren eines Lichtes, das in seine Gesichtslinie gebracht wurde, mit weit ge\u00f6ffneten Augen. Das Interesse an dem Gesehenen gab sich hier ja dadurch zu erkennen, dass das Kind schrie, wenn man seinen Kopf von dem Lichte wegwandte, aber wieder zufriedengestellt wurde, wenn man seinen Kopf dem Lichte wieder zudrehte. Erweckte der Anblick desselben dagegen Unbehagen, was z. B. der Fall war, wenn das Kind eben erwacht war, \u2014 so kniff das Kind die Augen zusammen oder wandte den Kopf ab1). Auch wo das Kind zum ersten Male einem bewegten Lichte mit den Augen folgt, gibt sich seine Freude \u00fcber das Geschaute durch den zufriedenen Ausdruck in seinem Gesicht zu erkennen2). Und in der folgenden Zeit haben wir mehrere Beispiele f\u00fcr ein stark hervortretendes Lustgef\u00fchl in Verbindung mit beobachtendem Verhalten; so, wenn das Kind einer schwingenden H\u00e4ngelampe unter ununterbrochenen Freuden\u00e4u\u00dferungen fast eine halbe Stunde lang mit den Augen folgt3); oder wenn es auf Klavierspiel lauscht und seine Freude \u00fcber jedes Forte durch L\u00e4cheln und Lachen und h\u00fcpfende Bewegungen mit Armen und Beinen zu erkennen gibt4).\nGleichwohl kann nicht geleugnet werden, dass \u2014 nach Preyer\u2019s Angaben zu urtheilen \u2014 die Aufmerksamkeit beim Kinde bei weitem nicht allezeit von ausgepr\u00e4gten Aeu\u00dferungen von Lust oder Unlust begleitet ist. In einem einzelnen Beispiele wirkte sie sogar vernichtend auf diese ein: \u00bbWenn ich dem Kinde freundlich zunicke \u2014 \u2014 \u2014 lacht es mit unverkennbaren Zeichen des Vergn\u00fcgens, die Arme auf und ab bewegend. Es betrachtete dann einmal mein Spiegelbild, wurde sehr aufmerksam und drehte sich pl\u00f6tzlich wieder nach mir um, als wenn es das Spiegelbild mit dem Original zu vergleichen im Begriff st\u00e4nde oder von der Verdoppelung des Gesichts sich \u00fcberzeugen wollte5).\n1) \u00bbDie Seele des Kindes\u00ab S. 4\u20145.\t2) S. 32.\t3) S. 33.\t4) S. 66.\n5) An der angef. Stelle S. 45.","page":20},{"file":"p0021.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die \u00bbVerschmelzung\u00ab von Empfindungen, besonders bei Klangeindr\u00fccken. 21\nNun kann man allerdings daraus, dass Prey er keine Gef\u00fchls\u00e4u\u00dferungen bespricht, nicht ohne weiteres schlie\u00dfen, dass keine vorhanden waren; denn Prey er hat gar nicht daran gedacht, die Frage, welche wir hier behandeln, besonders zu untersuchen. Aber noch weniger kann man aus dem Ausbleiben der st\u00e4rkeren Gef\u00fchls\u00e4u\u00dferungen schlie\u00dfen, dass das Interesse [nicht vorhanden gewesen sei. Wir k\u00f6nnen im Gegentheile auch von Prey er mehrere Beispiele heihringen, wo das Interesse offenbar vorhanden war und zugleich als Bedingung f\u00fcr die Aufmerksamkeit Bedeutung haben musste, wo es sich aber freilich erst hinterher Ausbruch geschafft hat ; so, wenn das Kind erst lange seiner Mutter Gesicht anblickt und dann in Jubel ausbricht1]; oder wenn es lautlos auf den Gesang eines Kanarienvogels lauscht und, sobald der Yogel auf h\u00f6rt zu singen, seine Freude durch Lachen zu erkennen gibt2). Noch deutlicher tritt das Verh\u00e4ltniss zwischen Aufmerksamkeit und Interesse indess bei mehr zusammengesetzten Beispielen hervor. Wenn das hungrige Kind mit gespannter Energie die Zubereitung der Speise, die Milchflasche und ihre Bewegungen u. s. w. beobachtet3), so begegnen wir auch hier nicht direct einer Aeu\u00dferung von Lust oder Unlust, solange die Aufmerksamkeit dauert. Und gleichwohl k\u00f6nnen wir nicht in Zweifel dar\u00fcber sein, dass sich ein starkes Interesse geltend macht. Wo sollen wir n\u00e4mlich den Grund dazu suchen, dass die Milchflasche u. a. vor allen anderen sichtbaren Erscheinungen die Aufmerksamkeit des Kindes auf sich zieht und sie so intensiv und so lange festh\u00e4lt ? An sich seihst oder durch die Anpassung, welche sie hervorrufen, zeichnen sie sich ja auf keine Weise vor den anderen aus. Dagegen kann nicht geleugnet werden, dass sich auf Grund ihrer engen Verbindung mit dem Hunger des Kindes und dessen Befriedigung ein besonderes Interesse mit ihnen verbindet, und dass wir in diesem Interesse eine gen\u00fcgende Erkl\u00e4rung f\u00fcr ihre Sonderstellung haben; was mit der Milchflasche vorgeht, hat Interesse f\u00fcr das Kind, weil davon abh\u00e4ngt, ob sein Hunger gestillt werden wird oder nicht ; aber das kann das Kind nur erfahren, indem es die Bewegungen der Flasche beobachtet und auffasst.\nDas Verh\u00e4ltniss in unserem letzten Beispiele ist also dies, dass\n1) An der angef. Stelle S. 33.\n2) S. 70.\n3) S. 45 und 120.","page":21},{"file":"p0022.txt","language":"de","ocr_de":"22\nEjiiar Buch.\ndas Interesse die Aufmerksamkeit hervorruft, weil diese eine Bedingung f\u00fcr die Erlangung des Wissens ist, woran das Interesse sich kn\u00fcpft; oder, wie wir uns auch ausdr\u00fccken k\u00f6nnen: das Interesse kn\u00fcpft sich an das, was durch die Aufmerksamkeit erreicht werden soll, und setzt deshalb diese in Gang. Dass sich dieses Interesse nicht in den gew\u00f6hnlichen Gef\u00fchls\u00e4u\u00dferungen kundgibt, ist etwas, was uns in Wirklichkeit gar nicht wunder nehmen kann, da es gerade eine Folge der Natur der Aufmerksamkeit ist. Denn jeder Gef\u00fchlsausbruch m\u00fcsste ja ableitend und st\u00f6rend auf die Anpassung und die gesammte beobachtende Th\u00e4tigkeit wirken und wird darum, wie alle anderen st\u00f6renden Bewegungen, von der Aufmerksamkeit gehemmt. Gleichwohl schafft sich das Gef\u00fchl, wie wir gesehen haben, oft Luft entweder durch augenblickliche Erschlaffungen der Aufmerksamkeit oder durch deren Aufh\u00f6ren; so wie wir es gerade auch in unserem letzten Beispiele sehen, wenn z. B. das Kind heftig schreit, sobald die Milchflasche aus seiner Gesichtsweite gebracht wird.\nWeit entfernt also, in Beispielen wie unserem letzten von dem Ausbleiben der Gef\u00fchls\u00e4u\u00dferungen auf fehlendes Interesse zu schlie\u00dfen, k\u00f6nnen wir uns im Gegentheile die gespannte beobachtende Wirksamkeit nicht erkl\u00e4ren, ohne unsere Zuflucht zu dem Interesse zu nehmen. Und auf F\u00e4lle dieser Art gest\u00fctzt, wo wir das gegenw\u00e4rtige Interesse und seine Bedeutung f\u00fcr die Aufmerksamkeit bestimmt nachweisen k\u00f6nnen, betrachten wir dann jeden anderen gespannten Aufmerk-samkeitszustand als Zeichen f\u00fcr das Vorhandensein des einen oder anderen Interesses.\nDass sich diese Auffassung des Verh\u00e4ltnisses zwischen Aufmerksamkeit und Interesse allgemein durchf\u00fchren l\u00e4sst, davon kann man sich, auf jeden Fall was die Preyer\u2019schen Beispiele anlangt, ohne Schwierigkeit \u00fcberzeugen, indem man sowohl diejenigen, welche wir hier angef\u00fchrt haben, als auch alle die \u00fcbrigen Beispiele von Aufmerksamkeit, die sich in Prey er\u2019s Buch finden, durchgeht und mit dem vergleicht, was wir auf anderem Wege von den Interessen des Kindes wissen k\u00f6nnen.\nDas Vorhergehende hat uns also zu dem Besultate gef\u00fchrt, dass es das Interesse ist, was die Aufmerksamkeit bestimmt. Wie dasselbe es im \u00fcbrigen aber anstellt, diese hemmenden und anpassenden Wirkungen hervorzurufen, dies zu untersuchen w\u00fcrde uns hier viel","page":22},{"file":"p0023.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die \u00bbVerschmelzung\u00ab von Empfindungen, besonders bei Klangeindr\u00fccken. 23\nzu weit f\u00fchren. Wir m\u00fcssen uns damit begn\u00fcgen, den Zusammenhang zwischen Interesse und Aufmerksamkeit als eine Thatsache anzunehmen, deren n\u00e4here Erkl\u00e4rung eingehenderen Behandlungen des Stoffes Vorbehalten bleiben muss.\nWir wollen noch ein paar etwas zusammengesetztere Beispiele betrachten, die in verschiedenen Hinsichten zur weiteren Beleuchtung der Natur der Aufmerksamkeit dienen k\u00f6nnen. Das eine wollen wir wieder Preyer entnehmen: \u00bbDas Verhalten der Thiere erregte \u00fcberhaupt in hohem Grade des Kindes Aufmerksamkeit. Es kann sogar hei der Mahlzeit das Essen vergessen, um anhaltend die Bewegungen einer Fliege zu beobachten. \u201eJetzt geht in die Zeitung \u2014 geht in die Milch! Fort, Thier! Geh fort! Unter dem Kaffee!\u201c\u00ab'). Das andere Beispiel wollen wir einer der vielen Untersuchungen \u00fcber die Schwankungen der Aufmerksamkeit entnehmen, z. B. Eckener\u2019s. Einer seiner Versuche bestand darin, mit anhaltender, gespannter Aufmerksamkeit auf den Laut zu horchen, welcher dadurch entstand, dass ein d\u00fcnner Strahl fein gesiebten Sandes auf eine leicht schwingende Stahlplatte herabfiel, um zu beobachten, oh die Lautempfindung ihre St\u00e4rke ver\u00e4nderte oder vielleicht zeitweise ganz wegfiel1 2).\nDer Unterschied zwischen diesen beiden Beispielen ist in die Augen fallend. F\u00fcrs erste k\u00f6nnen wir bemerken, dass in dem Beispiele von Preyer das Interesse \u2014 und damit die Aufmerksamkeit \u2014 durch den Eindruck selbst erweckt wird, auf welchen die Aufmerksamkeit gerichtet ist; und die Bichtung der Aufmerksamkeit wird immer wieder aufs neue durch die Eindr\u00fccke und das Interesse bestimmt, welches jene wecken. Bei dem anderen Beispiele wird die Aufmerksamkeit dagegen nicht durch den Eindruck geweckt, auf welchen sie gerichtet ist, sondern durch ein umfassenderes Interesse, welches eben diese Aufmerksamkeitseinstellung im Augenblicke w\u00fcn-schenswerth macht. Und die Aufmerksamkeit wird best\u00e4ndig von diesem so zu sagen au\u00dferhalb stehenden Interesse geleitet, das sogar in einen gewissen Gegensatz zu dem Interesse treten kann, welches m\u00f6glicherweise durch den Eindruck selbst geweckt werden kann.\n1)\t\u00bbDie Seele des Kindes\u00ab S. 420.\n2)\tHugo Bckener: \u00bbUntersuchungen \u00fcber die Schwankungen der Auffassung minimaler Sinnesreize\u00ab. Wundt\u2019s \u00bbPhil. Stud.\u00ab VIH, S. 359.","page":23},{"file":"p0024.txt","language":"de","ocr_de":"24\nEjnar Buch.\nAngenommen z. B., man entdeckte w\u00e4hrend des vorliegenden Versuches pl\u00f6tzlich, dass der Laut aus zwei T\u00f6nen zusammengesetzt sei, und man bek\u00e4me Lust, das H\u00f6henverh\u00e4ltniss dieser T\u00f6ne zu untersuchen: hier m\u00fcsste dann sofort \u00bbdas leitende Interesse\u00ab eingreifen und eine solche Aenderung in der Richtung der Aufmerksamkeit verhindern.\nDer hier hervorgehobene Unterschied zwischen den beiden Beispielen ist das wesentlichste unterscheidende Merkmal zwischen unwillk\u00fcrlicher und willk\u00fcrlicher Aufmerksamkeit. Man sieht leicht, dass wir im Grunde in allen unseren fr\u00fcheren Prey er entnommenen Beispielen die unwillk\u00fcrliche, aber z. B. in dem Versuche zum Nachweise des blinden Fleckes die willk\u00fcrliche Aufmerksamkeit vor uns haben.\nDoch unsere beiden letzten Beispiele bieten auch andere bedeutungsvolle Verschiedenheiten dar. So zeichnet sich das Prey er\u2019sehe Beispiel durch die best\u00e4ndige starke Eingenommenheit und Unempf\u00e4nglichkeit f\u00fcr Eindr\u00fccke oder Vorstellungen aus, die nicht in Verbindung mit dem Gegenst\u00e4nde der Beobachtung stehen. Die Aufmerksamkeit ist hier also so vollkommen wie nur m\u00f6glich. In dem anderen Beispiele kostet es dagegen die gr\u00f6\u00dfte Anstrengung, die Aufmerksamkeit mehr als ganz kurze Zeit aufrecht zu erhalten; und es wird fast zu keinem Zeitpunkte eine so gro\u00dfe Unempf\u00e4nglichkeit f\u00fcr fremde Eindr\u00fccke erreicht wie in dem ersten Beispiele. Eckener schildert selbst, wie verschiedene Empfindungen und Vorstellungen: Spannungsempfindungen im Ohre, Muskelempfindungen, der Gedanke an die Registrirung des Ganges der Schallempfindung oder vielleicht ganz fremde Vorstellungen, sich im Bewusstsein vordr\u00e4ngen und der beobachteten Schallempfindung den Rang streitig machen; oder man gleitet aus voller Aufmerksamkeit in einen vollkommenen Zustand von Schlaffheit hin\u00fcber, wo die Schallempfindung allerdings die einzige Vorstellung, aber nur eine Art dunklen \u00bbGef\u00fchles\u00ab ist1). In Uebereinstimmung hiermit hebt auch Dr. Alfr. Lehmann anl\u00e4sslich einer \u00e4hnlichen Versuchsreihe hervor, dass man sich nicht darauf\n1) An der angef. Stelle S. 381\u2014383.","page":24},{"file":"p0025.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die \u00bbVerschmelzung\u00ab von Empfindungen, besonders bei Klangeindr\u00fccken. 25\nverlassen k\u00f6nne, dass sich die volle Aufmerksamkeit l\u00e4nger als 1\u20142 Minuten aufrecht erhalten lasse1).\nEs ist nun nicht so schwer, den Grund zu dem zuletzt ber\u00fchrten Unterschiede zwischen den beiden Zust\u00e4nden von Aufmerksamkeit zu erkl\u00e4ren. In Prey er\u2019s Beispiel haben wir die Eigent\u00fcmlichkeit, dass der Eindruck, auf welchen die Aufmerksamkeit gerichtet wird, best\u00e4ndig wechselt. Jede Ver\u00e4nderung im Eindr\u00fccke ruft nun neue Vorstellungen, neue Erwartungen hei dem Kinde hervor und setzt im Ganzen seine Vorstellungsth\u00e4tigkeit in die lebhafteste Bewegung; aber damit hat auch sein Interesse neues Lehen, einen neuen Sporn nach vorw\u00e4rts erhalten, was sich sofort durch eine erneute energische Spannung der Aufmerksamkeit zugleich mit den Ver\u00e4nderungen in der Einstellung zu erkennen gibt, welche die Ver\u00e4nderungen im Eindr\u00fccke notwendig gemacht haben. In Wirklichkeit haben wir hier also nicht Einen einzelnen Zustand von Aufmerksamkeit, sondern eine ganze Beihe, die einander unmittelbar abl\u00f6sen, jeder durch seinen Eindruck, sein lebendiges Interesse f\u00fcr sich hervorgerufen. Hiermit aber ist die Unempf\u00e4nglichkeit f\u00fcr fremde Eindr\u00fccke gen\u00fcgend erkl\u00e4rt \u2014 soweit wir es mit den Begrenzungen, die wir unserer Untersuchung der Aufmerksamkeit hier gegeben haben, thun k\u00f6nnen.\nGanz anders liegen nun die Verh\u00e4ltnisse in dem zweiten Beispiele. Hier haben wir soweit wie m\u00f6glich ein unver\u00e4ndertes Aufrechterhalten derselben Empfindung und derselben Aufmerksamkeitseinstellung; und dar\u00fcber hinaus beschr\u00e4nkt sich die Wirksamkeit auf eine Vergleichung zwischen den verschiedenen Phasen der betreffenden Empfindung. Wir haben hier also nicht wie in dem vorigen Beispiele eine best\u00e4ndig neue Nahrung f\u00fcr das Interesse durch den Eindruck und die Vorstellungsth\u00e4tigkeit, die sich daran schlie\u00dfen k\u00f6nnte. Im Gegentheile wird ein solcher Mangel an Abwechslung und seelischer Activit\u00e4t wie der Vorgefundene allezeit Unlust erwecken; und dieses Gef\u00fchl von Unlust wird durch die schnell wachsenden M\u00fcdigkeitsempfindungen, die einer l\u00e4ngere Zeit unver\u00e4nderten\n1) \u00bbUeber die Beziehung zwischen Athmnng und Aufmerksamkeit\u00ab. Wundt\u2019s \u00bbJPhil. Stud.\u00ab IX, S. 76.","page":25},{"file":"p0026.txt","language":"de","ocr_de":"26\nEjnar Buch.\nAufmerksamkeitseinstellung nothwendigerweise folgen, noch mehr verst\u00e4rkt werden. Um dieses steigende Unlustgef\u00fchl zu \u00fcberwinden und die Aufmerksamkeit aufrecht zu erhalten, haben wir nun nur das urspr\u00fcngliche Interesse, das die Aufmerksamkeit von Anfang an hervorgerufen hat. Und hier begegnen wir noch einer neuen Schwierigkeit darin, dass dieses Interesse nicht unmittelbar mit dem Eindr\u00fccke seihst verkn\u00fcpft ist. Denn es ist offenbar, dass in demselben Grade, in welchem die Aufmerksamkeit auf diesen Eindruck gerichtet wird, der Vorstellungskreis mit zugeh\u00f6rigen Gef\u00fchlst\u00f6nen u. s. w., welcher \u00bbdas leitende Interesse\u00ab ausmacht, im Bewusstsein zur\u00fccktreten muss. Aber wenn dies geschieht, verliert die Aufmerksamkeit zu einem wesentlichen Theile ihre St\u00fctze ; und die verschiedenen Eindr\u00fccke und Vorstellungen, die bisher durch die Hemmung zur\u00fcckgehalten worden sind, werden sich nun geltend machen und in den Vordergrund dr\u00e4ngen k\u00f6nnen. Gew\u00f6hnlich wird sich dann \u00bbdas Interesse\u00ab sofort aufs neue erheben und die Aufmerksamkeit wieder herstellen; und so wird es einige Zeit dauern k\u00f6nnen \u2014 im Anf\u00e4nge vielleicht mit kaum bemerkbaren Schwankungen, weil die genannten Unlustgef\u00fchle noch ganz schwach sind und das Interesse sofort bereit ist, einzugreifen, sobald die geringste Erschlaffung in der Aufmerksamkeit eintritt; aber lange dauert es, wie die Versuche zeigen, nicht, bis die Schwankungen so gro\u00df werden, dass man nicht mehr von best\u00e4ndiger Aufmerksamkeit sprechen kann.\nUnsere beiden letzten Beispiele haben uns also \u2014 abgesehen davon, dass sie zugleich zur Beleuchtung des Unterschiedes zwischen willk\u00fcrlicher und unwillk\u00fcrlicher Aufmerksamkeit dienen, \u2014 theils einen gr\u00fcndlicheren Einblick darein gew\u00e4hrt, wie bedeutungsvoll und eingreifend der Zusammenhang zwischen Aufmerksamkeit und Interesse ist, theils uns gezeigt, wie schwierig es ist, die Aufmerksamkeit aufrecht zu erhalten, wenn sowohl Einstellung wie Eindruck l\u00e4ngere Zeit unver\u00e4ndert gehalten werden. Aber sie gehen uns zugleich Anlass zu noch ein paar Bemerkungen.\nDass wir im Aufmerksamkeitszustande immer eine Einschr\u00e4nkung des Vorstellungsgebietes, eine Absperrung von einer Menge \u00bbfremder\u00ab Eindr\u00fccke und Vorstellungen haben, ist oft genug erw\u00e4hnt und bewiesen worden. Aber in Wirklichkeit tritt diese Einschr\u00e4nkung auf eine doppelte Weise auf. Die eine haben wir am deutlichsten in","page":26},{"file":"p0027.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die \u00bbVerschmelzung\u00ab von Empfindungen, besonders bei Kiangeindriicken. 27\nEckener\u2019s Versuch, wo die Begrenzung durch die augenblickliche Einstellung und zugeh\u00f6rige Hemmung seihst bestimmt ist, wo wir also, wie wir uns ausdr\u00fccken k\u00f6nnen, nur Eine Vorstellung im Bewusstsein haben. Die andere haben wir in Preyer\u2019s Beispiel. Wie fr\u00fcher bewiesen, findet hier ein best\u00e4ndiger Wechsel sowohl des Eindruckes wie der Einstellung statt und gleichzeitig damit eine lebhafte Vorstellungsth\u00e4tigkeit. Selbstverst\u00e4ndlich ist nun auch hier, wie in dem vorigen Falle, die Aufmerksamkeit in jedem einzelnen Augenblicke auf \u00bbEine Vorstellung\u00ab begrenzt, was ja gerade eine Folge der Natur der Aufmerksamkeit ist. Aber au\u00dferdem finden wir oft, dass sich der ganze genannte Wechsel der Aufmerksamkeit, all\u2019 die seelisch-k\u00f6rperliche Th\u00e4tigkeit, welche sich daran kn\u00fcpft, innerhalb sehr enger Grenzen bewegt. Wir k\u00f6nnen in dieser Hinsicht von anderen Beispielen nennen das hungrige Kind, das sich nur f\u00fcr seine Speise und deren Zubereitung interessirt, den Botaniker, der lange Zeit von der Untersuchung einer einzelnen Blume in Anspruch genommen sein kann, u. s. w. \u2014 Dass es im \u00fcbrigen in allen F\u00e4llen das Interesse ist, was in letzter Instanz die Grenzen der Aufmerksamkeit bestimmt, brauchen wir nach dem Vorhergehenden nicht n\u00e4her hervorzuheben.\nWir haben im Vorhergehenden versucht, die Natur der Aufmerksamkeit und die Bedingungen f\u00fcr ihr Entstehen auf verschiedene Weisen zu beleuchten, und wollen nun zum Schl\u00fcsse nur die Hauptpunkte unserer Betrachtungen zusammenstellen. Wir fanden denn, dass die Aufmerksamkeit eine seelisch-k\u00f6rperliche Th\u00e4tigkeit ist, die durch subjective Mittel, ohne Eingriff in die vorliegenden Reize, einen einzelnen Eindruck oder einige wenige auf Kosten der anderen hervorhebt und ihn so g\u00fcnstig wie m\u00f6glich f\u00fcr Beobachtung und Auffassung zu stellen sucht. Die Mittel sind besonders eine Hemmung, welche theils unmittelbar alle anderen Eindr\u00fccke und Vorstellungen trifft, theils gegen alle eigenen Bewegungen und \u00e4hnliches gerichtet ist, die st\u00f6rende Wirkungen haben k\u00f6nnten; und zugleich in vielen F\u00e4llen eine directe Einstellung oder Anpassung der Sinneswerkzeuge auf die f\u00fcr den Eindruck g\u00fcnstigste Weise. Und was hierdurch erreicht wird, ist, dass der Eindruck in vorderster Reihe hervortritt und festgehalten wird, so lange die Aufmerksamkeit dauert. Die Bedingung f\u00fcr die Entstehung der Aufmerksamkeit und ihre Aufrechterhaltung","page":27},{"file":"p0028.txt","language":"de","ocr_de":"28\nEjnar Buch.\nist, dass sich an die gesammte Wirksamkeit oder richtiger an ihre Resultate ein gen\u00fcgend starkes und lebendiges Interesse kn\u00fcpft. Endlich nennen wir die Aufmerksamkeit unwillk\u00fcrlich oder willk\u00fcrlich, je nachdem der Eindruck seihst unmittelbar das Interesse weckt und n\u00e4hrt oder dieses einen anderen Ursprung hat.\nc. Die Auffassung.\nWir haben im vorigen Abschnitte wiederholt die Bedeutung der Aufmerksamkeit f\u00fcr die Vorstellungsauffassung hervorgehoben, ohne jedoch einen n\u00e4heren Beweis f\u00fcr den behaupteten Zusammenhang zu gehen. Dazu soll uns nun dieser Abschnitt f\u00fchren, indem wir theils genauer feststellen, was unter Auffassung verstanden werden soll, theils im Ganzen klar dar\u00fcber zu werden suchen, wie eine Auffassung zu Stande kommt.\nWir sehen hier zuerst, dass wir bei jeder einfacheren Ver-gleichungsth\u00e4tigkeit den Ausdruck Auffassung als Bezeichnung f\u00fcr das endliche Urtheil oder die endliche Sch\u00e4tzung brauchen, in welche die Vergleichung ausm\u00fcndet: ich fasse einen Ton als niedriger oder h\u00f6her auf als denjenigen, mit welchem ich ihn vergleiche, eine Farbe als r\u00f6thlicher, eine andere als bl\u00e4ulicher als eine und dieselbe dritte ; oder ich fasse zwei Geschmacksempfindungen als gleichartig, zwei Laute als gleich stark, aber verschieden im Klange auf \u2014 kurz gesagt, irgend zwei Empfindungen als gleich oder verschieden, im letzten Falle meist zugleich mit einer Angabe der Richtung der Verschiedenheiten, ob sie gro\u00df oder klein sind u. s. w. Auch wenn z. B. Eckener bei den fr\u00fcher genannten Versuchen von Schwankungen in der \u00bbAuffassung\u00ab der minimalen Sinneseindr\u00fccke spricht, haben wir denselben Gebrauch des Wortes; denn die Wirksamkeit des Beobachters besteht hier in einer best\u00e4ndigen Vergleichung zwischen den verschiedenen Phasen der Empfindung und einer darauf folgenden Sch\u00e4tzung ihres St\u00e4rkeverh\u00e4ltnisses u. s. w. in den verschiedenen Augenblicken.\nDass es nun eben das Vergleichungsresultat und nicht die Vergleichung selbst ist, was wir als Auffassung bezeichnen, geht deutlich genug daraus hervor, dass wir zahlreiche Beispiele von Auffassung ohne eine eigentliche Vergleichung anf\u00fchren k\u00f6nnen. So in den bekannten Versuchen, die H\u00f6he eines Tones unmittelbar zu beurtheilen.","page":28},{"file":"p0029.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die \u00bbVerschmelzung\u00ab von Empfindungen, besonders bei Klangeindr\u00fccken. 29\nDass dies ohne irgendwelche Vergleichung geschehen kann, wird jedenfalls sowohl von Stumpf4) wie von J. v. Kries1 2) hervorgehoben und, au\u00dfer durch die Erkl\u00e4rungen der Beobachter, u. a. auch dadurch bewiesen, dass das Urtheil oft ganz ohne Besinnen abgegeben wird, und dass man das Verm\u00f6gen besitzen kann, die absolute H\u00f6he eines Tones hei Einer Art T\u00f6nen zu beurtheilen, ohne ihn anderen gegen\u00fcber zu haben. Es kann somit kein Zweifel dar\u00fcber herrschen, dass das, was in unseren ersten Beispielen das besondere Kennzeichen der Auffassung ausmacht, die Bestimmung des Verh\u00e4ltnisses der beiden verglichenen Vorstellungen zu einander ist oder, wie wir es auch ausdr\u00fccken k\u00f6nnen, die Charakteristik, welche der einen Vorstellung mit H\u00fclfe der anderen gegeben wird.\nIndessen ist es ein Mangel an den genannten Beispielen, dass sie uns nur die Auffassung des Verh\u00e4ltnisses zweier Vorstellungen zu einander zeigen, w\u00e4hrend wir gern wissen m\u00f6chten, was es ganz im allgemeinen hei\u00dft, eine einzelne gegebene Vorstellung werde aufgefasst. Um dies zu erkennen, wollen wir mit einem Beispiele von F. C. C. Hansen\u2019s und Alfr. Lehmann\u2019s Versuchen \u00fcber unwillk\u00fcrliches Fl\u00fcstern beginnen3). F. C. C. Hansen beschreibt selbst auf folgende Weise, wie die Auffassung der gefl\u00fcsterten Zahlen zu Stande kam: \u00bbBez\u00fcglich der Perception der gefl\u00fcsterten Zahlen ergab sich, dass die Auffassung eine successive war, d. h. es wurden die Zahlen st\u00fcckweise geh\u00f6rt. Das erste Mal, als die Zahl gefl\u00fcstert wurde, h\u00f6rte der Percipient z. B. die eine Ziffer oder gar nur eine Silbe oder einen einzigen Laut, das zweite Mal die andere Ziffer oder Silbe etc. etc. Unterdessen suchte er unwillk\u00fcrlich diese Laute zu verstehen, zu deuten, sie zu einer zweistelligen Zahl zu formen, verglich sie mit seinen Geh\u00f6rserinnerungen von den verschiedenen Zahlen u. s. w., u. s. w., bis er sich endlich f\u00fcr eine entschied und sie aussprach\u00ab4).\nWir sehen, wie auch in diesem Beispiele die Auffassung \u2014 der gefl\u00fcsterten Laute \u2014 durch eine Vergleichung zu Stande kommt.\n1)\t\u00bbTonpsychologie\u00ab I, S. 305\u2014313.\n2)\t\u00bbUeber das absolute Geh\u00f6r\u00ab. Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane HI, S. 257\u2014279.\n3)\tWundt, \u00bbPhil. Stud.\u00ab XI, S. 471\u2014530.\n4) S. 503.","page":29},{"file":"p0030.txt","language":"de","ocr_de":"30\nEjnar Buch.\nAber die Vergleichungsglieder sind hier Erinnerungsbilder, d. h. Vorstellungen, deren Bedeutung man von vornherein kennt, die schon fr\u00fcher in das Bewusstsein eingearbeitet worden sind, selbst durch Vergleichungen mit noch fr\u00fcheren Vorstellungen charakterisirt sind u. s. w. Und wir sehen zugleich, dass der Beobachter seine Auffassungsth\u00e4tigkeit erst in dem Augenblicke abschlie\u00dft, wo er eine so gro\u00dfe Aehnlichkeit zwischen dem wahrgenommenen Laute und einem seiner Erinnerungsbilder gefunden hat, dass die beiden Vorstellungen wahrscheinlich auf dieselbe Weise gedeutet werden k\u00f6nnen.\nWir m\u00fcssen indess einen Augenblick bei diesem letzten Punkte stehen bleiben: der Deutung der Vorstellung, dem Schl\u00fcsse von der Vorstellung auf den Reiz, welcher jene hervorgerufen hat. Man sieht n\u00e4mlich leicht, dass die Deutung einer Vorstellung in Wirklichkeit gar kein Beitrag zu ihrer Charakteristik, als seelische Erscheinung betrachtet, ist. Allerdings ist es oft, wenn ich Anderen eine Vorstellung, die ich gehabt habe, beschreiben oder erkl\u00e4ren soll, am leichtesten f\u00fcr mich, auf ihre vermeintliche Ursache hinzuweisen; \u2014 z. B. ich h\u00f6rte vor einem Augenblicke einen Kanonenschuss oder, besser, einen Laut wie von einem Kanonenschuss \u2014; f\u00fcr mich aber wird die Vorstellung nicht im allergeringsten deutlicher oder klarer oder besser charakterisirt. Ich kann mir im Gegentheil oft bewusst sein, dass die Deutung, die ich meiner Vorstellung gebe, nicht ganz ihrem Charakter entspricht; ja, eine Deutung ist oft gar nicht m\u00f6glich, wenn ich nicht neben der betreffenden Vorstellung und vollkommen unabh\u00e4ngig von ihr \u00fcber ein Wissen gebiete, das meinen Vermuthungen und Schl\u00fcssen forthelfen und sie st\u00fctzen kann. Es kann so in F. C. C. Hansen\u2019s und Alfr. Lehmann\u2019s hier besprochenen Versuchen h\u00f6chst zweifelhaft sein, ob der Beobachter die geh\u00f6rten Laute als gefl\u00fcsterte Zahlen gedeutet haben w\u00fcrde, wenn er nicht vorher gewusst h\u00e4tte, dass sie es waren. Dass die Deutung die Vorstellung gar nicht ganz deckte, ist aus dem letzten Satze der angef\u00fchrten Stelle zu ersehen: der Beobachter entschied sich f\u00fcr die eine oder andere Zahl \u2014; hiermit ist offenbar der Sprung zwischen der Vorstellung, wie sie mit H\u00fclfe der Vergleichung mit den anderen Vorstellungen charakterisirt ist, und der Deutung, welche ihr gegeben wurde, angedeutet.\nSolange es also nur eine Bestimmung der Natur der Vorstellung","page":30},{"file":"p0031.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die \u00bbVerschmelzung\u00ab von Emplindungen, besonders bei Klangeindr\u00fccken. 31\nselbst gilt oder, mit anderen Worten, eine Auffassung der Vorstellung, solange wird es ganz \u00fcberfl\u00fcssig oder eher ung\u00fcnstig sein, auch die Deutung der Vorstellung mit in Betracht zu ziehen. Ganz anders gestaltet sich die Sache, wenn es unsere Aufgabe ist, uns die vollkommenst und genauest m\u00f6gliche Auffassung der uns umgebenden Welt zu bilden: in diesem Fall ist es ja gerade die Natur der Reize, die bestimmt werden soll. In der vorliegenden Arbeit gehen wir indess, wie fr\u00fcher (s. S. 13) hervorgehoben, davon aus, dass man die Reize kennt, und wollen nun die Natur der hervorgerufenen Vorstellungen untersuchen; folglich muss es die Auffassung der Vorstellung allein sein, was uns hier vor allen Dingen angeht.\nWir kehren hiernach wieder zu unseren Beispielen zur\u00fcck, wo wir also die abschlie\u00dfende Deutung des geh\u00f6rten Lautes am liebsten ausschlie\u00dfen sollten. Wir werden uns dann folgenderma\u00dfen aus-dr\u00fccken m\u00fcssen: die Auffassungsth\u00e4tigkeit wird erst in dem Augenblicke geschlossen, wo der Beobachter ein Erinnerungsbild gefunden hat, welches der neuen Vorstellung sehr nahe kommt. Das Resultat der Wirksamkeit, die Auffassung selbst, ist also, dass die neue Vorstellung dieser \u00e4lteren und bekannten sehr nahe steht, auf jeden Fall n\u00e4her, als einer der anderen Vorstellungen, mit denen sie verglichen worden ist, dass sich aber in gewissen Punkten doch kleine Verschiedenheiten zwischen ihnen finden, deren Richtung und Gr\u00f6\u00dfe man sich indess soweit wie m\u00f6glich klar gemacht hat \u2014 vorausgesetzt dass man die \u00e4u\u00dfersten Anstrengungen gemacht hat, um sich eine vollkommene Auffassung der Vorstellung zu bilden.\nDie Auffassung strebt also in unserem Beispiele danach, eine genaue Charakteristik der neuen Vorstellung mit H\u00fclfe einer \u00e4lteren und bekannten Vorstellung zu geben. Dass dies gerade dadurch geschehen muss, dass man sie mit einer Vorstellung zusammenstellt, die ihr sehr nahe verwandt ist, liegt nat\u00fcrlich daran, dass wir kein Ma\u00df f\u00fcr seelische Unterschiede oder, wenn man will, kein anderes Ma\u00df als den eben merkbaren Unterschied haben. Statt die neue Vorstellung mit einer einzelnen \u00e4lteren zusammenzustellen, kann es jedoch nothwendig werden, mehrere zu H\u00fclfe zu nehmen, die jede eine Eigenschaft mit ihr gemein haben; denn oft \u2014 oder meist \u2014 hat man im Augenblicke oder \u00fcberhaupt keine einzelne, die der neuen in allen Beziehungen nahe kommt. So, wenn die H\u00f6he eines","page":31},{"file":"p0032.txt","language":"de","ocr_de":"32\nEjnar Buch.\nTones durch Vergleichung mit dem Kammertone bestimmt wird [einmal gestrichenes a, mit einer Stimmgabel hervorgebracht], w\u00e4hrend seine Klangfarbe am ehesten mit der des Zungenpfeifen-Tones verglichen wird.\nUeberall, wo die Auffassung eine Frucht von Vergleichungen ist, k\u00f6nnen wir sie nun offenbar auf dieselbe Weise kennzeichnen wie in dem betrachteten Beispiele. Aber auch in den anderen F\u00e4llen, wie z. B. hei der Beurtheilung der absoluten H\u00f6he eines Tones, k\u00f6nnen wir die Auffassung als eine Charakteristik der neuen Vorstellung mit H\u00fclfe fr\u00fcherer bekannter Vorstellungen bezeichnen; und man wird sich leicht davon \u00fcberzeugen k\u00f6nnen1 2), dass dies ganz im allgemeinen als ein besonderes Kennzeichen f\u00fcr die Auffassung betrachtet werden kann Im ganzen wird die Vorstellungs-Auffassung so als ein Ausdruck f\u00fcr die Th\u00e4tigkeit dastehen, welche die neuen Vorstellungen in Verbindung mit den alten setzt und \u00fcberhaupt dazu dient, die verschiedenen Vorstellungen unter einander zu sammeln und zusammenzuarbeiten.\nUnsere n\u00e4chste Frage ist nun: wie kommt die Auffassung zu st\u00e4nde? Zu sehr gro\u00dfem Theile ist diese Frage jedoch schon beantwortet: insoweit die Auffassung n\u00e4mlich durch Vergleichungen zu st\u00e4nde kommt. Indess kann sie ja auch ohne eine Vergleichung entstehen. Diese Form der Auffassung m\u00fcssen wir daher etwas n\u00e4her betrachten.\nEin Beispiel f\u00fcr die Auffassung ohne Vergleichung haben wir schon genannt: die Beurtheilung der absoluten H\u00f6he eines Tones; und mehr k\u00f6nnen wir Dr. Alfr. Lehmann\u2019s Versuchen \u00fcber das sogenannte \u00bbWiedererkennen durch Bestimmung\u00ab sowohl mit Farben-schattirungen'1) wie mit Geruchsempfindungen3) entnehmen. Zuerst m\u00fcssen wir nun beachten, dass wir es in Wirklichkeit auch bei der Beurtheilung der absoluten H\u00f6he von T\u00f6nen mit Wiedererkennungen durch Bestimmung zu thun haben. Dies geht sowohl aus Stumpf\u2019s wie aus v. Kries\u2019 Untersuchungen hervor und wird im \u00fcbrigen auch von letzterem ausgesprochen. Dann aber ist es eine leichte Sache\n1)\tSiehe u. a. die Beispiele in dem n\u00e4chstfolgenden St\u00fccke.\n2)\t\u00bbOm Genkendelse\u00ab. Yidensk. selsk. skr. 6te rcekke. historisk og filosofisk afd., 2 det bd., H, S. 210^221.\n3)\tWundt\u2019s \u00bbPhil. Stud.\u00ab VH, S. 185\u2014195.","page":32},{"file":"p0033.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die \u00bbVerschmelzung\u00ab von Empfindungen, besonders bei Klangeindr\u00fccken. 33\nf\u00fcr uns, auszumachen, wie die Auffassung in allen diesen F\u00e4llen zu st\u00e4nde kommt. Dass man eine Vorstellung durch Bestimmung wiedererkennt, hei\u00dft ja n\u00e4mlich, dass sie selbst durch Associationen gewisse Erinnerungsbilder hervorruft, welche dazu dienen, sie zu charak-terisiren, zu \u00bbbestimmen\u00ab; dies aber ist eben nur ein anderer Ausdruck daf\u00fcr, dass sie mit H\u00fclfe dieser Erinnerungsbilder oder Associationen aufgefasst wird. Wenn ich so an einer Fl\u00fcssigkeit rieche und sofort ausrufe: Weingeist!, so ist dies ein Wiedererkennen durch Bestimmung; aber es ist offenbar zugleich eine Auffassung der Vorstellung. Dieselbe Sache ist es, wenn man die absolute H\u00f6he eines Tones, sobald man ihn h\u00f6rt, als zweimal gestrichenes f bezeichnet, u. s. w.\nDie genannten Beispiele f\u00fcr die Auffassung ohne Vergleichung handeln nur von ganz einfachen Empfindungen. Beispiele mit etwas zusammengesetzteren Vorstellungen k\u00f6nnen wir u. a. Cattell\u2019s Versuchen dar\u00fcber entnehmen, wie viele Zahlen, Buchstaben oder Worte gleichzeitig, d. h. im Verlaufe von 0,01 Secunde, richtig aufgefasst werden k\u00f6nnen. Von den Versuchsresultaten heben wir hervor, dass hei weitem mehl- Buchstaben gleichzeitig aufgefasst wurden, wenn sie Worte bildeten, als sonst, bei weitem mehr Worte, wenn sie S\u00e4tze bildeten, als wenn sie dies nicht thaten1). Einen \u00e4hnlichen Versuch hat Hugo M\u00fcnsterberg \u00fcber Auffassung von Worten angestellt, wo falsche Lesungen dadurch mit Willen hervorgerufen wurden, dass man unmittelbar vor der Gesichtseinwirkung dem Beobachter ein Wort zurief, welches falsche Associationen hervorrufen konnte: das Wort \u00bbVerzweiflung\u00ab rief so die Lesung \u00bbTrost\u00ab statt \u00bbTriest\u00ab hervor u. s. w. Hervorgehoben muss au\u00dferdem werden, dass der Beobachter gleichwohl in vielen F\u00e4llen alle Buchstaben ganz deutlich gesehen zu haben glaubte, w\u00e4hrend er sich in anderen bewusst war, einen gro\u00dfen Theil des \u00bbgelesenen\u00ab Wortes gerathen zu haben2). Auch Berger\u2019s Versuche \u00fcber die Schnelligkeit, mit welcher Sch\u00fcler auf verschiedenen Entwicklungsstufen Latein und Deutsch lasen, k\u00f6nnen wir hier nennen; es sind dabei besonders die falschen Lesungen,\n1)\tAVundt\u2019s \u00bbPhil. Stud.\u00ab Ill, S. 121\u2014127.\n2)\t\u00bbBeitr\u00e4ge zur experimentellen Psychologie\u00ab, Heft 4 (Preiburg 1892), S. 19\u201423.\nWundt, Philos. Studien. XV\n3","page":33},{"file":"p0034.txt","language":"de","ocr_de":"34\nEjnar Buch.\ndie Interesse f\u00fcr uns haben, indem es sich zeigte, dass die j\u00fcngsten Sch\u00fcler wesentlich Buchstaben verwechselten, die \u00e4lteren Worte und die \u00e4ltesten Satzformen1). Endlich k\u00f6nnen wir ebenso auf F. O. C. Hansen\u2019s und Alfred Lehmann\u2019s Versuche \u00fcber die falsche Lesung von Zahlen in ihrer fr\u00fcher genannten Untersuchung \u00fcber unwillk\u00fcrliches Fl\u00fcstern2) hinweisen.\nEs kann in allen diesen F\u00e4llen kaum ein Zweifel dar\u00fcber bestehen, dass das Gesichtsbild, welches durch den Sinneseindruck allein hervorgebracht wird, sehr unvollst\u00e4ndig ist. Dagegen kann die folgende seelische Th\u00e4tigkeit auf mehrere Weisen vor sich gehend gedacht werden: entweder kann das unvollst\u00e4ndige Gesichtsbild sofort durch Gesichtsassociationen ausgef\u00fcllt werden und das so gebildete vollst\u00e4ndige Gesichtsbild danach, ebenfalls durch Association, das Wort oder die Benennung hervorrufen, welche die Auffassung des Beobachters von dem Gesehenen ausdr\u00fcckt; oder auch kann das unvollst\u00e4ndige Gesichtshild unmittelbar die Benennung hervorrufen und diese wiederum die ausf\u00fcllenden Gesichtsassociationen; oder endlich kann das unvollst\u00e4ndige Gesichtshild unmittelbar die Benennung hervorrufen und der Vorgang damit vorbei sein. Was von diesen drei Dingen geschieht, ist nat\u00fcrlich nicht gut zu wissen; doch zeigt M\u00fcnsterberg\u2019s Versuch, dass die Ausf\u00fcllung nach der Auffassung kommen und dann wahrscheinlich auch ganz aushleiben kann. Im \u00fcbrigen aber ist es wohl das Wahrscheinlichste, dass wir gew\u00f6hnlich eine Mischung der drei Th\u00e4tigkeitsformen haben. Indess hat diese Frage hier keine besondere Bedeutung f\u00fcr uns, da wir in allen F\u00e4llen finden, dass die Auffassung selbst dadurch zu Stande kommt, dass das Gesichtshild auf dem Wege der Association das Wort oder die Benennung hervorruft, welche es charakterisirt oder \u00bbbestimmt\u00ab. Wir haben also in den letzten wie in den vorhergehenden Beispielen eine Auffassung durch Associationen.\nWir haben demnach gesehen, wie eine Auffassung mit H\u00fclfe hervorgerufener Associationen zu Stande kommen kann. Auf eine weitergehende Untersuchung dieser Form der Auffassung wollen wir\n1)\tWundt\u2019s \u00bbPhil. Stud.\u00ab V, S. 170\u2014178.\n2)\tAn ders. Stelle XI, S. 488 ff.","page":34},{"file":"p0035.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die \u00bbVerschmelzung\u00ab von Empfindungen, besonders bei Klangeindr\u00fccken. 35\nuns nicht einlassen ; jedoch sind es ein paar Punkte, die wir in aller K\u00fcrze besprechen m\u00fcssen.\nDer eine ist die Sonderung zwischen der Auffassung der Vorstellung und der Auffassung des Reizes, auf deren Bedeutung wir schon fr\u00fcher aufmerksam gemacht haben. In dieser Hinsicht k\u00f6nnen wir zuerst bemerken, dass die Auffassung, mit der wir es in den letzt vorhergehenden Beispielen zu thun hatten, in Wirklichkeit eine Auffassung des Reizes und nicht eigentlich der Vorstellung ist. Wenn z. B. M\u00fcnsterberg\u2019s Versuchspersonen oft erkl\u00e4ren, dass ihre Lesung zum Theile ein Rathen gewesen sei, so liegt darin, dass sie nicht so sehr daran gedacht haben, ihr Gesichtsbild so genau wie m\u00f6glich zu charakterisiren, als gerade daran, es zu deuten. Und dass diese F\u00e4lle nicht Ausnahmen gewesen sind, k\u00f6nnen wir schon aus dem ganzen Charakter der Versuche schlie\u00dfen, indem die gestellte Aufgabe ja gerade war, die erschienenen Gesichtseindr\u00fccke zu deuten, und nicht, sie sich so scharf und klar wie m\u00f6glich einzupr\u00e4gen.\nDarin, dass die Auffassungsth\u00e4tigkeit in eine Auffassung des Reizes ausm\u00fcndet, ist nun nichts Besonderes f\u00fcr die betrachteten Beispiele enthalten; das that sie auch in unserem Beispiele f\u00fcr die Auffassung durch Vergleichungen, und es ist dies \u00fcberhaupt als Regel die nat\u00fcrlichste Weise ihres Abschlusses, da uns eben an der Deutung der Vorstellungen am meisten liegt. Es ist auch keinerlei Nothwendigkeit vorhanden, dass die Auffassung durch Associationen eine Auffassung des Reizes ist. Wenn so in Dr. Lehmann\u2019s Versuchen \u00fcber Geruchsempfindungen der Geruch des K\u00fcmmel\u00f6ls als an Branntwein erinnernd bezeichnet wird, der des Zimmt\u00f6ls als an Reisbrei, so ist hiermit gerade nur eine Charakteristik der Vorstellungen gegeben. Gleichwohl besteht oder, richtiger, kann in diesem Punkte ein Unterschied zwischen der Auffassung durch Vergleichungen und der Auffassung durch Associationen zu Tage treten. Bei der ersten geht n\u00e4mlich die Auffassung der Vorstellung immer bis zu einem gewissen Grade der Auffassung des Reizes voraus, indem die Deutung ja auf den Resultaten beruht, zu denen die Vergleichungen f\u00fchren. Bei der Auffassung durch Associationen aber kann die Deutung, der Gedanke an den Reiz, welcher die Vorstellung hervorgerufen hat, die erste Association sein, die sich meldet, sodass sich die Auffassung des Reizes also unmittelbar an den Eindruck selbst kn\u00fcpft und die\n3*","page":35},{"file":"p0036.txt","language":"de","ocr_de":"36\nEjnar Buch.\nVorstellung im Grunde erst mit H\u00fclfe der Deutung charakterisirt wird. Dass sich die Verh\u00e4ltnisse in den verschiedenen Versuchen mit der Lesung von Zahlen und Buchstaben und Worten eben so stellen, ist leicht zu sehen.\nDer andere Punkt, den wir betrachten wollten, ist die Frage, welche Sicherheit wir f\u00fcr die Richtigkeit einer Auffassung haben, wenn sie durch Associationen allein zu Stande kommt. Hierauf kann man nur antworten: wir haben die Sicherheit und keine andere Sicherheit als die, welche uns die Associationsgesetze geben. Von diesen wollen wir uns hier, begn\u00fcgen das Ber\u00fchrungsgesetz zu betrachten, theils weil die anderen uns kaum in wesentlichem Grade zu neuen Resultaten f\u00fchren w\u00fcrden, theils unleugbar auch weil wir dieses als das einzige eigentliche Associationsgesetz ansehen.\nDas Ber\u00fchrungsgesetz kann so ausgedr\u00fcckt werden: Vorstellungen associiren sich, wenn sie fr\u00fcher gleichzeitig oder unmittelbar nach einander im Bewusstsein vorhanden gewesen sindJ). Wir wollen jedoch mit K\u00fclpe eine andere Formulirung vorziehen: \u00bbEmpfindungen, die einmal im Bewusstsein zusammen waren, begr\u00fcnden eine Tendenz zur Reproduction in dem Sinne, dass, wenn die eine von ihnen wieder erregt wird, auch eine der anderen \u00e4hnliche zu entstehen pflegt\u00ab1 2); ja, es w\u00fcrde vielleicht sogar am richtigsten sein, hier die Worte \u00bbdie eine von ihnen\u00ab durch \u00bbeine der einen von ihnen \u00e4hnliche\u00ab zu ersetzen und das Wort \u00bbwieder\u00ab zu streichen.\nNach diesem Associationsgesetze verkn\u00fcpfte Vorstellungen scheinen nun nur in einer ganz zuf\u00e4lligen Verbindung mit einander zu stehen; und es k\u00f6nnte so aussehen, als ob nur geringe oder keine Sicherheit f\u00fcr die Richtigkeit einer Auffassung vorhanden w\u00e4re, die allein auf solche Associationen gegr\u00fcndet ist. Indess ist das Ver-h\u00e4ltniss durchaus nicht so schlimm. Denn allerdings k\u00f6nnen sich Vorstellungen associiren, wenn sie ein einzelnes Mal zuf\u00e4llig zusammen im Bewusstsein auftreten; aber eine festere Verbindung wird als Regel erst gekn\u00fcpft, wenn sich dieses gemeinsame Auftreten mehr oder minder h\u00e4ufig wiederholt. Und dies wird offenbar besonders\n1)\tK. Kromann: \u00bbKortfattet T\u00e6nke- og Sj\u00e6lel\u00e6re\u00ab. Kopenhagen 1887, 2te Ausg., S. 143.\n2)\t\u00bbGrundriss der Psychologie\u00ab, S. 202. Yergl. S. 193f.","page":36},{"file":"p0037.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die \u00bbVerschmelzung\u00ab von Empfindungen, besonders bei Klangeindrucken. 37\nder Fall sein mit Vorstellungen, die wirklich etwas mit einander zu thun haben. Au\u00dferdem werden auch andere seelische Factoren die Bildung solcher \u00bbnat\u00fcrlichen\u00ab Verbindungen in wesentlichem Grade beg\u00fcnstigen und bef\u00f6rdern auf Grund ihrer entscheidenden Bedeutung f\u00fcr das gesammte Wohl und Wehe des Individuums.\nUeberhaupt m\u00fcssen wir deshalb sagen, dass ganz im allgemeinen die gr\u00f6\u00dfte Wahrscheinlichkeit vorhanden ist, dass eine Auffassung allein durch Associationen richtig ist oder doch einigerma\u00dfen richtig. Aber eine Sicherheit daf\u00fcr haben wir in jedem einzelnen Fa Ile nicht da die Association ganz zuf\u00e4llig sein kann.\nWenn wir so zu dem Resultate gekommen sind, dass das Associationsgesetz weit entfernt ist, uns volle Sicherheit f\u00fcr die Richtigkeit einer Auffassung durch Associationen zu geben, so m\u00fcssen wir doch bemerken, dass die Zuf\u00e4lligkeit bei solchen Auffassungen in Wirklichkeit nicht so gro\u00df ist, wie man hiernach erwarten k\u00f6nnte, weil die vergleichende Th\u00e4tigkeit des Bewusstseins niemals ganz au\u00dfer Kraft tritt. So hat man z. B. meist ein mehr oder minder bestimmtes oder bewusstes Wissen von gewissen Grenzen, innerhalb welcher die Auffassung in dem gegebenen Falle enthalten sein muss. Und dieses Wissen wird ganz unwillk\u00fcrlich theils Einfluss auf die Art der auftauchenden Associationen selbst haben, theils bewirken, dass nicht jede zuf\u00e4llige Association als gute Waare als Auffassung angenommen wird. Wenn so der Beobachter bei den Cat teil\u2019sehen Versuchen \u00fcber Auffassung von Gesichtsbildem von vornherein wei\u00df, dass ihm bei jedem Versuche nur Worte oder Reihen von Buchstaben gezeigt werden, so tritt dabei unwillk\u00fcrhch eine Begrenzung und Aussonderung der auftauchenden Associationen ein, die seine Auffassung des Gesehenen bestimmen. Und ganz \u00e4hnlichen Verh\u00e4ltnissen begegnet man ja wieder und wieder im t\u00e4glichen Leben.\nWir haben also im Vorhergehenden zwei Formen der Auffassung gefunden: auf Grund von Vergleichungen und durch Associationen. Indess haben wir schon darauf aufmerksam gemacht, dass Auffassung durch Associationen kaum jemals ganz ohne vergleichende Th\u00e4tigkeit vorkommt. Umgekehrt werden die Associationen bei der Auffassung durch Vergleichung schwerlich ganz ausbleiben, wenn nicht gerade eine Vergleichung zwischen zwei gegebenen Sinneseindr\u00fccken vorliegt. In Wirklichkeit wird die Auffassung darum in den meisten F\u00e4llen","page":37},{"file":"p0038.txt","language":"de","ocr_de":"38\tEjnar Buch.\nin h\u00f6herem oder geringerem Grade eine Mischung der beiden dargelegten Formen sein.\nEs bleibt nun nur noch \u00fcbrig, das Verhalten der Aufmerksamkeit bei der Auffassung zu betrachten. Und hier sehen wir denn sofort, dass es einen recht wesentlichen Unterschied ausmachen muss, ob wir es mit der Auffassung der Vorstellung oder mit der Auffassung des Reizes zu thun haben. Im ersteren Falle ist das Interesse an die Vorstellung gebunden, es sind die Eigenth\u00fcmlichkeiten der Vorstellung, ihr Verh\u00e4ltniss zu anderen Vorstellungen u. s. w., was man gern so deutlich und genau wie m\u00f6glich bestimmen will. Aber in diesem Falle ist es nothwendig, dass die Vorstellung selbst klar und scharf hervortritt und so festgehalten wird, eben so wie alle st\u00f6renden Einfl\u00fcsse femgehalten werden m\u00fcssen \u2014 jedoch so, dass nat\u00fcrlich die Vorstellungen, welche Bedeutung f\u00fcr die Auffassung haben, auch Gelegenheit erhalten, hervorzutreten. Oder mit anderen Worten: es wird volle und energische Aufmerksamkeit gefordert. Dass dies nothwendig ist, wenn die Auffassung durch Vergleichungen zu Stande kommt, bedarf keines n\u00e4heren Beweises. Aber auch wenn die Auffassung vornehmlich durch Associationen geschieht, ist die Aufmerksamkeit n\u00f6thig. Denn je fl\u00fcchtiger die Vorstellung ist, desto mehr wird der Zufall bestimmen, welche Associationen gerade auftauchen; und man ist vielleicht hinterher ganz au\u00dfer Stande, ein Urtheil dar\u00fcber zu f\u00e4llen, wie weit die Auffassung, die man sich so gebildet hat, der Vorstellung entspricht. Wird dagegen die Vorstellung festgehalten und erh\u00e4lt Gelegenheit, sich dem Bewusstsein recht einzupr\u00e4gen, so werden alle Associationen, die sich \u00fcberhaupt an sie kn\u00fcpfen m\u00f6gen, sich hervorarbeiten und eine Pr\u00fcfung und Sch\u00e4tzung derselben unter best\u00e4ndigem Zusammenhalten mit der Vorstellung stattfinden k\u00f6nnen, wodurch man doch einige Sicherheit f\u00fcr die Richtigkeit und Genauigkeit der Auffassung erreichen wird. Die fr\u00fcher erw\u00e4hnten Versuche von Stumpf und Alfr. Lehmann \u00fcber einfache Wiedererkennungen werden als St\u00fctze f\u00fcr das dienen k\u00f6nnen, was wir hier angef\u00fchrt haben1).\nWesentlich anders gestalten sich die Verh\u00e4ltnisse, wenn wir es mit der Auffassung des Reizes zu thun haben. Wie schon aus\n1) Siehe besonders Wundt\u2019s \u00bbPhil. Stud.\u00ab VII, S. 192.","page":38},{"file":"p0039.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die \u00bbVerschmelzung\u00ab von Empfindungen, besonders bei Klangeindr\u00fccken. 39\ndem Vorhergehenden hervorgehen wird, besteht diese Auffassung in einem Schl\u00fcsse von der gegebenen Vorstellung auf die \u00e4u\u00dferen Bedingungen, welche diese Vorstellung hervorgerufen haben, und geht also darauf aus, die Natur dieser Bedingungen, den Zusammenhang, in welchem sie Vorkommen, u. s. w. zu bestimmen. Der Schwerpunkt des Interesses liegt darum hier nicht in der Vorstellung seihst, sondern in der Erkenntniss der \u00e4u\u00dferen Wirklichkeit, f\u00fcr welche die Vorstellung Ausgangspunkt ist. Folglich wird sich auch die Aufmerksamkeit nicht besonders der Vorstellung zuwenden, ausgenommen soweit die Deutung dies nothwendig macht. Die Frage wird also sein, oh dies der Fall ist. Wir d\u00fcrfen uns indess nicht auf eine vollkommnere Beantwortung dieser Frage einlassen, da uns dies zu tief in das gesammte gro\u00dfe Erkenntnissprohlem hineinf\u00fchren w\u00fcrde, und werden uns deshalb damit begn\u00fcgen, auf ein paar Thatsachen aufmerksam zu machen. So sehen wir oft, dass die Deutung einer Vorstellung nur in einer einfachen Associationsth\u00e4tigkeit besteht, vielleicht mit einem geringen Zusatze einer halb unbewussten Vergleichung zwischen auftauchenden Associationen und nachfolgenden Eindr\u00fccken; und diese Associationsth\u00e4tigkeit kann so gut einge\u00fcbt sein, dass sich die Auffassung des Reizes augenblicklich mit der Vorstellung meldet, fast ohne dass diese eine Aufmerksamkeit verlangt hat; Beispiele hierf\u00fcr haben wir in all\u2019 den fr\u00fcher genannten Versuchen mit der Lesung von Zahlen, Buchstaben u. s. w., und im \u00fcbrigen in den mannigfaltigen augenblicklichen Wiedererkennungen des t\u00e4glichen Lebens auf Grund fl\u00fcchtiger Eindr\u00fccke von Form, Farbe, Geruch, Geschmack u. s. w. In anderen F\u00e4llen, die sich jedoch nicht scharf von den vorhergehenden unterscheiden, wird die Erkenntniss, die wir durch die Deutung einer Vorstellung anstreben, eben so gut dadurch erreicht, dass man andere Vorstellungen zu H\u00fclfe nimmt, wie dadurch, dass man sich eine deutliche und klare Auffassung der vorliegenden bildet. Soll ich z. B. den einen oder anderen Stoff \u00bbbestimmen\u00ab, so stehe ich mich oft besser, wenn ich sowohl sein Aussehen wie seinen Geschmack, seinen Geruch und vielleicht noch mehr Eigenschaften untersuche, seihst wenn dies recht fl\u00fcchtig geschieht, als wenn ich mir nur die Vorstellung einpr\u00e4ge, die eine einzelne dieser Eigenschaften hervorruft, und diese so vollkommen wie m\u00f6glich aufzufassen suche.","page":39},{"file":"p0040.txt","language":"de","ocr_de":"40\nEjnar Buch.\nDiese Andeutungen m\u00fcssen gen\u00fcgen, zu zeigen, dass die Auffassung des Reizes keineswegs immer eine deutliche und genaue Auffassung der Vorstellung verlangt. Aber daraus folgt dann, dass die Aufmerksamkeit, welche man der Vorstellung schenkt, wenn es der Reiz ist, den es aufzufassen gilt, nicht besonders gro\u00df zu sein braucht und namentlich auf einen sehr kurzen Augenblick beschr\u00e4nkt werden kann.\nUnsere Betrachtung der Auffassung hat uns also in den Hauptz\u00fcgen zu folgenden Resultaten gef\u00fchrt: zuerst einer Sonderung zwischen der Auffassung der Vorstellung und der Auffassung des Reizes. Eine Vorstellung auffassen hei\u00dft, ihr Verh\u00e4ltnis zu fr\u00fcher gekannten Vorstellungen bestimmen, sie mit H\u00fclfe dieser charakteri-siren; und die Auffassung kann zu Stande kommen durch Vergleichungen oder durch Associationen, meist jedoch durch eine Verbindung dieser beiden Th\u00e4tigkeiten; doch ist zu bemerken, dass eigentlich nur Vergleichungen Sicherheit f\u00fcr die Richtigkeit und Genauigkeit der Auffassung gew\u00e4hren. Einen Reiz auffassen hei\u00dft, von der Vorstellung auf die \u00e4u\u00dferen Bedingungen schlie\u00dfen, welche sie hervorgerufen haben, und das Verh\u00e4ltnis dieser zu der \u00fcbrigen \u00e4u\u00dferen Wirklichkeit bestimmen; auf eine n\u00e4here Untersuchung dieser Auffassung haben wir uns indess nicht eingelassen. Was endlich das Verh\u00e4ltnis der Aufmerksamkeit bei der Auffassung anlangt, so ist hervorzuheben, dass hei der Vorstellungsauffassung das Interesse an oberster Stelle mit der Vorstellung und ihren Eigenth\u00fcmlichkeiten verkn\u00fcpft ist, weshalb die Aufmerksamkeit auch von der Vorstellung selbst stark in Beschlag genommen wird. Bei der Auffassung der Reize liegt das Interesse dagegen in der Wirklichkeitserkenntnis, zu welcher die Deutung der Vorstellung beitragen soll; hier wird darum die Vorstellung nicht mehr Aufmerksamkeit verlangen, als gerade zu ihrer Deutung nothwendig ist, \u2014 und das, zeigt sich, ist oft recht wenig.\nSchlie\u00dflich m\u00fcssen wir bemerken, dass man eine Vorstellung oft auf gefasst nennt, wenn sie nur so klar und deutlich vor dem Bewusstsein steht, dass man sie leichtlich beschreiben und charakteri-siren k\u00f6nnte, selbst wenn dieser ganze Theil der Auffassungsth\u00e4tig-keit nur so weit in Gang gekommen ist, wie das Festhalten der Vorstellung von Seiten der Aufmerksamkeit dies unumg\u00e4nglich mit","page":40},{"file":"p0041.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die \u00bbVerschmelzung\u00ab von Empfindungen, besonders bei Klangeindriicken. 41\nsich f\u00fchrt. Man verlangt, mit anderen Worten, keine so vollst\u00e4ndige Durchf\u00fchrung der \u00bbBestimmung\u00ab der Vorstellung, wie wir es hier gethan haben. \u2014 Man sieht nun leicht, dass es, so lange das Ver-h\u00e4ltniss der Aufmerksamkeit hei der Auffassung uns in oberster Reihe interessirt, keinen Unterschied macht, ob wir die Charakteri-sirung der Vorstellung etwas mehr oder weniger durchgef\u00fchrt verlangen; und da die vollst\u00e4ndig durchgef\u00fchrte Auffassung nat\u00fcrlich eine Ausnahme und es deshalb praktischer ist, das Wort in seiner weiteren und loseren Bedeutung zu nehmen, so haben wir dies auch hier im Folgenden gethan, wenn nicht der Zusammenhang das Gegen-theil zeigt.\nd. Die Analyse.\nWir haben fr\u00fcher (S. 12) gesehen, dass wir von Verschmelzung sprechen, wenn mehrere Reize nicht eine Mehrheit von Vorstellungen ergeben, die jede f\u00fcr sich klar und deutlich aufgefasst werden, w\u00e4hrend jedoch der Ausfall eines einzelnen dieser Reize sofort eine Aenderung in der Vorstellung herbeif\u00fchrt. Sp\u00e4ter haben wir dann gefunden, dass es eine Bedingung f\u00fcr eine klare und deutliche Auffassung einer Vorstellung ist, dass die Aufmerksamkeit auf sie gerichtet wird. Wenn nun hierzu kommt, dass die Reize so zu sagen niemals einzeln, sondern im Gegentheile gern in gr\u00f6\u00dferer Menge auf einmal auftreten, sowohl ungleichartige wie gleichartige, so kann kein Zweifel dar\u00fcber herrschen, dass in Wirklichkeit die Verschmelzung die urspr\u00fcngliche Erscheinung ist, w\u00e4hrend die Aufl\u00f6sung der Vorstellung in ihre einzelnen Theile, d. h. die Vorstellungs-Analyse, erst nach und nach gelernt werden muss. Denn nur ein stark entwickeltes Aufmerksamkeitsverm\u00f6gen erm\u00f6glicht eine Analyse der Vorstellungsmasse, welche die vielen gleichzeitigen Reize hervorrufen; die Aufmerksamkeit aber ist eine sehr zusammengesetzte Th\u00e4tigkeit, die eine Mannigfaltigkeit von Erfahrungen und best\u00e4ndige Ein\u00fcbung erfordert, um geschickt zu werden, die Aufgaben zu l\u00f6sen, die ihr gestellt werden.\nEigentlich ist es also gar nicht die Verschmelzung, die eine Erkl\u00e4rung fordert, sondern die Analyse der zusammengesetzten Vorstellungen. Wenn man gleichwohl, wie wir gesehen haben, die Aufgabe gew\u00f6hnlich umgekehrt stellt und nur gewisse bestimmte Gruppen","page":41},{"file":"p0042.txt","language":"de","ocr_de":"42\nEjnar Buch.\nvon Vorstellungen als Verschmelzungen hervorhebt, so ist der Grund nat\u00fcrlich der, dass das Verm\u00f6gen, Vorstellungen zu analysiren, im allgemeinen so weit entwickelt ist, dass man die Analyse als eine selbstverst\u00e4ndliche Sache betrachtet, die keiner Erkl\u00e4rung bedarf. Bei den Vorstellungen, die besonders als Verschmelzungen hervorgehoben werden, muss die Analyse dann entweder besondere Schwierigkeiten bieten oder auch aus anderen Gr\u00fcnden ordnungsgem\u00e4\u00df nicht zur Ausf\u00fchrung kommen.\nAuch f\u00fcr uns hier sind es nat\u00fcrlich besonders die festeren Verschmelzungen, welche Interesse haben. Es sind, mit anderen Worten, die Grenzen f\u00fcr die Vorstellungsanalyse, die wir zu bestimmen suchen m\u00fcssen. Zuerst aber wirft sich doch die Frage auf: wie geht eine Analyse \u00fcberhaupt vor sich, welche Bedingungen sind n\u00f6thig, dass sie stattfinden kann?\nDiese Frage haben wir nun bereits zu einem wesentlichen Theile bei unserer Untersuchung der Aufmerksamkeit beantwortet; denn eine Vorstellung analysiren hei\u00dft ja, ihre einzelnen Glieder jedes f\u00fcr sich klar und deutlich auffassen, oder, als erste Bedingung hierf\u00fcr, seine Aufmerksamkeit auf jedes einzelne Glied f\u00fcr sich richten; die Analyse wird darum nur eine der Leistungen der Aufmerksamkeit sein, und alles, was von der Aufmerksamkeit ganz' im allgemeinen gesagt worden ist, kann auch von der analysirenden Aufmerksamkeit, von der Analyse, gesagt werden. Es ist indessen Ein Punkt, dem wir noch keine Beachtung geschenkt haben, der aber gerade aus 'R\u00fccksicht auf die Analyse besondere Bedeutung f\u00fcr uns hat: wir haben n\u00e4mlich gesehen, dass es auf jeden Fall bei der unwillk\u00fcrlichen Aufmerksamkeit der Eindruck seihst ist, welcher die Aufmerksamkeit in Gang setzt, dass sich also der Eindruck und damit das Interesse, welches die Aufmerksamkeit bedingt, bis zu einem gewissen Grade im Bewusstsein geltend machen muss, ehe die Aufmerksamkeit eingreift. Die Frage ist darum: welches ist die Bedingung daf\u00fcr, dass ein Eindruck so weit im Bewusstsein vorschreiten kann, dass er die Aufmerksamkeit zu fesseln vermag, wenn er sonst \u2014 durch das Interesse, welches sich an ihn kn\u00fcpft, oder \u00e4hnlich \u2014 dazu im Stande ist? Aber man k\u00f6nnte die Frage allgemeiner so stellen: welches ist die Bedingung daf\u00fcr, dass sich ein Eindruck ohne H\u00fclfe der Aufmerksamkeit geltend machen kann?","page":42},{"file":"p0043.txt","language":"de","ocr_de":"Deber die \u00bbVerschmelzung\u00ab von Empfindungen, besonders bei Klangeindr\u00fccken. 43\nEs sind zwei Hauptfactoren, mit denen wir hier offenbar rechnen m\u00fcssen : der Reiz und die 'subjective Empf\u00e4nglichkeit. Bei dem Reize kann nichts anderes in Betracht zu ziehen sein als ihre St\u00e4rke, indem nat\u00fcrlich der st\u00e4rkere Reiz gr\u00f6\u00dfere Aussicht hat, sich geltend zu machen, als der schw\u00e4chere. Die subjective Empf\u00e4nglichkeit kann wiederum theils auf der Empf\u00e4nglichkeit der Sinneswerkzeuge, theils auf dem beruhen, was wir die psychische Empf\u00e4nglichkeit nennen k\u00f6nnen. Auch \u00fcber die erste von diesen k\u00f6nnen wir leicht hinweggehen, indem wir nur zu bemerken brauchen, dass es, was sie anlangt, nicht nur auf die Empfindlichkeit der Sinneswerkzeuge gegen\u00fcber Unterschieden in der Art und St\u00e4rke der Reize und ihr Verm\u00f6gen, ganz schwache Reize aufzunehmen und zwischen ihnen zu unterscheiden, ankommt, sondern auch auf die Feinheit und Genauigkeit, mit welcher sie je nach der Anforderung jedes einzelnen Reizes angepasst und eingestellt werden k\u00f6nnen: das Auge, dessen Accom-modationsmuskeln noch nicht einge\u00fcbt sind, kann nicht dazu gebraucht werden, die Einzelheiten in den betrachteten Gegenst\u00e4nden wahrzunehmen; das Ohr, dessen Grundmembran und Oortischen Organe nicht zu voller Entwickelung gelangt sind, kann es wahrscheinlich schwerlich erlernen, die T\u00f6ne in einem Mehrklange von einander zu unterscheiden. Dass die Entwickelung der Sinneswerkzeuge in allen Hinsichten wesentlich von Gebrauch und Uehung ahh\u00e4ngt, ist selbstredend.\nEtwas n\u00e4her m\u00fcssen wir dagegen bei der psychischen Empf\u00e4nglichkeit verweilen. Dass wirklich Grund vorhanden ist, diese mit in Betracht zu ziehen, ja sogar in besonderem Grade, das k\u00f6nnen wir schon aus der auffallenden Unempf\u00e4nglichkeit f\u00fcr \u00bbfremde\u00ab Einwirkungen ersehen, der wir unter dem Aufmerksamkeitszustande begegnen. Aber auch hiervon rein abgesehen, kann wohl Grund vorhanden sein, von einem Unterschiede in psychischer Empf\u00e4nglichkeit zu sprechen. Nicht ohne Interesse sind in dieser Hinsicht einige Versuche von M\u00fcnsterberg: er zeigte einem Beobachter eine ganze Reihe Bilder nach einander, rief ihm aber jedesmal, ehe er ein Bild vorzeigte, das eine oder andere Wort zu. Aus den Versuchen ergab sich dann, dass das zugerufene Wort in 617 F\u00e4llen von 2000 einen entschiedenen Einfluss darauf hatte, welchen Gegenstand auf dem Bilde der Beobachter zuerst deutlich sah, indem in diesen 617 F\u00e4llen","page":43},{"file":"p0044.txt","language":"de","ocr_de":"44\nEjnar Buch.\neine unverkennbare associative Verbindung zwischen dem betreffenden Gegenst\u00e4nde und dem zugerufenen Worte bestand1). Nat\u00fcrlich muss man nun mit Versuchsresultaten wie diesen, die sich so schwer con-troliren lassen, etwas vorsichtig sein. Aber unwahrscheinlich ist es ja durchaus nicht, dass die Empf\u00e4nglichkeit f\u00fcr einen Eindruck erh\u00f6ht wird, wenn derselbe in Verbindung mit Vorstellungen steht, die das Bewusstsein besch\u00e4ftigen oder eben besch\u00e4ftigt haben.\nK\u00f6nnen aber Vorstellungen, die in Verbindung mit dem Eindr\u00fccke stehen, dazu beitragen, diesen zu f\u00f6rdern, so muss man noch eher eine Erh\u00f6hung der Empf\u00e4nglichkeit erwarten, wenn der Eindruck selbst k\u00fcrzlich im Bewusstsein vorhanden gewesen ist. Ueberhaupt kann es kaum ganz gleichg\u00fcltig sein, ob sich ein Eindruck vorher geltend gemacht hat oder nicht; und es w\u00fcrde wohl nicht ganz unwahrscheinlich sein, dass sich das bekannte Gesetz f\u00fcr die Hervor-rufung von Associationen auch auf die Eindr\u00fccke \u00fcberf\u00fchren he\u00df, so dass also die Empf\u00e4nglichkeit f\u00fcr einen Sinneseindruck um so gr\u00f6\u00dfer w\u00e4re, je h\u00e4ufiger derselbe vorher im Bewusstsein aufgetreten ist. Ja, man k\u00f6nnte vielleicht sogar einen Schritt weiter gehen und behaupten, dass ein Eindruck, der sofort zahlreiche Associationen hervorruft und im Ganzen in vielen Hinsichten Ankn\u00fcpfung an das \u00fcbrige Bewusstseinsleben findet und dieses in lebhafte Bewegung setzt, gr\u00f6\u00dfere Aussicht haben wird, sich geltend zu machen, als der, welcher so zu sagen fremd im Bewusstsein dasteht, ohne Associationen, ohne Ankn\u00fcpfung an den Bewusstseinsinhalt sonst. In dieser Hinsicht kann namentlich daran erinnert werden, wie au\u00dferordentlich verschieden der kundige und der unkundige Beobachter auf ein und dasselbe Ding sieht : eine Blume, ein Kunstwerk u. s. w. ; der kundige bemerkt sofort eine Menge Einzelheiten, die der unkundige vielleicht erst entdeckt, wenn er darauf aufmerksam gemacht wird u. s. w., u. s. w. Allerdings k\u00f6nnte man gegen diese Behauptung: dass die Empf\u00e4nglichkeit f\u00fcr einen Eindruck von den Verbindungen abb\u00e4ngen kann, welche derselbe mit dem \u00fcbrigen Bewusstseinsleben hat, den Einwand erheben, dass die Associationen u. a. unm\u00f6glich als St\u00fctze f\u00fcr den Eindruck dienen k\u00f6nnen, welcher sie hervorruft, da sie ja selbst doch erst hervorgerufen werden k\u00f6nnen, wenn der Eindruck sich einen Weg\n1) \u00bbBeitr\u00e4ge zur experimentellen Psychologie\u00ab. Heft 4, 1892, S. 13\u201417.","page":44},{"file":"p0045.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die \u00bbVerschmelzung\u00ab von Empfindungen, besonders bei Klangeindr\u00fccken. 45\ngebahnt hat. Aber es ist eine Frage, ob dieser Einwand die Verbindung zwischen einem Sinnesbilde und seinen Associationen nicht etwas gar \u00e4u\u00dferlich auffasst: als ob sie eine Reihe lose zusammenh\u00e4ngender Glieder w\u00e4ren, wo das eine in vollem Lichte stehen muss, ehe das andere beginnen kann, sich sehen zu lassen. W\u00fcrde es nicht nat\u00fcrlicher sein, davon auszugehen, dass mit dem Eindr\u00fccke selbst schon die ganze associative Wirksamkeit in Gang gesetzt ist, selbst wenn der Eindruck auch nur erst in seinem allerersten Anf\u00e4nge steht? In diesem Palle w\u00fcrde man sich leicht die M\u00f6glichkeit denken k\u00f6nnen dass der Eindruck in seinen Associationen u. a. eine wichtige St\u00fctze im \u00bbKampfe urn\u2019s Dasein\u00ab \u2014 oder vielleicht eher \u00bbum die Entstehung\u00ab \u2014 erhalten kann.\nWas bisher von der psychischen Empf\u00e4nglichkeit gesagt worden ist, hat nun in oberster Reihe die Absicht, theils zu betonen, dass sich die seelischen Bedingungen, auch von der Aufmerksamkeit abgesehen, den verschiedenen Eindr\u00fccken gegen\u00fcber sehr verschieden stellen k\u00f6nnen, indem einige weit mehr als andere beg\u00fcnstigt werden, theils darauf hinzuweisen, in welchen Punkten man am ehesten erwarten muss, diese Verschiedenheiten zu finden. Im \u00fcbrigen aber tritt dies ja wesentlich als blo\u00dfe Vermuthung und Andeutung hervor, deren n\u00e4here experimentelle Pr\u00fcfung oder Begr\u00fcndung der Zukunft Vorbehalten bleiben muss.\nDagegen gibt es einen anderen Punkt, \u00fcber den wir uns schon jetzt mit gro\u00dfer Bestimmtheit aussprechen k\u00f6nnen: die Empf\u00e4nglichkeit gegen\u00fcber Aenderungen in der Vorstellung oder eher in den Reizen. Dar\u00fcber kann n\u00e4mlich kein Zweifel bestehen, dass selbst eine sehr kleine Aenderung in einem sonst unver\u00e4nderten Reize oder einer Mehrheit von Reizen die Aufmerksamkeit sehr leicht fesselt; ein einzelner Reiz, der mit anderen zusammen auf tritt, wird denn auch verh\u00e4ltnissm\u00e4\u00dfig leicht die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, wenn er etwas sp\u00e4ter als diese kommt oder sich ein wenig \u00e4ndert, w\u00e4hrend sich die anderen unver\u00e4ndert halten, oder \u00e4hnlich. Auf eine n\u00e4here Betrachtung dieses Verh\u00e4ltnisses brauchen wir uns im \u00fcbrigen nicht einzulassen, da dasselbe so allgemein anerkannt ist.\nWenden wir uns darnach der willk\u00fcrlichen Aufmerksamkeit zu, so sehen wir leicht, dass dieselbe im Grunde \u00fcber gar kein neues Mittel f\u00fcr die Analyse verf\u00fcgt; sie muss sich darauf beschr\u00e4nken,","page":45},{"file":"p0046.txt","language":"de","ocr_de":"46\nEjnar Buch.\ndie Empf\u00e4nglichkeitsbedingungen, von denen wir bereits gesprochen haben, so g\u00fcnstig wie m\u00f6glich f\u00fcr die betreffenden Eindr\u00fccke zu gestalten: ihre Einwirkung dadurch verst\u00e4rken, dass sie alle fremden Einfl\u00fcsse hemmt; die Empf\u00e4nglichkeit der Sinneswerkzeuge erh\u00f6hen, indem sie dieselben genau nach dem Reize einstellt; und endlich auch die psychische Empf\u00e4nglichkeit vermehren, indem sie sich besonders im voraus ein Phantasiebild des Eindruckes bildet, der empfangen werden soll, und dadurch diesem den Weg bereitet.\nWir k\u00f6nnen nun zu unserer Frage zur\u00fcckkehren, wie eine Analyse vor sich gehe ; und um die Bedingungen f\u00fcr die Analyse so fest und regelm\u00e4\u00dfig wie m\u00f6glich zu erhalten, wollen wir die willk\u00fcrliche Analyse einer gegebenen Vorstellung betrachten. Nun ist es ja selbstverst\u00e4ndlich, dass, wenn wir von einer Analyse einer Vorstellung sollen sprechen k\u00f6nnen, die Reize unver\u00e4ndert erhalten werden m\u00fcssen, so lange die Analyse dauert. Denn die \u00bbAnalyse\u00ab auf die Weise vorzunehmen, dass die Reize nach und nach dahin gebracht werden, jeder f\u00fcr sich zu wirken, w\u00fcrde offenbar nur zul\u00e4ssig sein, wenn man sicher w\u00e4re, dass es keinen Unterschied f\u00fcr den gesammten Vorstellungsinhalt ausmache, ob die Reize gleichzeitig oder jeder f\u00fcr sich kommen; aber davon k\u00f6nnen wir hier doch unm\u00f6glich ausgehen, wo es gerade unsere Aufgabe ist, zu untersuchen, ob sich dieser Unterschied findet oder, richtiger gesagt, worin er besteht \u2014 denn dass er sich findet, dar\u00fcber kann ja in Wirklichkeit kein Zweifel herrschen. Streng genommen sollte freilich auch die Vorstellung selbst unter der Analyse unver\u00e4ndert gehalten werden ; denn im entgegengesetzten Falle wird ja die analysirte Vorstellung nicht mehr dieselbe sein wie diejenige, welche analysirt werden sollte. Indessen ist diese letzte Forderung unm\u00f6glich zu erf\u00fcllen. Denn die Aufmerksamkeit kann ordnungsgem\u00e4\u00df nur auf Eine Vorstellung auf einmal gerichtet werden \u2014 von den nicht ganz unzweifelhaften Ausnahmen k\u00f6nnen wir ruhig absehen \u2014 oder vielleicht eher: der Vorstellungsinhalt, auf den sich die Aufmerksamkeit im Augenblicke richtet, tritt als Eine Vorstellung auf, wird als Ganzheit aufgefasst, wird als Ganzheit mit anderen Vorstellungen verglichen, ist als Ganzheit Ausgangspunkt f\u00fcr Associationen u. s. w., w\u00e4hrend der \u00fcbrige Vorstellungsinhalt in demselben Augenblicke vollst\u00e4ndig im Bewusstsein zur\u00fccktritt. Die Folge davon aber ist, dass der gesammte Vorstellungsinhalt seinen Charakter \u00e4ndert,","page":46},{"file":"p0047.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die \u00bbVerschmelzung\u00ab von Empfindungen, besonders bei Klangeindr\u00fccken. 47\nso oft sich die Aufmerksamkeit von einem Punkte auf einen anderen richtet. Allerdings meint ja Stumpf, dass es nur die Auffassung der einzelnen Empfindungen sei, aus denen die Vorstellung zusammengesetzt ist, die sich hei der Aufmerksamkeit oder Analyse ver\u00e4ndere (s. S. 1); und vielleicht kann dies vertheidigt werden, wenn man unter Empfindung das versteht, was Stumpf darunter versteht (vergl. S- fl 12)- Hier k\u00f6nnen wir diesen Sprachgebrauch indessen gar nicht benutzen und m\u00fcssen behaupten, dass die Empfindung als Bewusstseinszustand keineswegs dieselbe ist, oh sie nun deutlich und klar im Lichte steht oder ein unbeachtetes Glied einer zusammengesetzten Vorstellung ausmacht. Viel eher k\u00f6nnen wir uns Cornelius\u2019 Betrachtung des Verh\u00e4ltnisses der zusammengesetzten Vorstellung unter der Analyse1) anschlie\u00dfen. Nur kommt es uns vor, als ob er zu stark die Unm\u00f6glichkeit, bei der Analyse die einzelnen Glieder der zusammengesetzten Vorstellung jedes f\u00fcr sich wahrzunehmen, betone, indem es nur die Vorstellung als Ganzheit sei, die hei dem Wandern der Aufmerksamkeit gr\u00f6\u00dfere Aehnlichkeit bald mit einem, bald mit einem anderen dieser einzelnen Glieder erlange. Uns scheint es eher, als ob der Theil der Vorstellung, auf den sich die Aufmerksamkeit richtet, auf eine gewisse Weise gleichsam von dem Uebrigen losgerissen werde, verglichen und gesch\u00e4tzt werden k\u00f6nne, ohne dass man einen Einfluss von dem von der Aufmerksamkeit gehemmten Theile der Vorstellung sp\u00fcrt. Ein Oherton in einem Klange wird z. B. hei der Analyse mit der Klangfarbe des einfachen Tones geh\u00f6rt u. s. w. Im \u00fcbrigen m\u00fcsste sich diese Frage auf experimentellem Wege n\u00e4her untersuchen lassen.\nEs ist also hervorzuheben, dass wir im Grunde nicht unbedingt mit Recht davon sprechen, eine Vorstellung zu analysiren, da sich dieselbe factisch unter der Analyse ver\u00e4ndert. Die Bedingung daf\u00fcr, dass wir uns gleichwohl gestatten k\u00f6nnen, diese Ausdrucksweise zu benutzen, ist, dass diese Ver\u00e4nderungen in der Vorstellung allein Aenderungen in der Aufmerksamkeit zuzuschreiben sind und nicht im mindesten einer Reizver\u00e4nderung. Aber, wie man sieht, geht die Analyse dann in Wirklichkeit darauf aus, ohne eine Aenderung in den Reizen jedem einzelnen derselben nach und nach dieselbe\n1) \u00bbVierteljahrsschrift f\u00fcr wissenschaftliche Philosophie \u00ab XVI, S. 425\u2014436.","page":47},{"file":"p0048.txt","language":"de","ocr_de":"48\nEjnar Buch.\npsychische Wirkung zu geben, die er erlangen w\u00fcrde, wenn er allein auftr\u00e4te. Dass wir \u00fcbrigens ein ganz feines Gef\u00fchl daf\u00fcr besitzen, ob eine Aenderung in einer Vorstellung subjectiven oder objectiven Ursachen zuzuschreiben sei, daf\u00fcr haben wir u. a. ein Beispiel in Eckener\u2019s fr\u00fcher erw\u00e4hnten Versuchen \u00fcber Schwankungen der Aufmerksamkeit1).\nNach diesen einleitenden Bemerkungen gehen wir nun zur Betrachtung der Frage \u00fcber, wie eine willk\u00fcrliche Analyse einer gegebenen Vorstellung vor sich gehe. Und hier begegnen wir denn sofort einer wichtigen Theorie, von deren Vork\u00e4mpfern wir besonders Will. James nennen k\u00f6nnen. Ganz kurz kann diese Theorie so ausgedr\u00fcckt werden: \u00bb--------the only things, which we com-\nmonly see are those which we preperceive\u00ab2). Im \u00fcbrigen aber stellt James sie am deutlichsten in folgendem Ausspruche dar: \u00bbAnalyse of a thing means separate attention to each of its parts. In Chapter XI we saw that one condition of attending to a thing was the formation from within of a separate image of that thing, which should, as it were, go out to meet the impression received. Attention being the condition of analysis, and separate imagination being the condition of attention, it follows also that separate imagination is the condition of analysis. Only such elements as we are acquainted with, and can imagine, separately, can he discriminated within a total s\u00e9nse-impression3).\u00ab Als Beispiel nennt James u. a. die Analyse eines zusammengesetzten Klanges:. \u00bbThe reader will remember how an overtone can only he attended to in the midst of its consorts in the voice of a musical instrument, by sounding it previously alone4)\u00ab.\nNun k\u00f6nnte es allerdings nach den Mitteln, \u00fcber welche die willk\u00fcrliche Analyse verf\u00fcgt, oberfl\u00e4chlich betrachtet, wohl so aus-sehen, als ob James Becht h\u00e4tte; denn wie sollen die Hemmung fremder Einfl\u00fcsse oder die Einstellung von Sinneswerkzeugen und psychische Empf\u00e4nglichkeit m\u00f6glich sein, wenn man nicht wei\u00df, in\n1)\tWundt\u2019s \u00bbPhil. Stud.\u00ab VIII, S. 360.\n2)\tWill. James: \u00bbPrinciples of Psychology\u00ab, I, S. 444.\n3)\tAn ders. Stelle, I, S. 503.\n4)\tAn ders. Stelle, I, S. 504.","page":48},{"file":"p0049.txt","language":"de","ocr_de":"(Jeber die \u00bbVerschmelzung* von Empfindungen, besonders bei Klangeindr\u00fccken. 49\nwelcher Sichtung sie vor sich gehen sollen? Selbstverst\u00e4ndlich kann denn auch nicht geleugnet werden, dass es die Analyse ganz bedeutend erleichtern wird, wenn man die einzelnen Glieder der zusammengesetzten Vorstellung im voraus kennt und sich jedesmal vorweg ein Phantasiebild des Gliedes bilden kann, auf das die Aufmerksamkeit gerade gerichtet werden soll: die gesammte vorausgehende Aufmerksamkeitseinstellung wird dadurch so genau wie m\u00f6glich, die Empf\u00e4nglichkeit dem Eindr\u00fccke gegen\u00fcber so gro\u00df, wie sie \u00fcberhaupt gemacht werden kann. Aber damit ist doch nicht gegeben, dass sich die Theorie ohne Einschr\u00e4nkungen durchf\u00fchren lasse. Ich habe seihst eine Reihe Analysenversuche mit einzelnen Kl\u00e4ngen und Zweikl\u00e4ngen angestellt, wo es also besonders Obert\u00f6ne und Combinationst\u00f6ne waren, die es zu h\u00f6ren galt. Als Tongeber wurden das Klavier oder Appun\u2019sche Zungen oder die sp\u00e4ter erw\u00e4hnten geschlossenen Lippenpfeifen benutzt; und die zwei T\u00f6ne in den Zweikl\u00e4ngen wurden ganz planlos genommen, sodass ich im voraus auch nicht einmal ann\u00e4herungsweise wusste, wo die Combinationst\u00f6ne zu suchen waren. Gleichwohl gl\u00fcckte es mir immer, einen oder mehrere von ihnen zu h\u00f6ren, ja, es ist mir sogar \u00f6fter passirt, dass ich Combinationst\u00f6ne entdeckte, die ich sehr erstaunt war zu finden, bis eine Ausrechnung hinterher ihr Vorkommen f\u00fcr mich erkl\u00e4rlich machte.\nGenauer zu beschreiben, wie eine solche Analyse vor sich ging, ist nun nicht so ganz leicht. Doch glaube ich der Wahrheit am n\u00e4chsten zu kommen, wenn ich als einen Hauptpunkt hervorhebe, dass ich es mit Elei\u00df vermied, die Aufmerksamkeit auf den oder die beiden st\u00e4rkeren Grundt\u00f6ne zu richten, oder sie davon fernhielt; im \u00fcbrigen verhielt ich mich wesentlich passiv oder lie\u00df die Aufmerksamkeit in aller Unbestimmtheit etwas auf verschiedene Tongebiete zuwandem oder vielleicht besonders etwas innerhalb eines etwas engeren Gebietes verweilen; oder es konnte geschehen, dass ich erst ein mehr unbestimmbares Brummen oder Pfeifen oder \u00e4hnliches h\u00f6rte, auf das sich die Aufmerksamkeit dann richtete, wonach ich deutlich bestimmte T\u00f6ne unterschied. Unter allen Umst\u00e4nden aber kam es mir ordnungsgem\u00e4\u00df vor, dass die Nebent\u00f6ne, die es mir zu h\u00f6ren gl\u00fcckte \u2014 oder in dem letzterw\u00e4hnten Falle das Brummen u. s. w. \u2014 Ton selbst, ohne eine vorhergehende besondere Einstellung von meiner Seite auftauchten. Allerdings ist nun nicht zu leugnen, dass die\nWundt, Philos. Studien. XV.\t4","page":49},{"file":"p0050.txt","language":"de","ocr_de":"50\nEjnar Buch.\nCombinationst\u00f6ne nicht immer ganz constant waren, ebenso wie es sich vielleicht ereignen konnte, dass sie sp\u00e4ter begannen als die Grundt\u00f6ne; und diese Verh\u00e4ltnisse konnten die Aufmerksamkeit bisweilen auf sie lenken. Aehnliche Wirkungen konnte es auch haben, wenn der Kopf rasch fortgewandt oder gedreht wurde. Aber doch bin ich \u00fcberzeugt, dass bei weitem nicht alle F\u00e4lle, wo die Analyse gl\u00fcckte, auf eine von diesen Weisen erkl\u00e4rt werden k\u00f6nnen.\nTrotzdem ich also, auf eigene Selbstheobachtung gest\u00fctzt, behaupten muss, dass die Analyse einer Vorstellung keineswegs so vor sich zu gehen braucht, wie von James behauptet wird, muss doch einger\u00e4umt werden, dass sich v\u00f6llig entscheidende Resultate auf diesem Wege schwierig erreichen lassen, da es doch in letzter Instanz ein ziemlich feines pers\u00f6nliches Erachten ist, welches das Urtheil in der Sache f\u00e4llt.\nAber James\u2019 Theorie kann auch von einer anderen Seite angegriffen werden: denn worauf st\u00fctzt James im Grunde diese Theorie? Sollte es sich nicht im letzten Grunde zeigen, dass sie eine Art psychologisches Dogma ist, das sich auf eine ebenso dogmatische Auffassung der Aufmerksamkeit beruft, eigentlich aber seinen Grund gar nicht in einer genaueren Untersuchung der Wirklichkeit hat? Ich kann nicht in Abrede stellen, dass mir dies am ehesten der Fall zu sein scheint. Ich kann n\u00e4mlich keine andere Wirklichkeitsgrundlage f\u00fcr die Theorie finden als die oft genug erw\u00e4hnte: dass es zweifellos eine H\u00fclfe f\u00fcr die Analyse sei, wenn man sich vorweg ein Phantasiebild des Eindruckes bilden k\u00f6nne, den man sucht. Aber hieraus gleich den Schluss zu ziehen, dass dieses Vorauswissen eine noth-wendige Bedingung f\u00fcr die Analyse sei, ist doch ein wenig \u00fcbereilt. Im Gegentheile, es kommt mir vor, dass wichtige Erw\u00e4gungen in entgegengesetzter Richtung geltend gemacht werden k\u00f6nnen.\nJames\u2019 Theorie w\u00fcrde richtig sein, wenn sich die subjective Empf\u00e4nglichkeit nur durch eine so genaue Aufmerksamkeitseinstellung, wie die Theorie zu der Analyse fordert, ver\u00e4ndern k\u00f6nnte und sich im entgegengesetzten Falle unver\u00e4ndert hielte; denn wenn sich die Reize nicht ver\u00e4ndern und die subjective Empf\u00e4nglichkeit dies auch nicht thut, so muss sich auch ihr Product, die Vorstellung, unver\u00e4ndert halten. Aber ist irgend welche Wahrscheinlichkeit f\u00fcr eine solche Unver\u00e4nderlichkeit bei der subjectiven Empf\u00e4nglichkeit","page":50},{"file":"p0051.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die \u00bbVerschmelzung\u00ab von Empfindungen, besonders bei Klangeindr\u00fccken. 51\nvorhanden? Das besondere Kennzeichen des Seelenlebens pflegt doch sonst das best\u00e4ndige Aendern und Wechseln in seinen Zust\u00e4nden zu sein; und namentlich von der Aufmerksamkeit haben wir fr\u00fcher gesehen, dass es besondere Anstrengungen erfordert, sie l\u00e4ngere Zeit auf ein und denselben Eindruck geheftet zu halten. Eben diese ausgepr\u00e4gte Beweglichkeit und Wanderlust hei der Aufmerksamkeit aber muss in diesem Zusammenh\u00e4nge stark hervorgehoben werden.\nWir wollen zur leichteren Uehersicht ein ganz einfaches Beispiel w\u00e4hlen: die Analyse eines Zweiklanges mit zwei gleich starken und gleichartigen T\u00f6nen \u2014 Ohert\u00f6ne und Combinationst\u00f6ne lassen wir au\u00dfer Betracht. Nun kann es nat\u00fcrlich sehr wohl geschehen, dass eine solche Analyse gar nicht gl\u00fcckt, weil dem Beobachter Erfahrung und Uehung auf diesem Gebiete fehlen. Hier wollen wir indess nur an die F\u00e4lle denken, wo die Analyse ohne besondere Schwierigkeiten gl\u00fcckt. Sollte dies nun wirklich nur unter der Bedingung m\u00f6glich sein, dass die T\u00f6ne ungleichzeitig beg\u00e4nnen oder man auf eine andere Weise vorweg wissen k\u00f6nnte, welches die beiden T\u00f6ne seien, und sie inwendig singen, ehe man sie h\u00f6rte? Kein \u2014 selbst wenn die beiden T\u00f6ne von seiten des Reizes ganz gleich gestellt sind, w\u00fcrde es sonderbar sein, wenn die Empf\u00e4nglichkeit, die zuf\u00e4llige Richtung der Aufmerksamkeit u. s. w., nicht ein wenig g\u00fcnstiger f\u00fcr den einen als f\u00fcr den anderen w\u00e4re, so dass sich einer von ihnen rasch der Aufmerksamkeit bem\u00e4chtigte. Wo der Ton aber nicht aus dem einen oder anderen besonderen Grunde die Aufmerksamkeit festh\u00e4lt \u2014 oder man selbst mit Willen dieselbe Wirkung hervorruft \u2014, wird ihn die Aufmerksamkeit wahrscheinlicherweise rasch wieder fahren lassen, und der andere Ton wird nun eher Gegenstand der Aufmerksamkeit werden k\u00f6nnen. Und selbst wenn sich die Aufmerksamkeit einige Zeit an den ersten Ton h\u00e4lt, wird sie nach und nach doch erm\u00fcden, und ihn zuletzt ganz fahren lassen, und das Yerh\u00e4ltniss wird dasselbe sein wie im ersten Falle. Ueberhaupt ist die Aufmerksamkeit ja, wie hervorgehoben, geneigt, zu wandern und nur ganz kurze Zeit bei jedem einzelnen Eindr\u00fccke zu verweilen; aber dadurch wird offenbar die Wahrscheinlichkeit daf\u00fcr, dass der oder die anderen auch Theil an ihr gewinnen k\u00f6nnen, verh\u00e4ltnissm\u00e4\u00dfig gro\u00df. Und was hier gesagt ist, gilt schon von der unwillk\u00fcrlichen Aufmerksamkeit: die Verh\u00e4ltnisse m\u00fcssen sich dann\n4*","page":51},{"file":"p0052.txt","language":"de","ocr_de":"52\nEjnar Buch.\nnoch g\u00fcnstiger f\u00fcr die Analyse gestalten k\u00f6nnen, wenn der Wille helfend eingreift, wenn man selbst die Aufmerksamkeit ausdr\u00fccklich wandern l\u00e4sst.\nIn dem gegebenen Beispiele haben wir nun allerdings vorausgesetzt, dass nur zwei Eindr\u00fccke vorhanden und dass sie einigerma\u00dfen gleich stark seien. Einen wesentlichen Unterschied f\u00fcr die subjective Empf\u00e4nglichkeit und ihre Ver\u00e4nderlichkeit kann es jedoch nicht ausmachen, ob die Verh\u00e4ltnisse weniger einfach sind; nur wird die Analyse nat\u00fcrlich eine desto schwierigere.\nEs ist indess Ein Punkt, welcher noch ein paar Bemerkungen erfordert. Was hei\u00dft es n\u00e4mlich: die Aufmerksamkeit wandern lassen? Kann sich dies z. B. bei einer Tonanalyse bewerkstelligen, ohne gerade Phantasiebilder der verschiedenen T\u00f6ne hervorzurufen, und stehen wir in diesem Falle nicht mitten in der Theorie, die wir gerade bek\u00e4mpfen wollten? Hierauf ist zu antworten, dass eine Wanderung der Aufmerksamkeit wie die erw\u00e4hnte allerdings in einem Auftauchen von ganz schwachen und unbestimmten Erinnerungsbildern besteht. Aber theils fordert James in seiner Theorie \u2014 wenigstens in dem Beispiele aus dem Gebiete der T\u00f6ne \u2014 bei weitem mehr als ein solches kaum bemerkbares und rasch verschwindendes Erinnerungsbild; theils scheint es sehr wahrscheinlich, dass z. B. die Empf\u00e4nglichkeit f\u00fcr einen gegebenen Ton erh\u00f6ht wird, wenn man mit der Aufmerksamkeit nur einigerma\u00dfen in seine N\u00e4he kommt; ja, ich bin sogar am geneigtesten, zu glauben, die Hauptsache sei, dass die Aufmerksamkeit von den anderen Eindr\u00fccken, die dem betreffenden den Bang streitig machen k\u00f6nnen, ferngehalten wird oder sich fernh\u00e4lt.\nWir k\u00f6nnen also durchaus nicht auf James\u2019 Theorie eingehen, dass Analyse einer Vorstellung nur m\u00f6glich sein sollte, wenn man sich vorweg ein Phantasiebild der Empfindung bilde, die man gerade sucht. Aber auf der anderen Seite m\u00fcssen wir doch hervorheben, dass die Bildung eines solchen Phantasiebildes die Empf\u00e4nglichkeit f\u00fcr die betreffende Empfindung in besonderem Grade erh\u00f6ht und darum die Analyse mehr als irgend ein anderes Mittel bef\u00f6rdern kann.\nWir haben im Vorhergehenden im wesentlichen gesehen, wie eine Analyse vor sich geht. Ein Punkt von besonderer Wichtigkeit ist es indessen, den wir nur kaum ber\u00fchrt haben, und den wir des-","page":52},{"file":"p0053.txt","language":"de","ocr_de":"\u00fceber die \u00bbVerschmelzung\u00ab von Empfindungen, besonders bei Klangeindr\u00fccken. 53\nhalb jetzt etwas n\u00e4her betrachten m\u00fcssen: die Bedeutung der Erfahrung und der Uebung f\u00fcr die Analyse. Auch hier hat James eine Theorie aufgestellt, die \u00fcbrigens mit der eben betrachteten nahe zusammenh\u00e4ngt oder, richtiger gesagt, als Ausgangspunkt f\u00fcr diese dient. Ihr Inhalt wird am deutlichsten aus folgenden beiden Ausspr\u00fcchen hervorgehen: \u00bbI think we may safely lay down at the outset this fundamental principle, that any total impression made on the mind must be unanalyzable, whose elements are never experienced apart1)\u00ab. \u00bbIf any single quality or constituent, a, of such an object, have previously been known by us\nisolatedly,--------, then that constituent a may be analyzed\nout from the total impression2)\u00ab. Oder mit anderen Worten: die Bedingung daf\u00fcr, dass wir durch Analyse einen einzelnen Eindruck aus der gesammten Vorstellung unterscheiden k\u00f6nnen sollen, ist die, dass wir diesen Eindruck fr\u00fcher allein gehabt haben.\nEine eigentliche Begr\u00fcndung dieser letzten Theorie gibt James gar nicht: er betrachtet sie offenbar als einen selbstverst\u00e4ndlichen \u00bbGrundsatz\u00ab. Indess ist es nicht so schwierig, den Gedankengang, der dahinter liegt, herauszufinden: eine Vorstellung analysiren hei\u00dft, seine Aufmerksamkeit auf jedes einzelne ihrer Glieder heften; aber jede Aufmerksamkeit verlangt Uebung, ja, jede einzelne Vorstellung oder Empfindung verlangt ihre besondere Aufmerksamkeits-Ein\u00fcbung; und diese kann nur stattfinden, wenn die Vorstellung im Bewusstsein allein auftritt. Man sieht leicht, dass die Theorie in Wirklichkeit mit diesen Voraussetzungen steht und f\u00e4llt. Diese m\u00fcssen wir deshalb etwas betrachten.\nE\u00fcr\u2019s erste m\u00fcssen wir uns denn sofort ganz im allgemeinen an die Voraussetzung anschlie\u00dfen, dass alle Aufmerksamkeit Ein\u00fcbung erfordert: selbst wenn wir nat\u00fcrlich mit gewissen mehr oder weniger entwickelten Anlagen geboren werden, welche die Ein\u00fcbung in vielen F\u00e4llen in wesentlichem Grade erleichtern k\u00f6nnen, so kann diese doch erst nach und nach in Gang kommen, je nachdem sich die verschiedenen Eindr\u00fccke und Vorstellungen, auf welche die Aufmerksamkeit gerichtet werden soll, einfinden. Allerdings kann man keines-\n1)\t\u00bbThe Principles of Psychology\u00ab I, S. 502.\n2)\tAn ders. Stelle I, S. 503.","page":53},{"file":"p0054.txt","language":"de","ocr_de":"54\nEjnar Buch.\nwegs behaupten, dass dies selbsteinleuchtend sei, da man sich gut denken k\u00f6nnte, dass die Aufmerksamkeitsein\u00fcbung oft angeboren sei. Aber die Untersuchungen des Seelenlebens des neugeborenen Kindes deuten entschieden darauf hin, dass dies auf jeden Fall nur in verschwindendem Grade der Fall ist. Wir k\u00f6nnen in dieser Hinsicht namentlich auf Prey er\u2019s Beispiele f\u00fcr die Entwicklung der Aufmerksamkeit durch den Gesichtssinn hinweisen. Es ist deshalb kein Grund vorhanden, einen Zweifel von Bedeutung an der Richtigkeit unserer Voraussetzung zu erheben. Wir haben uns ja auch schon selbst am Anf\u00e4nge dieses Abschnittes auf sie berufen.\nAber damit, dass Aufmerksamkeit Uebung erfordert, ist noch nicht gegeben, dass jede einzelne Vorstellung ihre Aufmerksamkeitsein\u00fcbung erfordere. Ja, selbst das klassische Beispiel, Helmholtz\u2019 Tonanalyse, zeigt, dass diese Voraussetzung unter allen Umst\u00e4nden nicht allzu buchst\u00e4blich genommen werden darf. Helmholtz spricht sich n\u00e4mlich so aus: \u00bbWill man anfangen, Obert\u00f6ne zu beobachten, so ist es rathsam, unmittelbar vor dem Klange, welcher analysirt werden soll, ganz schwach diejenige Kote erklingen zu lassen, welche man aufsuchen will, und zwar am besten in derselben Klangfarbe, welche der Gesammtklang hat\u00ab1). Hieraus aber sehen wir, dass die Einstellung auf den zusammengesetzten Klang dem ganz unzusammengesetzten Obertone zu gute kommt. Auf jeden Fall muss unsere Voraussetzung also darauf beschr\u00e4nkt werden, dass sie so lautet: wesentlich verschiedenartige Vorstellungen erfordern jede ihre Aufmerksamkeitsein\u00fcbung. Dass dies nothwendig ist, kann uns \u00fcbrigens auch eine ganz einfache allgemeinere Betrachtung zeigen. Ebensowenig n\u00e4mlich, wie ein Erinnerungsbild genau die Vorstellung deckt, die es wiedergeben sollte, und namentlich zugleich oft sehr unvollst\u00e4ndig in den Einzelheiten ist, ebensowenig tritt die einge\u00fcbte Aufmerksamkeitseinstellung das eine Mal in ganz derselben Form auf wie das andere Mal: die letzten Einzelheiten in der Anpassung werden zudem wohl immer von dem neuen Eindr\u00fccke selbst hervorgerufen werden. Hiermit aber ist ja gerade gegeben, dass die Ein\u00fcbung nach Einer Vorstellung allen anderen Vorstellungen, die ihr im wesentlichen nahe stehen, zu gute kommen wird. Ueberdies ist dies\n1) \u00bbDie Lehre von den Tonempfindungen\u00ab 5. Ausg. (1896), S. 85.","page":54},{"file":"p0055.txt","language":"de","ocr_de":"\u00fceber die \u00bbVerschmelzung\u00ab von Empfindungen, besonders bei Klangeindriicken. 55\neine Bedingung daf\u00fcr, dass eine sichere Ein\u00fcbung \u00fcberhaupt zu Stande kommen kann; denn Sicherheit in der TJebung ist nur durch Wiederholung zu erreichen, und man kann ruhig davon ausgehen, dass sich eine Vorstellung niemals in ganz derselben Gestalt das eine Mal nach dem anderen wiederholt.\nAber selbst mit der gegebenen Begrenzung wird die Voraussetzung, dass jede Vorstellung ihre Aufmerksamkeitsein\u00fcbung erfordert, nicht ganz zutreffen. Die Einstellung des Auges richtet sich z. B. gar nicht nach der Qualit\u00e4t des Eindruckes, sondern nur nach dem Punkte im Gesichtsfelde, von dem die Einwirkung ausgeht; dieselbe Ein\u00fcbung wird deshalb hier qualitativ verschiedenen Eindr\u00fccken zu gute kommen k\u00f6nnen. Etwas Aehnliches gilt sicher von dem Gef\u00fchlssinne und den damit verwandten Sinnen: man lernt seine Aufmerksamkeit auf die verschiedenen Theile des K\u00f6rpers richten, und wird dann in jedem einzelnen Falle besonders leicht die Eindr\u00fccke auffassen, die gerade von dem Theile des K\u00f6rpers empfangen werden, auf welchen die Aufmerksamkeit im Augenblicke gerichtet ist, selbst wenn man nicht gerade dieselben Empfindungen vorher gehabt hat. Zweifelhafter kann es dagegen sein, ob wir auch bei den \u00fcbrigen Sinnen Beispiele f\u00fcr eine Aufmerksamkeitsein\u00fchung finden k\u00f6nnen, die verschiedenartigen Vorstellungen zu gute kommen kann; ein Grund, dies von vornherein zu verneinen, ist \u00fcbrigens nicht vorhanden.\nEs bleibt nun nur noch die letzte Voraussetzung \u00fcbrig: dass eine Aufmerksamkeitsein\u00fchung nur stattfinden k\u00f6nne, wenn die Vorstellung, welche Gegenstand f\u00fcr die Aufmerksamkeit sein soll, allein im Bewusstsein sei. Als St\u00fctze f\u00fcr diese Voraussetzung muss man sich nat\u00fcrlich besonders darauf berufen, dass die Aufmerksamkeit ordnungsgem\u00e4\u00df ja nur auf Eine Vorstellung auf einmal gerichtet werden kann. Nun schlie\u00dft dies allerdings nicht absolut aus, dass die Ein\u00fcbung der Aufmerksamkeit auf mehr verborgenen Wegen stattfinden k\u00f6nne. Aber auf jeden Fall kann kein Zweifel dar\u00fcber sein, dass die Voraussetzung im wesentlichen als richtig bezeichnet werden muss; und da eine genauere Kritik derselben kein Interesse f\u00fcr uns hat, wollen wir sie hier auf sich beruhen lassen. Jedoch muss bemerkt werden, dass man nat\u00fcrlich auch diese Voraussetzung nicht allzu buchst\u00e4blich nehmen darf, da man streng genommen niemals sagen kann, eine Vorstellung sei \u00bballein\u00ab im Bewusstsein.","page":55},{"file":"p0056.txt","language":"de","ocr_de":"56\nEjnar Buch.\nDie gegebenen Andeutungen m\u00fcssen gen\u00fcgen, zu zeigen, dass James auch in der zuletzt betrachteten Theorie zu rasch gewesen ist, als Grundsatz aufzustellen, was in Wirklichkeit nur begrenzte G\u00fcltigkeit hat. Aber w\u00e4hrend man sich also h\u00fcten muss, allzu unbedingt zu behaupten, dass man durch Analyse nur solche Eindr\u00fccke unterscheiden k\u00f6nne, die man fr\u00fcher allein gehabt habe, so ist es doch auf der anderen Seite offenbar, dass eine solche fr\u00fchere Ein\u00fcbung immer von allergr\u00f6\u00dfter Bedeutung f\u00fcr die Analyse sein muss. Und es ist nicht nur die Vorauseinstellung auf die gesuchte Empfindung, die selbstverst\u00e4ndlich durch fr\u00fchere Uebung bedingt ist; gerade durch die mehr unbestimmten Wanderungen der Aufmerksamkeit wird sie von Wichtigkeit, weil die betreffenden Eindr\u00fccke die Aufmerksamkeit viel leichter werden auf sich ziehen k\u00f6nnen, wenn dies auf Grund der Uebung sozusagen rein reflexm\u00e4\u00dfig geschehen kann. Ueberhaupt ist ja wohl die Empf\u00e4nglichkeit der Sinneswerkzeuge wie alles, was wir unter der Benennung \u00bbpsychische Empf\u00e4nglichkeit\u00ab inbegriffen haben, in wesentlichem Grade durch fr\u00fchere Uebung bedingt.\nSchlie\u00dflich ist vielleicht ausdr\u00fccklich zu bemerken, dass die \u00bbUebung\u00ab, von der hier die Bede ist, gar nicht besonders Uebung darin ist, zu analysiren, sondern im Gegentheile ganz im allgemeinen Uebung darin, seine Aufmerksamkeit auf die verschiedenartigen Eindr\u00fccke einzustellen.\nWir haben in diesem Abschnitte gesucht, ausfindig zu machen, wie eine Analyse vor sich gehe, und die Bedingungen f\u00fcr ihre M\u00f6glichkeit zu ermitteln. Allerdings haben wir uns in der letzteren Untersuchung am ehesten an die willk\u00fcrliche Analyse gehalten ; aber, wie man leicht einsieht, w\u00fcrde uns die unwillk\u00fcrliche Analyse hier nichts Neues von Bedeutung gebracht haben : nur vermehrte Schwierigkeiten f\u00fcr die Darstellung auf Grund der unregelm\u00e4\u00dfigeren Verh\u00e4ltnisse, des gr\u00f6\u00dferen Spielraumes f\u00fcr Zuf\u00e4lligkeiten, welchen sie bietet. Wir wollen darum nur noch eine kurze Uebersicht \u00fcber die erlangten Besultate geben.\nIn erster Beihe kommt hier die genauere Bestimmung des Zieles und Wirkungsgebietes der Analyse: eine Analyse geht darauf aus, trotz der Unver\u00e4nderlichkeit der Gesammtheit der Beize die einzelnen Glieder der zusammengesetzten Vorstellung jedes f\u00fcr sich klar und","page":56},{"file":"p0057.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die \u00bbVerschmelzung\u00ab von Empfindungen, besonders bei Klaiigeindr\u00fccken. 57\ndeutlich aufzufassen, oder, wie man sich auch ausdr\u00fccken kann, jedem einzelnen Reize soweit wie m\u00f6glich dieselbe psychische Wirkung zu verschaffen, die er erhalten w\u00fcrde, wenn er allein auf tr\u00e4te. Dies kann nun nur mit H\u00fclfe der Aufmerksamkeit geschehen; und das beste Mittel wird sein, sich vorweg ein Phantasiebild jedes einzelnen Eindruckes zu bilden, den man aus der Gesammtheit der Vorstellung ausscheiden will. In Ermangelung dessen muss man in mehr unbestimmter Allgemeinheit die Aufmerksamkeit \u00fcber die Gebiete hin-wandem lassen, wo die Eindr\u00fccke am ehesten zu erwarten sind, oder sie auf jeden Fall von den Eindr\u00fccken femhalten, die schon durch die Analyse gefunden sind, und dadurch den \u00fcbrigen gr\u00f6\u00dfere Aussicht gehen, sich geltend zu machen. Was endlich die weiteren Bedingungen daf\u00fcr anlangt, dass eine Analyse gl\u00fccken-kann, so kommt hier die St\u00e4rke der einzelnen Beize in Verbindung mit der suhjectiven Empf\u00e4nglichkeit f\u00fcr jeden besonders in Betracht. Und diese subjective Empf\u00e4nglichkeit wird wiederum vor allen Dingen durch fr\u00fchere Erfahrungen bestimmt sein: durch die gr\u00f6\u00dfere oder geringere Uebung, die Aufmerksamkeit auf die \u00bbEmpfindungen\u00ab einzustellen, welche in die zusammengesetzte Vorstellung eingehen, oder ganz im allgemeinen durch die Ankn\u00fcpfung, welche diese in dem \u00fcbrigen Bewusstseinsleben finden.\nBevor wir diesen Abschnitt schlie\u00dfen, m\u00fcssen wir jedoch noch einen Punkt in R\u00fccksicht auf unsere sp\u00e4teren Untersuchungen in K\u00fcrze besprechen. Dass man eine Vorstellung mit absoluter Sicherheit und Widerspruchslosigkeit f\u00fcr zusammengesetzt erkl\u00e4ren kann, wenn man sie durch Analyse in mehrere hat auf l\u00f6sen k\u00f6nnen, ist selbstverst\u00e4ndlich. Aber zu demselben Urtheile kann man oft auch auf anderem Wege gelangen. Ein Beispiel wird dies am besten zeigen: schl\u00e4gt man erst Einen Ton auf einem Klaviere an und darnach denselben zugleich mit einem anderen, so werden alle einen Unterschied zwischen den beiden Klangeindr\u00fccken h\u00f6ren k\u00f6nnen, ohne dass deshalb ausgemacht sei, dass sie den letzteren analysiren k\u00f6nnen. Und wenn man mannigfache Male bald einen Ton, bald zwei auf einmal h\u00f6rt, und jedesmal erf\u00e4hrt, wie viele es sind, so wird man zuletzt lernen, in den meisten F\u00e4llen mit Sicherheit entscheiden zu k\u00f6nnen, ob es einer oder zwei sind \u2014 ohne irgend welche Analyse. Dasselbe Verh\u00e4ltniss m noch ausgepr\u00e4gterem Grade haben wir bei einfachen T\u00f6nen und","page":57},{"file":"p0058.txt","language":"de","ocr_de":"58\nEjnar Buch.\nT\u00f6nen mit zusammengesetzter Klangfarbe : jeder kann sie augenblicklich von einander unterscheiden und sagen, welcher der zusammengesetzte ist; aber wie viele haben jemals diesen letzteren analysirt?\nDie Art und Weise, auf welche das Urtheil in solchen F\u00e4llen zu Stande kommt, ist nat\u00fcrlich eine Vergleichung zwischen den Ge-sammtheitseindr\u00fccken in Verbindung mit einer auf anderem Wege erworbenen Kenntniss der Natur der Reize. Was es im \u00fcbrigen aber hier f\u00fcr uns hervorzuheben gilt, ist, dass man, weil eine Vorstellung als zusammengesetzt aufgefasst wird, nicht ohne weiteres schlie\u00dfen kann, dass Analyse stattgefunden habe.\ne. Die Verschmelzung.\nWir sind nun so weit gelangt, dass wir zu der endlichen Charakteristik der Verschmelzung und ihrer Verbindung mit dem \u00fcbrigen Seelenleben und namentlich zur Beantwortung unserer fr\u00fcheren Frage (s. S. 10) schreiten k\u00f6nnen: ist die Verschmelzung etwas f\u00fcr sich selbst, eine neue merkw\u00fcrdige Thatsache im Seelenleben, oder l\u00e4sst sie sich vielleicht ganz oder theilweise von unserem sonstigen psychologischen Wissen aus erkl\u00e4ren?\nVon unserer ersten Definition von Verschmelzung abzuweichen, finden wir im Vorhergehenden keinerlei Grund und sprechen also von Verschmelzung, sobald wir mehreren Reizen begegnen, die, statt jeder seine Empfindung zu erzeugen, ebenso klar und deutlich aufgefasst, wie wenn der entsprechende Reiz allein auftr\u00e4te, nur Eine Gesammtvor-stellung oder Vorstellungsmasse geben, w\u00e4hrend doch sofort eine Aenderung in diesem Vorstellungsinhalte eintreten wird, wenn einer der Reize \u2014 gleichg\u00fcltig welcher \u2014 wegf\u00e4llt.\nWie am Anf\u00e4nge des vorigen Abschnittes hervorgehoben, werden solche Verschmelzungen nun immer vorhegen, so lange die Aufmerksamkeit noch nicht eingegriffen hat; denn nur mit H\u00fclfe der Aufmerksamkeit kann eine Vorstellung oder Empfindung klar und deutlich aufgefasst werden, nur mit H\u00fclfe der Aufmerksamkeit kann sie von der Verschmelzung mit den \u00fcbrigen, \u00bbgleichzeitigen\u00ab Eindr\u00fccken ausgeschieden werden. Die Verschmelzung ist, mit anderen Worten, urspr\u00fcnglich die normale Erscheinungsform des Vorstellungsinhaltes. Und, streng genommen, h\u00f6rt sie in wesentlichen Hinsichten niemals","page":58},{"file":"p0059.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die \u00bbVerschmelzung\u00ab von Empfindungen, besonders bei Klangeindr\u00fccken. 59\nauf, dies zu sein; denn die Aufmerksamkeit kann ja nur auf Eine Vorstellung auf einmal gerichtet werden, nur diese wird also von der Verschmelzung mit den anderen ausgeschieden, w\u00e4hrend diese noch unter einander \u00bbverschmolzen\u00ab sind; ja, die Vorstellung, auf welche die Aufmerksamkeit gerichtet ist, kann wieder selbst zusammengesetzt, seihst eine Verschmelzung sein. Indessen darf man deshalb nicht glauben, dass zwischen den Verschmelzungen heim Beginne des Vorstellungslebens und hei dem entwickelten Menschen kein Unterschied sei. Im Gegentheile wird nach und nach, je nachdem die Aufmerksamkeit auf den verschiedenen Gebieten ge\u00fcbt wird, das Verm\u00f6gen, die einzelnen Eindr\u00fccke jeden f\u00fcr sich klar und deutlich aufzufassen, d. h. das Verm\u00f6gen, die Vorstellungen zu analysiren, in entsprechendem Grade wachsen; und die Verschmelzung, die auf einer fr\u00fcheren Stufe vielleicht gar nicht in einfachere Vorstellungen aufgel\u00f6st werden konnte, wird sp\u00e4ter mit gro\u00dfer Leichtigkeit und Genauigkeit ana-lysirt werden k\u00f6nnen. Oder mit anderen Worten: die Entwickelung des Aufmerksamkeitsverm\u00f6gens bringt mit sich, dass der Verschmelzungsgrad der Vorstellungen oder der Vorstellungsmassen best\u00e4ndig geringer wird, bis die einzelnen Vorstellungsglieder so zu sagen schon vor der Analyse getrennt von einander daliegen, bereit, klar und deutlich hervor zu treten, sobald ihnen Gelegenheit gegeben wird. Aber selbstverst\u00e4ndlich k\u00f6nnen sich die Verh\u00e4ltnisse in dieser Hinsicht f\u00fcr die verschiedenen Vorstellungen sehr verschieden gestalten.\nDass die Verschmelzung so in ihrem ersten Auftreten keiner besonderen Erkl\u00e4rung bedarf und nicht als eine neue und \u00fcberraschende Erscheinung gerechnet werden kann, ist selbstredend. Auch in der weiteren Entwickelung von Verschmelzung zu Analyse haben wir, unseren vorhergehenden Untersuchungen zu Folge, in den1 gro\u00dfen Z\u00fcgen es nicht mit anderen als sonst bekannten Factoren zu thun. Ja, selbst \u00fcber die besonderen Gruppen von Verschmelzungen, welche den Ausgangspunkt f\u00fcr die Behandlung dieser gesammten Frage gebildet haben, sich zu wundern, ist in so weit kein Grund vorhanden, als es ja eher die Analyse ist als die Verschmelzung, welche Erkl\u00e4rung heischt. Wenn man gleichwohl die Aufmerksamkeit besonders auf diese Erscheinungen hingeleitet hat, so ist dies ja, wie schon hervorgehoben, am ehesten von der Betrachtung aus geschehen, dass die Analyse das normale sei, daher man erwarten m\u00fcsse, dass sich alle","page":59},{"file":"p0060.txt","language":"de","ocr_de":"60\nEjnar Buch.\nVerschmelzungen in ihre einfachsten Theile auf l\u00f6sen lassen ; und wenn dies gleichwohl nicht geschehe, so m\u00fcssten sich besondere Verh\u00e4ltnisse geltend gemacht haben. Und man muss nun auch einr\u00e4umen, dass diese Betrachtung auf eine gewisse Weise ihre Berechtigung haben kann. Aber die Frage ist dann freilich, welches diese \u00bbbesonderen Verh\u00e4ltnisse\u00ab sind, ob sie nicht gerade eine Folge der allgemeinen .physischen und psychischen Bedingungen f\u00fcr Verschmelzung und Analyse sind? Oder, mit anderen Worten: f\u00fchren die genannten Bedingungen nicht seihst solche \u00bbHindernisse\u00ab f\u00fcr die Analyse mit sich, dass wir mit ihrer H\u00fclfe in Stand gesetzt werden, die besonders hervorgehobenen Verschmelzungserscheinungen zu erkl\u00e4ren?\nZur Beantwortung dieser Frage wollen wir damit beginnen, auf Grundlage unserer fr\u00fcheren Untersuchungen eine ganz kurze Ueber-sicht \u00fcber die \u00bbHindernisse\u00ab zu geben, denen die Analyse auf ihrem Wege m\u00f6glicher Weise begegnen kann. F\u00fcr\u2019s erste k\u00f6nnen wir dann hinsichtlich der Reize bemerken, dass sie oft von so kurzer Dauer sein und so rasch auf einander folgen k\u00f6nnen, dass es unm\u00f6glich ist, die Aufmerksamkeit auf jeden einzelnen der Eindr\u00fccke zu richten, die sie hervorrufen. Auch k\u00f6nnen einige von den Reizen so schwach sein, dass es, schon wenn sie allein auftreten, Anstrengung kostet, sie aufzufassen; dass dies aber ganz unm\u00f6glich werden kann, wenn zusammen mit ihnen andere, weit st\u00e4rkere Reize auftreten, ist selbstverst\u00e4ndlich.\nAber mag nun auch die Aufmerksamkeit Zeit genug haben, jeden Eindruck f\u00fcr sich fest zu halten, und m\u00f6gen die Reize stark genug sein, dass sich dies thun l\u00e4sst, so wird etwas anderes eintreffen k\u00f6nnen, n\u00e4mlich : dass die Aufmerksamkeitseinstellung nicht auf einen einzelnen Eindruck beschr\u00e4nkt wird, sondern in gleich hohem Grade mehrere Reize beg\u00fcnstigt, so dass die Verschmelzung zwischen den entsprechenden Eindr\u00fccken durch die Aufmerksamkeit keineswegs verringert wird. So kann man ganz im allgemeinen sein Ohr auf sch\u00e4rferes H\u00f6ren einstellen und dadurch in gleich hohem Grade die Empf\u00e4nglichkeit f\u00fcr alle Lauteindr\u00fccke erh\u00f6hen; diese werden also von den gleichzeitigen Eindr\u00fccken anderer Art ausgeschieden, selbst aber werden sie nicht analysirt. Oder, um das Beispiel mehr speciell zu w\u00e4hlen : lausche ich auf die T\u00f6ne einer Violine, einer Orgel oder eines anderen \u00e4hnlichen Instrumentes, so werden gew\u00f6hnlich Grund-","page":60},{"file":"p0061.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die \u00bbVerschmelzung* von Empfindungen, besonders bei Klangeindr\u00fceken. 61\nt\u00f6ne und Obert\u00f6ne u. a. in gleichem Grade von meiner Aufmerksamkeitseinstellung beg\u00fcnstigt werden, und eine Analyse des zusammengesetzten Klanges wird folglich nicht stattfinden.\nEine eingehendere Analyse heischt dann eine bei weitem enger begrenzte Aufmerksamkeitseinstellung ; und diese wird, wie wir gesehen haben, vor allen Dingen dadurch ge\u00fcbt, dass wir die betreffenden Eindr\u00fccke \u00bballein\u00ab empfangen und so lernen, sie f\u00fcr sich aufzufassen. Indessen k\u00f6nnen sich ja Reize finden, die niemals oder h\u00f6chst selten \u00bballein\u00ab auf treten, so dass man, was sie anlangt, nicht gen\u00fcgende Gelegenheit erh\u00e4lt, eine besondere Aufmerksamkeitseinstellung einzu\u00fcben. Wo sie einwirken, wird darum alle m\u00f6gliche Wahrscheinlichkeit vorhanden sein, dass eine Analyse \u00fcberhaupt nicht zu Stande wil\u2019d kommen k\u00f6nnen.\nDie bisher besprochenen Schwierigkeiten f\u00fcr die Analyse werden sich nun geltend machen k\u00f6nnen, selbst wenn man seine Vorstellungen noch so sehr zu analysiren w\u00fcnscht. Indessen ist gar nicht gesagt, dass man immer einen solchen Wunsch hegt. Im Gegentheile, wir haben ja gesehen, dass jede Aufmerksamkeitshandlung dadurch bedingt wird, dass sich an ihre Resultate ein gen\u00fcgend starkes und lebendiges Interesse kn\u00fcpft, dass also auch die Analyse, selbst wenn die Bedingungen f\u00fcr sie sonst so g\u00fcnstig wie m\u00f6glich sind, nur stattfinden kann, wenn die Aufl\u00f6sung der zusammengesetzten Vorstellung in einfachere Vorstellungen Bedeutung oder Interesse f\u00fcr uns hat; und dass dies keineswegs immer der Fall ist, davon kann man sich leicht \u00fcberzeugen. Namentlich k\u00f6nnen wir in dieser Hinsicht darauf hinweisen, dass, da unsere Interessen nat\u00fcrlich in oberster Reihe praktisch sind, die Auffassung der uns umgebenden Welt, der Reize, die wir empfangen, uns meist bei weitem mehr angelegen sein wird als die Auffassung der Vorstellungen. Aber wie wir fr\u00fcher gesehen haben, fordert die Auffassung der Reize oft nur ein sehr geringes Hinwenden der Aufmerksamkeit auf jede einzelne Vorstellung. Die Analyse wird, mit anderen Worten, auf diese Weise keineswegs gef\u00f6rdert werden.\nEs gibt somit Einfl\u00fcsse genug, die der Analyse der zusammengesetzten Vorstellungen direct oder indirect entgegen arbeiten k\u00f6nnen, so dass sie ganz oder theilweise nicht zur Ausf\u00fchrung kommt. Wir","page":61},{"file":"p0062.txt","language":"de","ocr_de":"62\nEjnar Buch.\nwollen hiernach sehen, ob wir mit ihrer H\u00fclfe die besonders hervorgehobenen Verschmelzungserscheinungen erkl\u00e4ren k\u00f6nnen.\nZuerst k\u00f6nnen wir nun bemerken, dass die Entwickelung des Analysirungsverm\u00f6gens f\u00fcr die verschiedenen Sinne sehr verschieden ist. Am h\u00f6chsten steht in dieser Hinsicht das Gesicht. Aber dies kann uns nicht wundem, wenn wir bedenken, dass der Gesichtssinn in besonderem Grade im Dienste der Erkenntniss steht, sein Werth f\u00fcr uns vor allen Dingen davon ahh\u00e4ngt, wie gut er in dieser Hinsicht Gen\u00fcge leistet : sollen unsere Gesichtsbilder \u00fcberhaupt von praktischem Nutzen f\u00fcr uns werden, so m\u00fcssen sie uns ein genaues und bestimmtes Wissen \u00fcber das Aussehen, die Gestalt, die Gr\u00f6\u00dfe, die Lage im Raume u. s. w. der Gegenst\u00e4nde gehen k\u00f6nnen. Hier aber ist eben eine scharfe Beobachtung jeder einzelnen Erscheinung im Gesichtsfelde, eine klare und deutliche Auffassung der verschiedenen Theile des Gesichtsbildes erforderlich. Wir sehen denn auch, dass das Interesse hei den Gesichtseindr\u00fccken gleich vom ersten Anf\u00e4nge an mit der aufmerksamen Beobachtung der Erscheinungen verkn\u00fcpft ist und keine Wirksamkeit anderer Art in Gang setzt. Schlie\u00dflich muss nat\u00fcrlich einger\u00e4umt werden, dass eine so scharfe Analyse wie die, welche der Gesichtssinn gestattet, auch durch die besondere Einrichtung der Sinneswerkzeuge bedingt ist ; aber dadurch kann doch das Verh\u00e4ltniss zwischen dem praktischen Werthe der Analyse als Ursache und der hohen Entwickelung des Analysirungsverm\u00f6gens als Wirkung nicht verr\u00fcckt werden.\nW\u00e4hrend wir also im ganzen das Gesicht als einen besonders analysirenden Sinn bezeichnen m\u00fcssen, so wird die Analyse doch nat\u00fcrlich in mannigfachen E\u00e4llen nicht zur Ausf\u00fchrung kommen : die Factoren, welche in dieser Richtung wirken und die wir eben besprochen haben, werden sich ja auch hier geltend machen. Dies sehen wir u. a. in den Beispielen von Verschmelzung, die Cornelius vom Gesichtssinne anf\u00fchrt: sie sind offenbar leicht genug dadurch zu erkl\u00e4ren, dass den Eindr\u00fccken gar nicht so viel Aufmerksamkeit und genauere Beobachtung geschenkt wird, wie zu einer Analyse noth-wendig ist; und der Grund hierzu ist wieder, dass die genaue Auffassung keine Bedeutung hat, dass die Einwirkungen von zu kurzer Dauer sind, oder \u00e4hnliches. Im \u00fcbrigen bieten diese Beispiele kein besonderes Interesse.","page":62},{"file":"p0063.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die \u00bbVerschmelzung\u00ab von Empfindungen, besonders bei Klangeindr\u00fccken. 63\nAls einen Gegensatz zu dem Gesichtssinne k\u00f6nnen wir den Geschmack in Verbindung mit den Geruchs- und Ber\u00fchrungsempfindungen und \u00e4hnliches nennen, die so oft in die Geschmacksvorstellungen eingehen. W\u00e4hrend n\u00e4mlich die Gesichtseindr\u00fccke uns erst nach vielen Beobachtungen, vielen Erfahrungen eine so gute Kenntniss unserer Umgebung verschaffen, dass wir unsere Handlungen darnach richten k\u00f6nnen, bestimmen die Geschmacksempfindungen unsere Handlungsweise gegen\u00fcber dem einwirkenden Gegenst\u00e4nde rein unmittelbar: Anstrengungen, ihn uns zu sichern und ihn zu verzehren, wenn sein Geschmack angenehm ist, ahwehrende Bewegungen und \u00e4hnliches, wenn sein Geschmack unangenehm ist; und eine eingehendere Kenntniss der Geschmacksempfindungen, eine aufmerksame Beobachtung derselben hat, auf jeden Fall auf der ersten Entwickelungsstufe des Bewusstseinslebens, keinerlei praktischen Werth, weil es gleichwohl nur der angenehme oder unangenehme Charakter des Geschmackes ist, der die Handlungsweise bestimmen wird. Die weiteren n\u00fctzlichen oder sch\u00e4dlichen Wirkungen der verschiedenen Nahrungsmittel liegen n\u00e4mlich meist in Zeit und Raum so fern von den Geschmacksempfindungen, dass man sie erst auf einem sehr sp\u00e4ten Standpunkte in Verbindung mit diesen setzen lernt.\nAnfangs steht der Geschmack also in recht scharfem Gegens\u00e4tze zu dem Gesichtssinne. Jedoch gleicht sich dieser Gegensatz nach und nach etwas aus,, je nachdem man Kenntniss der weiteren Wirkungen der Lebensrnittel zu erwerben beginnt: der Geschmack f\u00e4ngt nun auch an, Bedeutung als Wiedererkennungs- oder, wenn man will, Erkenntnissmittel zu gewinnen. Jedoch wird diese Bedeutung niemals gro\u00df sein, da dieselbe Erkenntniss auf anderem Wege, mit H\u00fclfe des Gesichts u. s. w., in der Regel sowohl leichter als auch sicherer zu erlangen ist ; es wird fortw\u00e4hrend in oberster Reihe der angenehme oder unangenehme Charakter des Geschmackes sein, woran sich unser Interesse kn\u00fcpft. Aber mag uns nun auch der Geschmack als Wiedererkennungsmittel dienen; eine gr\u00fcndlichere Analyse braucht gleichwohl durchaus nicht zu Stande zu kommen; denn es sind die verschiedenen Stoffe, deren Geschmack oft sehr zusammengesetzt ist, die es wieder zu erkennen gilt; und dies geschieht eben am besten Hut H\u00fclfe des Gesammteindruckes oder eines einzelnen besonders \u00dfigenth\u00fcmlichen Bestandtheiles desselben und erfordert somit keine","page":63},{"file":"p0064.txt","language":"de","ocr_de":"64\nEjnar Buch.\nweitere Analyse. Selbst wenn wir z. B. noch so wohl wissen, wie viel von einer Geschmacksvorstellung Geschmacksempfindungen, wie viel Geruchsempfindungen oder Ber\u00fchrungsempfindungen zuzuschreiben ist, so wird es uns darum kaum in geringstem Grade leichter fallen, den schmeckenden Stoff wieder zu erkennen.\nDiese Zusammenstellung von Gesicht und Geschmack mag gen\u00fcgen, zu zeigen, welche Rolle die praktische Bedeutung der Analyse f\u00fcr die Entwickelung des Analysirungsverm\u00f6gens durch die verschiedenen Sinne spielt und spielen muss. Wir wollen nur noch einige wenige, mehr specielle Verschmelzungserscheinungen besprechen und zwar namentlich die Empfindungscomplexe, welche entstehen, wenn wir einen K\u00f6rper anf\u00fchlen, um zu pr\u00fcfen, ob er hart oder weich) glatt oder rauh u. s. w. ist. F\u00fcr\u2019s erste haben wir es in solchen F\u00e4llen unzweifelhaft mit einem ganzen Theile kleinerer Empfindungen oder Eindr\u00fccke zu thun, die theils gleichzeitig sind, theils einander, oft sehr schnell, abl\u00f6sen ; und zugleich treten diese Eindr\u00fccke eigentlich niemals sonst jeder f\u00fcr sich auf, sondern immer ein ganzer Theil im Verein, wenn auch in verschiedenen Verbindungen. Schon durch diese Verh\u00e4ltnisse wird die Analyse ja in hohem Grade erschwert. Hierzu aber kommt, dass das, was uns in diesen F\u00e4llen interessirt, gar nicht die Natur der Vorstellungen ist, sondern der Gegenstand, den wir anf\u00fchlen : ob er hart oder weich ist u. s. w. ; und um dies zu entscheiden, ist, gleichwie oben bei den Geschmacksvorstellungen, gar keine Analyse erforderlich: der Gesammteindruck wird uns sehr rasch die n\u00f6thige Aufkl\u00e4rung geben, und unsere Aufmerksamkeit wird dann sofort weiter fliegen: zu den \u00fcbrigen Eigenschaften des untersuchten Gegenstandes u. s. w.\nNahe verwandt mit den erw\u00e4hnten Ber\u00fchrungsvorstellungen sind auf dem Gebiete des Geh\u00f6rsinnes verschiedene Arten Ger\u00e4usch: das Rasseln eines Wagens, das Sausen des Windes u. s. w. Sonst muss \u00fcbrigens vom Geh\u00f6re gesagt werden, dass es dem Gesichte als ana-lysirender und erkennender Sinn am n\u00e4chsten steht. Jedoch wird die Analyse selten ganz ausgef\u00fchrt. W\u00e4hrend es z. B. sein Interesse haben kann, eine einzelne Stimme unter vielen wieder erkennen zu k\u00f6nnen, einen einzelnen Klang in einem Accorde h\u00f6ren, einem einzelnen Instrumente in einem Orchester folgen zu k\u00f6nnen, hat es weder praktische noch musikalische Bedeutung f\u00fcr uns, einen Klang","page":64},{"file":"p0065.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die \u00bbVerschmelzung\u00ab von Empfindungen, besonders bei Klangeindr\u00fccken. 65\nin seine einzelnen T\u00f6ne aufl\u00f6sen zu k\u00f6nnen. Da die Analyse hier au\u00dferdem meist dadurch erschwert wird, dass der Grundton hei weitem st\u00e4rker ist als die Obert\u00f6ne, so ist es nicht so auffallend, dass sie nur ausnahmsweise stattfindet.\nNach dem Vorhergehenden kann wohl kein Zweifel dar\u00fcber herrschen, dass sich auch die Verschmelzungen, die sich vorzugsweise als solche hervorgehoben finden, zum gro\u00dfen Theile von unseren allgemeinen psychologischen Voraussetzungen aus erkl\u00e4ren lassen. Auf der anderen Seite sind unsere Betrachtungen jedoch in so gro\u00dfer Allgemeinheit gehalten, dass wir aus ihnen nicht wissen k\u00f6nnen, ob sich die gegebene Erkl\u00e4rung in allen Einzelheiten durchf\u00fchren l\u00e4sst oder ob sich vielleicht bei genauerer Untersuchung zeigen sollte, dass einige von den Verschmelzungen wirklich besondere Hindernisse f\u00fcr die Analyse \u00fcber die hinaus darbieten, die wir sonst haben nach-weisen k\u00f6nnen. Und diese Frage l\u00e4sst sich selbstverst\u00e4ndlich \u00fcberhaupt nicht beantworten ohne eine Reihe sorgf\u00e4ltiger und genauer experimenteller Untersuchungen der verschiedenen Verschmelzungserscheinungen jeder f\u00fcr sich, Untersuchungen, die zum gr\u00f6\u00dften Theile noch gar nicht vorliegen oder doch nicht mit entscheidenden Resultaten, und auf die jetzt einzugehen uns auf jeden Fall viel zu weit f\u00fchren w\u00fcrde. Doch kann vielleicht blo\u00df bemerkt werden, dass wir Beispiele f\u00fcr Verschmelzungen mit besonderen Hindernissen f\u00fcr die Analyse in den Ber\u00fchrungsvorstellungen und Gesichtsvorstellungen haben, falls Wundt in seiner Auffassung dieser Vorstellungen (s. S. 6\u20148) Recht hat, und zugleich nach Stumpf\u2019s Meinung auf dem Gebiete der T\u00f6ne \u2014 wie wir es in dem Folgenden sehen werden.\nHier m\u00fcssen wir denn unsere allgemeine Untersuchung der Verschmelzung ahbrechen, deren Resultat wir in aller K\u00fcrze folgenderma\u00dfen darstellen k\u00f6nnen : es hat sich gezeigt, dass die Verschmelzung urspr\u00fcnglich die normale Erscheinungsform des Vorstellungsinhaltes ist, dass aber die Aufmerksamkeit ihre analysirende Wirksamkeit sofort beginnt und nach und nach theils diese Wirksamkeit auf mehr und mehr Vorstellungen erstreckt, theils den Verschmelzungsgrad bei den zusammengesetzten Vorstellungen und Vorstellungsmassen best\u00e4ndig vermindert. Indessen braucht die Aufmerksamkeit die Vorstellungen keineswegs in ihre einfachsten Theile aufzul\u00f6sen; sie kann wohl auf mehrere Reize auf einmal gerichtet werden, mehrere Ein-\nWundt, Philos. Studien. XY.\tx","page":65},{"file":"p0066.txt","language":"de","ocr_de":"66\nEjnar Buch. (Jeher die \u00bbVerschmelzung\u00ab von Empfindungen etc.\ndr\u00fccke in Einer Vorstellung zusammenfassen; au\u00dferdem wirken verschiedene Verh\u00e4ltnisse: das praktische Interesse, die H\u00e4ufigkeit und rasche Reihenfolge der Reize u. s. w., ganz im allgemeinen auf eine Begrenzung der Analyse hin; und es kann uns deshalb nicht wundem, dass wir auch in dem entwickelten Bewusstseinsleben so viele Verschmelzungserscheinungen treffen, deren Analyse gew\u00f6hnlich nicht stattfindet und zugleich verh\u00e4ltnism\u00e4\u00dfig schwer zu Stande kommt, wenn man sie endlich versucht.\nEs ist demnach festzuhalten, dass die Verschmelzung im Gro\u00dfen und Ganzen in allergenauestem Zusammenh\u00e4nge mit feststehenden seelischen Thatsachen und Gesetzen steht und in ihnen ihre Erkl\u00e4rung findet. Jedoch kann man auf der anderen Seite die M\u00f6glichkeit nicht in Abrede stellen, dass sich in einzelnen Punkten besondere Verh\u00e4ltnisse geltend machen, die von unseren gew\u00f6hnlichen psychologischen Voraussetzungen aus nicht verstanden werden k\u00f6nnen, wo wir also noch eine bejahende Antwort auf unsere Erage werden erhalten k\u00f6nnen: ist die Verschmelzung etwas f\u00fcr sich selbst, eine neue Erscheinung im Seelenleben? Auf diese Punkte muss sich darum die weitere Untersuchung der Verschmelzung vorzugsweise richten. Ein einzelner dieser Punkte ist es denn auch, den wir in dem folgenden Theile dieser Arbeit zum Gegenst\u00e4nde einer eingehenderen Pr\u00fcfung gemacht haben.\n(Schluss folgt.)","page":66}],"identifier":"lit4271","issued":"1900","language":"de","pages":"1-66","startpages":"1","title":"Ueber die \u201cVerschmelzung\u201c von Empfindungen, besonders bei Klangeindr\u00fccken: I. Stumpfs u. A. Darstellungen der \u201cVerschmelzung\u201c.","type":"Journal Article","volume":"15"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T12:39:06.789446+00:00"}