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{"created":"2022-01-31T12:38:23.935697+00:00","id":"lit4486","links":{},"metadata":{"alternative":"Philosophische Studien","contributors":[{"name":"St\u00f6rring, Gustav W.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Philosophische Studien 20: 323-335","fulltext":[{"file":"p0323.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Lehre von den Allgemeinbegriffen.\nVon\n\u00a9. St\u00f6rring.\nLeipzig.\nI.\nWenn wir \u00fcber Begriffe und speciell \u00fcber Allgemeinbegriffe handeln wollen, wird es zweckm\u00e4\u00dfig sein, dieselben zun\u00e4chst den Allgemeinvorstellungen und Einzelbegriffen gegen\u00fcber abzugrenzen.\nMan hat bekanntlich angenommen, dass aus einer Reihe \u00e4hnlicher Vorstellungen die Vorstellung des Gemeinsamen, ein schematisches Totalbild, durch associative Beziehungen zur Entwicklung komme. In diesen schematischen Totalbildem einer Reihe von \u00e4hnlichen Wahrnehmungen sollten zugleich die Begriffe f\u00fcr die betreffenden \u00e4hnlichen Wahrnehmungen gegeben sein, wobei man unter einem Begriff die Summe der gemeinsamen Merkmale zusammengeh\u00f6riger Wahrnehmungen verstand. Den betreffenden Autoren trug zugleich jeder Begriff den Charakter der Allgemeinheit, alle Begriffe sind Allgemeinbegriffe, da jeder Begriff eine ganze Reihe von Wahrnehmungen unter sich begreift. Hier sind dann also die Allgemeinvorstellungen identisch mit Allgemeinhegriffen.\nDie Polemik, welche Berkeley gegen diese Theorie der Allgemeinvorstellungen gerichtet hat, besteht v\u00f6llig zu Recht. Es gibt keine Vorstellung von einem Dreieck, \u00bbwelches weder schiefwinklig noch rechtwinklig, welches weder gleichseitig noch ungleichseitig, noch gleichschenklig, sondern dies alles und doch zugleich nichts von dem ist\u00ab. Derartige Allgemeinvorstellungen sind also Eictionen, sie existiren im psychischen Leben nicht, sie sind intellectualistisch in den gegebenen Thatbestand hineingesehen. Wenn wir einen Begriff denken, so\n21*","page":323},{"file":"p0324.txt","language":"de","ocr_de":"324\nG. St\u00f6rring.\nk\u00f6nnen wir dabei allerdings eine einzelne Vorstellung im Bewusstsein constatiren, aber diese tr\u00e4gt nicht den postulirten allgemeinen Charakter, den Charakter eines schematischen Totalbildes. Wundt sucht den Charakter solcher Vorstellungen auf folgende Weise zu bestimmen: \u00bbSobald wir einen Begriff denken, steht zun\u00e4chst das ihn bezeichnende Wort im Vordergrund unseres Bewusstseins; eine Vorstellung, die als Bild der unter dem Begriff enthaltenen Dinge gelten k\u00f6nnte, fehlt entweder ganz oder sie ist so dunkel, dass wir etwas bestimmtes \u00fcber sie nicht auszusagen im Stande sind. Aber urspr\u00fcnglich muss dies nothwendig anders gewesen sein, da, wie innig man sich auch die Verbindung zwischen Begriff und Wort denken mag, ein Anfang der Begriffsentwicklung gegeben sein musste, bevor der bezeichnende Laut sich feststellte. Schon die zahlreichen Synonyma, die, wie die Geschichte der Sprache lehrt, in den Anf\u00e4ngen der Sprachentwicklung f\u00fcr jeden Begriff auftauchten und allm\u00e4hlich erst einem einzigen oder einigen wenigen Platz machten, weisen auf eine minder feste Verbindung zwischen Wort und Begriff hin, bei der zugleich das sprachliche Symbol im Verh\u00e4ltnis zur bezeichneten Vorstellung eine geringere St\u00e4rke besitzen musste. Es gibt vielleicht nur einen einzigen Fall, wo sich unser Bewusstsein noch jetzt in dieser einen Beziehung in einem \u00e4hnlichen Zustande befinden kann, wie er vor der Sprache vorauszusetzen w\u00e4re: wenn wir uns n\u00e4mlich an einen gegenst\u00e4ndlichen Begriff erinnern, ohne uns auf das zugeh\u00f6rige Wort zu besinnen. Bei dem Wort Locomotive z. B. steht dieses im Blickpunkt des Bewusstseins und nebenbei befindet sich in den dunkleren Regionen desselben ein Bild des Gegenstandes. Wenn wir uns jedoch den Letzteren ins Ged\u00e4chtniss rufen, ohne an das Wort zu denken, so steht jenes Bild in deutlicheren Umrissen vor uns. Aber nichts unterscheidet dieses auf den allgemeinen Erfahrungsbegriff bezogene Bild von irgend einer anderen Erinnerungsvorstellung : weder bemerkt man eine besondere Unbestimmtheit der Umrisse, noch ein Zerflie\u00dfen in eine Reihe einzelner Vorstellungen\u00ab1).\nWir haben es hier also mit einer Einzel Vorstellung zu thun; sie Pfrnn nur dadurch im entwickelten Bewusstsein directer und unbestimmter als andere Einzelvorstellungen sein, weil sie von der Wort-\n1) Wundt, Logik I, S. 45.","page":324},{"file":"p0325.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Lehre von den Allgemeinbegriffen.\n325\nVorstellung bei Seite gedr\u00e4ngt wird. Diese mehr oder minder unbestimmte Einzelvorstellung ist es also, die intellectualistisch f\u00fcr eine Allgemein Vorstellung angesprocben w\u00fcrde. Welche Rolle diese Einzelvorstellung bei dem. Denken eines Begriffs in Wirklichkeit spielt, werden wir sp\u00e4ter genauer zu er\u00f6rtern haben.\nVorher haben wir noch von allgemeiner Vorstellung in anderem Sinne zu sprechen und sie zu den Begriffen in Beziehung zu setzen. Man kann eine bestimmte Vorstellung insofern allgemein nennen, als sie f\u00fcr eine Reihe gleicher Vorstellungsobjecte Geltung hat. Von dieser Art der Allgemeinheit der Vorstellungen unterscheidet sich, wie man leicht sieht, die Allgemeinheit der Begriffe so, dass sie fjjr differente Vorstellungen oder Vorstellungsobjecte gelten.\nVon allgemeinen Vorstellungen redet man zuletzt da, wo eine Vorstellung auf Grund ihrer Unbestimmtheit auf eine Reihe differenter Wahrnehmungsobjecte Anwendung findet, ohne selbst aus der Beziehung differenter Wahrnehmungen oder Vorstellungen hervorgegangen zu sein. So tragen beim Kinde die von Einzelwahrnehmungen stammenden reproducirten Vorstellungen einen sehr unbestimmten Charakter. Wird ein Wahrnehmungsobject benannt, so sehen wir auf Grund der Unbestimmtheit der entsprechenden reproducirten Vorstellung in der Folge diese Benennung bei einer Reihe mehr oder minder differenter Wahrnehmungen auftreten. Die betreffende repro-ducirte Vorstellung verschmilzt eben mit Wahrnehmungen, die mit der urspr\u00fcnglichen auch nur ganz entfernte Aehnlichkeit haben (nat\u00fcrlich nicht etwa auf Grund der erkannten Aehnlichkeit), und veranlasst dadurch die Benennung wesentlich differenter Wahrnehmungen mit gleichem Namen. Man sieht diese Erscheinung auch bei Idioten auftreten und zwar sind da die Differenzen der gleichbenannten Wahrnehmungsobjecte um so gr\u00f6\u00dfer, je niedriger die Idioten stehen.\nDiesen beiden Arten von allgemeiner Vorstellung gegen\u00fcber charakterisirt sich der Allgemeinbegriff so, dass er auf differente Gr\u00f6\u00dfen Anwendung findet, die zugleich als different aufgefasst werden. Sodann tr\u00e4gt derselbe, besonders der zuletzt besprochenen Allgemeinvorstellung gegen\u00fcber, den Charakter der Constanz. Die ersteren Bestimmungen betreffen die Allgemeinheit des Allgemeinbegriffs, die letztere betrifft den Begriffscharakter des Allgemeinbegriffs.","page":325},{"file":"p0326.txt","language":"de","ocr_de":"326\nG. St\u00f6rring.\nWir m\u00f6chten nun den Einzelbegriff gegen\u00fcber dem Allgemein-begriff abgrenzen. Eiben Einzelbegriff nennen wir jeden Vorstellungsinhalt und jede von uns gesetzte concrete Beziehung, wenn dieselben als constante Gr\u00f6\u00dfen in unsem Denkprocessen behandelt werden. So stellen die Einzelbegriffe die letzten Elemente unseres Denkens dar.\nn.\nWir hatten oben constatirt, dass in dem Gedanken eines bestimmten Allgemeinbegriffs eine Einzelvorstellung eine gewisse Bolle spielt. Wir werden uns nun klar zu machen haben, welche Bolle die Einzelvorstellung beim Denken des Allgemeinbegriffs \u00fcbernimmt.\nWir k\u00f6nnen zun\u00e4chst kurz sagen: die Einzelvorstellung wird aufgefasst als Stellvertreterin des Allgemeinbegriffs, d. h. wir verbinden mit der betreffenden Einzelvorstellung den Gedanken, dass sie nur stellvertretenden Werth hat, dass^wir sie, durch eine andere Vorstellung einer mit ihr zusammenh\u00e4ngenden Beihe von Vorstellungen ersetzen k\u00f6nnen, ohne unsern logischen Gedankenverlauf zu modi-ficiren1). Es fragt sich nun, wie dieser Nebengedanke zu st\u00e4nde kommt. In einer Kritik der Wundt\u2019sehen Logik \u00e4u\u00dfert sich Lipps2) \u00fcber die Bedingungen f\u00fcr die Entstehung dieses Gedankens folgenderma\u00dfen: \u00bb\u00bbDem Wahlacte, durch den die repr\u00e4sentative Vorstellung ins Bewusstsein gehoben wird, ist das begleitende Bewusstsein wesentlich, \u00bbdass eine andere Handlung statt der vollzogenen m\u00f6glich gewesen w\u00e4re. \u00ab Nun kann dies begleitende Bewusstsein sicher auf keine andere Weise zu st\u00e4nde kommen, als dadurch, dass neben der repr\u00e4sentativen Vorstellung At, wenn auch nur f\u00fcr einen Augenblick, eine beliebige andere Vorstellung Ai oder A3 wirklich von mir vollzogen wird, und ich mir zugleich bewusst bin, dass dieser Wechsel f\u00fcr das, worauf es mir ankommt, nichts verschl\u00e4gt\u00ab\u00ab. So plausibel diese Entwicklung auch erscheinen mag, so glaube ich doch zeigen zu k\u00f6nnen, dass es nicht richtig ist, dass, wo jener Nebengedanke auftritt, auch di4 angegebene Erfahrung gemacht werden muss.\nNach Wundt charakterisirt sich eine Vorstellung dadurch als\n1)\tWundt, Logik I, S. 47.\n2)\tLipps, Philos. Monatshefte Bd. 17.","page":326},{"file":"p0327.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Lehre von den Allgemeinbegriffen.\n327\neine repr\u00e4sentative, dass sie sich mit einem Begriffsgef\u00fchl1) verbindet. Wundt sagt dar\u00fcber: Es verbindet sich mit jeder solchen Vorstellung \u00bbdas in der Regel nur in der Form eines Gef\u00fchls zum Ausdruck kommende Bewusstsein der blo\u00df stellvertretenden Bedeutung. Dieses Begriffsgef\u00fchl l\u00e4sst sich wohl darauf zur\u00fcckf\u00fchren, dass dunklere Vorstellungen, die s\u00e4mmtlich die zur Vertretung des Begriffs geeigneten Eigenschaften besitzen, sich in der Form wechselnder Erinnerungsbilder zur Auffassung dr\u00e4ngen\u00ab.\nIch werde diese im Hintergrund des Bewusstseins stehenden Vorstellungen sp\u00e4ter noch genauer zu bestimmen suchen \u2014 ich glaube im Sinne von Wundt, wenn er die betreffenden Bestimmungen auch nicht selbst macht \u2014 vor der Hand m\u00f6chte ich die Frage nach der Auffassung des Begriffsgef\u00fchls von Seiten des betreffenden Individuums n\u00e4her ins Auge fassen. Da meine ich nun, dass nicht unmittelbar durch dieses Begriffsgef\u00fchl sich die von ihm begleitete Vorstellung als repr\u00e4sentativ charakterisiren kann, sondern dass das nur in mittelbarer Weise m\u00f6glich ist; anders ausgedr\u00fcckt, ich meine, nicht in dem Begriffsgef\u00fchl ist der Gedanke der Stellvertretung gegeben, sondern es kann sich nur der Gedanke des stellvertretenden Werths der Vorstellung mit dem Begriffsgef\u00fchl auf Grund einer Deutung des Begriffsgef\u00fchls verbinden.\nEs w\u00fcrde also hier zwischen dem Begriffsgef\u00fchl und dem Bewusstsein der stellvertretenden Geltung eine \u00e4hnliche Beziehung bestehen, wie ich sie zwischen dem Wiedererkennungsgef\u00fchl oder der Bekanntheitsqualit\u00e4t und dem Wiedererkennungsurtheil2), zwischen dem Erinnerungsgef\u00fchl und demErinnerungsurtheil3), zwischen dem Identit\u00e4tsund Differenzgef\u00fchl und dem Identit\u00e4ts- und Differenzurtheil4) nachzuweisen gesucht habe.\nF\u00fcr eine solche Deutung des Begriffsgef\u00fchls w\u00fcrde man nun wohl die Erfahrung in Anspruch zu nehmen haben, dass die im Hintergr\u00fcnde des Bewusstseins stehenden Vorstellungen f\u00fcr das, worauf es\n1)\tWundt, Physiol. Psychol. 4 H, S. 477. Wundt, Menschen- und Thierseele 2 S. 361ff. Wundt, Grundriss der Psychologie 4 S. 323.\n2)\tVorlesungen \u00fcber Psychopathologie in ihrer Bedeutung f\u00fcr die normale Psychologie, S. 257 ff.\n3)\tZeitschrift f\u00fcr Philosophie und philos. Kritik, 119. Bd., S. 99 ff.\n4)\tDie Erkenntnistheorie von Tetens, S. 121 ff.","page":327},{"file":"p0328.txt","language":"de","ocr_de":"328\nG-. St\u00f6rring.\nankommt, ganz dasselbe leisten, wie die zuerst gedachte Vorstellung. Diese Erfahrung kann nat\u00fcrlich nur gemacht werden, wenn solche im Hintergrund des Bewusstseins stehende Vorstellungen in einzelnen F\u00e4llen aus dem Hintergrund des Bewusstseins hervortreten und die Stelle der ersteren Vorstellung einnehmen. So kann dann eine Deutung des Begriffsgef\u00fchls stattfinden und also die Idee des blo\u00df stellvertretenden Werths einer Vorstellung auftreten, ohne dass, wie Lipps meint, \u00bbneben der repr\u00e4sentativen Vorstellung A,, wenn auch nur f\u00fcr einen Augenblick, eine beliebige andere Vorstellung At oder A3 wirklich von mir vollzogen wird\u00ab, sodass es mir dadurch bewusst wurde, dass dieser Wechsel f\u00fcr das, worauf es ankommt, nichts verschl\u00e4gt.\nWas setzt nun aber die Erfahrung voraus, dass f\u00fcr eine Vorstellung Al eine andere At oder A, ohne St\u00f6rung des Ge-dankengangs eingesetzt werden kann? Sie setzt voraus, dass die Vorstellung At die Function einer repr\u00e4sentativen Vorstellung eines Allgemeinbegriffs aus\u00fcbt, bevor sie als repr\u00e4sentative Vorstellung aufgefasst wird. Zu dieser Function einer repr\u00e4sentativen Vorstellung verhilft ihr also nicht der Gedanke des blo\u00df stellvertretenden Werths. Wie sollte er das auch anfangen?\nWie kommt denn nun aber die Vorstellung Ai zu dieser Function eines Allgemeinbegriffs? so wollen wir der K\u00fcrze halber sagen. Ohne Zweifel durch ihre Beziehung zu A\u00ee, A.\u00e4, At u. s. w. Man wird vielleicht zun\u00e4chst sagen: Die Aehnlichkeit dieser Vorstellungen bedingt ein Hervortreten derjenigen Vorstellungsinhalte in der Gesammtvorstellung A {, welche gleiche oder \u00e4hnliche Merkmale enthalten. Mit dieser Auskunft w\u00fcrden wir aber nicht weit kommen. Es w\u00fcrden auf diese Weiee sicherlich nicht bei Vorstellungen, die zu einem Gattungsbegriff geh\u00f6ren, die durch Urtheilsprocesse aus den Vorstellungen heraushebbaren gleichen oder \u00e4hnlichen Merkmale herausgehoben werden.\nAber auch mit der Heraushebung der gleichen oder \u00e4hnlichen Vorstellungsinhalte w\u00e4ren wir noch nicht am Ziel.\nDer Gedanke der Dreizahl der Seiten eines Dreiecks ist nicht in dem Vorstellungsinhalt der repr\u00e4sentativen Dreiecksvorstellung gegeben, der Vorstellungsinhalt veranlasst uns, die Dreiecksseiten als drei zu denken; allerdings vollziehen sich die hier vorausgesetzten Setzungen mit dem Bewusstsein, dass sie von dem Vorstellungsinhalt","page":328},{"file":"p0329.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Lehre von den Allgemeinbegriffen.\n329\nabh\u00e4ngig, durch ihn determinirt sind. Das Identische in verschiedenen Dreiecken liegt also nach dieser Richtung hin in der Identit\u00e4t der in die Vorstellungsinhalte hineingedachten Beziehungen.\nSo haben wir das urtheilende Denken in doppelter Weise f\u00fcr das Zustandekommen des gedachten Thatbestandes in Anspruch zu nehmen. Gehen wir auf diese Leistungen des urtheilenden Denkens noch etwas n\u00e4her ein. Wundt hat hervorgehoben, dass bei Gewinnung der gleichen oder \u00e4hnlichen Merkmale zusammengeh\u00f6riger Vorstellungen nicht etwa, wie man gew\u00f6hnlich glaubt, Gleichheits-urtheile prim\u00e4r in Betracht kommen, sondern Urtheile, welche verwandte complexe Vorstellungsinhalte A, At A3 in ihre Bestandtheile zerlegen1), also Urtheile der Art: At hat die Merkmale Mt M3 M3 Mt ; A% hat die Merkmale Mf Mi Ma M5; A3 hat die Merkmale M{ Mi M3 M6 u. s w. Dann w\u00fcrden erst secund\u00e4re Gleichheits- oder Aehn-lichkeitsurtheile in Frage kommen, welche die Mt Mt M3 in A{ mit den Ml M3 in At u. s. w. gleich oder \u00e4hnlich setzen. \u2014\nHat das urtheilende Denken verwandte Vorstellungscomplexe nun so bearbeitet, dass die gleichen oder \u00e4hnlichen Vorstellungsinhalte und die gleichen Beziehungen herausgehoben resp. hineingedacht sind, so wird etwa ein Vorstellungscomplex At zur Function eines Allgemeinbegriffs auf die Weise gelangen k\u00f6nnen, dass die im Hintergrund des Bewusstseins stehenden Vorstellungen A3 A3 At u. s. w. die gleichen oder \u00e4hnlichen Vorstellungsinhalte in At und die gleichen in sie hineingedachten Beziehungsgedanken in A, hervorheben, so dass in Folge dieser associativen Beziehung zu den wie A{ durchs Denken bearbeiteten Vorstellungscomplexen Ai A3 At die Vorstellung A, als Allgemeinbegriff im Denken wirken kann.\nEs erw\u00e4chst uns aber eine Schwierigkeit aus der Ber\u00fccksichtigung einer Complication, die sich in den gegebenen Thatbest\u00e4nden vorfindet. Wir d\u00fcrfen uns nicht verhehlen, dass At als repr\u00e4sentative Vorstellung f\u00fcr verschiedene Allgemeinbegriffe functioniren kann. Sie kann das eine Mal repr\u00e4sentative Vorstellung f\u00fcr den niedrigsten Artbegriff sein, dem sie untergeordnet ist, das andere Mal f\u00fcr eine h\u00f6here Gattung. Urspr\u00fcnglich mag sie etwa nur repr\u00e4sentative Vorstellung f\u00fcr den niedrigsten Artbegriff sein. Sp\u00e4ter wird sie, nehme ich\n1) Logik 21, S. 106 und 107.","page":329},{"file":"p0330.txt","language":"de","ocr_de":"330\nG-. St\u00f6rring.\nan, repr\u00e4sentative Vorstellung f\u00fcr Allgemeinbegriffe von verschiedenem Grade der Allgemeinheit dadurch, dass die Wortvorstellung bestimmend wirkt auf die Reproduction der im Hintergrund des Bewusstseins stehenden Vorstellungscomplexe ; so variiren dieselben mit den Wortvorstellungen und von dieser Variation h\u00e4ngt dann wieder, wie man sieht, ein Wechsel in der Hervorhebung gleicher oder \u00e4hnlicher Theilvorstellungsinhalte und gleicher Beziehungsgedanken ab.\nHI.\nDie wissenschaftliche Bestimmung des Allgemeinbegriffs setzt dann au\u00dfer den oben erw\u00e4hnten Inh\u00e4renz- und Gleichheits-resp. Aehnlichkeitsurtheilen, deren Resultat sich in die Worte fassen l\u00e4sst: die und die Merkmale (Mi Mt Ma) des complexen Vorstellungsinhalts oder Vorstellungobjects A{ finden sich auch bei einer ganzen Reihe anderer Vorstellungsinhalte, anderer Vorstellungsobjecte \u2014 noch Urtheile negativer Natur voraus. Denn mit diesem zusammenfassenden Urtheil ist noch nicht genug gesagt f\u00fcr die wissenschaftliche Fixirung eines Begriffs. Die ohigen Bestimmungen verlangen eine Erg\u00e4nzung in der Weise, dass wir sagen k\u00f6nnen: die und die Merkmale [Mt M\u00ef Ms) des complexen Vorstellungsinhaltes oder Vor-stellungscomplexes A{ finden sich auch bei einer ganzen Reihe anderer Vorstellungsinhalte oder Vorstellungsobjecte und keine anderen.\nDer in der letzten Bestimmung liegenden Forderung werden wir gerecht durch Urtheile negativer Art: die und die Merkmale sind diesen Vorstellungsinhalten, diesen Vorstellungsobjecten nicht gemeinsam. Dadurch werden wir zu dem Urtheil gef\u00fchrt: von den Eigenschaften von Ai sind nur MK Ma M, ihm mit einer Reihe anderer Vorstellungsinhalte, anderer Vorstellungsobjecte gemeinsam. \u2014 Es ergibt sich also, dass eine ganze Reihe verschiedener Arten von Urtheilen n\u00f6thig ist, wenn wir einen Allgemeinbegriff bis zu Ende denken wollen.\nIV.\nUebrigens haben wir bis jetzt auch nicht von den einfachsten Allgemeinbegriffen gesprochen. Wenn wir versuchen wollen, uns Klarheit \u00fcber die verschiedenen Arten von Allgemeinbegriffen zu verschaffen, wird es zweckm\u00e4\u00dfig sein, zu fragen, welche Elemente","page":330},{"file":"p0331.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Lehre von den Allgemeinbegriffen.\n331\netwa \u00fcberhaupt in unseren Urtheilsprocessen Vorkommen. Da werden wir sagen m\u00fcssen, dass wir es bei unserm Denken mit Vorstellungsinhalten und Beziehungen zu thun haben: Vorstellungsinhalte werden aufeinander bezogen. Das Geltungsbewusstsein, welches sich mit unsem Denkakten verbindet, stellt selbst eine Beziehung dar. Diese Bestimmung scheint aber noch der Erg\u00e4nzung zu bed\u00fcrfen. Wir setzen in unserm Denken doch auch Beziehungen zwischen Vorstellungsobjecten (wobei wir unter Objecten die als unabh\u00e4ngig von unserer Wahrnehmung existirend gedachten Gr\u00f6\u00dfen verstehen); so wenn wir z. B. eine Aussage \u00fcber eine r\u00e4umliche Beziehung von Objecten machen; oder wir setzen Beziehungen, welche ein Vorstellungsobject betreffen, so wenn wir eine Eigenschaft oder Th\u00e4tig-keit von einem Ding aussagen. In Wirklichkeit haben wir es hier nat\u00fcrlich auch nur mit Vorstellungsinhalten zu thun; die zwischen unseren Vorstellungsinhalten gesetzten Beziehungen werden als f\u00fcr die Objecte g\u00fcltig aufgefasst (mit welchem Recht das geschieht, darnach hat man weiter als Erkenntnisstheoretiker zu fragen). Wir haben es also zu thun mit Vorstellungsinhalten resp. Vorstellungsobjecten und Beziehungen. Unsere Allgemeinbegriffe k\u00f6nnen also auch nur diese betreffen. Wir h\u00e4tten dann Allgemeinbegriffe von complexen oder einfachen Vorstellungsinhalten oder Vorstellungsobjecten, von Allgemeinbegriffen von complexen oder einfachen Beziehungen zu unterscheiden. Bis jetzt sprachen wir von Allgemeinbegriffen von complexen Vorstellungsinhalten oder Vorstellungsobjecten.\nDie Allgemeinbegriffe, welche einfache Vorstellungsinhalte betreffen, sind Allgemeinbegriffe von einfachen Eigenschaften und Th\u00e4tigkeiten. Sie setzen f\u00fcr ihre Entwicklung, wie man leicht sieht, nicht wie die oben besprochenen Allgemeinbegriffe, negative Urtheile voraus, sondern nur Urtheile, in denen diese Eigenschaften oder Th\u00e4tigkeiten aus einzelnen Vorstellungsganzen herausgehoben werden, und sodann entsprechende Aehnlichkeitsurtheile.\nF\u00fcr die Entstehung der einfachen Beziehungsbegriffe sind dementsprechend vorauszusetzen: einmal Urtheile, in denen die Beziehungen gleicher Art gesetzt werden, und sodann Identit\u00e4tsurtheile, welche diese gesetzten Beziehungen betreffen. Hierhin geh\u00f6ren die einfachen r\u00e4umlichen, die zeitlichen Beziehungen, die Eigenschafts- und Th\u00e4tigkeits-","page":331},{"file":"p0332.txt","language":"de","ocr_de":"332\nGr. St\u00f6rring.\nbeziehung, die logische Ahh\u00e4ngigkeitsbeziehung, die Vergleichungs-beziehungen: n\u00e4mlich die Beziehung der partiellen und totalen Identit\u00e4t und die Beziehung der Aehnlichkeit (die Aehnlichkeit l\u00e4sst sich nicht immer auf partielle Identit\u00e4t zur\u00fcckf\u00fchren, man denke an die Aehnlichkeit verschiedener Farben).\nYon besonderem Interesse sind noch diejenigen Allgemeinhegriffe, welche solche complexe Verh\u00e4ltnissgedanken betreffen, die eine Synthese von verschiedenen Arten von Beziehungen darstellen. Wir meinen die abstracten Allgemeinbegriffe. Wundt charakterisirt dieselben in folgender Weise: \u00bbDer Sprachgebrauch weist.. . zun\u00e4chst auf ein \u00e4u\u00dferes Merkmal der abstracten Begriffe hin, das seinen Ausdruck in dem Yerh\u00e4ltniss des Begriffs zu seiner repr\u00e4sentativen Vorstellung findet. So lange die letztere nicht blo\u00df in dem Wort, sondern au\u00dferdem noch in einer sinnlichen Anschauung bestehen kann, nennen wir den Begriff concret. Sobald dagegen das gesprochene oder geschriebene Wort das einzige Zeichen f\u00fcr ihn bleibt, ist er abstract. Abstract sind also diejenigen Begriffe, denen eine ad\u00e4quate stellvertretende Vorstellung nicht entspricht und f\u00fcr die daher in unserm Denken nur noch ein \u00e4u\u00dferliches und scheinbar willk\u00fcrliches Zeichen gew\u00e4hlt wird\u00ab1). Nach seinen inneren Eigenschaften wird der abstracte Begriff folgenderma\u00dfen bestimmt: Um die alte Ansicht \u00fcber die logische Bildung abstracter Begriffe zu berichtigen, \u00bbm\u00fcssen wir davon ausgehen, dass jeder Begriff aus Elementen besteht, die selbst wieder Begriffe sind, welche zu ihm in den verschiedensten logischen Beziehungen stehen, und wobei die Beziehungen- ihren Ausdruck in einer Reihe von Urtheilen finden k\u00f6nnen. Sobald wir nun aus gegebenen concreten Begriffen abstracte bilden wollen, l\u00f6sen wir bestimmte unter jenen Beziehungen aus den Verbindungen, in denen sie sich befinden. An dieses analytische Verfahren schlie\u00dft sich dann als zweite Stufe ein synthetisches an, welches darin besteht, dass verschiedene auf solche Weise isolirte Beziehungen mit einander verbunden werden. So werden wir z. B. annehmen d\u00fcrfen, dass der Begriff des Dings zun\u00e4chst hervorgegangen ist aus der Lostrennung des in zahlreichen Einzelhegriffen wiederkehrenden Elementes einer Verbindung von Sinneswahrnehmungen,\n1) Wundt, Logik I, S. 111 und 112.","page":332},{"file":"p0333.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Lehre von den Allgemeinbegriffen.\n333\ndie unserm Willen entzogen ist. Hierzu tritt das wiederum vielen Einzelbegriffen gemeinsame eines theils beharrenden, theils stetig ver\u00e4nderlichen Complexes von Eigenschaften ; und als dritte wird endlich der r\u00e4umlich zeitliche Zusammenhang dieser Eigenschaften nicht fehlen d\u00fcrfen. Durch letzteres tritt aber der Begriff des Dings zugleich in eine Beziehung zu unserem sich unmittelbar bei allem Wechsel als eine dauernde Einheit empfindenden Selbstbewusstsein1).\nSo haben wir es bei abstracten Begriffen mit einer Synthese von allgemeinen Beziehungsbegriffen zu thun. Bei ihnen kommen Vorstellungsinhalte als Merkmale des Allgemeinbegriffs in Wegfall. Damit h\u00e4ngt aber die n\u00e4here Beziehung der in die Synthese eingehenden allgemeinen Beziehungsbegriffe zu der Wortvorstellung zusammen. Die Beziehungen werden, wie wir sahen, zun\u00e4chst in die betreffenden Vorstellungsinhalte hineingedacht, so dass der Gedanke der Beziehungen von diesen aus reproducirt wird. Verlieren aber die Vorstellungsinhalte ihre Bedeutung f\u00fcr den Allgemeinbegriff, so kommt diejenige associative Beziehung zur Geltung, in der sie zu der Wortvorstellung, der akustischen, motorischen und visuellen Wortvorstellung, stehen. Dann werden von dieser aus die Beziehungsgedanken reproducirt.\nV.\nZum Schl\u00fcsse m\u00f6chte ich noch eine Auffassung kritisiren, die zu den vorstehend entwickelten Anschauungen im Gegensatz steht. Wir haben u. A. versucht, anzugeben, welche Urtheile wir zu vollziehen haben, um unsere Allgemeinbegriffe bis zu Ende zu denken. Nach Volkelt ist es unm\u00f6glich, einen Allgemeinbegriff bis zu Ende zu denken, dazu w\u00e4re ein intuitiver Verstand n\u00f6thig. H\u00f6ren wir dar\u00fcber Volkelt: \u00bbDas Allgemeine ist und bleibt der directe Gegenstand des Begriffes, doch muss zu ihm die Beziehung auf die unbestimmte Totalit\u00e4t des Einzelnen als nothwendig hinzugedacht werden\u00ab2). Welch eine Leistung des Denkens w\u00e4re aber hierzu n\u00f6tig? \u00bbErstlich m\u00fcssten wir, indem wir das Allgemeine mit voller Bestimmtheit als eigentlichen Gegenstand d\u00e4chten, unmittelbar zugleich die individuelle Gestaltung des Allgemeinen anschaulich vor uns haben;\n1)\tWundt, Logik 2 1, S. 112 und 123.\n2)\tVolkelt, Erfahrung und Denken, S. 344.","page":333},{"file":"p0334.txt","language":"de","ocr_de":"334\nG. St\u00f6rring.\ndiese Anschauung w\u00e4re freilich nicht der Zielpunkt und Gegenstand des Denkens, wohl aber m\u00fcsste in dem Gedanken des Allgemeinen die Beziehung auf sie implicite mitgedacht sein. Es w\u00e4re also ein Bewusstsein n\u00f6thig, das, indem es das Allgemeine d\u00e4chte, in demselben ungetheilten Akte zugleich die dazu geh\u00f6rige Anschauung vollz\u00f6ge; also ein intuitives Denken. Doch damit w\u00e4re jene an die Spitze gestellte Forderung noch nicht erf\u00fcllt. Dieses intuitive Denken m\u00fcsste n\u00e4mlich ferner ein unendliches, absolutes, zeitloses sein. . . . Das Allgemeine soll zwar in seiner Einzelgestaltung mit vollkommener Deutlichkeit angeschaut werden; trotzdem aber soll diese vollkommen angeschaute Einzelheit nur die Einzelheit \u00fcberhaupt, nur die unbestimmte Totalit\u00e4t der Einzelnen sein. Dies lie\u00dfe sich nun von einem intuitiven Denken leisten, das die unendliche Totalit\u00e4t des Einzelnen, die zahllose Gesammtmenge der artbildenden und individualisirenden Merkmale mit einem Schlage \u00fcbers\u00e4he. . . . Soll der Gedanke des Allgemeinen kein Ungedanke sein, so muss der Nebengedanke hinzugedacht werden, dass das Allgemeine immer nur als ein dem Einzelnen Allgemeines, als ein im Einzelnen sich bald so, bald so Verwirklichendes existire\u00ab.\nIch m\u00f6chte dagegen einwenden: wie sich das Allgemeine im Einzelnen verwirklicht, darauf kommt es mir beim Ausdenken des Allgemeinbegriffs nicht an! Weshalb soll ich denn die Totalit\u00e4t des Einzelnen anzuschauen mich versucht f\u00fchlen? Dazu liegt keine Indication vor.\nDer Begriff stellt aber noch weiter insofern eine unvollziehbare Forderung, als der Gedanke des Allgemeinen selbst (im Unterschied von dem damit verbundenen \u00bbNebengedanken\u00ab) sich nicht ausdenken l\u00e4sst. \u00bbDer als allgemein zu denkende Inhalt ist nicht als verwirklichter Gedanke, sondern als Richtung des Denkens, und zwar als eine positiv bestimmte, in uns gegenw\u00e4rtig\u00ab. Was wir an die Einzelvorstellung kn\u00fcpfen, sind die bestimmten Zielpunkte, auf die hin wir unser Denken zu richten haben. Will ich z. B. den Begriff des Kreises denken, so ist durch den Gedanken \u00bb\u00bbderjenigen krummen Linie, deren s\u00e4mmtliche Punkte von einem gegebenen Punkte gleichweit entfernt sind\u00ab \u00ab dem Denken sein Ziel in bestimmter Weise vorgeschrieben, sein Inhalt positiv hingestellt, ohne dass es jedoch im Stande w\u00e4re, diesen Inhalt in sich zur vollen Gegenwart zu bringen\u00ab ').\n1) Volkelt, Erfahrung und Denken, S. 356.","page":334},{"file":"p0335.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Lehre von den Allgemeinbegriffen.\n335\nIch meine dazu: durch diese Bestimmung \u00fcber den Kreis ist nicht die Richtung des Denkens f\u00fcr die Erfassung des Begriffs angegeben, sondern die Richtung f\u00fcr die Entwicklung der anschaulichen Vorstellung des Kreises; f\u00fcr das Denken des Begriffs des Kreises, welches in Urtheilen geschieht, ist nicht blo\u00df die Richtung bestimmt, das Denken des Begriffs des Kreises ist g\u00e4nzlich vollzogen.\nSo erkennen wir diese Schranken unseres Verstandes als blo\u00df vermeintliche und befreien unser begriffliches Denken von einem mysteri\u00f6sen Hintergr\u00fcnde.","page":335}],"identifier":"lit4486","issued":"1902","language":"de","pages":"323-335","startpages":"323","title":"Zur Lehre von den Allgemeinbegriffen","type":"Journal Article","volume":"20"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T12:38:23.935703+00:00"}