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{"created":"2022-01-31T13:18:16.051537+00:00","id":"lit4491","links":{},"metadata":{"alternative":"Philosophische Studien","contributors":[{"name":"Weygandt, W.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Philosophische Studien 20: 456-486","fulltext":[{"file":"p0456.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur Psychologie des Traumes.\nVon\nW. Weygandt.\nW\u00fcrzburg.\nMit 3 Figuren im Text.\nDie Lehre vom Traum hat im Lauf der letzten Jahre, ungeachtet einer F\u00fclle von Arbeiten, die sich mit diesem Gebiet besch\u00e4ftigten, nur geringe Fortschritte gemacht. Vom streng psychologischen Standpunkt freilich werden diese Fragen im Ganzen nur selten untersucht. Vielleicht ist auf diese Abneigung der Psychologen gegen\u00fcber den Problemen des Traumes jene scharfe Formulirung der psychologischen Methoden nicht ohne Einfluss gebliehen, welche Wundt betont, indem er nur zwei exacte Methoden anerkennt: das Experiment, das die Analyse der einfacheren psychischen Vorg\u00e4nge erm\u00f6glicht, und die Beobachtung der allgemein g\u00fcltigen Geisteserzeugnisse, die der Untersuchung der h\u00f6heren psychischen Vorg\u00e4nge und Entwicklungen, spe-ciell im Bereich der V\u00f6lkerpsychologie, dient. Wenn indess die Berechtigung der reinen Beobachtung innerhalb der Psychologie des Individuums doch behauptet wird, so l\u00e4sst sich dies kaum eindringlicher belegen als durch den Hinweis auf die Fragen des Traums. Auch die wenigen Versuche, auf dem Wege des Experiments Aufschluss \u00fcber die Verh\u00e4ltnisse des Traums zu erhalten, entsprechen nur in sehr eingeschr\u00e4nktem Ma\u00dfe den Anforderungen, die wir sonst an ein experimentelles Verfahren zu stellen pflegen. Wohl versuchten jene Experimente eine willk\u00fcrliche Beeinflussung der Traumvorg\u00e4nge herbeizuf\u00fchren, aber von einer quantitativen Abstufung des Reizes, die zu dem jeweiligen Stand der durch den Schlaf ver\u00e4nderten Reizschwelle in Beziehung gestanden h\u00e4tte, war ebensowenig die Rede,","page":456},{"file":"p0457.txt","language":"de","ocr_de":"457\nBeitrage zur Psychologie des Traumes.\nwie eine exacte Registrirung der Reaction angesichts der durch den Schlaf herabgesetzten und noch fernerhin durch den Akt des Erwachens alterirten Merk- und Reproductionsf\u00e4higkeit erwartet werden durfte.\nDie Arbeiten der letzten Jahre bringen eine F\u00fclle meist gut beobachteten Materials, dessen psychologische Analyse, die Zur\u00fcckf\u00fchrung auf einfachere Thatsachen des psychischen Lebens jedoch nur in mangelhafter Weise durchgef\u00fchrt ist. Versuche, die Traumerscheinungen zu physiologischen Vorg\u00e4ngen im Centralnervensystem in Beziehung zu setzen, wie sie u. a. Grie\u00dfler1) anstellte, gehen vielfach von falscher Fragestellung aus und sind mindestens verfr\u00fcht. Kaum discutabel erscheinen Ausf\u00fchrungen, wie die von Sergu\u00e9jeff2), der auf der Ansicht fu\u00dft, dass das sympathische Nervensystem als das Organ des Schlafes anzusehen sei, von Mauthner3 4), der beim Eintritt des Schlafs eine Leitungsunterhrechung im centralen H\u00f6hlengrau annimmt, und von Rosenbaum, der behauptet, dass im Centralnervensystem w\u00e4hrend des wachen Lebens der Wassergehalt steige, bis schlie\u00dflich ein bestimmter Grad erreicht ist, bei dem der Schlaf eintritt !\nWeiterhin entfernen sich manche Autoren von einer verwerthbaren wissenschaftlichen Untersuchung, indem sie einerseits zu viel zu erkl\u00e4ren suchen, anderseits aber sich hei ihrer Darstellung schwankender, vulg\u00e4rpsychologischer Bezeichnungen bedienen. An diesen M\u00e4ngeln leiden auch die von zahlreichen guten Beobachtungen ausgehenden Untersuchungen von Freud1). Die Quintessenz seiner Traumanalyse l\u00e4sst sich dahin wiedergeben, dass er als das Wesen der Traumvorg\u00e4nge eine Wunscherf\u00fcllung bezeichnet. Aehnlich lauteten bereits die Erkl\u00e4rungsversuche von Griesinger5) und Radestock6). W\u00e4hrend im wachen Bewusstsein die entsprechende Reaction\n1)\tDie physiologischen Beziehungen der Traumvorg\u00e4nge. Halle 1896.\n2)\tLe sommeil et le syst\u00e8me nerveux. Physiologie de la veille et du sommeil. Paris 1890.\n3)\tPathologie und Physiologie des Schlafs. Wiener medicinische Wochenschr 1890.\n4)\tDie Traumdeutung. Leipzig-Wien 1900.\n5)\tPathologie und Therapie der psychischen Krankheiten. 3. Aufl. 1871.\n6)\tSchlaf und Traum. Leipzig 1878.","page":457},{"file":"p0458.txt","language":"de","ocr_de":"458\nW. Weygandt.\nauf eine mit hinreichend starken Unlustt\u00f6nen einhergehende Empfindung eine Willenshandlung ist, welcher die Vorstellung des \u00fcberwundenen unlusterregenden Reizes voraus oder parallel geht, tritt im Traumbewusstsein die motorische Reaction nicht in Erscheinung, vielmehr verbleibt als alleinige Reaction auf den unlusterregenden Reiz die Vorstellung der Abstellung jener mit Unlustgef\u00fchlen einliergehenden Empfindung, vulg\u00e4rpsychologisch gesprochen die Vorstellung der Erf\u00fcllung des Wunsches. Im Traum sind die mit Unlustgef\u00fchlen einhergehenden Empfindungen, vor allem solche, die auf Reizen des allgemeinen Sinns beruhen, relativ wirksamer als im Wachbewusstsein mit seinen vorherrschenden reproductiven Vorstellungen. Thats\u00e4chlich handelt es sich im Traum vorzugsweise um W\u00fcnsche, die sich auf direct f\u00fchlbare M\u00e4ngel beziehen, auf wirklich unlusterregende Reize, um Schmerzen irgend welcher Art, Hunger, Durst, Harndrang, Athem-beklemmung, sexuelles Verlangen u. s. w., nicht so h\u00e4ufig aber um reproductive Vorstellungen complicirterer Art, etwa Sorgen, Armuth, ungestillten Ehrgeiz u. s. w., wie es Griesinger, \u00fcbrigens in einer zu weit reichenden Verallgemeinerung, von den Geisteskranken angibt. Auch Gie\u00dfler1) verweist auf den Contrast der auftretenden Gef\u00fchle und der entsprechenden Vorstellungen. Ferner betont Calkins2) als Ergebniss statistischer Untersuchungen, dass die Mehrzahl der Tr\u00e4ume mit Unlustgef\u00fchlen einhergehe. Entsprechend l\u00e4nger dauernden Reizen l\u00e4sst sich bei zusammenh\u00e4ngenden Tr\u00e4umen neben der Vorstellung des \u00bberf\u00fcllten Wunsches\u00ab auch regelm\u00e4\u00dfig das auf dem fortwirkenden Reiz beruhende Gef\u00fchl der Entt\u00e4uschung beobachten, so in dem h\u00e4ufigen Fall, dass hei Dursttr\u00e4umen trotz des vorgestellten Trinkens gro\u00dfer Quantit\u00e4ten von Fl\u00fcssigkeit sich zu unserer Verwunderung und Verdruss doch keine Durststillung einstellt. Ferner beruht darauf auch die vielfache Wiederholung derselben oder \u00e4hnlicher Traumvorstellungen, eine Erscheinung, als deren classisches Beispiel die bekannten biblischen Tr\u00e4ume Josephs und Pharaos von den Garben und Sternen sowie den sieben fetten und sieben mageren K\u00fchen u. s. w. angef\u00fchrt werden k\u00f6nnen. Die Erkl\u00e4rung jener Vorg\u00e4nge ist angebahnt in dem Hinweis Wundt\u2019s, dass das Unterscheidende des\n1)\tAus den Tiefen des Traumlebens. Halle 1890. S. 137.\n2)\tAmerican Journal of Psychology 1893.","page":458},{"file":"p0459.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur Psychologie des Traumes.\t459\nTraums von anderen \u00e4hnlichen psychischen Zust\u00e4nden in der Beschr\u00e4nkung der Erregharkeitserh\u00f6hung auf die sensorischen Functionen beruht, w\u00e4hrend die \u00e4u\u00dfere Willensth\u00e4tigkeit beim gew\u00f6hnlichen Schlaf und Traum vollst\u00e4ndig gehemmt ist.\nWie sehr die Bem\u00fchung, jede einzelne Vorstellung des Traums zu deuten und zu specialisiren, auf Irrwege f\u00fchren kann, zeigt Freud an vielen Stellen, so wenn er in dem Traum \u00bbSie sah in einer W\u00fcste drei L\u00f6wen, von denen einer lachte, f\u00fcrchtete sich aber nicht vor ihnen . . .\u00ab die Analyse folgenderma\u00dfen versucht: \u00bbder indifferente Anlass zum Traum ist ein Satz ihrer englischen Aufgabe geworden: die M\u00e4hne ist der Schmuck des L\u00f6wen. Ihr Vater trug einen solchen Bart, der wie eine M\u00e4hne das Gesicht umrahmte. Ihre englische Sprachlehrerin hie\u00df Miss Lyons (Lions = L\u00f6wen) ; ein Bekannter hat ihr die Balladen von L\u00f6we zugeschickt. Das sind also die drei L\u00f6wen. Warum sollte sie sich vor ihnen f\u00fcrchten? u. s. w.\u00ab Grade die Anzahl der nur im Traum erscheinenden Objecte ist doch ganz ungemein variabel; jeder Traum kann zeigen, wie rasch etwa aus einem oder drei L\u00f6wen ein Dutzend oder ein unentwirrbares Gewimmel werden.\nDie bisher vorliegenden Untersuchungen befassen sich fast ausnahmslos mit den Tr\u00e4umen in der Zeit des flachsten Schlafes, den Sp\u00e4toder Morgentr\u00e4umen, unter v\u00f6lliger Ignorirung der Tiefschlaftr\u00e4ume und nur geringer Ber\u00fccksichtigung der ersten Bewusstseinsabweichungen, beim Eintritt des Schlafs, die vielfach als Schlummerbilder oder hypnagogische Hallucinationen bezeichnet werden. E. G ob lot1 spricht sich dahin aus, dass nur die w\u00e4hrend des Erwachens stattfindenden Tr\u00e4ume behalten werden k\u00f6nnen. Lahusen2) ging soweit, zu behaupten, dass der Traum regelm\u00e4\u00dfig nur ein Erwachungsph\u00e4-nomen darstellt.\nMan hatte eine \u00bbretroactive Wirkung\u00ab des Traums annehmen zu m\u00fcssen geglaubt, vor allem gegen\u00fcber solchen Berichten wie etwa dem bekannten Traum von der Bevolutionsscene und Guillotine, wo das Erwachen durch eine auf den Tr\u00e4umenden herabfallende Bett-stange erfolgte, deren Ber\u00fchrung im Traume als das Fallen des Beils\n1) Le souvenir des r\u00eaves. Revue philos. 1896. Band 42.\n,ono2) Schlaf und Schlaflosigkeit. Vortrag. Berliner klinische Wochenschrift 1\u00f698, Nr. 14.\t\u2019","page":459},{"file":"p0460.txt","language":"de","ocr_de":"460\nW. Weygandt.\naufgefasst wurde, w\u00e4hrend sich eine lange Reihe von Vorstellungen \u00fcber Revolution, Gefangennahme u. s. w. im Ged\u00e4chtniss vorher locali-siren lie\u00df. Jener Terminus h\u00e4tte nur Sinn, wenn wir eine besondere Art von Erinnerungst\u00e4uschung darunter verstehen w\u00fcrden. Die Beurteilung der zeitlichen Verh\u00e4ltnisse im Traum ist h\u00f6chst unsicher. Egger1) hat wohl Recht, wenn er betont, dass zur Feststellung der Zeitdauer im Traum keineswegs die Bilder herangezogen werden d\u00fcrfen, die aller Sch\u00e4tzung spotten; sein positiver Vorschlag, die im Traum auf tretenden W\u00f6rter zu ber\u00fccksichtigen, wird sich freilich nur selten ausf\u00fchren lassen.\nUm ein Urtheil zu gewinnen, wie unter Umst\u00e4nden eine F\u00fclle complicirter Vorstellungen sich auf einen kurzen Zeitraum zusammendr\u00e4ngen, suchte ich dereinst einige Beobachtungen anzustellen, die nur als grober Umriss eines Versuchs bezeichnet werden k\u00f6nnen. Ich lie\u00df mir in einem Schwimmbad im Moment des Abspringens einem von etwa 4 m hohen Standort Reizw\u00f6rter zurufen, die ich aufzufassen suchte, ohne ein Associationswort auszusprechen, der H\u00f6he entsprechend betrug die Fallzeit weniger als Y2 Secunde; das Eindringen in das Wasser mit seinen lebhaften thermischen und tactilen Reizen unterbrach die w\u00e4hrend des Falls ablaufende Vor-stellungsth\u00e4tigkeit vollst\u00e4ndig. Es ergab sich nun regelm\u00e4\u00dfig, dass der sich an das aufgefasste Reizwort anschlie\u00dfende Bewusstseinsinhalt derartig complicirt war, dass seine Beschreibung eine die Fall- oder Reactionszeit um das Hundertfache \u00fcbertrefEende Zeit in Anspruch nahm. Auffallend war vor allem ein gewisser Wettstreit zwischen zwei Vorstellungssph\u00e4ren, die untereinander in weniger enger Beziehung standen als dem Reizwort gegen\u00fcber. So hatte ich auf das Reizwort \u00bbAmerika\u00ab die optische Vorstellung der Entdeckungsscene, wie Columbus auf einer Barke das Gestade ber\u00fchrt und das eine Bein erhebt, um alsbald \u00fcber den Rand der Barke auf das Land zu steigen, etwa in der Anordnung, wie diese Scene auf einer der Colum-busmarken der Vereinigten Staaten dargestellt ist; gleichzeitig aber hatte ich die Vorstellung der Weltausstellung von Chicago, die ich etwa aus der Vogelperspective vor mir sah, am Michigansee liegend, mit ihrer F\u00fclle von Geb\u00e4uden, Th\u00fcrmen, Pavillons, Pl\u00e4tzen, Wasserl\u00e4ufen und gro\u00dfem Menschengewimmel. Auf das Reizwort \u00bbFreiheit\u00ab\n1) La dur\u00e9e apparente du r\u00eave. Revue philos. Band 41. 1895.","page":460},{"file":"p0461.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur Psychologie des Traumes.\n461\nstellte sich die Vorstellung einer Scene der franz\u00f6sischen Revolution ein, es war ein Volkshaufe sichtbar, in dessen Mitte ein Mann auf erh\u00f6htem Standpunkt erschien, die phrygische M\u00fctze tragend und eine Fahne schwingend; gleichzeitig aber tauchte eine Vorstellung aus meiner Studentenzeit auf, ich sah die Mitglieder einer academischen Verbindung in ihren bunten M\u00fctzen und gedachte des studentischen Wahlspruchs \u00bbFreiheit, Ehre, Vaterland\u00ab.\nAngesichts dieser Beobachtungen erscheint mir als plausibelste Erkl\u00e4rung jener Tr\u00e4ume mit der angenommenen reactiven Wirkung die, dass es sich um eine Gruppe complicirter, aber wenig klarer Vorstellungen handelt, die im Gefolge eines intensiven Reizes auf-treten, deren scheinbare Succession lediglich in der beim Reprodu-ciren und vor allem bei der sprachlichen Wiedergabe geschehenden Anordnung beruht. Ich kann daraus jedoch keinen Grund gegen die Annahme l\u00e4nger dauernder Traumreihen entnehmen. Vielmehr m\u00f6chte ich aus der Thatsache der vielfachen Wiederholungstr\u00e4ume gerade schlie\u00dfen, dass in der Regel dem normalen, spontanen Erwachen eine l\u00e4ngere Reihe von Tr\u00e4umen mehr weniger zusammenh\u00e4ngender Art vorausgeht und nur im Fall einer pl\u00f6tzlichen, intensiveren St\u00f6rung dem Sinnesreiz eine F\u00fclle von verwickelteren Vorstellungen entspricht, deren Reproduction weit l\u00e4ngere Zeit in Anspruch nimmt, als zwischen Reiz und Erwachen verlief, wobei eine zeitliche Aneinanderreihung und Verschiebung gleichzeitig auftretender Vorstellungen bei der Reproduction zugegeben werden kann.\nAls Beispiel solcher Wiederholungstr\u00e4ume m\u00f6chte ich folgenden anf\u00fchren : Ich tr\u00e4umte, dass ich in einer h\u00fcgeligen Stadt weitl\u00e4ufige Besorgungen zu machen h\u00e4tte, aber nicht recht gehen konnte, weshalb ich eine Droschke nahm. Nunmehr schien mir aber der Weg doch wieder so nah zu sein, dass ich mich \u00fcber die unn\u00f6thige Ausgabe f\u00fcr eine Droschke \u00e4rgerte. Ich suchte den Preis auszurechnen, es kamen mehr als zehn Mark heraus, was mich besonders lebhaft \u00e4rgerte, um so mehr als mir einfiel, dass ich k\u00fcrzlich schon einmal unn\u00f6thigerweise zehn Mark ausgegeben hatte. Ich fragte auf einem gro\u00dfen Platz den Kutscher nach dem Preis, er rechnete jedoch aus mehreren Posten eine noch weit h\u00f6here Summe heraus, wor\u00fcber ich so unwillig war, dass ich ausstieg und nach Schutzleuten rief. Vergehens; wenn man sie braucht, sind sie nicht da, sagte ich mir. Endlich sah ich einige uniformirte Leute","page":461},{"file":"p0462.txt","language":"de","ocr_de":"462\nW. Weygandt.\nin einer Ecke stehen, ich ging auf sie zu und trug meine Sache vor; da bemerkte ich zu meinem gro\u00dfen Aerger, dass es nur ein paar uniformirte Fremdenf\u00fchrer f\u00fcr das Heidelberger Schloss seien. Im h\u00f6chsten Zorn ging ich weiter und brachte meine Klagen in einem gew\u00f6lbeartigen Laden vor. Bald darauf erwachte ich in unangenehmer, erregter Stimmung wegen einer schmerzhaften Affection an den Beinen, worauf auch wohl die Vorstellung, dass ich nicht gehen konnte, beruhte. Die specielle Einkleidung jener Stimmung, die Vorstellung der theuren Droschke und der Fremdenf\u00fchrer gehen wohl darauf zur\u00fcck, dass ich am Tag vorher an derartige Missst\u00e4nde gedacht hatte, als ich am Bahnhof Droschken und Fremdenf\u00fchrer sah; die Geldfrage hing mit einer bevorstehenden gro\u00dfen Zahlung zusammen. Es muss wohl angenommen werden, dass jene Beihe verschiedenartiger und doch zusammenh\u00e4ngender Vorstellungen, denen die gleiche Stimmung zu Grunde lag, successive im Bewusstsein aufgetreten sind.\nBesonders ist dort eine l\u00e4ngere Succession von Traumvorstellungen zweifellos, wo sich in denselben der Einfluss einer gr\u00f6\u00dferen Anzahl von Sinnesreizen erkennen l\u00e4sst, deren Empfindungen unm\u00f6glich zu gleicher Zeit einigerma\u00dfen deutlich in das Bewusstsein eingetreten sein k\u00f6nnen.\nIn einem Traume dieser Art befand ich mich in einer Stadt des S\u00fcdens, wohl, in Italien, in einem dichten Menschengedr\u00e4nge; es schien, als oh ein Krieg bevorst\u00e4nde. Der Zug auf dem Bahnhof fuhr bereits ab und ich wusste noch nicht recht, sollte ich noch aufspringen mit meinem Beisegep\u00e4ck oder nicht. In einem Packwagen sa\u00dfen zwei junge Engl\u00e4nderinnen, die ihre Beine lang herunter h\u00e4ngen lie\u00dfen. Ich wollte zur\u00fcck, bedachte mir den Fahrplan, hatte erst noch eine Gem\u00e4ldegalerie zu besuchen und \u00fcberlegte mir, ob es sich um eine der Galerien in Genua oder um die Brera in Mailand handele. Mit meinem Gep\u00e4ck befand ich mich sodann in Genua; viele junge Deutsche, auf einer Excursion begriffen, standen dort im Vorsaal einer Galerie. Ich musste noch warten, mittlerweile redeten zwei phantastisch gekleidete Kinderfrauen deutsch, ebenso ein Kind, doch in einem seltsamen Dialect. Ich betrachtete ein Gem\u00e4lde, das eine Scene in einem engen, altdeutschen Zimmer darstellte, an dessen W\u00e4nden wieder Bilder hingen; ich erkl\u00e4rte das Bild f\u00fcr ein Werk D\u00fcrer\u2019s und erging mich darauf in begeisterten Lobreden auf D\u00fcrer.","page":462},{"file":"p0463.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur Psychologie des Traumes.\n463\nSp\u00e4ter ging ich in ein Restaurant, suchte das Oloset auf und zog dort m\u00fchsam einen Vorhang weg, um es heller zu machen; ich wollte daselbst den Verband einer Wunde vornehmen. Es kamen jedoch G\u00e4ste herzu, aus dem Closet wurde das Gastzimmer und es war mir h\u00f6chst peinlich, mich dort besch\u00e4ftigt zu haben. Nach dem Erwachen aus diesem Traume konnte ich eine Reihe verschiedenartiger Empfindungen feststellen, deren Gef\u00fchlst\u00f6ne v\u00f6llig denen entsprachen, welche im Traum den einzelnen Vorstellungen correspondirten. Die allgemeine und zufriedene Stimmung sprach sich in der angenehmen Situationsvorstellung, dem Aufenthalt in Italien und in einer Gem\u00e4ldegalerie, aus. Eine gewisse Muskelm\u00fcdigkeit und Kopfschmerz kam schon bei der Vorstellung der Eisenbahnfahrt und des wirren Menschengedr\u00e4nges zur Geltung. Der Empfindung der sommerlichen Hitze im Zimmer w\u00e4hrend jener Nacht entsprach die Vorstellung des Aufenthalts im S\u00fcden und des eiligen Laufens. Die Unlustgef\u00fchle, welche auf der wegen des verschleimten Kehlkopfs etwas behinderten Ath-mung beruhten, hatten sich bei der Vorstellung des Gep\u00e4ckschleppens und des athemlosen Eilens im Menschengedr\u00e4nge kundgegeben. Die Schmerzen von einer geringen Verletzung her f\u00fchrten zur Vorstellung des Wundverbandes und schlie\u00dflich veranlassten leichte erotische Sensationen die Vorstellung der h\u00e4ngenden weiblichen Beine.\nZweifellos kann die Erage nach dem zeitlichen Ablauf der Traumvorstellungen auf dem Wege experimenteller Beeinflussung, vor allem durch successive Reize w\u00e4hrend des Schlafes noch n\u00e4her untersucht werden. Leicht begreiflich scheint jedoch die Zur\u00fcckhaltung der Autoren gegen\u00fcber den Tr\u00e4umen zur Zeit der tieferen Schlafperioden. Diese Probleme sind keineswegs erledigt durch den von Calkins unternommenen Versuch, die Frage, oh \u00fcberhaupt zu allen Zeiten des Schlafes getr\u00e4umt wird, als unl\u00f6sbar aus dem Bereich der Psychologie in das der Metaphysik zu verweisen. Freilich sind hier die methodischen Schwierigkeiten am gr\u00f6\u00dften, da ebenso, wie etwa bei der vermeintlichen Bewusstlosigkeit der Epileptiker in ihren Insulten, alles an der Frage der Reproductionsf\u00e4higkeit h\u00e4ngt. Gewiss l\u00e4sst sich letztere durch Uebung au\u00dferordentlich steigern, und zwar nicht nur durch immer wiederholte Versuche, die fl\u00fcchtigen Spuren der Traumerinnerungen zu verfolgen, sondern auch durch fortgesetzte Bem\u00fchungen, die verschwommenen Bilder und unklar ausgepr\u00e4gten","page":463},{"file":"p0464.txt","language":"de","ocr_de":"464\nW. Weygandt.\nVorstellungen in Worte zu \u00fcbertragen. Es ist bekannt, dass manche Epileptiker nach dem Erwachen aus einer Absence oder einem D\u00e4mmerzustand ncoh einige Angaben \u00fcber jene Zeit zu machen, Erinnerungsbruchst\u00fccke zu reproduciren im Stande sind, w\u00e4hrend ihnen nachher oft nicht mehr das Geringste davon im Ged\u00e4chtniss haftet. Doch fand ich bei einem gebildeten Epileptiker, der sich mit besonderer Sorgfalt beobachtet und seine Wahrnehmungen stets auf zeichnet, dass er nach einem Abends eingetretenen Absence-Zustand von wenigen Minuten zun\u00e4chst nichts zu reproduciren vermochte, bis ihm am n\u00e4chsten Morgen pl\u00f6tzlich eine Aeu\u00dferung wieder einfiel, die er nach den Angaben seiner Frau thats\u00e4chlich in jenem Zustand von sich gegeben hatte.\nIn methodologischer Hinsicht ist \u00fcbrigens zu betonen, dass man mit dem mehrfach gegebenen Rath, sofort beim Erwachen alle Traumerinnerungen aufzuzeichnen, gerade bei den Tiefschlaf tr\u00e4umen nicht auskommt. Vielfach besteht hier nach dem Erwachen das Bewusstsein, dass irgend welche Traumvorstellungen vorhanden gewesen sind, von denen nur einige wenige noch fl\u00fcchtige Spuren hinterlie\u00dfen ; aber bis der Beobachter dann Licht angez\u00fcndet und sich schreibfertig gemacht hat, sind jene undeutlichen Vorstellungen gew\u00f6hnlich spurlos aus dem Ged\u00e4chtniss verschwunden. Die durch die Vorbereitungen zum Aufschreiben gesetzten Reize sind eben in der Regel so stark, dass dar\u00fcber die schwachen Traumbilder aus der Zeit des Tiefschlafs meistens verwischt oder v\u00f6llig ausgel\u00f6scht werden. Es empfiehlt sich eher, nach dem Erwachen aus dem Tief schlaf zun\u00e4chst die Vorstellungen ruhig zu reproduciren und wom\u00f6glich mehrmals zu recapi-tuliren, bis sich ihre Spuren tiefer eingepr\u00e4gt haben und sie gewisserma\u00dfen auswendig gelernt sind und fest genug sitzen, um nun erst aufgezeichnet werden zu k\u00f6nnen.\nZweifellos werden die Tiefschlaftr\u00e4ume das bestrittenste Gebiet aus dem Bereich der Traumpsychologie bleiben. Etwas weiter k\u00f6nnen wir jedoch Vordringen hinsichtlich der ersten Bewusstseinsaliena-tionen beim Eintritt des Schlafes.\nGemeiniglich redet man hier von Schlummerbildem oder hypna-gogischen Hallucinationen. Die Begriffe, die sich mit dieser Terminologie verbinden, schwanken jedoch bei den verschiedenen Autoren.\nJohannes M\u00fcller spricht sich in seinem inhaltsreichen kleinen Buch \u00bbUeber die phantastischen Gesichtserscheinungen\u00ab, Coblenz 1826,","page":464},{"file":"p0465.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur Psychologie des Traumes.\n465\n(S. 49) dahin aus, dass die Traumbilder nichts anderes sind als die leuchtenden Phantasmen, welche vor dem Einschlafen bei geschlossenen Augen in der Sehsinnsuhstanz erscheinen. Er weist schon darauf hin, dass sie meist den Charakter der Objectivit\u00e4t haben, aber doch manchmal auch das Bewusstsein vorhanden ist, dass es sich nur um Traumbilder handelt. Beim Eintritt des Schlafs konnte er vor allem phantastische Gesichtserscheinungen beobachten, die er zuriickf\u00fchrt auf seine mit Aufmerksamkeitsanspannung verbundene 'Wahrnehmung der Netzhautreize. Er gesteht wohl einen Uebergang dieser Phantasmen in die Traumbilder des Schlafes zu, jedoch behauptet er ausdr\u00fccklich, dass er sie auch zu anderer Zeit als nur vor dem Einschlafen zu beobachten verm\u00f6ge. Er identificirt also damit die von den meisten Menschen gelegentlich wahrzunehmenden entoptischen Erscheinungen mit den wesentlich selteneren phantastischen Gesichtserscheinungen beim Einschlafen und mit den optischen Traumvorstellungen seihst. Nicht alle Beobachter werden geneigt sein, so weit zu gehen, wohl aus dem einfachen Grund, dass individualpsychologisch sich hinsichtlich des Einflusses der entoptischen Beize auf die Yorstellungenjehenso gro\u00dfe Unterschiede finden, wie, augenscheinlich im Zusammenhang damit, auch hinsichtlich der sinnlichen Lebhaftigkeit der optischen Vorstellungen \u00fcberhaupt.\nEine Individualit\u00e4t, die als \u00bb Viseur\u00ab im ausgepr\u00e4gten Ma\u00dfe angesprochen werden darf, war Goethe. Bekannt ist die Stelle, in der er von seiner Gabe spricht, hei geschlossenen Augen willk\u00fcrlich allerlei phantastische Gesichtserscheinungen auftauchen zu lassen. Damit steht in Uebereinstimmung jener von ihm mitgetheilte sch\u00f6ne Traum, der geradezu ein typisches Beispiel der vielfach beschriebenen Traumbeeinflussung durch die entoptischen Erscheinungen und Beizzust\u00e4nde der Netzhaut darstellt:\nItalienische Beise, Bologna, 19. October 1786 abends: \u00bbIndem ich mich nun in dem Drang einer Seelen\u00fcberf\u00fcllung des Guten und W\u00fcnschenswerthen ge\u00e4ngstigt f\u00fchle, so muss ich meine Freunde an einen Traum erinnern, der mir, es wird eben ein Jahr sein, bedeutend genug erschien: ich landete mit einem ziemlich gro\u00dfen Kahn an einer fruchtbaren, reich bewachsenen Insel, von der ich mir bewusst war, dass daselbst die sch\u00f6nsten Fasanen zu haben seien. Auch handelte ich sogleich mit den Einwohnern um solches Gefieder, welches sie\nWundt, Philos. Studien. XX.\tQQ","page":465},{"file":"p0466.txt","language":"de","ocr_de":"466\nW. Weygandt.\nauch sogleich h\u00e4ufig, get\u00f6dtet, herbeibrachten. Es waren wohl Fasanen, wie aber der Traum alles umzubilden pflegt, so erblickte man langfarbige, be\u00e4ugte Schweife, wie von Pfauen oder seltenen Paradiesv\u00f6geln. Diese brachte man mir schockweise ins Schiff, legte sie mit den K\u00f6pfen nach innen, so zierlich geh\u00e4uft, dass die langen bunten Federschweife, nach aussen h\u00e4ngend, im Sonnenglanz den herrlichsten Schober bildeten, den man sich denken kann, und zwar so reich, dass f\u00fcr den Steuernden und den Rudernden kaum hinten und vorn geringe R\u00e4ume verblieben. So durchschnitten wir die ruhige Fluth, und ich nannte mir indess schon die Freunde, denen ich von diesen bunten Sch\u00e4tzen mittheilen wollte. Zuletzt in einem gro\u00dfen Hafen landend, verlor ich mich zwischen ungeheuer bemasteten Schiffen, wo ich von Verdeck zu Verdeck lief, um meinem kleinen Kahn einen sicheren Landungsplatz zu suchen\u00ab.\nZweifellos bildet die Grundlage der Traumsituation eine heitere Stimmung; die optischen Vorstellungen von den Fasanenschweifen, die immer mannigfaltiger und zahlreicher werden, dem Sonnenglanz, dem Wald von mastenreichen Schiffen entsprechen den vielfach beschriebenen Tr\u00e4umen, die auf den Einfluss der entoptischen Erscheinungen zur\u00fcckgehen.\nDass jedoch nicht jeder, der viel tr\u00e4umt, durchaus \u00bb Viseur\u00ab sein muss, beweist M\u00f6bius1), der sich als \u00bbjeder anschaulichen Vorstellung unf\u00e4hig\u00ab bezeichnet, aber doch lebhaft tr\u00e4umt und sich dabei die Dinge optisch vorstellt wie in der Wirklichkeit.\nE. G ob lot2) h\u00e4lt die hypnagogischen Hallucinationen nicht f\u00fcr einen Bestandtheil des normalen Seelenlebens und behauptet, dass sie nur eine Analogie zu den Tr\u00e4umen darstellen und keineswegs in Tr\u00e4ume \u00fcbergehen k\u00f6nnen. Demgegen\u00fcber betont J. Mourly Void den physiologischen Charakter der hypnagogischen Hallucinationen.\nA. Maury3) betonthingegen den Zusammenhang, ja die Identit\u00e4t der Schlummerbilder mit den Traumbildern und nimmt f\u00fcr ihre Entstehung nur eine gewisse Passivit\u00e4t, ein Nachlassen der Aufmerksamkeitsanspannung in Anspruch. Er gibt an, wenn man nur auf eine\n1)\tYgl. Einf\u00fchrung zu Sante de Sanctis, Die Tr\u00e4ume, Uebersetzung, Halle 1901.\n2)\tE. Go blot, Le souvenir des r\u00eaves. Revue philosophique 1896, vol. 42.\n3)\tA. Maury, Le sommeil et les r\u00eaves. Paris 1878.","page":466},{"file":"p0467.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur Psychologie des Traumes.\n467\nSecunde in eine solche Lethargie verfalle, k\u00f6nne man schon eine hypna-gogische Hallucination sehen, dann wieder erfolge manchmal Erwachen, worauf sich das Spiel noch mehrfach wiederholen k\u00f6nne. Er konnte im Traum dieselben Bilder beobachten, die als hypnagogische Hallucination vorschwehten. Als er einst an Hungergef\u00fchl litt, sah er pl\u00f6tzlich eine Sch\u00fcssel und eine mit einer Gabel bewaffnete Hand, die sich etwas von der Speise aus der Sch\u00fcssel holte; im Traume der darauf folgenden Nacht befand er sich an einer reichgedeckten Tafel und h\u00f6rte das Ger\u00e4usch, das die Speisenden mit ihren Gabeln machten. Als er mit gereizt schmerzenden Augen einschlief, hatte er Schlummerbilder von mikroskopisch kleinen Zeichen, die er mit gro\u00dfer Anstrengung einzeln entziffern musste; nach einer Stunde Schlaf erinnerte er sich, dass er im Traum ein Buch mit sehr kleinen Lettern m\u00fchselig durchlesen musste. Auch Geh\u00f6rshallucinationen konnte er hypnagogisch beobachten, W\u00f6rter, Namen u. s. w.\nTrumbull Ladd1) suchte der Frage nach dem Zusammenhang der Schlummerbilder und der Netzhautreize dadurch n\u00e4her zu kommen, dass er sich \u00fcbte, kurz nach dem Einschlafen, 2 bis 5 Minuten sp\u00e4ter, wieder aufzuwachen, ohne die Augen dabei zu \u00f6ffnen, und nun jeweils die entschwindenden Netzhautempfindungen verglich mit den Traumbildern. Jedesmal erkannte er innige Beziehungen, indem die leuchtenden Punkte und\\ Linien in der Netzhaut gleichsam die Umrisszeichnung, das Schema der psychisch wahrgenommenen Traumgestalt darstellten. Er hatte t. B. getr\u00e4umt, gedruckte Zeilen zu lesen, deren Anordnung dann den leuchtenden Punkten der Netzhaut in parallelen Linien entsprach. Besonders hei Tr\u00e4umen im dunkeln Zimmer kurz nach dem Einschlafen fand er regelm\u00e4\u00dfig diese Uebereinstimmung. Er gelangte zu dem wohl \u00fcber das Ziel hinausschie\u00dfenden Schluss, dass \u00fcberhaupt die Netzhauterregung den wichtigsten Traumreiz abgibt.\nAllerdings m\u00f6chte ich die verwandtschaftlichen Beziehungen der entoptischen Reize zu den Schlummerbildem und den Traumvorstellungen \u00fcberhaupt als zweifellos ansehen, glaube aber, dass die meisten Autoren in ihrer Identificirung zu weit gehen, zum Theil, wie M\u00fcller und Ladd, in einer einseitigen Weise, indem sie, offenbar auf Grund ihrer individuellen Veranlagung, die optischen Verh\u00e4ltnisse zu stark bevorzugen.\n1) Contribution to the psychology of visual dreams. Mind 1892, April,\n30*","page":467},{"file":"p0468.txt","language":"de","ocr_de":"468\nW. Weygandt.\nNach Sant\u00e9 de Sanctis1) wiederholt sich hei manchen Beobachtern h\u00e4ufig dasselbe hypnagoge Bild, so sieht er selbst z. B. oft einen Rhombus in gr\u00fcn-goldenem Feld.\nMeiner Anschauung nach m\u00f6chte ich die soeben an der Hand der Litteratur besprochenen Erscheinungen in drei Gruppen sondern. Jene phantastischen Gesichtserscheinungen, die M\u00fcller w\u00e4hrend d\u00e8s wachen Lebens beobachtete und die auch Goethe im Sinn hat, sind nur ausgepr\u00e4gte F\u00e4lle entoptischer Reizzust\u00e4nde, die bei Augenschluss unter Aufmerksamkeitsanspannung jederzeit, wenn auch nicht allgemein in gleicher Deutlichkeit, zur Wahrnehmung gelangen k\u00f6nnen. Bei hervorragend optisch veranlagten Naturen k\u00f6nnen die Erscheinungen, wohl unter psychischem Einfluss, bestimmte Muster und Figuren von Sternen, Kr\u00e4nzen u. s. w. annehmen, \u00e4hnlich wie sie auch unter pathologischen Verh\u00e4ltnissen in st\u00e4rkerem Ma\u00dfe auftreten und zugleich ihre Variabilit\u00e4t unter psychischem Einfluss zeigen k\u00f6nnen, so bei den bekannten Druckvisionen der Alkoholdeliranten, denen, sobald ihnen der Augapfel gedr\u00fcckt wird, alsbald Funken, leuchtende Kreise u. s. w. erscheinen, die unter suggestivem Einfluss schlie\u00dflich als bestimmte, von anderer Seite angegebene Gegenst\u00e4nde wie Sterne, Blumen u. s. w. aufgefasst werden.\nW\u00e4hrend im wachen Leben unter normalen Verh\u00e4ltnissen die Aufmerksamkeit sich h\u00f6chstens aus wissenschaftlichem Interesse einmal l\u00e4ngere Zeit diesen Erscheinungen zuwendet, k\u00f6nnen Kinder, Kranke, auch M\u00fc\u00dfigg\u00e4nger gewisserma\u00dfen zum Spiel und Zeitvertreib ihre Aufmerksamkeit auf die entoptischen und die ihnen analogen Erscheinungen anderer Sinnesgebiete hinlenken.\nMit den entotischen Erscheinungen verh\u00e4lt es sich ganz \u00e4hnlich, jenen Ger\u00e4uschen, die im Ohr entstehen und f\u00fcr gew\u00f6hnlich nur bei besonderer Aufmerksamkeitsanspannung und unter peinlichem Ausschluss \u00e4u\u00dferer akustischer Reize zur Wahrnehmung gelangen. Ich habe an anderer Stelle angef\u00fchrt, wie ein Kind sich n\u00e4chtlicher Weile stundenlang an dem Klingen im eigenen Ohr erg\u00f6tzte und daran optische Vorstellungen sich anschlossen. Von psychiatrischer Seite hat man manche Formen elementarer Sinnest\u00e4uschungen, vor allem die rhythmischen Geh\u00f6rst\u00e4uschungen, wie sie bei dem Alkoholwahnsinn\n1) Die Tr\u00e4ume. Halle 1901. S. 218.","page":468},{"file":"p0469.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur Psychologie des Traumes.\n469\n(Kraepelin) oder der Alkoholhallucinose (Wernicke) Vorkommen, mit diesen entotischen Erscheinungen, insbesondere mit dem Ger\u00e4usch des Pulses im Ohr, in Zusammenhang gebracht.\nSo gut wie auf optischem und akustischem Gebiet k\u00f6nnen nun auch in den verschiedensten Sinnessph\u00e4ren Eigenerregungen eintreten und zur Wahrnehmung gelangen; vor allem die F\u00fclle der von dem allgemeinen Sinn ausgehenden Reize ist hier in erster Linie namhaft zu machen. Leichte Abweichungen von der Gleichgewichtslage der Temperatursinne, ganz schwache Hunger- oder 'Durstempfindung, somatische Bed\u00fcrfnisse geringf\u00fcgiger Art wie Urin- oder Stuhldrang, erotische Sensationen u. s. w. treten im wachen Leben nicht in den Blickpunkt des Bewusstseins, ebensowenig wie ein Theil unserer Tastempfindungen, vor allem von der bedeckten K\u00f6rperoberfl\u00e4che her, wenn auch bei eigens darauf gerichteter Aufmerksamkeit in der Regel die eine oder andere Empfindung jener Art festgestellt werden kann.\nDiese f\u00fcr gew\u00f6hnlich nicht den Schwellenwerth erregenden Reize sind zweifellos ebenso dauernd vorhanden wie die entoptischen oder entotischen Reize. Sie spielen im wachen Leben keine bedeutende Rolle ; zur Wahrnehmung jener Empfindungen geh\u00f6rt eine besondere Anstrengung der Aufmerksamkeit, eine F\u00e4higkeit, die wohl durch Uebung gesteigert werden kann, zweifellos aber, wie die Beispiele von M\u00fcller und Goethe zeigen, auch gro\u00dfen individuellen Schwankungen unterliegt.\nNeben diesen Erscheinungen, den dauernd vorhandenen, auf somatische Reize zur\u00fcckgehenden Empfindungen m\u00fcssen wir jene Vorg\u00e4nge hervorheben, die uns dieselben Empfindlingen in der Zeit starker geistiger Erm\u00fcdung und des herannahenden Schlafes in das Bewusstsein treten lassen. Hier bedarf es keiner besonderen Aufmerksamkeitsanstrengung, sondern das Erschlaffen und Schwinden der apperceptiven Th\u00e4tigkeit im ganzen erlaubt jetzt, trotz einer allgemeinen Erh\u00f6hung der Reizschwelle, doch noch vielfach den Eintritt der jenen schwachen Dauerreizen entsprechenden Empfindungen in das Bewusstsein. Es handelt sich um Lichterscheinungen im Gesichtsfeld bei geschlossenem Auge, seltener um dumpfes Klingen im Ohr, h\u00e4ufig um irgend welche Reize des tactilen und allgemeinen Sinns, Urindrang, Durst u. dgl. In der Regel erfolgt dann bei Reizen der letzteren Art m\u00f6glichst die Abstellung der St\u00f6rung.\nVielfach, besonders bei peripheren Tastreizen, bei Urindrang,","page":469},{"file":"p0470.txt","language":"de","ocr_de":"470\nW. Weygandt.\nDurst u. s. w. wird die Erscheinung richtig gedeutet, w\u00e4hrend hei den entoptischen und entotischen Reizungen die Sensationen von dem Einschlafenden h\u00e4ufig nach au\u00dfen hin projicirt werden und eine periphere Ursache dabei angenommen wird. Nicht selten ist die Gruppirung der Lichtpunkte zu bestimmten Figuren, zu Sternen, Kreuzen u. s. w., das Heraush\u00f6ren von \"W\u00f6rtern aus den entotischen Ger\u00e4uschen, sodass wir eine Umgestaltung der Empfindung durch reproductive Einfl\u00fcsse annehmen m\u00fcssen. Hinsichtlich dieser Erscheinungen herrscht ebenso wie bei den somatischen Sensationen \u00fcberhaupt eine gro\u00dfe individuelle Verschiedenheit. Sie sind es besonders, die J. M\u00fcller auf optischem Gebiet beschrieb. Purkinje, Gruthuisen, Brandis, Burdach, Baillarger, Maury u. a. haben auf sie hingewiesen. Indess ist es wenig angebracht, jenes Aufleuchten der somatischen Sensationen vor dem Einschlafen mit dem irref\u00fchrenden Ausdruck der \u00bbhypnagogischen Hallucinationen\u00ab zu belegen. Wenn man unter Hallucination die Objectivirung reiner Erinnerungsbilder als Wahrnehmung versteht, muss man jenen Terminus streichen, da die reproductiven Elemente nur geringf\u00fcgig jene auf besonderen Reizen beruhenden Sensationen beeinflussen. Eher k\u00f6nnte man von \u00bbhypnagogischen Illusionen\u00ab sprechen, doch trifft die Vereinigung direct erregter und reproductiver Elemente, die den Sinneseindruck wesentlich ver\u00e4ndern, keineswegs f\u00fcr alle F\u00e4lle zu. Zutreffender ist entschieden die Zusammenfassung jener Vorg\u00e4nge unter der Bezeichnung des Praedormitiums oder des praesomnic state, wie sie Weir Mitchell gebraucht. Will man eine Benennung, die sich an die Bezeichnung der \u00bbsomatischen Sensationen\u00ab anlehnt, so lie\u00dfe sich \u00bbpr\u00e4somnische\u00ab oder \u00bbanthypnische Sensationen\u00ab vorschlagen.\nDas Wesentliche beruht darauf, dass es 1) im Grund dieselben Empfindungen sind, wie sie im wachen Lehen hei besonderer Aufmerksamkeitsanspannung als von dem K\u00f6rper oder von minimalen peripheren Dauerreizen seihst ausgehend beobachtet werden k\u00f6nnen, und dass 2) dies Aufleuchten vor dem Schlaf auf dem Zur\u00fccktreten des apperceptiven Denkens beruht.\nZu betonen ist aber weiterhin, dass jene pr\u00e4somnischen Sensationen oft genug ganz aushleihen, so dass ein rapiderer Uebergang vom wachen Leben mit lebhafter apperceptiver Th\u00e4tigkeit zum","page":470},{"file":"p0471.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur Psychologie des Traumes.\t471\nSchlaf mit seiner psychischen Passivit\u00e4t ohne jene Zwischenstufe ein-tritt.\nFreilich ist der Moment des Schlafeintritts schwer zu fixiren. Die verschiedenen Bedingungen des Schlafs, psychomotorische Hemmung und L\u00e4hmung, Abschluss der peripheren Beize, verlangsamte Athmung, ferner das Zur\u00fccktreten der apperceptiven Verbindungen, treten gew\u00f6hnlich nicht gleichzeitig ein. Psychologisch jedoch kann man die Unterbrechung des Wachbewusstseins dahin formuliren, dass es sich um das Aufh\u00f6ren des Bewusstseins der Situation handelt. Wir verm\u00f6gen wohl eine Zeit lang mit geschlossenen Augen dazuliegen, ohne irgend welche apperceptive Th\u00e4tigkeit, haben aber dabei immer noch ein gewisses Bewusstsein unserer Situation; w\u00fcrden wir angerufen, so k\u00f6nnten wir sofort genau angeben, wo wir uns befinden, und auch einigerma\u00dfen die Zeit taxiren. Verl\u00e4sst uns aber nur auf eine halbe Secunde das Bewusstsein unserer Situation, die Orientirung, so empfinden wir diesen Moment hinterher als eine Unterbrechung unseres Bewusstseinszusammenhangs; die popul\u00e4re Ausdrucksweise sagt vielfach \u00bbich war von mir\u00ab oder \u00bbich war weg\u00ab u. dgl.; oft genug sehen wir uns in jenem Augenblick auch deutlich in eine fremde, unzutreffelide Situation versetzt, w\u00e4hrend die zeitliche Sch\u00e4tzung der Bewusstseinsalienation au\u00dferordentlich schwierig ist.\nEs empfiehlt sich, den Eintritt des Schlafs psychologisch betrachtet von jenem Moment des Verlustes des Situationsbewusstseins ab zu datiren. Die Bewusstseinsvorg\u00e4nge erinnerbarer Art sind damit keineswegs sofort erloschen, sondern wir k\u00f6nnen nach einer solchen oft nur den Bruchtheil einer Secunde anhaltenden Absence vielfach genau angehen, was wir w\u00e4hrenddessen erlebt haben. Vielfach freilich dauert die Absence, der Schlaf geht ohne Unterbrechung weiter.\nBekanntlich vertieft sich der Schlaf au\u00dferordentlich rasch in der ersten Stunde. Doch wird der Gang der Vertiefung keineswegs con-tinuirlich in der gleichen Richtung verlaufen, sondern es lassen sich allem Anschein nach einige Schwankungen annehmen. Die Untersuchungen von Michelson1) \u00fcber die Schlaftiefe zeigen anschaulich, wie in der Zeit des leichteren Schlafs, gegen Morgen hin, die Curve der Schlaftiefe sich nicht continuirlich, sondern mit mehreren\n1) Untersuchungen \u00fcber die Tiefe des Schlafes. Psychologische Arbeiten. Bd. II, Leipzig 1899.","page":471},{"file":"p0472.txt","language":"de","ocr_de":"472\nW. Weygandt.\nSchwankungen dem Nullpunkt n\u00e4hert. Da diese schwierigen Versuche nur gr\u00f6\u00dfere Abschnitte der Schlafzeit betreffen k\u00f6nnen, ist nicht zu erwarten, dass die kleineren Schwankungen in ihnen zum Ausdruck gelangen. So viel geht schon aus den dort mitgetheilten Zahlen hervor, dass auch in der Zeit des Einschlafens die Vertiefung des Schlafs nicht gleichm\u00e4\u00dfig, sondern anfangs langsam, dann schneller vor sich geht. Oft genug l\u00e4sst sich erfahren, dass wir nach dem ersten Eintritt des Schlafes wieder f\u00fcr kurze Zeit erwachen und dass dies Aufwachen ebenfalls graduell verschieden sein kann, bis zum partiellen oder v\u00f6lligen Eintritt des Situationsbewusstseins u. s. w.\nNach dem kurzen Ueberblick \u00fcber die somatischen Sensationen zur Zeit des Wachbewusstseins und die pr\u00e4somnischen Sensationen m\u00fcssen wir noch nach deren Verh\u00e4ltniss zu den Bewusstseinsvorg\u00e4ngen sogleich nach dem Eintritt des Schlafs fragen, die freilich oftmals auch als hypnagogische Hallucinationen bezeichnet worden sind. E\u00fcr sie w\u00e4re der Ausdruck \u00bbSchl ummerbilder * oder auch \u00bbFr\u00fchtr\u00e4ume\u00ab der geeignetste. Gew\u00f6hnlich werden sie von den Morgen- oder Sp\u00e4ttr\u00e4umen, die das Gros des in der Litteratur niedergelegten Traummaterials lieferten, gar nicht besonders unterschieden. Selten nur waren sie Gegenstand besonderer Untersuchungen.\nMaury lie\u00df sich einige Minuten nach dem Einschlafen wecken und schrieb dann seine Beobachtungen nieder. Seine Ansicht, dass es n\u00f6thig sei, von seiten eines anderen Menschen den Eintritt des Selbstbewusstseins beim Erwachen constatiren zu lassen, erweckt Widerspruch ; gerade den Uebergang der Desorientirung zum Situationshewusstsein, den wir als den psychologisch schwerwiegendsten Unterschied zwischen Schlaf-und Wachbewusstsein ansehen m\u00f6chten, kann selbstverst\u00e4ndlich nur jeder an sich selbst beobachten. Alle k\u00f6rperlichen Zeichen des Schlafs oder des Wachens, Augenaufschlag, sonstige Muskelbewegungen, Ver\u00e4nderung des Athemtypus, sind in jener Hinsicht durchaus tr\u00fcgerisch. Das Verfahren Maury\u2019s ist auch schon deswegen wenig empfehlens-werth, weil der von au\u00dfen gesetzte Wachreiz gew\u00f6hnlich so intensiv ist, dass er die nachherige Reproduction der Vorstellungen st\u00f6rt. Eine Reihe von Versuchen, die ich derart anstellte, dass ich beim Einschlafen alle 60 Secunden ein schwaches Glockensignal ert\u00f6nen lie\u00df, hatte kein ermuthigendes Ergebniss, denn mehrfach zeigte sich auch hier eine St\u00f6rung der Reproduction durch den peripheren Reiz,","page":472},{"file":"p0473.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur Psychologie des Traumes.\n473\n\u00f6fter war derselbe auch unwirksam und wurde verschlafen, vor allem aber stellte sich auch nicht selten beim Einschlafen ein Gef\u00fchl der Erwartung ein, das die Beobachtung und Reproduction der Traumvorstellungen st\u00f6rte.\nIndem ich in den folgenden Zeilen versuche, \u00fcber die ersten Bewusstseinsabweichungen nach dem Eintritt des Schlafs, \u00fcber die Schlummerbilder oder Er\u00fchtr\u00e4ume, einige Angaben zu machen und Erkl\u00e4rungen zu bringen, bediene ich mich eines Materials, das durch Gelegenheitsbeobachtung gewonnen ist, insofern ich in den F\u00e4llen, in denen alsbald nach dem Einschlafen ein spontanes Wiedererwachen erfolgte, die w\u00e4hrend der Bewusstseinsalienation vorhandenen Vorstellungen zu reproduciren und dabei die Sensationen vor und nach dem Schlummerbild zu ber\u00fccksichtigen suchte. Das Material leidet insofern an einer gewissen Einseitigkeit, als es sich vorwiegend um Sensationen von einer gewissen, \u00fcberminimalen Intensit\u00e4t handeln muss, welche nicht nur Traumvorstellungen hervorriefen, sondern zum Theil auch selbst das Wiedererwachen herbeif\u00fchrten; es treten daher in meinen Beispielen die Sensationen mit der geringsten Intensit\u00e4t, vorzugsweise die entoptischen und entotischen Erscheinungen, zur\u00fcck zu Gunsten der Empfindungen des allgemeinen Sinns oder auch mancher leichterer peripherer Eindr\u00fccke, die aber trotz des continuirlichen Reizes zur Zeit des wachen, apperceptiven Lebens nicht zur Wahrnehmung gelangt waren.\nIn einem Theil der F\u00e4lle gingen pr\u00e4somnische Sensationen voraus, meist aber war ein l\u00fcckenloser Uebergang des Verlaufs der succes-siven Associationen vor dem Einschlafen in die Traumvorstellungen zu beobachten. Dabei war nun jeweils eine Beeinflussung von seiten irgend welcher Sinnesreize festzustellen. Wie bei den Sp\u00e4ttr\u00e4umen ist auch hier der Fall selten, dass die Vorstellung exact dem Reiz entspricht. Meist bleibt die Vorstellung freilich im Bereich der Sinnessph\u00e4re des Reizes; manchmal jedoch findet sich auch eine Vorstellung, die einer ganz anderen Sinnessph\u00e4re als der des Reizes entspricht, ohne dass an ihrer Beziehung zu dem Reiz, schon wegen des durchaus \u00fcbereinstimmenden Gef\u00fchlstons, gezweifelt werden d\u00fcrfte.\nWichtig vor allem erscheint mir der Umstand, dass auch bei erhaltener Continuit\u00e4t der Kette der successiven Associationen die dem Reiz entsprechenden Vorstellungen sich einf\u00fcgen und in den","page":473},{"file":"p0474.txt","language":"de","ocr_de":"474\nW. Weygandt.\nVordergrund dr\u00e4ngen, w\u00e4hrend die vor dem Eintritt des Schlafs vorhandene Zielvorstellung verschwindet. Dabei zeigen sich die Wahr-nehmungsvorstellungen st\u00e4rker als die Reproductionsvorstellungen, obwohl die Reizschwelle im Ganzen h\u00f6her liegt als beim wachen Bewusstsein und obwohl es sich ferner hier auch nur um ungemein schwache Reize handelt. Dies Verhalten steht nicht nur im Gegensatz zum wachen Leben, in dem ja f\u00fcr gew\u00f6hnlich die somatischen Sensationen gegen\u00fcber dem apperceptiven Denken v\u00f6llig zur\u00fccktreten und nur bei besonders darauf gerichteter Aufmerksamkeitsanspannung ins Bewusstsein kommen, sondern man findet auch bei den Sp\u00e4ttr\u00e4umen, die gegen Ende der ganzen Schlafenszeit vor sich gehen und den Hauptgegenstand der meisten Traumuntersuchungen bilden, dass hier manchmal somatische Sensationen und sogar periphere Reize percipirt werden, die sich nicht der Traumsituation einf\u00fcgen oder wenigstens nicht in den Vordergrund des Traumbewusstseins r\u00fccken.\nAuffallend war, dass h\u00e4ufiger akustische als optische Reize als Quelle meiner Schlummerbilder zur Beobachtung gelangten, obwohl meine sensorische Veranlagung stark nach der optischen Sph\u00e4re hin gravitirt. Jedoch handelt es sich bei den Beispielen des Einflusses akustischer Eindr\u00fccke nicht um entotische, sondern vielmehr um con-tinuirliche periphere Ger\u00e4usche, die ja, vor allem beim Aufenthalt in einer gr\u00f6\u00dferen Stadt, viel eher zur gelegentlichen Beobachtung kommen, als etwa continuirliche Reize optischer Natur, die wir leicht durch Augenschluss und Verdunkelung des Schlafraums abzuschlie\u00dfen verm\u00f6gen.\nEin besonders anschauliches Beispiel ist folgendes: Ich lag auf einer Reise in Leipzig Abends im Hotelbett und erinnerte mich eines Gespr\u00e4chs vom letzten Tag, in dem mich ein Verwandter danach gefragt hatte, was Bauchfellentz\u00fcndung sei; ich reproducirte weiter, dass ich auf jene Frage hin die Lage des Bauchfells beschrieb, wie es die Unterleibsorgane alle \u00fcberzieht, und zu schildern suchte, wie es nun von einer Stelle aus in Entz\u00fcndung ger\u00e4th, die sich dann rasch \u00fcber gr\u00f6\u00dfere Partien hinzieht, gleich einer feindlichen Invasion. Dabei hatte ich die anschauliche Vorstellung einer h\u00fcgeligen Landschaft, \u00fcber deren wellige Oberfl\u00e4che sich ganz \u00e4hnlich eine gef\u00e4hrliche Erscheinung hinzieht, etwa ein Kriegsheer, \u00fcber Berg und Thal; ich sah die Heerschaaren vor mir und h\u00f6rte mit sinnlicher Lebhaftig-","page":474},{"file":"p0475.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur Psychologie des Traumes.\n475\nkeit schlie\u00dflich das Getrappel der anst\u00fcrmenden Cavallerie. In diesem Moment fuhr ich aus dem mittlerweile eingetretenen Schlaf empor und konnte das Pferdegetrappel in genau demselben Tact, wie bei der Traumvorstellung, noch fortdauernd h\u00f6ren. Es r\u00fchrte von den Pferdehahnwagen her, die auf dem belebten Platz vor dem Fenster hin- und herfuhren. Zum Beginn der Vorstellungsreihe, bei noch wachem Bewusstsein, waren jene schwachen, continuirlichen, peripheren Reize nicht percipirt worden, erst als mit dem Eintritt des Schlafs das apperceptive Denken zur\u00fccktrat, ohne dass die Associationskette unterbrochen wurde, gelangte das Ger\u00e4usch endlich zur Perception, die entsprechende Vorstellung dr\u00e4ngte sich in den Vordergrund, ohne aber den Verlauf der successiven Associationen zu st\u00f6ren.\nEines Abends las ich eine Stelle in einem Buch Darwin\u2019s, an der von \u00bb\u00e4u\u00dferster, wenn auch nicht Luftr\u00f6hrenschnitt erfordernder Athemnoth\u00ab die Rede war. Ich verfolgte die Vorstellung weiter und sah mich in einen chirurgischen H\u00f6rsaal versetzt, in dem ein Mann mit den Z\u00fcgen Darwin\u2019s, \u00fcber den ich erstaunte, da ich mir bewusst war, dass Darwin gar kein Arzt war, den Luftr\u00f6hrenschnitt an einem Kranken ausf\u00fchrte; ich h\u00f6rte dabei einen Pfiff, den ich f\u00fcr das Ger\u00e4usch der ausstr\u00f6menden Luft halte. Darauf erwachte ich und konnte erkennen, dass/der Pfiff fortdauerte und von den im nahen Bahnhof fortw\u00e4hrend rangirenden und Signale gebenden Locomotiven herr\u00fchrte. Hier hatte sich die dem continuirlichen peripheren Reiz entsprechende .Vorstellung ganz in den associativen Zusammenhang eingef\u00fcgt.\nAuf einer Eisenbahnfahrt erinnerte ich mich an eine Theaterauff\u00fchrung, die ich kurz vorher gesehen hatte. Es war ein Ballett gegeben worden, in dem auch ein Springbrunnen vorgekommen war. Ich stellte mir vor, oh sich nicht in \u00e4hnlicher Weise f\u00fcr B\u00e4lle eine Cotillontour arrangiren lie\u00dfe, wobei Wasser von oben her spritzen sollte, und h\u00f6rte dabei das Wasser rauschen. Das Ger\u00e4usch wurde immer deutlicher, worauf ich erwachte und wahrnahm, dass vom Dampfablassen der Locomotive ein derartiges Ger\u00e4usch herr\u00fchrte.\nAls ich einst l\u00e4ngere Zeit im Bett wach lag, dachte ich an meine Th\u00e4tigkeit in einer Klinik und glaubte nun mit sinnlicher Lebhaftigkeit ein eigenth\u00fcmliches Ger\u00e4usch zu h\u00f6ren, das von Kranken herr\u00fchrte, die Karten spielten und dabei im Tacte mischten. Dann sah","page":475},{"file":"p0476.txt","language":"de","ocr_de":"476\nW. Weygandt.\nich mich in meine Wohnung versetzt und h\u00f6rte das Ger\u00e4usch wieder, glaubte nun aber, es sei eine fremde Person im Zimmer, die in einem Buch bl\u00e4tterte. Dabei hatte ich die Erinnerung, dass ich doch am Abend die Zimmert,hiire verschlossen hatte. Schlie\u00dflich erwachte ich und erkannte dasselbe Ger\u00e4usch, das mir vorher vom Kartenspiel und Buchbl\u00e4ttem herzukommen schien, als das Ticken einer Taschenuhr. Ich wollte diese Beobachtung sogleich niederschreiben, kam aber wieder ins Einschlafen und hatte nun die Vorstellung, als ob jemand mit der Hand \u00fcber knisterndes Pergament hinfahre. Als ich wieder zum wachen Bewusstsein kam, merkte ich, dass dieses knisternde Ger\u00e4usch von dem Reiben meines Bartes an dem Kissen herr\u00fchrte.\nAuf einer Reise besuchte ich in Rom einen sog.. Veglione, eine Art Maskenball, und sa\u00df sp\u00e4t Abends hei einer Tasse Kaffee in der Ecke, recht m\u00fcde das Maskentreiben betrachtend; fortw\u00e4hrend spielte ein Orchester. Ich dachte \u00fcber die baulichen Leistungen Michelangelo\u2019s nach und hatte pl\u00f6tzlich die Vorstellung, das Wichtigste, was er geplant, sei eine Musikhalle vor S. Peter unter Ben\u00fctzung anderweitiger Baupl\u00e4ne gewesen. Ich h\u00f6rte dabei schon Musik und mir schien, als ob die vorgestellte Halle bereits im Betrieb sei. Als ich darauf wieder zu mir kam, erkannte ich, dass es sich um die schon seit langer Zeit im Local spielende Musik handelte, die mir vorher beim Beginn der Reflexionen \u00fcber Michelangelo nicht zum Bewusstsein gekommen war. Erst der Eintritt des Schlafs hatte bewirkt, dass in dem an sich eingeengten Bewusstsein doch durch das Verschwinden der apperceptiven Vorstellungen Raum f\u00fcr die Perception des continuir-lichen akustischen Eindrucks geschaffen wurde.\nGanz \u00e4hnlich verhielt es sich mit folgendem Schlummerbild. Ich ruhte auf einer Reise in einem Hotel, das am Meer lag. Das Fenster stand auf, drau\u00dfen schlugen die Wellen in regelm\u00e4\u00dfigem Tact ans Ufer. Beim Einschlafen dachte ich an die Familie eines Studienfreunds und erinnerte mich dabei der Mutter desselben, einer vornehmen und stolzen Dame; ich sah sie vor mir, wie sie sich wegwandte, und h\u00f6rte deutlich das Rauschen ihres eleganten, schwarzen Seidenkleids, es war ein ganz tactm\u00e4\u00dfiger akustischer Eindruck. Ich erwachte und erkannte dies Rauschen als vom nahen Meer herkommend. Zu Beginn der Reproduction war der continuirliche","page":476},{"file":"p0477.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur Psychologie des Traumes.\n477\nSinnesreiz noch nicht percipirt worden, sondern erst als mit dem Eintritt des Schlafs die apperceptive Denkth\u00e4tigkeit nachlie\u00df.\nEinst las ich gegen Abend, ziemlich m\u00fcde, in einem Heft, in dem mir eine Stelle schwer verst\u00e4ndlich schien. Ich \u00fcberlegte mir, was der Verfasser unter \u00bbErregen\u00ab und unter \u00bbReizen\u00ab eigentlich verstanden wissen wollte. Im Bewusstsein stand grade die Vorstellung \u00bbich errege\u00ab, als ich wie eine Antwort zu h\u00f6ren glaubte: \u00bbich werde dumm\u00ab. Dann h\u00f6rte ich einen grellen Schrei \u00bbaa\u00ab. Es lag ein komischer Klang darin und schien mir als Protest auf das beleidigend klingende \u00bbich werde dumm\u00ab gem\u00fcnzt zu sein; dabei hatte ich eine andere Person vor mir. Sodann fuhr ich auf und merkte, dass mein Heft, das ich noch in der Hand hielt, ein wenig an meiner Kleidung gekratzt hatte; dies Ger\u00e4usch war im Traum als der Schrei aufgefasst worden. Die Vorstellung \u00bbich werde dumm\u00ab war offenbar veranlasst durch die Reflexion \u00fcber die Schwerverst\u00e4ndlichkeit des Gelesenen; mit dem in jenem Moment eingetretenen Schlaf aber wurde auch das Ger\u00e4usch percipirt und sofort f\u00fcgte sich die dem Sinnesreiz entsprechende Vorstellung des Schreis in die Situation ein.\nEines Abends erinnerte ich mich beim Einschlafen an eine Unterhaltung \u00fcber eine projectirte Schlittenpartie. Ich hatte das Bild eines Schlittens vor mir, sah zwei Personen auf Kinderschlitten dahin rutschen und sp\u00fcrte deutlich das vermeintlich durch den hart dahingleitenden Schlitten verursachte Ger\u00e4usch. Da wurde ich wach und constatirte, dass es sich um ein in der Nase entstandenes leichtes Schnarchen bei der Respiration handelte.\nEin Schlummerhild, bei dem die entoptischen Erscheinungen unter Eingliederung in den Vorstellungsverlauf vor dem Einschlafen zur Wahrnehmung gelangten, ist folgendes: Ich lag Abends auf dem Ruhebett und dachte an eine Eahrt, die ich in einer zweisp\u00e4nnigen Droschke jvor kurzem unternommeu hatte. Wie gew\u00f6hnlich begleiteten optische Bilder meine Vorstellungen und so sah ich w\u00e4hrend dieser noch bpp wachem Bewusstsein vor sich gehenden Erinnerung das Gespann vor mir. Pl\u00f6tzlich verdoppelten sich die Pferde, zu den vier braunen Pferden kam noch ein f\u00fcnftes, bald stand eine ganze Reihe hinter einander und schlie\u00dflich war es ein buntes Gewimmel von Pferden.\nBei folgendem Beispiel stehen wohl die optischen Eindr\u00fccke im","page":477},{"file":"p0478.txt","language":"de","ocr_de":"478\nW. \"Weygandt.\nVordergrund, docli spielt dcUiGbcn rucIi noch ein akustischer Reiz eine Rolle. Ich setzte mich sp\u00e4t Abends m\u00fcde an einen Tisch und wollte noch etwas lesen. Dahei sa\u00df die Lampenglocke nicht fest auf ihrem Gestell, sondern wackelte etwas hin und her, so dass das Licht zu flackern schien; zugleich entstand dadurch ein leichtes Ger\u00e4usch. Pl\u00f6tzlich wurde die Lecture unterbrochen und ich sah einen Vogel, der in einem K\u00e4fig unruhig und l\u00e4rmend umherh\u00fcpfte. Der K\u00e4fig wurde ungef\u00e4hr an die Stelle localisirt, wo die Lampe wirklich stand, die Sprungbewegungen des Vogels entsprachen dem Tact des Schwankens der Lampenglocke und des dadurch hervorgerufenen Wechsels der Lichtmenge, die auf meine Augen fiel; der L\u00e4rm des Vogels correspondirte dem Ger\u00e4usch der Lampe.\nVon weiteren peripheren Reizen continuirlicher Art beeinflussen vornehmlich Tasteindr\u00fccke unsere Schlummerbilder. Auf der Eisenbahn fahrend erinnerte ich mich an ein vor kurzem gef\u00fchrtes Gespr\u00e4ch \u00fcber die \u00bbVersunkene Glocke\u00ab. Ich sah dahei die Figur der Rautendelein vor mir, sie schien zu schweben, pl\u00f6tzlich schlug sie Purzelb\u00e4ume auf H\u00e4nden und F\u00fc\u00dfen; in tactm\u00e4\u00dfigen Bewegungen erfolgten diese Spr\u00fcnge von H\u00e4nden zu F\u00fc\u00dfen u. s. w. Ich glaubte diesen Tact an mir seihst zu sp\u00fcren und fand doch im Traume die tactm\u00e4\u00dfige Bewegung der Figur ungemein absurd, als ich erwachte und constatiren konnte, dass die St\u00f6\u00dfe von dem fahrenden Eisenhahnzug in ganz dem gleichen Tact ausgingen.\nNicht selten sind Schlummerbilder wie das, in dem ich mein Kniegelenk ge\u00f6ffnet zu sehen glaubte, w\u00e4hrend ein im Wachen nicht zur Wahrnehmung gekommener Kitzel am Bein zu Grund lag, oder jenes, in dem ein Jucken am rechten Unterschenkel die Vorstellung einer Stichwunde erweckte. Die dem tactilen Reiz entsprechende Ber\u00fchrungsempfindung ist hier bereits mit einer optischen Vorstellung assimfiirt.\nBesonders von der entz\u00fcndlich gereizten Bindehaut des Auges k\u00f6nnen derartige Sensationen ausgehen, welche alsbald die Schlummerbilder nicht beeinflussen, w\u00e4hrend sie vor Eintritt des Schlafbewusstseins meist gar nicht percipirt worden waren; optische Vorstellungen sind dabei bevorzugt.\nAls ich einst mit schmerzender Conjunctiva dalag und an psychologische Fragen dachte, tauchte mit dem Eintritt des Schlafs die Vorstellung auf, ich sei nahezu erblindet und spreche dar\u00fcber mit","page":478},{"file":"p0479.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur Psychologie des Traumes.\n479\neinem Psychologiedocenten. Ein andermal, als ein Sandk\u00f6rnlein die Bindehaut reizte, erschien beim Einschlafen das optische Bild einer entz\u00fcndlich gereizten Bindehaut in starker Vergr\u00f6\u00dferung vor mir.\nEinmal kam, als ich m\u00fcde im Bett lag, die Vorstellung, es sei mir ein St\u00fcck Leder auf das Gesicht gefallen. Sofort kehrte das Wachbewusstsein wieder und ich konnte constatiren, dass die im Traum wahrgenommene Druckempfindung von dem mir auf dem Gesicht hegenden Band der Bettdecke hervorgerufen wurde. Ein anderes Mal brachte ein ganz leicht dr\u00fcckender Schmerz an einigen Stellen der Mundh\u00f6hle, auf den ich im Wachen nicht Acht gegeben, sofort beim Einschlafen das Schlummerbild, ich h\u00e4tte kleine Theile von Sand und Holz im Mund.\nH\u00e4ufig genug dr\u00e4ngen sich neben diesen Empfindungen continuir-licher peripherer Tastreize auch Organempfindungen, vor allem hei krankhaft afficirten Organen, ferner Schmerzempfindungen nach starker Muskelarbeit, in die Schlummerbilder ein, nachdem wir sie in der Zeit vor dem Einschlafen nicht wahrgenommen hatten.\nSo legte ich mich einst mit Muskelschmerzen, die von einer mehrst\u00fcndigen Fu\u00dftour herr\u00fchrten, hin und hatte alsbald die Vorstellung, dass ich als Verstorbener ganz erstarrt sei oder dass ich zusammengeschrumpft wie ein Kind daliege. Bei der Bast nach einem anstrengenden Bitt tauchte die deutliche optische Vorstellung auf, dass ich auf einem Pferd sa\u00df und nur mit gro\u00dfer M\u00fche, unter Schmerzen, die Z\u00fcgel hielt.\nEigenartig ist, dass jenes pl\u00f6tzliche Aufschrecken, das uns nicht selten kurz nach dem Einschlafen wieder weckt, selbst zu einem die Schlummerbilder beeinflussenden Beiz werden kann. Als ich mich einst zur Buhe legte, w\u00e4hrend auf der Stra\u00dfe Wagen rasch vor\u00fcberfuhren, kam di Y Vorstellung, dass ich selbst ritt und den Huf schlag des Pferdes besonders deutlich h\u00f6rte. Pl\u00f6tzlich fuhr ich erschreckt aus diesem kurzen Schjaf auf und hatte dabei die Vorstellung, dass das Pferd, auf dem ichjsa\u00df, heftig hockte und ich deshalb zusammenfuhr.\nEin anderes Mal hatte ich beim Einschlafen die Vorstellung, dass ich eine kurze Treppe hinunterging und nun pl\u00f6tzlich ein paar Stufen hinabstolpere ; in diesem Augenblick wachte ich bereits wieder auf, offenbar indem dies Zusammenschrecken seihst die Vorstellung des Stolperns bewirkte.","page":479},{"file":"p0480.txt","language":"de","ocr_de":"480\nW. Weygandt.\nAuch die Empfindung von Hunger und Durst beeinflusst unsere Schlummerbilder h\u00e4ufig. So dachte ich einst, als ich durstig dalag, beim Einschlafen an einen festlichen Umzug mit Wagen. Beim Eintritt des Schlafs glaubte ich den Zug deutlich vor mir zu sehen und es wurden mir dabei mehrere Gl\u00e4ser Wein und Ananasbowle kredenzt, die ich rasch leerte, darauf noch einmal eine gr\u00f6\u00dfere Menge gef\u00fcllter Gl\u00e4ser, aus denen ich trank, ohne dass mein Durst gel\u00f6scht wurde. Die der Allgemeinempfindung entsprechende Vorstellung war hier erst nach dem Einschlafen lebhafter geworden und hatte die anderen reproducirten Vorstellungen zur\u00fcckgedr\u00e4ngt, doch so, dass sie sich diesen ohne St\u00f6rung anschloss.\nEin anschauliches Beispiel bietet schlie\u00dflich noch der folgende Traum: Nachdem ich von fr\u00fch 8 Uhr an bis Nachmittag 3 Uhr keine Nahrung zu mir genommen, lag ich auf einem Buhebett. Ich las in Turgenjew und kam zu einer Stelle, wo von einem M\u00e4dchen \u00bbmit blonden Flechten\u00ab die Bede war. Meine Lect\u00fcre begleiten gew\u00f6hnlich lebhafte optische Vorstellungen. W\u00e4hrend ich gerade die langen blonden Locken der Lect\u00fcre entsprechend vor mir sehe, wird diese Vorstellung zum Schlummerbild: aus den verschlungenen gelben Locken werden nun Maccaroni oder Nudeln von verschiedener Dicke, ganz \u00e4hnlich verschlungen und von ganz \u00e4hnlicher Hellorangefarbe, wie es bei der italienischen Zubereitung mit Tomatensauce \u00fcblich ist. Ich tr\u00e4ume weiter, dass ich mit einem L\u00f6ffel den ganzen Porzellanteller voll Maccaroni hastig leer esse. Der eintretende Schlaf hatte mir hier den Faden der bisherigen Vorstellungsreihe, die der Lect\u00fcre entsprach, abgerissen; das letzte Bild fand seine Umdeutung durch den Einfluss des Hungers und der ihm entsprechenden, nunmehr ungehindert zum Blickpunkt des Bewusstseins dr\u00e4ngenden Vorstellungen. Dass aus den blonden Flechten gerade Maccaroni wurden, mag in der Erinnerung an die Nudeln begr\u00fcndet sein, die ich einige Stunden vorher bei einer klinischen Visite von den Kranken hatte essen sehen.\nIch will die Sammlung dieser auf Gelegenheitsbeobachtungen beruhenden Fr\u00fchtr\u00e4ume oder Schlummerbilder hier nicht weiter fortsetzen. Gerade entoptische oder entotische Beize spielen bei meinen F\u00e4llen eine geringe Bolle, was sich aus der geringen St\u00e4rke dieser Beize erkl\u00e4rt, die darum nicht so leicht ein Wiederaufwachen aus dem","page":480},{"file":"p0481.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur Psychologie des Traumes.\n481\nsoeben eingetretenen Schlaf bewirken. Jedenfalls zeigen unsere Beispiele einmal, dass bereits vorher vorhandene, continuirliche Beize irgend welcher Art, sei es von der Peripherie her, sei es von k\u00f6rperlichen Zust\u00e4nden herr\u00fchrend, nach dem Eintritt des Schlafes klarer ins Bewusstsein treten als vorher in der wachen Zeit, in der sie eben durch das apperceptive Denken zur\u00fcckgedr\u00e4ngt waren. Soweit unsere Beispiele aber auch eine Vergleichung des Vorstellungsverlaufs vor und nach Eintritt des Schlafs erm\u00f6glichen, sehen wir fernerhin, dass die Kette successiver Associationen nicht direct durchbrochen wird, sondern die auf den continuirlichen Beizen beruhenden, mit dem Schlafeintritt erst ins Bewusstsein tretenden Vorstellungen sich jener Beihe einf\u00fcgen, allerdings um alsbald in den Vordergrund zu treten.\nMit Absicht habe ich bisher die Er\u00f6rterung zweier Punkte unterlassen, einmal die Frage, wie weit die Vorstellungen jeweils dem Beiz ad\u00e4quat sind, dann aber auch, in welcher Weise die associative Verkn\u00fcpfung im einzelnen stattfindet.\nIn den obigen Beispielen sahen wir, dass die Vorstellungen des Schlummerbilds im ganzen dem zu Grunde liegenden Beiz einigerma\u00dfen entsprechen; am genauesten trifft dies zu, wie schon an andern Stellen hervorgehoben, f\u00fcr die durch die Empfindung von Hunger und Durst hervorgerufenen Vorstellungen.l) Bei den \u00fcbrigen Beizen wird die Beizquelle gew\u00f6hnlich nicht im speciellen erkannt, doch entsprechen wenigstens den Tastreizen Ber\u00fchrungsvorstellungen, den optischen Beizen Gesichtsvorstellungen, den akustischen Geh\u00f6rsvorstellungen. Freilich handelt es sich vielfach um Complicationen, selbst in der Weise, dass der herrschende Bestandtheil einer anderen Sph\u00e4re angeh\u00f6rt als die dem Beiz entsprechende Empfindung. Wir sehen die Pferde und h\u00f6ren ihr Getrappel, w\u00e4hrend der Beiz allein in dem Ger\u00e4usch der auf der Stra\u00dfe vorheitrabenden Pferde besteht. Bei dem Druckreiz, den ein Sandkorn in der Bindehaut aus\u00fcbt, wird die optische Vorstellung der entz\u00fcndeten Bindehaut deutlicher als die Ber\u00fchrungsvorstellung.\nManchmal ist es lediglich das lebhafteste Bewusstsein der Identit\u00e4t des Gef\u00fchlstons w\u00e4hrend des Traums und nach dem Erwachen, das die gemeinschaftliche Empfindungsgrundlage best\u00e4tigt. /\n1) Weygandt, Entstehung der Tr\u00e4ume, Leipzig 1893, S. 41. Wundt, Philos. Studien. XX.\t31","page":481},{"file":"p0482.txt","language":"de","ocr_de":"482\nW. Weygandt.\nFig. I-\norangerot\nEs lassen sich nun noch einige Beispiele anschlie\u00dfen, bei denen die Traumvorstellungen nach einer ganz anderen Richtung hin projicirt werden als der, die dem Reiz h\u00e4tte entsprechen sollen. Ich blickte einst im Traum in meiner Heimath auf eine Stra\u00dfe, die ich bestimmt zu erkennen glaubte, und sah auf ihr zwei Pf\u00fctzen, von denen grell refiectirtes Licht zu mir her blitzte. Dieses grelle Aufblitzen war von einem eigenth\u00fcmlichen Gef\u00fchlston der Unlust begleitet, der nach dem sofortigen Erwachen in derselben Weise andauerte und dann sicher auf eine l\u00e4stige Kitzelempfindung in der Scheitelgegend bezogen werden musste.\nEin anderes Mal legte ich mich nieder und sah entoptische Erscheinungen, vor allem citronengelbe, meist l\u00e4nglich gezogene Flecke,\nzum Theil omamentartig angeordnet, auf dunklem Grund. Pl\u00f6tzlich tauchte zwischen diesen gelben Flecken nach links hin ein runder Fleck von grell leuchtender Orangefarbe auf, der mich \u00e4rgerte und kitzelte (Fig. 1). Ich erwachte und sp\u00fcrte eine ganz von demselben Gef\u00fchlston begleitete Ber\u00fchrungsempfindung, die von einem winzigen Fremdk\u00f6rper im Bindehautsack nahe dem Thr\u00e4nenpunkt des linken Auges veranlasst wurde.\nAls mich einmal beim Einschlafen ein Geknatter auf st\u00f6rte, sah ich das Bild eines Gegenstands von der ungef\u00e4hren Form einer Glocke vor mir, der aus zerknittertem Pergamentpapier bestand. Keine akustische Vorstellung war hei mir damit verbunden, der Unlustton jedoch bestand in der gleichen Weise auch nach dem darauf erfolgenden Wiedererwachen.\nAuf einer Eisenbahnfahrt h\u00f6rte ich einschlafend einen Pfiff und sah die Figur eines Vogels von der Gr\u00f6\u00dfe einer Trappe und dem Aeu\u00dferen eines Rebhuhns langsam vor mir erstehen, der sich bemerk-lich machte, ohne dass ich gerade auf sein Pfeifen geachtet h\u00e4tte. Ich erwachte wieder und constatirte, dass die Locomotive gepfiffen.\nEs handelt sich in diesen Beispielen um verwandte Vorg\u00e4nge wie jene, die wir bei Geisteskranken \u00f6fter beobachten k\u00f6nnen und die\ncitronengelb","page":482},{"file":"p0483.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur Psychologie des Traumes.\n483\ndort gelegentlich als Reflexhallucinationen oder Reflexillusionen bezeichnet worden sind. So \u00e4u\u00dferte eine Kranke, sobald eine Th\u00fcre zugeschlagen wurde, stets lebhafte Gef\u00fchlsst\u00f6rungen, rief \u00bbSie brechen mich ab!\u00ab und suchte sich gegen die vermeintliche schmerzhafte Ber\u00fchrung zu sch\u00fctzen.\nEs w\u00fcrde zu weit f\u00fchren, an dieser Stelle auf die Frage der associativen Verkn\u00fcpfung der Traumvorstellungen eingehen zu wollen, da diesen Problemen nicht n\u00e4her getreten werden kann, ohne die Frage der Associationen \u00fcberhaupt aufzurollen, auch wenn man sich auf den Standpunkt versetzt, unter Association nicht eine Bedingung f\u00fcr die Reproduction, sondern letztere selbst verstehen zu wollen. Zweifellos k\u00f6nnten die Untersuchungen \u00fcber die associativen Verbindungen nur gewinnen, wenn dabei auch das Material der Traumpsychologie wie das der Psychopathologie mehr in Ber\u00fccksichtigung gezogen w\u00fcrde. Freilich ist die Beurtheilung des Traummaterials, das uns von fremden Beobachtern dargeboten wird, ungemein schwierig. Je genauer ein Traum reproducirt wird, um so verwickelter erscheinen uns meist die Zusammenh\u00e4nge. Ein Beispiel hierf\u00fcr m\u00f6ge folgender Traum bieten: Ich dachte beim Einschlafen an eine darstellende K\u00fcnstlerin, die ich einmal in einer ausl\u00e4ndischen Stadt gesehen hatte und die mir so sch\u00f6n erschienen war, dass man sie sich zur Frau h\u00e4tte w\u00fcnschen k\u00f6nnen. Im Einschlafen setzte ich diese Reflexionen fort: eine solche Heirath m\u00fcsste ich freilich vor meinen Verwandten verheimlichen, ich k\u00f6nnte jene als Frau nicht zeigen, aber doch w\u00fcrde ich sie in Deutschland versteckt halten. Die Vorstellungsreihe ging weiter : \u00bbwie etwas Gef\u00e4hrliches h\u00e4tte ich sie beh\u00fctet\u00ab. Diese Vorstellungsreihe war begleitet von den optischen Vorstellungen der Schriftbilder\nFig. 2.\njener W\u00f6rter, und zwar der stenographischen. An Stelle des Zeichens f\u00fcr \u00bbh\u00e4tte\u00ab sah ich jedoch das Zeichen f\u00fcr \u00bbhatte\u00ab (Fig. 2), dabei tauchte der jenem Zeichen etwas \u00e4hnlich sehende, schn\u00f6rkelhafte Schriftzug des t\u00fcrkischen Wappens (Fig. 3) optisch vor mir auf, und ich sah mich zugleich in die T\u00fcrkei versetzt. , Der Fortgang der associativen Reihe hatte hiet also an \u00e8ine ihrerseits schon nur mangelhaft zutreffende und wenig betonte Begleitvorstellung angekn\u00fcpft. Angesichts solcher, wohl nur in seltenen\nFig. 3.\n1\nmm\n31*","page":483},{"file":"p0484.txt","language":"de","ocr_de":"484\nW. Weygandt.\nF\u00e4llen zur Reproduction gelangenden Beziehungen erhellt besonders deutlich, mit wie unzul\u00e4nglichen Mitteln unsere Bem\u00fchungen, die reproducirten Tr\u00e4ume in ihrem Zusammenhang erkl\u00e4ren zu k\u00f6nnen, stets zu rechnen haben. Zugleich m\u00fcssen wir nach dieser Richtung die psychologische Erkl\u00e4rung der hei manchen Geisteskranken, insbesondere hei Katatonikem, vorkommenden Erscheinung der In-coh\u00e4renz suchen, hei der im Gegensatz zur Ideenflucht auch nicht einmal der lockerste Zusammenhang zwischen zwei aufeinanderfolgenden Vorstellungen zu erkennen ist.\nBei einer gro\u00dfen Anzahl der Autoren, die sich mit dem Problem der successiven Associationen befassen, ist besonders der Mangel zu bedauern, dass sie die Verh\u00e4ltnisse der complexen Vorstellungen zu wenig ber\u00fccksichtigen. Gerade die Bequemlichkeit der experimentellen Untersuchung der successiven Associationen verleitet zur Au\u00dferachtlassung jener verwickelteren Verh\u00e4ltnisse. Marbe1) hat zweifellos Recht, wenn er behauptet: \u00bbder Fall, dass sich an das geh\u00f6rte Wort eine Bedeutungsvorstellung anreiht, diese eine andere Vorstellung associirt und dann letztere von der Versuchsperson benannt wird, ist jedenfalls nicht der gew\u00f6hnliche\u00ab.\ti\nEs sollte vielmehr davon ausgegangen werden, ob beim Auftreten des reproducirenden Elements die zun\u00e4chst im Vordergrund stehende Vorstellung sich erst zu einer Complication umgestaltet, ehe ein re-producirtes Element auftritt, oder oh letzteres sich sofort an den ersten Vorstellungsbestandtheil des reproducirenden Elements anschlie\u00dft. Den erstem Fall, den wir als successive Association erster Ordnung bezeichnen k\u00f6nnen, finden wir bei Wahrnehmungsvorstellungen am deutlichsten. _ Typische Beispiele daf\u00fcr geben die Klangassociationen ab, die bei manchen Geisteskranken, in Erm\u00fcdungszust\u00e4nden, auch unter Alcohol- oder Hungerwirkung Vorkommen. Hier handelt es sich um das Auftreten des reproducirten Elements lediglich im Anschluss an die wahrgenommene akustische Wortvorstellung, ohne R\u00fccksicht auf die Bedeutung. Schwieriger ist die Beobachtung bei optischen Vorstellungen. Vor allem aber l\u00e4sst sich eine derartige associative Verbindung erster Ordnung nur von dem Beobachter seihst bei sich feststellen, wenn es sich hei dem reproducirenden Element\n1) Experimentelle Untersuchungen \u00fcber die psychologischen Grundlagen der sprachlichen Analogiebildung. Leipzig 1901, bei Engel mann, S. 1.","page":484},{"file":"p0485.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur Psychologie des Traumes. -\t485\nselber schon um eine Erinnerungsvorstellung handelt. Doch auch aus den Beobachtungen des Traumbewusstseins lassen sich einige Beispiele daf\u00fcr anf\u00fchren.\nIch n\u00e4herte mich Abends dem Schlaf mit dem Blick auf ein Blumenbeet im Freien, das von einem kleinen Gitter aus wei\u00dfen, kreuzweise gestellten St\u00e4bchen eingefasst war. Es tauchte allm\u00e4hlich die Vorstellung einer Esssch\u00fcssel aus Porzellan mit durchbrochenem Band auf, der jener Einfassung \u00e4hnlich war. Hier handelte es sich um eine optische Sinnesassociati\u00f6n erster Ordnung, ohne Vermittlung durch eine Bedeutungsvorstellung.\nIn einem Traum sah ich mich in eine Schule versetzt, es sollte ein Klassenfest abgehalten und dazu ein Comit\u00e9 gebildet werden. Ich \u00e4rgerte mich, dass ich nicht ins Comit\u00e9 kam. Nun setzte sich mein Ordinarius aus Sexta zu mir und sprach \u00fcber allerlei, \u00fcber K\u00e4se, \u00fcber einen forensischen Fall, \u00fcber ein Buch. Er schenkte mir Rothwein ein, ich wehrte ab, sagte \u00bbdanke sch\u00f6n, Herr Professor!\u00ab und sah dabei an Stelle des Lehrers einen Universit\u00e4tsprofessor, mit dem ich \u00f6fter \u00fcber die Alkoholfrage debattirt hatte, vor mir sitzen; er sagte: es ist ja nur Wasser. Dieser Uebergang von der Figur des Lehrers auf die des Professors beruhte ausschlie\u00dflich auf einer gewissen \u00e4u\u00dferen Aehnlichkeit ; beide trugen braune Vollb\u00e4rte und hatten ein lebhaft ger\u00f6thetes Gesicht, ohne dass sonst eine Beziehung zwischen beiden Pers\u00f6nlichkeiten bestand. Demnach vollzog sich liier auf Grund dieser ganz \u00e4u\u00dferen, rein sinnlich-optischen Beziehung der Uebergang von der Vorstellungssph\u00e4re der Schulerlebnisse zu dem Gespr\u00e4ch, das die Alkoholfrage ber\u00fchrte.\nDie zuletzt aufgef\u00fchrten Beispiele k\u00f6nnen die Schwierigkeiten in der Analyse der Traumvorstellungen mehr andeuten als aufhellen.\nAus der Exegese von Tr\u00e4umen \u00e4hnlich dem auf Seite 461 geschilderten, die sich durch eine Reihe mehrfach auftretender verwandter Vorstellungen und Affecte auszeichnen, ergibt sich, dass bei ihnen in Anbetracht des jene Wiederkehr \u00e4hnlicher Vorstellungen bedingenden Einflusses bleibender Reize nicht die Rede sein kann von einer \u00bbPerseverationstendenz der Vorstellungen\u00ab im Sinne von M\u00fcller und Pilzecker1), woran man vielleicht denken k\u00f6nnte, wenn\n1) Experimentelle Beitr\u00e4ge zur Lehre vom tjred\u00e4clitmss. Zeitschr. f. Psychol, und Physiol, der Sinnesorgane. Erg\u00e4nzungsband I. Leipzig 1900 (S. \u00d68 ff.).","page":485},{"file":"p0486.txt","language":"de","ocr_de":"486\nW. Weygandt. Beitr\u00e4ge zur Psychologie des Traumes.\nman nichts als den Vorstellungsverlauf jener Tr\u00e4ume ber\u00fccksichtigte. Keineswegs aber darf die Bedeutung der wichtigen Thatsache der Perseverationstendenz f\u00fcr die Traumvorstellungen \u00fcberhaupt geleugnet werden; als eines der vielen Beispiele hierf\u00fcr w\u00e4re etwa anzuf\u00fchren die bei Gelegenheit des Hungertraumes erw\u00e4hnte Specialisirung der Vorstellung des Hungerstillens durch Maccaroni in Hinblick darauf, dass der Beobachter einige Stunden vorher eine derartige Speise gesehen hatte.\nEs w\u00fcrde an dieser Stelle zu weit f\u00fchren, n\u00e4her auf die Frage der associativen ^Verbindungen im Traum einzugehen. Ich m\u00f6chte mich vielmehr im wesentlichen auf die Besprechung der Bewusstseinsvorg\u00e4nge beim Einschlafen beschr\u00e4nkt haben.\n1)\tEs bestehen dauernd gewisse somatische Sensationen, darunter auch entoptische und entotische Erscheinungen, welche ebenso wie minimale periphere Beize continuirlicher Art im wachen Leben nur bei besonderer Aufmerksamkeitsanspannung wahrgenommen werden, im \u00fcbrigen auch starken individuellen Differenzen unterliegen.\n2)\tIn der Zeit vor dem Einschlafen k\u00f6nnen beim Erschlaffen des apperceptiven Denkens die pr\u00e4s omnischen Sensationen auftreten, beruhend auf jenen somatischen Sensationen oder auf anderen leichten, andauernden Sinnesreizen von der Peripherie her, welche w\u00e4hrend des wachen Lebens nicht in den Blickpunkt des Bewusstseins treten.\n3)\tMit dem Moment des Einschlafens, der psychologisch durch das Verschwinden des Situationsbewusstseins markirt ist, treten jene Sensationen in die Traumvorstellungen \u00fcber. Es k\u00f6nnen die pr\u00e4som-nischen Sensationen zu allerlei phantastischen Vorstellungen Anlass geben, oder aber der Schlaf tritt ohne das Zwischenstadium jener pr\u00e4somnischen Erscheinungen ein, wobei dann die somatischen Sensationen oder andere continuirlichere Sinnesreize, die zur Zeit des apperceptiven Denkens in den Hintergrund des Bewusstseins gedr\u00e4ngt waren, deutlicher percipirt werden; die ihnen entsprechenden Vorstellungen f\u00fcgen sich in den Verlauf der associativen Verbindungen ein und treten alsbald in den Vordergrund des Traumbewusstseins.","page":486}],"identifier":"lit4491","issued":"1902","language":"de","pages":"456-486","startpages":"456","title":"Beitr\u00e4ge zur Psychologie des Traumes","type":"Journal Article","volume":"20"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T13:18:16.051543+00:00"}