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{"created":"2022-01-31T14:27:24.385519+00:00","id":"lit4478","links":{},"metadata":{"alternative":"Philosophische Studien","contributors":[{"name":"Lange, Ludwig","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Philosophische Studien 20: 1-71","fulltext":[{"file":"p0001.txt","language":"de","ocr_de":"Das Inertialsystem vor dem Forum der Naturforschung.\nKritisches und Antikritisches.\nVon\nLudwig Lange.\n(T\u00fcbingen.)\nDer festliche Tag, der zur Herausgabe dieser Schrift Veranlassung gegeben, bietet mir willkommene Gelegenheit, nach jahrelangem Schweigen in philosophischen Dingen auf\u2019s Neue zur Feder zu greifen. Wohl wissend, dass zur Ehrung unseres Altmeisters das Beste gerade gut genug ist, h\u00e4tte ich gern an die Begr\u00fcndung einer neuen Idee meine Kr\u00e4fte gesetzt. Da jedoch neue, dauerhafte und keimf\u00e4hige Ideenfr\u00fcchte jeweilen nicht m\u00fchelos auf der Stra\u00dfe aufzulesen sind, so bitte ich den Leser, mit der im Nachfolgenden angestrebten Revision einer \u00e4lteren Lieblingsidee vorlieb nehmen zu wollen. Vielleicht erscheint die Wiederaufnahme des fallen gelassenen Fadens zur Gen\u00fcge gerechtfertigt, wenn ich erw\u00e4hne, dass er in den seit seiner Anspin-nung verflossenen sechzehn oder achtzehn Jahren von Seiten der Kritiker zu wiederholten Malen unter die Lupe genommen und auf seine Festigkeit untersucht worden ist. Mit den Urtheilen, die \u00fcber das Erzeugniss gef\u00e4llt worden sind, kann ich, alles in allem, recht wohl zufrieden sein. Nicht nur die Philosophie, sondern auch die Himmelskunde, Erdkunde, Mathematik und Physik haben, wenigstens in einigen ihrer Vertreter, meiner Theorie das Zeugniss ausgestellt, dass sie in Richtung auf die sicherere Grundlegung der Mechanik einen wesentlichen Fortschritt bedeute; und wenn ein wohlwollender Referent jenseits der Alpen es fertig gebracht hat, mich mit dem \u00bbceleber-nmo autore dell\u2019 istoria del materialismo\u00ab zu verwechseln, so kann mir dies in mehr als einer Hinsicht nur schmeichelhaft sein. Doch\nWundt, Philos. Studien. XX.\n1","page":1},{"file":"p0002.txt","language":"de","ocr_de":"2\nLudwig Lange.\nScherz bei Seite: ich hin \u00fcberaus erstaunt gewesen zu sehen, in welchem Ma\u00dfe meine Ideen, nachdem einer anf\u00e4nglichen recht g\u00fcnstigen Aufnahme eine betr\u00e4chtliche Pause geringerer Beachtung gefolgt war, gerade neuerdings wieder der Pr\u00fcfung unterworfen zu werden scheinen. Diese Wahrnehmung allein ist es auch gewesen, was mich ermuthigt hat, die verlassene Arbeit wieder aufzunehmen.\nDass \u00fcbrigens die Begriffsbildung des Inertialsystems noch keinen Eingang in den eisernen Bestand der physikalischen und astronomischen Compendien gefunden hat, wird denjenigen nicht im geringsten Wunder nehmen, der da wei\u00df, dass die Maurer am Bau der Wissenschaft zwar kein Bedenken tragen, mit oft \u00fcberraschender Schnelligkeit kleine, constructiv unwichtige Verzierungen, die ihnen zugereicht werden, in das wohlgef\u00fcgte Ganze einzugliedern, dass aber eine wohl-begr\u00fcndete Vorsicht ihnen verbietet, Grundpfeiler, seihst solche, deren Morschheit allgemein anerkannt ist, vorzeitig durch neue St\u00fctzen zu ersetzen, so lange diese nicht eine jahrzehntelange Pr\u00fcfung vor aller Augen erfolgreich bestanden haben.\nInwieweit sich die von mir bef\u00fcrworteten neuen Grundpfeiler der Bewegungslehre1) im Widerstreit der Kritiken als hinreichend gefestigt erwiesen haben, um an Stelle der alten Newton\u2019schen zu treten, dies ist die Frage, die im Folgenden, wenn auch aus dem Standpunkte einer oratio pro domo, so doch m\u00f6glichst sine ira et Studio beantwortet werden soll. Dass die Newton\u2019schen Grundpfeiler der Mechanik, soweit sie das Tr\u00e4gheitsgesetz und den von Newton zuerst in aller Sch\u00e4rfe aufgestellten Begriffsgegensatz der absoluten und relativen Bewegung angehen, in dieser Form nicht haltbar sind, wird gegenw\u00e4rtig nahezu einstimmig von allen Gelehrten anerkannt, welche sich \u00fcberhaupt die M\u00fche genommen haben, die Grundfragen der Mechanik einer selbst\u00e4ndigen Kritik zu unterziehen. Zu meiner Zeit waren au\u00dfer O. Neumann, E. Mach, H. Streintz, J. Thomson2) und mir selbst kaum irgendwelche Zeugen f\u00fcr jene Thatsache zu nennen, und es ist mir und Anderen wiederholt zugesto\u00dfen, dass man uns \u00fcber die Berechtigung der ganzen Problemstellung recht wenig schmeichelhafte m\u00fcndliche Urtheile zukommen lie\u00df. Heute ist die Reihe der Zeugen nachgerade um eine ganz stattliche Anzahl von Namen gewachsen: ich nenne nur W. Wundt (1886), H. Seeliger (1886, Astronomie), A. K\u00f6nig (1886, Physik), S. G\u00fcnther (1890, mathe-","page":2},{"file":"p0003.txt","language":"de","ocr_de":"Das Inertialsystem vor dem Forum der Naturforschung.\t3\nmathische Geographie), J. B. Stallo (1890), E. Budde (1890, Mathematik), G. Erege (1891, Mathematik), L. Weber (1891, Physik), J. G. Mac Gregor (1893, Physik), P. Johannesson (1896, P\u00e4dagogik), B. u. J. Friedl\u00e4nder (1896), A. H\u00f6fler (1900, Philosophie), H. Kleinpeter (1900) und A. Voss (1901, Mathematik), ohne damit die Liste ersch\u00f6pfen zu wollen3). Freilich, so gr\u00fcndlich, wie Mach und ich, m\u00f6chten nur wenige der genannten Forscher mit dem Absoluten aufger\u00e4umt wissen.\nDie Stellungnahme gegen die alte dogmatische Fundirung der Dynamik ist immerhin eine so allgemeine, dass die Fragestellung als solche einer Begr\u00fcndung nicht mehr zu bed\u00fcrfen scheint. Zu ihrer effectvollen Beleuchtung w\u00fcsste ich keine' besseren Anf\u00fchrungen zu machen, als die Bemerkung von H. Hertz4), \u00bbdass es\u00ab erfahrungsgem\u00e4\u00df \u00bbsehr schwer ist, gerade die Einleitung in die Mechanik denkenden Zuh\u00f6rern vorzutragen, ohne einige Verlegenheit, ohne das Gef\u00fchl, sich hier und da entschuldigen zu m\u00fcssen, ohne den Wunsch, recht schnell \u00fcber die Anf\u00e4nge hinweg zu gelangen\u00ab. Fast noch drastischer wirkt die Vorbemerkung des P\u00e4dagogen P. Johannesson, dass seine Arbeit \u00bbnicht aus blo\u00dfer Neugier, sondern aus den Verlegenheiten entstanden\u00ab sei, \u00bbin welche das Lehren der mechanischen Grundbegriffe\u00ab ihn \u00bbversetzt hat\u00ab. \u00bbZu Anfang lehrte ich \u00fcberzeugt, was ich gelernt hatte; dann kam ich zur\u00fcck von meiner Selbstgewissheit, irre gemacht durch eigene Zweifel, nicht selten besch\u00e4mt durch Sch\u00fclerfragen, auf welche mir die Antwort fehlte. Als Trost empfand ich, dass Andere gleich mir zu klagen hatten, dass gar erlauchte Geister eine Nachpr\u00fcfung der mechanischen Voraussetzungen f\u00fcr noting hielten\u00ab6).\nWenn es sich so verh\u00e4lt, so wird wohl Niemand bestreiten, dass ein kurzer Hinweis auf die sachlichen Ergebnisse der neueren Forschung in jedes Lehrbuch der Physik oder Mechanik geh\u00f6rt. Manche tiefer veranlagte Sch\u00fclernatur, und solcher gibt es nach dem \u00fcberaus werthvollen Zeugniss Johannes son\u2019s genug, wird vor vorzeitiger Verzweiflung einerseits und vor th\u00f6richter Uebersch\u00e4tzung der eigenen Kritik anderseits bewahrt bleiben, wenn sie auch nur andeutungsweise erf\u00e4hrt, eine wie rege Arbeit die neueren Kritiker den grundlegenden Fragen zugewendet haben, und wie gl\u00e4nzend der empirische Kern der Newt on\u2019sehen Grundlegung, ungeachtet der\n1*","page":3},{"file":"p0004.txt","language":"de","ocr_de":"4\nLudwig Lange.\nfadenscheinigen und \u00fcberfl\u00fcssigen dogmatischen H\u00fclle, die ihn annoch verschleiert, in aller Kritik bestanden hat.\nVielleicht wird es den einen oder anderen Leser \u00fcberraschen, dass ich den Namen P. Volkmann in der obigen Liste nicht aufgef\u00fchrt habe. Jedenfalls habe ich dieses Verhalten zu begr\u00fcnden, und thue das um so lieber, als die dadurch bedingte Auseinandersetzung f\u00fcr das Nachfolgende von grundlegender Bedeutung sein wird. In seinen einf\u00fchrenden Vorlesungen \u00fcber theoretische Physik und analytische Mechanik kommt n\u00e4mlich Volkmann sehr ausf\u00fchrlich auf die grundlegenden Fragen zu sprechen; hierbei redet er jedoch den alten New-ton\u2019schen Formulirungen auf\u2019s Nachdr\u00fccklichste das Wort und erkl\u00e4rt es u. a., unter Berufung auf L. Boltzmann, \u00bbf\u00fcr ein naives, d. h. des wissenschaftlichen Betriebes unkundiges Verlangen, Alles definiren zu wollen, Nichts undefinirt zu lassen\u00ab 6J. Er betont in diesem Zusammenhang, und auch anderw\u00e4rts, mit einem unbestreitbaren Schein des Hechtes den \u00bbwiederholten Kreislauf der Erkenntniss\u00ab und die \u00bbgegenseitige St\u00fctzung und r\u00fcckwirkende Versicherung der einzelnen Theile des Systems\u00ab7).\nDass man gewisse (undefinirt bleibende) Elementarbegriffe voraussetzen muss, um \u00fcberhaupt im Stande zu sein, Begriffe h\u00f6heren Banges zu definiren, ist zuzugeben und wird schwerlich von irgend Jemandem bestritten werden. Das Streben der Wissenschaft muss gleichwohl allzeit auf fortschreitende fundamentale Abrundung und Vertiefung des Begriffsgeb\u00e4udes gerichtet sein; und der Forscher auf diesem ebenso schwierigen als interessanten Gebiete darf sich auf keinen Fall eher beruhigen, ehe nicht die thats\u00e4chlich letzten Begriff sfundamente in m\u00f6glichst klares Licht gesetzt sind. Welches nun diese letzten Fundamente seien, dar\u00fcber k\u00f6nnen freilich die Ansichten manchmal auseinandergehen; doch wird mir jeder moderne Forscher beipflichten, dass wissenschaftliche Begriffe, welche als Elementar- oder Fundamentalbegriffe angesehen werden wollen, auf jeden Fall die Bedingung m\u00f6glichster Anschaulichkeit, Klarheit und Ein-i fachheit erf\u00fcllen m\u00fcssen. Die Newton\u2019schen Fundamentalbegriffe des \u00bbabsoluten Baumes\u00ab und der \u00bbabsoluten Zeit\u00ab erf\u00fcllen aber diese Bedingungen nicht; und das Becht, sie durch aufkl\u00e4rende Definitionen von dem ihnen anhaftenden metaphysischen Dunkel zu befreien, wird weder Volkmann noch Boltzmann den verschiedenen Gelehrten,","page":4},{"file":"p0005.txt","language":"de","ocr_de":"5\nDas Inertialsystem vor dem Forum der Naturforscnung.\ndie das dynamische Bezugssystem und die dynamische Zeitscala zum Gegenstand ihrer Nachforschung gemacht haben, abstreiten wollen. Beide Forscher werden ferner schwerlich in Abrede stellen, dass wohl Niemand auf Definitionen einen gr\u00f6\u00dferen grunds\u00e4tzlichen Werth gelegt hat, als der \u00bbdes wissenschaftlichen Betriebes\u00ab sehr wohl kundige Altmeister Newton, der bekanntlich seine beiden Hauptwerke, die \u00bbPrincipien\u00ab und die \u00bbOptik\u00ab mit je acht Definitionen er\u00f6ffnet.\nDas Epitheton \u00bbnaiv\u00ab, durch welches Volkmann das Streben nach m\u00f6glichst weitgehender definitorischer Sicherung des Begriffsgeb\u00e4udes herabzusetzen sucht, ist \u00fcbrigens in gewissem Sinne ein hoher Ehrentitel. Wenigstens befinde ich mich in erfreulicher Uebereinstimmung mit Mach, wenn ich betone, dass eine gewisse, geradezu klassisch zu nennende, Naivet\u00e4t wohl allen wahrhaft f\u00f6rdernden Geistern in allen Epochen der ^Vissenschaft gemeinsam gewesen ist. Dass \u00bbder wissenschaftliche Betrieb\u00ab, auf welchen sich Volkmann beruft, zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Schulen ein \u00fcberaus verschiedener ist, bezw. gewesen ist, mag nur kurz erw\u00e4hnt werden.\nIn der Geschichtsschreibung der Wissenschaft und vielleicht auch in einer Vorlesung f\u00fcr Anf\u00e4nger mag der Hinweis auf die \u00bbr\u00fcckwirkende Versicherung u. s. w.\u00ab allenfalls am Platze sein; im systematischen Aufbau der Wissenschaft angewandt, w\u00fcrde er lediglich zum Vorwand dienen, um wohlbegr\u00fcndeten Zweifeln mit eleganter, um nicht zu sagen frivoler Leichtfertigkeit aus dem Wege zu gehen. Um dies zu vollster Klarheit zu bringen, bedarf es nur noch der nachfolgenden Auseinandersetzung. Das physikalische Begriffssystem ist nach Volkmann \u00bbnicht etwa aufzufassen als ein System, welches nach Art eines Geb\u00e4udes von unten aufgef\u00fchrt wird, sondern als ein durch und durch gegenseitiges Bezugssystem, welches nach Art eines Gew\u00f6lbes oder eines Br\u00fcckenbogens aufgef\u00fchrt wird und fordert, dass ebenso die mannigfaltigsten Bezugnahmen auf k\u00fcnftige Resultate bis zu einem gewissen Grade von vornherein vorweggenommen werden m\u00fcssen, wie umgekehrt bei sp\u00e4teren Ausf\u00fchrungen die mannigfaltigsten Zur\u00fcckverweisungen auf fr\u00fchere Verf\u00fcgungen und Festsetzungen statthaben m\u00fcssen\u00ab8).\nBei solchen Gedankeng\u00e4ngen darf sich zeitenweise der Anf\u00e4nger, niemals aber der Forscher beruhigen. Denn, um im Bilde Volkmann\u2019s zu bleiben, so ist doch die Solidit\u00e4t eines Gew\u00f6lbes oder Br\u00fccken-","page":5},{"file":"p0006.txt","language":"de","ocr_de":"6\nLudwig Lange.\nbogens keineswegs eine innerliche, sie b\u00e4ngt vielmehr in entscheidender Weise von der Fundirung der Pfeiler ab. Eine von allem Anfang an sorgf\u00e4ltige Nachpr\u00fcfung dieser selbst und des Bodens, auf welchem sie stehen, bleibt somit keinem erspart, der ernsthaft nach Erkenntniss der Wahrheit strebt. Darum hat Hertz, trotz Allem, was Yolkmann im Vorwort gegen ihn anf\u00fchrt9), ganz recht, wenn er der von Newton inaugurirten Darstellung die Schuld an der Schwierigkeit beimisst, welche einem klaren Aufbau der M\u00e8chanik innewohnt; Hertz hat nur leider den Hauptmangel der Newton-schen Darstellung, die metaphysischen Dogmen des absoluten Baumes und der absoluten Zeit, uner\u00f6rtert gelassen und daher das einzige sicher wirkende Mittel, um die von ihm bedauerten Schwierigkeiten aus dem Wege zu schaffen, anzuwenden vers\u00e4umt10); es geht ihm in dieser Hinsicht um keinen Deut anders, als Lagrange, der in seiner analytischen Mechanik es f\u00fcr das r\u00e4thlichste hielt, die von Anderen (z. B. von Euler) mit gro\u00dfem Eifer discutirte Frage nach dem Bezugssystem des Tr\u00e4gheitsgesetzes \u00bbdurch Todtschweigen unsch\u00e4dlich zu machen\u00ab.\nDas, was an Volkmann\u2019s Hinweis auf die \u00bbr\u00fcckwirkende Versicherung der einzelnen Theile des Systems\u00ab richtig ist, findet sich der Hauptsache nach schon in der klassisch kurzen Aufforderung ausgesprochen, welche d\u2019Alembert einem allzu scrupul\u00f6sen Mathematik-studirenden zugerufen haben soll: \u00bbVorw\u00e4rts, mein Herr, vorw\u00e4rts! Die Ueberzeugung wird sp\u00e4ter kommen.\u00ab Der junge Ar ago fand, als er in \u00e4hnlichen Zweifeln befangen war, diesen erl\u00f6senden Spruch in einem Umschlag des G-arnier\u2019schen Lehrbuchs der Algebra angef\u00fchrt. Es ist aber zweierlei, ob man einem Anf\u00e4nger auf die Spr\u00fcnge helfen, oder eine Theorie der physikalischen Erkenntniss begr\u00fcnden will. Und da darf nun doch einmal mit Nachdruck gesagt werden, dass dem Hinweis auf die \u00bbgegenseitige St\u00fctzung und r\u00fcckwirkende Versicherung der einzelnen Theile des Systems\u00ab im logisch-systematischen Aufbau einer Wissenschaft, die auf mathematische Klarheit und Pr\u00e4cision Anspruch erhebt, alle und jede Berechtigung abgestritten werden muss.\nSoll ich noch weiter auf die Ausf\u00fchrungen Volkmann\u2019s ein-gehen, so sei vor allem festgestellt, dass dieser Autor das von Newton doch offenbar sehr wichtig genommene11) \u00bbScholium zu den","page":6},{"file":"p0007.txt","language":"de","ocr_de":"7\nDas Inertialsystem vor dem Forum der Naturforschung.\nDefinitionen\u00ab bei Erl\u00e4uterung der Definitionen selbst, d. h. an derjenigen Stelle, wo das Interesse an diesen Dingen den Gipfelpunkt erreicht, g\u00e4nzlich unbesprochen l\u00e4sst, und dass er bei den Er\u00f6rterungen \u00fcber das Newton\u2019sche Tr\u00e4gheitsgesetz die Frage des Bezugssystems mit keinem Wort ber\u00fchrt12). Das \u00bbScholium\u00ab \u00fcberhaupt in dem ganzen Buche unerw\u00e4hnt zu lassen, ging nicht gut an, und so finden wir an einer fr\u00fcheren Stelle13) die seiner Bedeutung ganz und gar nicht gerecht werdende Bemerkung : \u00bbNewton hat in erster Linie dazu beigetragen, die Galilei\u2019sche Mechanik in sich consequent auszugestalten; hierhin m\u00f6chte ich einen Theil der im Anschluss an seine Definitionen, mit denen er seine Principien beginnt, unter der Ueberschrift \u00bbScholium\u00ab gegebenen Auseinandersetzungen rechnen \u00fcber: Tempus absolutum vel relativum, Spatium absolutum vel rela-tivum . . .\u00ab In eine wirkliche kritische Er\u00f6rterung dieser Newton-schen Begriffe und in eine deutliche Erkl\u00e4rung, welchen Theil der Newton\u2019schen Darlegungen er als wesentlich und beibehaltenswerth ansieht, tritt Yolkmann auch hier gar nicht ein. Erst gegen den Schluss des Buches13) wird er ein wenig deutlicher: \u00bbAls die postulirenden Grundbegriffe des Newton\u2019schen Systems, die hier\u00ab (n\u00e4mlich in der Geophysik) \u00bbvon anderer Seite eine r\u00fcckwirkende Verfestigung finden, w\u00e4ren die Begriffe von der absoluten Orientirung in Baum und Zeit hervorzuheben. Wir sind nun einmal mit unseren Beobachtungen und Messungen auf die Erde angewiesen, und wir haben uns in Folge dessen zu vergegenw\u00e4rtigen, dass beim Auf- und Ausbau unseres wissenschaftlichen Systems gerade durch unseren geo-centrischen Standpunkt praktische Schwierigkeiten entstehen k\u00f6nnen. Es gibt\u00ab \u2014 Begr\u00fcndung dieser Behauptung fehlt \u2014 \u00bbkeinen anderen Weg, diese Schwierigkeiten zu \u00fcberwinden, als den durch unsere Theorien gegebenen, welche uns den absoluten Standpunkt anweisen, den praktisch einzunehmen uns ein f\u00fcr alle Mal versagt ist, dessen nothwendige Existenz wir aber ungeachtet uns vielleicht vorgeworfener metaphysischer Verd\u00e4chtigungen theoretisch postuliren m\u00fcssen.\u00ab Wie wohlthuend ber\u00fchrt nicht, verglichen mit diesen Ausf\u00fchrungen, das fast trocken vorgetragene, wenn auch dogmatisch ausgelegte Eimerexperiment des Altmeisters Isaac Newton!\nDas Eigenth\u00fcmlichste ist nun aber, dass Volkmann zwar sich von der \u00bbabsoluten Zeit\u00ab in der That nicht emancipirt hat14),","page":7},{"file":"p0008.txt","language":"de","ocr_de":"8\nLudwig Lange.\nhingegen sichtlich das Bed\u00fcrfnis empfindet, als \u00bb\u00fcbersinnliches Orien-tirungselement\u00ab, d. h. als Surrogat f\u00fcr den offenbar doch unheimlichen \u00bbabsoluten Raum\u00ab den Aether in die Betrachtung einzuf\u00fchren15). Darin liegt eine Inconsequenz, welche gleich mir wohl noch mancher Andere unbegreiflich finden wird, und welche in einem um so seltsameren Lichte erscheint, als Volkmann an einer anderen Stelle gegen Boltzmann schreibt: \u00bbJedenfalls m\u00f6chte ich eine vorzeitige Einf\u00fchrung der Atomistik in das System der Mechanik vermieden sehen\u00ab16). Der hierauf folgenden Begr\u00fcndung, der ich mich vollst\u00e4ndig anschlie\u00dfe, darf ich gewiss hinzuf\u00fcgen, dass die Einf\u00fchrung der Aetherhypothese in die systematische Grundlegung der Mechanik doch ebenso wenig geeignet ist, dieser \u00bbden vollkommen durchsichtigen euklidischen Charakter\u00ab zu bewahren, \u00bbden sie dank der Forschung eines Galilei und Newton erhalten hat.\u00ab Dass dem Aether eine begriffliche Hauptanforderung, die an das Bezugssystem zu stellen ist, n\u00e4mlich diejenige der Starrheit, ganz und gar nicht innewohnt, soll nur nebenbei erw\u00e4hnt werden. Auch discutirt Volkmann \u2014 offenbar in Anschluss an O. Lodge und Andere \u2014 ausdr\u00fccklich die M\u00f6glichkeit, dass der Aether an der Bewegung der Erde um die Sonne innerhalb der Erde oder auf ihrer Oberfl\u00e4che Theil nimmt18).\nSehr richtig ist folgende Bemerkung im Vorwort des Volkmann-schen Buches: \u00bbDarin scheint mir-\u2014naturwissenschaftlich betrachtet \u2014 der Mangel jener mathematischen Darstellungen der Mechanik seit Lagrange zu liegen, dass sie die in der Natur der Sache liegenden suhjectiven Elemente der Forschung ignoriren, . . .\u00ab,17) Sehr wahr, in der That! Wenn man \u00fcberall streng auseinanderhielte, was eine einfache Sache der Uebereinkunft, und was im Gegensatz dazu Ergehniss der Forschung ist, so w\u00fcrde der Wissenschaft mancher Irrweg erspart bleiben. Das \u00bbPrincip der particularen Determination\u00ab oder \u00bbpartiellen Convention\u00ab ist nun einmal die Grundlage jeder n\u00fcchternen Wissenschaftlichkeit auf denjenigen Erkenntnissgebieten, die von der Mathematik Anwendung machen18). Wohl keine Bezugnahme auf meine Darlegungen hat mich aufrichtiger gefreut, als die Anerkennung, welche E. Mach in der zweiten, dritten und vierten Auflage seiner \u00bbMechanik\u00ab der \u00bbdeutlichen Hervorhebung und der zweckm\u00e4\u00dfigen Bezeichnung des Princips der particul\u00e4ren Determination\u00ab hat zu Theil werden lassen18). Dass das Princip in seiner","page":8},{"file":"p0009.txt","language":"de","ocr_de":"Das Inertialsystem vor dem Forum der Naturforschung.\n9\nAnwendung nicht neu ist, gebe ich gern zu. Seiner Richtigkeit und Bedeutung d\u00fcrfte dieses mein Zugest\u00e4ndnis schwerlich irgend welchen Abbruch thun.\nZum Schluss dieser Polemik m\u00f6chte ich ausdr\u00fccklich hervorheben, dass ich, ebenso wie Mach, manchen sonstigen Ausf\u00fchrungen Volk-mann\u2019s, und insbesondere seiner Kritik der Hertz\u2019schen Formulirung des Tr\u00e4gheitssatzes19) vollkommen beistimmen kann. Trotz der gegenteiligen Behauptung Yolkmann\u2019s20) muss ich allerdings nach wie vor auf dem Standpunkt verharren, den mir nicht aus der Ueber-setzung, sondern aus der Urschrift wohlbekannten Verfasser der \u00bbmathematischen Principien der Naturphilosophie\u00ab auch fernerhin zu den gelegentlichen Metaphysikern zu z\u00e4hlen. F\u00fcr diesen Hang zum Mysteri\u00f6sen legen nicht nur die den letzten Lebensjahren des gro\u00dfen Briten entstammenden theologischen Schriften21), sondern auch das Scholium zu den Definitionen und die letzten drei Seiten der im Jahre 1713 erschienenen zweiten Auflage der \u00bbPrincipien\u00ab ein beredtes Zeugniss ab. Das aber ist das Bewunderungsw\u00fcrdigste an der Newton\u2019schen Grundlegung der Mechanik, dass sie, weit entfernt, von dem Sturz der Newton\u2019schen Mystik in ihren Grundfesten ersch\u00fcttert zu werden, mit unverminderter Kraft und Frische auf den Tr\u00fcmmern weiterbesteht. Wie Alles, hat auch diese Thatsache ihren guten Grund. Nicht Newton\u2019s metaphysische Postulate des absoluten Raumes und der absoluten Zeit sind das Unsterbliche an seiner Lebensarbeit, sondern der \u00fcber jede, auch, \u00fcber die erkenntnisstheoretisch verbr\u00e4mte Metaphysik hoch erhabene n\u00fcchtern-realistische Wahrheitskern seiner Grundlegungen, den auf Jahrhunderte hinaus so leicht keine Kritik aus dem Sattel heben wird. Diesen Wahrheits-kem bildet die durch das Zusammenwirken von Empirie und Rechnung tausendf\u00e4ltig best\u00e4tigte und bislang noch nie L\u00fcgen gestrafte Annahme, wonach es f\u00fcr sich selbst \u00fcberlassene Punkte in beliebig gro\u00dfer Anzahl zutrifft, dass ein System sich construiren l\u00e4sst, worin sie alle geradlinig fortschreiten; w\u00e4hrend f\u00fcr rein phoronomische Punktsysteme diese Constructionsm\u00f6glichkeit allgemein nur bis zur Dreizahl vorhanden ist. \u2014 \u2014\nWenn ich auf die Auseinandersetzungen Volkmann\u2019s so ausf\u00fchrlich und mit so ausgesprochen polemischer Tendenz eingegangen bin, so geschah dies aus dem Grunde, weil ich in dem genannten Autor","page":9},{"file":"p0010.txt","language":"de","ocr_de":"10\nLudwig Lange.\neinen der energischsten Vertreter einer erkenntnisstheoretischen Richtung sehe, die ungeachtet mancher aufkl\u00e4renden Bestrebung im einzelnen doch immer noch eine viel zu viel \u00bbtranscen dir ende\u00ab22) genannt zu werden verdient; und weil ich glaube, \u00fcberfl\u00fcssigen Tran-scendirungstendenzen in der Wissenschaft einen h\u00f6chst unheilvollen Einfluss auf die weitere Gesammtentwicklung der menschlichen Er-kenntniss zuschreiben zu m\u00fcssen. Aus* Nichts schmiedet ja der Ob-scurantismus bessere Waffen f\u00fcr sein Arsenal, als aus den transcen-denten Hypothesen der Wissenschaft, und n\u00e4chst den in der Sache selbst liegenden Gr\u00fcnden ist dieser Grund wohl am meisten f\u00fcr mich bestimmend, wenn ich mit aller Entschiedenheit einer Beschr\u00e4nkung des hypothetischen Elements in der Mechanik auf das \u00e4u\u00dferste, unentbehrliche Minimum das Wort rede. Gl\u00fccklicherweise z\u00e4hlt diejenige Gruppe der Wissenschaften, welcher A. Comte das Pr\u00e4dicat besonders hoher wissenschaftlicher \u00bbExactheit\u00ab einr\u00e4umen zu m\u00fcssen glaubte, \u2014 mit welchem Recht, bleibe hier uner\u00f6rtert \u2014 eine \u00fcberwiegende Mehrzahl von angesehenen Forschern, die den Volkmann\u2019schen Standpunkt hinsichtlich der Auffassung der mechanischen Principien nicht theilen. Dies gilt zum mindesten bei uns in Deutschland, wo, wie H. Kleinpeter in einer interessanten Programmschrift des weiteren ausf\u00fchrt, \u00fcberhaupt ein st\u00e4ndig wachsendes Interesse der Naturforscher an erkenntnisstheoretischen Fragen, und zugleich eine zunehmende Tendenz im aufkl\u00e4renden Sinne zu beobachten ist23).\nSo ist es denn auch kein Wunder, dass die gr\u00f6\u00dfte Zahl eingehenderer Arbeiten \u00fcber die Frage des dynamischen Bezugssystems deutschem Scharfsinn und Gelehrtenflei\u00df ihre Entstehung verdankt. N\u00e4chst den Deutschen haben die Engl\u00e4nder wohl am eifrigsten sich an der Discussion betheiligt. Wenn ich nun mit der Betrachtung der englischen Literatur der Gegenwart beginne, so geschieht dies nat\u00fcrlich nicht darum, weil ich sie der deutschen \u00fcberordnete. Die Landsleute eines Gauss, Humboldt, Helmholtz, Hertz u. A. haben gewiss nicht n\u00f6thig, \u00fcber den Kanal hin\u00fcberzuschielen und \u00e4ngstlich zu erw\u00e4gen, was die britischen Fachgenossen zu ihren Ansichten sagen werden. Lediglich der Umstand, dass es sich in der vorliegenden Abhandlung um eine Theorie handelt, welche, ungeachtet der genialen Vorarbeiten des Deutschen Kepler und des Italieners","page":10},{"file":"p0011.txt","language":"de","ocr_de":"11\nDas Inertialsystem vor dem Forum der Naturforschung.\nG-alilei, in ihrer Ausgestaltung wesentlich von Newton herr\u00fchrt, bestimmt mich, der englischen Litteratur den Yortritt zu lassen.\nDass die Engl\u00e4nder von dem Glanz ihrer Sterne am Himmelsdach der Westminsterabtei, zu denen bekanntlich auch Sir Isaac Newton z\u00e4hlt, h\u00f6chst ungern seihst nur ein Titelchen preisgehen m\u00f6gen, wird man hei dem angeborenen instinctiven Sinn dieser Nation f\u00fcr das geschichtlich Ueberlieferte, und hei ihrem weltbekannten Nationalstolz wenig verwunderlich finden. Es h\u00e4tte, angesichts der jenseits des Kanals in fundamental-mechanischen (wie in vielen anderen) Fragen im allgemeinen beliebten Gepflogenheit, die Ergebnisse festl\u00e4ndischer Forschung nach M\u00f6glichkeit unbeachtet zu lassen, nur geringen Werth, auf die von A. Yo ss erw\u00e4hnte Discussion des Bewegungshegriffes in der Zeitschrift \u00bbNature \u00ab hier ausf\u00fchrlich einzugehen24). Angeregt wurde diese Discussion durch zwei im Philosophical Magazine 1893 ver\u00f6ffentlichte, in den Wegen und Zielen des Erkenntnissstrebens stark divergirende Abhandlungen von 0. Lodge und J. G. Mac Gregor25), deren letztere zur gewissenhaften Ber\u00fccksichtigung kommen wird. Diese Arbeit verdient schon um deswillen allgemeine Beachtung, weil sie deutsche Gr\u00fcndlichkeit mit britischer Griffsicherheit in der gl\u00fccklichsten Weise vereinigt. Sie zeichnet sich freilich nicht durch die der Lodge\u2019sehen Abhandlung eigene naiv-selbstgewisse Diction\u2014^bekanntlich eine britische Nationaltugend, welche im Gesch\u00e4ftsleben als letzte Bl\u00fcthe die \u00bbbusinesslike smartness\u00ab zeitigt \u2014 aus; daf\u00fcr beweist sie aber eine in England nicht gew\u00f6hnliche Tiefgr\u00fcndigkeit der Forschung, und ist zugleich die einzige englische Arbeit, welche mit anerkennens-werther Objectivit\u00e4t die Ergebnisse deutscher Wissenschaft verwerthet. Aus allen diesen Gr\u00fcnden halte ich es im Interesse des deutschen Lesers, und nachdem mir die Genehmigung seitens des Verfassers mit dankenswerter Bereitwilligkeit ertheilt worden ist, f\u00fcr angemessen, eine sinngetreue Uebersetzung des ersten Viertels der Mac Greg or\u2019sehen Darlegungen folgen zu lassen.\nDoch zuvor noch einige wenige Worte \u00fcber die Discussion in \u00bbNature\u00ab. Greenhill, einer der Theilnehmer an dem Streit \u00fcber die \u00bbbehauptete Absolutheit der Rotationsbewegung\u00ab thut mir das trotz der Namen, in deren Nachbarschaft ich gerathe, h\u00f6chst zweifelhafte Vergn\u00fcgen an, mich mit Newton, Maxwell und Streintz zu den Verfechtern der absolutistischen Auffassung der Drehbewegung zu\n","page":11},{"file":"p0012.txt","language":"de","ocr_de":"12\nLudwig Lange.\nrechnen, und so seine Ansicht auf eine angebliche Behauptung von mir zu st\u00fctzen26). Bin solches Missverst\u00e4ndniss ist nur aus ungenauer Lecture meiner Arbeiten zu erkl\u00e4ren, und eingehender dar\u00fcber zu sprechen, darf ich mir daher wohl sparen. Strenger Relativist ist au\u00dfer Mac Gregor, der sich an dem Streit in \u00bbNature\u00ab gar nicht hetheiligt hat, vor allem A. E. H. Love. Er ist, wie wir weiter unten sehen werden, nicht der einzige Parteig\u00e4nger Mac Gregor\u2019s, steht aber auf dem Kampfplatz der \u00bbNature\u00ab leider ziemlich isolirt da. Seine cons\u00e9quente Verteidigung des vertretenen Standpunktes hat etwas sehr Sympathisches. Ihm gegen\u00fcber suchen Green-hill, Basset und O. J. Lodge den absolutistischen Standpunkt zu retten, w\u00e4hrend Gray vom p\u00e4dagogischen Standpunkte aus zwischen den Parteif\u00fchrern Mac Gregor und Lodge zu vermitteln sucht.\nMerkw\u00fcrdig ist, dass sich fast gleichzeitig mit dem Streit in \u00bbNature\u00ab ein ganz \u00e4hnlicher Meinungskampf in den \u00bbAnnales de la soci\u00e9t\u00e9 scientifique de Bruxelles\u00ab erhob; ein Kampf, der sich auch in eine Pariser Zeitschrift \u00fcbertrug und bis in das Jahr 1896 fortpflanzte. 27) N\u00e4heres dar\u00fcber mitzutheilen, fehlt mir gegenw\u00e4rtig der Raum. Es gen\u00fcgt hier wohl, zu erw\u00e4hnen, dass E. Vicaire zu den Verfechtern des Absolutismus geh\u00f6rt, w\u00e4hrend P. Mansion sich, soviel ich sehe, als consequenter Relativist gibt. Diese Discussion geht anscheinend ebenso, wie die in \u00bbNature\u00ab, auf die beiden Artikel im \u00bbPhilosophical Magazine\u00ab zur\u00fcck.\nHiermit wende ich mich zur Uebersetzung des Mac Gregor\u2019schen Aufsatzes, indem ich die Bemerkung vorausschicke, dass es f\u00fcr den nachdenklichen deutschen Leser eine k\u00fcrzere, klarere und zutreffendere Darlegung der Hauptseiten des Problems in der That kaum gehen kann.\nDer hier allein in Betracht kommende erste Abschnitt der Abhandlung, betitelt \u00bbDie Relativit\u00e4t des ersten und zweiten Bewegungsgesetzes\u00ab28), beginnt sogleich mit einer Antikritik gegen O. Lodge:\nProfessor Lodge missversteht vollst\u00e4ndig den Einwand, der in meiner . Adresse 29) gegen die \u00fcbliche Darstellung des ersten und zweiten Bewegungsgesetzes erhoben wurde, und der schon vorher von verschiedenen Schriftstellern zum Ausdruck gebracht worden war. Er stellt es so dar, als sei es der Einwand : \u00bbGleichf\u00f6rmige Bewegung ist unverst\u00e4ndlich oder sinnlos, sofern man nicht ihre Richtung und Geschwindigkeit mit Bezug auf eine Axengarnitur (set of axes) specificirt\u00ab, w\u00e4hrend doch der wahre Einwand der ist, dass die Gesetze selber in ihrer gebr\u00e4uchlichen Form unverst\u00e4ndlich sind, sofern nicht die Axen n\u00e4her angegeben werden, auf welohe die gleichf\u00f6rmige Bewegung oder Beschleunigung, von der sie","page":12},{"file":"p0013.txt","language":"de","ocr_de":"Das Inertialsystem vor dem Forum der Naturforschung.\n13\n.\t. , bezogen wird. Seine Kritik schie\u00dft daher nothwendig etwas weit vom\n7il vLbei S\u00b0ie kann folgenderma\u00dfen zusammengefasst werden: 1) \u00bbGleichf\u00f6rmige l eg ist vollkommen verst\u00e4ndlich; und deshalb ist im Ausspruch des ersten Geletzes eine Angabe \u00fcber das Axenkreuz durchaus entbehrlich.\u00ab 2) \u00bbZudem 2nd dte Schwierigkeiten, welche der Specificirung der Axen entgegenstehen,\na.\u00bb aiese Th~ ,ich g,nz .\u00ab4 g.r .ut di.V\u00ab-st\u00e4ndlichkeit der gleichf\u00f6rmigen Bewegung an und fur sich stutzt, und dass daher die Nothwendigkeit der Angabe von Axen im Falle des zweiten, oder des ersten Gesetzes in der Lodge\u2019sehen Fassung: \u00bbOhne Kraft kann es keine Beschleunigung der Materie geben\u00ab, nicht im mindesten davon ersch\u00fcttert wird. Denn in keinem von beiden F\u00e4llen wird auf \u00bbdie gleichf\u00f6rmige Bewegung\u00ab\nBeZUW\u00e4hZd12icht zugegeben werden kann, dass \u00bbsolche Begriffe wie Bezugsaxen f\u00fcr die Vorstellung der sogenannten gleichm\u00e4\u00dfigen Geschwindigkeit \u00fcberhaupt unn\u00f6thig seien\u00ab, - indem doch \u00bbgleichm\u00e4\u00dfig\u00ab eine solche Geschwindigkeit hei\u00dft, deren Gr\u00f6\u00dfe und Richtung bez\u00fcglich der zu ihrer n\u00e4heren Bestimmung angewandten Axen keine Ver\u00e4nderung erleiden, - ist es nichtsdestoweniger zutreffend dass die Bestimmung besonderer Axen zu diesem Zwecke nicht erforderheb ist. Indessen die Verst\u00e4ndlichkeit des ersten Gesetzes setzt mehr voraus, als die blo\u00dfe Vorstellung von dem, was mit Gleichf\u00f6rmigkeit der Geschwindigkeit gemeint ist. Denn dasselbe ist nicht eine blo\u00dfe Feststellung \u00fcber gleichf\u00f6rmige Geschwindigkeit als solche, sondern eine Behauptung des Inhaltes, dass ein Massentheilchen unter gegebenen Umst\u00e4nden eine gleichf\u00f6rmige Geschwindigkeit haben m\u00fcsse. Nun kann aber eine Geschwindigkeit, welche bez\u00fcglich einer Axengamitur gleichm\u00e4\u00dfig ist, in Hinsicht auf andere Garnituren ungleichm\u00e4\u00dfig sein. Es ist daher auf einmal klar, dass, wenn wir den gew\u00f6hnlichen Kraftbegriff anwenden, die von dem Gesetz aufgestellte Behauptung gar nicht f\u00fcr alle Axen gelten und folglich keinen bestimmten Sinn haben kann, es sei denn, dass man uns die Axen namhaft macht, in Bezug worauf jene Behauptung gemeint istao).\nVieles kann nat\u00fcrlich ohne n\u00e4here Bestimmung von Axen aus dem ersten und zweiten Gesetz hergeleitet werden. Die ganze dynamische Wissenschaft legt f\u00fcr diese Thatsache Zeugniss ab. Aber es sind, wie Streintz in dem oben genannten Werke gezeigt hat^1;, viele praktische Unzutr\u00e4glichkeiten und viele unn\u00f6thige Complicationen aus dem Gebrauch dieser Gesetze in ihrer unbestimmten Form hervorgegangen; und ich werde unten Gelegenheit haben, auf ein Paradoxon Bezug zu nehmen, n\u00e4mlich die (angebliche) Absolutheit der Drehbewegung ungeachtet der Relativit\u00e4t der Bewegung, welches Paradoxon seine L\u00f6sung erh\u00e4lt, sobald die Relativit\u00e4t jener Gesetze anerkannt wird.\nDie n\u00e4here Bestimmung von Axen, mit Bezug auf welche das erste und zweite Gesetz in Geltung stehen, oder m. a. W., von sogenannten dynamischen Bezugssystemen ist so keineswegs blo\u00df ein verfeinertes Bed\u00fcrfniss des pedantischen mathematischen Verstandes. Im Gegentheil, sie hilft einem empfindlichen Mangel ab. Dieser Mangel macht sich freilich bei Behandlung der einfachen Probleme der gew\u00f6hnlichen Schule nicht bemerklich. Denn die groben Experimente, welche in Elementarb\u00fcchem gew\u00f6hnlich als Ausgangspunkte der Gesetze angef\u00fchrt werden, lassen erkennen, dass deren Geltung als auf im Erdk\u00f6rper festgelegte Axen bezogen vorausgesetzt wird ; und diese stillschweigende Art der n\u00e4heren Bestimmung","page":13},{"file":"p0014.txt","language":"de","ocr_de":"14\nLudwig Lange.\nist vollkommen gen\u00fcgend, um z. B. die schiefe Ebene oder Bad und Welle zu besprechen. Sobald wir aber dazu \u00fcbergehen, die Probleme der theoretischen Astronomie zu behandeln, so leuchtet sofort ein, dass wir mit Bezug auf jene Axen eine G\u00fcltigkeit der Gesetze nicht annehmen d\u00fcrfen; und so dr\u00e4ngt sich unserer Beachtung die Frage auf: Mit Bezug auf welche Axen m\u00fcssen sie als g\u00fcltig betrachtet werden? Und diese Frage fordert, nachdem sie einmal gestellt ist, unbedingt eine Beantwortung. Der kritische Student, welcher bei seinen phoronomischen Studien (study of kinematics) gesehen hat, dass Geschwindigkeit und Beschleunigung relative Begriffe sind, wird durch Professor Lodge\u2019s \u00bbscheltende oder vielleicht h\u00f6fliche Epitheta\u00bb nicht \u00fcberzeugt werden, dass diese Begriffe ihre Belativit\u00e4t verlieren, sobald sie auf die Bewegung wirklicher K\u00f6rper angewandt werden.\nWenden wir uns nun zum zweiten Punkt der Kritik, so leuchtet ein, dass allerdings Demjenigen, welcher annimmt, es handele sich um die n\u00e4here Bestim-. mung von Axen, vermittelst deren die Gr\u00f6\u00dfe und Bichtung der Geschwindigkeiten in absoluter Weise sollen beschrieben werden k\u00f6nnen 32), die Schwierigkeiten der gestellten Aufgabe un\u00fcberwindlich scheinen m\u00fcssen33). In diesem Falle, erheben sich eben diejenigen Schwierigkeiten, welche der L\u00f6sung bei jeder unbegreiflichen Problemstellung innewohnen. Dass das gegenw\u00e4rtige Problem erst neuerdings in Angriff genommen worden ist, liegt gar nicht so sehr an seiner Schwierigkeit, als vielmehr an der Thatsache, dass die Nothwendigkeit seiner L\u00f6sung erst seit der vollen Erkenntniss von der relativen Wesenheit der Geschwindigkeit und Be. schleunigung (ob gleichf\u00f6rmig oder ver\u00e4nderlich) offenbar geworden ist. Dass gleichwohl Schwierigkeiten vorhanden sind, erhellt schon daraus, dass nur einige wenige von den angewandten Methoden gr\u00fcndlich zu sein scheinen, und dass eine Anzahl von Autoren das Problem zwar in Angriff genommen, es aber halb gel\u00f6st wieder verlassen haben34). Welcher Art jene Schwierigkeiten sind, kann am besten durch eine Skizzirung der Anstrengungen dasgethan werden, welche man zu ihrer Bew\u00e4ltigung gemacht hat.\nWie es scheint, kommen nur zwei legitime Wege zur Auffindung dynamischer Bezugssysteme in Betracht, n\u00e4mlich : 1) Nachpr\u00fcfung der Beobachtungsergebnisse, zu deren Ableitung die Bewegungsgesetze ausgesprochen wurden, und eventuell Neuformulirung dieser Gesetze. 2 Der Weg, dass man ausgeht von der Annahme, da einmal die Bewegungsgesetze in ihrer unbestimmten Form zum Ueber-fluss gepr\u00fcft worden sind von Leuten, die durch eine Art von dynamischem Instinct bef\u00e4higt waren, einen richtigen Gebrauch von ihnen zu machen, so m\u00fcssen wohl Axen vorhanden sein, in Bezug auf welche sie gelten; und dass man dann dazu \u00fcbergeht, diese Axen mit Hilfe der Gesetze selber zu bestimmen.\nDie erste, historisch-kritische Methode ist die von Professor Mach ange-wandte35). Er zeigt, wie Galilei die G\u00fcltigkeit des ersten Gesetzes hinsichtlich fester Punkte im Erdk\u00f6rper beobachtete, \u2014 eine G\u00fcltigkeit, welche f\u00fcr kurz dauernde und wenig ausgedehnte Bewegungen an der Erdoberfl\u00e4che zutrifft, \u2014 und wie Newton, als er das Gesetz auf K\u00f6rperbewegungen im Weltraum anzuwenden in die Lage kam, es verallgemeinerte durch den Nachweis, dass, soweit sich entscheiden lie\u00df, es f\u00fcr Planetenbewegungen in Bezug auf die weit abstehenden und allem Anschein nach relativ festen Himmelsk\u00f6rper in Geltung stand. Und er h\u00e4lt daf\u00fcr, dass das erste Gesetz, wenn sein r\u00e4umlicher Theil auf die Fixsterne, und sein zeitlicher Theil auf den \u00bbDrehungswinkel der Erde\u00ab bezogen","page":14},{"file":"p0015.txt","language":"de","ocr_de":"15\nDas Inertialsystem vor dem Dorum der Naturforschung.\n\u25a0 als eine hinreichend genaue Ann\u00e4herung f\u00fcr praktische Zwecke betrachtet \"erden darf- dass es m. e. W. eine Ann\u00e4herung darstellt, die vorl\u00e4ufig, d. h. so Cge nicht eine betr\u00e4chtliche Erweiterung unserer Erfahrung eintritt, nicht \u00fcber-\ntroffen werden k\u00f6nne.\nMir scheint aber, dass die historisch-kritische Methode uns bereits \u00fcber diesen Standpunkt hinausf\u00fchren d\u00fcrfte. Denn wir wissen jetzt, dass die sogenannten Fixsterne gar keine festen Sterne sind; und es sind Mittel ersonnen worden zur Berichtigung von Beobachtungen, die in jener Annahme gemacht worden waren. Wir wissen ebenso, dass die Bewegungsgesetze nicht gelten, soweit man sie auf eine durch den Drehungswinkel der Erde bestimmte Zeitscala bezieht' und eine rohe Correction zum Anbringen an dieser Zeitscala im Falle zeitlich\u2019lang ausgedehnter periodischer Bewegungen ist bestimmt worden. Deshalb darf das erste Gesetz in derjenigen Ausdrucksweise, die auf die Fixsterne und die Erddrehung Bezug nimmt, nicht l\u00e4nger als ein f\u00fcr alle Zwecke hinreichend genaues angesehen werden; und der genaue Ausdruck des Gesetzes, so wie dasselbe empirisch bestimmt und bei der wirklichen Arbeit angewandt wird, \u00e4ndert sich von Tag zu Tag, oder wenigstens von Jahrzehnt zu Jahrzehnt. Es erhebt sich daher die Frage: K\u00f6nnen wir die Bewegungsgesetze nicht vielleicht in derartige allgemeine Formen bringen, dass die empirischen Formen, die sie zu \u2019 irgend einer Zeit haben m\u00f6gen, als besondere F\u00e4lle betrachtet werden k\u00f6nnen, die durch den besonderen Stand der derzeitigen (astronomischen) Erkenntniss be-\ndingt werden?\nDie zweite der oben genannten Methoden 36) ist dazu bestimmt, Gesetze von jener Art zu liefern. Man kann sagen, dass Professor J. Thomson sie angewandt hat, als er zeigte, wie auf Grund beobachteter successiver .Relativpositionen von als geradlinig bewegt gegebenen Massentheilchen die Axen, in Bezug auf welche die Bahnen derselben geradlinig sind, geometrisch bestimmt werden k\u00f6nnen\u00ab). Ebenso kann man sagen, dass W. Thomson u. Tait sie in Anwendung bringen, wenn sie auf Grund einer Ableitung aus dem ersten Gesetz zeigen, wie wir uns die Gewinnung \u00bbfester Bezugsrichtungen\u00ab denken k\u00f6nnen38). Aber diese Autoren machen keinen Versuch, eine formale Bestimmung eines dynamischen Bezugs-systemes zu geben.\nLange wandte diese n\u00e4mliche Methode in der oben angef\u00fchrten Abhandlung an 39), indem er seinen Vorschlag zur n\u00e4heren Bestimmung auf ein rein phoro-nomisches (kinematical) Ergebniss gr\u00fcndete, n\u00e4mlich, dass f\u00fcr drei oder weniger als drei Punkte, die relativ zu einander in ganz beliebiger Distanz\u00e4nderung begriffen sind, sich stets ein Coordinatensystem, ja sogar eine unendliche Anzahl solcher Systeme finden l\u00e4sst, in Bezug auf welche diese Punkte geradlinige Bahnen haben werden, w\u00e4hrend f\u00fcr mehr als drei solche Punkte dies nur unter besonderen Umst\u00e4nden m\u00f6glich ist. Es folgt daraus, dass das Gesetz von der Gleichf\u00f6rmigkeit der Bewegungsrichtung unbeeinflusster Massentheilchen f\u00fcr drei solche Theilchen eine blosse Uebereinkunft darstellt, und dass es nur insoweit Erfahrungs-ergebniss ist, als es f\u00fcr mehr als drei Massentheilchen in Bezug auf ein und dasselbe System zutrifft. Von dieser Erw\u00e4gung ausgehend kann gerade so, wie die dynamische Zeitscala als eine solche Zeitscala definirt wird, bez\u00fcglich welcher ein unbeeinflusstes Massentheilchen gleichf\u00f6rmig fortschreitet, das dynamische Bezugssystem als ein solches System definirt werden, in Bezug auf welches drei unbeeinflusste Theilchen auf geradlinigen Bahnen dahinschreiten. Indem Lange diese","page":15},{"file":"p0016.txt","language":"de","ocr_de":"16\nLudwig Lange.\nBetrachtungen zu Ende verfolgt, schl\u00e4gt er schlie\u00dflich vor, das erste Gesetz in der folgenden Form auszusprechen: \u00bb.Relativ zu irgend einem Coordinatensystem, in Bezug auf welches drei (gleichzeitig) vom selben Raumpunkt ausgeschleuderte und sodann unbeeinflusst gelassene Massentheilchen, die jedoch nicht in einer Geraden liegen, drei beliebige in einem Punkt zusammenlaufende geradlinige Bahnen beschreiben (die Ooordinatenaxen zum Beispiel), \u2014 relativ zu einem solchen Coordinatensystem wird die Bahn auch jedes vierten unbeeinflussten Punktes geradlinig sein. Und relativ zu irgend einer Zeitscala, in Bezug auf welche ein unbeeinflusstes Theilchen hinsichtlich der oben bezeichneten Axen gleichf\u00f6rmig fortschreitet, wird auch jedes andere unbeeinflusste Massentheilchen m gleichf\u00f6rmigem Fortschritt bewegt sein, sofern seine Bewegung auf dieselben Axen bezogen wird.\nDie gleiche Methode war es auch, welche ich \u2014 ohne noch auf Lange\u2019s Abhandlung gesto\u00dfen zu sein \u2014 in meiner \u00bbAdresse\u00ab anwandte, indem ich zu dem Schluss gelangte, dass die beiden ersten Gesetze Geltung haben relativ zu irgend einem unbeeinflussten Theilchen als Coordinatenursprung (point of reference), und zu geraden Linien, welche von diesem Theilchen zu anderen unbeeinflussten Massentheilchen von gleicher Geschwindigkeit, wie das erste, gezogen werden, als Bezugsaxen. Ich zeigte ferner, wie daraus folgt, dass bei Behandlung gew\u00f6hnlicher Bewegungsprobleme an der Erdoberfl\u00e4che ein im Erdk\u00f6rper festgelegtes Axensystem praktisch als dynamisches Bezugssystem dienen kann40).\nIm Hinblick auf alle derartigen Methoden der Axenbestimmung fragt Professor Lodge: \u00bbWie k\u00f6nnen wir die Wurfbahnen unbeeinflusster Theilchen als Axen nutzbar machen, ohne fortw\u00e4hrend stillschweigend das erste Gesetz anzunehmen?\u00ab \u2014 Eine Kritik in Form einer ungenauen Frage ist, weil unbestimmt, schwer zu treffen. Wenn die Verwendung solcher Wurfbahnen zur Axenbestimmung wirklich das erste Gesetz bei seiner eigenen Formulirung bereits voraussetzte, so m\u00fcsste es doch leicht sein genau anzugeben, an welcher Stelle diese Voraussetzung gemacht zu werden scheine; und eine bestimmte Kritik dieser Art k\u00f6nnte sogleich \u00bbbei den H\u00f6rnern gepackt\u00ab (met) werden. Indessen, aus dem Zusammenhang zu schlie\u00dfen, ist die Frage wahrscheinlich eingegeben von der missverst\u00e4ndlichen Auffassung, als ob die Anwendung solcher Wurfbahnen die Annahme ihrer Geradlinigkeit im absoluten Raume voraussetze, \u2014 eine Auffassung, die unmittelbar aus dem Glauben entspringt, als ob das Ziel der Axenbestimmung die Beschreibung von Geschwindigkeiten in absolutem Sinne sei. Die Absicht bei der Axenbestimmung ist aber in Wahrheit durchaus nicht darauf gerichtet, \u00bbdas Unm\u00f6gliche zu versuchen.\u00ab Und wenn die Bahnen unbeeinflusster Theilchen als Axen, oder zur n\u00e4heren Bestimmung von Axen benutzt werden, so wird keinerlei Voraussetzung in Bezug auf ihre \u00bbForm an sich\u00ab gemacht. Dabei wird vielmehr ausdr\u00fccklich anerkannt, dass man ihnen gar keine bestimmte Form zuschreiben kann, es sei denn mit Beziehung auf andere Axen; und dass man ihnen durch Ver\u00e4nderung der Axen, bez\u00fcglich deren ihre Formen n\u00e4her bestimmt werden, eine unendliche Anzahl von Formen ertheilen kann. Und da \u00fcber ihre \u00bbForm an sich\u00ab keine Annahme gemacht wird, schlie\u00dft ihre Anwendung durchaus keine Voraussetzung des ersten Gesetzes ein.\nWir werden ferner gefragt, wie wir uns in Hinsicht solcher Axen auf die Erfahrung des Menschengeschlechtes berufen k\u00f6nnen44). Da muss allerdings zugegeben werden, dass eine unmittelbare Berufung nicht m\u00f6glich ist. Die","page":16},{"file":"p0017.txt","language":"de","ocr_de":"Das Inertialsystem vor dem Forum der Naturforschung.\n17\neinzigen zu einer solchen unmittelbaren Berufung geeigneten dynamischen Vorg\u00e4nge sind solche, welche den engen Bereich des Experimentes nicht \u00fcberschreiten. Wenn wir von der Besprechung der K\u00f6rperbewegung an der Erdoberfl\u00e4che zu der Bewegung von K\u00f6rpern im Weltraum \u00fcbergehen, so treten wir in Regionen ein, die au\u00dferhalb unserer directen Erfahrung liegen ; und wenn das Menschengeschlecht an solchen Dingen ein Interesse nimmt, so muss es lernen, dass die von den Naturforschern behufs Anordnung der dynamischen Erscheinungen allgemein gemachten hypothetischen Annahmen einzig nach der Genauigkeit derjenigen Ableitungen beurtheilt werden d\u00fcrfen, welche aus ihnen flie\u00dfen.\nM\u00f6glicherweise denkt Professor Lodge nicht so sehr an das Menschengeschlecht im allgemeinen, als an das Geschlecht junger Studenten. Und es ist sofort klar, dass ein Ausspruch des ersten Gesetzes, wie ihn z. B. Lange vorschl\u00e4gt, zum Gebrauch in Elementarb\u00fcchem oder vor einer Classe von Anf\u00e4ngern nicht passend ist*2). Aber Niemand hat auch den Vorschlag gemacht, ihn in einem dieser beiden F\u00e4lle anzuwenden. Das Ziel der Schriftsteller, welche eine L\u00f6sung des in Rede stehenden Problems versucht haben, ist ein logisches, und kein p\u00e4dagogisches gewesen. Der Anf\u00e4nger hat nur mit einfachen K\u00f6rperbewegungen an der Erdoberfl\u00e4che zu schaffen. Er wird von seiner eigenen Erfahrung angeleitet, zu sehen, dass in Bezug auf im Erdk\u00f6rper festgelegte Axen (sagen wir : die Nord-S\u00fcd-, Ost-West- und Nadir-Zenithaxe seines Beobachtungsplatzes) die beiden ersten Gesetze f\u00fcr solche einfachen Bewegungen in Geltung stehen. Alles, was auf dieser Stufe n\u00f6thig ist, ist einzig das, klar zu machen, dass die in solchen F\u00e4llen gefundene G\u00fcltigkeit der Gesetze durchaus an die Bezugnahme auf derartige Axen gebunden ist. Wenn er dann weiterhin zu solchen Aufgaben gelangt, wie es diejenigen der theoretischen Astronomie sind, so wird er sogleich sehen, dass die Bewegungsgesetze so, wie sie zuerst ausgesprochen wurden, ungen\u00fcgend sind und einer Verallgemeinerung bed\u00fcrfen. Und um diese Zeit wird er gelernt haben, dass Axiome nicht darnach anzunehmen oder zu verwerfen sind, ob sie unmittelbar auf seine eigene Erfahrung sich berufen oder nicht berufen, sondern darnach, ob die aus ihnen flie\u00dfenden Ableitungen die Probe der Beobachtung bestehen, oder nicht bestehen.\nMach\u2019s Einwand gegen solche Arten der Axenbestimmung, wie es die soeben betrachteten sind, ist der Sache angemessener\u00ab). W\u00e4hrend er zugibt, dass das erste Gesetz mit ihrer H\u00fclfe genau ausgedr\u00fcckt werden kann, vertritt er doch die Ansicht, dass wir bei ihrem Gebrauch nur scheinbar eine Beziehung der Bewegung auf die Fixsterne und die Erdrotation vermeiden. Es ist auch gar kein Zweifel: bei der praktischen Beobachtung von Bewegungen an der Erdoberfl\u00e4che oder im Weltr\u00e4ume m\u00fcssen wir unmittelbar immer noch irgendwelche im Erdk\u00f6rper feste Punkte, bezw. die Fixsterne, als Bezugssysteme, und die Erddrehung als Grundlage unserer Zeitscala benutzen, wobei wir aber an den rohen Beobachtungen, sofern n\u00f6thig, die etwa schon ermittelten Correctionen anbringen. Und da geben nun gerade in ihrer oben gew\u00e4hlten Ausdrucksweise beide Gesetze eine theoretische Rechtfertigung dieser Ma\u00dfregel und zeigen den Weg an, wie ie Genauigkeit der nothwendigen Correctionen nach und nach erh\u00f6ht werden ann. Sofern die Bewegungsgesetze in der angef\u00fchrten Form zur Annahme geangen, kann ja sogleich gezeigt werden, dass unter den Umst\u00e4nden, in welchen wn uns befinden, n\u00e4mlich allerseits von gewaltig weit entfernten K\u00f6rpern um-en, welche sich mit Geschwindigkeiten von anscheinend der gleichen Gr\u00f6\u00dfen-Wandt, Philos. Studien. XX.\t0","page":17},{"file":"p0018.txt","language":"de","ocr_de":"18\nLudwig Lange.\nOrdnung wie die unserige bewegen, es ang\u00e4ngig ist, eben diese K\u00f6rper als ein robes Bezugssystem zu verwenden; dass weiterhin die Erde, so wie sie aufgebaut und gelegen ist, mit einer grob gemessen gleichf\u00f6rmigen Winkelgeschwindigkeit in Bezug auf jene K\u00f6rper in Drehung begriffen sein muss; und endlich, dass uns eben darum f\u00fcr die meisten praktischen Zwecke das Recht zusteht, die Fixsterne als Bezugssystem und die Erdumdrehung als Zeitscala zu benutzen. Ja noch mehr, mit jener Annahme wird es offenbar, dass die Correctionen, welche an den rohen, bez\u00fcglich dieses Raumsystemes und bez\u00fcglich dieser Zeitscala gemachten Beobachtungen anzubringen sind, in demselben Ma\u00dfe genauer bekannt werden m\u00fcssen, als wir eine vermehrte Kenntniss von den Fixstembewegungen und von den Massen und Bewegungen der einzelnen Glieder des Sonnensystems erlangen. So hat jene Art und Weise, das Princip der Relativit\u00e4t in den Bewegungsgesetzen zum Ausdruck zu bringen, \u00fcber die eben erw\u00e4hnten Yorz\u00fcge hinaus noch den Vortheil, welchen Mach f\u00fcr seine Formulirung in Anspruch nimmt, n\u00e4mlich, dass ihre Tendenz dahin geht, den Fortschritt der Wissenschaft anzuspomen\u00ab).\nEs kann sich nat\u00fcrlich herausstellen, dass die der obigen Methode zu Grunde liegende Voraussetzung unhaltbar ist, d. h. dass es in Wirklichkeit gar keine Axen gibt, in Bezug auf welche Newton\u2019s Gesetze (in mathematischer Strenge) gelten. In diesem Falle werden eben andere Axiome formulirt werden m\u00fcssen. Einstweilen aber kann man doch sagen, dass die obige allgemeine Form der Gesetze uns, zum mindesten dem begrifflichen Inhalte nach (qualitatively), nicht allein den empirischen Ausdruck, den sie zur Zeit haben, als besonderen Fall an die Hand gibt, sondern dass sie auch \u00fcber die fr\u00fcheren empirischen Ausdrucksformen Rechenschaft ablegt und die Richtung anweist, nach welcher hin wir arbeiten m\u00fcssen, damit sie in Zukunft verbessert werden k\u00f6nnen.\nDer erste Abschnitt von Mac Gregor\u2019s Arbeit schlie\u00dft mit einer vollkommen zutreffenden Kritik der hier und da (selbst in der gegenw\u00e4rtigen Literatur) auftretenden, namentlich von Streintz verfochtenen irrigen Behauptung, als sei es m\u00f6glich, \u00bbabsolut feste\u00ab Richtungen im Raum experimentell festzustellen. Da ich in meinem \u00bbBewegungsbegriff\u00ab diesen Irrthum eingehend widerlegt habe, begn\u00fcge ich mich, folgende Stelle aus einer Anmerkung Mac Gregor\u2019s zu citiren, welche deutlich erkennen l\u00e4sst, ein wie consequenter Relativist dieser Autor ist.\nIn Bezug auf im Erdk\u00f6rper festgelegte Axen drehen sich die Fixsterne um die Polverbindungslinie der Erde um, wohingegen in Bezug auf ein an die Fixsterne angeheftetes Axenkreuz die Erde das sich umdrehende ist. Welches ist nun die wirkliche Bewegung? Antwort: beide Bewegungen sind wirklich, so wirklich, als \u00fcberhaupt irgendwelche Bewegungen sein k\u00f6nnen. Der Versuch von Foucault und andere \u00e4hnliche Versuche werden allerdings als Beweise daf\u00fcr angesehen, dass es die Erde sei, was sich in Wirklichkeit umdrehe. Zufolge dein. Obigen beweisen sie hierf\u00fcr ganz und gar nichts; sie beweisen lediglich, dass ifi Hinsicht auf ein dynamisches Bezugssystem die Erde und nicht der Fixsterncomplex in Umdrehung befindlich ist. Eine Bewegung, welche in Bezug auf ein solches System n\u00e4her bestimmt ist, hat nichts wirklicheres, als eine in anderer Weise","page":18},{"file":"p0019.txt","language":"de","ocr_de":"Das Inertialsystem vor dem Forum der Naturforschung.\n19\nspecificirte. Wohl aber finden wir, wenn die Bewegung in solcher Weise n\u00e4her bestimmt wird, dass wir unsere dynamische Erfahrung vermittelst einfacherer Formeln wiedergehen k\u00f6nnen, als es m\u00f6glich ist, wenn wir die Bewegung auf andere Weise specificiren. Und so lassen wir uns zu der Anschauungsweise verleiten, als sei eine auf solche Weise n\u00e4her bestimmte Bewegung eine \u00bbwirkliche Bewegung\u00ab xa-c\u2019 i\u2019ioyyi'). (. . . we come to regard ... as being real)45).\nHiermit beschlie\u00dfe ich die Anf\u00fchrungen aus Mac Gregor\u2019s Abhandlung. Ich w\u00fcsste nicht, was ich seinen, wie mir scheint, sehr objectiven Darlegungen weiter hinzuf\u00fcgen sollte, und enthalte mich, da es lediglich auf die Sache ankommt, auch des Nachweises im einzelnen, dass die meisten von Mac Gregor hervorgehobenen Gesichtspunkte in ganz \u00e4hnlicher Weise bereits in meinen Schriften betont worden sind. O. Lodge hat gegen die Mac Gregor\u2019schen Widerlegungen anscheinend nichts einzuwenden gewusst; wenigstens finde ich im \u00bbPhilosophical Magazine\u00ab- erst 1898 wieder eine mit unserem Problem in loserer Verbindung stehende Arbeit aus seiner Feder, und in dieser nichts zur Sache geh\u00f6riges, abgesehen von der dem Geist echter Empirie innerhalb der Fundamente nicht angemessenen Bezugnahme auf den Aether46). F\u00fcr den unparteiischen Zuschauer liegt der Sieg unzweifelhaft auf der Seite Mac Gregor\u2019s.\nNebens\u00e4chlich scheint es mir zu sein, ob man den von Mac Gregor vorgeschlagenen Ausdruck \u00bbdynamische Bezugssysteme\u00ab oder den von mir vorgeschlagenen \u00bbInertialsysteme\u00ab verwendet. Der letztere scheint mir lediglich wegen seiner K\u00fcrze, seiner internationalen Verwendbarkeit (syst\u00e8me inertiel, inertial system, sistema inerziale, imcpunuiL-Haa cucTeMa [russ.j ) und der Zusammensetzbarkeit seines ersten Bestandteiles besonders empfehlenswerth. Es ist, glaube ich, nicht ohne Werth, kurz und aufkl\u00e4rend zu gleicher Zeit von \u00bbbarycentrischen Inertialbahnen\u00ab oder \u00bbInertialbeschleunigungen\u00ab reden zu k\u00f6nnen. Doch steht die Entscheidung \u00fcber einen nomenclatorischen Wettbewerb dieser Art meiner Ansicht nach nicht dem einzelnen Autor, sondern nur den einschl\u00e4gigen Commissionen etwaiger Fachgenossentage zu.\nDamit \u00fcbrigens der Leser dieser Abhandlung nicht glaubt, Mac Gregor und Love seien die einzigen Itelativisten innerhalb der englischen Literatur, so will ich noch kurz auf die sehr beachtenswerten B\u00fccher von K. Pearson und von J. B. Stallo verweisen, welche, anscheinend ohne meine Arbeiten zu kennen, sich consequent\n2*","page":19},{"file":"p0020.txt","language":"de","ocr_de":"20\nLudwig Lange.\nzur relativistischen Auffassung aller Bewegungen, auch der drehenden Bewegung bekennen47). Ich theile vollst\u00e4ndig Mach\u2019s Ansicht, dass das von H. Kleinpeter \u00fcbersetzte Buch des geborenen Deutsch-Oldenburgers, sp\u00e4teren amerikanischen B\u00fcrgers und amerikanischen Gesandten in Bom, J. B. Stallo, zu den vortrefflichsten literarischen Erscheinungen der letzten Jahrzehnte des verflossenen Jahrhunderts zu rechnen ist. Den Philosophen d\u00fcrfte besonders die Art und Weise interessiren, wie Stallo den fr\u00fcher von ihm selbst innegehabten Hegel\u2019schen Standpunkt \u00fcberwindet. Kleinpeter sagt in seiner Prossnitzer Programmschrift kurz und zutreffend: \u00bbDie Bedeutung der Stallo\u2019schen Kritik ist nach zwei Seiten hin eine tiefgreifende: indem Jsie den Nachweis von dem Vorhandensein metaphysischer Elemente in der modernen Naturwissenschaft f\u00fchrt und die verh\u00e4ngnissvollen Folgen dieser wenig bekannten Thatsache enth\u00fcllt, trifft sie doppelt: die Physik in ihrer heutigen Gestaltung gerade so wie die zahlreichen metaphysischen Systeme der Vergangenheit und Gegenwart, und beide in gleich entscheidender Weise\u00ab48).\nAls Bundesgenosse gegen\u00fcber dem Absolutismus erscheint mir ferner beachtenswerth der amerikanische Astronom S. Newcomb, Verfasser eines der besten popul\u00e4ren Handb\u00fccher der Himmelskunde. Newcomb hat n\u00e4mlich 1889 in einer kurzen Notiz darauf hingewiesen, dass die Ausdr\u00fccke \u00bbEnergie\u00ab und \u00bbArbeit\u00ab keinen bestimmten Sinn haben, solange nicht das Bezugssystem der Bewegung namhaft gemacht wird. Auf die gleiche Thatsache hatte ich bereits 1886 im \u00bbBewegungsbegriff\u00ab aufmerksam gemacht, wie es allerdings scheint, ohne viel Beachtung zu finden49). Da ich auf dieses Thema weiter unten50) zur\u00fcckkomme, brauche ich hier in keine Er\u00f6rterungen dar\u00fcber einzutreten. Auf einige weitere, in mehr oder minder naher Beziehung zu unserer Hauptfrage stehende Arbeiten englisch oder franz\u00f6sisch schreibender Autoren, die mir nur dem Titel nach bekannt geworden sind, kann ich f\u00fcr dieses Mal \u00fcberhaupt nicht weiter ein-gehen51).\nHiermit kehre ich zu den Vertretern der deutschen naturwissenschaftlichen Forschung zur\u00fcck. Welche Stellung gerade die N atur-forschung unserer Tage zu dem Problem des dynamischen Bezugs-systemes einnimmt, dies nachzuweisen, ist ja nach dem Titel die Hauptaufgabe des vorliegenden Aufsatzes. Von dem, was die Philosophie","page":20},{"file":"p0021.txt","language":"de","ocr_de":"Das Inertialsystem vor dem Dorum der Naturforschung.\t21\ndazu sagt, hoffe ich sp\u00e4ter an einem anderen Orte Bericht erstatten zu k\u00f6nnen. Die Reihenfolge der Betrachtung wird der Hauptsache nach eine chronologische sein, und nur in wenigen F\u00e4llen soll aus Zweckm\u00e4\u00dfigkeitsgr\u00fcnden von dieser Anordnung abgewichen werden.\nEine der r\u00fcckhaltlosesten Anerkennungen, die der Begriffsbestimmung des Inertialsystemes \u00fcberhaupt widerfahren sind, ist diejenige von Seiten des Astronomen H. Seeliger3). In einer recht ausf\u00fchrlichen Besprechung innerhalb der \u00bbLiterarischen Anzeigen\u00ab der \u00bbVierteljahrsschrift der Astronomischen Gesellschaft\u00ab bezeichnet Seeliger meine Festsetzungen als einen \u00bbwesentlichen Fortschritt und als einen \u00bbsehr wichtigen Beitrag zur Klarlegung\u00ab der \u00bbschwierigen und wichtigen Probleme\u00ab, die die Grundprincipien der Bewegungslehre betreffen. Der Aufsatz in den Leipziger Berichten reicht nach ihm bereits aus, um einmal vorl\u00e4ufig \u00bb\u00fcber das, was der Verfasser angestrebt und, wie gleich hinzugef\u00fcgt werden soll, auch vollkommen erreicht hat, zu orientiren\u00ab. Seeliger bespricht sodann die Newton\u2019sche Fiction eines \u00bbabsolut festen\u00ab Coordinatensystems bezw. des \u00bbabsoluten Raumes\u00ab, und bezeichnet diese als \u00bbBegriffe, deren Dunkelheit durch Umschreibungen nicht weggeschafft werden kann. Es kann aber\u00ab, so f\u00e4hrt er fort, \u00bbnicht bezweifelt werden, dass solche Definitionen nicht geeignet sind, die Grundlage einer ganzen Wissenschaft abzugeben, und die Nothwendigkeit, hier Klarheit zu schaffen, d\u00fcrfte nicht zu bezweifeln sein\u00ab.\n\u00bbDem Verfasser ist dies in ausgezeichneter und beinahe \u00fcberraschend auf kl\u00e4render Weise gelungen durch die Aufstellung folgender Definitionen und Lehrs\u00e4tze\u00ab. Folgt: I. Die s. Z. von mir vorgeschlagene Definition des Inertialsystemes. H. Das Theorem, welches den r\u00e4umlichen Theil des Gesetzes ausspricht. IH. Die Definition der Inertial-Zeitscala. IV. Das Theorem, in welchem der zeitliche Theil des Gesetzes seinen Ausdruck findet. Der Referent gibt sodann einen Bericht \u00fcber die analytisch-phoronomischen Entwicklungen, in welchen mir der Nachweis gelang, dass, wenn es \u00fcberhaupt ein Tr\u00e4gheitsgesetz gibt, die oben genannten Definitionen und Theoreme den wesentlichen, durch Empirie und Rechnung best\u00e4tigten Inhalt desselben ersch\u00f6pfen.\nAuf die weiteren kritischen, in der Hauptsache \u00fcbrigens zustim-\u00ae\u00aenden Bemerkungen, die Seeliger meiner Bem\u00e4ngelung der in der","page":21},{"file":"p0022.txt","language":"de","ocr_de":"22\nLudwig Lange.\nAstronomie meist \u00fcblichen Darstellung der sogenannten \u00bbabsoluten Translation\u00ab des Sonnensystems widmet, hoffe ich an einer passenderen Stelle zur\u00fcckkommen zu k\u00f6nnen82). Dem Urtheil Seeliger\u2019s schlie\u00dfen sich S. G\u00fcnther3) und andere Referenten an83).\nFast gleichzeitig hiermit, vielleicht sogar noch etwas fr\u00fcher, sprach der verstorbene Physiker A. K\u00f6nig in der Berliner physikalischen Gesellschaft \u00bb\u00fcber die neueren Versuche zu einer einwurfsfreien Grundlegung der Mechanik\u00ab3). Der gedruckte Bericht lautet, wie folgt: \u00bbIn dem Vortrage wurde der historische Entwicklungsgang dieser Bestrebungen unter Bezugnahme auf die Literatur dargelegt und bewiesen, dass in den Abhandlungen von Hrn. Ludwig Lange eine L\u00f6sung des vorliegenden Problems bez\u00fcglich der mathematischmechanischen Grundlage des Beharrungsgesetzes gefunden ist, indem hier scharf unterschieden wird, was conventioneile Festsetzung (Definition) und was Erfahrungsthatsache (Theorem) ist. Herr L. Lange fasst die Resultate seiner Untersuchung folgenderma\u00dfen zusammen:\u00ab Folgen die beiden Definitionen und die beiden Theoreme. Der Bericht f\u00e4hrt dann fort:\n\u00bbHerr P. du Bois-Reymond bemerkte, dass das Beispiel des Herrn Streintz von der Tischplatte und dem Kreisel u. A. dem Satze, jede Bewegung sei relativ, widerspreche, und dass die Vorstellung eines starren Raumes wohl eine allen mechanischen Schlussfolgerungen zu Grunde liegende Abziehung sei\u00ab.\nHierzu sei mir die folgende kurze Zwischenbemerkung gestattet. Die von der Vorstellung des relativ starren K\u00f6rpers abgenommene begriffliche Abstraction des starren Raumes ist auch meiner Ansicht nach in den Grundlagen der Geometrie, Phoronomie und Dynamik unentbehrlich. Ooordinatenaxen haben selbstverst\u00e4ndlich nicht den Zweck, den Begriff des \u00bbstarren Raumes\u00ab \u00fcberfl\u00fcssig zu machen; sie sollen lediglich dazu dienen, die Lage r\u00e4umlicher Gebilde in dem starren Raum zahlenm\u00e4\u00dfig beschreiben zu k\u00f6nnen. Etwas anderes aber, als der \u00bbstarre Raum\u00ab, ist Newton\u2019s \u00bbabsoluter Raum\u00ab. Denn \u00bbstarre R\u00e4ume\u00ab gibt es unendlich viele gegen einander bewegte84); dagegen ist der \u00bbabsolute Raum\u00ab nach Newton\u2019s Auffassung nur ein einzelner von diesen unz\u00e4hligen starren R\u00e4umen; und so, wie ihn die Nachfolger Newton\u2019s bis heute auffassen, ist er der Gegenstand einer \u00fcberfl\u00fcssigen metaphysischen Dogmatik,","page":22},{"file":"p0023.txt","language":"de","ocr_de":"23\nDas Inertialsystem vor dem Forum der Naturforschung.\n, h einer transcendirenden Aussage, die nicht auf kl\u00e4rend, sondern lediglich verdunkelnd wirkt. Den in meinen fr\u00fcheren Arbeiten gef\u00fchrten Nachweis hierf\u00fcr brauche ich nicht zu wiederholen, zumal der metaphysische Charakter des \u00bbabsoluten Raumes \u00ab und die Zwecklosigkeit dieses \u00bb Begriffes \u00ab von den Meisten anerkannt wird. \u2014 Das von P du Bois Reymond erw\u00e4hnte Streintz\u2019sche Beispiel beweist genau eben so wenig, wie der Newton\u2019sehe Eimerversuch55).\nDer Bericht der Berliner \u00bbVerhandlungen\u00ab schlie\u00dft mit dem Satze: \u00bbDiese Andeutung \u00fcber das in der Sitzung Mitgetheilte m\u00f6ge hier gen\u00fcgen, da beabsichtigt wird, auf den Gegenstand sp\u00e4ter zur\u00fcckzukommen, um zu zeigen, dass dieser durch die von Herrn A. K\u00f6nig erw\u00e4hnten neueren Arbeiten, wenn auch in mancher Hinsicht, z. B. in mathematischer, erheblich gef\u00f6rdert, doch erkenntnisstheoretisch noch nicht zu befriedigendem Abschluss gebracht ist\u00ab. Man muss sehr bedauern, dass die hiermit in Aussicht gestellte Discussion, soviel wenigstens aus den sp\u00e4teren Jahrg\u00e4ngen der \u00bbVerhandlungen\u00ab ersehen werden kann, unterblieben ist. Aus welchen Gr\u00fcnden dies geschah, ist mir nicht bekannt geworden. Am n\u00e4chsten liegt es wohl, auf die in der Zwischenzeit erfolgten bahnbrechenden Entdeckungen der Fortpflanzung elektrischer Schwingungen (H. Hertz), der Kathoden-und der X-Strahlen (Lenard, R\u00f6ntgen), sowie auf die Ausbildung der elektromagnetischen Lichttheorie Maxwell\u2019s und der Elektronentheorie (H. A. Lorentz u. A.) hinzuweisen. Durch diese Funde wurde die gesammte praktische und theoretische Physik in einer Weise belebt, dass die erkenntnisstheoretischen Grundfragen, ungeachtet ihrer allseitig anerkannten Wichtigkeit, eine Zeit lang nothwendig wieder etwas in den Hintergrund treten mussten.\nDass diese Fragen aber, nachdem sie einmal in Fluss gekommen, nicht wieder von der Bildfl\u00e4che verschwinden konnten, ist selbstverst\u00e4ndlich; und so zeigt denn in der ganzen Folgezeit die Literatur ein best\u00e4ndig wachsendes Interesse an ihnen. Die nachfolgende Uebersicht wird das zur Gen\u00fcge beweisen.\n0. Neumann bringt in seinem 1887 der Kgl. s\u00e4chsischen Gesellschaft der Wissenschaften vorgelegten Aufsatze \u00bbGrundz\u00fcge der analytischen Mechanik\u00ab56) einen Abschnitt unter der Aufschrift \u00bbDefinition des absoluten Axensystems\u00ab. Als eine wirkliche Definition im logisch-mathematischen Sinne kann das von ihm hier Gesagte nicht","page":23},{"file":"p0024.txt","language":"de","ocr_de":"24\nLudwig Lange.\nanerkannt werden. Im Anschluss an Laplace, der von den Newton-schen Festsetzungen nur darin abweicht, dass er die Realit\u00e4t oder Idealit\u00e4t des absoluten Raumes dahingestellt sein l\u00e4sst, wird ein \u00bbunbeweglicher und f\u00fcr die Materie durchdringlicher\u00ab Raum vorausgesetzt, auf den die absoluten Bewegungen zu beziehen seien. Ist in den Laplace\u2019schen Worten mit \u00bbUnbeweglichkeit\u00ab lediglich \u00bbStarrheit\u00ab des Raumes gemeint, so springt nach den eben erst gemachten Ausf\u00fchrungen die Unbestimmtheit und Unzureichendheit jener Voraussetzung in die Augen, wie denn auch Neumann selber sp\u00e4ter zeigt, dass das Kriterium der Starrheit nicht gen\u00fcgt, dass vielmehr zahllose starre Coordinatensysteme existiren bezw. m\u00f6glich sind, die sich wegen Drehung oder Beschleunigung gegen den \u00bbabsoluten Raum\u00ab ganz und gar nicht dazu eignen, der Dynamik zu Grunde gelegt zu werden56). Ist aber das Wort \u00bbunbeweglich\u00ab bei Laplace nicht im Sinne von \u00bbstarr\u00ab verstanden, so erhebt sich sofort die Frage: \u00bbin Bezug worauf unbeweglich?\u00ab, und die ganze Fiction zerrinnt abermals in den Nebel der Sinnlosigkeit. Beachtens-werth ist dagegen an Neumann\u2019s Erkl\u00e4rung, obschon diese, wie bereits gesagt, den Werth einer Definition nicht besitzt, die Betonung des Umstandes, dass das Bezugssystem der Dynamik ein einheitliches sein muss. Diese Stipulirung ist zwar einerseits \u00fcbertrieben, insofern jedes von den unz\u00e4hligen Inertialsystemen gleich geeignet zum dynamischen Bezugssystem ist, aber anderseits sucht sie doch dasjenige, was den eigentlichen Kern des Beharrungsgesetzes ausmacht, n\u00e4mlich die Geradlinigkeit der Bahnen beliebig vieler unbeeinflusster Punkte bez\u00fcglich eines und desselben Systems, zum Ausdruck zu bringen. Allein, da Neumann von der phoronomisch nachgewiesenen That-sache, dass die geradlinige Bewegung von Punkten bis zur Dreizahl lediglich Convention ist und mehr als eine solche erst bei Ueber-schreitung der Dreizahl wird, keine Notiz nimmt, fehlt seiner Darstellung der Eck- und Schlussstein. Den K\u00f6rper \u00bbAlpha\u00ab scheint Neumann aufgegeben zu haben, wenigstens erw\u00e4hnt er ihn in den \u00bbGrundz\u00fcgen\u00ab mit keinem Worte.\nIm Jahre 1889 erschien die zweite Auflage von Mach\u2019s Mechanik. In dieser, wie in allen sp\u00e4teren Auflagen des classischen Werkes schreibt Mach57) nach einer eingehenden Widerlegung der Streintz-schen Formulirungen: \u00bbDie Lange\u2019sche Schrift58) scheint mir zu","page":24},{"file":"p0025.txt","language":"de","ocr_de":"Das Inertialsystem vor dem Forum der Naturforschung.\t25\ndem Besten zu geh\u00f6ren, was \u00fcber die vorliegenden Fragen gearbeitet worden ist\u00ab. Es folgt eine ziemlich ausf\u00fchrliche Darlegung meiner Vorschl\u00e4ge. Dann f\u00e4hrt Mach fort:\n\u00bbZun\u00e4chst soll nicht bestritten werden, dass man das Tr\u00e4gheitsgesetz auf ein derartiges Raum- und Zeitcoordinatensystem beziehen und so ausdr\u00fccken kann. Eine solche Fassung ist wohl f\u00fcr die praktische Anwendung weniger geeignet als die Streintz\u2019sche50), dagegen der methodischen Vorz\u00fcge wegen ansprechender. Mir pers\u00f6nlich ist sie besonders sympathisch, da ich mich vor Jahren mit analogen Versuchen besch\u00e4ftigt habe, von welchen nicht etwa Anf\u00e4nge, sondern Reste stehen geblieben sind. Ich habe diese Versuche aufgegeben, weil ich die Ueberzeugung gewonnen habe, dass man durch alle diese Ausdrucksweisen (so auch durch die Streintz\u2019sche und die Lange\u2019sche) nur scheinbar die Beziehung auf den Fixsternhimmel und den Drehungswinkel der Erde umgeht\u00ab. . . \u00bbEs scheint sehr fraglich, ob ein vierter sich selbst \u00fcberlassener materieller Punkt in Bezug auf ein Lange\u2019sches ,Inertialsystem* eine Gerade (gleichf\u00f6rmig) durchlaufen w\u00fcrde, sobald der Fixstemhimmel nicht vorhanden, oder nur nicht mit gen\u00fcgender Genauigkeit als unver\u00e4nderlich anzusehen w\u00e4re\u00ab.\n\"Wenn ich Mach recht verstehe, so rechnet er beispielsweise mit der M\u00f6glichkeit, dass in einem entfernteren Sternhaufen die dynamischen Bezugssysteme zu denjenigen unseres Fixsterncomplexes irgendwie gedreht sein k\u00f6nnten. Er h\u00e4lt es eben principiell f\u00fcr m\u00f6glich, dass die Geradlinigkeit der Bahnen sich selbst \u00fcberlassener Punkte relativ zum Fixsternhimmel nicht lediglich phoronomisch, sondern zugleich auf irgend eine physikalische Art und Weise durch die Lagen der Fixsternmassen bedingt sei. Beide M\u00f6glichkeiten sind nn Princip zweifellos zuzugestehen60), und es w\u00e4re ein unverzeihlicher Starrsinn, wollte man die von mir vorgeschlagene Fassung des Beharrungsgesetzes in dem Sinne ausdeuten, dass Forschungen \u00fcber das Zutreffen oder Nichtzutreffen der von Mach betonten Eventualit\u00e4ten von vornherein unterbunden w\u00fcrden. So habe ich meine Formulirung auch niemals gemeint. Indessen, das muss doch bei dieser Gelegenheit sogleich betont werden, dass der bisherige Stand der physikalischastronomischen Erfahrung und Theorie keinen Anhaltspunkt ergeben a , um Mach\u2019s Vermuthungen zu st\u00fctzen. Der historisch-kritisch","page":25},{"file":"p0026.txt","language":"de","ocr_de":"26\nLudwig Lange.\nbegr\u00fcndete Weg der Forschung scheint mir vielmehr in der Richtung zu liegen, dass in solchen F\u00e4llen, wo man Abweichungen f\u00fcr sich selbst \u00fcberlassen gehaltener Punkte von der geradlinigen Bahn beobachten sollte, es das N\u00e4chstliegende sein w\u00fcrde, genauer zu pr\u00fcfen, ob die Annahme des Sich-selbst-\u00fcberlassen-seins denn auch zutrifft, ob nicht vielmehr die einfache Voraussetzung ablenkender Kr\u00e4fte ausreicht, um die beobachteten Abweichungen ausreichend zu erkl\u00e4ren. Die Geschichte der Entdeckung des Neptun durch Leverrier und Adams w\u00e4re ein classisches Vorbild f\u00fcr derartige Forschungen. Auf die Bewegungen der Fixsterre selbst das Beharrungsgesetz anzuwenden, ist von dem mehr physikalischen als astronomischen Standpunkt, den Mach in dieser Frage einnimmt, der Natur der Sache nach unm\u00f6glich. '\nIm Anschluss an die Mach\u2019schen Er\u00f6rterungen haben B. u. J. Friedl\u00e4nder 1896 eine Versuchsanordnung mitgetheilt, von der sie sich einen Erfolg zur Beantwortung der Frage versprechen, ob die von Mach angedeuteten M\u00f6glichkeiten thats\u00e4chlich zutreffen3). Das m\u00f6glichst rasch rotirende Schwungrad eines gro\u00dfen Walzwerkes soll durch seine eventuelle Einwirkung auf eine Drehwage61) den Einfluss unmittelbar benachbarter rbtirender Massen auf die Bahnen sich selbst \u00fcberlassener Punkte nachzuweisen gestatten. Es w\u00fcrde sich also, methodologisch betrachtet, um \u00e4hnliche Versuche handeln, wie sie z. B. von Cavendish zur Ermittelung der Erdmasse angestellt worden sind; auch an die fehlgeschlagenen Versuche von O. Lodge, betreffend die Mitbewegung des Aethers in rotirenden Massen, darf in diesem Zusammenh\u00e4nge erinnert werden. Ob die zufolge der Fried-l\u00e4n der\u2019sehen Anordnung etwa unternommenen Experimente inzwischen ein einwandfreies Ergebniss erzielt haben, ist, soviel ich sehe, nicht bekannt geworden. Die gro\u00dfen technischen Schwierigkeiten hebt J. Friedl\u00e4nder bereits selbst hervor, und Mach seinerseits besorgt, dass das Experiment \u00fcberhaupt quantitativ nicht zureichen werde, um entscheidend zu sein62).\nDer von Mach erhobene Einwand gegen meine Vorschl\u00e4ge, dass man durch alle diese Ausdrucksweisen nur scheinbar die Beziehung auf den Fixstemhimmel u. s. w. umgehe, hat \u00fcbrigens, abgesehen von seiner soeben besprochenen materiell-physikalischen Seite, noch eine rein methodologische Seite, auf die ich nicht weiter einzugehen brauche,","page":26},{"file":"p0027.txt","language":"de","ocr_de":"27\nDas Inertialsystem vor dem Forum der Naturforschung.\nda ihr Mac Gregor in dem oben wiedergegebenen Abschnitt seiner Abhandlung vollauf gerecht geworden ist63). Dass eine abstract-mathematische Formulirung des Beharrungsgesetzes, wie die von mir verfochtene, sich sehr dazu eignet, um zugleich mit einer rein physikalischen, wie der Mach\u2019schen, der Dynamik zur Grundlage zu dienen d\u00fcrfte Mach, nach seinen bisherigen Auslassungen zu schlie\u00dfen, wohl nicht in Abrede stellen. Beide Formulirungsweisen m\u00fcssen sich meiner Ansicht nach gerade in derselben Weise, wie es \u00fcberhaupt Empirie und Kechnung thun, gegenseitig erg\u00e4nzen, wenn das Kirch-hoff\u2019sche Ziel, wie es auch Mach in ganz \u00e4hnlicher Formulirung der analytischen Mechanik vorzeichnet, n\u00e4mlich die Bewegungserscheinungen vollst\u00e4ndig und auf die einfachste Weise zu beschreiben, erreicht werden soll. In diesem Sinne w\u00e4re der Tr\u00e4gheitssatz (in der von mir bef\u00fcrworteten Form) etwa \u00e4hnlich anzusehen, wie das Euklidische Parallelenaxiom; so gut es \u00fcber das letztere hinaus eine nichteuklidische Geometrie gibt, ist auch eine nicht-inertiale Dynamik denkbar, ja sicherlich sogar empfehlenswerth, eine solche weiter auszubilden. So wenig aber einstweilen das Parallelenaxiom zum alten Eisen geworfen werden kann, ebensowenig wird der \u00fcber das blo\u00df Conventionelle hinausgebende inductiv begr\u00fcndete Kern des Galilei-Newton\u2019schen Gesetzes aus der Dynamik ausgeschieden werden k\u00f6nnen. Auch H. Hertz, wohl der genialste und einflussreichste Vertreter der Anschauung, dass die autoritative Alleinherrschaft der Newton\u2019schen Grundlegung fallen m\u00fcsse, kann den Tr\u00e4gheitssatz nicht entbehren.\nDie im Jahre 1890 erschienene \u00bbAllgemeine Mechanik\u00ab von E. Budde3) nimmt, wie bei einem gedr\u00e4ngten Compendium begreiflich, auf die neueren, den Bewegungsbegriff ber\u00fchrenden Einzelforschungen keinerlei Bezug. Gleichwohl darf sie in diesem Zusammenhang besprochen werden; denn sie legt ein erfreuliches Zeugniss daf\u00fcr ab, dass die moderne Mechanik, offenbar nicht zum wenigsten unter Mach\u2019s Einfluss, immer allgemeiner das Bed\u00fcrfniss f\u00fchlt, selbst Grundrissen und Lehrb\u00fcchern eine zwar kurze, aber zu weiterem Nachdenken anregende Besprechung der fundamentalen Fragen einzuverleiben. Nat\u00fcrlich darf der Leser in dem K\u00e4hmen eines Werkes, Wle es Budde zu schreiben unternommen, eine nach allen Seiten ersch\u00f6pfende und das F\u00fcr und Wider der gemachten Verbesserungs-","page":27},{"file":"p0028.txt","language":"de","ocr_de":"28\nLudwig Lange.\nVorschl\u00e4ge kritisch ahw\u00e4gende Besprechung der in Bede stehenden Grundfrage gar nicht erwarten. Budde geht, wie die Mehrzahl der neueren Mechaniker, davon aus, zu betonen, \u00ab dass die Ortsbestimmung ihrer Natur nach relativ\u00ab ist; \u00bbsie hat nur einen Sinn, insofern ihrem als gegeben vorausgesetztes Coordinatensystem zu Grunde gelegt wird\u00ab64). Er unterscheidet ferner, wie es ebenfalls fast alle neueren Verfasser \u00e4hnlicher Werke thun, mit principieller Strenge zwischen Phoronomie und Dynamik, und kommt in dem der letzteren gewidmeten zweiten Hauptst\u00fccke seines Buches auch auf die Frage des dynamischen Bezugssystems n\u00e4her zu sprechen. Er f\u00fchrt hier gleich anf\u00e4nglich aus, dass eine Bezugnahme auf das triviale geocentrische, d. h. mit dem Erdk\u00f6rper fest verbundene System gen\u00fcgt, um die ersten dynamischen Grundbegriffe, insbesondere den Kraftbegriff, zun\u00e4chst pinmal im Rohbau aufzuf\u00fchren64). Dann zeigt er, dass das Galilei\u2019sche Princip nicht in jedem beliebigen Coordinatensystem gelten kann, dass seine bis dahin vorausgesetzte G\u00fcltigkeit mit Bezug auf den Erdk\u00f6rper \u00fcberhaupt nur eine ann\u00e4hernde ist, und dass die Natur, soviel bekannt, schlechterdings keinen einzigen K\u00f6rper darbietet, der dem Beharrungsgesetz unmittelbar und in theoretischer Strenge zu Grunde gelegt werden d\u00fcrfte64). Er schlie\u00dft diese Betrachtungen mit einer Er\u00f6rterung ab, die in den folgenden Haupts\u00e4tzen gipfelt: \u00bbWir nehmen vorl\u00e4ufig an, es existire in der Welt wenigstens ein Coordinatensystem, in welchem das Galilei\u2019sche Princip streng g\u00fcltig ist. Dasselbe soll,Fundamental system1 hei\u00dfen\u00ab. . . . \u00bbBis zum ausdr\u00fccklichen Widerruf f\u00fchren wir von jetzt ab alle Rechnungen unter Zugrundelegung eines Fundamentalsystems; die in ihm bestimmten Geschwindigkeiten, Kr\u00e4fte etc. sollen kurz als , absolute1 Geschwindigkeiten etc. bezeichnet werden, und wo keine Zweideutigkeit eintreten kann, als Geschwindigkeiten etc.1 schlechthin. \u2014 Dabei behalten wir im Auge, dass die Erde nicht sehr weit vom Fundamentalsystem verschieden ist, rohere Resultate der Rechnung also auf der Erde best\u00e4tigt werden k\u00f6nnen\u00ab64).\nGegen diese Ausf\u00fchrungen habe ich folgendes einzuwenden. Erstens will mir die Ausdrucksweise: \u00bbes existire in der Welt\u00ab wenigstens ein Coordinatensystem u. s. w., durchaus nicht gefallen-Der reale Kern des Gesetzes wird doch, wie ich nicht weiter","page":28},{"file":"p0029.txt","language":"de","ocr_de":"29\nDas Inertialsystem vor dem Forum der Naturforschung.\nauszuf\u00fchren brauche, viel treffender wiedergegeben mit einer Er\u00f6rterung des Inhaltes, dass ein solches System lediglich phoronomisch m\u00f6glich oder \u00bbconstruirbar\u00ab ist: freilich, um die merkw\u00fcrdige Bedeutung dieser Constructionsm\u00f6glichkeit in ihrem ganzen Gehalt zu erfassen, m\u00fcsste man den phoronomischen Nachweis vorausschicken, dass f\u00fcr drei oder weniger als drei materielle Punkte jene Annahme eine Selbstverst\u00e4ndlichkeit enth\u00e4lt, und dass sie erst f\u00fcr eine Mehrzahl bewegter Punkte einen \u00fcberraschenden Inhalt gewinnt. Yor einem solchen ausf\u00fchrlicheren Nachweis mag nun Budde im Rahmen seines Werkes zur\u00fcckgescheut sein. Meiner Ansicht nach ist indessen die aufkl\u00e4rende Wirkung, die damit erreicht w\u00fcrde, eine so \u00fcberaus bedeutende und Gewinn bringende, dass es auf zwei oder drei weitere dadurch bedingte Textseiten in einem Handbuch der Mechanik schwerlich ankommen kann.\nZweitens m\u00f6chte ich nochmals dringend davor warnen, die alten Ausdr\u00fccke \u00bbabsolute Geschwindigkeit\u00ab u. s. w. aus purer Bequemlichkeit beizubehalten, und wenn es selbst, wie bei Budde offenbar, nur im \u00fcbertragenen Sinne und ohne metaphysische Hintergedanken gesch\u00e4he. Wenn man die Relativit\u00e4t der Bewegung im Princip anerkennt, so ist ein derartiger Sprachgebrauch allermindestens formell inconsequent. Er ist aber, aus h\u00f6heren Gesichtspunkten betrachtet, weit mehr als das; denn er \u00f6ffnet \u00fcberfl\u00fcssigen Transcendirungs-tendenzen \u2014 wie sie in dem abergl\u00e4ubischen N\u00e4hrboden der Menschenseele nun einmal unendlich tief eingewurzelt sind, \u2014 Th\u00fcr und Thor. Solange die Darstellungen der Mechanik sich nicht entschlie\u00dfen k\u00f6nnen, das Wort \u00bbabsolut\u00ab g\u00e4nzlich aus dem Sprachschatz zu verbannen, solange wird das metaphysische Gespenst des absoluten Raumes aus den K\u00f6pfen der Lernenden nun und nimmer verschwinden66).\nDer zur Vereinfachung der Gleichungen oftmals sehr zweckdienliche Hinweis auf die constructive M\u00f6glichkeit unendlich vieler (geradlinig und gleichf\u00f6rmig ohne Drehung gegen einander bewegter) Funda-mentalsysteme kommt bei Budde in der principiellen Darstellung jedenfalls zu kurz. Dass der Ausdruck \u00bbFundamentalsystem\u00ab an begrifflicher Pr\u00e4gnanz dem Ausdruck \u00bbInertialsystem\u00ab erheblich nachsteht, mag zum Schluss noch kurz erw\u00e4hnt werden66). Alles in Allem stehe ich aber nicht an zuzugeben, dass die Budde\u2019sehen Er\u00f6rterungen,","page":29},{"file":"p0030.txt","language":"de","ocr_de":"30\nLudwig Lange.\nverglichen mit denjenigen vieler fr\u00fcherer Lehrg\u00e4nge der Mechanik, einen ganz betr\u00e4chtlichen Fortschritt bedeuten.\nIm Jahre 1891 hat G. Frege unter dem Titel \u00bbUeber das Tr\u00e4gheitsgesetz\u00ab eine eingehende Studie zu meinem \u00bbBewegungsbegriff -ver\u00f6ffentlicht3). Diese Arbeit hat zwar ihren Platz in einer fachphilosophischen Zeitschrift gefunden, und enth\u00e4lt auch in der That viele beachtenswerthe philosophische Darlegungen; da indessen einige der Frege\u2019sehen Kriticismen mich zu Ergebnissen f\u00fchren, welche \u2014 als Grundlage sich anschlie\u00dfender weiterer Erw\u00e4gungen \u2014 am besten an dieser Stelle meines Aufsatzes Platz finden, so darf die Besprechung der Frege\u2019schen Studie hier nicht unterbleiben; um so weniger, als sie die Arbeit eines Fachmathematikers ist.\n\u00bbWas das hei\u00dft ,ein K\u00f6rper bewegt sich' oder ,ist in Buhe', scheint so klar zu sein, dass nichts zu erkl\u00e4ren \u00fcbrig bleibt. Die unten genannte lesenswerthe Schrift ist dazu geeignet, aus dieser falschen Sicherheit aufzust\u00f6ren und zu weiterem Nachdenken anzuregen\u00ab67). . . . \u00bbWenn man eine Frage\u00ab, wie diejenige nach dem Bezugssystem der Bewegungsgesetze, \u00bbnicht beantworten kann, so kann man sie wenigstens hinter der Wolke einer ungenauen Bedeweise verschwinden lassen, was in unserem Falle besonders angenehm ist; denn wollte man sie als offene behandeln, so w\u00fcrde die Grundlage der ganzen Physik zu schwanken scheinen\u00ab67). Weiterhin erw\u00e4hnt Frege \u2014 in Uebereinstimmung mit mir und P. Johannesson68) \u2014 dass die Newton\u2019schen Aufstellungen \u00fcber Baum, Zeit und Bewegung (als absolute Wesenheiten) bei ihrem Urheber theologisch begr\u00fcndet sind, eine Begr\u00fcndungsweise, die dem heute herrschenden Geschmack in der wissenschaftlichen Mechanik jedenfalls ganz und gar nicht Zusage; auch stellt er fest, dass Newton sich mit seiner Begr\u00fcndung des Tr\u00e4gheitsgesetzes im Kreise bewegt69). Meine Behauptung, dass Newton\u2019s absoluter Baum und absolute Zeit nicht einmal nothwendige Uebel, sondern \u00fcberfl\u00fcssige Producte des \u00bbesprit m\u00e9taphysique\u00ab sind, h\u00e4lt gleichwohl Frege f\u00fcr \u00fcber das Ziel hinausgeschossen; er beruft sich hierbei auf die empirische Ausstattung, die den \u00bbabsoluten Baum mit den wahrnehmbaren Erscheinungen in Zusammenhang\u00ab bringe69), indem n\u00e4mlich das Tr\u00e4gheitsgesetz mit Bezug auf ihn ausgesprochen werde. Diese empirische Ausstattung erm\u00f6gliche es sehr wohl, Aussagen \u00fcber die Bewegungen zu dem absoluten","page":30},{"file":"p0031.txt","language":"de","ocr_de":"Das Inertialsystem vor dem Dorum der Naturforsehung.\n31\ngaum zu machen. Hierzu m\u00f6chte ich mich beschr\u00e4nken, eine Stelle aUs meinem \u00bbBewegungsbegriff\u00ab zu erneutem Abdruck zu bringen. Es hei\u00dft da70): \u00bbWenn nicht Newton dogmatisch seinem absoluten Raum die Eigenschaft eines Inertialsystems beigelegt h\u00e4tte, so w\u00fcrde \u00fcber die Bewegung zu ihm von Newton\u2019s eigenem Standpunkte aus empirisch Nichts festzustellen zu sein. Man kann sich nicht wundern, an einem ,transcendenten Objecte1 etwas Empirisches wiederzufinden, wenn man selber es vorher, wiewohl in etwas anderer Gestalt, k\u00fcnstlich\u00ab (d. h. ohne jede Begr\u00fcndung, rein dogmatisch) \u00bbhineinverlegt hat. Nur daraus, dass Newton seinen trans-cendenten absoluten Raum mit jener der Empirie zug\u00e4nglichen Eigenschaft ausstattete, ist es \u00fcberhaupt erkl\u00e4rlich, dass der Begriff der absoluten Bewegung auf so lange Zeit in die Wissenschaft \u00fcbergehen konnte. Andernfalls w\u00fcrde er, wie ein Himgespinnst ohne jegliche Anwendbarkeit auf gegebene F\u00e4lle, alsbald wieder daraus verschwunden sein. So aber bleibt an dem Begriffe der absoluten Bewegung doch immerhin ein werthvoller Kern, bestehend in demjenigen, was er mit dem Begriffe der Inertialdrehung gemein hat\u00ab.\nDer letzte Satz dieser Selbstanf\u00fchrung enth\u00e4lt auch meine Stellungnahme zu der weiteren Bemerkung Frege\u2019s: \u00bbMir scheint der Unterschied zwischen Newton\u2019s Lehre und der des Verfassers nicht so gro\u00df, wie diesem. Ich verkenne aber durchaus nicht, dass des Letzteren Bem\u00fchungen die Frage um ein gutes St\u00fcck gef\u00f6rdert haben\u00ab60). \u2014 Ich selber habe mich niemals dar\u00fcber get\u00e4uscht, dass der physikalische Kern des Begriffes des Inertialsystems nicht mein geistiges Eigenthum, sondern dasjenige des gro\u00dfen Briten ist. Mir lag lediglich die methodologische und erkenntnisstheoretische Aufgabe ob, von diesem Kern die \u00fcberfl\u00fcssige metaphysisch-dogmatische Schale loszul\u00f6sen und ihn so in seiner ganzen \u00bbeuklidischen Durchsichtigkeit\u00ab vor Aller Augen zu stellen. Und dass mir dies gelungen ist, erkennt Frege, wie mir scheint, im weiteren auch an, wenn er, in Umkehrung des schon oben angef\u00fchrten Gedankenganges sagt, dass der nach Newton\u2019s Worten freilich transcendent reale absolute Raum in Wirklichkeit versteckter Weise dennoch mit der Erfahrung verkn\u00fcpft sei, und wenn er dann fortf\u00e4hrt: \u00bbEs ist kein geringes Verdienst des Verfassers, an die Stelle dieser versteckten Verkn\u00fcpfung eine klar ausgesprochene gesetzt zu haben. In der New ton\u2019sehen","page":31},{"file":"p0032.txt","language":"de","ocr_de":"32\nLudwig Lange.\nAnnahme eines einzigen absoluten Raumes ist mehr enthalten, als zur Erkl\u00e4rung der Erscheinungen n\u00f6thig ist. Yon den unendlich vielen m\u00f6glichen Inertialsystemen, die sich gegeneinander gleichf\u00f6rmig ohne Drehung bewegen, ist keines irgendwie ausgezeichnet, sodass man es als ruhend im absoluten Raume eher als irgend ein anderes betrachten k\u00f6nnte. Newton kann daher Ruhe und gleichf\u00f6rmige Bewegung in Bezug auf den absoluten Raum nicht auseinanderhalten, weil in der Erfahrung kein Anhalt f\u00fcr diese Unterscheidung gegeben ist. Diese f\u00fcr die Erkl\u00e4rung nutzlose und \u00fcber die Erfahrung hinausgehende Auszeichnung eines einzigen Inertialsystemes hat L ange gl\u00fccklich vermieden und insofern hat er Recht, wenn er bei Newton etwas Transcendentes tadelt\u00ab71).\nWenn Frege unmittelbar darauf sagt: \u00bbF\u00fcr endg\u00fcltig abgeschlossen halte ich auch nun die Frage noch keineswegs\u00ab, so pflichte ich ihm ohne jeden Vorbehalt bei. Alle echte Wissenschaftlichkeit hat von Grund aus die Tendenz, immer wieder aufs neue \u00fcber sich selbst hinauszugehen. Denn jede fortschreitende Erkenntniss des Menschengeschlechts besitzt nun einmal den Charakter einer unendlichen Reihe72), und im g\u00fcnstigsten Falle den Charakter einer gewisserma\u00dfen convergenten Reihe. In weiterer Verfolgung dieses Bildes darf gesagt werden, dass es mir wohl gelungen ist, f\u00fcr eine bis dahin zweifelhaft scheinende Reihe die Convergenz von einem gewissen Gliede an nachzuweisen, und die Grenze, der die Erkenntnisssumme zustrebt, mit einer immerhin beachtenswerthen Ann\u00e4herung anzugeben. Dass aber ein endg\u00fcltiger Abbruch der Reihe bei dem von mir wegen seiner Wichtigkeit hervorgehobenen Gliede eine th\u00f6richte Vermessenheit sein w\u00fcrde, ist ohne weiteres klar. Es soll mich deshalb aufrichtig freuen, wenn Andere noch weitere Glieder hinzuf\u00fcgen und es recht bald gelingt, die Summe der mechanischen Fundamental-erkenntniss auf einen Grad der Genauigkeit zu bringen, wie wir ihn vergleichsweise in der Berechnung der Zahl tt erreicht haben, die, wenn ich nicht irre, bis auf 500 Decimalen exact festgestellt ist. So wenig aber die neueren Berechnungen der Ludolph\u2019sehen Zahl die Richtigkeit der schon fr\u00fcher bekannten ersten Decimalen in Frage stellen, gerade so wenig werden weitere fundamentalmechanische Untersuchungen den Begriff des Inertialsystemes, als eines bis zur Dreizahl der betrachteten Massenpunkte lediglich conventioneilen Coordinaten-systems, \u00fcber den Haufen werfen k\u00f6nnen.","page":32},{"file":"p0033.txt","language":"de","ocr_de":"Das Inertialsystem vor dem Forum der Naturforschung.\n33\nUeber die noch fehlenden Glieder der Erkenntnissreihe k\u00f6nnten im Anschl\u00fcsse hieran eine Anzahl nicht uninteressanter Bemerkungen gemacht werden; allein es scheint mir der Sache am dienlichsten zu sein, wenn ich mich auf einige Andeutungen beschr\u00e4nke. Bei der Entwickelung der dynamischen Grundbegriffe musste ich nothwendig gewisse rein mathematische Elementarbegriffe, insbesondere auch den Begriff des in sich (d. h. in der Lage seiner einzelnen Punkte gegeneinander) \u00bbstarren Raumes\u00ab voraussetzen73). Die historische Genesis und die logisch-erkenntnisstheoretische Berechtigung dieser Begriffe bedarf, wie ich wohl wei\u00df, noch mancher Aufkl\u00e4rung; und die von Erege auf S. 150\u2014157 seiner Abhandlung gegebene Auseinandersetzung scheint mir sehr geeignet, die bedeutenden Schwierigkeiten, welche jenen Begriffen infolge der Relativit\u00e4t der L\u00e4ngenmessung anhaften, in drastischer Weise zu illustriren. Leider muss ich es mir f\u00fcr diesmal versagen, zu diesen Betrachtungen Frege\u2019s Stellung zu nehmen. Frege will ja auch durchaus nicht damit meinen Standpunkt ersch\u00fcttern, sondern lediglich zeigen, wo meine Aufstellungen seiner Ansicht nach einer erkenntnisstheoretischen und logischen Erg\u00e4nzung bed\u00fcrfen. Erg\u00e4nzungen dieser Art erscheinen aber mir selbst um so wichtiger, als es sich dabei keineswegs immer um letzte kleine \u00bbzu vernachl\u00e4ssigende\u00ab Glieder der Erkenntnissreihe handelt, sondern zum Theil wenigstens um Glieder, die dem von mir ins Licht ger\u00fcckten in der Reihenfolge vorangehen. Sollten Andere diesen Gliedern eine erh\u00f6hte Aufmerksamkeit zuwenden, so kann das Frege und mir nur willkommen sein.\nEiner weiteren Erg\u00e4nzung bedarf die Theorie des Inertialsystems, wie schon oben festgestellt, seitens der physikalischen und astronomischen Forschung, n\u00e4mlich in der Richtung, zu ermitteln, ob ein einheitliches Bezugssystem, in Bezug worauf die Bahnen beliebig vieler sich selbst \u00fcberlassener Punkte streng geradlinig sind, \u00fcberhaupt construirt werden k\u00f6nne. Wie bereits auseinandergesetzt wurde, ist diese Annahme bisher nicht ersch\u00fcttert, aber freilich auch mcht mit h\u00f6chster und letzter erreichbarer Genauigkeit endg\u00fcltig nachgewiesen worden74).\nNicht zugeben kann ich es, wenn Frege sagt, man k\u00f6nne mir nsichtlich der Definition des Inertialsystemes einen \u00e4hnlichen Vor-Wurf des Cirkels machen, wie ich ihn gegen Newton erhoben habe75).\nWundt, Philos. Studien. XX.\ta","page":33},{"file":"p0034.txt","language":"de","ocr_de":"34\nLudwig Lang\u00e9.\nMissverst\u00e4ndliche Auslegung meiner Vorschl\u00e4ge kann allerdings zu einem Oirkel f\u00fchren ; der Vorwurf trifft aber dann nicht die Sache, sondern eine irrth\u00fcmliche Auffassung derselben. Allein, da von zwei anderen Autoren, wie wir sogleich sehen werden, der n\u00e4mliche Einwand erhoben wird, so schlie\u00dfe ich, dass mir der Ausdruck dessen, was ich mit der Definition des Inertialsystemes beabsichtigte, s. Z. noch nicht in ganz unzweideutiger Weise gelungen ist. Auf jeden Fall erw\u00e4chst mir die Pflicht, auf die erw\u00e4hnten Kriticismen ausf\u00fchrlich einzugehen.\nFrege f\u00fchrt seinen Einwand mit folgenden Worten n\u00e4her aus: \u00bbDie Frage, oh ein materieller Punkt ,sich seihst \u00fcberlassen' sei, \u00fcbersteigt die Erfahrung ebenso, wie die, ob er absolut ruhe. Bei Newton war die Frage: wie unterscheiden wir wahre Bewegung von der scheinbaren? Hier ist die Frage: wie unterscheiden wir beeinflusste Bewegung von der eines sich selbst \u00fcberlassenen materiellen Punktes? Bei Newton bedurften wir zur Beantwortung der Kenntniss des absoluten Baumes, die wir nicht haben; hier bed\u00fcrfen wir der Kenntniss eines Inertialsystems, die uns gleichfalls fehlt. Denn, um zu wissen, ob ein gegebenes Ooordinatensystem ein Inertialsystem sei, m\u00fcssten wir unsere Frage schon beantwortet haben\u00ab75). Glanz \u00e4hnlich \u00e4u\u00dfert sich P. Johannesson (1896): \u00bbDie dritte Eigenschaft eines in seiner Bewegung beharrenden Massentheilchens, seine Unabh\u00e4ngigkeit von anderen Massen, ist von den erw\u00e4hnten Forschern nicht untersucht worden. Sie benutzen dieselbe bei ihren Herleitungen als etwas Selbstverst\u00e4ndliches. In uns hat gerade sie die gr\u00f6\u00dferen Zweifel erregt\u00ab7B) ..... . \u00bbMan kann eben nicht umhin, die Kraft durch das Fehlen der Beharrung, und die\nBeharrung durch das Fehlen von Kr\u00e4ften zu erkl\u00e4ren\u00ab................\n\u00bbDeshalb treten wir nicht den Formen bei, in denen Neumann, Streintz, Lange und Weber das Beharrungsgesetz schlie\u00dflich aussprechen, da sie ein Merkmal f\u00fcr das Fehlen der Kraftbeziehung\nnicht angeben und nicht angeben k\u00f6nnen\u00ab76)........... \u00bbWie wenig\naber\u00ab \u2014 mit den verschiedenen vorgeschlagenen Coordinatensystemen \u2014 \u00bbden Schwierigkeiten im Beharrungssatze abgeholfen ist, lehrt diese kurze Ueberlegung. In allen mitgetheilten Vorschl\u00e4gen m\u00fcssen die beharrenden K\u00f6rper die Eigenschaft besitzen, dass sie ,nicht unter dem Einfluss fremder Massen stehen' oder ,sich selbst \u00fcberlassen sind'","page":34},{"file":"p0035.txt","language":"de","ocr_de":"Das Inertialsystem vor dem Forum der Naturforschung.\n35\noder ,keinen Kr\u00e4ften unterliegen'. Nach unserer Zergliederung der im Beharrungsgesetz vorhandenen Gedanken k\u00f6nnen jene Beschr\u00e4nkungen nur bedeuten ,ohne r\u00e4umliche Beziehung zu anderen Massen', weil sonst unser Gesetz zu einer leeren Selbstverst\u00e4ndlichkeit entartet\u00ab76).\nIn verwandtem Sinne \u00e4u\u00dfert sich auch H. Kleinpeter (1900):\nDie von Lange aufgestellten Definitionen und Theoreme \u00bbsind jedenfalls geeignet, die wirkliche Bedeutung des Tr\u00e4gheitsgesetzes in ein helleres Licht zu r\u00fccken; als einwurfsfrei und als eine endg\u00fcltige L\u00f6sung k\u00f6nnen sie jedoch nicht betrachtet werden. Einmal ist es schwer einzusehen, wie eine praktische Bestimmung des Coordinaten-systems durchzuf\u00fchren w\u00e4re, die ja doch m\u00f6glich sein muss, wenn das Gesetz irgend welchen Werth haben soll; dann ist dasselbe auch in rein theoretischer Beziehung keineswegs correct formulirt. Es fehlt n\u00e4mlich eine Bestimmung dar\u00fcber, was man unter ,sich seihst \u00fcberlassenen Punkten' zu verstehen habe. Ob ein Punkt als ein solcher zu betrachten ist oder nicht, l\u00e4sst sich ja durch keine anderweitige Erfahrung feststellen. Wenn aber der Ausdruck so viel bedeuten soll, als von Kr\u00e4ften unbeeinflusst, so ist, da ja dies nur nach dem Tr\u00e4gheitsgesetze beurtheilt werden kann, der Cirkel offenbar, und die Hauptschwierigkeit bleibt bestehen\u00ab76).\nZun\u00e4chst muss ich auf diese Einwendungen erwidern, dass ich \u00fcber die gro\u00dfe Schwierigkeit, die eine scharfe begriffliche Erkl\u00e4rung der Bedingung des \u00bbSich-selbst-\u00fcberlassen-seins\u00ab darbietet, schon fr\u00fcher sehr eingehend nachgedacht habe, und dass der Vorwurf Johannes-son\u2019s, dieser Begriff werde irrth\u00fcmlicher Weise \u00bbals etwas Selbstverst\u00e4ndliches\u00ab vorausgesetzt, mir gegen\u00fcber ungerechtfertigt ist. In meiner allerersten Arbeit \u00fcber das Beharrungsgesetz bin ich, wie Jedermann nachlesen kann, in dieser Hinsicht den Vorschl\u00e4gen von Mach und Maxwell beigetreten, von denen der erstere bei Johan-nesson erw\u00e4hnt und zwar abgelehnt, aber doch immerhin als ein nennenswerther Versuch anerkannt wird77). In meinen sp\u00e4teren rbeiten habe ich freilich diesen an andere Autoren sich anlehnenden a_ Punkt nicht aufs Neue festgelegt, weil er mir selbst nicht mehr gen\u00fcgte ; ich zog es vielmehr vor, die Frage einstweilen offen zu n> einestheils um das, was mir zun\u00e4chst die Hauptsache zu sein U) nicht durch verwirrendes Beiwerk zu verschleiern, anderntheils, 10 die ganz richtigen Ideen,' die ich von der Sache hatte, noch\n3*","page":35},{"file":"p0036.txt","language":"de","ocr_de":"36\nLudwig Lange.\nnicht in einwandfreier Weise zu formuliren wusste. Wer die n\u00e4chsten Seiten dieser Abhandlung aufmerksam durchliest, wird finden, dass auch jener letzten begrifflichen Schwierigkeit des Beharrungsgesetzes ohne gro\u00dfe Umst\u00e4nde ahzuhelfen ist.\nEhe ich jedoch zu diesen Er\u00f6rterungen \u00fcbergehe, m\u00f6chte ich vorerst zu dem Einwand Kleinpeter\u2019s Stellung nehmen, dass meine Definition des Inertialsystem.es keine praktische Bestimmung der dynamischen Bezugsaxen durchf\u00fchrbar mache, \u00bbdie ja doch m\u00f6glich sein muss, wenn das Gesetz irgend welchen Werth haben soll\u00ab. \u2014 Die Definition des Inertialsystemes sollte so, wie ich sie gab, \u00fcberhaupt gar nicht der unmittelbaren praktischen Construction eines Inertialsystems dienen, sondern lediglich das methodologische Prototyp aller praktischen Constructionen dynamischer Bezugssysteme darstellen. In diesem Sinne habe ich an mehreren Orten von der \u00bbidealen Construction des Inertialsystemes\u00ab gesprochen und keinen Zweifel dar\u00fcber gelassen, dass die praktischen realen Constructionen sich von jener Idealconstruction, wenn auch nicht methodologisch, so doch physikalisch betrachtet, erheblich unterscheiden78). Diese praktischen Methoden, wie z. B. diejenigen, welche auf der Benutzung gyro-skopischer Erscheinungen oder des Foucault\u2019schen Pendels beruhen, stellen in der That nichts anderes, als eine durch die Verh\u00e4ltnisse gebotene, mehr oder minder complicirte Ausgestaltung jenes Prototypes dar, und sind- logisch von genau demselben Gesichtspunkt zu heurtheilen, wie zahlreiche andere praktische Ausgestaltungen prototypisch einfacher Begriffe, die die mathematischen und physikalischen Disciplinen aufweisen. Der Begriff der geraden Linie . wird z. B. praktisch ausgestaltet durch das Lineal; und gerade dieses Analogon ist \u00fcberaus lehrreich f\u00fcr unseren Fall, wie die nachfolgende Erw\u00e4gung zeigt. Wiewohl die Theorie des Inertialsystemes den mathematisch und erkenntnisstheoretisch werthvollen Nachweis erbringt, dass im Princip drei materielle Punkte zur n\u00e4heren Bestimmung des der Dynamik zu Grunde zu legenden starren Baumes nothwendig und hinreichend sind, so wird man hei allen praktischen Ausgestaltungen der Theorie mehr als drei materielle Punkte brauchen; genau so, wie das Lineal einer gro\u00dfen Menge von Materie um die darzustellende Gerade herum bedarf, um \u00fcberhaupt m\u00f6glich zu sein. Das Inertialsystem wird daher nat\u00fcrlich von dem n\u00e4mlichen","page":36},{"file":"p0037.txt","language":"de","ocr_de":"37\nDas Inertialsystem vor dem Forum der Naturforschung.\nismus getroffen, der auf alle hohen und h\u00f6chsten mathemati-hP Abstractionen angewandt werden kann, n\u00e4mlich: eine \u00e4u\u00dferste wriffliche \u00bbDestillation\u00ab des Wirklichen zu sein. Solche \u00bbDestillationen\u00ab oder Abstractionen kann aber einmal die mathematische Ph sik just so wenig entbehren, als die reine Mathematik; und so wenig diese den Begriff der geraden Linie aufgehen darf, genau ebenso wenig jene den Begriff des Inertialsystemes und die proto-typische Idealconstruction eines solchen.\nDer springende Punkt des von Prege, Johannesson und Kleinpeter erhobenen gemeinsamen Einwandes l\u00e4sst sich nun dahin pr\u00e4cisiren: Da Lange an die drei Fundamentalpunkte seines Inertialsystemes die Bedingung des Unbeeinflusstseins kn\u00fcpft, \u00fcber deren Erf\u00fclltsein oder Nichterf\u00fclltsein doch nur die Geradlinigkeit oder Krummlinigkeit ihrer Bahnen Auskunft zu geben vermag, so bleibt\nein Cirkel bestehen. \u2014\nWenn sich der Begriff des Inertialsystemes mit seiner prototypi-schen Idealconstruction vollkommen deckte, so m\u00fcsste ich das allerdings zugeben. Ich w\u00fcrde mich alsdann sogar gen\u00f6thigt sehen, die Anerkennung, die sowohl Frege als auch Kleinpeter meinem Versuch zollen, dass er n\u00e4mlich \u00fcber die wirkliche Bedeutung des Beharrungsgesetzes ein wesentlich helleres Licht verbreitet habe, mit Dank ahzulehnen. Der Cirkel ist aber, soviel mir wenigstens scheint, lediglich ein formeller und kein sachlicher; er trifft einzig den sprachlichen Ausdruck der vorgeschlagenen Idealconstruction, nicht aber den begrifflichen Inhalt der Partialconvention als solcher. Dies erhellt in voller Deutlichkeit, wenn ich darauf hinweise, dass die analytischen Entwicklungen, die der Definition des Inertialsystemes vorangehen, rein phoronomischer Natur sind. Die Wurzel der ganzen Auseinandersetzung liegt doch in dem rein phoronomisch gef\u00fchrten Nachweis, dass die geradlinige Bewegung von n Punkten in Bezug auf einen und denselben starren Baum Sache der blo\u00dfen Convention \u00fcber diesen Baum ist solange die Bedingung \u00abS3 zutrifft; dass dagegen, wenn f\u00fcr n^> 3 \u00dfin starrer Baum phoronomisch m\u00f6glich ist, worin alle 11 Punkte geradlinig fortschreiten, dies als ein h\u00f6chst merkw\u00fcrdiges Zusammentreffen, sozusagen als ein \u00bbsingul\u00e4rer Fall\u00ab betrachtet werden muss, vergleichbar etwa der \u00bbzuf\u00e4lligen\u00ab Lage von mehr als drei Punkten","page":37},{"file":"p0038.txt","language":"de","ocr_de":"38\nLudwig Lange.\nin einer und derselben Ebene. Dass dieser Nachweis gelungen ist, und zwar unabh\u00e4ngig von der Bedingung des Unbeeinflusstseins der Punkte, \u00fcberhaupt ohne jede dynamische Voraussetzung, daran zweifelt schwerlich irgend ein Mathematiker. Aus dieser Wurzel aber ergibt sich nun der Kern der weiteren Darstellung in folgendem Sinne: Der einzige, einer klaren Vorstellung zug\u00e4ngliche Inhalt des Beharrungsgesetzes ist der, dass f\u00fcr \u00bbsich selbst \u00fcberlassene Punkte\u00ab jener singul\u00e4re Fall zutrifft.\nDa nun, wohlgemerkt, erst bei dieser Aussage der Kraftbegriff in die Betrachtung eingef\u00fchrt wird, so treffen die Schwierigkeiten, die, wie Jedermann zugibt, der einwandfreien Definition des Kraftbegriffes anhaften, lediglich den materiellen dynamischen Inhalt des Beharrungsgesetzes selbst; sie ber\u00fchren aber nicht im geringsten den phoronomisch gef\u00fchrten Nachweis, dass dieser Inhalt mit einer Partialconvention auf Grund dreier Fundamentalpunkte zutreffend und ersch\u00f6pfend wiedergegeben wird.\nMan ersieht, beil\u00e4ufig bemerkt, aus der nicht allzu scharf pr\u00e4ci-sirten Form des gemachten Einwandes deutlich, dass die seit Kant, Wronski und Amp\u00e8re allgemein betonte Nothwendigkeit, zwischen Phoronomie und Dynamik zu unterscheiden, noch nicht in ihrer vollen Bedeutung beachtet worden ist. Es mag auch sein, dass der von den Absolutisten gemachte Versuch, die Nothwendigkeit eben dieser Unterscheidung f\u00fcr das Dogma der \u00bbabsoluten Bewegung\u00ab auszubeuten, gerade die consequenten Relativisten vielfach verleitet, die Grenzlinie zu \u00fcbersehen. Dass sich die Unterscheidung zwischen Phoronomie und Dynamik gleichwohl auch mit dem consequentesten Relativismus vertr\u00e4gt, braucht hier kaum nachgewiesen zu werden.\nIn den vorstehenden Ausf\u00fchrungen ist andeutungsweise bereits das Zugest\u00e4ndnis enthalten, dass die s. Z. von mir vorgeschlagene Fassung des Beharrungsgesetzes in der Form noch nicht den h\u00f6chsten erreichbaren Grad der Klarheit und Einwandfreiheit aufweist. Ich ziehe heutigentags eine etwas andere Formulirung des Gesetzes vor, in der die theoretische Idealconstruction des Inertialsystems nicht mehr die grundlegende Definition, sondern nur mehr ein Corollarium derselben bildet. W\u00e4hrend n\u00e4mlich der Ausspruch des Gesetzes, oder richtiger gesagt, derjenige seines r\u00e4umlichen Theiles, einfach auf die Annahme der phoronomischen M\u00f6glichkeit eines Systems gerad-","page":38},{"file":"p0039.txt","language":"de","ocr_de":"Das Inertialsystem vor dem Forum der Naturforschung.\t39\n\u2022\t\u2022 er Bahneinzeichnung f\u00fcr beliebig viele [n > 3) sich seihst \"Verlassene Punkte reducirt, und einem solchen Systeme der Name Inertialsystem\u00ab heigelegt wird, dient die ehemals als Definition vor-\n*\tgestellte Idealconstruction (auf Grund dreier Punkte) immer noch als thunlichst vereinfachtes Prototyp aller praktischen realen Methoden, die zur Construction von Inertialsystemen angeAvandt werden k\u00f6nnen. Gegen\u00fcber einer solchen Fassung ist jedenfalls der Einwand des Cirkels, wie ihn Frege, Johannesson und Kleinpeter gegen die alte erhoben haben, auch nicht einmal hinsichtlich der Form aufrecht zu erhalten.\nEs scheint mir gerade an dieser Stelle die passendste Gelegenheit gegeben zu sein f\u00fcr einen l\u00e4ngeren Excurs, welcher die dem Kraftbegriff innewohnenden Schwierigkeiten zu beleuchten und zu ihrer UeberAvindung einiges beizutragen bestimmt ist. Ohne eine derartige Auseinandersetzung w\u00e4re ja die Aufgabe der vorliegenden Abhandlung nur halb gel\u00f6st. Da wir nun aber in verwandten Betrachtungen bereits mitten drin stehen, so ist eine Unterbrechung meiner Ausf\u00fchrungen zu der Frege\u2019schen Studie wohl ausreichend gerechtfertigt.\nSoll das Beharrungsgesetz in seiner allgemeinsten Form einen verst\u00e4ndlichen Inhalt haben, so ist zu seiner Erg\u00e4nzung eine begriffliche Erkl\u00e4rung dessen, was wir unter \u00bbKr\u00e4ften\u00ab verstehen, unumg\u00e4nglich nothwendig. Und zwar darf diese begriffliche Erkl\u00e4rung nicht auf das Beharrungsgesetz selbst, am allerwenigsten aber auf seinen definitiven allgemeinsten Ausdruck gegr\u00fcndet werden. Da ist es nun allerdings als ein Gl\u00fcck zu betrachten, dass die Wurzeln des Kraftbegriffes in ziemlich elementaren Regionen liegen, in denen sich das Bedlirfniss nach einem letzten und definitiven Ausdruck des Beharrungsgesetzes noch gar nicht bemerkbar macht.\nBeginnen wir, wie das in allen solchen F\u00e4llen angemessen ist, mit der psychologischen Genesis der Vorstellung von wirkenden Kr\u00e4ften. Die primitivste Vorstellung der Kraft ist, wie wohl Jedermann zugibt, eine anthropomorphe. Die durch uns selbst beth\u00e4tigte und von \u00bbKraftempfindung\u00ab begleitete Einwirkung auf \u00e4u\u00dfere K\u00f6rper, deren feste Lage oder \u2014 wenn sie, wie z. B. die central angesto\u00dfene Billardkugel, geradlinig und ann\u00e4hernd gleichf\u00f6rmig gegen den Erdraum fortschreiten, \u2014 deren Bahn wir ver\u00e4ndern,","page":39},{"file":"p0040.txt","language":"de","ocr_de":"40\nLudwig Lange.\nist ein Erinnerungselement, welches mehr oder weniger deutlich erkennbar in alle unsere Vorstellungen von wirkenden Kr\u00e4ften eingeht. Sehen wir einen anderen Billardspieler durch einen Schlag mit der Hand die laufende Kugel ahlenken, so schlie\u00dfen wir per analogiam, dass seine von einer Kraftempfindung begleitete Kraft\u00e4u\u00dferung der Ablenkung zu Grunde liegt. Tritt jetzt weiterhin eine Bahnablenkung ein durch das Hinzukommen unbelebter K\u00f6rper, etwa eines anderen aufsto\u00dfenden Balles, so wird auf der primitivsten mythologischen Stufe der Xaturbetrachtung mit Xothwendig-keit die Vorstellung Platz greifen, dass in dem hinzugetretenen K\u00f6rper auch wieder eine mit Kraftempfindung verbundene Th\u00e4tigkeit vorhanden sei79). Hier ist der Punkt, wo die Wege der n\u00fcchternen wissenschaftlichen Forschung von denen des kindlichen phantasievollen Glaubens abseits f\u00fchren. Der Vertreter der n\u00fcchternen Erkenntniss l\u00e4sst sich an einer geometrischen Beschreibung der geschehenen Ablenkung und einer m\u00f6glichst allgemeing\u00fcltigen Formel, welche die Gr\u00f6\u00dfe und Richtung der Ablenkung f\u00fcr jeden besonderen Fall vorherzusagen gestattet, gen\u00fcgen; \u00fcber die inneren quasi-seelischen Zust\u00e4nde der K\u00f6rper, die nach Ansicht des mythologisirenden Denkers mit der gegenseitigen Einwirkung verkn\u00fcpft sind, gr\u00fcbelt er grunds\u00e4tzlich nicht nach, stellt sie sogar meistens geradezu in Abrede80).\nEine weitere \u00fcberaus wichtige Stufe in der Entwicklung unserer Vorstellungen von bewegenden Kr\u00e4ften bilden unsere Erfahrungen \u00fcber die Schwere. Einen nicht unterst\u00fctzten K\u00f6rper sehen wir fallen. Wir beobachten, dass unsere mit Kraftempfindung verbundene Willens\u00e4u\u00dferung im Stande ist, seinen Fall aufzuhalten, und dass unsere Th\u00e4tigkeit dabei genau von der gleichen Art ist, wie wenn wir der mit Kraftempfindung gepaarten Willens\u00e4u\u00dferung eines anderen Lebewesens entgegenwirken. Wir schlie\u00dfen nun daraus nicht, dass der fallende Stein von einer geistigen Potenz nach unten gezogen werde81), sondern begn\u00fcgen uns zu sagen: Der Stein befindet sich unter irgend welchen uns nicht n\u00e4her bekannten Umst\u00e4nden, die die n\u00e4mliche Wirkung hervorhringen, als ob Jemand an ihm z\u00f6ge. Das Ph\u00e4nomen und seine thunlichst genaue Vorhersage gestattende Beschreibung nach Ma\u00df und Zahl ist, zun\u00e4chst wenigstens, der einzige Gegenstand der Wissenschaft; und wenn diese auf einer","page":40},{"file":"p0041.txt","language":"de","ocr_de":"Das Inertialsystem vor dem Forum der Naturforschung.\n41\nsp\u00e4teren\nStufe den Versuch macht, das Ph\u00e4nomen auf hypothetische\nBewegungen verborgener Massen, etwa der Jonen zur\u00fcckzuf\u00fchren, so l\u00e4sst sie auch dabei die seelischen Vorg\u00e4nge, die von der mytho-logisirenden Phantasie vorausgesetzt werden, grunds\u00e4tzlich aus dem\nSpiel.\nDas Ph\u00e4nomen des irdischen Falles bildete zweifellos f\u00fcr Newton den psychologischen Ausgangspunkt zu seiner Theorie der Planetenbewegung82). Da sein Krafthegriff ebenso, wie sein Bewegungsbegriff, keineswegs den h\u00f6chsten gegenw\u00e4rtig erreichbaren Standpunkt der Aufkl\u00e4rung vertritt, so weicht unser weiterer Gedankengang erheblich von dem seinigen ab; der Ausgangspunkt aber ist derselbe.\nDehnen wir also jetzt unsere Betrachtung auf ein System von n materiellen \u00bbder Massenanziehung unterworfenen\u00ab Punkten oder, um m\u00f6glichst anschaulich zu bleiben, auf das Planetensystem aus. Der n\u00fcchterne Kern der N e w t o n - L ap 1 a c e \u2019 sehen Theorie ist dann ungef\u00e4hr der folgende. Legt man durch den Sonnenmittelpunkt als Ursprung ein Axensystem, in welchem die von der Sonne aus zu den Fixsternen hin gezogenen Badien eine unver\u00e4nderliche Richtung beihehalten, so lassen sich die Bewegungen eines jeden Planeten in Bezug auf dieses System zun\u00e4chst einmal eindeutig beschreiben; d. h. man kann f\u00fcr jeden durch den Drehungswinkel der Erde n\u00e4her bestimmten Zeitpunkt denjenigen Raumpunkt des genannten Coordinatensystems, in welchem sich beispielshalber Venus befindet, geometrisch angeben. Jetzt fragt es sich weiter: gibt es vielleicht allgemeine Formeln \u2014 nach Analogie der f\u00fcr die Fall- und Wurfbewegung auf der Erde aufgestellten \u2014, in welchen die Coordinaten der Venus als Functionen der Zeit derma\u00dfen ausgedr\u00fcckt sind, dass die in jedem Zeitpunkte von ihr eingenommene Lage durch einfache Einsetzung des Zeit-werthes in die Gleichungen rechnerisch angegeben werden kann?\nDie Antwort lautet: Ja, es gibt solche Formeln, und zwar lassen sich dieselben ohne alle metaphysischen Voraussetzungen entwickeln, indem man von den folgenden formalen Festsetzungen ausgeht.\nWir definiren zun\u00e4chst rein phoronomisch, was unter der Be-. umSung eines Punktes zu jenem Ooordinatensystem zu verstehen s\u00ae!. Sodann ordnen wir in Gedanken einem jeden Gliede des Sonnen-errt tT e*nen gewissen, noch unbekannten, seinem Betrage nach 1110 Beobachtung und Rechnung zu ermittelnden constanten","page":41},{"file":"p0042.txt","language":"de","ocr_de":"42\nLudwig Lange.\nCoefficienten zu \u2014, das n\u00fcchterne Aequivalent seiner \u00bbMasse\u00ab \u2014, und machen weiterhin folgende Annahmen, \u00fcber deren Zul\u00e4ssigkeit, wohl gemerkt, wiederum erst die Uebereinstimmung oder Nicht\u00fcbereinstimmung zwischen Rechnung und Beobachtung entscheiden soll, n\u00e4mlich:\n1)\tDie Beschleunigung unseres Planeten ist in jedem Augenblicke die Resultante YOn ebensoviel Beschleunigungscomponenten, als andere benachbarte K\u00f6rper vorhanden sind. So gibt es eine von der Sonne herr\u00fchrende Beschleunigungscomponente, eine von der Erde herr\u00fchrende, eine vom Mercur herr\u00fchrende, u. s. w. Alle diese einzelnen Beschleunigungscomponenten, nach einfachen geometrischen S\u00e4tzen zusammengesetzt, ergehen zusammen die beobachtete Gesammtbe-schleunigung.\n2)\tDie Richtung derjenigen Beschleunigungscomponente unseres Planeten, welche der Sonne zugeschrieben wird, stimmt mit der von der Venus nach der Sonne hin gezogenen Verbindungslinie \u00fcberein; ihre Gr\u00f6\u00dfe bestimmt sich als ein Product, in welches das reciproke Quadrat des jeweiligen Abstandes zwischen Sonne und Venus als ein Factor, und der der Sonne zugeordnete noch unbekannte Massen-coefficient als anderer Factor eingeht. Und in analoger Weise bestimmen sich Richtung und Gr\u00f6\u00dfe aller \u00fcbrigen Beschleunigungscomponenten des Planeten Venus, die wir der Erde, dem Mercur und anderen benachbarten Himmelsk\u00f6rpern zuschreiben.\nAuf Grund dieser, ganz und gar keine metaphysischen Begriffe erfordernden Annahmen gelingt es alsdann, Formeln zu entwickeln, welche hei passender Bewerthung der Massencoefficienten gestatten, durch einfache Einsetzung der in einem bestimmten Augenblicke beobachteten numerischen Werthe f\u00fcr Lage, Bewegungsrichtung und Geschwindigkeit der einzelnen Glieder des Sonnensystems den Ort der Venus f\u00fcr sp\u00e4tere Zeitpunkte in mit der Beobachtung \u00fcbereinstimmender Weise vorherzusagen83).\nDie vorstehende, nur die Hauptpunkte der astronomischen Bahnbestimmungsmethoden skizzirende, dem Mathematiker gleichwohl vielleicht schon etwas weitl\u00e4ufig erscheinende Auseinandersetzung zeigt) dass der richtig verstandene astronomische Kraftbegriff, solange wir das heliocentrische Fixsternsystem und den Drehungswinkel der Erde der r\u00e4umlich-zeitlichen Beschreibung der Planetenbewegungen zu Grunde","page":42},{"file":"p0043.txt","language":"de","ocr_de":"Das Inertialsystem vor clem Forum der Naturforschung.\t43\nn von jedem mystischen Dunkel und von jedem Cirkel vollkommen frei ist Und darin gebe ich Mach und Hertz84) vollst\u00e4ndig Recht,\ndass die Theorie der Planetenbewegungen auf absehbare Zeit mit der Zugrundelegung des heliocentrischen Fixsternsystems und des Drehungswinkels der Erde sich wird begn\u00fcgen d\u00fcrfen. Denn die Thatsache, Jass ein bedeutender Theil der Fixsterne gegen die \u00fcbrigen in Abstandsver\u00e4nderungen begriffen ist, f\u00e4llt neben den doch einmal unvermeidlichen Beobachtungsfehlern und den rechnerischen \u00bbVernachl\u00e4ssigungen\u00ab, welche in die Bestimmung der Planeten\u00f6rter ein-gehen, nicht erheblich ins Gewicht. Anders aber gestaltet sich die Sache, wenn wir anfangen, wie die Astronomie als beobachtende Disciplin schon seit bald zwei Jahrhunderten angefangen hat, die Bewegungen der Fixsterne und die Bewegung desSonnen-systemes als eines Ganzen zu behandeln.\nWird die, dem Vorangegangenen zufolge f\u00fcr die Theorie der Planetenbewegung vollst\u00e4ndig gelungene, Elimination des metaphysischen Krafthegriffes auch hei sp\u00e4teren stellardynamischen Untersuchungen durchf\u00fchrbar sein ? Und wird sich auch hier der ger\u00fcgte\nCirkel umgehen lassen ?----Obwohl wir uns bei dieser Gelegenheit\nauf ein in der Hauptsache noch \u00fcberaus wenig betretenes Gebiet wagen m\u00fcssen, soll doch der Versuch gemacht werden, auf beide Fragen eine m\u00f6glichst klare und bestimmte Antwort zu ertheilen.\nVorausgeschickt sei die Bemerkung, dass eine Dynamik der Fix-stembewegungen, wenn man von der Theorie der mehrfachen Sterne 'Doppelsterne) und der ihnen zuzurechnenden ver\u00e4nderlichen Sterne des Algoltypus ahsieht, bis jetzt meines Wissens noch gar nicht versucht worden ist. Alle von der Astronomie gemachten Aussagen \u00fcber die sogenannten \u00bbwahren Eigenbewegungen\u00ab der Fixsterne und \u00fcber die sogenannte \u00bbabsolute Translation\u00ab der Sonne sind rein phoronomischen Charakters; sie betreffen lediglich Geschwindig-eiten, und niemals Beschleunigungen. Wenn man beispielsweise das Umsystem n\u00e4her angeben soll, a\u00fcf welches sich die von den Astronomen angenommene \u00bbabsolute Translation\u00ab der Sonne \u00fce^ieTit. an\nu em Raum\u00ab oder, um in unserer weniger geheimnissvollen 0 \u00b0gie zu reden, dass es mit dem barycentrischen Inertial-","page":43},{"file":"p0044.txt","language":"de","ocr_de":"44\nLudwig Lange.\nsystem des Universums phoronomisch durchaus nicht zusammenzufallen braucht86). Es deutlich zu d\u00e9finir en, h\u00e4lt in Folge der ungemein verwickelten Beschaffenheit der zu ihm f\u00fchrenden Rechnungen au\u00dferordentlich schwer; am n\u00e4chsten d\u00fcrfte man der Wahrheit kommen, wenn man es als dasjenige Raumsystem kennzeichnet, in Bezug auf welches die Summe der Geschwindigkeitsquadrate aller \u2014 oder gewisser herausgenommener \u2014 Glieder des Fixstemcomplexes jederzeit ein Minimum darstellt. Wenigstens d\u00fcrfte ein derart definirtes Raumsystem dem Ideal, welches den bisherigen Errechnern der Sonnentranslation vorzuschweben scheint, noch am n\u00e4chsten kommen. Dass von einer Bezugnahme auf ein mit dem Schwerpunkt des Universums fest verbundenes und, dynamisch betrachtet, inertiales System gar nicht die Rede sein kann, au\u00dfer h\u00f6chstens durch reinen Zufall, dies folgt schon aus dem Umstande, dass die bis heute g\u00e4nzlich unbekannten Massen der Fixsterne86) in die Rechnung nat\u00fcrlich gar nicht einbezogen werden konnten. Aus allem Vorangegangenen folgt nun, dass zu demjenigen, was die Planetarastronomie als \u00bbwahre Bewegungen\u00ab der Planeten bezeichnet (n\u00e4mlich dynamisch wohl charakte-risirte Revolutionen gegen das heliocentrische Inertialsystem), die sogenannten \u00bbwahren Eigenbewegungen\u00ab der Fixsterne und der Sonne schlechterdings nicht die geringste begriffliche Analogie darbieten; der Gleichklang des Wortes \u00bbwahr\u00ab ist das einzige ' \u00bbtertium compara-tionis\u00ab, und noch dazu ein sehr gef\u00e4hrliches, wie die historische That-sache beweist, dass ein Astronom von dem Range Argelander\u2019s auf jenen Gleichklang ein schon aus logischen Gr\u00fcnden ganz hinf\u00e4lliges Argument st\u00fctzen konnte.\nDie Behauptungen des vorigen Absatzes eingehender zu begr\u00fcnden, darf ich mir hier wohl schon um deswillen sparen, weil der erste Anhang meines \u00bbBewegungsbegriffes\u00ab sich recht ausf\u00fchrlich \u00fcber den Gegenstand verbreitet. Die Stichhaltigkeit meiner Kritik ist inzwischen nicht nur von G. Frege, sondern auch von H. Seeliger, von letzterem wenigstens in den Hauptpunkten, anerkannt worden87).\nWenn es nun nach dem Vorangegangenen auch feststeht, dass bislang zu einer Dynamik der Fixsterneigenbewegungen noch nicht einmal die ersten Schritte unternommen worden sind, so ist doch die Hoffnung, dass es gelingen werde, eine solche zu begr\u00fcnden, keineswegs aufzugeben. Die Grundfrage muss bei derartigen Untersuchungen","page":44},{"file":"p0045.txt","language":"de","ocr_de":"Das\nInertialsystem vor dem Forum der Naturforschung.\n45\nallem Anfang an die sein: Wie l\u00e4sst sich ein zur dynamischen Behandlung der Fixsternbewegungen geeignetes Bezugssystem praktisch festlegen?\nEhe wir zur Beantwortung dieser Frage \u00fcbergehen, sei mir folgende Vorbemerkung gestattet. Es ist eine eigent\u00fcmliche Beobachtung, die man in allen Zweigen des Naturerkennens machen kann, dass die Aufgaben, welche die Natur dem menschlichen Verst\u00e4nde darbietet nicht durchweg die allgemeinste, complicirteste Form, sondern zum Theil wenigstens besondere, die Berechnung vereinfachende Formen annehmen. So w\u00e4re z. B. das Tr\u00e4gheitsgesetz wahrscheinlich noch heute unentdeckt, wenn nicht f\u00fcr beschr\u00e4nkte irdische Bewegungen der Erdraum mit hinreichender Genauigkeit als ein inertial-ruhiger Raum betrachtet werden d\u00fcrfte. Ein ferneres Beispiel: das Bewegungsproblem f\u00fcr drei ann\u00e4hernd gleich gro\u00dfe gravitirende Massen (Dreik\u00f6rperproblem) ist bis heute analytisch nicht als gel\u00f6st zu erachten; nur der Umstand, dass in unserem Sonnencomplex eine Masse vor allen anderen weitaus pr\u00e4ponderirt, setzte Kepler, Newton, Laplace und ihre Nachfolger in den Stand, die Bewegungen des Sonnensystems in die bekannten Formeln zu bringen.\nAnalog vereinfachende Umst\u00e4nde d\u00fcrften nun auch f\u00fcr den Fix-stemcomplex zutreffen, wenn auch solche von wesentlich anderem Charakter. Man kann n\u00e4mlich mit gro\u00dfer Wahrscheinlichkeit annehmen: Dass die Entfernung der meisten Fixsterne von einander eine im Vergleich zu ihrer eigenen Gr\u00f6\u00dfe und Masse so ungeheuere ist, dass sie einander auf Jahrhunderte, vielleicht selbst auf Jahrtausende hinaus keine merklichen Beschleunigungen in Bezug auf das barycentrische Inertialsystem des Complexes ertheilen, vielmehr so gut wie geradlinig und gleichf\u00f6rmig gegen dasselbe fortschreiten. Bis zu welchen Zeitepochen hin diese vereinfachende Approximation ausgedehnt werden darf, dies muss nat\u00fcrlich eine, mindestens \u00fcber mehrere Jahrzehnte fortzusetzende, Erfahrung erst lehren; die bisher angestellten Beobachtungen d\u00fcrften dar\u00fcber ebenso wenig entscheiden, als etwa ein kurzes ann\u00e4hernd geradlinig und gleichf\u00f6rmig durchlaufenes St\u00fcck der Neptunbahn gestattet, die Bahnelemente dieses aneten zu ermitteln. Unsere Annahme tr\u00e4gt m. e. W. den Stempel dner vorl\u00e4ufigen, unter den Vorbehalt jederzeit m\u00f6glicher Correction gestellten Hypothese, wie die Astronomie solche gar nicht selten macht.","page":45},{"file":"p0046.txt","language":"de","ocr_de":"46\nLudwig Lange.\nWenn nun diese Hypothese zutrifft, so ist dasjenige Inertialsystem, in welchem der Schwerpunkt des Sonnensystems ruht, auf folgender Grundlage bestimmbar. Man greift einige wenige, sagen wir z. B. drei Fixsterne s,, .s2, s3 von bekannter Parallaxe (deren Sonnenahstand also mit befriedigender Genauigkeit numerisch feststeht), aus dem Complex heraus, und stellt f\u00fcr drei oder vier auf einander folgende, weit genug von einander getrennte Epochen t, f, t\", f\" nachstehende Gr\u00f6\u00dfen durch astronomische Beobachtung fest:\n1)\tDie Winkel s, Ss2, s1Ss3, s2Ss3, in welchen S die Sonne bezeichnet88).\n2)\tDie Geschwindigkeiten, mit welchen sich die Abst\u00e4nde Ssu Ss2 und Ss3 in jeder der genannten Epochen, wom\u00f6glich auch in den dazwischenliegenden Zeiten, verkleinern bezw. vergr\u00f6\u00dfern.\nDann wird es, die Richtigkeit unserer Vermuthung vorausgesetzt, im Princip sehr wohl m\u00f6glich sein, dasjenige Inertialsystem, r\u00fccksichtlich dessen der Massenmittelpunkt unseres Sonnencomplexes ruht, constructiv-phoronomisch festzulegen. Die praktische Ausf\u00fchrung dieser rechnerischen Idee muss freilich den Fachleuten der Himmelskunde \u00fcberlassen werden. Denn so einleuchtend und principiell einfach dieselbe in logischer Hinsicht ist, so wird ihre Verwirklichung zun\u00e4chst noch auf manche nicht geringe Schwierigkeiten sto\u00dfen, die sich schon aus den gro\u00dfen, durchaus nothwendigen Beobachtungsperioden zur Gen\u00fcge erkl\u00e4ren. Wir m\u00fcssen daher hier ganz zufrieden sein, die anzuwendende Constructionsmethode in logisch einwandfreier Weise skizzirt zu haben. Aus methodologischem Gesichtspunkt betrachtet kennzeichnet sich dieselbe, wie kaum ausgef\u00fchrt zu werden braucht, als eine blo\u00dfe praktische Ausgestaltung der prototypischen Idealconstruction des Inertialsystemes89).\nMacht man nun nach geschehener Construction die Beobachtung, dass in Bezug auf das construite Coordinatensystem noch eine erhebliche Anzahl weiterer Fixsterne auf Jahrhunderte oder Jahrtausende hinaus geradlinig und gleichf\u00f6rmig bewegt sind, zum Theil vielleicht ihren Ort \u00fcberhaupt nicht ver\u00e4ndern, so findet damit unsere Vermuthung ihre endg\u00fcltige Best\u00e4tigung, sie tritt aus der Reihe der blo\u00dfen provisorischen Hypothesen hin\u00fcber in die Kategorie der anerkannten wissenschaftlichen Thatsachen. Wir werden alsdann berechtigt sein, in dem construirten System ein heliocentrisches Inertialsystem","page":46},{"file":"p0047.txt","language":"de","ocr_de":"Das Inertialsystem vor dem Forum der Naturforschung.\n47\nit h\u00f6herem Pr\u00e4cisionsgrade, als das jetzt \u00fcbliche heliocen-'\u00b0sche Fixstemsystem ihn aufweist, anzuerkennen. Etwa zur Kenntniss elan ende F\u00e4lle, wo andere Fixsterne zum \u00bbh\u00f6heren heliocentrischen Inertialsystem\u00ab \u2014 so k\u00f6nnte man das construirte System kurz und zutreffend nennen, \u2014 nicht geradlinig fortschreiten, sondern vielmehr in (stellarastronomisch bemessen) kurzen Zeitr\u00e4umen von der geradlinigen Bahn abweichen, w\u00fcrden meiner Meinung nach nur den Ansto\u00df geben, in \u00e4hnlicher Weise, wie es im Gebiet der Planetar-astronomie wiederholt geschehen ist, nach ablenkenden Massen zu fahnden. So w\u00fcrde vielleicht auch dem Problem der stellarastrono-mischen Massenberechnung fr\u00fcher oder sp\u00e4ter eine methodologisch solide Basis gegeben werden k\u00f6nnen.\nDas h\u00f6here heliocentrische Inertialsystem w\u00e4re nat\u00fcrlich noch nicht die allerletzte Instanz der astronomischen Ortsbestimmung und Dynamik. W\u00fcnschenswerth w\u00e4re es vielmehr, auf das h\u00f6here bary-centrische Inertialsystem des Fixsterncomplexes zuzusteuern; und als oberste, wohl niemals zu verwirklichende Idealinstanz m\u00fcsste das exacte barycentrische Inertialsystem des Universums stets im Hintergrund aller unserer Betrachtungen bestehen bleiben. Bein geometrisch betrachtet deckt sich das letztere vollst\u00e4ndig mit Newton\u2019s \u00bbabsolutem Baum\u00ab; den Nachweis, dass der Begriff als solcher ein ungleich klarerer, von jeder Mystik entkleideter ist, darf ich mir wohl sparen.\nSolange uns die Massen der Fixsterne nicht bekannt sind, werden wir uns jedenfalls mit dem h\u00f6heren heliocentrischen Inertialsystem (als h\u00f6chster zun\u00e4chst erreichbarer Instanz) begn\u00fcgen m\u00fcssen. Auch die an fruchtbringenden Ideen \u00fcberaus reiche Astrophysik hat, soviel mir bekannt, bis jetzt keine Methode angegeben, welche mit Aussicht auf Erfolg zur Bestimmung der Massen vereinzelt stehender Fixsterne herangezogen werden k\u00f6nnte; insbesondere w\u00fcrden die photo metrischen Methoden doch wohl nur unter Zugrundelegung sehr gewagter Hypothesen B\u00fcckschliisse auf die Massen der Fixsterne gestatten.\nWenn es \u00fcbrigens dereinst gelingen sollte, das h\u00f6here bary-\u00b0entr is che Inertialsystem des Fixsterncomplexes zu construiren, . s^\u00b0h voraussichtlich f\u00fcr die Translationsrichtung der Sonne ^Jjanz anderer Apex heraussteilen, als es der zur Zeit angenommene phoronomische Durchschnittsapex im Sternbild des Hercules ist.","page":47},{"file":"p0048.txt","language":"de","ocr_de":"48\tLudwig Lange.\nHiermit muss ich dieses \u00e4u\u00dfert interessante Wissensgebiet der Stellarastronomie verlassen.\nFrege, bei dessen Studie zum Bewegungsbegriff wir zu Beginn des vorstehenden Excurses stehen geblieben waren, sagt an einer sp\u00e4teren Stelle: \u00bbWas nun die Frage nach der Bealit\u00e4t der Bewegung betrifft, so droht sie, wie mir scheint, in einen Wortstreit auszuarten\u00ab90). Es k\u00f6nne sich, so meint er, \u00bbnur darum handeln, ob der Unterschied zwischen beschleunigter und nicht beschleunigter Bewegung, oder, wie Lange sagt, zwischen Inertialdrehung und Inertialruhe\u00ab91) real ist. \u2014 Im Anschluss an diese und die ihnen nachfolgenden Er\u00f6rterungen Frege\u2019s d\u00fcrfte die kurze Bemerkung gen\u00fcgen, dass ich die Wirklichkeit (Objectivit\u00e4t) eine:? Unterschiedes zwischen blo\u00df phoro-nomischer Drehung und Inertialdrehung nicht nur nicht bestritten, sondern sogar recht energisch betont habe. Es ist aber etwas ganz anderes, ob man jenen Unterschied als objectiv ansieht, oder ob man die Inertialdrehung f\u00fcr eine \u00bbwirkliche\u00ab Bewegung h\u00e4lt, die rein phoronomische Drehung dagegen \u2014 z. B. die t\u00e4gliche Umdrehung des Firmaments \u2014 als nur \u00bbscheinbar\u00ab betrachtet. Soviel ich \u00fcbrigens Frege verstehe, scheint er weit entfernt zu sein, dieser letzteren Anschauungsweise beizutreten. Mir scheint jedenfalls die Frage nach der \u00bbwirklichen\u00ab und \u00bbscheinbaren\u00ab Bewegung, und die Frage nach der Angemessenheit dieser Ausdr\u00fccke durchaus nicht auf einen blo\u00dfen Wortstreit hinauszulaufen. Die von mir (und mehreren anderen Autoren) vertretene Anschauung stellt als oberstes Princip die Relativit\u00e4t der Bewegung auf; sie leugnet damit aber nicht die Objectivit\u00e4t oder Realit\u00e4t der Bewegung als Distanz\u00e4nderung, sie sagt vielmehr ganz im Gegentheil, dass jede Orts Ver\u00e4nderung eine reale Bewegung sei; sie liest aus den vielen Arten der Bewegung eine bestimmte, n\u00e4mlich die Inertialdrehung, nicht in dem Sinne aus. als ob sie reeller sei denn andere blo\u00df phoronomische Drehungen, sondern nur als einen methodologisch-dynamisch vor anderen auszuzeichnenden Fall, der bei der analytischen Behandlung der Bewegungsvorg\u00e4nge eine besondere grundlegende Beachtung verdient. Frege selbst vindicirt mir wenige Seiten sp\u00e4ter den \u00bbRuhm\u00ab, die Grenzlinie zwischen dem Inertiell-Ruhigen und Nicht-Inertiellruhigen \u00bbzuerst deutlich gesehen zu haben\u00ab90).\nIm Jahre 1891, also ann\u00e4hernd gleichzeitig mit Frege\u2019s Aufsatz,","page":48},{"file":"p0049.txt","language":"de","ocr_de":"Pas Inertialsystem vor dem Forum der Naturforschung.\n49\njschien eine Schrift von L. Weber unter dem Titel \u00bbUeber das Galilei \u2019sehe Princip\u00ab3). Der auf dem Boden der physikalischen Forschung stehende Verfasser geht auf die das Beharrungsgesetz betreffenden Arbeiten der meisten fr\u00fcheren Autoren, so auch auf die meinigen, nicht n\u00e4her ein; ich habe daher nicht n\u00f6thig, das Inertial-system gegen Einw\u00e4nde von seiner Seite zu vertheidigen. Dagegen erw\u00e4chst mir die Aufgabe, die Weber\u2019sehen Vorschl\u00e4ge zu einer besseren Formulirung des Beharrungssatzes meinerseits einer Pr\u00fcfung\nzu unterziehen.\nWeber schlie\u00dft seine Er\u00f6rterungen ab mit einer Definition des Begriffes \u00bbuniversell-geradlinig-gleichf\u00f6rmige Bewegung\u00ab und mit dem die Stelle des Beharrungsgesetzes vertretenden Theorem: \u00bbWenn auf einen materiellen Punkt keine Kr\u00e4fte einwirken, besitzt er eine universell-geradlinig-gleichf\u00f6rmige Bewegung. Und umgekehrt\u00ab92).\nStatt nun Weber\u2019s Definition im Wortlaute zu citiren, ziehen wir es vor, vollkommen sinngetreu und dabei m\u00f6glichst deutlich anzugeben, nach welchem Kriterium Weber unterscheidet, ob ein ihm gegebener Punkt universell-geradlinig-gleichf\u00f6rmig bewegt sei, oder nicht. Zu diesem Zwecke verbindet n\u00e4mlich Weber mit dem fraglichen Punkte ein Coordinatensystem, dessen Axenrichtungen er in jedem Augenblicke so gelegt denkt, dass die darauf bezogene 2 ({-mv2) des Weltalls ein Minimum wird. Er untersucht sodann, ob der Massenmittelpunkt der Welt r\u00fccksichtlich des durch die Minimumsgleichung definirten Systems geradlinig-gleichf\u00f6rmig bewegt sei. Trifft dies zu, so bezeichnet Weber den der Untersuchung unterworfenen gegebenen Punkt selbst als \u00bbuniversell-geradlinig-gleichf\u00f6rmig bewegt\u00ab ; wo nicht, spricht er ihm die \u00bbuniversell-geradlinig-gleichf\u00f6rmige Bewegung\u00ab ab.\nMan k\u00f6nnte vielleicht fragen, warum Weber nicht einfach gesagt habe: \u00bbWir beziehen in der Dynamik alle Bewegungen, also auch die im Beharrungsgesetze ausgesprochenen, auf dasjenige Raumsystem, auf welches bezogen die 2 mi\u00df) des Universums jederzeit ein Minimum i8t\u00ab. Weber muss jedenfalls Gr\u00fcnde gehabt haben, diese Formulirung 211 vermeiden. In der That, h\u00e4tte er das Bezugssystem der Dynamik an S er^es^,a^ definirt, so lie\u00dfe sich nachweisen, dass seine Absicht, ;. e ie des Newton\u2019sehen absoluten Raumes damit ein geometrisch ^valentes System von minder mysteri\u00f6sem Charakter einzusetzen,\nPhil\u00b0s. Studien. XX.\t4","page":49},{"file":"p0050.txt","language":"de","ocr_de":"50\nLudwig Lange.\nstreng mathematisch betrachtet, missgl\u00fcckt w\u00e4re. Man kann n\u00e4mlich folgendes, zun\u00e4chst rein phoronomisches Problem aufstellen: \u00bbF\u00fcr einen Complex von ganz bedingungslos, auch ohne irgendwelche dynamische Voraussetzungen, bewegten Massenpunkten93) soll das Coordinatensystem construirt werden, in Bezug auf welches die jederzeit ein Minimum ist\u00ab. Die mir von fachm\u00e4nnischer Seite mitgetheilte L\u00f6sung dieser Aufgabe94) f\u00fchrt, sobald wir die spe-cialisirende Annahme machen, die Bewegung des Massencomplexes sei den dynamischen Bewegungsgesetzen, im \u00fcbrigen aber lediglich inneren Newton\u2019schen Centralkr\u00e4ften unterworfen, welche von den betrachteten Punkten selber ausgehen, zu folgendem Ergehniss:\n\u00bbDas System jederzeit minimaler 2 (-\u00a7 mvl) ist mit dem Schwerpunkt des Massencomplexes fest verbunden ; dennoch ist es, im allgemeinen wenigstens, keineswegs mit dem harycentrischen Inertialsystem des Complexes gleichwerthig. Vielmehr dreht es sich gegen dasselbe in gesetzm\u00e4\u00dfiger Weise um eine Axe, deren Lage, ebenso wie die Winkelgeschwindigkeit der Drehung fortw\u00e4hrendem Wechsel unterworfen ist. Um zun\u00e4chst die Lage der Drehungsaxe f\u00fcr einen gegebenen Augenblick zu bestimmen, hat man die derzeitige Lage und Gestalt des (fortw\u00e4hrender Aenderung unterworfenen) centralen Tr\u00e4g-heitsellipsoides des Complexes festzustellen. Verbindet man nun den Ber\u00fchrungspunkt, in welchem dieses Ellipsoid von der sogenannten \u00bbEbene maximaler Fl\u00e4chen constante\u00ab tangirt wird, mit dem Schwerpunkte des Complexes, so stellt die Verbindungslinie die gesuchte Drehungsaxe dar. Die Winkelgeschwindigkeit der Drehung gleicht dem Product jener Maximalfl\u00e4chenconstante in den Abstand der Ber\u00fchrungsebene vom Schwerpunkt und den Abstand des Ber\u00fchrungspunktes vom Schwerpunkt\u00ab94).\nDass es mit der soeben behaupteten Drehung seine Richtigkeit hat, best\u00e4tigt \u00fcbrigens schon die Betrachtung des Zweik\u00f6rperproblems. Denkt man sich die Massen der Sonne und Erde in ihren Mittelpunkten concentrirt, so \u00e4ndert das bekanntlich an den Bahngleichungen nichts. Dasjenige Coordinatensystem nun, in welchem f\u00fcr diesen Fall der Ausdruck 2{\\mv^) jederzeit ein Minimum ist, dreht sich offenbar mit derselben Geschwindigkeit und in derselben Richtung gegen das harycentrische Inertialsystem des Complexes, wie die Verbindungslinie beider Punkte.","page":50},{"file":"p0051.txt","language":"de","ocr_de":"Das Inertialsystem vor dem Forum der Naturforschung.\n51\nFasst man jetzt das Universum als einen dynamisch wie oben charakterisirten Complex auf \u2014 und die Astronomen werden sicher geneigt sein, dies zu thun \u2014, so ergibt sich, dass das System allzeit kleinster 2 (| m v1) des Weltalls gegen das harycentrische Inertialsystem desselben, oder, was geometrisch auf das gleiche hinausl\u00e4uft, gegen den \u00bbabsoluten Raum\u00ab Newton\u2019s sehr wohl in Drehung begriffen sein kann. Nimmt man dagegen an, dass die oben gegebene dynamische Oharakterisirung des Complexes dem Weltall nicht zukomme, so ist die Behauptung, das System jederzeit kleinster 2(\\mv2) repr\u00e4sentire ein phoronomisch strenges Aequivalent des \u00bbabsoluten Raumes\u00ab, erst recht nicht zu begr\u00fcnden. Ein Beispiel wird dies noch deutlicher machen. Die Massentheilchen eines in Rotation begriffenen \u00bbstarren\u00ab K\u00f6rpers bilden einen Complex, in welchem keine Centralkr\u00e4fte als wirksam angenommen werden, wof\u00fcr aber die rein geometrische Bedingung Platz greift, dass die Abst\u00e4nde der einzelnen Punkte von einander sich nicht \u00e4ndern d\u00fcrfen. Auch in diesem Falle lehrt die einfache Anschauung, dass das System jederzeit kleinster 2 mv2) gegen den von Newton angenommenen absoluten Raum in Drehung befindlich ist.\nDie Behauptung indessen, das Bezugssystem der Dynamik sei in einer, den \u00bbabsoluten Raum\u00ab ersetzenden, Weise zu definiren als das System jederzeit kleinster 2 [\\mv2) des Weltalls, hat Weher in dieser Form gar nicht aufgestellt; und insofern richtet sich die vorstehende Kritik scheinbar nicht direct gegen ihn, sondern gegen eine vielleicht \u00fcbereilte Consequenz aus seinen Ausf\u00fchrungen, die allerdings so nahe liegt, dass sie sicherlich schon mehr als ein Leser gezogen hat. Indessen bei genauer Pr\u00fcfung finden wir, dass Weher auf S. 38 seiner Schrift eine Behauptung verficht, die den n\u00e4mlichen, und vielleicht noch schwereren Bedenken unterliegen d\u00fcrfte. Es hei\u00dft da, das mit einem beliebigen gegebenen Punkt fest verbundene System allzeit kleinster universeller 2 (-J- mv2) weise constante Axenrichtungen gegen den \u00bbabsoluten Raum\u00ab auf. W\u00e4re diese Behauptung in ihrer Allgemeinheit richtig, so m\u00fcsste sie (im Widerspruch mit dem Vorangegangenen) insbesondere auch f\u00fcr das mit dem Schwerpunkt des Universums verbundene System jederzeit kleinster universeller 2: [\\mv2) zutreffen; und es w\u00e4re daher nicht einzusehen, weshalb Weher nicht einfach \u00bbdas Bezugs-\n4*","page":51},{"file":"p0052.txt","language":"de","ocr_de":"52\nLudwig Lange.\nsystem der Dynamik\u00ab auf dieser Basis definirt hat. P. Johannes-son macht \u00fcbrigens die Bemerkung, dass ihm Weber\u2019s Rechnungen, die zu der Behauptung auf S. 38 seiner Schrift f\u00fchren, auf einem Kreisschlusse zu beruhen scheinen95). Wie dem auch sei, der Charakter der Rechnung als einer blo\u00dfen N\u00e4herungsrechnung d\u00fcrfte leicht zu erweisen sein.\nMit einer Ann\u00e4herung nat\u00fcrlich, die f\u00fcr Zwecke der Physik und der Planetarastronomie gen\u00fcgen w\u00fcrde, ist es immerhin gestattet, das mit dem Schwerpunkt des Weltalls verbundene System kleinster 2 [\\ mv1) dem harycentrischen Inertialsystem gleichzusetzen ; und zwar einfach darum, weil es sich gegen das f\u00fcr diese Zwecke ziemlich ebenso gut ausreichende heliocentriche Fixsternsystem nur langsam dreht. F\u00fcr stellar dynamische Untersuchungen dagegen d\u00fcrfte das Weber\u2019sche System als Fundamentalsystem ganz ungeeignet sein.\nDass das oben skizzirte Kriterium Weber\u2019s, dar\u00fcber zu entscheiden, oh ein gegebener Punkt \u00bbuniversell-geradlinig-gleichf\u00f6rmig bewegt\u00ab sei, so wie es lautet, gar keine gemeinsame Bezugnahme mehrerer gleichzeitig der Untersuchung unterworfener Punkte auf ein einheitliches Bezugssystem an die Hand gibt, ist im Vorigen implicite schon ausgesprochen. Da die Untersuchungen der Dynamik ein einheitliches Bezugssystem gebieterisch verlangen, so ist das ein weiterer offenkundiger Mangel der Formulirung. Wie mir \u00fcbrigens scheint, w\u00fcrde sich \u00fcberhaupt ein strenger Nachweis gar nicht f\u00fchren lassen, dass f\u00fcr n nach Weber\u2019s Kriterium \u00bbuniversell-geradlinig-gleichf\u00f6rmig bewegte\u00ab Punkte ein einheitliches Coordinatensystem con-struirbar sei, in welchem sie alle geradlinig bewegt w\u00e4ren.\nDass es \u00e4u\u00dferst bedenklich ist, heim Ausspruch des Beharrungsgesetzes den Begriff des Massenquantums bereits vorauszusetzen, und dass ferner die Massenwerthe des Universums zum \u00fcberwiegenden Theile gar nicht bekannt sind, auch wohl niemals bekannt werden d\u00fcrften, soll nur kurz angedeutet werden. Diese beiden M\u00e4ngel der Weh er\u2019sehen Formulirung sind, wie mir scheint, auch in keiner Weise zu beseitigen, und der letztere von ihnen bringt es mit sich, dass eine praktische Ausgestaltung des Vorschlages, selbst wenn dieser theoretisch einwandfrei w\u00e4re, zu den unm\u00f6glichen Dingen geh\u00f6rt. Das eben erachte ich als den entscheidendsten Vorzug der","page":52},{"file":"p0053.txt","language":"de","ocr_de":"Das Inertialsystem vor dem Forum der Naturforschung.\n53\nvon Mac Gregor und mir verfochtenen Begriffsbildung, dass sie methodologisch ein f\u00fcr alle Mal die Sichtung anzeigt, wo auf jeder bereits erreichten Stufe der physikalischen bezw. astronomischen Erkenntnis der praktische Fortschritt zu h\u00f6herer, d. h. einem umfassenderen Complex bewegter K\u00f6rper gerecht werdender Pr\u00e4cision zu suchen ist96). Die Unm\u00f6glichkeit, aus den Web er\u2019sehen Vorschl\u00e4gen irgendwelchen Vortheil f\u00fcr die praktische Construction von Bezugssystemen zu ziehen, w\u00fcrde meines Erachtens seihst dann ihre Einf\u00fchrung in die Principien der Mechanik ausschlie\u00dfen, wenn sie in theoretischer Strenge das leistete, was sie zu leisten vorgieht, n\u00e4mlich eine Ersetzung des New ton\u2019sehen \u00bbabsoluten Baumes\u00ab.\nIm Anschl\u00fcsse hieran m\u00f6chte ich noch erw\u00e4hnen, dass ich den von Weher in seiner Definition angewandten Ausdruck \u00bblebendige Kraft\u00ab bisher absichtlich vermieden habe. Die \u00bblebendige Kraft\u00ab ist, streng genommen, kein phoronomischer, sondern ein durch und durch dynamischer Begriff, der die Bezugnahme auf irgend ein Inertialsystem voraussetzt. Es ist nicht das geringste dagegen einzuwenden, wenn Jemand die ungeheuren phoronomischen Geschwindigkeiten, welche die Fixsterne in Bezug auf den Erdraum besitzen, mit v bezeichnet, und in diesem Sinne von einer\tdes Universums redet. Dieser\nAusdruck bezeichnet dann aber nichts weniger, als eine echte (kinetische) Energiesumme, er hat vielmehr den Charakter einer Pseudo-Energie. So unzweifelhaft es n\u00e4mlich zutrifft, dass die lebendige Kraft eines Massencomplexes nichts absolutes ist, sondern je nach demjenigen der unz\u00e4hligen m\u00f6glichen Inertialsysteme, welches wir gerade der Betrachtung zu Grunde legen, einen ganz verschiedenen Werth besitzt, so stimmt doch nur die auf irgend ein Inertialsystem bezogene 2(^mv2) begrifflich mit demjenigen \u00fcberein, was die Dynamik als \u00bblebendige Kraft\u00ab bezeichnet; und nur f\u00fcr die so verstandene lebendige Kraft gilt auch der Satz von der \u00bbErhaltung der Energie\u00ab. Man kann mithin das Weber\u2019sche System jederzeit kleinster 3(|mv'1) nicht als ein solches bezeichnen, in welchem die \u2019lebendige Kraft\u00ab des Weltalls ein Minimum werde; denn weder in jenem System selbst, noch vor allem in den zum Vergleich der Werthe 2(^mv2) herangezogenen, dagegen rotirenden Systemen hat der Ausdruck die Bedeutung einer echten (kinetischen) Energiesumme. \u2014 Im Zusammenhang hiermit muss noch das Nachfolgende gesagt werden.","page":53},{"file":"p0054.txt","language":"de","ocr_de":"54\nLudwig Lange.\nUnter der unendlich mannigfaltigen Schar (geradlinig und gleichf\u00f6rmig ohne Drehung) gegeneinander bewegter Inertialsysteme gibt es offenbar ein ganz bestimmtes, in Bezug auf welches gemessen die lebendige Kraft eines von \u00e4u\u00dferen Kr\u00e4ften unbeeinflussten Massen-complexes kleiner ist, als bei Bezugnahme auf jedes andere Inertialsystem. Wie bekannt, ist dieses Bezugssystem kleinster Summe der lebendigen Kr\u00e4fte das barycentriscbe Inertialsystem des betrachteten Complexes; die betrachtete Minimalsumme selbst aber ist ein dem Complex innewohnender objectiver Werth. Dass er ebensowenig eine absolute Bedeutung hat, als die kinetische Energie \u00fcberhaupt, braucht wohl kaum gezeigt zu werden. In diesem Sinne ist meiner Ansicht nach die von Newcomb angeregte Frage, ob die Energie etwas relatives, wie er sagt, oder etwas absolutes sei, zu beantworten: die Energie eines Complexes ist etwas relatives; dennoch hat jeder Complex ein ihm eigenth\u00fcmliches objectives Energieminimum.\nZum Schluss darf ich vielleicht noch darauf hinweisen, dass \u00e4hnliche Ideen, wie die Web er\u2019sehen, auch mich eine Zeit lang besch\u00e4ftigt haben. Am Schluss des ersten Anhanges meines Bewegungsbegriffes, welcher sich betitelt \u00bbUeber die sogenannte absolute Translation der Sonne\u00ab, sind als Beste derartiger Erw\u00e4gungen die folgenden S\u00e4tze stehen geblieben: \u00bbIn diesem Sinne k\u00f6nnte das r\u00e4umliche Coordinatensystem, worauf von Bechts wegen die mittlere Bewegung eines Fixsternes gegen den ganzen Complex zu beziehen w\u00e4re, etwa definirt werden als dasjenige Coordinatensystem, worin die Summe der Geschwindigkeitsquadrate aller Fixsterne jederzeit ein Minimum ist. Nur fehlt es leider gegenw\u00e4rtig und vielleicht f\u00fcr immer an Mitteln, um dieses Coordinatensystem und die darauf bez\u00fcglichen Bewegungen genauer zu bestimmen\u00ab97). \u2014 Schon damals war ich mir dar\u00fcber klar, dass das betreffende System, selbst wenn man die Massencoefficienten eiri-f\u00fchren wollte (was ich mit B\u00fccksicht auf deren g\u00e4nzliche Unbekannt-neit unterlie\u00df), nicht den Werth eines Inertialsystemes haben kann, dass den darauf bezogenen Bewegungen vielmehr lediglich die Bedeutung von dynamisch unverwerthbaren Durchschnitts- oder Mittelbewegungen zukommt98).\tr\nIm Jahre 1894 kamen die \u00bbPrincipien der Mechanik\u00ab von","page":54},{"file":"p0055.txt","language":"de","ocr_de":"Das Inertialsystem vor dem Forum der Naturforschung.\n55\ng Hertz heraus. Bei der allgemein sehr hoch eingesch\u00e4tzten Bedeutung, die dieses Werk f\u00fcr das Gesammtgebiet der mathematischen Physik beanspruchen darf, und in Anbetracht des Umstandes, dass die Urtheile der Zeitgenossen \u00fcber den Sinn und Werth der Hertz\u2019schen Fundament\u00e4nderung noch immer nicht in einheitlichem Sinne gekl\u00e4rt zu sein scheinen, muss hier auf eine dem Werk gerecht werdende Darstellung des von seinem Urheber angestrebten allgemeinen Zieles verzichtet werden. Sicher ist vor allem das eine, dass die von Hertz versuchte Zur\u00fcckf\u00fchrung der Fernkr\u00e4fte auf cyclische Zwangl\u00e4ufigkeiten weiter verfolgt zu werden verdiente, als es bisher geschehen ist. Freilich, um die supponirten Zwangl\u00e4ufigkeiten physikalisch zu erkl\u00e4ren, w\u00fcrde man den Satz von der Undurchdringlichkeit und Starrheit fester K\u00f6rper (letzteres bekanntlich ein sehr cum grano salis zu nehmendes \u00bbGesetz\u00ab) kaum entbehren k\u00f6nnen; damit w\u00fcrden aber offenbar Contactkr\u00e4fte in die Grundlagen der Mechanik eingef\u00fchrt, die ihrem Wesen nach schlie\u00dflich nicht erkl\u00e4rlicher sind, als Femkr\u00e4fte. Anderseits w\u00fcrde, wie schon Mach betont hat\"), zum Zwecke einer \u00bb\u00f6konomischen\u00ab Idealreconstruction realer dynamischer Ph\u00e4nomene, als Basis auch die rein formalmathematische Definition der Zwangl\u00e4ufigkeit \u2014 ohne physikalischen Hintergrund \u2014 ausreichen.\nWir haben bekanntlich zwei Sichtungen in der neueren Theorie der Materie nebeneinander: die eine, atomistische, will die Contact-wirkungen auf Fernkr\u00e4fte in hypothetischer Weise zur\u00fcckf\u00fchren, die andere sucht gerade umgekehrt die Fernkr\u00e4fte zu erkl\u00e4ren. Bei der Endlichkeit des Menschengeistes wird man bekanntlich nie \u00fcber gewisse unerkl\u00e4rt bleibende Erkenntnisselemente hinauskommen, und es d\u00fcrfte im Princip ziemlich gleichg\u00fcltig sein, oh man die Er-kenntnissreihe von vorn nach hinten, oder von hinten nach vorn liest. Beide Weisen haben unzweifelhaft ihre Berechtigung. Den Vorzug w\u00fcrde h\u00f6chstens diejenige Darstellung verdienen, welche im Machschen Sinne \u00bb\u00f6konomischer\u00ab oder, in der Sprechweise der Mathematiker ausgedr\u00fcckt, eleganter erscheint. Und da wird wohl allgemein anerkannt werden, dass manche Ableitungen der Hertz\u2019schen Idealmechanik diesem Ziel der Einfachheit und Eleganz in \u00fcberraschendem Ma\u00dfe gerecht geworden simj.\nDie Hertz\u2019sche Grundlegung als solche scheint mir gleich-","page":55},{"file":"p0056.txt","language":"de","ocr_de":"56\nLudwig Lange.\nwohl nicht \u00fcber allen Zweifel erhaben zu sein. Die Verschmelzung des Tr\u00e4gheitssatzes mit dem Princip des kleinsten Zwanges ist recht bedenklich. Ein scheinbarer Vortheil dieser Verschmelzung k\u00f6nnte zwar vielleicht darin gefunden werden, dass von allen Leits\u00e4tzen der Mechanik derjenige des \u00bbkleinsten Zwanges\u00ab als einziger die Eigent\u00fcmlichkeit hat, ohne Zugrundelegung eines bestimmten Bezugssystems einer klaren Vorstellung zug\u00e4nglich zu sein. Allein eine Anwendung des Hertz\u2019schen combinirten Tr\u00e4gheitssatzes ist in Strenge nur m\u00f6glich, wenn der Fall der zwanglosen Beharrung als eigentliche Grundlage im voraus betrachtet wird. Thut man das aber, so dr\u00e4ngt sich die Frage des Bezugssystemes als Grundfrage aller Dynamik, auch der Hertz\u2019schen, mit nicht wegzuleugnender Dringlichkeit auf. Nun ist, wie oben schon einmal erw\u00e4hnt wurde, Hertz auf Newton\u2019s Scholium gar nicht n\u00e4her eingegangen; \u00fcberhaupt scheint er. zu einer ausf\u00fchrlicheren Besprechung der Streitfrage nicht aufgelegt gewesen zu sein. Dass er aber mindestens der absolutistischen Bewegungstheorie nicht das Wort geredet wissen wollte, geht schon aus den Artikeln 303 und 304 der \u00bbPrincipien\u00ab' hervor, in deren ersteigern er ausspricht, \u00bbdass wir durch thats\u00e4chliche Bestimmung mit H\u00fclfe unserer Sinne doch keine Zeit genauer festlegen k\u00f6nnen, als sie sich messen l\u00e4sst mit H\u00fclfe der besten Chronometer, keine Lage genauer, als sie sich beziehen l\u00e4sst auf ein mit dem entfernteren Fix-stemhimmel ruhendes Coordinatensystem\u00ab 10\u00b0). Dem Physiker kann dieser Standpunkt gen\u00fcgen. Wie aber Mac Gregor nachgewiesen hat, f\u00fchrt schon die historisch-kritische Betrachtung der mechanischen Principien mit Nothwendigkeit \u00fcber ihn hinaus101), und der Stellarastronom d\u00fcrfte au\u00dfer Stande sein, etwas mit ihm anzufangen.\nAuf die im Jahre 1896 erschienene Programmschrift von P. Johannesson3) habe ich schon mehrfach, zuletzt hei Besprechung der Fr eg e\u2019sehen Studie Bezug genommen. Im Nachfolgenden muss ich noch einigen weiteren Kriticismen des Verfassers zu begegnen suchen.\nEin sehr offenkundiger Irrthum scheint es mir zu sein, wenn Johannesson der von Neumann, und ebenso von mir und vielen Anderen ge\u00fcbten Kritik des Ausdruckes \u00bbgeradlinige Bahn\u00ab die eigentliche Spitze abbrechen zu sollen glaubt, indem er es so darstellt, als liege in dieser Kritik eine Anzweifelung des \u00bbBegriffes","page":56},{"file":"p0057.txt","language":"de","ocr_de":"Das Inertialsystem vor dem Dorum der Naturforschung.\n57\nder Geraden\u00ab schlechthin. \u00bbDen Begriff der Geraden anzweifeln, statt ihn als gegeben anzunehmen, hei\u00dft den Irrg\u00e4ngen derer folgen, welche das Merkmal der unbedingten Wahrheit suchten\u00ab102). Diesem und den daran anschlie\u00dfenden S\u00e4tzen Johannesson\u2019s ist entgegenzuhalten, dass weder Neumann, noch irgend einer seiner Nachfolger mit der ge\u00fcbten Kritik jemals den \u00bbBegriff der Geraden\u00ab hat treffen wollen; denn es ist doch zweierlei, oh ich die dogmatische beziehungslose Geradlinigkeit einer Punkthahn, oder oh ich den \u00bbBegriff der Geraden\u00ab anzweifele!\nWenn Johannesson dann fernerhin die von mir adoptirte Neumann\u2019sehe Definition gleicher Zeitabschnitte als ungeeignet bezeichnet, \u00bbdie Zeitmessung zu verbessern\u00ab, und wenn er meint, sie setze \u00bbder gangbaren Zeitvorstellung nur begriffliche Schrauben an\u00ab102), so m\u00f6chte ich mir dazu folgende Bemerkung erlauben. Erstens will die Definition der Inertial-Zeitscala, so wie ich wenigstens dieselbe auffasse, gar nicht die gew\u00f6hnlichen praktischen Zeitmessungen ersetzen, sondern lediglich den Charakter derselben als partieller Conventionen im Sinne eines methodologischen Prototyps feststellen. Auch Mach\u2019s (von Johannesson gebilligte) Bezugnahme auf den Drehungswinkel der Erde ist nichts anderes als eine praktische Ausgestaltung der prototypischen Idealconstruction der Inertial-Zeitscala ; und dieses Prototyp zeichnet \u00fcberdies auf jeder Stufe der physikalischen, hezw. astronomischen Erkenntniss den Weg vor, auf welchem eine h\u00f6here Pr\u00e4cision der praktischen Zeitmessung sich wird erreichen lassen. Aber Johannesson erhebt noch einen weiteren Einwand: die Gleichheit zweier Strecken sei n\u00e4mlich \u00bbeben so schwierig zu begreifen, als die Gleichheit zweier Zeiten\u00ab102). Er f\u00fchrt als angeblichen Beweis daf\u00fcr den Einfluss des Druckes und der Temperatur auf die L\u00e4nge von Ma\u00dfst\u00e4hen ins Feld. Es ist nun ja unbestreitbar richtig, dass der praktisch genaue Nachweis der Gleichheit zweier Strecken durch die Ver\u00e4nderlichkeit des K\u00f6rperlichen erheblich erschwert wird. Allein der durch logische Abstraction aus der Erfahrung gewonnene Begriff \u00bbgleich gro\u00dfer Strecken\u00ab wird davon doch nur wenig ber\u00fchrt; w\u00e4hrend der nicht r\u00e4umlich fundirte Begriff gleicher Zeitabschnitte, wie er unserem Kritiker als Grundtage der Mechanik offenbar vorschwebt, die Abstraction eines psychologischen Datums von solcher Unzuverl\u00e4ssigkeit ist, dass man ihn","page":57},{"file":"p0058.txt","language":"de","ocr_de":"58\nLudwig Lange.\nder Abstraction aus den Congru enzexperimenten der Ma\u00dfstabverfertiger unm\u00f6glich als ebenb\u00fcrtig an die Seite stellen kann. Nur die Vergleichung zweier r\u00e4umlich getrennter Strecken mit H\u00fclfe des blo\u00dfen \u00bbAugenma\u00dfes\u00ab kann als Analogon der lediglich sub-j'ectiven Zeitvergleichung berangezogen werden. So wenig aber die Geometrie sich auf das Augenma\u00df st\u00fctzen darf, ebensowenig die Mechanik auf den Zeitsinn, oder auch nur auf Abstractionen, die von blo\u00dfen Erfahrungen \u00fcber die \u00e4u\u00dferst schwankende \u00bbsubjective Zeit\u00ab hergeleitet sind. Die Bemerkung Johanness on\u2019s, Neumann\u2019s Zeitscala setze im Grunde der gangbaren Zeitvorstellung nur begriffliche Schrauben an, verliert alle und jede kritische Spitze, sobald wir uns vergegenw\u00e4rtigen, dass_.es eine allgemeine Eigenschaft, um nicht zu sagen \u00bbUntugend\u00ab s\u00e4mmtlicher Theorien ist, der Praxis des sogenannten gemeinen Menschenverstandes \u00bbSchrauben anzusetzen\u00ab.\nGeradezu verbl\u00fcfft hat es mich, dass Johannesson aus meinen Ver\u00f6ffentlichungen eine (unbeabsichtigte) Anerkennung des absoluten Charakters der Drehbewegung herauslesen konnte103). Da er seine Behauptung \u00fcbrigens nicht begr\u00fcndet, habe ich eine Widerlegung nicht n\u00f6thig. Die Lect\u00fcre zahlreicher Stellen des \u00bbBewegungsbegriffes\u00ab muss dem aufmerksamen Leser gen\u00fcgen, um mich gegen eine solche Darstellung zu rechtfertigen, die au\u00dfer unserem Kritiker und dem des Deutschen vielleicht minder sprachkundigen Engl\u00e4nder Greenhill auch Niemandem weiter beigefallen zu sein scheint. Johannesson selbst bekennt sich in r\u00fcckhaltlosester Weise zur Relativit\u00e4t und Reciprocit\u00e4t der Bewegung; er meint indess, \u00bbdass die Ueberzeugung von der Beziehungsnatur aller Bewegung von niemandem \"bestritten werde\u00ab103). Hierin muss ich ihm widersprechen. Es gibt leider noch immer eine Menge Vertreter der Wissenschaft, die den mystischen Nebel des Absoluten nicht mit erforderlicher Strenge und Beharrlichkeit dahin verweisen, wohin er geh\u00f6rt, n\u00e4mlich in das abgetrennte poetische Reich der Tr\u00e4ume und Phantasien. Solche Leute f\u00fcrchten fast, den besten Theil ihrer Seele zu verlieren, wenn sie jene Grenze zwischen Wissenschaft und Dichtung streng und consequent einhalten sollen, die ihnen eine wohlbegr\u00fcndete, und von ihnen selbst im Princip durchaus gut gehei\u00dfene Erkenntnisstheorie anweist. Die \u00bbEntt\u00e4uschung\u00ab, welche mit jeder reifen und klaren Erkenntniss der Wahrheit nach Mach\u2019s treffendem Ausdruck verbunden zu sein pflegt, kann nun","page":58},{"file":"p0059.txt","language":"de","ocr_de":"Das Inertialsystem vor dem Forum der Naturforschung.\n59\neinmal nicht jeder vertragen; so sicher es auch feststeht, dass sie im Nahmen der Wissenschaft als unvermeidlich in den Kauf genommen werden muss. Es ist zweierlei, oh man die Beziehungsnatur der Bewegung im Princip anerkennt, oder oh man beim Aufbau der Mechanik consequent auf diesem Standpunkt stehen bleibt. Das System dieser Wissenschaft kann ohne das Mysterium der \u00bbabsoluten Bewegung\u00ab auf gebaut werden; dieses Mysterium wird sich aber immer wieder auf\u2019s Neue in die arglosen Seelen der Lernenden einschleichen, wenn wir nicht radical den Gebrauch des Wortes \u00bbabsolut\u00ab (auch im \u00fcbertragenen Sinne) aus der Mechanik verbannen.\nJohannesson kommt am Ende seiner Arbeit zu dem Ergebniss, dass die Wahrheit des Beharrungsgesetzes zu den Vereinbarungen geh\u00f6re; dasselbe dr\u00fccke keine Erkenntniss, \u00bbsondern eine Vorschrift, eine sogenannte Eorschungsregel, aus\u00ab10t). Zur Bekr\u00e4ftigung dieser Auffassung citirt Johannesson u. a. den Sophisten Protagoras von Abdera, nach dessen Ansicht \u00bballe menschliche Erkenntniss im letzten Grunde Willk\u00fcr sei\u00ab104). Auf Kant und Mach d\u00fcrfte er sich jedenfalls nicht mit gleichem Recht berufen. Denn bei aller Betonung der suhjectiven und insbesondere der conventionellen Elemente des Denkens haben beide Forscher doch mit gr\u00f6\u00dfter Entschiedenheit an dem Vorhandensein einer ohjectiven Seite des \u00bbPh\u00e4nomenon\u00ab festgehalten; und wenn zwar bei Kant diese Anerkennung des \u00bbOhjectiven\u00ab (Gegebenen) dazu f\u00fchrte, dass er glaubte, den \u00bbabsoluten Raum\u00ab nicht aus den Grundlagen der Mechanik eliminiren zu k\u00f6nnen (so gern er es auch gethan h\u00e4tte), so bedarf es doch schwerlich irgendwelcher Oitate oder sonstiger Nachweise, um zu begr\u00fcnden, dass das r\u00fchmliche Zeugniss erstmaliger consequenter Fernhaltung des Absoluten aus der mechanischen Erkenntniss Mach nicht vorenthalten werden darf. Man kann, um es kurz auszudr\u00fccken, zugeben, dass die Natur ein der menschlichen Erkenntniss sich aufdr\u00e4ngendes fremdes, d. h. au\u00dferhalb der psychischen Willk\u00fcr gelegenes Element, dass sie ein \u00bbObjectives\u00ab aufweist; und man braucht darum noch lange nicht zuzugeben, dass die thats\u00e4chliche Construirbarkeit dynamischer Bezugssysteme einen tieferen Hinter-S^nd im Bereich des Absoluten haben m\u00fcsse, oder dass gar durch Anerkennung eines solchen Hintergrundes die Mechanik auch nur","page":59},{"file":"p0060.txt","language":"de","ocr_de":"60\nLudwig Lange.\nim geringsten an wissenschaftlicher Pr\u00e4cision gew\u00e4nne. Eine partielle Convention oder Forschungsregel ist nun der Galilei\u2019sche Satz unbedingt; und bis zur Dreizahl der betrachteten Punkte besteht zwischen Johannesson und mir keinerlei Widerstreit. Vom vierten betrachteten Punkt an h\u00f6rt dagegen die blo\u00dfe Convention als solche auf; es tritt ein objectives Forschungsergebniss in die Betrachtung ein, was aber nat\u00fcrlich nicht in dem Sinne zu verstehen ist, als ob nicht die Forschungsregel, nach ablenkenden Massen zu suchen, fortbestehen bliebe.\nHiermit komme ich zu den Jbetden letzten Besprechungen, welche von Vertretern der Naturforschung meinen Vorschl\u00e4gen gewidmet worden sind. Auf die eine von? ihnen, diejenige von H. Kleinpeter (1900)3) habe ich' schon bei Gelegenheit eines zuerst von Frege erhobenen Einwandes Bezug nehmen m\u00fcssen. Kleinpeter\u2019s schlie\u00df-licher Formulirung des Beharrungsgesetzes kann ich vollst\u00e4ndig zustimmen. Eine \u00e4hnliche Formulirung hat \u00fcbrigens schon J. Thomson versucht106). Beiden Fassungen gemeinsam ist es, die Construir-barkeit eines einheitlichen Systems geradliniger Bahneinzeichnung f\u00fcr alle \u00bbsich selbst \u00fcberlassenen\u00ab Punkte in den Vordergrund zu stellen. Aber so gewiss es ist, dass der objective Inhalt des Gesetzes damit vollkommen ersch\u00f6pfend wiedergegeben wird, so bedarf es doch zuvor des phoronomischen Nachweises, dass die behauptete Oonstructionsm\u00f6glichkeit bis zur Dreizahl bahnzeichnender Punkte eine ohne jede dynamische Voraussetzungen allgemein vorhandene ist. Solange nicht dargelegt ist, dass jene Oonstructionsm\u00f6glichkeit erst vom vierten Punkt an einen beachtenswerthen objectiven Inhalt gewinnt, so lange fehlt die volle dem Gesetz zukommende Beleuchtung.\nWas Kleinpeter von mir trennt, scheint mir \u00fcbrigens weniger erheblich zu sein, als das, was uns einigt. Denn, um das wichtigste voranzustellen, Kleinpeter geh\u00f6rt zu den wenigen strengen Kelativisten, die auch die letzte Consequenz ziehen, und die Frage der astronomischen Weltsysteme als eine Frage nicht der Wahrheit, auch nicht der Wahrscheinlichkeit, sondern lediglich der eleganteren Verrechnung ansehen: \u00bbSonne und Erde bewegen sich gegen einander, das ist die Wahrheit\u00ab108). Wenige Seiten sp\u00e4ter hei\u00dft es, unter besonderer Bezugnahme auf den zeitlichen Theil des","page":60},{"file":"p0061.txt","language":"de","ocr_de":"Das Inertialsystem vor dem Forum der Naturforschung.\n61\nBeharrungsgesetzes : Lange\u2019s \u00bbGedanke, das Beharrungsgesetz als eine partielle Convention zu formuliren, scheint mir der heutigen Bedeutung des Gesetzes in der Physik am besten zu entsprechen. Jfach erkennt ausdr\u00fccklich die Zweckm\u00e4\u00dfigkeit des von Lange aufgestellten Princips der particui\u00e4ren Determination an, und bemerkt sehr richtig, dass dasselbe \u00bb, jeder Messung zu Grunde liegt1\u00ab107). Wenn dem nun so ist, warum sollte man da die Anwendung des Princips der particui\u00e4ren Determination auf den zeitlichen Theil des Beharrungsgesetzes beschr\u00e4nken ? Auf den r\u00e4umlichen passt er doch, denke ich, mit einer durch die Dreidimensionalit\u00e4t des Baumes bedingten Modification nicht weniger gut: wohlgemerkt, ich sage das nicht im Sinne einer grundlegenden Definition, sondern lediglich im Sinne der prototypisch-methodologischen Idealconstruction des Inertialsystems, und im Sinne eines allem anderen voranzustellenden Hinweises auf die Conventionalit\u00e4t der geradlinigen Bahnzeichnung bis zur Dreizahl der Punkte.\nDie neueste Bezugnahme auf meine Vorschl\u00e4ge ist, soviel ich wei\u00df, diejenige von A. Voss in dem den \u00bbPrincipien der rationellen Mechanik\u00ab gewidmeten Hefte der \u00bbEncyclop\u00e4die der mathematischen Wissenschaften\u00ab (1901)3). Voss ist nicht nur vielf\u00e4ltig auf die rein historischen Ergebnisse meines \u00bbBewegungshegriffes\u00ab eingegangen, sondern er hat es auch unternommen, meinen Ausspruch des Beharrungsgesetzes dem Leser n\u00e4her zu bringen. In zwei Punkten allerdings glaube ich an der von ihm gegebenen Darstellung Kritik \u00fcben zu m\u00fcssen, wiewohl es ja von vornherein klar ist, dass im Bahmen einer gedr\u00e4ngten encyclop\u00e4dischen Zusammenfassung eine ersch\u00f6pfende und absolut genaue Wiedergabe fremder Lehrmeinungen \u00fcberhaupt nicht erwartet werden darf. Der eine Punkt meiner Kritik besteht darin, dass auch Voss den von mir gef\u00fchrten Nachweis von der Conventionalit\u00e4t der geradlinigen Bahneinzeichnung dreier Punkte unerw\u00e4hnt l\u00e4sst. Dieser Nachweis scheint mir, wie schon \u00f6fter betont, allem anderen vorausgehen zu m\u00fcssen; denn ohne von ihm Notiz genommen zu haben, d\u00fcrfte schwerlich ein Leser der Definition des Inertialsystems Geschmack abgewinnen. Der andere Punkt meiner Kntik betrifft die von Voss angewandte Verbildlichung der drei Coordinatenaxen \u2022* als starrer Dr\u00e4hte \u00ab, auf denen die drei sich selbst \u00fcberlassenen \u00bbPunkte wie glatte Kugeln gleiten k\u00f6nnen\u00ab 108).","page":61},{"file":"p0062.txt","language":"de","ocr_de":"62\nLudwig Lange.\nDiese Verbildlichung k\u00f6nnte n\u00e4mlich nur zu leicht den Gedanken an eine im physikalischen Sinne \u00bbzwangl\u00e4ufige\u00ab Bewegung hervorrufen, und damit den ganzen Werth der Construction in den' Augen des Lesers erheblich beeintr\u00e4chtigen ; ein aufmerksamer Leser wird freilich wohl herausf\u00fchlen, dass Voss ebenso wenig, wie ich, das Wesen der Construction so grob-sinnlich aufgefasst haben kann.\nHiermit ist die im Eingang vorliegender Arbeit versprochene kritische Revision zum Abschluss gelangt. Das Eacit aus ihr zu ziehen, ist nicht meine Sache. Vielmehr bleiht es dem Leser des Vorstehenden \u00fcberlassen, sich je nach seinem eigenen Urtheil f\u00fcr oder wider meine Vorschl\u00e4ge zu entscheiden. Wer es als Aufgabe der Wissenschaft ansieht, in ihrem Rahmen wenigstens das dem Naturmenschen angeborene, unklare und mehr oder minder willk\u00fcrliche Hantiren mit geheimnisvollen Gr\u00fcnden der Erscheinungswelt auf ein Minimum zu beschr\u00e4nken, dem wird die gebotene Aufkl\u00e4rung ohne Weiteres willkommen sein. Da \u00fcbrigens das Interesse an der Erage, wie die gegebene Darstellung erkennen l\u00e4sst, eher im Wachsen, als in der Abnahme begriffen ist, brauche ich die Hoffnung nicht aufzugeben, dass sich k\u00fcnftige systematische Darstellungen der Mechanik mit der von mir angestrebten Aenderung der Fundamente mehr und mehr befreunden werden. Wer in dem Tr\u00e4gheitssatz einen tieferen Sinn als den einer partiellen Convention sucht, verl\u00e4sst eben damit meiner Meinung nach das Gebiet der strengen Wissenschaft. Mit dem Standpunkt des philosophischen oder religi\u00f6sen Glaubens zu rechten, ist aber nat\u00fcrlich niemals meine Absicht gewesen. In diesem Sinne habe ich seiner Zeit die Kritik Newtons mit den Worten abgeschlossen: \u00bbDem Glauben des Einzelnen bleibt es unbenommen, seine Convention, seine subjective Teleologie als Ausfluss einer allgeistigen g\u00f6ttlichen Teleologie aufzufassen109).","page":62},{"file":"p0063.txt","language":"de","ocr_de":"Das Inertialsystem vor dem Forum der Naturforschung.\n63\nAnmerkungen.\n11 Jj Lange, Ueber die wissenschaftliche Fassung des Gral il ei\u2019sehen Beharrungsgesetzes, Philos. Stud, hrsgg. v. W. Wundt, Band II, 1885, S. 266\u2014297.\n_____Nochmals \u00fcber das Beharrungsgesetz, ebendas. S. 539\u2014545.\n__ __ Ueber das Beharrungsgesetz, Berichte d. K\u00f6nig! Sachs. Gesellschaft d.\nWissenschaften 1885, Math.-Phys. Ol., S. 333\u2014351.\n_____Die geschichtliche Entwicklung des Bewegungsbegriffes und ihr\nvoraussichtliches Endergebniss, Philos. Stud., Band III, 1886, S. 337\u2014419, 643\u2014691.\nDie letztgenannte Abhandlung ist, vermehrt um ein Vorwort, ein Inhaltsverzeichnis und einen Anhang (\u00bbUeber das Beharrungsgesetz und seine Aufkl\u00e4rung vermittelst des methodologischen Princips der particularen Determination\u00ab) 1886 bei W. Engelmann, Leipzig, separat erschienen.\n2)\t0. Neumann, Ueber die Principien der Galilei-Newton\u2019schen Theorie,\nLeipzig 1870.\nE. Mach, Die Geschichte und die Wurzel des Satzes von der Erhaltung der Arbeit, Prag 1872.\nE. Mach, Die Mechanik, in ihrer Entwicklung historisch-kritisch dargestellt, Leipzig 1883 (1. Auf!.), 1901 (4. Aufl.).\nH. Streintz, Die physikalischen Grundlagen der Mechanik, Leipzig 1883.\nJ. Thomson, On the law of inertia . . ., Proceedings of the R. S. of Edinburgh, 1883/84, Vol. XII, No. 116, p. 568-578.\n3)\tW. Wundt, Ueber die physikalischen Axiome (Vortrag), Festschrift d. histor.-\nphilos. Vereins zu Heidelberg, 1886.\nH. Seeliger, Kritisches Referat \u00fcber Lange\u2019s Arbeiten, Vierteljahrsschrift der Astronom. Gesellschaft, Jahrg. 22, S. 252\u2014259.\nA. K\u00f6nig, Ueber die neueren Versuche zu einer einwurfsfreien Grundlegung der Mechanik, Verhandlungen d. Physik. Gesellsch. zu Berlin 1886, Jahrg. V, S. 73 f.\nS. G\u00fcnther, Handbuch der mathematischen Geographie, Stuttgart 1890, S. 758 Anm.\nS. G\u00fcnther, Handbuch der Geophysik, 2. Aufl., Stuttgart 1897, Bd. I, S. 283.\nJ. B. Stallo, The concepts and theories of modern physics, 3r|l ed. London 1890. (Die mir nicht bekannte erste Ausgabe erschien 1881).\nJ. B. Stallo, Die Begriffe und Theorien der modernen Physik. Nach der 3. Aufl. d. Originals \u00fcbersetzt von H. Kleinpeter. Mit Vorwort von E. Mach, Leipzig 1901 (XX u. 332 S. 8\u00b0.)\nE. Budde, Allgemeine Mechanik der Punkte und starren Systeme, Berlin 1890. Band I, XX u. 418 S. 8\u00b0.\nG. Frege, Ueber das Tr\u00e4gheitsgesetz, Zeitschr. f. Philosophie u. philos. Kritik, N.F. Band 98. 1891, S. 145\u2014161.\nE. Weber, Ueber das Galilei\u2019sche Princip, Kiel 1891, 40 S. 8\u00b0.\nJ- G. Mac G reg or, On the fundamental hypotheses of abstract dynamics, Canada, R. Soc. Trans, vol. X, 3 (1892).\nJ-G. Mac Gregor, On the hypotheses of dynamics, Philosophical Magazine, 5th ser. vol. 36. 1893, p. 233\u2014264.","page":63},{"file":"p0064.txt","language":"de","ocr_de":"64\nLudwig Lange.\nP. Johannesson, Das Beharrungsgesetz, Programm des Sophien-Realgym-nasiums, Berlin 1896, 26 S. 4\u00b0.\nB. u. J. Pried Pander, Absolute oder relative Bewegung? Berlin 1896. 35 S. 8\u00b0.\nA. H\u00f6fler, Studien zur gegenw\u00e4rtigen Philosophie der Mechanik. Leipzig 1900, 168 S. 8\u00b0.\nH. Kleinpeter, Zur Formulirung des Tr\u00e4gheitsgesetzes, Archiv f. systemal.\nPhilosophie, Band VI 1900, S. 461\u2014469.\nA. Voss, Die Principien der rationellen Mechanik, Encyelop\u00e4die der mathematischen Wissenschaften, Band IV, 1 (1901) Heft 1, 121 S. 8\u00b0.\n4)\tH. Hertz, Die Principien der Mechanik, Leipzig 1894, S. 8.\n5)\tJohannesson, a, a. O. S. 3.\n6)\tP. Volkmann, Einf\u00fchrung in das Studium der theoretischen Physik, ins-\nbesondere in das der analytischen Mechanik. Mit einer Einleitung in die Theorie der physikalischen Erkenntniss. Leipzig 1900, S. 21.\n7)\tP. Volkmann, a. a. O. S. IV (Vorwort), S. 2. 3. 21 f. u. a.\n8)\tP. Volkmann, a. a. 0. S. 3.\n9)\tP. Volkmann, a. a. O. S. III.\n10)\tS. u. S. 55 f. d. Abhdlg.\n11)\tDie Wichtigkeit der Frage nach dem dynamischen Bezugssysteme hat auch\nGauss sehr klar erkannt. Vgl. L. Lange, Bewegungsbegriff S. 87, und C. Neumann, Leipz. Sitzgsber., Math.-Ph. 01. Band XXXI S. 61 f.\n12)\tP. Volkmann, a. a. 0. S. 70\u201481.\n13)\tP. Volkmann, a. a. 0. S. 49. \u2014 S. 300.\n14)\tP. Volkmann, a. a. 0. S. 51.\n15)\tP. Volkmann, a. a. 0. 8. 54.\n16)\tP. Volkmann, a. a. 0. S. 362. Man vergleiche auch Mach\u2019s Kritik der\nBezugnahme auf den Aether, \u00bbMechanik\u00ab 4. Aufl. 1901, S. 291, und die Auseinandersetzung von A. Voss, a. a. 0. S. 39 f.\n17)\tP. Volkmann, a. a. O. S. V.\n18)\tL. Lange, Philos. Stud. Band II, S. 275\u2014278.\n-----Leipz. Sitzgsber., Math.-Phys. 01. 1885, S. 338 Anm.\n-----Bewegungsbegriff, S. 136.\nE. Mach, Mechanik, 2. Aufl. S. 483, 4. Aufl. S. 250.\n19)\tP. Volkmann, a. a. 0. S. 360.\n20)\tP. Volkmann, a. a. 0. S. 363.\n21)\tVgl. F. Rosenberger, Isaac Newton u. s. physikalischen Principien, Leipzig\n1895, S. 283 ff.\n22)\tVgl. J. P. Eckermann, Gespr\u00e4che mit Goethe, 1. Februar 1827, viert-\nletzter Absatz.\n23)\tH. Kleinpeter, Erkenntnisslehre und Naturwissenschaft in ihrer Wechsel-\nwirkung. (Aus d. 25. Jahresbericht der deutschen Landesoberrealschule in Prossnitz i. M\u00e4hren.) 1900, 40 S. 8\u00b0.\nMan vergleiche auch (in Bezug auf die Mitwirkung des Deutschthums an der Entwicklung der menschlichen Cultur) die sehr interessante Vorrede, die Mach zu der Kleinpeter\u2019schen Uebersetzung des Stalloschen Werkes (s. o. Anm. 3) geschrieben hat. Mach bezeichnet mit Recht die philosophisch und naturwissenschaftlich gebildeten deutschen Leser","page":64},{"file":"p0065.txt","language":"de","ocr_de":"Das Inertialsystem vor dem Forum der Naturforschung.\n65\nals das Publicum, f\u00fcr das Stallo\u2019s Werk bestimmt ist (S. IV). Stallo\u2019s eigene Ansicht \u00fcber die deutsche Eigenart, die ja auch f\u00fcr ihn den eigentlichen N\u00e4hrboden abgab, verdient in weiteren Kreisen beachtet zu werden. Vgl- Mach\u2019s Vorwort S. VT\u2014IX.\n24)\tNature 49 (1894) p. 389\u2014391 (A. Gray), p. 529 f. (A. B. Basset), p. 578\n(E. T. Dixon).\nNature 51 (1894) p. 105 (A. E. H. Love, A. G. Greenhill) p. 153 (Love) p. 198 f. (Love), p. 271 f. (Basset, O. J. Lodge).\nMan vergleiche das von E. Lampe gegebene Referat \u00fcber die englische Discussion (Fortschr. d. Mathematik 25. 1897, p. 1318 ff.).\n25)\t0. Lodge, The foundations of dynamics, Phil. Mag. 5 s. 36 v. (1893), p. 1\u201436. J. G. Mac Gregor, On the hypotheses of dynamics, Phil. Mag., 5 s., 36. v.,\np. 233\u2014264.\n26)\tNature, 51 (1894), p. 106.\n27)\tAnnales de la soci\u00e9t\u00e9 scientifique de Bruxelles.\nBand XVIII A, S. 37\u201498 (1894): E. Vicaire, Sur le principe de l\u2019inertie et sur la notion du mouvement absolu en m\u00e9canique.\nBand XVIII B, S. 283\u2014310: E. Vicaire, Sur la r\u00e9alit\u00e9 de l\u2019espace et le mouvement absolu.\nBand XIX A, S. 56 \u2014 58: P. Mansion, Sur l\u2019inutilit\u00e9 de la consid\u00e9ration de l\u2019espace dit r\u00e9el, en m\u00e9canique. Ebendaselbst S. 113\u2014116: E. Vicaire, Sur la r\u00e9alit\u00e9 de l\u2019espace.\nBand XX A, S. 8\u201419: E. Vicaire, Observations sur une note de M. Mansion.\nBand XX A, S. 19\u201420. 56: P. Mansion, R\u00e9ponse.\nBand XXA, S. 20 f.: E. Goedseels, Note.\nBulletin de la soci\u00e9t\u00e9 philomatique de Paris.\nE. Vicaire, Sur la nature et sur les principes de la m\u00e9canique rationelle, (8) 8, 19\u201420. (1896).\nE. Vicaire, Sur la n\u00e9cessit\u00e9 du mouvement absolu en m\u00e9canique, (8) 8 20\u201422. (1896).\nMan vergleiche \u00fcberhaupt die hierher geh\u00f6rigen Artikel der Jahrg\u00e4nge 1890\u20141897 der \u00bbAnnales de la Soci\u00e9t\u00e9 scientifique de Bruxelles\u00ab. Vielleicht komme ich ein anderes Mal auf diese franz\u00f6sische Discussion ausf\u00fchrlich zur\u00fcck. P. Mansion fasst in seiner Brosch\u00fcre: Sur les principes fondamentaux de la g\u00e9om\u00e9trie, de la m\u00e9canique et de l\u2019astronomie (Paris 1893, 16 S.) das Verh\u00e4ltniss der beiden Weltsysteme ganz im gleichen, rein relativistischen Sinne auf, wie Mach und ich.\n28)\tPhil. Magazine, 5 s. 36 v. (1893), p. 233\u2014243. Gemeint sind die zwei ersten\n\u00bbLeges\u00ab der Newton\u2019schen Principien.\nHier ist die \u00bbPresidential address\u00ab Mac Gregor\u2019s in den Trans. Roy. Soc.\nCanada, vol. X. 3, p. 3 gemeint. S. o. Anm. 3.\n\u00bbW\u00fcrde also Prof. Lodge sich bem\u00fchen, einen Bezweifler des ersten Be-wegungsgesetzes mit dem einfachen Hinweis, den er in Aussicht stellt, in die Enge zu treiben, n\u00e4mlich: \u00bb,Wenn Geschwindigkeit und Richtung eines frei sich bewegenden K\u00f6rpers sich \u00e4ndern, so m\u00fcssen sie sich in einer bestimmten Weise \u00e4ndern; nun gut, sagen Sie mir, in was f\u00fcr einer Weise sie sich \u00e4ndern! Sie k\u00f6nnen es nicht, es sei denn, Sie k\u00f6nnen mir absolut Wnndt> Philos. Studien. XX.\tk","page":65},{"file":"p0066.txt","language":"de","ocr_de":"66\nLudwig Lange.\nfestgelegte Bezugslinien vorweisen'* \u2014, so braucht der Zweifler nicht im mindesten um eine Erwiderung in Verlegenheit zu sein. Er hat nur zu sagen: >,Wenn Sie mir g\u00fctigst angeben wollen, in Bezug auf welche Axen Sie die Geschwindigkeit des K\u00f6rpers f\u00fcr gleichf\u00f6rmig halten, dann will ich Ihnen gern verrathen, was f\u00fcr eine Art der Geschwindigkeits\u00e4nderung ich vermuthe. Allein so lange wir nicht \u00fcber die Bezugsaxen eine Ueber-einkunft treffen, ist es f\u00fcr uns unm\u00f6glich, unsere beiderseitigen Axiome zu vergleichen'\u00ab.\n31)\tVgl. o. Anmerkung 2.\n32)\tVgl. S. 8 von Lodge\u2019s \u00bbFoundations\u00ab.\n33)\t\u00bbDie Thatsache, dass Prof. Lodge die Bewegung in Bezug auf den Aether\nals eine absolute Bewegung ansieht (S. 30 seiner Abh.), macht vielleicht selbst diese Behauptung zweifelhaft.\u00ab\n34)\t\u00bb Neumann, J. Thomson, u. Muirhead.\u00ab \u2014 Die Arbeit des letztgenannten\nAutors betitelt sich \u00bbThe laws of motion*, und steht im Phil. Magazine 5 s. 23 vol. (1887), p. 473 ff. Die von Voss (a. a. O. S. 38) citirte Stelle daraus l\u00e4sst bereits deutlich erkennen, dass Muirhead wesentlich an J. Thomson ankn\u00fcpft. \u00dcber letzteren vgl. L. Lange, Leipz. Berichte, Math.-Phys. CI. 1885, S. 351; sowie mein Referat \u00fcber S. Thomson\u2019s Arbeit, 'Wiedemann\u2019s Beibl. IX, S. 4. (L. L.)\n35)\tE. Mach, Mechanik, 2. Aufl. 1889. S. 217 f. 481 f.\n36)\tHier schlie\u00dft sich eine l\u00e4ngere Anmerkung an, welche auf eine mathematische\nFormulirung Mach\u2019s (Mechanik, 2. Aufl. S. 218, 4. Aufl. S. 244) Bezug nimmt, die wir aber hier wohl fortlassen k\u00f6nnen. (L. L.).\n37)\t\u00bbMan vergleiche auch Prof. Tait\u2019s L\u00f6sung dieses Problems mit H\u00fclfe von\nQuatemionen\u00ab, Proceed. R. S. Edinburgh, vol. XII p. 743, sowie Tait, Properties of matter, 1885 p. 92.\n38)\t\u00bbThomson & Tait, Treatise on natural philosophy, vol. 1. part 1. (1879),\n\u00a7 249.*------Man vergleiche meine Kritik dieses Vorschlages in Philos.\nStud. Bd. II S. 281 (L. L.).\n39)\tGemeint ist der Aufsatz in den Leipziger Berichten, oder der zweite Anhang\nder Buchausgabe des \u00bbBewegungsbegriffes\u00ab, s. o. Anm. 1. (L. L.)\n40)\t\u00bbIch brauche wohl kaum zu Prof. Lodge\u2019s Einwurf gegen solche Darstellungen\ndes ersten Gesetzes, der sich auf ihre verwickelte Beschaffenheit gr\u00fcndet, Stellung zu nehmen. \"Wenn Verst\u00e4ndlichkeit mit Einfachheit zusammentrifft, so ist es sch\u00f6n und gut. Wenn nicht, so muss nat\u00fcrlich die Einfachheit geopfert werden.\u00ab-----Hierzu m\u00f6chte ich meinerseits noch hin-\nzuf\u00fcgen , dass die von mir s. Z. gegebene Idealconstruction des Inertial-systemes im Grunde \u00e4u\u00dferst einfach ist. Die einzige Complication, die ihr unvermeidlich anhaftet, beruht lediglich darauf, dass der Raum nicht eine, sondern drei Dimensionen hat. Diese Complexit\u00e4t der Raumanschauung kann freilich Niemand (auch Prof. Lodge nicht) aus der Welt schaffen.\n(L.L.)\n41)\t\u00bbDieser Einwand sollte sicherlich nicht erhoben werden von einem Schrift-\nsteller, welcher das dritte Bewegungsgesetz als ein Axiom betrachtet, und uns \u00fcberdies selber erz\u00e4hlt, dass er best\u00e4ndig mit Ingenieuren zusammen-kommt (eine Berufsklasse, deren dynamische Erfahrung nat\u00fcrlich eine","page":66},{"file":"p0067.txt","language":"de","ocr_de":"Das Inertialsystem vor dem Dorum der Naturforschung.\t67\n\u25a0weitere ist, als diejenige der meisten Mitglieder des Menschengeschlechtes), welche sich weigern, seine Auffassung anzuerkennen.\u00ab\n42)\tF\u00fcr deutsche Mathematikstudirende im vierten oder f\u00fcnften Semester w\u00e4re\nder Gegenstand meiner Ansicht nach nicht zu hoch. (L. L.)\n43)\t,E. Mach, Mechanik, 2. Aufl. 1889 S. 484, 4. Aufl. S. 251.\u00ab\n44)\tDer letzte Satz bildet im Original eine Fu\u00dfnote, scheint mir aber bedeutsam\ngenug, um hier in den Haupttext \u00fcbernommen zu werden. (L. L.)\n45)\tJ. G-. Mac Gregor, a. a. O. S. 243. Als Parallelstellen anderer Autoren,\nwelche vollkommen dasselbe aussagen, f\u00fchre ich an: Mach, Mechanik 1. Aufl. S. 216, 2. Aufl. S. 216, 4. Aufl. S. 242; Lange, Bewegungsbegriff S. 120 f. H. Kleinpeter, a. a. O. (s. o. Anm. 3) S. 462. Diese Auffassung der Frage des Weltsy sternes wird sich mit fortschreitender Aufkl\u00e4rung immer mehr Bahn brechen.\n46)\tS. o. S. 8 d. Abh.\n47)\tK. Pearson, Grammar of Science 1892, 2nd ed. 1900. Appendix, Note I\n(3 Seiten).\nJ. B. Stallo, Die Begriffe und Theorien der modernen Physik, deutsche Ausgabe 1901, S. 192-212.\nDie erste Auflage des letzteren Werkes erschien, wie schon einmal erw\u00e4hnt (in englischer Sprache) 1881, also kurz vor Mach\u2019s und vor meinen eigenen Arbeiten. Alle drei Darstellungen des Bewegungsproblems entstanden ganz unabh\u00e4ngig von einander und legen Zeugniss daf\u00fcr ab, dass der heute allt\u00e4glich m\u00e4chtiger werdende Trieb nach Erl\u00f6sung der Wissenschaft aus den Fesseln metaphysischen Denkens schon damals bei Einzelnen lebendig war.\n48)\tMan vgl. die in Anm. 23 oben citirte Arbeit, S. 27.\n49)\tS. Newcomb, On the definition of the terms energy and work, Phil. Mag.\n5 s. 27 vol. p. 115\u2014117. L. Lange, Bewegungsbegriff, S. 123.\n50)\tS. 54 dieser Abhandlung.\n51)\tJ. Tilly, Essai sur les principes fondamentaux de la g\u00e9om\u00e9trie et de la m\u00e9-\ncanique, Bordeaux 1878.\nJ. Tilly, Sur les notions de force, d\u2019acc\u00e9l\u00e9ration et d\u2019\u00e9nergie en m\u00e9canique, Bull. Acad. Royale des sciences de Belgique (Bruxelles) 3. XIV. 975\u20141020 (1887).\nW., Newton\u2019s laws of motion, Nature 35 (1886/87), p. 366.\nJ. G. Mac Gregor, On the definition of work done, Nova Scotia Trans. Inst, of Science (2) I. 460\u2014464.\nJ. D. Everett, On absolute and relative motion, Rep. Meet. Brit. Assoc. Adv. Science, vol. 65 (1895) p. 620.\nMarey, Le mouvement, Comptes rendus 117 (1893) p. 272.\nJ. W. Powell, Definition of motion, Proceed. Amer. Assoc. Advanc. Science, August 1894 p. 112.\n\u00ae) S. u. Anm. 87.\nF. Zech, Ztschr. f. Math. u. Physik 33 (2) S. 34.\n' F\u00fcr den Mathematiker ist die Frage nicht ohne Interesse, von welcher Ordnung die Mannigfaltigkeit aller \u00fcberhaupt m\u00f6glichen, gegen einander bewegten starren R\u00e4ume wohl sei. Wie ich anderw\u00e4rts (Leipziger Berichte, a- a. 0. S. 344) hervorgehoben habe, gibt es, wenn man alle in Bezug auf-\n5*","page":67},{"file":"p0068.txt","language":"de","ocr_de":"68\nLudwig Lange.\neinander ruhenden Inertialsysteme, die sich also nur durch Unterschiede des Coordinatenursprungs und der Coordinatenaxen von einander unterscheiden, in den einheitlichen Begriff eines Inertialraumes zusammenfasst, 00\u00bb solcher Inertialr\u00e4ume. Die unendliche Mannigfaltigkeit aller \u00fcberhaupt m\u00f6glichen gegeneinander bewegten schlechthin starren B\u00e4ume ist zweifellos der dritten Ordnung noch um ein Unendliches \u00fcberlegen.\n55j L. Lange, Bewegungsbegriff, S. 64 f. und 115.\n56)\tMath.-Phys. Cl. S. 153\u2014190. Ygl. insbesondere S. 156 und 187\u2014189.\n57)\tMach, Mechanik, 2. Aufl, Anhang S. 483 ff., 4. Aufl. 1901, S. 250 ff. In den\nletzten Auflagen hat Mach diese Er\u00f6rterungen aus dem Anh\u00e4nge in das zweite Kapitel des Buches \u00bbDie Entwicklung der Principien der Dynamik, hin\u00fcbergenommen.\n58)\tMach bezieht sich hier auf den \u00bbBewegungsbegriff..\n59)\tIch habe die Definition des Inertialsystems niemals so verstanden, als solle sie\nunmittelbar der praktischen Construction dynamischer Bezugssysteme dienen. S. S. 36 dieser Abhandlung.\n60)\tYgl. Mac Gregor, S. 18 dieser Abhandlung.\n61)\tSollte nicht statt der statisch wirkenden Drehwage das dynamisch wirkende.\nGyroskop oder vielmehr eine Verbindung von beiden eher am Platze sein?\n62)\tB. u. J. Friedl\u00e4nder, a. a. 0., S. 16; Mach, Mechanik, 4. Aufl. S. 252.\nMan vergleiche \u00fcbrigens auch den Bericht Johannesson\u2019s \u00fcber ein \u00e4hnlichen Zwecken dienendes Experimentum crucis, das aber zu keinem Ergebniss f\u00fchrte, P. Johannesson, a. a. 0. (s. o. Anm. 3) S. 14.\n63)\tS. o. S. 17.\n64)\tE. Budde, Allgemeine Mechanik, Bd. I. 1890. S. 6. 112. 133 ff. 135.\n65)\tHoffentlich geht man recht bald dazu \u00fcber, diesen und \u00e4hnliche verh\u00e4ngniss-\nvolle Ueberreste eines theosophirenden und ontologisirenden Mysticismus aus der exacten Wissenschaft auszumerzen. Uebrigens redet man, wie bekannt, selbst schon in der Phoronomie von \u00bbabsoluten, und \u00bbrelativen. Orten. Dass hier diese Unterscheidung einen g\u00e4nzlich anderen Sinn hat als in der Dynamik, und dass die Ausdr\u00fccke \u00bbprim\u00e4re, und \u00bbsecund\u00e4re Orte, ungleich deutlicher und zutreffender w\u00e4ren, bedarf wohl nicht der n\u00e4heren Ausf\u00fchrung.\n66)\tVgl. S. 19 dieser Abhandlung.\n67)\tG. Frege, a. a. 0. (s. o. Anm. 3), S. 145. 146.\n68)\tP. Johannesson, a. a. O. (s. o. Anm. 3) S. 5.\n69)\tG. Frege, a. a. O. S. 147. 148.\n70)\tL. Lange, Bewegungsbegriff, S. 67.\n71)\tG. Frege, a. a. O. S. 149 f.\n72)\tAehnliches gilt besonders auch von der Causalreihe.\n73)\tMan vergleiche \u00fcber den \u00bbstarren Baum. S. 22 dieser Abhandlung.\n74)\tS. o. S. 25 f. d. Abh.\n75)\tG. Frege, S. 150. P. Johannesson, a, a. 0. S. 7. 8.\n76)\tP. Johannesson, a. a. 0. S. 16. H. Kleinpeter, a. a. 0. S. 466.\n77)\tL. Lange, Philos. Studien, Band II, S. 271.\n78)\tLeipziger Berichte, a. a. 0. S. 346, \u00bbBewegungsbegriff., S. 139 und 140.\n79)\tManche Negerv\u00f6lker bilden ein drastisches Beispiel f\u00fcr die Mythologisirung\naller Naturvorg\u00e4nge. Ebenso sehen gewisse buddhistische Secten die Natur","page":68},{"file":"p0069.txt","language":"de","ocr_de":"Das Inertialsystem vor dem Forum der Naturforschung.\n69\nerf\u00fcllt mit lauter Geistern, und in jedem Irrenhause lassen sich Vertreter der n\u00e4mlichen \u201cWeltanschauung finden.\n80) Gleichwohl nehmen Leibniz, Lotze und manche andere Metaphysiker derartige innere Zust\u00e4nde der bewegten und bewegenden K\u00f6rper als gewiss an. Die Phantasie kann da ebenso frei schalten, wie etwa in der Frage, ob, und mit was f\u00fcr Lebewesen die Himmelsk\u00f6rper bev\u00f6lkert seien. Alle diese Probleme geh\u00f6ren in das unendliche Buch der unbeantworteten, und gr\u00f6\u00dftentheils wohl f\u00fcr immer unbeantwortet bleibenden Fragen, und schwerlich wird die exacte Wissenschaft von ihrer weiteren Verfolgung auch nur die geringste F\u00f6rderung erwarten d\u00fcrfen.\ngl) Man braucht nur spielende Kinder in den ersten Lebensjahren zu beobachten, um sich zu \u00fcberzeugen, dass sie von dem R\u00e4thsel der Schwerkraft psychisch aufs m\u00e4chtigste ber\u00fchrt werden.\n82)\tDass die ber\u00fchmte Anekdote von dem fallenden Apfel wohl nur eine Legende\nist, hat Hosenberger sehr wahrscheinlich gemacht; wie fast alle \u00e4hnlichen Legenden d\u00fcrfte gleichwohl auch diese eine innere Wahrheit besitzen. Man vergleiche S. 119 f. des Rosenberger\u2019schen Buches (s. oben Anm. 21).\n83)\tEine derartige unmetaphysische Auffassung des physikalischen Kraftbegriffes\nwird u. a. (in Analogie zu gewissen psychologischen Begriffen) auch von M\u00fcller und Pilzecker vorausgesetzt. Vgl. deren \u00bbExperimentelle Beitr\u00e4ge zur Lehre vom Ged\u00e4chtniss\u00ab 1900, S. 269 f.\n84)\tS. o. S. 56 dieser Abhandlung.\n85)\tL. Lange, Bewegungsbegriff, Anhang I. S. 126\u2014132.\n86)\tDass die relativen Massen von Doppelstemen berechnet worden sind, ist in\ndem betrachteten Zusammenhang ohne Bedeutung.\n87)\tG. Frege, a. a. O. S. 161. H. Seeliger, a. a. O. S. 267\u2014259.\nZuSeeliger\u2019s antikritischen Bemerkungen seien mir noch einige Worte gestattet. Ich glaube nach wie vor, dass sich zahlreiche Fachastronomen der schwer definirbaren Durchschnittsbeziehung, die in der sogen. \u00bbTranslation der Sonne\u00ab steckt, nicht v\u00f6llig klar bewusst sind. Argeiander jedenfalls war sich ihrer nicht bewusst, sonst h\u00e4tte er unm\u00f6glich den schon erw\u00e4hnten Trugschluss begehen k\u00f6nnen. Nur dann, wenn die Wissenschaft sich entschlie\u00dft, grunds\u00e4tzlich gar nicht mehr, auch nicht in \u00fcbertragenem Sinne, d. h. aus Bequemlichkeit, von \u00bbabsoluten\u00ab und \u00bbwahren\u00ab Bewegungen zu reden, kann eine Kl\u00e4rung der Vorstellungen auf diesem Gebiete Platz greifen. \u2014 Es ist mir nicht bekannt, ob die neuesten Bestimmungen des \u00bbApex\u00ab die Vogel\u2019sehen Daten \u00fcber die Bewegungen im Visionsradius benutzt haben. Fr\u00fcher wurden jedenfalls blo\u00df die zur Gesichtslinie senkrechten Componenten der Eigenbewegungen der Rechnung zu Grunde gelegt; da Vogel\u2019s bahnbrechende photographische Untersuchungen (vgl. H. C. Vogel, Untersuchung \u00fcber die Eigenbewegung der Sterne im Visionsradius auf spectrographischem Wege, Potsdam 1892) erst seit 1888 datiren, und die \u00e4lteren \u2014 mir \u00fcbrigens schon fr\u00fcher wohl-bekannten \u2014 Untersuchungen von Secchi, Huggins, Seabroke u. A. keine gen\u00fcgende Uebereinstimmung der Resultate zeigten, konnte es ja gar nicht anders sein. Ob die Bestimmung des \u00bbApex\u00ab, wenn man nicht blo\u00df die zweidimensionalen Eigenbewegungen auf der Sph\u00e4re, sondern als","page":69},{"file":"p0070.txt","language":"de","ocr_de":"70\nLudwig Lange.\ndritte erg\u00e4nzende Dimension auch die spectrographisch ermittelten Verschiebungen in der Gesichtslinie in die Rechnung einbezieht, das alte Resultat (Sternbild des Herkules) best\u00e4tigt, erscheint zweifelhaft ; die zwischen den verschiedenen bisherigen Rechnungsergebnissen bestehende \u2014 \u00fcbrigens nur m\u00e4\u00dfige \u2014 Uebereinstimmung k\u00f6nnte n\u00e4mlich auch auf Umst\u00e4nden beruhen, welche mit der Vernachl\u00e4ssigung der radialen Compo-nente in Verbindung stehen. M\u00f6glicher Weise erkl\u00e4rt sie sich sogar auf diese Weise noch einfacher, als aus der fr\u00fcher von mir gemachten Annahme, dass die Sonne in die Classe der (bei Durchschnittsrelation gegen den gesammten Complex) stark bewegten Fixsterne geh\u00f6re. Man vergleiche zur genaueren Orientirung: S. Newcomb, Popul\u00e4re Astronomie, 2. Aull. 1892, S. 551\u2014559, und J. Scheiner, Die Spectralanalyse der Gestirne, 1890, S. 151\u2014165 , 350\u2014S6\u00df. \u2014 Die Bewegungen, welche vermittelst des Spectroscops festgestellt werden, sind \u00fcbrigens keine Relativbewegungen zum Aether, \u2014 obschon dieser an der Verschiebung der Spectrallinien mitwirkend betheiligt ist, \u2014 sondern ganz klare Relativbewegungen in Bezug auf unsere Sonne. Denn die n\u00e4herungsweise G\u00fcltigkeit des Doppler\u2019schen Princips zwischen zwei relativ zu einander bewegten K\u00f6rpern d\u00fcrfte auch in dem Falle vorhanden sein, wenn beide relativ zum Aether ein Ma\u00df von Bewegung besitzen, welches im Vergleich zur Lichtgeschwindigkeit niedrig zu veranschlagen ist (vgl. J. Scheiner,\na. a. O. S. 155).---Wenn man \u00fcbrigens ganz streng sein wollte, m\u00fcsste\nman vor Beginn der Apexberechnungen noch diejenigen Correctionen der Fixstem\u00f6rter anbringen, welche aus dem sehr verschieden gro\u00dfen Abstand der Sterne und aus der endlichen Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Lichtes entspringen. Von allzu gro\u00dfem Einfluss auf das Rechnungsergebniss d\u00fcrfte freilich die Anbringung dieser Correctionen wohl nicht sein; der genannte Umstand soll auch nur darum erw\u00e4hnt werden, weil er best\u00e4tigt, dass die v\u00f6llige Undefinirbarkeit des Bezugssystemes der \u00bbSonnentranslation\u00ab auf Complicationen beruht, die vielleicht noch nicht einmal in theoretischer Vollst\u00e4ndigkeit erwogen worden sind.\n88)\tDie aus der Lichtgeschwindigkeit folgenden Correctionen (s. v. Anm.) m\u00fcssten,\nwenn m\u00f6glich, zuvor hieran angebracht werden.\n89)\tIch glaube kaum, dass Mach nach dem Durchlesen dieser Darstellung bei\nder Behauptung verharren werde: \u00bbSobald wir von der Lagenver\u00e4nderung der Fixsterne gegen einander nicht mehr absehen k\u00f6nnen, hat das Legen eines Coordinatensystemes ein Ende erreicht.\u00ab\n90)\tG. Frege, a. a. O. S. 157. 160.\n91)\tVgl. L. Lange, Bewegungsbegriff, S. 56. 69 f.\n92)\tL. Weber, a. a. O. (s. o. Anm. 3), S. 36.\n93)\tWie kaum erw\u00e4hnt zu werden braucht, haben die Massen in diesem Problem\nlediglich die Bedeutung von willk\u00fcrlich beigelegten Coefficienten ohne dynamischen Hintergrund.\n94)\tMit R\u00fccksicht auf den mir zur Verf\u00fcgung stehenden Raum muss ich mich auf\ndie blo\u00dfe Anf\u00fchrung dieses, von Herrn Professor Brill mir freundlich mit-getheilten Lehrsatzes beschr\u00e4nken. Das in demselben vorausgesetzte \u00bbPrincip von der Erhaltung der Fl\u00e4chen\u00ab, sowie der Begriff des \u00bbTr\u00e4gheitsellipsoides\u00ab werden in jedem Lehrgang der analytischen Mechanik abgehandelt.","page":70},{"file":"p0071.txt","language":"de","ocr_de":"Das Inertialsystem vor dem Forum der Naturforschung.\n71\n95) P. Johannesson, a. a. O. S. 16.\n_\u00bb. j Q-. Mac Gregor, s. S. 18 dieser Abhandlung.\n/\u00ffl) L. Lange, Bewegungsbegriff (1886), S. 132. S. auch S. 43 f. dieser Abhdlg. gg) In einer Kichtung verdient \u00fcbrigens Weber\u2019s Anregung weiter verfolgt zu werden. F\u00fcr jeden Complex materieller Punkte, sei er nun ein starrer oder ein irgendwie anders construirter \u2014, ist das System jederzeit kleinster und dieser Minimalwerth selbst, wenngleich ersteres kein Inertialsystem, und letzteres keine Summe lebendiger Kr\u00e4fte zu sein braucht, dennoch vielleicht von irgendeiner physikalischen Bedeutung, welcher nachzusp\u00fcren eine beachtenswerthe Aufgabe f\u00fcr den mathematischen Physiker sein d\u00fcrfte.\n99)\tMach, Mechanik, 4. Auf!., S. 269\u2014276.\n100)\tH. Hertz, Die Principien der Mechanik, S. 160.\n101)\tS. o. S. 16 dieser Abhandlung.\n102)\tP. Johannesson, a. a. O. S. 6; S. 7.\n103)\tP. Johannesson, a. a. 0. S. 9; S. 13.\n104)\tP. Johannesson, a. a. 0. S. 23; S. 26.\n105)\tIn dem unter Anm. 2 angef\u00fchrten Aufsatze.\n106)\tH. Kleinpeter, a. a. 0. S. 462.\n107)\tH. Kleinpeter, a. a. 0. S. 464.\n108)\tA. Voss, a. a. 0. S. 38.\n109)\tL. Lange, Bewegungsbegriff, S. 71. Ich zweifle nicht im mindesten, dass\nNewton selbst diesen Standpunkt reinlicher Scheidung vertreten h\u00e4tte, wenn der Satz >Keligion ist Privatsache\u00ab zu seiner Zeit sich so allgemeiner Anerkennung erfreut h\u00e4tte, wie es heute in wissenschaftlichen Kreisen doch wohl der Fall ist.","page":71}],"identifier":"lit4478","issued":"1902","language":"de","pages":"1-71","startpages":"1","title":"Das Inertialsystem vor dem Forum der Naturforschung","type":"Journal Article","volume":"20"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:27:24.385524+00:00"}