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{"created":"2022-01-31T12:39:27.707864+00:00","id":"lit4492","links":{},"metadata":{"alternative":"Philosophische Studien","contributors":[{"name":"Wirth, Wilhelm","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Philosophische Studien 20: 487-669","fulltext":[{"file":"p0487.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung.\nVon\nWilhelm Wirth.\nLeipzig.\nMit Tafel I\u2014HI.\n1. Kapitel.\nEinleitung und Vorfragen.\nEinleitung. Dass der Umfang unseres actuellen psychischen Lebens jeweils ein beschr\u00e4nkter ist und beim Auftreten neuer Vorstellungen im Allgemeinen andere zur\u00fccktreten m\u00fcssen, geh\u00f6rt zu den selbstverst\u00e4ndlichsten Beobachtungen, die sich bei einigerma\u00dfen zusammenh\u00e4ngender Betrachtung des Seelenlebens aufdr\u00e4ngen m\u00fcssen. Bei derartig oberfl\u00e4chlich sch\u00e4tzenden Ueberlegungen zur Feststellung der Begrenztheit des psychischen Lebens \u00fcberhaupt bleibt es nat\u00fcrlich gleichg\u00fcltig, welche Zeitstrecke des bisherigen Verlaufes ins Auge gefasst wird. Die Endlichkeit des schlie\u00dflichen Gesammtumfanges ist noch von Niemandem bestritten worden, der seine Aeu\u00dferungen unmittelbar auf die Bewusstseinsinhalte bezogen wissen wollte und nicht auf eine Actualit\u00e4t im metaphysischen Sinne, wie es z. B. bei Leibniz gemeint war. In der fr\u00fcheren Psychologie1) standen nun derartige Betrachtungen ziemlich unvermittelt neben dem Versuch, vor allem die Entstehung der gr\u00f6\u00dferen zeitlichen Zusammenh\u00e4nge von theoretischer und praktischer Bedeutung zu betrachten und hierdurch die einfachste Analyse der Vorstellungsqualit\u00e4ten in gro\u00dfen\n1) Ueber die sonstige Geschichte der Messung des Bewusstseinsumfanges vgl. auch G. Dietze, Wundt, Philos. Studien II, S. 362 ff. und Wundt, Philos. Studien VI, S. 250 f.","page":487},{"file":"p0488.txt","language":"de","ocr_de":"488\nWilhelm Wirth.\nZ\u00fcgen zu dem Bilde eines gesetzm\u00e4\u00dfig geordneten Verlaufes zu vervollst\u00e4ndigen, ohne viel R\u00fccksicht auf die concrete Gestaltung in den einzelnen Momenten. Erst Herb art hat auf die Bedeutung jener Thatsache der \u00bbBewusstseinsenge\u00ab f\u00fcr den Aufbau einer systematischen Psychologie hingewiesen. Allerdings widersprechen seine sonstigen Voraussetzungen \u00fcber das Wesen der Vorstellungen dem unmittelbaren Ergebniss der Analyse des Bewusstseins, insofern die An-theilnahme der einzelnen Elemente des Bewusstseins an dem gesummten Umfange von ihm schlie\u00dflich ganz und gar als ein Wettstreit von substantialisirten Vorstellungswesen gedeutet wurde. Doch / bleibt ihm das Verdienst, als erster die M\u00f6glichkeit der Feststellung einer relativ kl\u00e4ren Gesetzm\u00e4\u00dfigkeit in dieser Vertheilung je nach Zahl, Art und gegenseitiger Beziehung der Elemente erkannt zu haben. Je durchsichtiger aber ein Zusammenhang schon hei einer allgemeinen Uebersicht erscheint, um so aussichtsreicher ist auch der Versuch, zu einer exacteren Analyse des Thatbestandes fortzuschreiten. Hierbei gen\u00fcgt aber nun nat\u00fcrlich nicht mehr jene oberfl\u00e4chliche Feststellung der Endlichkeit des Bewusstseins \u00fcberhaupt, ohne genauere Ber\u00fccksichtigung der betrachteten Zeitstrecke und der Vorstellungselemente, welche im Verlauf dieser Zeit innerhalb des Bewusstseins zur Geltung kamen. Vergleichbare Resultate k\u00f6nnen nur bei gleichen Zeitstrecken und vergleichbarer Ausf\u00fcllung derselben erlangt werden. Auch w\u00e4chst die Feinheit der Untersuchung nat\u00fcrlich mit der Kleinheit der Zeitstrecke, \u00fcber die wir noch eine relativ sichere Auskunft in dieser Hinsicht zu gehen verm\u00f6gen, und mit der Feinheit der Abstufungsm\u00f6glichkeiten der verwendeten Inhalte. Hier versagt nat\u00fcrlich die allt\u00e4gliche Beobachtung schon wegen der Unsicherheit des Zeitbewusstseins hinsichtlich kleinster Zeitstrecken und muss sich dieselbe hei Herbart1) z. B. auf die Annahme einer \u00bb\u00e4u\u00dferst kleinen Zahl\u00ab beschr\u00e4nken, die gleichzeitig vom Bewusstsein \u00bbumfasst\u00ab werden kann. Die gro\u00dfe \u00bbBeweglichkeit\u00ab des Bewusstseins, von der an der gleichen Stelle die Weite der Oomhinationen geistvoller Menschen abgeleitet wird, l\u00e4sst nat\u00fcrlich zugleich auch T\u00e4uschungen \u00fcber den jeweiligen Umfang des Bewusstseins sehr leicht m\u00f6glich erscheinen und erfordert eine umso feinere Zeiteintheilung,\n1) Herbart, Lehrbuch zur Psychologie, S. 91.","page":488},{"file":"p0489.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung. 489\num mit einer \u00bbMessung\u00ab des simultanen Umfanges nur einigerma\u00dfen nachzukommen.\nAls nun Herr Professor Wundt die Psychophysik als exacte Bestimmung von Empfindungsintensit\u00e4ten und deren gegenseitigen Beziehungen zu einer allgemeinen experimentellen Psychologie zu erweitern unternahm, welche die aus der Beobachtung des allt\u00e4glichen Seelenlebens in gr\u00f6beren Umrissen bekannten Zusammenh\u00e4nge so weit als m\u00f6glich in exacterer Weise analysiren und neben einer gr\u00f6\u00dferen Vergleichbarkeit der beigezogenen Einzelf\u00e4lle des Untersuchungsgebietes insbesondere so weit als m\u00f6glich genauere Ma\u00dfverh\u00e4ltnisse anstreben sollte, erschien als ein aussichtsreiches Problem in dieser zuletzt genannten Hinsicht vor allem auch die genauere Bestimmung des Umfanges der gleichzeitigen seelischen Vorg\u00e4nge.\n1) Die Gliederung des Bewusstseins nach seiner Klarheit. \u2014 Einfluss auf die Erinnerung und nachtr\u00e4gliche Wiedergabe. Bei der Behandlung eines so allgemein gestellten Probl\u00e8mes erheben sich jedoch zun\u00e4chst gewisse theoretische Vorfragen, die sich auf das Wesen des jeweiligen Gesammt-inhaltes eines Bewusstseinsmomentes beziehen1). Ihre Behandlung in dem auch hier vertretenen Sinne war denn bekanntlich auch bereits von Wundt selbst allen experimentellen Einzeluntersuchungen vorausgeschickt worden. Die Bestimmung des Bewusstseinsumfanges w\u00e4re offenbar eine viel einfachere Sache, als sie es thats\u00e4chlich ist, wenn das ganze Bewusstsein in jedem Momente nur aus lauter Vorstellungselementen zusammengesetzt w\u00e4re, deren wir uns als solcher gleichzeitig oder wenigstens in einer zeitlich sich anschlie\u00dfenden Reflexion mit derjenigen Sicherheit unmittelbar vergewissern k\u00f6nnten, die jederzeit nothwendig ist, wenn aus dem Erleben von Bewusstseinsinhalten auch eine psychologisch-wissenschaftliche Verwertung hervorgehen soll.\nDas Verfahren w\u00e4re dann in keiner Weise von der Analyse der\n1) Vgl. im Folgenden vor allem auch Th. Lipps, Grundthatsachen des Seelenlebens, 1883, bes. Kap. VIII, S. 151 (Von der Begrenztheit der seelischen Kraft), sowie \u00bbKomik und Humor\u00ab 1898, S. 117 f.","page":489},{"file":"p0490.txt","language":"de","ocr_de":"490\nWilhelm Wirth.\nElemente eines einzelnen, m\u00f6glichst einfachen Vorstellungsobjectes verschieden, das mit allen in Betracht kommenden Theilen und Eigenschaften gleichzeitig und vollst\u00e4ndig von uns klar \u00fcbersehen oder gleichm\u00e4\u00dfig voll beachtet wird. An einen solchen Bewusstseinsinhalt kann sich jederzeit nach Belieben die besondere Leistung der Erkeimtniss der Zugeh\u00f6rigkeit des Inhaltes zum unmittelbar erlebten subjectiven Gesammtbestande mit Sicherheit anschlie\u00dfen, w\u00e4hrend abgesehen von diesen speciellen Bedingungen, bei der n\u00e4mlichen That-s\u00e4dhlichkeit des Erlebens entsprechend geringere Grade der Sicherheit vorhanden sind. Diese besondere Stellung eines Inhaltes ist also nur ein g\u00fcnstigster Fall, der innerhalb des ganzen Bewusstseins-umfauges jeweils nur einer beschr\u00e4nkten Gruppe von Vorstellungselementen Vorbehalten ist. Insofern die unmittelbare psychologische Erkenntniss anderer Inhalte jener logischen Vollwerthigkeit entbehrt, kann die einfache Selbstbeobachtung somit h\u00f6chstens die allgemeine Thatsache mit Sicherheit feststellen, dass sich der Umkreis von Inhalten mit jener besonderen Charakterisirung, die als Klarheit und Deutlichkeit bezeichnet zu werden pflegt, aus einer Region der unklaren und undeutlichen Inhalte heraushebt. Die voll bewusste, klare und deutliche Gruppe bezeichnet Wundt bekanntlich als im \u00bbBlickpunkt des Bewusstseins\u00ab befindlich oder als Gegenstand der Apperception1), der von einem gr\u00f6\u00dferen \u00bbBlickfeld\u00ab voll unklarer und undeutlicher Inhalte oder der Region der blo\u00dfen \u00bbPerception\u00ab umgeben ist. Damit ist aber auch die Leistungsf\u00e4higkeit der unmittelbaren Wiedergabe aus der Reflexion abgegrenzt. In jene im unmittelbaren Erleben unklare Region wird die Reflexion auch nicht nachtr\u00e4glich diejenige Klarheit und Deutlichkeit hineinbringen k\u00f6nnen, welche zur vergleichbaren quantitativen Bestimmung ihres Umfanges durch die unmittelbare Wiedergabe nothwendig ist.\nDamit ist keineswegs die psychologische Reflexion als solche der unklaren Region gegen\u00fcber f\u00fcr unzust\u00e4ndig erkl\u00e4rt, als ob es schon an sich eine Undenkbarkeit bedeute, dass man sich das ehemals unklar und ohne Aufmerksamkeit nebenbei Erlebte nachtr\u00e4glich \u00bbklar zu machen\u00ab versuchte. Allerdings m\u00fcssen sich die Gegenst\u00e4nde der wissenschaftlichen Reflexion im Verlauf derselben im Blickpunkte des\n1) Wundt, Grundriss der Psychologie, 4. Aufl. S. 250 ff.","page":490},{"file":"p0491.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung. 491\nBewusstseins befinden. Unklare Erlebnisse k\u00f6nnen also nur in ihren Erinnerungsbildern diese Stellung erlangen. Sie sind aber doch mit allen ihren Eigenth\u00fcmlichkeiten ebenso eindeutig bestimmte Bewusstseinsinhalte wie die Vorstellungen, die im unmittelbaren Erleben appercipirt wurden. Falls es also \u00fcberhaupt eine Erinnerung g\u00e4be, welche alle Qualit\u00e4ten, so wie sie erlebt wurden, auch sp\u00e4terhin zu reproduciren verm\u00f6chte, so m\u00fcsste sich dann auch unsere Aufmerksamkeit unter Zur\u00fcckdr\u00e4ngung anderer Inhalte erfolgreich mit diesen Inhalten besch\u00e4ftigen k\u00f6nnen, und dies w\u00e4re eben der Vorgang, in welchem man sich \u00fcber unklar Erlebtes klar werden k\u00f6nnte. Je vorz\u00fcglicher nun das Ged\u00e4chtniss des Menschen hierbei f\u00fcr eine gleichm\u00e4\u00dfige Festhaltung des gesammten Bewusstseinsumfanges begabt w\u00e4re, um so sicherer w\u00fcrden schlie\u00dflich durch h\u00e4ufige Aus\u00fcbung der Reflexion \u00fcber die unklareren Regionen beliebig viele Elemente oder Eigenschaften aus denselben abstrahirt werden k\u00f6nnen. Auch diese Region enth\u00e4lt ja eine reiche Differenzirung der Inhalte als solcher, wenn auch mit einer gewissen Ausgleichung der Ueberg\u00e4nge, gleichg\u00fcltig, ob dieselbe nur in der verminderten Auffassung der Grenzen, der Undeutlichkeit, oder zugleich in der inhaltlichen Verbindungsweise besteht. Es m\u00fcsste also durch Vergleichung m\u00f6glichst vieler inhaltlich verschieden ausgef\u00fcllter Umf\u00e4nge und durch Feststellung von Aehnlichkeiten und Verschiedenheiten schlie\u00dflich ebenso eine Art abstrahirender Analyse rein perceptiver Elemente durchgef\u00fchrt werden k\u00f6nnen, wie die gew\u00f6hnliche Vorstellungsanalyse zun\u00e4chst die einzelnen apperceptiven Elemente und Merkmale feststellt. Nach einer solchen Herausarbeitung bekannter perceptiver Qualit\u00e4ten, die nat\u00fcrlich durchg\u00e4ngig auch zu entsprechenden apperceptiven Inhalten Aehnlichkeiten auf weisen, w\u00fcrde dann auch die Wiedererkennung derselben und die Feststellung derartiger Elemente in den einzelnen Gesammtbest\u00e4nden m\u00f6glich sein, wie sie f\u00fcr eine m\u00f6glichst vollst\u00e4ndige Umfangsbestimmung nothwendig ist. Eine solche gleichm\u00e4\u00dfig ersch\u00f6pfende Analyse des gesammten Umfanges durch die einfache Reflexion und die unmittelbare Wiedergabe des Erlebten ist aber eben deshalb nicht erreichbar, weil die soeben hervorgehobene Grundvoraussetzung f\u00fcr diese Einbeziehung der unklaren Region nicht zutrifft, dass die ehemaligen Vorstellungen von geringerer Beachtung auch hinreichend und sicher reproducirt werden k\u00f6nnten.","page":491},{"file":"p0492.txt","language":"de","ocr_de":"492\nWilhelm Wirth.\nJe weiter eine Vorstellung im unmittelbaren Erleben vom Blickpunkte des Bewusstseins entfernt war, um so weniger sind wir nachher im st\u00e4nde, sie in dieser eindeutigen Qualit\u00e4t des Erlebens im Ged\u00e4chtniss festzuhalten. Die Treue der Reproduction geht dem Bewusstseinsgrade gewisserma\u00dfen direct proportional, wie schon seit den \u00e4ltesten Zeiten in der Abh\u00e4ngigkeit des Ged\u00e4chtnisses von der Aufmerksamkeit anerkannt worden war. Dies entspricht ja auch vollkommen der Bedeutung, welche der einzelne Klarheitsgrad innerhalb des jeweiligen Gesammtbewusstseins beim unmittelbaren Erleben besitzt. Der Bewusstseinsgrad ist gewisserma\u00dfen ein directer Ma\u00dfstab f\u00fcr die Intensit\u00e4t des psychischen Processes an einer bestimmten Stelle des seelischen Lebens, und je energischer ein psychischer Process sich vollzieht, um so nachdr\u00fccklicher wird auch die entsprechende Disposition einge\u00fcbt. Die Ein\u00fcbung und die mit ihr erm\u00f6glichte Analyse hat also zwar, wegen der Bewusstheit \u00fcberhaupt, auch noch innerhalb der unklaren Region einen gewissen Spielraum, wenn sie wenigstens die geringen Spuren dieser weniger beachteten Elemente m\u00f6glichst bald ausn\u00fctzt und vor dem v\u00f6lligen Versinken bewahrt, das ihnen im allt\u00e4glichen Leben zu Theil wird, wo auch die Erinnerung in Ermangelung anderer Interessen in der Hauptsache in den urspr\u00fcnglich klareren Regionen aufzugehen pflegt. Es ist aber doch niemals m\u00f6glich, den principiellen Defect aufzuhehen, wonach von dem urspr\u00fcnglichen Erlebniss von vornherein nur ein entsprechend geringer Procentsatz in die Erinnerungsvorstellung \u00fcbergeht, mag sich dieselbe auch noch so unmittelbar an das Erlebniss selbst anschlie\u00dfen.\nAnmerkung. Diese Abh\u00e4ngigkeit des Ged\u00e4chtnisses von den unmittelbar erlebten Bewusstseinsgraden besteht offenbar auch da, wo infolge krankhafter Anlage eine eigenartige Dissociation des Bewusstseins in dem Sinne besteht, dass mehrere disparate Elemente und Zusammenh\u00e4nge neben einander eine relativ gleichm\u00e4\u00dfige Beachtung erlangen k\u00f6nnen, im Gegensatz zu der sch\u00e4rferen Ausgepr\u00e4gtheit des Gegensatzes der apperceptiven und perceptiven Regionen in der normalen Concentration. Wenn also ein Ged\u00e4chtniss f\u00fcr Nebens\u00e4chlichkeiten manchmal als Begleiterscheinung derartiger Zust\u00e4nde auftritt, so beruht dies nat\u00fcrlich nicht auf einer relativen Beg\u00fcnstigung der Merkf\u00e4higkeit f\u00fcr weniger beachtete Vorstellungen, sondern eben auf jener gleichm\u00e4\u00dfigeren Vertheilung der Klarheit im Erleben selbst.\n2) Die speciellere Gliederung des Bewusstseins. \u2014 Genauere Formulirung des Umfangsproblems. Wenn aber nun","page":492},{"file":"p0493.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung. 493\nauch die einfache Reflexion und unmittelbare Wiedergabe aus den angegebenen Gr\u00fcnden zu einer Detailanalyse der unklareren Region und einer herauf gegr\u00fcndeten Umfangsbestimmung nicht ausreicbt, so erm\u00f6glicht sie doch eben die Feststellung der allgemeinen Gliederung des Bewusstseins \u00fcberhaupt nach den verschiedenen Klarheitsgraden, was f\u00fcr die L\u00f6sung unseres Problems besonders wichtig ist. Denn auch alle indirecten Methoden, wie sie unten in Cap. 3 u. 4 zur Sprache kommen, f\u00fchren doch schlie\u00dflich auf eine solche Ueber-legung \u00fcber diese Gliederung nach Bewusstseinsgraden zur\u00fcck, welche nur durch die einfache Reflexion geleistet werden kann. Somit gibt diese sogenannte Selbstbeobachtung erst die n\u00e4here Formulirung des allgemeinen Problems einer Bestimmung des Bewusstseinsumfangs mit seinen verschiedenen Regionen an die Hand. Hierbei zeigt sich vor allem noch, dass die Gegen\u00fcberstellung einer apperceptiven und perceptiven Region nicht etwa blo\u00df als eine einfache Zweitheilung des Bewusstseins zu denken ist. Innerhalb des simultanen Ganzen sind jederzeit mehrere Stufen der Beachtung und der Klarheit neben einander m\u00f6glich1), je nach der gr\u00f6\u00dferen oder geringeren Zahl von Einheitsbildungen, auf welche sich das Subject augenblicklich im unmittelbaren Erleben bezieht. Wenn auch unter Umst\u00e4nden in einer Art von Zweitheilung eine ziemlich gleichm\u00e4\u00dfig beachtete Region einem \u00e4hnlich gleichm\u00e4\u00dfig unbeachteten \u00bbHintergr\u00fcnde\u00ab, bezw. einer \u00bbPeripherie\u00ab des Bewusstseins gegen\u00fcherstehen kann, so bezeichnet doch der Begriff der Apperception mehr eine allgemeine Richtung des Processes, welcher innerhalb des ganzen Blickfeldes an verschiedenen Stellen in ungleicher Vollkommenheit durchgef\u00fchrt ist, so dass sich das Bild eines Reliefs mit verschieden vertheilten H\u00f6henlagen besonders gut zur Versinnlichung dieses Thathestandes eignet, in welchem die Gliederung der Grundfl\u00e4che den Vorstellungen, die H\u00f6he den Graden der Klarheit oder des Stadiums jenes Processes entspricht. Daher ist auch die Bezeichnung dieser H\u00f6he als \u00bbBewusstseinsgrad\u00ab f\u00fcr die kurze Darstellung dieser m\u00f6glichen Mannigfaltigkeit der Klarheitsvertheilung besonders geeignet. Damit erf\u00e4hrt dann nat\u00fcrlich auch der Versuch einer Wiedergabe des gesammten Bewusstseinsumfanges eine weitere Pr\u00e4ci-\n1) Wundt, a. a. O.","page":493},{"file":"p0494.txt","language":"de","ocr_de":"494\nWilhelm Wirth.\nsirung. Denn die sogenannte Enge des Bewusstseins, welche den Versuch einer n\u00e4heren Bestimmung seines Umfanges \u00fcberhaupt als sinnvoll erscheinen l\u00e4sst, \u00e4u\u00dfert sich bekanntlich nicht so sehr in einer festen Einschr\u00e4nkung der Zahl von unterscheidbaren Elementen, die innerhalb des gesammten Bewusstseins mit seiner apperceptiven und perceptiven Region Vorkommen, als insbesondere in einer Einschr\u00e4nkung des Gesammtwerthes der verschiedenen Klarheitsgrade der simultan bewussten Einzelelemente. Die Zusammenfassung und Gliederung zu einer bestimmten Anzahl inhaltlicher Untereinheiten des augenblicklichen Gesammtbestandes und die gr\u00f6\u00dfere Concentration oder Ausgleichung der Aufmerksamkeit wechseln hingegen fortw\u00e4hrend ganz beliebig sowohl je nach den inneren, objectiven Verh\u00e4ltnissen der Vorstellungen selbst, - der Anordnung der Qualit\u00e4ten u. s. w., als auch je nach dem subjectiven Interesse, welches anderweitige k\u00fcnstliche Eintheilungsgr\u00fcnde an das Chaos der Vorstellungen heranbringt. Jedenfalls sind also diese Vorg\u00e4nge der Einheitsbildung und Aufmerksamkeitsvertheilung, welche jene Regionen innerhalb des Blickfeldes zu st\u00e4nde kommen lassen, von dem Gesammtumfang im allgemeinen unabh\u00e4ngige Factoren. Die Enge des Bewusstseins bestimmt eben nur die Klarheitsgrade, welche unter Voraussetzung einer bestimmten Gliederung den Untereinheiten derselben noch zukommen k\u00f6nnen, ohne dass freilich die Form der Gliederung f\u00fcr die Theilwerthe v\u00f6llig gleichg\u00fcltig w\u00e4re. Mit geringeren Klarheitsgraden kann also eine entsprechend gr\u00f6\u00dfere Zahl von Inhalten auftreten. Hieraus ergibt sich aber nun auch die einzig m\u00f6gliche Form, unter welcher der Ausdruck f\u00fcr einen Gesammtumfang des Bewusstseins jeweils \u00fcberhaupt denkbar ist. Er kann immer nur als eine Reihensumme gefasst werden, deren Glieder den Bewusstseinsgrad der einzelnen Elemente enthalten, dessen Vergleichbarkeit in quantitativer Hinsicht bereits in der Bezeichnung als >Grad\u00ab richtig zum Ausdruck gekommen ist. Ist es doch auch eines der sichersten Ergebnisse der Selbstbeobachtung, dass die \u00bbOoncurrenz\u00ab der Vorstellungen gerade in der gegenseitigen Beschr\u00e4nkung der Bewusstseinsgrade besteht; wie es auch wiederum dem Wesen dieser Grade als Ma\u00dfstab der Intensit\u00e4t des seelischen Processes \u00fcberhaupt entspricht.","page":494},{"file":"p0495.txt","language":"de","ocr_de":"495\nZur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung.\n3) Stellung der Gem\u00fcthsbewegungen dem allgemei.aen psychischen Wettstreit um das Bewusstsein, \u2014- Ihre Aus* Schaltung von der engeren Fragestellung. In de\u00bb letzten Ausf\u00fchrungen ist immer nur von der Ausf\u00fcllung des Bewusstseins durch Vorstellungselemente die Bede gewesen. Dieser Ausdruck war dabei keineswegs ohne den speciellen Sinn gebraucht, in dem er die sogenannten \u00bbobjectiven\u00ab Inhalte des Bewusstseins, die Empfindungen und reproductiven Vorstellungen, im Gegensatz zu der \u00bbsubjectiven\u00ab Seite des Bewusstseins, den Gem\u00fctbsbewegun-gen, bezeichnet. Die Frage nach dem Umfange des Bewusstseins scheint sich aber noch mehr zu compliciren, wenn man ber\u00fccksichtigt, dass f\u00fcr eine Art von Aufz\u00e4hlung des gesammten Inhaltes in jedem Augenblicke die Gef\u00fchls- und Vorstellungsseite gleichm\u00e4\u00dfig zu ber\u00fccksichtigen w\u00e4ren.\nOhne dass bei der Beschr\u00e4nktheit des Baumes auf das Wesen der Gef\u00fchlsanalyse n\u00e4her eingegangen werden k\u00f6nnte, soll nur hervorgehoben werden, dass die eigenartige Stellung der Gef\u00fchle im Gegensatz zur Vorstellung beim unmittelbaren Erleben eine nachtr\u00e4gliche apperceptive Analyse derselben und damit also eine Einbeziehung in eine m\u00f6glichst vollst\u00e4ndige Umfangsbestimmung an und f\u00fcr sich in keiner Weise ausschlie\u00dft. Bei der unvergleichbaren Einheitlichkeit, in welcher die Gef\u00fchlsseite des Bewusstseins jeweils gegeben ist, entspricht dem Nebeneinander relativ isolirt aufgefasster Vorstellungselemente, z. B. dem Wettstreit von Motiven, ein eigenartiges Ineinander von Eigenth\u00fcmlichkeiten, welche durch eine reflective Abstraction mehr oder weniger deutlicher Gef\u00fchlsmomente feststellbar sind. Man k\u00f6nnte also f\u00fcr solche F\u00e4lle in analoger Weise fragen, wieviel relativ unterscheidbare Gef\u00fchlsmomente in der einheitlichen Gem\u00fcthsbewegung in entsprechenden Graden gegeben sein k\u00f6nnen, so dass sie dann auch mit einer gewissen Deutlichkeit und Sicherheit aus dem empirisch gegebenen Bewusstseinsganzen herausgehoben werden k\u00f6nnen. Bei einheitlicheren Gef\u00fchlswirkungen w\u00fcrde sich freilich die Frage nach dem Umfangswerthe des Gef\u00fchles zugleich mit derjenigen nach dem \u00bbBewusstseinsgrade\u00ab auf diejenige nach der Intensit\u00e4t reduciren. Bei dieser ganzen Frage handelt es sich aber nicht etwa um die blo\u00dfe Wiederspiegelung der Ooncurrenz m dem objectiven Vorstellungsbestande gem\u00e4\u00df der gegenseitigen","page":495},{"file":"p0496.txt","language":"de","ocr_de":"496\nWilhelm Wirth.\nAbh\u00e4ngigkeit, sondern vor allem darum, ob das einheitliche Gesammt-gef\u00fchl bei der Ausf\u00fcllung des Bewusstseinsumf anges jeweils selbst\u00e4ndig mitwirkt, wie die getrennten Einzelvorstellungen. Der Begriff des Bewusstseinsumfanges besitzt nun seine thats\u00e4chliche Bedeutung nicht als Ausdruck der jeweiligen Endlichkeit \u00fcberhaupt, sondern als eine Art von Constante, die im Wechsel der psychischen Processe ihre Geltung beh\u00e4lt. Nur deshalb bedeutet ja diese Gesetzm\u00e4\u00dfigkeit, welche eben als \u00bbEnge\u00ab des Bewusstseins bezeichnet zu werden pflegt, eine Concurrenz der einzelnen Inhalte in dem Sinne, dass die einen aus dem Bewusstsein, bezw. aus seinem \u00bbBlickpunkt\u00ab zur\u00fccktreten m\u00fcssen, wenn die anderen eine besondere Geltung erlangen sollen. Wenn also die Gef\u00fchle ohne jede Betheiligung an der Oon-currenz innerhalb des Bewusstseins neben den Vorstellungen st\u00e4nden, so k\u00f6nnte man immerhin f\u00fcr unser Hauptproblem von jeder Ber\u00fccksichtigung der Gef\u00fchle in dieser Ueberlegung absehen. Aber dies ist eben gerade noch die Frage, ob und in wie weit die Gef\u00fchle in diese Concurrenz als selbst\u00e4ndige Factoren mit eintreten, so dass sie einerseits die Bewusstseinsgrade aller gleichzeitigen Vorstellungen ebenso herabsetzen, wie die gleichzeitige Beachtung eines besonderen Vorstellungsinhaltes neben den \u00fcbrigen, und anderseits auch die gleichzeitigen Regungen der Gef\u00fchlsseite des Bewusstseins selbst beeintr\u00e4chtigen.\nZun\u00e4chst d\u00fcrfte freilich nicht etwa die Bedeutung, welche das Werthungs- und Th\u00e4tigkeitsbewusstsein f\u00fcr den Vorstellungsverlauf und die Aufmerksamkeitsvertheilung besitzt, als eine Beeinflussung im Sinne jener Concurrenz aufgefasst werden, welche zwischen den einzelnen Inhalten rein um ihres Bewusstseinsantheiles willen entsteht. Das Interesse, welches als subjectiver* Factor im pr\u00e4gnanten Sinne, abgesehen von den Intensit\u00e4tsverh\u00e4ltnissen und den Erfahrungsassociationen zwischen den Inhalten selbst, die \u00bbuninteressanten\u00ab Vorstellungen zur\u00fccktreten l\u00e4sst, wirkt in dieser Weise nur wegen der Concurrenz der bevorzugten Vorstellungen, deren erstrebte Klarheit bei dem thats\u00e4chlichen Umfange eben einmal nicht anders zu erreichen ist. Auch die Festhaltung einer ganz bestimmten Concentration der Aufmerksamkeit unter relativ scharfer Abgrenzung vom \u00bbHintergr\u00fcnde\u00ab beruht jederzeit nur auf dem besonderen Werthe der durch diese Gliederung erlangten Vorstellungsklarheit. Sie","page":496},{"file":"p0497.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung. 497\nverschwindet, wo ein ausgedehntes Ganze in seiner Gesammtwirkung ohne besondere Concentration seinen eigentlichen Werth besitzt, wie z. B. bei vielen auf die allgemeine Stimmung berechneten Kunstwerken.\nBei der eigenartigen Abh\u00e4ngigkeit der Gem\u00fcthsbewegungen von den Vorstellungen w\u00e4re ferner f\u00fcr den Fall einer thats\u00e4chlichen Con-currenz nat\u00fcrlich niemals an eine v\u00f6llige Verdr\u00e4ngung der Gef\u00fchle durch die Vorstellungen zu denken, da eben jeder Gesammtbestand die eigenartige Constitution aus subjectiver und objectiver Seite aufweist. Ferner w\u00e4re auch innerhalb der Gem\u00fctsbewegungen wegen der fortw\u00e4hrenden Entstehung von activen Regungen aus den mehr passiven Werthgef\u00fchlen im engeren Sinne eine v\u00f6llige Verdr\u00e4ngung des einen durch das andere ausgeschlossen, selbst wenn au\u00dferdem noch ein Concurrenzverh\u00e4ltniss zwischen diesen beiderseitigen Bewusstseinsinhalten vorhanden w\u00e4re. Doch kann man wohl kaum aus der besonderen Eigenart der sogenannten suhjectivenBewusstseinsinhalte, der Gem\u00fcthsbewegungen, sozusagen a priori auf ihre principielle Indifferenz gegen\u00fcber der Concurrenz um einen Antheil vom Bewusstseinsumfange schlie\u00dfen. Bei diesen Erlebnissen, die durchweg von den Vorstellungen und ihren gegenseitigen Verh\u00e4ltnissen abh\u00e4ngig sind, und eine Art Reaction des Subjects auf die Vorstellungen bedeuten, k\u00f6nnte es ja allerdings fraglich erscheinen, ob sie noch einmal als besondere concurrirende Factoren hei der Ausf\u00fcllung des Bewusstseins in Anrechnung gebracht werden d\u00fcrfen. Und doch steht die jedenfalls unbestreitbare Abh\u00e4ngigkeit der Gef\u00fchle von einer bestimmten Vorstellungscombination, wonach der n\u00e4mlichen Configuration der Vorstellungen ungef\u00e4hr die n\u00e4mlichen Gef\u00fchle entsprechen, an und f\u00fcr sich mit der Concurrenzm\u00f6glichkeit in gar keinem Widerspruche. Bei der Ableitung dieser Abh\u00e4ngigkeit wird ja noch an gar keine Variation der f\u00fcr die Ausn\u00fctzung des Umfanges in Frage kommenden Bedingungen gedacht. Man kann nicht a priori sagen, dass das Gef\u00fchl hei der n\u00e4mlichen Vorstellungscombination mit derselben Klarheitsvertheilung u. s. gl. U. das n\u00e4mliche w\u00e4re, wenn der m\u00f6gliche Gesammtumfang f\u00fcr Bewusstseinsinhalte \u00fcberhaupt momentan ein anderer w\u00e4re; es bliebe stets die Frage, ob in den thats\u00e4chlich gefundenen Gef\u00fchls- und Vorstellungserlebnissen nicht immer schon die gegenseitige Concurrenz zwischen objectiver und subjectiver Seite sich sozusagen ausgewirkt hat, so wie auch bei den innigsten und\nWundt, Philos. Studien. XX.\t32","page":497},{"file":"p0498.txt","language":"de","ocr_de":"498\nWilhelm Wirth.\nleistungsf\u00e4higsten Simultanassociationen zwischen Vorstellungen, also ebenfalls bei einer gegenseitigen Abh\u00e4ngigkeit, wenn auch in ganz anderem Sinne, die thats\u00e4chliche Beachtung und Klarheit der Einzelelemente des Ganzen gerade wegen der besonders idealen Zusammengeh\u00f6rigkeit und Gleichzeitigkeit eine geringere ist, als wenn ein einzelnes Element ohne Herbeiziehung anderer Vorstellungen allein f\u00fcr sich beachtet w\u00e4re.\nAu\u00dferdem k\u00f6nnte auch die besondere Art, wie uns die Inhalte der subjectiven Seite im unmittelbaren Erleben gegeben sind, ihre v\u00f6llige Ausschaltung aus der Ooncurrenzfrage nahe legen. Die Gef\u00fchle brauchen bekanntlich beim Erleben nicht noch besonders beachtet oder appercipirt zu werden. Sie ergeben sich vielmehr gerade durch die Aufmerksamkeit auf Vorstellungen, deren Erhaltung f\u00fcr sie wesentlich ist. Insofern nun die Beachtung eines Inhaltes so recht eigentlich derjenige Vorgang ist, durch den das andere zur\u00fcckgedr\u00e4ngt wird, so scheinen die Gef\u00fchle wiederum deshalb dem Streite um den Bewusstseinsumfang vollst\u00e4ndig fern zu stehen, weil sie zu ihrem vollkommenen Dasein im unmittelbaren Erleben, wie es gar nicht \u00bbvollst\u00e4ndiger\u00ab gedacht werden k\u00f6nnte, keine besondere Apperception . n\u00f6thig haben. Auch um deswillen wird man aber den Gef\u00fchlen in unserer Frage keine principiell andere Stellung einzur\u00e4umen brauchen, welche sie als bewusste Inhalte \u00fcberhaupt der hier betrachteten Wechselwirkung \u00fcberh\u00f6be. F\u00fcr die Vorstellungsobjecte ist allerdings unter Umst\u00e4nden eine Regung der subjectiven Bewusstseinsseite vorhanden, die als active Apperception bezeichnet wird, wenn sie gleichzeitig die vollkommenste Geltung im Bewusstsein besitzen sollen, die sie \u00fcberhaupt erreichen k\u00f6nnen und die der maximalen Klarheit entspricht. Anderseits ist wiederum ein eigenartiges Gef\u00fchl der Passivit\u00e4t vorhanden, wenn Vorstellungsobjecte ohne diese active Apperception, z. B. auf Grund der eigenen Intensit\u00e4t u. s. w., eine besonders hohe Klarheit erlangen. Und wenn keines von beiden vorhanden ist, besitzen die Vorstellungen die minderwerthige Stellung der Unklarheit, die eben als Wirkung der \u00fcbrigen beachteten oder aufdringlichen Vorstellungen bei der gleichzeitigen Enge des Bewusstseins anzusehen ist. Diese gesetzm\u00e4\u00dfigen Verbindungen der Vorstellungsklarheit mit besonderen Gem\u00fcthsbewegungen k\u00f6nnen aber nat\u00fcrlich nicht als dasjenige angesehen werden, was Bewusstseinsinhalten","page":498},{"file":"p0499.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung. 499\n\u00fcberhaupt die F\u00e4higkeit verleiht, am allgemeinen Umfang zu parti-cipiren und anderes von einer entsprechenden Stellung abzuhalten. Sonst k\u00f6nnten ja die Gef\u00fchle \u00fcberhaupt nicht als Bewusstseinsinhalte existiren, da sie doch gewiss nicht ihrerseits nochmals mit gleichen Gem\u00fcthsbewegungen in einem regressus ad infinitum verbunden sein k\u00f6nnen. Sie sind entweder als Qualit\u00e4ten unserer mehr passiv erlebten Subjectivit\u00e4t bewusst, wie z. B. die Gef\u00fchle der Lust und Unlust, oder unmittelbar als \u00bbunsere eigene\u00ab Th\u00e4tigkeit, wie eben bei der activen Apperception und bei dem speciellen Falle der \u00e4u\u00dferen Willenshandlung. Sie besitzen also ohne weit\u00e9re Voraussetzung ihre Stellung im Bewusstsein. Ohne dass der allgemeinste inhaltliche Gegensatz, der zwischen Vorstellungen und Gem\u00fcthsbewegungen prin-cipiell besteht, verloren ginge, kalm man sogar eine gewisse Analogie der Daseinsweise der Gem\u00fcthsbewegungen einerseits und der ohne besondere Beachtung trotzdem bewussten Vorstellungsinhalte anderseits beliebig weit durchf\u00fchren. Unter Umst\u00e4nden \u00e4hnelt ihre Stellung den ohne Beachtung unklaren Vorstellungen des Bewusstseinshintergrundes, wie bei allen weniger intensiven vor\u00fcbergehenden Gef\u00fchlen, die dann auch in der Reflexion leicht \u00fcbersehen werden und schwer analysirbar sind. Die intensiven Gef\u00fchle hingegen mit ihren wichtigsten Hauptrichtungen, wie Lust und Unlust, entsprechen den auch ohne active Aufmerksamkeit sich zu h\u00f6herer Klarheit hervordr\u00e4ngenden Vorstellungen, wie denn auch in der Reflexion auf das Gesammtbewusstsein die subjective Seite in solchen F\u00e4llen pr\u00e4-valirt. Dem h\u00f6heren \u00bbBewusstseinsgrade\u00ab der Gef\u00fchle entspricht also auch eine entsprechende Wirksamkeit der Ged\u00e4chtnissdispositionen. Soweit aber innerhalb der sogenannten Stimmungen thats\u00e4chlich auch Vorstellungselemente, wie Organempfindungen u. s. w., gegeben sind, ist die Ooncurrenz nat\u00fcrlich vollst\u00e4ndig auf diejenige der Vorstellungen unter sich zur\u00fcckgef\u00fchrt.\nScheint nun hiernach auch eine principielle Ausschaltung der Gef\u00fchle von der ganzen Fragestellung des Bewusstseinsumfanges und der Ooncurrenz der Inhalte f\u00fcr einen umfassenderen L\u00f6sungsversuch nicht gerechtfertigt, so ist allerdings eine Einbeziehung der Gef\u00fchle in die exactere Behandlung aus practischen Gr\u00fcnden undurchf\u00fchrbar, weil eine experimentelle Ausl\u00f6sung von Gem\u00fcthsbewegungen in vergleichbaren Quantit\u00e4ten schwer m\u00f6glich ist, wie es zur Untersuchung\n32*","page":499},{"file":"p0500.txt","language":"de","ocr_de":"500\nWilhelm Wirth.\nihres Einflusses auf die sonstige Vertheilung des Bewusstseins noth-wendig w\u00e4re. Existirt aber nun in der That so etwas wie eine relativ constante Gr\u00f6\u00dfe, welche hei der verschiedenartigen Vertheilung auf wechselnde Inhaltscombinationen eine gesetzm\u00e4\u00dfige Ver\u00e4nderung der einzelnen Klarheitsgrade feststellen l\u00e4sst, so muss diese Regel auch schon bei einer ausschlie\u00dflichen Variation derVor-stellungsgruppirungen so rein als m\u00f6glich erkennbar sein, wenn man nur die Gef\u00fchlslage so constant erh\u00e4lt, als es eine verschiedene Vertheilung der Aufmerksamkeit bei gleichem Interesse f\u00fcr die Versuche, bei gleicher innerer Anspannung und Gleichwertigkeit der dargebotenen Einzelobjecte nur immer zul\u00e4sst. K\u00f6nnten die Gef\u00fchle f\u00fcr unsere Concurrenzfrage v\u00f6llig aus dem Spiel bleiben, dann w\u00e4re diese Constanz. der Gef\u00fchle wenigstens kein Schaden. \"Wirken sie aber in dem vorhin als m\u00f6glich angedeuteten Sinne mit, so kann doch dieses, in seiner Gr\u00f6\u00dfe unbekannte, aber als constant zu betrachtende Glied die Constanz des Ganzen in seinen verschiedenen Vertheilungen nicht verkennen lassen. So werden also von dieser Seite eigentlich nur die n\u00e4mlichen Versuchsbedingungen von neuem empfohlen, welche als gleichartige Gem\u00fcthslage und bestimmt gerichtete und angestrengte Aufmerksamkeit von jeher bei den psychophysischen Messungen gefordert wurden, eine \u00fcebereinstimmung, die um so selbstverst\u00e4ndlicher erscheinen wird, je mehr sich weiterhin die psychologischen Begriffe aus der Psychophysik in ihrem engen Zusammenh\u00e4nge mit unserer allgemeinen Frage darstellen werden (vgl. Cap. 4).\n4) Die Frage der Constanz des Umfanges. Schlie\u00dflich ist bei diesen Untersuchungen nat\u00fcrlich auch die M\u00f6glichkeit einer Schwankung des Umfanges f\u00fcr bewusste Inhalte zu ber\u00fccksichtigen, bezw. zun\u00e4chst zur Erreichung eines constanten Ausgangspunktes m\u00f6glichst auszuschlie\u00dfen. Dass die klarere Region je nach der allgemeinen Frische oder Erm\u00fcdung eine verschiedene Ausdehnung zeigt, ist ja allerdings kein unmittelbarer Beweis f\u00fcr die Inconstanz des gesammten Umfanges, insofern ja niemals eine gleichzeitige Erweiterung der unklareren Regionen (ohne Erh\u00f6hung deren mittleren Klarheit) mit Sicherheit verneint werden kann1). Indessen\n1) Vgl. Lipps, Grunclthatsachen des Seelenlebens, S. 164 f.","page":500},{"file":"p0501.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung.\n501\nw\u00fcrde auch eine solche Verlegung der \u00bbBewusstheit\u00ab in die unklare Region einer weiteren den bisherigen Ausf\u00fchrungen entsprechenden Hauptforderung f\u00fcr die Auswahl derVersuchshedingungen zuwiderlaufen, dass auch die unklare Region, die ebenso wenig mit den weiter unten behandelten indirecten Methoden jemals v\u00f6llig controllirbar ist, in ihrem Anspruch an das Bewusstsein m\u00f6glichst constant gehalten werden muss. Gl\u00fccklicherweise ist aber zun\u00e4chst das Ver-suchsergebniss bei Wiederholung der n\u00e4mlichen bezw. gleichwerthiger Vorstellungscomplexe ein objectiver Ma\u00dfstab f\u00fcr eine solche Incon-stanz. Und insofern eine Bestimmung dieses Wechsels der Klarheits-vertheilung in pathologischen B\u00e4llen besonders f\u00fcr den Psychiater werthvoll ist, werden alle derartigen Methoden einer objectiven Bestimmung auch nach dieser Hinsicht gute Dienste leisten. Dabei ist freilich eine Methode um so werthvoller, je mehr sie auch eine Veranschlagung des Klarheitsantheiles der weniger beachteten Elemente m\u00f6glich macht, weil dann zugleich das analysirbare Feld solcher Inconstanzen erweitert wird. Au\u00dferdem besteht aber nat\u00fcrlich auch ein gewisser subjectiver Ma\u00dfstab, in dem hier qualitativ nicht n\u00e4her zu discutirenden Gesammtgef\u00fchl der psychischen Leistungsf\u00e4higkeit, welches dem mittleren Klarheitsgrade entspricht, der bei gleicher Anstrengung erreicht wird. Andererseits kann dieses selbst durch jene objective Bestimmung controlliert werden.\nDa aber nun f\u00fcr exacte Bestimmungen des gesammten simultanen Bewusstseinshestandes, wie schon oben erw\u00e4hnt, die ausschlie\u00dfliche Ber\u00fccksichtigung eines m\u00f6glichst momentanen Gesammterlebnisses nothwendig ist, so kommen hier vor allem auch die bekannten periodischen Schwankungen1) der Aufmerksamkeitsconcentration in Betracht, welche zum mindesten die Klarheitsvertheilung f\u00fcr verschiedene Augenblicke ver\u00e4ndern. Ein solcher vom concreten Verlauf in nat\u00fcrlicherweise abgegrenzter einfacher \u00bbBewusstseinsact\u00ab, wie er einer einzelnen \u00bbSchwankung\u00ab entspricht, m\u00fcsste nat\u00fcrlich vor irgend welcher k\u00fcnstlichen zeitlichen Abgrenzung des analysirten Erlebnisses ber\u00fccksichtigt werden, da die Verkeilung der Gesammtleistung und die Auswahl gleichwerthiger Theile bei noch weitergehender Zeiteinteilung hiervon abh\u00e4ngig sein w\u00fcrde. Jener Rhythmus der Concentration\n1) Wundt, Grundriss der Psychologie, 4. Aufl., S. 255.","page":501},{"file":"p0502.txt","language":"de","ocr_de":"502\nWilhelm Wirth.\nw\u00fcrde aber als eine gegebene Zeitstrecke f\u00fcr unsere Zusammenfassung doch nur dann zu \u00fcbernehmen sein, wenn man gar keinen Einfluss auf den Verlauf der Concentrationsschwankungen aus\u00fcben k\u00f6nnte. Thats\u00e4chlich besitzen dieselben aber doch in ihren verschiedenen Phasen eine gro\u00dfe Anpassungsf\u00e4higkeit an den Verlauf beliebig dargebotener Inhalte, wenn nur eben durch geeignete vorbereitende Eindr\u00fccke eine bestimmte Einstellung des inneren Rhythmus erm\u00f6glicht wird. Dadurch lassen sich willk\u00fcrlich und exact abgestufte Inhaltszeiten mit vergleichbaren Bewusstseinsstadien zur Deckung bringen, und es lassen sich somit die kleinsten \u00fcberhaupt noch ab-grenzbaren Momente des Bewusstseins als Zeiteinheiten verwerthen.\n2. Kapitel.\nDie Bestimmung des Umfanges der \u00bbmaximalen Klarheit\u00ab, des sog. Aufmerksamkeits-Umfanges, durch unmittelbare Wiedergabe eines tachistoskopisch dargebotenen Complexes. (Bestimmnng des Umfanges der klaren Neuauffassung.)\n1) Einschr\u00e4nkung der Fragestellung f\u00fcr das Experiment auf momentane optische Complexe. Nach dieser vorl\u00e4ufigen Charakterisirung des Gegenstandes, welche eine allgemeinere psychologische Reflexion an die Hand gibt, wird sich nunmehr auch die speciellere Frage beantworten lassen, wieviel von dem gesammten Umfange \u00fcberhaupt die unmittelbare Wiedergabe des Ge-sammtbestandes auf Grund der einfachen Erinnerung zu Tage f\u00f6rdern k\u00f6nnte, also die directe subjective Methode, von der bishei allein die Rede gewesen ist, und zwar bei Anwendung exacter experimenteller H\u00fclfsmittel f\u00fcr Erzeugung des Vorstellungsmaterials und seiner Dauer. Die Fragestellung bezieht sich ausschlie\u00dflich auf den Bestand des Bewusstseins, bezw. bestimmter Klarheitsgrade, der in einem Momente gleichzeitig erlebt wird. Dabei ist es nat\u00fcrlich an und f\u00fcr sich gleichg\u00fcltig, welche Processe und Zeiten zu dieser simultanen Configuration gef\u00fchrt haben. Es lag aber am n\u00e4chsten, vorl\u00e4ufig einen Wahrnehmungscomplex durch kurzdauernde Reizung nur f\u00fcr den zu analysirenden Moment neu entstehen zu lassen und gegen\u00fcber einer andersartigen und wenig auff\u00e4lligen Ausf\u00fcllung des Bewusstseins vor und nachher zeitlich scharf heraustreten","page":502},{"file":"p0503.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung. 503\nzu lassen, so dass die Erinnerung au\u00dfer dem Inhalt seihst keiner weiteren Zeitmarkirung bedarf. Dabei sind fast alle bisherigen Versuche, sowohl nach dieser directen als nach indirecten Methoden, auf ein einziges Sinnesgebiet beschr\u00e4nkt, associative Beimischung aus anderen Gebieten selbstverst\u00e4ndlich inbegriffen. Hiermit ist also schon von vorne herein ausgeschlossen, dass man dem ganzen Bewusstseinsumfange jemals nahekomme, insofern sich das normale Bewusstsein auch nicht f\u00fcr einen einzigen Augenblick nur in einem Sinnesgebiet sozusagen anlegen l\u00e4sst. Versuche nach dieser Richtung bei suggestiver Concentration u. dergl. w\u00e4ren ja deshalb immerhin noch denkbar. Doch lie\u00dfe sich auch unter normalen Bedingungen ein viel gr\u00f6\u00dferer Umfang des gleichzeitigen Wahrnehmungsbestandes experimentell beherrschen, wozu man wenigstens hei den Versuchen \u00fcber die Leistungsf\u00e4higkeit bei gleichzeitiger St\u00f6rung (vergl. Cap. 5) bereits den Anfang gemacht hat. Auch die Concurrenz der Vorstellungsklarheit und der \u00e4u\u00dferen \"Willk\u00fcrhandlung ist hierbei schon in Betracht gezogen worden; doch ist damit bereits eine noch gr\u00f6\u00dfere Complication gegeben, f\u00fcr deren Beurtheilung vorl\u00e4ufig erst einmal verschiedene Sinnesgebiete auf die gegenseitige Beeinflussung ihres momentanen Klarheitsumfanges untersucht sein m\u00fcssten. Eine wesentliche Bereicherung der allgemeinsten systematischen Gesichtspunkte gegen\u00fcber der sorgf\u00e4ltigen Untersuchung ein und des n\u00e4mlichen Sinnesgehietes ist indessen von solchen Verallgemeinerungen kaum zu erwarten, da ja das Wesen der Vorstellungsconcurrenz \u00fcberhaupt schlie\u00dflich das n\u00e4mliche bleiben wird, und au\u00dferdem bei der gen\u00fcgend erreichbaren Constanz des gleichzeitigen Wahrnehmungsbestandes der \u00fcbrigen Sinnesgebiete schon bei einem Gebiet eine gewisse Reinheit der Resultate zu erwarten steht. Dennoch w\u00e4re wegen der Verschiedenheit der gegenseitigen Beziehungen simultaner Elemente innerhalb der verschiedenen Sinnesgebiete wenigstens jene Ausdehnung der Untersuchung mit gleichartigen Elementen auf andere Gebiete werthvoll. Zun\u00e4chst ist nach dieser zuerst zu besprechenden directen Methode der Bestand an simultanen optischen Vorstellungen h\u00e4ufiger analysirt worden, nachdem Cattell im 5. Abschnitte seiner mehrfach bedeutungsvollen Arbeit \u00bbUeber die Tr\u00e4gheit der Netzhaut und des Sehcentrums\u00ab1) zum ersten Male die\n1) Wundt, Philos. Studien IH, S. 94 bezw. 121.","page":503},{"file":"p0504.txt","language":"de","ocr_de":"504\nWilhelm Wirth.\n/ i I\nWundt\u2019sche Fragestellung u. z. gleich mit gutem Erfolge zu beantworten versucht hatte. Ein ruhendes Gesichtsohject wurde f\u00fcr einen geringen Bruchtheil einer Secunde den Blicken des Beobachters exponirt, womit u. a. auch eine Bewegung der Augen ausgeschlossen und ein einheitlicher Wahrnehmungscomplex garantirt war. Ein Mindestma\u00df an Dauer ist nun nach dem fr\u00fcher Gesagten f\u00fcr exacte Umfangsbestimmungen dieser Art gerade fein genug. Anderseits muss doch auch die Beizdauer einem hinreichend differenzirten Wahr-nehmungsbestand entsprechen. Denn wo bereits aus peripheren Gr\u00fcnden der Inhalt auch hei maximaler Aufmerksamkeit schwer analysirhar ist, wird der ganze Bestand die Schwierigkeiten bereiten, welche nach den fr\u00fcheren Ausf\u00fchrungen die in jedem Bestand vorkommende weniger beachtete Begion mit sich bringt. Deshalb ist es ja auch au\u00dferdem f\u00fcr diese directe Methode so w\u00fcnschenswerth, die Zahl der concurrirenden Vorstellungsobjecte, auch sofern sie nicht mehr der vollen Klarheit theilhaftig werden, in die Begion des deutlichsten Sehens im \u00bbperipheren\u00ab Sinne hineinzubringen, welche auch f\u00fcr constante Darbietung bis ca. 3\u00b0 vom Fixationspunkt entfernt besteht. Die von der Zeit der Beizung abh\u00e4ngige Deutlichkeit des Vorstellungsinhaltes, welche dann je nach Lage des \u00bbinneren\u00ab Blickpunktes in gr\u00f6\u00dferem und geringerem Umfange und Grade auch im \u00bbcentralen\u00ab Sinne deutlich sein kann, ist schon von Cattell f\u00fcr das Schwarz des gew\u00f6hnlichen Druckes a\u00fcf wei\u00dfem Papier bei Hell-Adaption bei ca. 10ff Expositionszeit erreicht, worin also f\u00fcr diesen speciellen Zweck die g\u00fcnstigste Zeit gegeben erscheint. Die Zeit des Wahrnehmungsinhaltes ist nat\u00fcrlich viel l\u00e4nger als 1017, aber doch wenigstens so kurz, als man sie \u00fcberhaupt bei gleicher Exactheit des Bewusstseinsbestandes erhalten kann.\n\u2014\t2) Ausschluss von Ver\u00e4nderungen der Klarheitsver-\ntheilung. \u2014 Die Geschwindigkeit derselben (Aufmerksamkeitswanderungen). Nat\u00fcrlich sind diese kurzen Zeiten nur dann nothwendig, wenn man wirklich auf die Erzeugung eines Bestandes ausgeht, wie er in allen seinen Theilen simultan gegeben sein soll, also nur bei derartigen Umfangsbestimmungen. Bezieht sich aber die Fragestellung von vome herein auf die Analyse eines psychischen Processes, bei dem es gar nicht auf die Gleichzeitigkeit aller Einzel-","page":504},{"file":"p0505.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung. 505\ninhalte, sondern eben nur auf die m\u00f6glichste Ann\u00e4herung an einen irgendwie anders bestimmten Fall des allt\u00e4glichen Lebens ankommt, dann sind nat\u00fcrlich auch die Zeitverh\u00e4ltnisse der Exposition dementsprechend zu w\u00e4hlen. Somit besteht also von dieser Seite auch kein Einwand gegen eine Expositionszeit von ca. 100 ff, wie sie in den Versuchen von Erdmann und Dodge (s. u.) verwendet wurde, wenn alle Elemente festgestellt werden sollen, welche beim normalen Lesen in derjenigen Zeitdauer aufgefasst werden k\u00f6nnen, wie sie f\u00fcr gew\u00f6hnlich durch die fortschreitenden Augenbewegungen als Lesepause abgegrenzt wird. Anderseits kann aber nat\u00fcrlich auch von dieser ganz andersartigen Fragestellung nichts \u00fcber die Versuchsbedingungen entschieden werden, welche f\u00fcr Umfangsbestimmungen nothwendig sind. Bei den letzteren kommt es gerade auf die m\u00f6glichst ideale Gleichzeitigkeit der experimentell dargebotenen Vorstellungen an, da aus einem l\u00e4nger dauernden Processe von geringer absoluter Gesammt-dauer die wirklich simultanen Einzelbest\u00e4nde nicht mehr nachtr\u00e4glich auseinander zu halten sind, welche ein und die n\u00e4mliche Klarheits-Vertheilung enthalten. Die Ver\u00e4nderung dieser Vertheilung aber kann mit au\u00dferordentlicher Geschwindigkeit vor sich gehen, weshalb bekanntlich auch Wundt gerade auf die Nothwendigkeit von Minimalzeiten zum Ausschluss von \u00bbAufmerksamkeitswanderungen\u00ab hingewiesen hat1). Eine exacte Messung der Geschwindigkeit, mit welcher sich derartige Verschiebungen der Klarheitsgrade vollziehen, ist wohl schwer m\u00f6glich. Man kann aber vielmehr umgekehrt fragen, woraus man denn die M\u00f6glichkeit einer wirklichen Ruhezeit erschlie\u00dfen k\u00f6nne, und da wird man aus der allgemeinen Eigenschaft des Bewusstseinslebens als eines continuirlichen Verlaufes von vorne herein sagen k\u00f6nnen, dass der \u00bbBlickpunkt\u00ab wie \u00fcberhaupt alle relativen H\u00f6hepunkte des Reliefs der Aufmerksamkeitsvertheilung fortw\u00e4hrend auf der Wanderung begriffen sind, dass es also keine noch so kleinste Zeit gibt, welche als Ruhe nach dieser Hinsicht zu bezeichnen ist. Nur der objective Inhalt, den wir nach den verschiedensten Richtungen betrachten k\u00f6nnen, t\u00e4uscht f\u00fcr die Reflexion einen langsameren Verlauf des inneren Lebens vor. Insbesondere muss die Analogie zum\n1) Wundt, Philos. Studien XV, S. 287 ff. XVI, S. 69 fl.","page":505},{"file":"p0506.txt","language":"de","ocr_de":"506\nWilhelm Wirth.\nBlickpunkt des Auges vollst\u00e4ndig verlassen werden, sobald es sich um die quantitativen Verh\u00e4ltnisse der Aufmerksamkeitsvertheilung im einzelnen handelt. Zun\u00e4chst vollziehen sich Augenbewegungen jedenfalls erst im Anschluss an Verschiebungen der centralen Klarheitsverh\u00e4ltnisse, also sp\u00e4ter als diese, sofern sie \u00fcberhaupt durch den optischen Wahmehmungsbestand angeregt sind. Auch beim Lesen repr\u00e4sentiren sie nur die bereits begonnene oder vollendete Verlegung des inneren \u00bbSchwerpunktes\u00ab, wie man das Bild wenden kann, um mehr die mechanisch-motorische Bedeutung der maximalen Klarheit hervortreten zu lassen. Au\u00dferdem folgen aber die bekannten fortschreitenden Lesehewegungen u. a. nur einer bedeutenderen Verschiebung der Bewusstseinsgrade, und vor allem einer relativ einseitigen und deshalb mit einer gewissen inneren Wucht erfolgenden Bewegung dieser H\u00f6henwelle. Wenn man die Parallele zwischen innerer und \u00e4u\u00dferer Bewegung durchaus festhalten will, so k\u00f6nnte man h\u00f6chstens etwa sagen, dass die minimalsten unwillk\u00fcrlichen Blickschwankungen des Auges, so klein, dass sie keiner der bisherigen objectiven Messungsmethoden zug\u00e4nglich w\u00e4ren, ihrem Rhythmus nach von den gr\u00f6bsten unter diesen feinen Verschiebungen der maximalen Klarheit herr\u00fchren k\u00f6nnten, welche fortw\u00e4hrend eine \u00bbconstant\u00ab beachtete Vorstellung umspielen und die Beziehungen zur gleichzeitig bewussten Nachbarschaft klarer vergegenw\u00e4rtigen und im Ged\u00e4chtnis besser festhalten lassen. Es kommt auch nicht darauf an, ob man solchen minimalen Ver\u00e4nderungen noch den Namen der Aufmerksamkeitswanderung zukommen lassen will, jedenfalls reichen sie hin, um die Concurrenz, die sich die Vorstellungen thats\u00e4chlich in einem kleinsten Zeittheil machen und deren quantitative Wirkung wir gerade feststellen wollen, theilweise zu compensiren. Ferner kommt es aber nicht einmal darauf an, dass eine eigentliche Verlegung des inneren Blickpunktes, bezw. aller relativen Klarheitsmaxima von der urspr\u00fcnglichen Stelle weg stattfindet, es gen\u00fcgt zur Tr\u00fcbung des Bildes, wenn sich nur die absoluten Ma\u00dfe der Bewusstseinsgrade unter Beibehaltung der relativen H\u00f6hen und Tiefen ver\u00e4ndern und ' das Ganze irgendwie weiter verarbeitet wird. Dieser Prozess .der fortschreitenden subjectiven Verarbeitung beginnt als h\u00f6chster Process sp\u00e4ter als alle die peripheren Vorg\u00e4nge, welche das Auftreten des Vorstellungsobjectes bedingen. Nach einmal begonnener Th\u00e4tig-","page":506},{"file":"p0507.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung. 507\nkeit wird er aber auch jeden geringsten Bruchtheil einer Secunde der Wahrnehmungszeit ausn\u00fctzen k\u00f6nnen.\nAnmerkung. Zur ungef\u00e4hren Beurtheilung der Geschwindigkeit dieses Processes k\u00f6nnten vielleicht die k\u00fcrzesten Zeiten beigezogen werden, welche uns in der Analyse des Bewusstseins \u00fcberhaupt jemals entgegentreten. Denn wie nun schon \u00f6fters in Erinnerung gebracht wurde, sind die sog. Grade des Bewusstseins und ihre Ver\u00e4nderung so recht eigentlich als die allgemeinste Eigenth\u00fcmlichkeit des Bewusstseinsprocesses \u00fcberhaupt zu betrachten. Es ist ja allerdings das Gebiet der Gesichtsvorstellungen nicht am geeignetsten, um sozusagen die Leistungsf\u00e4higkeit des Bewusstseins \u00fcberhaupt hinsichtlich seiner Geschwindigkeitsverh\u00e4ltnisse dadurch erkennen zu lassen, dass man bestimmter Schnelligkeiten von VorstellungsVer\u00e4nderungen eben noch als eines discontinuirlichen Vorganges bewusst werden kann. Hier sind ja die in den objectiven Vorstellungsver\u00e4nde-rungen selbst gegebenen Geschwindigkeiten aus peripheren Ursachen nicht so bedeutende, was nat\u00fcrlich nicht ausschlie\u00dft, dass ihnen sonstige Bewusstseinsmomente, d. h. eben hier die Aufmerksamkeitsver\u00e4nderungen vorauseilen. Zur Beurtheilung der m\u00f6glichen zeitlichen Differenzirung des Bewusstseins, welche an und f\u00fcr sich betrachtet nach ihrer Ausbildung von dem speciellen Sinnesgebiet unabh\u00e4ngig ist, eignet sich bekanntlich am besten der Geh\u00f6rsinn1). Hier zeigt aber nun die geringste Zwischenzeit zwischen akustischen Beizen, welche noch als solche aufgefasst wird, (selbst wenn man von der allerk\u00fcrzesten Zwischenzeit bei elektrischen Knisterger\u00e4uschen absieht), nur 0,016\"2), ohne dass deshalb eine genaue Ueber-einstimmung der psychischen und physischen Zeiten behauptet sein soll. Somit d\u00fcrfte man also die k\u00fcrzeste Expositionszeit, welche noch deutliche Bilder zu st\u00e4nde kommen l\u00e4sst, eben noch f\u00fcr klein genug erachten, um allzugro\u00dfe Ver\u00e4nderungen w\u00e4hrend der inneren Auffassung des Complexes auszuschlie\u00dfen.\nIn allen bisherigen Arbeiten wurde endlich auch noch die Noth-wendigkeit einer constanten urspr\u00fcnglichen Vertheilung der Aufmerk samkeit um einen Fixationspunkt sorgf\u00e4ltig beobachtet.\n3) Zur Geschichte der Methode. Zur exacten Abgrenzung kurzer Expositionszeiten hatte es nur einer entsprechenden Ausgestaltung der Methoden bedurft, welche bereits von der physiologischen Optik f\u00fcr die Untersuchung des Ablaufes der Netzhauterregung (Helmholtz) und schon mit einer gewissen Ann\u00e4herung an centralere Fragen zur Verfolgung der allm\u00e4hlichen Entstehung des Tiefenbewusstseins bei wiederholter instantaner Beleuchtung (Volkmann) verwendet worden waren. Aehnlich wie letzterer gebrauchte Cattell3)\n1)\tWundt, Grundriss der Psychologie, 4. Aufl. S. 177.\n2)\tVgl. Wundt, Grundz\u00fcge der physiol. Psychologie, 4. Aufl. H, S. 391.\n3)\tA. a. O. Vgl. Wundt, V\u00f6lkerpsychologie I, 1, S. 525 ff.","page":507},{"file":"p0508.txt","language":"de","ocr_de":"508\nWilhelm Wirth.\nund im Anschluss an ihn Z ei tier1) und Huey2) eine senkrecht vor dem Object in einem Schlittengeleise vorbeifallende Spaltscheibe, ein sog. Fallchronometer oder Tachistoskop, Finzi3) lie\u00df einen \u00e4hnlichen Spaltschlitten vor dem ebenfalls senkrecht gestellten Object durch Federkraft horizontal vorbeischnellen. Goldscheider und M\u00fcller4), Erdmann und Dodge5) verwendeten nach dem Helmhol tz\u2019schen Princip gleichm\u00e4\u00dfig rotirende Scheiben mit einem Spalt, erstere in horizontaler, letztere in verticaler Richtung, wobei die Expositionszeit zwar nicht exacter, aber doch leichter zu bestimmen ist als bei Fall- und Schleuderbewegung, ein Vortheil, der nat\u00fcrlich wieder verloren geht, wenn man wie Sanford6) die Rotation zweier theilweise \u00fcbereinander greifender Spaltscheiben durch Zahnrad-Anschluss an ein schwingendes Pendel bewirkt. (Relativ wenig exact war die Expositionszeit durch Verwendung eines photographischen Moment-Verschlusses bei Pillsbury7) abgestuft, dessen Versuche ja auch von unserer Umfangsfrage besonders weit entfernt sind.) Bei Goldscheider verdeckte das Rad ebenso wie jene Spaltscheiben unmittelbar das Gesichtsobject. Sanford ben\u00fctzte den Rad-Spalt zum ersten-male zur kurzdauernden Beleuchtung eines zun\u00e4chst frei im Dunkeln liegenden, vorl\u00e4ufig nur seiner Lage nach erkennbaren Objectes, so dass nicht nur der Reizcomplex v\u00f6llig simultan wirkte, sondern auch von vorne herein auf die richtige Fl\u00e4che accomodirt, wenn auch nicht zugleich adaptirt werden konnte, ein Versuch, der von Erdmann und Dodge zu einer kurzdauernden Projection des Objectes auf eine\n1)\tUnter Anwendung eines nach Wundt\u2019s Angaben verbesserten Apparates. Wundt, Philos. Studien XVI, S. 380 ff.\n2)\tHuey, On the psychology and physiology of reading, Am. Journ. of Ps. XI, 1900, S. 283 ff. XH, 1901, S. 292 ff.\n3)\tPinzi, Zur Untersuchung der Auffassungsf\u00e4higkeit und Merkf\u00e4higkeit. Kraepelin, Psychologische Arbeiten HI, 1901, S. 289.\n4)\tGoldscheider und E. P. M\u00fcller, Zur Physiologie und Pathologie des Lesens, Zeitschr. f. klin. Stud., Berlin 1893, XXIH, S. 131 ff.\n5)\tErdmann und Dodge, Untersuchungen \u00fcber das Lesen, Halle 1898, S. 166.\n6)\tSanford, The relative legibility of the small Letters, Am. Joum. of Ps. I, S. 402 f.\n7)\tPillsbury, A study in Apperception, Am. Joum. of Ps. VIH, 1897, S. 133 ff.","page":508},{"file":"p0509.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung. 509\nconstant sichtbare Platte verbessert wurde. Bei Goldscheider und Z eitler wurde monocular durch ein geschw\u00e4rztes Bohr, hezw. Fernrohr fixirt, wodurch die Entfernungsdifferenzen zwischen Decke und Object von geringerem Belang sind. Bei der Cattell\u2019schen Anordnung betrug diese Differenz \u00fcberhaupt nur wenige mm, hei Goldscheider st\u00f6rte eine viel gr\u00f6\u00dfere Differenz nicht, abgesehen von der mono-cularen Beobachtung auch noch deshalb, weil die eigentlich zu beachtende Fl\u00e4che schon fortw\u00e4hrend bei der vorhergehenden Eotation mit einem Accomodationsobject gesehen wurde, das nur w\u00e4hrend einer Umdrehung durch das eigentliche Expositionsobject ersetzt wurde. Damit ist ein wesentlicher Vortheil des Bades mit seinen mehrfachen Expositionen ausgen\u00fctzt, der durch die gleichzeitige Begu-lirung der Aufmerksamkeit bei Auswahl eines g\u00fcnstigen Bhythmus noch erh\u00f6ht wird. Was diese Ber\u00fccksichtigung der Accomodation betrifft, so besitzt die \u00bbperiphere\u00ab Deutlichkeit der Gesichtsohjecte nat\u00fcrlich je nach deren Qualit\u00e4t eine verschiedene Bedeutung. Sie wird bei einfachsten, kr\u00e4ftig ausgezogenen geometrischen Figuren einem viel weiteren Accomodationsumfang entsprechen, als hei Buchstaben. Die Anordnung zu einer simultanen Wirkung des ganzen Eeizcomplexes ist in brauchbarer Form, wie der Erdmann-Dodge-sche Apparat zeigt, sehr complicirt, zumal f\u00fcr ein m\u00f6glichst rasches Abklingen der Erregung noch dazu Helligkeitsadaptation w\u00fcnschens-werth ist, welche f\u00fcr den genannten Apparat noch eine weitere, nur f\u00fcr die Expositionsplatte abgeblendete, starke und constante Lichtquelle erforderte. Wegen der Unvergleichbarkeit der physikalischen und psychologischen Zeiten ist ja auch eine solche genaue Gleichzeitigkeit des physikalischen Beizcomplexes f\u00fcr die Umfangsbestimmungen nicht unbedingt erforderlich.\n4j Das Catteil sehe Besultat mit einfachen gleichen Strichen. Alle diese Vorrichtungen garantiren aber einen zeitlich sicher eingeschr\u00e4nkten Bestand als Gegenstand unserer Untersuchung eigentlich nur dann, wenn der Inhalt dessen, was in einem Momente vom Bewusstsein mit einer bestimmten Klarheit erfasst wurde, thats\u00e4chlich nur in den Qualit\u00e4ten und rein immanenten Beziehungen der optischen Wahrnehmungsinhalte mit ihrer vollen Empfindungsfrische und Deutlichkeit im \u00bbperipheren\u00ab Sinne bestand. Denn nur dieser Vorstellungs-","page":509},{"file":"p0510.txt","language":"de","ocr_de":"510\nWilhelm Wirth.\ngehalt ist durch die hier angewandten H\u00fclfsmittel in der Zeit sicher abgegrenzt. Und nur dann, wenn diese optischen Best\u00e4nde selbst und nicht irgend welche Associationen im Vordergrund des Bewusstseins stehen, kann auch die Abgrenzung der peripher bedingten Sinnes-wahmehmung f\u00fcr die sp\u00e4tere Reflexion sicher genug markirt sein. Dabei gelingt es bereits nach geringer \u00dcbung in der Reflexion auf diesen Thatbestand, wie schon von Wundt hervorgehoben worden ist, die Erlebnisse dieses Momentes von den sp\u00e4teren Erg\u00e4nzungsversuchen zu unterscheiden, sobald nur eben der Beobachter thats\u00e4chlich die optischen Gegenst\u00e4nde als solche beachtete und damit bewirkte, dass sein Bewusstsein zun\u00e4chst von diesen rein optischen Wahmehmungs-best\u00e4nden und von allem anderen erst in zweiter Linie erf\u00fcllt wurde.\nWirklich arbeitete denn auch Catteil, wo er speciell auf die Beantwortung der Frage nach dem Bewusstseins-Umfange ausgeht, zun\u00e4chst mit Gruppen von einfachen senkrechten Strichen, die rein als optische Wahrnehmungsinhalte wirken, ohne dass der Schwerpunkt der Aufmerksamkeit nach irgend welchen nicht unmittelbar dem Experiment entstammenden und in ihren Zeitverh\u00e4ltnissen weniger controllirbaren Vorstellungs-Inhalten gravitirt. Das Ergebniss hierbei war nun bekanntlich dies, dass nur vier bis f\u00fcnf Striche mit Sicherheit und richtig unmittelbar wiedergegeben wurden, dar\u00fcber hinaus ergab sich eine blo\u00dfe Sch\u00e4tzung mit einem der Gr\u00f6\u00dfe proportionalen mittleren Fehler und mit der Tendenz zu Untersch\u00e4tzung. Diese Cattell sehen Resultate sind f\u00fcr unsere Frage s\u00e4mmtlich von Wichtigkeit. Vor allem zeigte sich also, dass die Methode der directen Wiedergabe f\u00fcr die Inhalte von verschiedener Klarheit (im \u00bbcentralen\u00ab Sinne des Aufmerksamkeitserfolges) eine ganz verschiedene Bedeutung besitzt, ein Ergebniss, mit welchem die allgemeinen Betrachtungen der Einleitung \u00fcber die Werthigkeit der klareren und unklareren Region des Bewusstseins f\u00fcr die Reproduction und psychologische Reflexion v\u00f6llig \u00fcbereinstimmen. Nur was mit voller Klarheit gegeben war, wird auch schlie\u00dflich unmittelbar und sicher richtig wiedergegehen. U. z. besitzen etwa vier oder f\u00fcnf Einzelinhalte der gew\u00e4hlten Art, also einfachste Figuren, in der gegebenen Zeit eine gewisse maximale Klarheit. Alles andere, was von diesem kurzdauernden Complexe sonst noch im Bewusstsein war, besass eine zu geringe Klarheit, um ebenso","page":510},{"file":"p0511.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung.\n511\nsicher und eindeutig wiedergegeben werden zu k\u00f6nnen. Man hat nur noch einige abstracte, schwer formulirbare Eigent\u00fcmlichkeiten, um welche die anderen zum concreten Thatbestande nothwendigen Merkmale unsicher hin und her schwanken. Es ist somit nat\u00fcrlich von vorn herein klar gewesen, dass von einem gr\u00f6\u00dferen Complex mehr als vier bis f\u00fcnf Elemente bei tachistoskopischer Exposition \u00fcberhaupt bewusst werden, nur eben ohne die volle Aufmerksamkeit zu finden. Das liegt sowohl in Cattell\u2019s Ausf\u00fchrungen \u00fcber die \u00bbSch\u00e4tzung\u00ab von mehr als f\u00fcnf, als auch in seinen ausdr\u00fccklich auf diese unklaren Inhalte bez\u00fcglichen Mittheilungen am Schl\u00fcsse des Ganzen (a. a. 0. S. 127). Allerdings hat Cattell trotzdem diese Versuche zu Wundt\u2019s bekannter Methode einer Messung des Bewusstseinsumfanges in Parallele stellen wollen, die wir sp\u00e4ter (Kap. 3) zu erw\u00e4hnen haben werden, ja er glaubte sie sogar als \u00bbvortheilhaftere\u00ab Methode f\u00fcr die L\u00f6sung der Frage nach diesem Umfange bezeichnen zu d\u00fcrfen. Damit war nat\u00fcrlich der principielle Unterschied verkannt, der zwischen der Tendenz einer umfassenderen Messung des Bewusstseinsumfanges einerseits und dieser unmittelbaren Wiedergabe des in einem Momente neu Aufgefassten andererseits besteht. Letztere hebt eben nur die unter diesen Bedingungen neu entstehenden Inhalte maximaler Klarheit heraus und besitzt in dieser Leistung der Ausscheidung einer Region maximaler Klarheit mit allen ihren psychologischen Folgen gerade ihren eigenartigen Werth. Wundt selbst hat ohne Formulirung seiner Ausf\u00fchrungen als einer speciellen Polemik gegen seinen Sch\u00fcler in ,der thats\u00e4chlichen theoretischen W\u00fcrdigung und psychologischen Subsumption, die er der Methode und ihren auch heute noch unbestrittenen Ergebnissen gleich bei der allerersten Aufnahme in seine Werke angedeihen Hess, diese einzige haltbare Auffassung der Methode als einer Bestimmung des Umfanges der Apperception, also jener Region maximaler Klarheit, wie diese nach ihrer gemeinsamen Leistung bestimmten Klarheitsgrade auch fernerhin bezeichnet werden sollen, so unzweideutig als nur m\u00f6glich vertreten. Entsprach sie doch auch allein jener oben erw\u00e4hnten Analyse des Klarheitsbewusstseins \u00fcberhaupt, die er bereits vor allen derartigen Experimenten durchgef\u00fchrt hatte. Nach sonstigen, vorhin ebenfalls angedeuteten Angaben scheint sich ja vielleicht auch Cattell schhe\u00dflich nur weniger genau ausgedr\u00fcckt zu haben.","page":511},{"file":"p0512.txt","language":"de","ocr_de":"512\nWilhelm Wirth.\n5) Die Wiedergabe der unbeachteten Kegion nach dieser Methode. Was sich au\u00dfer den vier bis sechs klar erfassten Einheiten sonst noch aus dem unklaren Bereich des tachistoskopisch dargebotenen Complexes in die nachfolgende Periode der Reflexion und Wiedergabe her\u00fcbergerettet hat, ist als ein unbestimmtes und unsicheres Durcheinander von Elementen, die nur nach gewissen abstracten Seiten hin einigerma\u00dfen feststehen, seiner ganzen Erscheinung nach mit den klaren und sicheren Elementen niemals zu verwechseln. Doch kann auf die an sich ganz interessante Analyse dieser schwankenden Merkmale hier nicht weiter eingegangen werden. Jedenfalls ist aber die Beschreibung dieser Inhalte nur ein Nebenerfolg der Methode, und bei der sicheren Abtrennbarkeit dieser Nebenmomente von dem Umfange der maximalen Klarheit kann die feste Umschriebenheit des eigentlichen Resultates niemals beeintr\u00e4chtigt werden.. Dass man diese Vermengung trotzdem manchmal beging und damit die Bestimmtheit des Hauptres\u00fcltates bedroht zu sehen glaubte, beruhte z. T. auch auf der Verwechselung der \u00bbDeutlichkeit\u00ab der Objecte im \u00bbperipheren\u00ab mit derjenigen im \u00bbcentralen\u00ab Sinne. Die letztere entspricht der schon oftmals erw\u00e4hnten Stellung zum \u00bbBlickpunkte des Bewusstseins\u00ab, der Klarheit oder dem \u00bbBewusstseinsgrade\u00ab. Die erstere aber bedeutet durchweg eine den objectiven Vorstellungselementen und ihren gegenseitigen Beziehungen immanente Eigenth\u00fcmlichkeit, die von der Anordnung der qualitativ verschiedenen Elemente und wegen des Einflusses auf diese Abgrenzung der Konturen von der Lage zur Stelle des deutlichsten Sehens und der Adaptation des Sinnesorganes abh\u00e4ngt. Sie ist, kurz gesagt, diejenige Eigenschaft der Reize und Inhalte selbst, welche u. s. gl. U. die einfache Einheitsbildung und damit die Ausdehnung der Apperception auf diese spe-ciellen Objecte erleichtert, und besteht also f\u00fcr eine die Vierzahl weit \u00fcbersteigende Anzahl nicht zu weit von einander entfernter schwarzer Striche auf wei\u00dfem Grunde. Auch diese periphere Deutlichkeit kann nat\u00fcrlich nur dann festgestellt werden, wenn die entsprechenden Wahmehmungsinhalte einigerma\u00dfen beachtet sind. Aber zu dieser Feststellung ist eben doch schon ein relativ geringer Grad hinreichend. Wir erinnern uns also au\u00dfer jener klaren F\u00fcnfzahl noch mindestens an einen gewissen Grad der rein peripher optischen Deutlichkeit und Differenzirung des unklar Erlebten, was nat\u00fcrlich","page":512},{"file":"p0513.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung. 513\nmit einer ehemalig klaren Bewu\u00dftheit und sicheren Erinnerung des Ganzen nicht zu verwechseln ist. Hierin besteht somit h\u00f6chstens die Formulirung eines solchen abstracten Momentes von der vorhin besprochenen Art, wie man es keineswegs etwa als weitere concrete Einheit unserer E\u00fcnfzahl als gleichwerthig hinzuz\u00e4hlen darf. Aus dem Bisherigen geht wohl ebenfalls hervor, dass auch der Vorgang jener \u00bbSch\u00e4tzung\u00ab bei einer gr\u00f6\u00dferen Zahl von Einheiten sowohl nach der objectiven, wie nach der subjectiven Seite auf jenen schwankenden Abstractionen aus der unklaren Kegion des Erlebten beruht. Auch die Untersch\u00e4tzung weist auf eine relativ geringere Ber\u00fccksichtigung der die F\u00fcnfzahl \u00fcberschreitenden Elemente hin, wie sie eben der geringeren Klarheit entspricht.\n?\u25a0\n6) Vortheil einer qualitativen Differenzirung der Elemente des Complexes. Wegen der besonderen Vorbereitung des Beobachters, die bei dieser von Cattell eingef\u00fchrten Fragestellung nach der Anzahl der gesehenen Striche vorhanden ist, wird indessen die ganze Auffassung des Complexes und speciell die Abscheidung einer Kegion maximaler Klarheit von einer relativ unklaren Umgebung wenigstens bei jeder Ueberschreitung der Vierzahl im allgemeinen nicht so vor sich gehen, wie es dem Sinne der Methode eigentlich entspricht. Und gerade bei der Ueberschreitung jener Zahl ist eine solche Kegion dargeboten, welche der richtigen Beurtheilung der Methode verh\u00e4ngnisvoll werden kann. Ueber den Umfang der maximalen Klarheit, welcher allein sicher wiedergegeben werden kann, kann ja durch die unmittelbare Wiedergabe nur dann entschieden werden, wenn der Beobachter bei jedem Versuche zu bestimmen strebt, wieviele Einzelobjecte er sich so klar zu vergegenw\u00e4rtigen vermag, dass er ihre charakteristische Qualit\u00e4t bis zur Aussage festhalten kann. Dieser Zweck wird aber eben nur bei einer speciellen und sozusagen individuellen Beachtung einer gewissen Anzahl einzelner Elemente zu erreichen sein. Durch die Frage nach der Zahl von tachistoskopisch dargebotenen Strichen wird jedoch eine Vertheilung der Aufmerksamkeit auf den ganzen Complex nahegelegt, und man wird daher bei einer gr\u00f6\u00dferen Zahl von Einzelelementen schlie\u00dflich aussagen, dass man zwar alles gesehen habe, auf keines aber so concentr\u00e2t war, dass man f\u00fcr seine Eigenart auch nur im Allgemeinsten gut stehen k\u00f6nne. Der Frage\nWundt, PhiloB. Stadien. XX.\t33","page":513},{"file":"p0514.txt","language":"de","ocr_de":"514\nWilhelm Wirth.\nentsprechend wird man aber doch dann wenigstens relativ am besten sch\u00e4tzen k\u00f6nnen. Eine F\u00e4lschung des Resultates konnte allerdings doch nicht eintreten, weil eben eine sichere Aussage \u00fcber die Zahl doch nur so weit m\u00f6glich ist, als die nicht gro\u00dfe Anzahl auch dem einzelnen Striche noch eine maximale Klarheit zukommen l\u00e4\u00dft. Ferner liegt es aber auch, wie schon angedeutet, in der v\u00f6lligen Gleichartigkeit der Striche, dass selbst ohne irgend welche Vorbereitung\" des Beobachters leicht zu jener Auffassung des ganzen Complexes als Zahl und nicht als einfaches Nebeneinander von Objecten \u00fcbergegangen wird. Eine Differenzirung der Objecte ist also von einiger Bedeutung. Andererseits besitzt die Einfachheit der Striche den Vortheil, dass man wirklich so etwas wie einen einfachen Apperceptions-gegenstand, also eine wirklich vergleichbare Einheit vor sich hat. Auch dies ist ja f\u00fcr den Werth der Methode bedeutungsvoll. An keinem einzelnen Object darf eigentlich eine Mehrheit von Eigent\u00fcmlichkeiten wie eine Anzahl getrennter Einheiten hervortreten, da es ja sonst von Fall zu Fall variirt, mit welcher Zahl man dieses Object in die Bestimmung des Umfanges einsetzen mu\u00df, ein Umstand, der eine allgemein g\u00fcltige Messung wiederum illusorisch machen w\u00fcrde. Die Differenzirung mu\u00df dann aber auch soweit gehen, dass auch ein Hervortreten secund\u00e4rer Merkmale vermieden ist. So w\u00fcrde z. B. die Verwendung von Strichen verschiedener Gr\u00f6\u00dfe neben den einfachen Einheiten der Striche \u00fcberhaupt auch noch Gr\u00f6\u00dfenbeziehungen besonders beachten lassen u. dergl., so dass also die einfache Strichzahl als solche nicht mehr den vom Experimentator gew\u00fcnschten Ma\u00dfstab f\u00fcr die maximal klaren Einheiten abgeben w\u00fcrde. Um also einerseits die Differenzirung der Einzelobjecte und andererseits doch wiederum die Einfachheit der gleichen Striche zu erlangen, ist es am besten, einfache und doch charakteristische geometrische Figuren zu w\u00e4hlen, die doch auch wiederum m\u00f6glichst wenig miteinander zu thun haben. Also Kreise, Quadrate, Dreiecke, Pentagramme u. dergl. Diese stellen f\u00fcr uns in ihrer \u00bbGestaltsqualit\u00e4t\u00ab eine einzige Qualit\u00e4t dar, die aber doch wegen ihrer Abweichung der Striche von den anderen zun\u00e4chst rein f\u00fcr sich betrachtet werden wird. Dazu ist dann nat\u00fcrlich auch erforderlich, dass sie uns auch so im Ganzen hinreichend bekannt und gel\u00e4ufig sind, allerdings eben nur in ihrem optischen Bestand. Denn dann allein ist ja auch die hinreichend schnelle Wiedergabe","page":514},{"file":"p0515.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung. 515\naus einer nat\u00fcrlich nur in beschr\u00e4nkter Zeit klaren Erinnerung m\u00f6glich. Charakteristische Zusammenstellungen m\u00fcssen nat\u00fcrlich aus den erw\u00e4hnten Gr\u00fcnden m\u00f6glichst vermieden werden, wo es nicht auf die Untersuchung des \u00bbTypus\u00ab der Anordung1) ankommt. Diese Form der Gruppirung ist dann nach kurzer Ein\u00fcbung schlie\u00dflich als bekannt und selbstverst\u00e4ndlich vorausgesetzt und wird nicht neben den Einzelinhalten weder im Erleben, noch in der Reflexion eine besondere Aufmerksamkeit absorbiren. Specielle Einfl\u00fcsse dieser Anordnung k\u00f6nnen durch ihre Variation in neuen Reihen compensirt werden.\n7) Best\u00e4tigung des Resultates beim tachistoskopischen Lesen ungel\u00e4ufiger Buchstaben- und Zahlencomplexe. \u2014 Die besondere innere Einstellung beim Lesen. Nun wurden bekanntlich die Catteil\u2019sehen Resultate der Auffassung von 4 bis 6 einfachen Strichen sowohl mit ungel\u00e4ufigen Zahlencomplexen, als auch mit sinnlosen und ungel\u00e4ufigen Buchstabenzusammenstellungen schon von ihm selbst und nach ihm von Goldscheider, Erdmann, Zeitler u. a. best\u00e4tigt gefunden. Offenbar gestatten die in solcher Weise combinirten Zahl- und Buchstabenzeichen auch ziemlich gut eine Auffassung als einfacher charakteristischer Objecte, welche von einander im allgemeinen so weit unterschieden sind, dass die zu einer \u00bbrichtigen\u00ab Angabe erforderliche Klarheit nicht einer gleichzeitigen Beachtung mehrerer \u00bbEinheiten\u00ab entspricht, also bei maximaler Klarheit nicht mehr Concurrenz macht, als die sichere Feststellung eines einzelnen Striches als solchen ohne R\u00fccksicht auf zuf\u00e4llige qualitative Differenzen. Allerdings gilt dies nur mit einer gewissen Einschr\u00e4nkung. Die complicirte Frage der sicheren Unterscheidbarkeit und leichten Lesbarkeit ist ja eben auch hier wiederum eine Vorfrage, die sich erst auf die Abgrenzung der einzelnen Einheiten selbst bezieht, d. h. auf den Umfang des Inhaltes, der als vergleichbare Gr\u00f6\u00dfe von individueller Charakterisirung eingesetzt werden kann.\nDennoch ist zun\u00e4chst der principielle Unterschied nicht zu verkennen, welcher zwischen dem ganzen, hier von den Reizen ausgel\u00f6sten Erlebniss und unserem Idealfall besteht, bei welchem die\n1) Ueber die exacteste Individualisirung durch Einf\u00fchrung verschiedener Grade ein und der n\u00e4mlichen Qualit\u00e4t vgl. sp\u00e4ter Cap. 4.\n33*","page":515},{"file":"p0516.txt","language":"de","ocr_de":"516\nWilhelm Wirth.\nallein als exacte Einheit verwerthbaren optischen Wahrnehmungs-qualit\u00e4ten als solche und rein f\u00fcr sich sowohl mit maximaler Klarheit beachtet, als auch wiedergegeben werden. Dieser Unterschied liegt nat\u00fcrlich darin, dass die Zahlen und Buchstaben auch im einzelnen als Symbole eines bestimmten Sinnes auf gefasst und gelesen werden. Ihr optischer Bestand an sich ist dann nicht mehr das Einzige, was die ganze Exposition hindurch und auch sp\u00e4ter ganz allein klar bewusst ist, bezw. sein soll. Der Lesende geht jederzeit vom optischen Wahmehmungsbestand schon in dessen alleruntersten Perceptions- oder Klarheitsgraden m\u00f6glichst unmittelbar zur Laut-und Articulations Vorstellung, bezw. hei den Zahlen zur Wort- und Sinnvorstellung weiter. Alles,- was \u00fcberhaupt lesbar ist, was also mit gleicher Sicherheit zugeh\u00f6rige Laute und Bedeutungen ins Bewusstsein hebt, wird sozusagen den inneren Schwerpunkt von den rein optischen Qualit\u00e4ten als solchen sogleich nach diesen Bedeutungsvorstellungen hin verlegen lassen. Hiermit soll gar nichts \u00fcber die Simultaneit\u00e4t oder Succession der Gesichts- und Bedeutungsvorstellungen gesagt sein. Je gleichzeitiger die zu einer solchen Bedeutung zusammengeh\u00f6rigen Theile einer Einheit ihren Bedeutungsinhalt in voller Klarheit hervortreten lassen, um so mehr ist der charakteristische Thatbestand des normalen Lesens gegeben.\n8) Die Entfernung des Apperceptionsinhaltes vom ob-jectiven experimentellen Ma\u00dfstabe bei Leseversuchen. \u2014 Leichtigkeit der Reduction auf das einfachste Resultat bei ungel\u00e4ufigen Symboleomplexen. Dieser Unterschied von der ausschlie\u00dflichen Besch\u00e4ftigung mit dem optischen Thatbestand als solchem bedingt aber nun bei den Leseversuchen eine je nach sonstigen Umst\u00e4nden verschieden gro\u00dfe Unabh\u00e4ngigkeit des Bewusstseinsthatbestandes (und zwar hier speciell des qualitativen Inhaltes der Apperception) von der experimentellen Beherrschung. Der Aufbau des gesammten Umfanges, der unmittelbar wiedergegeben wird, wird eben erst durch jenes ganze Associationssystem zwischen Schriftbild, Laut- und Sprachwort vermittelt, welches alle unberechenbaren Eigenth\u00fcmlichkeiten der Ein\u00fcbung und augenblicklichen Leistungsf\u00e4higkeit dieses Systems in die Untersuchung einf\u00fchrt. Schon aus den Pehlern beim gew\u00f6hnlichen Lesen mit einer","page":516},{"file":"p0517.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung. 5J7\nentsprechend l\u00e4ngeren Betrachtung der Schriftbilder ist diese Unberechenbarkeit bekannt, und diese wird beim Uebergang zur tachisto-skopischen Auffassung geradezu systematisch gesteigert. Auf die Einzelheiten brauche ich hier unter Verweisung auf die genannten Arbeiten wohl nicht weiter einzugehen. Zei tier insbesondere hat die E\u00e4lle der objectiver en W\u00fcrdigung des experimentell dargebotenen optischen Bestandes einerseits und der subjectiv gef\u00e4rbten kritikloseren Pesthaltung der sogleich aufsteigenden Wort-Associationsinhalte mit ihrer assimilirenden E\u00fcckwirkung auf die optische Anschauung selbst genauer zu analysiren und den an sich ganz correct hervorgehobenen Gegensatz durch die Ausdr\u00fccke des \u00bbapper-cipirenden\u00ab und \u00bbassimilirenden\u00ab Lesens zu fixiren gesucht. Der erstere Ausdruck ist allerdings insofern nicht unmissverst\u00e4ndlich, als die \u00bbApperception\u00ab auch f\u00fcr Zeitler wie bei Wundt die Stellung eines Inhalts zum Blickpunkt des Bewusstseins bezeichnet1), welche mit der Herkunft dieses Inhaltes aus der \u00e4u\u00dferen Wahrnehmung und der hieraus entspringenden objectiven logischen Bedeutung an sich nichts zu thun hat. Auch der assimilirte Inhalt ist ja stets in diesem Sinne appercipirt. Der zweite, auch richtig bezeichnete Fall des \u00bbassimilirenden\u00ab Lesens ist nun der Grundtypus der erw\u00e4hnten St\u00f6rung einer experimentellen Beherrschung des Thatbestandes. Indessen kann die Umfangsbestimmung in dem hier \u00fcberhaupt m\u00f6glichen Sinne durch diese Illusionswirkungen auf Grund der Assimilationen deshalb doch nicht wesentlich verf\u00e4lscht werden, weil f\u00fcr sie eben die Herkunft der Ausf\u00fcllung schlie\u00dflich gleichg\u00fcltig ist, wenn nur wenigstens die Zeitdauer des Bewusstseinsinhaltes vom Experiment exact abgegrenzt bleibt. Wenn aber keine hypnotische Beeinflussung des Beobachters vorliegt, wie sie hier \u00fcberall ausgeschlossen gedacht ist, so ist in der That anzunehmen, dass die mit voller Empfindungsfrische gegebenen Assimilationen nicht l\u00e4nger als die associativ allein wirksame Umgebung den Charakter der unmittelbaren Wahrnehmung besitzen. Kam hingegen in der\n1) Das Wort appercipere enth\u00e4lt ja allerdings, wie fast alle jetzigen A\u00fcsdr\u00fccke f\u00fcr Bewusstseinsthatsachen als solche, der Entwicklung des Denkens \u00fcberhaupt entsprechend, eine Beziehung auf einen objectiven Thatbestand. Nach seiner psychologischen Specialisirung darf aber bei der Verwendung ein R\u00fcckfall in diese Betrachtung nicht mehr stattfinden.","page":517},{"file":"p0518.txt","language":"de","ocr_de":"518\nWilhelm Wirth.\nWahrnehmung selbst kein assimilirtes Beiwerk hinzu, so liegt eben ein Ball der objectiver en Auffassung vor. Nachtr\u00e4gliche Beeinflussungen hingegen k\u00f6nnen bei psychologischer Schulung des Beobachters, wie schon erw\u00e4hnt, als blo\u00dfe Vermuthungen aus dem Resultat der sicheren Wiedergabe des wirklich Wahrgenommenen leicht ausgeschieden werden1). So ist es also auch gar nicht zu verwundern, dass durch die tachistoskopischen Leseversuche die Resultate derartiger TJmfangsbestimmungen mit reinen optischen Wahrnehmungsinhalten so gut als m\u00f6glich best\u00e4tigt wurden. Sie stellen nach dem soeben Gesagten allerdings nicht die einfachsten F\u00e4lle der Ableitung des Aufmerksamkeitsumfanges dar, und man wird daher die Regeln nicht von ihnen neu ableiten, sondern zufrieden sein, wenn man das anderweitig Abgeleitete unter Ber\u00fccksichtigung der complicirten Nebenumst\u00e4nde in mehr deductiver Weise mit ihnen in Einklang zu bringen vermag. Am einfachsten gestaltet sich diese Angleichung aber nun bei der Darbietung sinnloser und ungel\u00e4ufiger Buchstabencomplexej von denen in diesem Abs\u00e4tze zun\u00e4chst ausgegangen worden war. Die Verlegung der Apperception nach den unter Umst\u00e4nden assimilativ modificirten Bedeutungsvorstellungen kann hier kein wesentlich anderes Schauspiel der Vorstellungsconcurrenz im unmittelbaren Erleben und der Reproductionsh\u00fclfen bei der Wiedergabe darbieten, als es schon die einzelnen optischen Zeichen als solche gethan h\u00e4tten, wenn sie ausschlie\u00dflich als solche betrachtet worden w\u00e4ren. Bei einer sinnlosen Combination herrscht allgemeine gegenseitige Concurrenz aller richtig oder falsch gelesenen Buchstaben, sie m\u00fcssen zur Erm\u00f6glichung der Wiedergabe alle im einzelnen maximal klar werden, und so werden nur circa vier dieser zwar bedeutungsvollen, aber unter sich zusammenhangslosen Elemente richtig wiedergegeben werden k\u00f6nnen.\n9) Reduction des Resultates bei gel\u00e4ufigen Complexen auf die bekannten Gesammtformen derselben. Eine genauere\n1) Auf die vielen Variationen des Resultates, welche je nach der Art und dem Zeitpunkte der Wiedergabe eintreten und die besonders von Finzi a. a. 0. sorgf\u00e4ltig ber\u00fccksichtigt wurden, kann ich hier nicht weiter eingehen. Bei der Definition des Umkreises der \u00bbmaximalen Klarheit\u00ab, die ja, wie aus dem Fr\u00fcheren ersichtlich, von den Reproductionsbedingungen keineswegs unabh\u00e4ngig ist, ist aber nur eine constante Und wom\u00f6glich g\u00fcnstigste Art und Weise dieser Wiedergabe vorausgesetzt.","page":518},{"file":"p0519.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung. 519\nAnalyse des Bewusstseinsvorganges ist jedoch zur Angleichung an das einfachste Oattell\u2019sche Resultat dann erforderlich, wenn nicht mehr jene sinnlosen Complexe, sondern gel\u00e4ufige Worte und schlie\u00dflich S\u00e4tze dargehoten werden. Schon Cattell selbst hat bekanntlich beobachtet, dass ca. viermal mehr Buchstaben in gel\u00e4ufigen Zusammenh\u00e4ngen behalten werden, und alle sp\u00e4teren Arbeiten haben dieses Resultat best\u00e4tigt gefunden. Da aber nat\u00fcrlich die dargebotenen Buchstaben die n\u00e4mlichen sind, wie fr\u00fcher in den sinnlosen Oomplexen, so scheint auf den ersten Blick die bisher festgehaltene Anschauung von der Gr\u00f6\u00dfe des Umfanges der maximalen Klarheit f\u00fcr diese F\u00e4lle nicht mehr auszureichen. Vor der Annahme eines prineipiellen sachlichen Unterschieds kann indessen schon die einfache Erinnerung an die M\u00f6glichkeit warnen, dass wir eben ein und die n\u00e4mliche Sache, n\u00e4mlich den an sich relativ constanten Umfang der maximalen Klarheit unter solchen Bedingungen, in beiden F\u00e4llen sozusagen in verschiedenen Einheiten gemessen haben, wie wenn z. B. eine eindeutig bestimmte r\u00e4umliche Ausdehnung, etwa eine Bergh\u00f6he, einmal in Metern, das andere Mal in Fu\u00df ausgedr\u00fcckt wird. Und in der That wird es sich auch hier nicht viel anders verhalten, wenn auch gewisserma\u00dfen die Aufstellung der Beziehungsgleichung nicht ganz einfach ist. Schon Cattell selbst hat eine solche Angleichung durch den Hinweis darauf vorbereitet, dass die gel\u00e4ufigen Worte und selbst eben solche S\u00e4tze \u00bbals Ganzes aufgefasst\u00ab werden. Wenn wir also wieder die Cattell\u2019sche Auslegung dessen, was er eigentlich festgestellt hat, in einen Umfang der maximalen Klarheit umdeuten, so hei\u00dft dies so viel, als dass die Einzelobjecte mit maximaler Klarheit, die wegen dieses Bewusstseinsgrades auch festgehalten und wiedergegeben werden, in diesem Falle nicht in den einzelnen Buchstaben, sondern in den Worten u. s. w. zu sehen sind, bei deren Z\u00e4hlung die fr\u00fchere Anzahl aufgefasster Einzelobjecte in der That auch ungef\u00e4hr erhalten bleibt. Man muss nat\u00fcrlich auch auf eine genauere Charakterisirung und eine Abgrenzung der Voraussetzungen des Vorganges bedacht sein, der mit jenem vieldeutigen Begriffe der Auffassung als eines Ganzen gemeint ist. Hierauf beziehen sich bereits die Untersuchungen von Goldscheider und M\u00fcller und am ausf\u00fchrlichsten die theoretischen Betrachtungen von Erdmann und Dodge, welche das bereits von Goldscheider und","page":519},{"file":"p0520.txt","language":"de","ocr_de":"520\nWilhelm Wirth.\nM\u00fcller verwendete Princip so weit als m\u00f6glich ausdehnten. Sie betonen zun\u00e4chst das Unzureichende der \u00bbAuffassung als eines Granzen\u00ab f\u00fcr die Erkl\u00e4rung, da diese Auffassung jedem Complexe gegen\u00fcber gegeben sein k\u00f6nne, der durch rein optische Abgrenzungsmomente innere Gr\u00fcnde f\u00fcr eine einheitliche Auffassung enthalte, also auch bei einem ganz sinnlosen Buchstabencomplex, bezw. hei mehreren solchen neben einander, wie dies auch mit den Ausf\u00fchrungen der Einleitung \u00fcber die Einheitsbildung ganz \u00fcbereinstimmt (S. 494) *). E\u00fcr die Erkl\u00e4rung dieses speciellen Falles kommen indessen nur diejenigen Factoren in Betracht, welche die Auffassung als Ganzes sowohl f\u00fcr die Klarheitsverh\u00e4ltnisse des Wahmehmungsactes selbst, als auch f\u00fcr die Wiedergabe im einzelnen fruchtbringend werden lassen. Im Anschluss an L\u00f6wenfeld\u2019s Feststellung typischer Wortbilder (ohne tachistoskopische Methode), die auch bei (optischer) Undeutlichkeit s\u00e4mmtlicher einzelner Buchstaben, also bei schlechter Accomodation (oder, wie Erdmann fand, bei theilweiser Lage au\u00dferhalb des deutlichen Sehens), ein Erkennen gel\u00e4ufiger Worte erm\u00f6glichen und im Gegensatz zu Goldscheider\u2019s Betonung determinirender Einzelbuchstaben innerhalb des Wortbildes, bezeichnen Erdmann und Dodge die optische Gesammtform eines gel\u00e4ufigen Wortes als das Ganze, welches um seiner Einge\u00fcbtheit willen sogleich als Ganzes wiedererkannt wird und damit erst die Feststellung und Wiedergabe der Einzelbuchstaben und ihrer gegenseitigen Beziehungen zu einander erm\u00f6glicht1 2). In der That muss zugestanden werden, dass gerade auch bei der tachistoskopischen Darbietung mit hinreichender optischer\n1)\tVgl. auch Wundt, Physiol. Psychol. 4. Aufl. II. S. 288.\n2)\tDie ganze Discussion der Frage, ob bei ungen\u00fcgender Einge\u00fcbtheit der Worte nicht doch wiederum eine gr\u00f6\u00dfere Ann\u00e4herung an das JBuchstabiren zu finden sei, welches au\u00dferdem h\u00f6chstens noch durch die Assimilation seitens determinirender Buchstaben unterst\u00fctzt werde und nur bei hinreichender Verk\u00fcrzung der Expositionszeit deutlich zu erkennen sei, einer Frage, f\u00fcr deren Bejahung vor allem von Zeitler mit gro\u00dfer Sorgfalt Material gesammelt wurde, besitzt f\u00fcr die Angleichung des Lesens gel\u00e4ufiger Worte an die einfachste Messung des Aufmerksamkeitsumfanges nach dieser Methode erst secund\u00e4re Bedeutung. Insofern bei derartigen F\u00e4llen, die sich gegen die Verwerthung einer Wortform anf\u00fchren lassen, jederzeit zugleich der Umfang des tachistoskopisch mit Sicherheit Gelesenen eingeschr\u00e4nkt erscheint, vermehren sie nur die Uebergangsf\u00e4lle, welche zwischen dem buchstabirenden Auffassen sinnloser Complexe und dem Auffassen sehr gel\u00e4ufiger Worttypen im Ganzen in der Mitte stehen. Man wird darum niemals","page":520},{"file":"p0521.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung. 521\nDeutlichkeit der Buchstaben, hei der von vornherein eine gleichm\u00e4\u00dfige Yertheilung der Aufmerksamkeit auf ein gr\u00f6\u00dferes Feld gegeben ist, eine solche typische Wortform sogleich heraustreten kann. Dazu ist ja zun\u00e4chst weiter nichts vorausgesetzt, als dass thats\u00e4chlich ein derartiger charakteristischer Gegenstand der Apperception und der Ein\u00fcbung bis zur Gel\u00e4ufigkeit m\u00f6glich sei, wie er in dem optischen Typus des Wortes, abgesehen von seinen einzelnen Theilen, besteht. Nun zeigt aber die Psychologie der Abstraction nicht nur, dass an allen Complexen die verschiedenen Merkmale im gew\u00f6hnlichen Sinne des Wortes als ebenso viel einheitliche, wenn auch niemals ohne ihre concrete Grundlage denkbare Gegenst\u00e4nde der Aufmerksamkeit zu betrachten sind, sondern auch, dass diese Merkmale von den \u00fcbrigen \u00bbMerkmalen\u00ab relativ unabh\u00e4ngig zu besonderer Beachtung gelangen k\u00f6nnen, wobei die \u00fcbrigen Merkmale zwar infolge der vorhinbezeichneten Unm\u00f6glichkeit des Bewusstseins abstracter Vorstellungen ohne die ganze concrete Grundlage nicht aus dem Bewusstsein verschwinden, aber doch relativ unbeachtet bleiben. Wo aber solche selbst\u00e4ndige Beachtung m\u00f6glich ist, da kann auch eine relativ selbst\u00e4ndige Ein\u00fcbung stattfinden, so dass nun in Zukunft auch der Complex sogleich immer auf seine Form hin betrachtet wird. Der sogenannte optische \u00bbTypus\u00ab ist nun in der That nichts anderes als das Merkmal der durch die Buchstabencombination entstehenden Ge-sammtform, deren Einheitlichkeit als Object der Betrachtung schon einmal zu ihrer Vergleichung mit derjenigen einfachster Qualit\u00e4ten in dem Begriff der \u00bbGestaltsqualit\u00e4t\u00ab gef\u00fchrt hat.\nMan braucht f\u00fcr unsere Frage nicht einmal zum allerallgemeinsten durch die abstrahirende Apperception gewonnenen Merkmal aufzusteigen, welches die Wiedererkennung bedingt, wenn kein einzelnes Element, sondern nur die Beziehungen wiedergegeben sind, wie z. B. bei der Wiedererkennung der Melodie in verschiedenen Tonlagen. Man kann sich vielmehr diese klar bewusste Form einfach als Com-\nleugnen, dass die Gesammtform der gel\u00e4ufigen W\u00f6rter unter Voraussetzung der thats\u00e4cliliclien Gel\u00e4ufigkeit des Sprachschatzes ohne gleichzeitige M\u00f6glichkeit, einen der einzelnen Buchstaben sicher festzustellen, einen viel sichereren Schluss auf das Wort innerhalb m\u00f6glicher Grenzen gestattet, vorausgesetzt, dass wirklich ein sinnvolles Wort erwartet wird. Beim Lesen vollzieht sich dieser Process nur weniger reflectirt.","page":521},{"file":"p0522.txt","language":"de","ocr_de":"522\nWilhelm Wirth.\nplex der Umrisslinien u. s. w. denken, die in ihrem Contrast zur Umgebung am leichtesten der Betrachtung sich darbieten. Die maximale Klarheit dieser Form darf nur eben nicht mit der gleich hohen Beachtung aller Buchstaben im einzelnen verwechselt werden. Es enth\u00e4lt vielmehr nur diejenigen Einzelmerkmale in relativ h\u00f6herer Klarheit, welche hei einer gleichm\u00e4\u00dfigen Beachtung des ganzen Feldes der voraussichtlichen Ausdehnung der Worte vor der Exposition am ehesten hervortreten, ein Gesichtspunkt, der vor allem auch in der Frage der determinirenden Elemente in der Wortform vermitteln kann. Auch jeder sinnlose Buchstabencomplex wird ja rein um seiner optischen Vereinheitlichung willen unter Hervorhebung besonders \u00bbauff\u00e4lliger\u00ab Merkmale \u00fcberschaut, und haben wir in dieser Auffassung im \u00bbGanzen\u00ab das n\u00e4mliche Bewusstsein, das nur im anderen Falle durch die Associationen noch besondere Leistungen vollbringt. Beim sinnlosen Complex ist also diese ebenfalls hervorspringende Form nur eben noch keine bekannte Qualit\u00e4t neben den einzelnen Buchstabenformen selbst, so dass sie auch nur merkbar ist, soweit sich die einzelnen Buchstaben gerade in dieser an sich noch v\u00f6llig ungel\u00e4ufigen Combination festhalten lassen. Die Abk\u00fcrzung und Sicherung des Processes bei gel\u00e4ufigen Worten vollzieht sich somit in der Weise, dass diese an sich schon bei gleichm\u00e4\u00dfiger Betrachtung hervortretende Form durch die Ein\u00fcbung in dieser Zusammensetzung leichter zu maximaler Klarheit gelangt und dann vor allem auch immer schneller und sicherer zur Bedeutungsvorstellung fortleitet. Mit dieser genaueren Analyse der Auffassung von Worten u. s. w. als eines Ganzen ist aber nun nicht im mindesten ein Widerspruch gegen die Cattell\u2019sche Subsumption der Ergebnisse bei Worten u. s. w. unter seine Umfangsbestimmung gerechtfertigt, welche darin besteht, dass das \u00bbGanze\u00ab zu den einzelnen Buchstaben der sinnlichen Complexe in Parallele gestellt wurde. Vielmehr ist diese Auffassung damit gerade erst sicher begr\u00fcndet, welche f\u00fcr Cattell schon unmittelbar aus der That-sache hervorleuchtet, dass der Umfang, in welchem die Auffassung von gel\u00e4ufigen Wortformen geschehen kann, ungef\u00e4hr die n\u00e4mliche Vierzahl von Haupteinheiten des Umfanges maximaler Klarheit in sich schlie\u00dft. Die gr\u00f6\u00dfere Zahl von Einzelbuchstaben, die hier wiedergegeben werden kann, l\u00e4sst sich nach den obigen","page":522},{"file":"p0523.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und'seiner Messung. 523\nAusf\u00fchrungen ohne Annahme einer Ver\u00e4nderung des m\u00f6glichen Ge-sammtumfanges widerspruchslos zurechtlegen, wenn man annimmt, dass nur die Wortformen im Ganzen der maximalen Klarheit theilhaftig zu werden brauchen, wobei sich allerdings wegen der besonderen Umst\u00e4nde f\u00fcr die Buchstaben immer noch ein gewisser Vortheil ergeben wird (s.u.). Anderseits m\u00fcssen aber auch die Haupteinheiten in der experimentell abgegrenzten Wahrnehmungszeit wirklich zu solcher Klarheit erhoben worden sein; denn nur dann k\u00f6nnen sie als Anhaltspunkt f\u00fcr die Reproduction der einzelnen Buchstaben in dem vorhin genauer ana-lysirten Sinne dienen. Sobald nicht sogleich mit der Wahrnehmung eine solche gel\u00e4ufige Wortform mit dem Bewusstsein eines bestimmten Sinnes sich heraushebt, und damit das Bewusstsein von demjenigen einem sinnlosen Complexe gegen\u00fcber nicht verschieden ist, wird ja auch die zun\u00e4chst aufs Ganze vertheilte Aufmerksamkeit, um \u00fcberhaupt etwas klar ersehen und behalten zu k\u00f6nnen, sofort auf die Beachtung der Buchstaben im einzelnen \u00fcbergehen, so dass dann f\u00fcr die Wiedergabe eben wieder nicht viel mehr als ca. vier Buchstaben in Frage kommen k\u00f6nnen.\n10) Die Erh\u00f6hung der Zahl der wiedergegebenen Einzelelemente (Buchstaben) bei gel\u00e4ufigen Complexen. a) Erh\u00f6hung des mittleren Klarheitsgrades der Elemente im unmittelbaren Erleben. \u2014 Vollst\u00e4ndigere Ausf\u00fcllung des zu messenden Umfanges durch den gel\u00e4ufigen Complex. Die Wiedergabe der gr\u00f6\u00dferen Zahl von Buchstaben im einzelnen ist aber nach Auffassung gel\u00e4ufiger Worte u. s. w. auch eine relativ secund\u00e4re und ziemlich complicirte Thatsache, deren sorgf\u00e4ltige Pr\u00fcfung indessen den allgemeing\u00fcltigen Werth des ersten Resultats unter den einfachsten Bedingungen nicht sch\u00e4digen kann. An und f\u00fcr sich vollzieht sich eben bei wirklicher Auffassung im Ganzen auch die Wiedergabe vor allem in dem im Ganzen maximal beachteten Worte. Die Buchstaben-Analyse wird dabei immer erst bei einer besonders darauf gerichteten Vorbereitung sich einstellen. Dabei werden aber zun\u00e4chst auch schon alle Vortheile zur Geltung kommen m\u00fcssen, welche durch die Gel\u00e4ufigkeit der Klarheit der Einzelmomente in der unmittelbaren Wahrnehmung selbst zu Theil werden, im Vergleich zur Darbietung ebenso vieler ungel\u00e4ufiger Buchstaben. Keines-","page":523},{"file":"p0524.txt","language":"de","ocr_de":"524\nWilhelm Wirth.\nfalls werden nat\u00fcrlich die richtig wiedergegebenen Einzelbuchstaben der gel\u00e4ufigen Worte bei der Auffassung mehrerer Worte im Mittel die n\u00e4mliche Klarheit besessen haben, wie die richtig wiedergegehenen ungel\u00e4ufig gruppirten Buchstaben. Doch werden sie im allgemeinen wenigstens eine gr\u00f6\u00dfere Klarheit besessen haben, wie bei eben so vielen Elementen, die unter sich durch gar keine Beziehung associativ verkn\u00fcpft sind. Dies wird dann nat\u00fcrlich wieder nicht nur dem unmittelbaren Erleben, sondern ebenso auch der selbst\u00e4ndigen Repro-ducirbarkeit zu Gute kommen. E\u00fcr diese Frage der Klarheitsver-theilung innerhalb einheitlich aufgefasster Complexe verweise ich insbesondere auch auf die beiden im Folgenden noch \u00f6fters citirten zwei kleineren Special-Abhandlungen von Th. Lipps \u00fcber die \u00bbQuantit\u00e4t in psychischen Gesammtvorg\u00e4ngen\u00ab1 2) und \u00bbUeher psychische Absorption\u00ab2). Die leistungsf\u00e4hige Simultan-Association l\u00e4sst nicht nur von der Betrachtung der Einzelelemente aus sogleich die Wortform hervortreten, sondern bewirkt gewisserma\u00dfen auch eine g\u00fcnstigere Verwerthung der gesammten dem Complex zur Verf\u00fcgung stehenden Aufmerksamkeit im Einzelnen. Diese Wirkung der Association auf die bessere Ausn\u00fctzung der gesammten F\u00e4higkeit zu maximal klaren Inhalten hat auch Wundt schon in der 1. Auflage der physiol. Psychologie speciell mit Bezug auf tachistoskopische Versuche als Wirkung der Wiederholung einer Exposition auf die Ausweitung des gesammten Aufmerksamkeitsumfanges erw\u00e4hnt3). Diese Erfahrung bildet nat\u00fcrlich ebenfalls keinen Widerspruch gegen die bisher behauptete Constante des momentanen Klarheitsumfanges. Dieser bezieht sich vielmehr ausschlie\u00dflich auf die Anzahl von gel\u00e4ufigen Einheiten ohne irgend eine bekannte Beziehung zwischen den Objecten, in denen der Umfang angegeben werden soll. Nur dadurch erreicht man ja eine m\u00f6glichst gute Ann\u00e4herung an die reine Heraushehung der Vorstellungs-Concurrenz, wie sie die unmittelbare Folge der Bewusstseinsenge bildet. Durch die Feststellung der m\u00f6glichen Zahl derartig isolirter Elemente in maximaler Klarheit ist jedoch noch gar nichts dar\u00fcber bestimmt, wie hoch sich nun\n1)\tSitzgsber. d. philos.-philol. u. d. histor. Classe d. k. bayer. Aiad. d. Wissensch. 1899, 3. Heft.\n2)\tEbenda 1901, 4. Heft.\n3)\t4. Aufl. H. S. 268 f.","page":524},{"file":"p0525.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung.\n525\ndie absoluten Klarheitsgrade belaufen, bezw. wieviele Objecte noch in der gleichen Klarheit wie bei ca. 5 isolirten Einzelobjecten zu diesen hinzutreten k\u00f6nnen, wenn s\u00e4mmtliche Objecte zusammen ein gel\u00e4ufiges, unter sich associativ verbundenes Ganze ausmachen. Die blo\u00dfe Vermehrung des Wiedergegebenen bei gel\u00e4ufigen Expositionsobjecten kann nat\u00fcrlich selbst die Frage nicht sicher entscheiden, weil der Experimentator schlie\u00dflich nicht mit voller Gewissheit entscheiden kann, ob die Festhaltung von mehr Elementen wirklich einer Steigerung der Klarheit im unmittelbaren Erleben zu verdanken ist, und nicht blo\u00df mehr indirect einer Erg\u00e4nzung der Erinnerung und einer Wiedererkennung der unklaren Theile, wie sie im n\u00e4chsten Abs\u00e4tze (10b) noch zur Sprache kommen wird. Nur die Reflexion auf die unmittelbar erlebten Klarheitsgrade und die Sicherheit der Wiedergabe kann hier entscheiden, und diese scheint allerdings zu ergeben, dass die indirecte Feststellung einer gr\u00f6\u00dferen Zahl von Elementen an der Hand der im Ganzen festgehaltenen Formvorstellung u. dergl. niemals die ganze Beg\u00fcnstigung bei Auffassung gel\u00e4ufiger Wortformen ausmacht. Es ist vielmehr in der That eine unmittelbare Erinnerung an eine relativ h\u00f6here Klarheit der Einzelbuchstaben innerhalb der Wortformen unbestreitbar zuzugestehen, wie es auch schon Oattell gefunden hat. Dies l\u00e4sst sich also auch so ausdr\u00fccken, dass die gesammte F\u00e4higkeit, einen bestimmten Umfang von Inhalten mit einer gewissen Vertheilung ihrer Bewusstseinsgrade zu erleben, durch die Concurrenz unter sich beziehungsloser Einzehnhalte theilweise gebunden wird, ohne dass man mit Sicherheit anzugeben verm\u00f6chte, ob daf\u00fcr irgend welche andere begleitende Bewusstseinsinhalte vorhanden sind. Dem gesammten \u00fcberhaupt m\u00f6glichen Vorstellungs-Umfang in bestimmter Klarheit k\u00e4me man immer n\u00e4her, je mehr s\u00e4mmtliche Vorstellungselemente zu einem einheitlichen Ganzen von gel\u00e4ufigen inneren Beziehungen und Untergliederungen verbunden sind, wie es sich z. B. durch einfache Wiederholung oder dauernde Darbietung eines Objectes herausentwickeln kann. Eine solche Anlegung eines m\u00f6glichst gro\u00dfen Theiles des gesammten Umfangs in einem experimentell dargebotenen Complexe ist also wieder eine Sache f\u00fcr sich. Im allgemeinen geht man aber nat\u00fcrlich f\u00fcr gew\u00f6hnlich nicht blo\u00df in ausgefahrenen Vorstellungsgeleisen weiter, sondern findet und","page":525},{"file":"p0526.txt","language":"de","ocr_de":"526\nWilhelm Wirth.\nsucht \u00fcberall Vorstellungen ohne solche selbstverst\u00e4ndlich gewordenen Beziehungen, so dass die eben noch klar zu \u00fcberspannende Zahl von zusammenhangslosen Einzelobjecten gewisgerma\u00dfen practisch ungleich wichtiger ist. Auch kommt ja gerade f\u00fcr die Auffassung mehrerer an sich ganz gel\u00e4ufiger Worte in nicht ebenso h\u00e4ufiger Verbindung ebenfalls wieder diese einfachere Thatsache der reinen Vorstellungsconcurrenz mit der hierf\u00fcr gefundenen Constanten zur Geltung. Mit dem soeben genannten Gesichtspunkt verbindet sich noch ein weiterer Vorsprung der Klarheit und Merkbarkeit gel\u00e4ufiger Worte sammt allen ihren Elementen im Gegens\u00e4tze zu zusammenhangslosen Einheiten. Alle diese bisher behandelten Messungen analysirten das einzige momentane Erlebniss, in welchem die tachistoskopische Exposition eines optischen Complexes wahrgenommen wird. Durch die m\u00f6glichst gleichm\u00e4\u00dfige Ausf\u00fcllung des Sehfeldes vor der Exposition, z. B. durch eine dunkelgraue Fl\u00e4che, konnte sich die Aufmerksamkeit zun\u00e4chst zwar m\u00f6glichst auf den optischen Umfang der zu erwartenden Einzelobjecte einrichten. Doch musste der ganze Inhalt, auf welchen sich die auf die optische Wahrnehmung reflectirende oder einfach ablesende Wiedergabe bezog, in der n\u00e4mlichen minimalen Zeit selbst, aus jener gleichm\u00e4\u00dfigen Ausf\u00fcllung heraus, immer erst ganz neu entstehen. Diese Bedingungen waren nat\u00fcrlich f\u00fcr die verschiedenartigsten Expositionsobjecte gleichm\u00e4\u00dfig genug, um jene in ihrer Bedeutung hinreichend hervorgehobenen Resultate als allgemein g\u00fcltige Gr\u00f6\u00dfen gewinnen zu lassen. Insbesondere enthielt die Vorbereitung vor der Exposition keinerlei associative Beg\u00fcnstigung des einen oder anderen Wahrnehmungsinhaltes. Dennoch bedeutet nat\u00fcrlich jeder pl\u00f6tzliche Uebergang zu einem ganz neuen Object eine St\u00f6rung des bisherigen Zustandes, welche die Vertheilung der Aufmerksamkeit und der Klarheit nicht in der Weise durch die gesammte \u00bbExpositionszeit\u00ab bezw. ihr psychisches Oorrelat hindurch vorhanden sein l\u00e4sst, wie wenn der zu analysirende zeitliche Ausschnitt aus dem Bewusstseinsleben in der Hauptsache nur eine Fortsetzung eines schon vorher erreichten Zustandes bedeutet, wie es z. B. bei Betrachtung eines l\u00e4nger dargebotenen Objectes erfolgt. Man verbraucht unter solchen Umst\u00e4nden einen gewissen Theil der gebotenen Gesammtzeit f\u00fcr die Herstellung derjenigen Aufmerk-maskeits-Vertheilung, welche \u00fcberhaupt ein Behalten des Thatbestandes","page":526},{"file":"p0527.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung.\n527\nerm\u00f6glicht. Enth\u00e4lt nun der neue Eindruck innerhalb des ganzen Feldes, auf dessen Ausf\u00fcllung man vorbereitet war, lauter zusammenhangslose Einzelelemente, z. B. also einen reinen sinnlosen Buchstaben-Complex, so wird nun eine angemessene Aufmerksamkeitsvertheilung in einer selbst\u00e4ndigen Beachtung jedes einzelnen Buchstaben f\u00fcr sich bestehen m\u00fcssen, w\u00e4hrend die Ausf\u00fcllung mit gel\u00e4ufigen Buchstaben-combinationen viel schneller die endg\u00fcltige Vertheilung der Klarheit erm\u00f6glicht, etwa eben so schnell, als wenn nur eben so viele einzelne Buchstaben dagewesen w\u00e4ren. Wieviel Zeit und Kraft nun f\u00fcr die Herstellung der richtigen Klarheitsvertheilung, welche allein die Wiedergabe erm\u00f6glicht, von dem gesammten Umfang maximaler Klarheit verloren geht im Vergleich zu einem gleich langen Zustande, wo diese Vertheilung bereits von Anfang an erreicht war, ist nat\u00fcrlich eine Frage f\u00fcr sieh. Auch von dieser Seite aus scheinen also nur gel\u00e4ufige und dauernd dargebotene Combinationen den ganzen m\u00f6glichen Umfang maximaler Klarheit in sich aufnehmen zu k\u00f6nnen, w\u00e4hrend bei jeder Ver\u00e4nderung innerhalb des Gesammtbestandes so und so viel noch im Hintergr\u00fcnde des Bewusstseins, in den zur Klarheit aufsteigenden und von ihr zur\u00fccksinkenden Vorstellungen, zur\u00fcckbleibt. So ergiebt sich also beim Auftauchen gel\u00e4ufiger Wortformen auch noch eine viel l\u00e4ngere Dauer des mittleren Klarheitsgrades, den die Elemente, eine bestimmte endg\u00fcltige Vertheilung der Beachtung im Sinne des vorigen Abschnittes vorausgesetzt, \u00fcberhaupt zu erreichen f\u00e4hig sind und somit eine neue Beg\u00fcnstigung der Wiedergabe des Gesehenen.\nWenn man daher die Verwirrung in der Beproduction nach Darbietung ungel\u00e4ufiger Complexe mit dem Erfolg eines Durcheinandersch\u00fctteins der Buchstaben verglichen hat, so ist dieses Endergebniss vor allem dem Umstande zu verdanken, dass w\u00e4hrend der Wahrnehmung selbst die durch die Exposition zun\u00e4chst gest\u00f6rte innere Buhe einer entsprechenden Aufmerksamkeits- und Klarheitsvertheilung niemals oder viel zu sp\u00e4t wieder erreicht wird. Auch nach dieser Hinsicht zeigt aber die unter der speciellen Bedingung der Neuauf-auffassung abgeleitete Constante keine geringere begriffliche Pr\u00e4cision, insofern ihre deductive Anwendbarkeit nat\u00fcrlich ganz und gar auf das Gebiet solcher Neuauffassungen mit den entsprechenden Beschr\u00e4nkungen des aufgestellten Umfangs eingeschr\u00e4nkt bleibt, wie ja","page":527},{"file":"p0528.txt","language":"de","ocr_de":"528\nWilhelm Wirth.\n\u00fcberhaupt der Begriff des Umfanges der maximalen Klarheit durch die Versuchsbedingungen genau pr\u00e4cisirt ist.\n10b) Mittelbare Beg\u00fcnstigung der Reproduction unklarerer Elemente von gel\u00e4ufigen Complexen. Die Hauptdifferenz bei der Angabe der Einzelbuchstaben aber besteht nach Ablesung gel\u00e4ufiger Worte vor allem darin, dass diese Wiedergabe aus denjenigen Bedingungen heraus, welche sie mit der Ablesung ungel\u00e4ufiger Complexe gemein haben, den Umfang der maximalen Klarheit selbst wesentlich \u00fcberschreiten kann. Wie oben erw\u00e4hnt, ist f\u00fcr alle Expo-sitionscomplexe die relativ pr\u00e4cise Abgrenzung der ungef\u00e4hren Vierzahl als des Umfangs der maximalen Klarheit nur durch die specielle Methode der unmittelbaren Wiedergabe selbst abgegrenzt, bei welcher der Beobachter bei v\u00f6lliger Unwissentlichkeit ohne fragendes Eingreifen des wissenden Experimentators eben nicht mehr als das ma.Yimfl.l klar Aufgefasste wiederzugeben vermag. Jederzeit ist aber, wie gesagt, bei gr\u00f6\u00dferen Complexen noch so viel erinnerlich, da\u00df noch etwas da war und dass sogar, wie schon Oattell fand, auf Fragen hin angegeben werden kann, dass ein bestimmter Buchstabe vorkam. Diese letztere Thatsache, dass auch unklarere Erlebnisse nicht absolut verloren sind, dass vielmehr die sofortige Darbietung des n\u00e4mlichen Thatbestandes in der Frage, ob dieser oder jener Buchstabe da war oder nicht, sogar ein Aehnlichkeits- oder Identit\u00e4tsbewusstsein erzeugen kann, ist aber nun beim Lesen sinnvoller gel\u00e4ufiger Stoffe durch Hinzutreten eines inneren Mechanismus sozusagen systematisch ausgen\u00fctzt. Denn die Gesammtform, die wir beim Dasein aller Buchstaben gleichzeitig auffassten, und die nun an der emporgehobenen Bedeutungsvorstellung einen sicheren R\u00fcckhalt findet, leistet in der Folgezeit fortw\u00e4hrend den Dienst, welcher sonst in jener Frage des Experimentators nach den von ihm exponirten, aber nur unklar erfassten Buchstaben bestand. In der Festhaltung des gelesenen Wortes sind fortgesetzt die ehemals unklar gesehenen Theilbuchstaben nahe gelegt, die nun auch, trotz ihrer Unklarheit im unmittelbaren Erleben als damals vorhanden mit entsprechender Sicherheit wiedererkannt werden, wozu eben, wie gesagt, auch das Ged\u00e4chtniss an das Unklarere ausreicht, zumal nun das einzelne auch in der alten Umgebung dargeboten ist. Die Analyse der Einzel-","page":528},{"file":"p0529.txt","language":"de","ocr_de":"529\nZur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung.\nBuchstaben gestattet hier also wegen der Unm\u00f6glichkeit, denKlarheits-grad des Wiedergegebenen bei der Wahrnehmung genauer abzugrenzen, was bei ungel\u00e4ufigen Combinationen die Methode f\u00fcr sich selbst besorgt, keine genauere Stellung zum Umfangsproblem. \u2014 Anderseits sehen wir nat\u00fcrlich auch bei allen in dem Abschnitt 10 beschriebenen Functionen das Princip der Erhaltung der Arbeit bei jener besonderen Leistung ge\u00fcbter Wortformen eingehalten. Alle jene Beg\u00fcnstigungen und vor allem auch diese besondere Leistung der r\u00fcckl\u00e4ufigen Analyse der Theilinhalte ist nur ein Erfolg der vorhergehenden Erlebnisse gleicher Art, durch welche das Lesen der bekannten Gesammtform mit allen ihren Theilen ge\u00fcbt wurde. Und so fehlt denn auch diesem scheinbaren Vorz\u00fcge nat\u00fcrlich nicht die Kehrseite. Insofern die ganze Unterst\u00fctzung der unklaren Theilinhalte thats\u00e4chlich nur auf der Wirksamkeit jener ge\u00fcbten Associationen beruht, ist auch das Bewusstsein der Sicherheit dieser Feststellungen doch \u00fcberall von der Voraussetzung beeinflusst, dass man wirklich sinnvolle Combinationen vor sich habe, dass man also die in jenen Lese\u00fcbungen aufgespeicherte Energie verwerthen k\u00f6nne. Damit ist zugleich die geringe Exactheit dieser Art von indirectem Verfahren hinreichend charakterisirt, um sie nicht als Methode der Feststellung der im Erleben unklaren Elemente anerkennen zu lassen. Wird diese \\ oraussetzung der sprachlichen Richtigkeit und der Bedeutung des Dargebotenen, welche ein gro\u00dfes System festgef\u00fcgter Associationen f\u00fcr die Versuche dienstbar macht, von vorne herein durch entsprechende Vorbereitung des Beobachters ausgeschaltet, und ist man auf die sorgf\u00e4ltige objective Betrachtung des experimentell Dargebotenen im Einzelnen angewiesen, um mitunter vorkommende \u00bbDruckfehler\u00ab der Darbietung entsprechend zu lesen, so wird auch den sinnvollen Combinationen gegen\u00fcber der R\u00fcckschluss auf die unklar gesehenen Elemente unsicher ausfallen, ganz abgesehen von den F\u00e4llen, wo schlie\u00dflich umgekehrt das ganz abstracte Merkmal der Verdrucktheit, die man so wie fr\u00fcher das Richtige um jeden Preis erwartet, wie eine allgemeinste \u00bbWortform\u00ab im schlechten Sinne sogar Verlesungen in richtigen Worten zu st\u00e4nde bringt.\nJe gr\u00f6\u00dfer die Zahl von Buchstaben ist, welche in dieser Weise bei ihrer Vertheilung in m\u00f6glichst gel\u00e4ufige Wort- und Satzverbindungen tachistoskopisch \u00bbgelesen\u00ab werden k\u00f6nnen, weil sie eine\nWundt, Philos. Studien. XX.\tot","page":529},{"file":"p0530.txt","language":"de","ocr_de":"530\nWilhelm Wirth.\nhinreichend bekannte und eindeutige Wortform simultan repr\u00e4sen-tiren, um so mehr wird auch diese indirecte Peststellungsart der gesehenen Einzelbuchstaben, die Unsicherheit dieses Ergebnisses und die Abh\u00e4ngigkeit des Urtheiles von dem Vertrauen auf die \u00bbRichtigkeit\u00ab der Exposition hervortreten. Denn infolge der schon aus den oberfl\u00e4chlichsten Betrachtungen ersichtlichen Begrenztheit der Aufmerksamkeit wird jede Vermehrung der Buchstabenzahl auch dem einzelnen Buchstaben einen geringeren Grad von Klarheit im unmittelbaren Erleben zukommen lassen. Die Erinnerung an den Sinn und die Gesammtform des ganzen Wortes, welche das Ged\u00e4chtniss-bild der Buchstaben trotz der Unklarheit des Erlebten noch einigerma\u00dfen wieder wachzurufen und zur Geltung zu bringen vermag, wird also auch viel gr\u00f6\u00dfere M\u00fche mit der Rectificirung der Einzelbuchstaben haben, und je mehr der Beobachter den sicher erreichbaren Grad von psychologischer Reflexionsf\u00e4higkeit besitzt, dass er das bei der Exposition Erlebte von den sp\u00e4teren Ausgestaltungen seiner Phantasie zu scheiden vermag, um so bestimmter wird er schlie\u00dflich die M\u00f6glichkeit von Verst\u00fcmmelungen des Wortes innerhalb der durch die festgehaltene Form gelassenen Grenzen auf besondere Frage zugestehen bezw. unaufgefordert betonen.\n11) Versuch einer Zur\u00fcckf\u00fchrung der Zahl der reprodu-cirten Einzel-Elemente gel\u00e4ufiger Complexe auf die Constante bei ungel\u00e4ufigen Complexen. Man mu\u00df aber nun ferner wohl zugestehen, dass die Wirksamkeit der gel\u00e4ufigen Wortformen seihst wiederum doch nur durch ein Zur\u00fcckgreifen auf die n\u00e4mliche ca. 4 bis 6 Einheiten umfassende Umfangsweite maximaler Klarheit verst\u00e4ndlich wird, welche sich f\u00fcr die einfachsten Elemente am exactesten feststellen lie\u00df. Vor allem gen\u00fcgt ja zur Sicherung einer tachistoskopischen Wiedererkennung von Wortformen im Ganzen, wie schon erw\u00e4hnt, keineswegs, dass die Bildung einer derartigen momentanen und simultanen optischen Formvorstellung in einem bestimmten Umfange \u00fcberhaupt m\u00f6glich ist. Sie mu\u00df vielmehr auch so gel\u00e4ufig als m\u00f6glich sein. UeberalL wo aber nun die Gel\u00e4ufigkeit, also die Ausbildung schnell und sicher wirkender Associationen in Frage steht, zeigt sich auch die schon mehrfach erw\u00e4hnte Abh\u00e4ngigkeit dieser Leistungsf\u00e4higkeit","page":530},{"file":"p0531.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung.\t53,X\nvon der m\u00f6glichst hohen Klarheit der Associationsglieder w\u00e4hrend der Ein\u00fcbung, und zwar in unserem Falle, wo es sich um m\u00f6glichst feste simultane Associationen handelt, von der m\u00f6glichst hohen simultanen Klarheit bei jedem Erleben der Combination. Auch die entscheidenden Einzelelemente von Wortformen m\u00fcssen also zur Ausbildung einer entsprechenden Gel\u00e4ufigkeit des Ganzen jederzeit m\u00f6glichst simultan zur maximalen Klarheit gelangt sein. Mag aber nun ein Complex noch so oft und noch so lange der Betrachtung zug\u00e4nglich sein, in einem Momente k\u00f6nnen eben doch immer nur so viele Elemente jenen maximalen Bewusstseinsgrad besitzen, wie es durch die Methode mit einfachsten Elementen ungef\u00e4hr festgestellt werden konnte. Die Gr\u00f6\u00dfe einer solchen Wortform, wie sie hier mit der n\u00f6thigen Schnelligkeit wiedererkannt werden kann, um als Haupteinheit in dem gesuchten Umfange dienen zu k\u00f6nnen, ist also in der That auf ungef\u00e4hr die gleiche Zahl von Einzelelementen eingeschr\u00e4nkt, als sie ohne einen solchen inneren Zusammenhang nach einer tachistoskopischen Exposition wiedergegeben werden k\u00f6nnen. So kommt also unter diesen complicirten Bedingungen die bereits gefundene Constante nochmals von einer ganz neuen Seite in das Resultat hinein. Dass wir ungef\u00e4hr das Quadrat der in sinnlosen Zusammenstellungen merkbaren Zahl von Elementen in den sinnvollen Combinationen festzuhalten verm\u00f6gen, beruht auf einer doppelten, direct proportionalen Abh\u00e4ngigkeit dieses Resultates von der n\u00e4mlichen F\u00e4higkeit, eine bestimmte Anzahl von Einzelobjecten simultan mit maximaler Klarheit zu erfassen. Auch von dieser Seite ergiebt sich also eine deductive Rechtfertigung der alten Methode.\nMit der simultanen Klarheit aller Elemente des Wortes, welche zu seiner Gel\u00e4ufigkeit so oft als m\u00f6glich eintreten musste, soll nat\u00fcrlich nicht ein buchstabirendes Lesen von einer anderen Seite wieder eingef\u00fchrt sein. Beim gew\u00f6hnlichen Lesen verwerthet ja nat\u00fcrlich der Ge\u00fcbte fortw\u00e4hrend jene Gel\u00e4ufigkeit. So oft aber ungel\u00e4ufige Worte und Schriftbilder auf treten, sind wir wieder zu jener simultanen ganz klaren Vergegenw\u00e4rtigung der Elemente gen\u00f6thigt, und wir helfen unwillk\u00fcrlich durch entsprechende Betrachtung gelegentlich wieder nach, um jene maximale Leistungsf\u00e4higkeit der Wortdisposition immer auf voller H\u00f6he zu erhalten. Die Gr\u00f6\u00dfe der Complexe, deren Gel\u00e4ufigkeit weiterhin das Arbeiten mit Wortformen in jedem \u00bb tachisto-\n34*","page":531},{"file":"p0532.txt","language":"de","ocr_de":"532\nWilhelm Wirth.\nskopischen\u00ab Momente gestattet, kann aber trotz aller Ein\u00fcbung nicht \u00fcber den Umfang der gleichzeitigen maximalen Klarheit hinauskommen. Denn sollte von vorne herein die Form einer noch gr\u00f6\u00dferen Einheit von Buchstaben in der n\u00e4mlichen Weise als eindeutiger Repr\u00e4sentant einer Laut- oder Silben-Bedeutung in einem Momente verwerthet werden k\u00f6nnen, so m\u00fcsste eben auch eine \u00e4hnliche Ein\u00fcbung von simultan aufgefassten Wortformen-Gruppen stattfinden. Das normale Lesen k\u00f6nnte einen solchen Erfolg nur besitzen, wenn entweder die Wortformen wie Buchstaben zu den eigentlich bedeutungsvollen Combi-nationen zusammengesetzt w\u00fcrden, also etwa bei einer viel geringeren Differenzirung der Laut-Verwendung, oder wenn sich das Lesen immer nur mit einem und dem n\u00e4mlichen Stoffe besch\u00e4ftigt, dessen S\u00e4tze- und Redewendungen schliesslich ebenso gel\u00e4ufig werden. Der letztere allein in Frage kommende Fall kann h\u00f6chstens f\u00fcr sehr gel\u00e4ufige Redensarten und S\u00e4tze in Frage kommen oder f\u00fcr Stoffe, die kurz vorher eigens zu dem Zwecke einge\u00fcht wurden. Dass aber in dieser Weise etwa der Kubus von Einzelbuchstaben als eine obere Grenze der wiederzugebenden Buchstaben aufzufinden w\u00e4re, scheitert nat\u00fcrlich im allgemeinen an der Unm\u00f6glichkeit, eine solche Menge von Elementen simultan ins deutlichste Sehen hineinzubringen; man m\u00fcsste hierf\u00fcr also schon bei der Ein\u00fcbung die Schrift je nach der verschiedenen Lage auf der Netzhaut vergr\u00f6\u00dfern u. s. w. Es k\u00f6nnte ferner noch etwa an die Verkleinerung der Schrift gedacht werden, welche ja ebenfalls eine Auffassung in Wortformen gestattet und damit eine Ein\u00fcbung leistungsf\u00e4higer simultaner Associationen erm\u00f6glicht. Die Verkleinerung der Schrift ist aber ja bereits eine der tachisto-skopischen Exposition coordinirte Erschwerung der Auffassungsbedingungen, welche besondere Accomodationsanstrengungen erfordert und wohl kaum eine entsprechende Ein\u00fcbung f\u00fcr tachistoskopisches Lesen, auch nicht einmal f\u00fcr Wortformen gew\u00e4hren d\u00fcrfte. \u2014 Offenbar wird aber auch die Sicherheit, mit welcher der Beobachter in solchen F\u00e4llen noch f\u00fcr das einzelne Buchstabenelement gutzustehen vermag, mit der Ausdehnung des Umfangs der verwendeten Haupteinheiten immer mehr abnehmen, auch kommt die Ausdehnung in Frage, welche der Aufmerksamkeit f\u00fcr ihre Vertheilung am angemessensten und nat\u00fcrlichsten ist. Die Reproduction wird somit ihre Abh\u00e4ngigkeit von der allein mit Sicherheit festgehaltenen Gesammtform immer deutlicher","page":532},{"file":"p0533.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung. 533\nerkennen lassen. Jede neue Einheit, welche der Potenz unserer den Umfangswerth in Einzelelementen ausdr\u00fcckenden Constanten hinzugef\u00fcgt werden soll, schr\u00e4nkt zugleich den Umkreis aller Erfolg versprechenden Expositionsobjecte von neuem ein und beruht nur auf der Ausn\u00fctzung entsprechender Uebungsarbeit zur Herstellung leistungsf\u00e4higer Simultan-Associationen. Zudem ist nat\u00fcrlich das Quadrat der Constanten nur die obere Grenze der Buchstabenzahl, die ohne besondere Vorbereitung in gel\u00e4ufigen Worten aufgefasst werden k\u00f6nnte. Im allgemeinen wird die Zahl darunter bleiben, und es ist insbesondere hei gel\u00e4ufigen Zusammenstellungen der Worte niemals mit Sicherheit zu sagen, oh wirklich eine Ann\u00e4herung an die Grenze hei selbst\u00e4ndiger Auffassung der einzelnen Wortformen oder nicht schon eine sehr beschr\u00e4nkte Ausn\u00fctzung der Ein\u00fcbung gel\u00e4ufiger Einheiten vorliegt,'1 die sich ihrerseits aus Wortformen zusammensetzen und bei der G\u00fcltigkeit unserer Constanten eigentlich bis zu deren dritter Potenz f\u00fchren k\u00f6nnten, was die Buchstabenzahl anbelangt.\nNach dem Bisherigen ist wohl auch so viel gewiss, dass insbesondere der einzelne Buchstabe selbst, wie schon Goldscheider angenommen hat, nur auf Grund von Erfahrungsassociationen als eine bestimmte Eormvorstellung diejenige Gel\u00e4ufigkeit besitzt, die ihn trotz seiner Zusammengesetztheit aus einfacheren Elementen sofort im Ganzen herausheben l\u00e4sst, sobald irgendwo die n\u00e4mlichen Elemente in derselben Gruppirung Vorkommen. Wenn wir also einen Complex von vier oder f\u00fcnf sinnlosen Buchstaben vor uns sehen, so vollzieht sich im Grunde ein ganz analoger Vorgang, als wenn wir eben so viele gel\u00e4ufige Worte festhalten. Auch hier ist schliesslich die Erinnerung an alle Einzelheiten der Buchstaben, die wir thats\u00e4chlich, wenn auch wegen der Concurrenz mit entsprechender Unklarheit, gesehen haben, nur durch die Eesthaltung der Buchstabenform m\u00f6glich, nachdem diese bei der Wahrnehmung mit vollster Klarheit erfasst werden konnte, weil alle Einzelstriche und deren Anordnung durch oftmalige simultane Auffassung in voller Klarheit hinreichend associirt wurden. Dabei m\u00fcssen hier so viele innere r\u00e4umliche Beziehungen der Anordnung der Einzelstriche zu den Beachtung verlangenden Elementen \u00bbdes Buchstabens\u00ab gez\u00e4hlt werden, als zur Unterscheidung der Buchstaben nothwendig sind. Somit k\u00f6nnen wir in der That die Auffassung einer Vierzahl von sinnlos gruppirten Buchstaben schon als","page":533},{"file":"p0534.txt","language":"de","ocr_de":"534\nWilhelm Wirth.\ndas Quadrat unserer Constanten auffassen, wenn wir auf die Zahl der letzten differenzirenden Elemente zur\u00fcckgehen, die ungef\u00e4hr der Constanten entspricht. Es mu\u00df dann nur ber\u00fccksichtigt werden, dass bei der lautlichen Wiedergabe des Gesehenen durch Lesen dennoch w\u00e4hrend der Periode der Reproduction im allgemeinen wieder nur die alten Gr\u00f6\u00dfenwerthe in Betracht kommen, insofern ja doch der Buchstabenlaut eher ein einfach akustisches oder motorisches Element zu repr\u00e4sen-tiren im st\u00e4nde ist, wie es die Buchstabenfigur auf optischem Gebiet nicht ist. Das wird also auch mit eine Erkl\u00e4rung f\u00fcr die geringere Genauigkeit bilden, welche schliesslich der Reproduction des einzelnen Buchstabenbildes zukommt, insofern dessen sp\u00e4tere Vergegenw\u00e4rtigung durch die Lautvorstellungen \u00fcberhaupt nur im Ganzen unterst\u00fctzt wird. Von diesen Seiten zeigt sich also sogar bereits die systematische Verwerthbarkeit der gefundenen Umfangsconstanten, geschweige, dass irgend eine Unvereinbarkeit der Leseversuche mit derselben behauptet werden k\u00f6nnte.\nBei diesem Versuch einer Angleichung der Leseresultate tritt auch noch das andere Moment hervor, worin sie insgesammt mit den oben empfohlenen Versuchen unter Verwerthung charakteristisch dif f erenzirter Einzelobjecte \u00fcbereinstimmen. Auch wenn geometrische Figuren tachistoskopisch dargeboten werden, wird bei mangelnder Gel\u00e4ufigkeit der Figuren eine allgemeine Ooncurrenz der Einzelelemente vorhanden sein, in welche man die Figuren noch zerlegt denken kann. F\u00fcr die h\u00f6chsten simultanen Bewusstseinsgrade aller Einzelelemente, wie sie z. B. nothwendig w\u00fcrden, um f\u00fcr s\u00e4mmtliche Punkte der Figur, z. B. die Dicke der Linie etc., gutstehen zu k\u00f6nnen, w\u00fcrde also der Umfang maximaler Klarheit f\u00fcr mehrere tachistoskopisch dargebotene Elemente nicht ausreichen. Sind dagegen die Figuren einmal gel\u00e4ufig, so dass eben nur eine bekannte Hauptform als Haupteinheit in der Klarheits-vertheilung zur Geltung zu kommen braucht, so tritt die n\u00e4mliche Ausdehnung des \u00fcberblickten und festgehaltenen Inhaltes ein. Offenbar sind aber die Elemente der einfachen geometrischen Figuren, wie Kreise, Quadrate u. s. w., wie sie sp\u00e4ter auch im Bericht \u00fcber meine eigenen Versuche angef\u00fchrt werden sollen (vergl. Fig. 5 der Taf. IH), keineswegs blo\u00df durch Erfahrungsassociationen zu einer leicht im Ganzen festzuhaltenden Form zusammengef\u00fcgt, wie es auch bei beliebig zusammengew\u00fcrfelten Elementen in entsprechend geringer","page":534},{"file":"p0535.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung. 535\nZahl schlie\u00dflich durch die Uebung sich ergehen kann. Es ist vielmehr die simultane Vorstellung des Ganzen schon durch die innere inhaltliche Verwandtschaft der einzelnen Elemente besonders erleichtert und positiv gef\u00f6rdert, wie es von Th. Lipps als Leistung der sog. Aehnlichkeits-Association in gr\u00f6\u00dferem Umfange innerhalb des ganzen psychischen Lebens nachgewiesen wurde. Die einheitliche Form des Kreises u. s. w., wie sie als Haupteinheit des Klarheitsumfanges gez\u00e4hlt werden kann, wird also schon bei der ersten Exposition im Ganzen ohne besondere Zersplitterung der Aufmerksamkeit auf einzelne Elemente zu einer entsprechend hohen Klarheit herausgehoben, so dass hier die Uebung viel weniger hinzuzuf\u00fcgen braucht. Auch Goldscheider hat ja bereits diese gegenseitige Unterst\u00fctzung der einzelnen Elemente auf Grund auff\u00e4lliger Formen u. s. w. bei der Reproduction besonders hervorgehoben, wie sie in symmetrischer Anordnung u. s. w. besteht. Anderseits wird ein m\u00f6glichster Wechsel der Zusammenstellung solcher Einzelelemente eine Ausbildung der Gel\u00e4ufigkeit h\u00f6herer Formen ausschalten. Mit verschiedenen Figuren, wie sie sp\u00e4ter gebraucht werden, ist ja bereits eine unersch\u00f6pfliche Variationsm\u00f6glichkeit in Oombinationen zu 5 gegeben, so dass die Ausbildung leistungsf\u00e4higer Simultan-Asso-ciationen unm\u00f6glich ist.\n12) Die geringe Variation der gefundenen Constanten. Dass nat\u00fcrlich schlie\u00dflich die Umfangsconstante \u00fcberall nur im Zusammenh\u00e4nge mit einer entsprechenden mittleren Variation zu nehmen ist, mit welcher alle derartigen allgemeinen psychologischen Werte allein erreichbar sind, ist selbstverst\u00e4ndlich. Dabei wird aber gerade aus der Deutung, welche der Constanten als Repr\u00e4sentation der maximalen Klarheit gegeben ist, eine relative Kleinheit der Variation zu erwarten sein, so dass der thats\u00e4chlich gefundene kleine Betrag eine weitere' Best\u00e4tigung unserer Auffassung gibt. Der Gesammt-umfang wird ja, wie schon in den einleitenden Betrachtungen hervorgehoben wurde, niemals als ganz constant zu setzen sein, oder wird zum mindesten, auch wenn wir von den periodischen Schwankungen absehen, nicht immer in derselben Gr\u00f6\u00dfe der Region h\u00f6herer Klarheit zur Verf\u00fcgung stehen, wie es z. B. in F\u00e4llen geringerer Concentration der Fall ist. Es leuchtet aber ganz vpn selbst ein, dass f\u00fcr","page":535},{"file":"p0536.txt","language":"de","ocr_de":"536\nWilhelm Wirth.\nein und den n\u00e4mlichen Betrag dieser Vergr\u00f6\u00dferung oder Verringerung des gesammten Umfangswerthes, wie er in der Region maximaler Klarheit angelegt ist, die entsprechende Variation des Vorstellungsumfanges, der noch in diese Klarheitsregion hineinf\u00e4llt, um so geringer sein wird, je gr\u00f6\u00dfer der mittlere Bewusstseinsgrad der einzelnen Elemente dieses engeren Umfanges sein soll. Da nun f\u00fcr denjenigen Inhalt, der in den bisher besprochenen Messungen zur Wiedergabe gelangen kann, thats\u00e4chlich aus allgemein psychologischen Erw\u00e4gungen immer eine besonders hohe mittlere Klarheit vorausgesetzt werden muss, so stimmt die geringe mittlere Variation der Anzahl inhaltlicher Elemente, welche eben noch jene Klarheit erlangen k\u00f6nnen, sehr gut mit der thats\u00e4chlichen Pr\u00e4cision der Abgrenzung des sog. Aufmerksamkeitsumfanges zusammen.\n3. Kapitel.\nDie erste Verwerthung der Vergleichsmethode zur Umfangsbestimmung.\n1) Nothwendigkeit einer indirecten Methode f\u00fcr eine vollst\u00e4ndigere Analyse des Bewusstseinsumfanges. \u2014 Das Vergleichsurtheil als Erkenntnissgrund f\u00fcr die Bewusstheit der entscheidenden Elemente. Das Wesen der tachisto-skopischen Methode, wenigstens so wie sie bisher allein angewendet wurde, bestand in der unmittelbaren Wiedergabe eines einzigen Wahr-nehmungscomplexes von kurzer Dauer. Das Hauptresultat, welches hiermit in hinreichender Exactheit gewonnen werden konnte, bestand in der directen Feststellung des ziemlich fest umschriebenen Umfanges von beliebig combinirten Einzelobjecten, auf welche sich die Aufmerksamkeit mit derjenigen St\u00e4rke concentriren kann, welche zu einer directen discursiven Wiedergabe erforderlich ist. Sollen aber nun ebenso selbst\u00e4ndige Einzelobjecte auch bei der geringeren Beachtung, die ihnen vor allem bei gr\u00f6\u00dferer Anzahl im einzelnen h\u00f6chstens noch zukommen kann, bei einer Umfangsbestimmung zur Geltung kommen und in ihrem thats\u00e4chlichen Klarheitsgrad irgendwie exacter festgestellt werden, so muss zu principiell andern Methoden gegriffen werden. Anderseits leistet die directe Wiedergabe des tachistoskopisch Gesehenen f\u00fcr diejenigen Inhalte, f\u00fcr welche sie einstehen kann,","page":536},{"file":"p0537.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewuastsemsumfanges und seiner Messung. 537\nauch wiederum mehr, als zur blo\u00dfen Feststellung eines bestimmten Umfanges maximaler Klarheit unbedingt nothwendig w\u00e4re. Sie erh\u00e4lt die am meisten beachteten Vorstellungen auch in ihrer qualitativen Eigenart bis zu sp\u00e4teren Zeitpunkten, in denen der untersuchte That-bestand l\u00e4ngst abgeschlossen ist, w\u00e4hrend man doch nur die eine Thatsache verwerthet, dass \u00fcberhaupt so und so viele hinsichtlich ihres Anspruches an die Aufmerksamkeit vergleichbare Einzelinhalte in irgend einem Grade beachtet waren. Gibt es irgend ein Mittel, welches nur dies Letztere erfahren lie\u00dfe, so wird man gern auf eine detaillirte und selbst\u00e4ndige Wiedergabe der einzelnen Figuren verzichten und daf\u00fcr lieber das Andere eintauschen, dass man auch \u00fcber das Dasein von m\u00f6glichst vielen weniger beachteten Inhalten eine exactere Auskunft zu gehen vermag. Da dies aber von einer directen unmittelbaren Wiedergabe ihrem Wesen nach nicht zu erwarten steht, so kann man sish h\u00f6chstens nach einer sonstigen Wirkung des Ge-sammterlehnisses umsehen, welche ohne Reproduction des ganzen Thatbestandes in sp\u00e4terer Zeit die von uns gew\u00fcnschten Einzelheiten mit m\u00f6glichster Sicherheit erschlie\u00dfen l\u00e4sst, d. h. man ist auf indirecte Methoden angewiesen. Offenbar wird eine solche Fragestellung, welche von dem speciellen Klarheitsgrad der Bewusstseinserlebnisse abstrahirt, zugleich nicht mehr blo\u00df den Umfang maximaler Klarheit, also den sog. Aufmerksamkeitsumfang nach Wundt, sondern wirklich so weit als m\u00f6glich den Umfang des Bewusstseins in dem fr\u00fcher n\u00e4her bezeichneten Sinne ins Auge fassen. Der Versuch einer Beantwortung muss also vor allem von solchen Wirkungen zu profitiren streben, welche jedem Bewusstseinsinhalt als solchem ohne R\u00fcckschluss auf den speciellen Grad seiner Beachtung zukommen. Offenbar f\u00e4llt diese Bestrebung mit der Frage nach einer allgemeinsten Methode der Bewusstseins-Ph\u00e4nomenologie zusammen, welche zun\u00e4chst einmal die \u00fcberhaupt jemals vorkommenden Bewusstseinsqualit\u00e4ten zu registriren sucht, also ohne die specielle Absicht, alle gleichzeitigen Inhalte um ihrer Bewusstseinsgrade oder \u00bbpsychischen Quantit\u00e4ten\u00ab willen ohne R\u00fccksicht auf die Qualit\u00e4t zu inventarisiren. Wegen der unvergleichlichen Einheitlichkeit des ganzes Bestandes in jedem Momente und wegen der oft hierin liegenden Schwierigkeit f\u00fcr die Feststellung einzelner Elemente und Merkmale als bewusster Momente gen\u00fcgt das Dasein des bewussten Inhaltes in beliebiger Configuration","page":537},{"file":"p0538.txt","language":"de","ocr_de":"538\nWilhelm Wirtk.\nh\u00e4ufig nicht, um denselben nun auch als besonderes Bewusstseinsmoment feststellen, und erkennen zu lassen. Die sinngem\u00e4\u00dfe Methode zur Herausarbeitung m\u00f6glichst vieler bewusster Elemente und Merkmale ist bekanntlich erst die Vergleichung von zwei oder mehreren bewussten Oomplexen oder con-creten Einzelvorstellungen, welche bei sonstiger Differenz hinsichtlich eines Elementes oder Merkmales \u00fcbereinstimmen oder bei sonstiger Gleichheit nach dieser Hinsicht sich unterscheiden. Ergibt sich ein Vergleichsurtheil im Sinne dieses fraglichen \u00bbFundamentes\u00ab der Vergleichsvorstellungen, dann ist damit zugleich die Bewusstheit dieses Elementes oder Merkmales in diesem Zusammenh\u00e4nge erwiesen, selbst wenn es sich ohne Beiziehung der Vergleichsvorstellung und ohne den hierdurch ausgel\u00f6sten Mechanismus der Kl\u00e4rung und Verdeutlichung des Ganzen nicht mit Sicherheit aus dem Chaos der \u00fcbrigen Elemente heraus feststellen lie\u00dfe. In der allgemeinen Ph\u00e4nomenologie mit ihren rein qualitativen Bestimmungen, bei der nat\u00fcrlich die Betrachtung der Vorstellungen im Ganzen und in allen einzelnen Elementen beliebige Zeitdauer in Anspruch nehmen kann, dient diese Vergleichsmethode dazu, um an sich \u00fcberhaupt schwerer isolirbare concrete Inhalte und vor allem abstracte Merkmale zu betrachten. E\u00fcr die Analyse des simultanen Bewusstseinsumfanges aber wird die Vergleichsmethode die Zugeh\u00f6rigkeit eines Inhaltes zu einem bestimmten einzelnen Gesammtumfang ermitteln lassen, indem man nun diese specielle Ausf\u00fcllung des Bewusstseins mit einer andern vergleicht und aus dem Sinne des Vergleichsurtheiles auf die Zugeh\u00f6rigkeit des fraglichen Inhaltes zu dem auszumessenden Gesammt-umfange schlie\u00dft. Es ist also dann nicht mehr nothwendig, dass die s\u00e4mmtlichen Inhalte selbst auch nach Vollzug des Vergleichsurtheiles noch festgehalten und wiedergegeben werden. Nur dieses letztere selbst braucht im Ged\u00e4chtniss zu bleiben und als einziger Inhalt kann es ja auch ohne Schwierigkeit gemerkt werden. Nat\u00fcrlich ist man damit auch noch nicht aller Schwierigkeit \u00fcberhoben, um m\u00f6glichst vollst\u00e4ndig den gesammten Umfang feststellen zu k\u00f6nnen, weil die allein verwerthbare sichere Wirkung im Vergleichsurtheil zwar nicht der maximalen Klarheit des Vergleichspunktes in beiden Vergleichsobjecten bedarf, aber doch nicht etwa von der Klarheit unabh\u00e4ngig ist. Indessen soll im n\u00e4chsten Capitel ausf\u00fchrlich untersucht werden,","page":538},{"file":"p0539.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung. 539\nwie die Vergleichsbedingungen einzurichten sind, dass sie nicht nur m\u00f6glichst alle Klarheitsgrade zur Geltung kommen lassen, sondern dieselben auch noch einigerma\u00dfen zu messen gestatten.\n2) Die Einf\u00fchrung der Vergleichsmethode durch Wundt\u2019s Resultate nach dieser Methode. \u2014 Die KlarheitsVerheilung m dieser speciellen Ausf\u00fcllung des B.-U. Auch in Richtung der indirecten Feststellung des Bewusstseinsumfanges durch Vergleichung ist der Weg f\u00fcr das Experiment und seine theoretische Verwerthung zum ersten Male bekanntlich von Wundt gezeigt worden, u. z. schon vor der Einf\u00fchrung der vorhin behandelten tachistoskopischen Methode in denjenigen Versuchen, welche ausdr\u00fcck-\u00eech als Bestimmungen des Bewusstseinsumfanges bezeichnet wurden. Fur die Einzelheiten verweise ich nat\u00fcrlich auf die Darlegungen von undt1) und Dietze2) und ziehe hier nur in Betracht, was sich auf die allgemeine Methode einer indirecten Bestimmung in dem soeben naher ausgef\u00fchrten Sinne bezieht und zu einer ausgedehnteren Anwendung in den mannigfaltigsten Variationen geeignet ist. In dem speciellen Falle handelt es sich zun\u00e4chst nicht etwa um die m\u00f6glichst weite \u00bbAusf\u00fcllung\u00ab des Bewusstseins mit einem simultan gegebenen Wahrnehmungscomplex auf Grund eines in seinem ganzen Umfange gleichzeitig einwirkenden Reizcomplexes von m\u00f6glichst kurzer Dauer Bekanntlich wird vielmehr die jedenfalls schlie\u00dflich ebenso simultan gegebene Gesammtvorstellung verwertet, die sich aus der Wahrnehmung successiver Tactschl\u00e4ge eines Metronomes oder Schallhammers bis zu einer gewissen Grenze ergeben kann. Dabei ist vorausgesetzt, dass der Beobachter sich th\u00e4ts\u00e4chlich unter Ausschluss von St\u00f6rungen nur auf diese Tactreihe concentr\u00e2t und sie unter Festhaltung eingef\u00fcgter akustischer Signale, jedoch ohne Z\u00e4hlen zu einer einheitlichen Vorstellung zusammenfasst. Es wird sich dann am Schl\u00fcsse einer zweiten Reihe von gleicher oder verschiedener Ausdehnung ein unmittelbares Vergleichsurtheil f\u00e4llen lassen, was eben nach dem vorhin dargelegten allgemeinsten Princip einen Schluss auf die Zugeh\u00f6rig-keit von Elementen zu einem momentanen Gesammtumfang erm\u00f6glicht.\n1)\tWundt, Grundz\u00fcge der Phys. Psycli Stud. VI, S. 260 f. und VII, S. 222.\n2)\tDietze, a. a. 0.\n4. Aufl., S. 286 ff., sowie Philos.","page":539},{"file":"p0540.txt","language":"de","ocr_de":"540\nWilhelm Wirth.\nDenkt man sich nun diese Zusammenfassung so weit ausgedehnt, als es der zu messende Umfang zul\u00e4sst, so werden in der schlie\u00dflichen Gesammtvorstellung nach Beendigung einer Reihe mehrere Elemente von verschiedener Klarheit enthalten sein. Die Analyse dieser Ver-theilung entscheidet aber nun zugleich \u00fcber das allgemeinere Wesen des gemessenen Umfanges. Ohne k\u00fcnstliche Beeinflussung der Aufmerksamkeit, wie es den g\u00fcnstigsten Versuchsbedingungen am meisten entspricht, wird jene Vertheilung in einer Abnahme der Klarheit mit der Entfernung von der Gegenwart bestehen. Au\u00dferdem wird jedoch auch wiederum eine gewisse Hebung der Beachtung nach dem Anfangspunkte zu vorhanden sein, welche f\u00fcr die Bedeutung der Methode einigerma\u00dfen wichtig sein d\u00fcrfte.\nSie wird in solchen Versuchen noch durch qualitative Auszeichnung derselben vermehrt, und ergibt sich auch ohne absichtliche Feststellung ganz von selbst, \u00e4hnlich wie die psychologische Contrast-wirkung auch r\u00e4umliche Grenzen ohne weiteres im Vergleich mit dem umgrenzten Gebiet und der Umgebung f\u00fcr die Beachtung relativ hervortreten l\u00e4sst. Wenn sich hingegen der Beobachter ohne gleichzeitige Festhaltung der Grenze allen neuen Tactschl\u00e4gen gleichm\u00e4\u00dfig hingibt, so wird die vordere Grenze, eben wegen der allgemeinen Vorstellungsconcurrenz und wegen der speciellen Concurrenz von Seiten der neuen Tacte, allm\u00e4hlich ihre urspr\u00fcngliche Pointirung mehr und mehr verlieren, und damit verschwindet der continuir-lich festzuhaltende Richtpunkt, durch welchen jeder einzelne Tact-schlag seine besondere Oharakterisirung erh\u00e4lt, die schlie\u00dflich heim letzten Schlag der Vergleichsreihe unmittelbar das Bewusstsein des Abschlusses einer entsprechenden Reihe mit sich f\u00fchrt. Ohne ausdr\u00fcckliche Festhaltung des ersten Schlages bliebe ja auch das wichtigste Mittel ungebraucht, um thats\u00e4chlich einen m\u00f6glichst gro\u00dfen Umfang der F\u00e4higkeit zu Bewusstseinsinhalten \u00fcberhaupt in der Vorstellung einer zeitlichen Reihe von m\u00f6glichster Ausdehnung anlegen zu lassen. Denn die Gesammtvorstellung ist hierbei eine in sich gleichm\u00e4\u00dfig gegliederte, unmittelbar gegenw\u00e4rtige Reihenvorstellung, die zu einem so sicheren Bewusstsein ihrer Elemente, wie es bei diesen Vergleichen vor allem zur Geltung kommt, einer besonderen Klarheit ihrer Grenzen bedarf, u. z. als Vorstellung einer Succession vor allem","page":540},{"file":"p0541.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung.\n541\nder Klarheit der vorderen Grenze, deren Beachtung infolge der asso-ciativen Unterst\u00fctzung des Folgenden gerade die ganze Reihenvorstellung am sichersten gegenw\u00e4rtig erh\u00e4lt. Somit werden also auch alle die dazwischen liegenden Momente \u00fcberhaupt nur durch die Klarheit der r\u00fcckw\u00e4rtigen Grenze zu einem Ganzen zusammengefasst. Sie muss insbesondere auch allerlei andere, noch weiter zur\u00fcckliegende Erinnerungen ausschlie\u00dfen, welche hei hinreichender Aufdringlichkeit trotz der Absicht, nicht \u00fcber eine bestimmte Grenze zur\u00fcckzugehen, in die Reihenvorstellung und damit in das Vergleichsresultat herein wirken w\u00fcrden, wenn man sich nicht w\u00e4hrend des Versuches fortdauernd besonders klar bliebe, um welche Grenze es sich handelt. Diese innere Einstellung ist so nat\u00fcrlich und aus dem allt\u00e4glichen Zeitbewusstsein einge\u00fcbt, dass man den Beobachter nach Bekanntgabe seiner Aufgabe kaum mehr besonders darauf aufmerksam zu machen braucht, wenn auch f\u00fcr diejenigen F\u00e4lle, wo die sonstigen Versuchsbedingungen zu einer Preisgabe dieses Haltepunktes verleiten k\u00f6nnten, z. B. wegen besonders langer Dauer, ausdr\u00fccklich auf dieses bei k\u00fcrzeren Strecken von selbst befolgte Princip aufmerksam zu machen ist. Allerdings ist ja diejenige Ausdehnung der Reihe, welche noch eine sichere Unterscheidung von l\u00e4ngeren oder k\u00fcrzeren Vergleichsreihen zul\u00e4sst, noch nicht so bedeutend, dass die zuerst erw\u00e4hnten unwillk\u00fcrlichen Gr\u00fcnde f\u00fcr das Hervortreten der vorderen Grenze einer wesentlichen Unterst\u00fctzung durch die absichtliche und angestrengte Festhaltung nothwendig machten1], wenngleich die letztere mit Ann\u00e4herungen an die \u00e4u\u00dferste Grenze des gefundenen Umfanges immer deutlicher hervortritt, w\u00e4hrend bei ihrem Fehlen kein sicheres Vergleichsurtheil mehr erfolgt. Besonders wichtig ist diese ausdr\u00fcckliche Festhaltung der in der Zeit zur\u00fcckliegenden Elemente deshalb, weil durch dieselbe nun auch die Ausbildung von Gesammtvorstellungen durch Anh\u00f6ren noch weit ausgedehnterer Gesammtvorstellungen versucht werden kann, auf die sogleich n\u00e4her eingegangen werden soll.\n1) Dass die besondere Festhaltung der vorderen Grenze aber auch bei dieser Umfangsbestimmung wirklich betheiligt sei, k\u00f6nnte die f\u00fcr mich wahrscheinliche Folge zeigen, dass bei Ueberschreitung des von Dietze gefundenen Umfanges selbst die st\u00e4rkste Betonung des Anfanges kein \u00e4hnlich correctes Urtheil mehr bewirken k\u00f6nnte, obgleich sie doch bei einer minimalen, sehr steigerungsf\u00e4higen Klarheit der Grenze zur Geltung kommen m\u00fcsste.","page":541},{"file":"p0542.txt","language":"de","ocr_de":"542\nWilhelm Wirth.\nErst dadurch wird es m\u00f6glich werden, den von Dietze gefundenen Umfangswerth zu anderen Umfangswerthen ins Yerh\u00e4ltniss zu setzen. Zu einer Untersuchung des gr\u00f6\u00dftm\u00f6glichen Umfanges solcher ausgedehnteren Gesammtvorstellungen ist es aber nat\u00fcrlich erst recht noth-wendig, alle sonstigen Vortheile f\u00fcr die Herstellung zeitlicher Gesammtvorstellungen anzuwenden. Damit ist nat\u00fcrlich nur von einer andern Seite auf die n\u00e4mliche allgemeine Voraussetzung einer gleichzeitig bewussten Gesammtvorstellung hingewiesen, die wir zur Erm\u00f6glichung eines unmittelbaren Vergleiches f\u00fcr noth wendig erachten.\nIn den erw\u00e4hnten Versuchen von Wundt und Dietze wurden nun zwei Reihen von Tactschl\u00e4gen, deren Grenze hinreichend markirt war, nacheinander dargeboten und vom Beobachter miteinander verglichen.^ Nur bis zu einer bestimmten Grenze kann der Beobachter die Gleichheit oder Verschiedenheit um ein Reihenelement sicher erkennen. Der \u00e4u\u00dferste Umfang, bis zu welchem diese Erkennung noch m\u00f6glich ist, geh\u00f6rt dann jedenfalls noch einer simultanen Gesammtvorstellung in dem soeben erl\u00e4uterten Sinne zu. Allerdings braucht das Bewusstsein wenigstens mit der zweiten Reihe nicht wesentlich neu belastet zu werden, da ja die neuen Tacte durchaus als eine Wiederholung des ersten Erlebnisses aufgefasst und wiedererkannt'werden, das noch im Ganzen \u00fcberblickt wird. Das eigentlich zu messende Object ist also schon nach Abschluss der ersten Reihe fertig gegeben.\n3) Die Nothwendigkeit relativ hoher Bewusstseinsgrade zu einer so pr\u00e4cisen Leistung des Vergleichsurtheiles. \u2014 Die M\u00f6glichkeit von viel mehr Elementen der Gesammtvorstellung bei geringerer Anforderung an diese Pr\u00e4cision. Zu dieser Erkenntniss, ob die zweite Reihe der ersten thats\u00e4chlich genau gleicht oder nicht, ist aber freilich keineswegs blo\u00df die Thatsache der Wirkungsf\u00e4higkeit eines Bewusstseinsinhaltes \u00fcberhaupt in Anspruch genommen, wie sie in irgend einem jener Erlebnisse des Aehnlichkeits- oder Verschiedenheitsbewusstseins beliebigen Grades als Resultat des Vergleiches zur Geltung kommen kann. Das Kennzeichen jenes Umfanges, der durch die Grenzen bestimmt ist, innerhalb deren ein Unterschied zweier\nk\nTactreihen hinsichtlich der Gliederzahl mit Sicherheit erfasst wird,","page":542},{"file":"p0543.txt","language":"de","ocr_de":",\tZur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung. 543\nbedeutet vielmehr bereits eine ganz besondere Leistung der betheiligten Yergleichsobjecte. Zu einer derartigen Pr\u00e4cision des Vergleichsurtheiles ist nicht blo\u00df die Bewusstheit der Vergleichsgegenst\u00e4nde und ihrer kritischen Elemente \u00fcberhaupt, sondern insbesondere schon eine hinreichende Klarheit dieser Vorstellungen nothwendig. Wenn z. B. das Moment einer thats\u00e4ch-lichen Verschiedenheit nur \u00fcberhaupt bewusst, aber augenblicklich nur wenig klar und beachtet ist, so kann ja ebenfalls bereits eine Wirkung auf das Vergleichsurtheil im Sinne dieses Elementes erfolgen. Doch entspricht dieser unklaren Daseinsweise des Inhaltes eine gleiche Unbestimmtheit in diesem Vergleichsurtheil, wie sie in den unz\u00e4hligen Nuancirungen des Aehnlichkeits- und Verschiedenheitsbewusstseins gegeben sind. Ist also das unterscheidende Merkmal zweier Gesammt-vorstellungen nur unklar gegeben, z. B. wegen der gleichzeitigen Concurrenz de\u00bb sonstigen Elemente dieser Vorstellungen, so kann nicht nur ein unsicheres Verschiedenheitsbewusstsein, sondern, bei entsprechender Vertheilung der Aufmerksamkeit auf die \u00fcbereinstimmenden Merkmale, auch ein Aehnlichkeitsbewusstsein entstehen, das sogar in verschiedenem Ma\u00dfe nach Gleichheit gravitirt. Erst wenn der Differenzpunkt hinreichende Klarheit besitzt und sich dieselbe einigerma\u00dfen zu erhalten vermag, wird ein Urtheil der Verschiedenheit mit derjenigen Sicherheit auftreten, wie es bei diesen Versuchen allein verwerthbar ist.\nDamit ist aber nat\u00fcrlich nicht gesagt, dass nicht auch an sich unklare Elemente bei einem sicheren Vergleichsurtheil betheiligt sein k\u00f6nnten. Gerade die tachistoskopischen Versuche mit gel\u00e4ufigen co mp lex en Gebilden lieferten ja die besten Beispiele daf\u00fcr, dass viele und durch die Concurrenz in ihrer Detailbeachtung gedr\u00fcckte Einzelelemente zu einem Ganzen von hoher Klarheit sich zusammenf\u00fcgen. Und ganz die n\u00e4mliche M\u00f6glichkeit ist f\u00fcr diese Versuche mit Tactreihen in Erw\u00e4gung zu ziehen, zumal die Anzahl der einzelnen Tactschl\u00e4ge, f\u00fcr die man bei einem Vergleich der Keihen noch gut stehen kann, die Zahl jener simultanen Einheiten \u00bbmaximaler\u00ab Klarheit im Sinne des vorigen Kapitels vielfach \u00fcbersteigt, so dass also in einer derartig complicirten simultanen Gesammtvorstellung dem Einzelelemente relativ geringe Klarheit zukommt. Zun\u00e4chst muss aber auch noch ein weiterer Erfolg dieses Zusammenwirkens","page":543},{"file":"p0544.txt","language":"de","ocr_de":"544\nWilhelm Wirth.\nvieler an sich unklarer Elemente zu einer sicheren und unmittelbaren Gesammtwirkung in Betracht gezogen werden. Wenn man n\u00e4mlich die in Absatz 2 dieses Oapitels hervorgehobenen Gesichtspunkte f\u00fcr die Bildung einer simultanen Reihenvorstellung, bezw. die Klarheits-vertheilung innerhalb derselben in Betracht zieht, so wird man in dem gefundenen Umfang von ca. 40 Tactschl\u00e4gen keineswegs die h\u00f6chste Zahl von Tactschl\u00e4gen sehen d\u00fcrfen, die \u00fcberhaupt noch irgend eine unmittelbar vergleichbare Ge-sammtvorStellung der ganzen Reihe im Bewusstsein von der n\u00e4mlichen Bildung etc. m\u00f6glich macht. Wenn nur jene noch dazu besonders markirte Anfangsgrenze hinreichend klar bleibt, (was nach dem oben Gesagten weniger in absolute Zeitgrenzen eingeschlossen, als gerade von der Absicht der Reihenbildung abh\u00e4ngig gedacht werden muss) so wird sich ein nicht allzu niedrig anzuschlagender Complex von Tactschl\u00e4gen zu einer Gesammtvorstellung verwerthen lassen, innerhalb deren nun aber freilich auch die Einzelelemente nur eine entsprechend geringere Klarheit besitzen werden. Es braucht aber jetzt nur eine entsprechende Anzahl dieser unklaren Elemente zusammenzuwirken, und es wird sich ein ebenso unmittelbares und ebenso sicheres Ver-gleichsurtheil diesen gro\u00dfen Reihen gegen\u00fcber ergeben.\nIn dem gegenseitigen Contrast der Yergleichsreihen im Ganzen liegt aber gerade eine solche zusammenfassende Wirkung der diffe-rirenden Momente, wie ja \u00fcberhaupt die Heraushebung von Merkmalen durch eine Verschiedenheit hinsichtlich dieses Merkmales bei sonstiger Uebereinstimmung so wesentlich unterst\u00fctzt wird. Somit wird also eine hinreichende Differenz bei noch so langen Tactreihen, vorausgesetzt, dass man \u00fcberhaupt eine Reihenvorstellung zu bilden versucht, ein ebenso unmittelbares und sicheres Verschiedenheitsurtheil erzeugen wie fr\u00fcher innerhalb jenes Umfanges die Abweichung um einen einzigen Tactschlag.r) Auch hier ist aber dann dieses unmittelbare\n1) Bei geringeren Differenzen ist freilich, ganz ebenso wie bei untermerklichen Unterschieden intensiver Gr\u00f6\u00dfen, Unentschiedenheit und Unklarheit vorhanden, ja es braucht insbesondere ebenso wenig wie dort bei objectiver Gleichheit ein klares und sicheres Gleichheitsbewusstsein vorhanden zu sein und wird bei zu geringenDiffe-renzen zun\u00e4chst geradezu von Unvergleichbarkeit gesprochen werden. Dies findet sich bekanntlich z. B. auch, wenn wir zwei verschiedene Objecte, z. B. Farben","page":544},{"file":"p0545.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung.\n545\nVergleichsurtheil der Beweis f\u00fcr eine simultane Gesammtvorstellung der zuerst geh\u00f6rten Reihe. *)\nDiese Ausf\u00fchrungen zeigen also, dass die pr\u00e4cisere Beurtheilung bis zu den gefundenen Grenzen nicht darauf beruht, dass nur so viele Einzelelemente \u00fcberhaupt im Bewusstsein m\u00f6glich seien, es sind vielmehr nur so viele Elemente gleichzeitig mit demjenigen mittleren Klarheitsgrade m\u00f6glich, wie sie f\u00fcr diese besondere Leistung des Vergleiches erforderlich sind. Diese Auftheilung des Bewusstseins in eine immer umfassendere Vorstellung eines zeitlichen Verlaufes und die entsprechenden Folgen f\u00fcr die Klarheit der betheiligten Reihenelemente ist ebenfalls von Wundt bei der Betrachtung der deutlich erkennbaren Beziehungen analysirt worden, welche zwischen den Vergleichsresultaten bei Beurtheilung von Tactreihen und den eigentlichen Zeitvergleichungen bestehen. Auch bei der Pr\u00e4cision der Zeitvorstellung muss der Umfang des Bewusstseins sich f\u00fchlbar machen. Mit jener Beziehung ist zwar nat\u00fcrlich nicht gemeint, dass es sich bei der in diesem Oapitel behandelten Umfangsbestimmung durch Tactreihen um eine Betrachtung der beiden Reihen hinsichtlich ihrer Dauer handle. Beide Reihen werden eben nicht auf ihre Dauer, sondern auf die (irgendwie simultan vorgestellte, nicht abgez\u00e4hlte) Menge ihrer Elemente hin verglichen, so wie diese Reihe eben wegen der Bef\u00e4higung zu derartigen Reihenvorstellungen \u00fcberhaupt ohne\nhinsichtlich der Grade eines gemeinsamen Merkmales, etwa der Helligkeit vergleichen lassen und zun\u00e4chst von zu geringen Helligkeitsdifferenzen ausgehen. Das Gemeinsame und Vergleichbare tritt in diesem Falle hinter den hervorspringenden Unterschieden zu sehr zur\u00fcck, hier also hinter der Zeitlage u. s. w. Man wird somit die gew\u00fcnschte Unmittelbarkeit des Vergleichsurtheiles dann am sichersten erleben, wenn man von vorne herein hinreichende objective Differenzen w\u00e4hlt.\n1) Die constante Untersch\u00e4tzung der vorangegangenen Reihe, welche hierbei im allgemeinen zu constatiren ist, bleibt f\u00fcr unsere specielle Frage hier nat\u00fcrlich ebenso au\u00dfer Betracht wie z. B. bei den Cattell\u2019schen Versuchen die bereits erw\u00e4hnte Thatsache, dass die Anzahl der Striche im allgemeinen eine Untersch\u00e4tzung erf\u00e4hrt, sobald die Zahl der klar erfassbaren Einheiten \u00fcberschritten ist. Es kommt also nur der mittlere Sch\u00e4tzungswerth f\u00fcr die Vergleichung in Betracht. Seiner Abweichung von der thats\u00e4chlichen Anzahl liegt auch hier die Erkl\u00e4rung nahe, dass einfach die am wenigsten klaren Elemente gewisserma\u00dfen auch f\u00fcr die inhaltliche Quantit\u00e4t in Wegfall kommen; doch kann nat\u00fcrlich ebenso wenig wie dort an eine Reduction auf den sicher beherrschten Umfang gedacht werden.\nWundt, Philos. Studien. XX.\t35","page":545},{"file":"p0546.txt","language":"de","ocr_de":"546\nWilhelm Wirth.\nZ\u00e4hlen unmittelbar und eindeutig gegenw\u00e4rtig sein kann. Dass die Dauer der Reihe hierbei relativ gleichg\u00fcltig ist, ersieht man auch am unmittelbarsten daraus, dass die Vergleichsreihe im Ganzen ein von der Normalreihe ziemlich abweichendes Tempo einhalten darf, ohne dass die Sicherheit oder Richtigkeit des Vergleichsurtheiles oder das Bewusstsein seiner Unmittelbarkeit innerhalb der sonstigen Grenzen wesentlich beeintr\u00e4chtigt w\u00fcrde. Die Vergleichsreihe wird ohne weiteres als ritardando oder accelerate der ersten aufgefasst und richtig wiedererkannt. ') Jeder Tactschlag kommt also nur als einheitliches Element \u00fcberhaupt zur Geltung, und das n\u00e4mliche gilt f\u00fcr etwaige Gruppenbildungen, deren Bedeutung weiter unten noch ausf\u00fchrlicher zur Sprache kommen soll. Doch wird sich umgekehrt die Beachtung und Vergleichung eines Ganzen hinsichtlich der Zeitdauer auf einen \u00e4hnlichen Vorgang der Herausbildung einer Gesammt-vorstellung zur\u00fcckf\u00fchren lassen, welche das Bewusstsein in verschiedenem Umfange in Anspruch nimmt. Die innere Structur dieser extensiven Vorstellung, welche nur die eigenartige Beziehung der Elemente zu einander angeht, hat ja f\u00fcr unsere Frage ebenso wie bei der simultanen Raumvorstellung erst eine secund\u00e4re Bedeutung. Sie bezieht sich nur auf die Frage der Gliederung des gesammten Bewusstseinsinhaltes, nicht auf den gesammten Umfang und die m\u00f6gliche \u00bb Gesammtsumme \u00bb der Bewusstseinsgrade, (vergl. Einl. S. 494) welche auf diese Gliederung vertheilt sind. F\u00fcr unsere Umfangsfrage kommt also nur in Betracht, dass thats\u00e4chlich auch bei der Gesammt-vorstellung der gr\u00f6\u00dften absoluten Dauer, die wir in einer Zeitvorstellung durch Festhalten bestimmter Grenzen zu umfassen verm\u00f6gen, ein ebenso unmittelbares Vergleichsurtheil, nur eben mit einer entsprechend gro\u00dfen Unterschiedsschwelle m\u00f6glich ist, wie beim Vergleich beliebiger Tactreihen und dergleichen. Alles reflective Durchlaufen der in Betracht kommenden Strecken, das bei entsprechender Gr\u00f6\u00dfe der Strecke zur Erm\u00f6glichung des Vergleiches vorgenommen werden muss, ist nur erst eine Vorbereitung f\u00fcr den eigentlichen Vergleichsact. Diese VermittelungsVorg\u00e4nge werden wohl auch immer\n1) Nat\u00fcrlich bestehen in jeder solchen Abweichung auch Erleichterungen gewisser Fehler, da nichts v\u00f6llig ohne Grefahr von Nebenwirkungen auf das Uebrige variirt werden kann. Doch beweist dies nat\u00fcrlich nichts f\u00fcr die principielle Isolir-barkeit des Hauptgesichtspunktes der Takt men ge.","page":546},{"file":"p0547.txt","language":"de","ocr_de":",\tZur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung. 547\nnothwendiger werden, je weniger uns die einzelnen in Betracht kommenden Momente mit ihrer Zeitlage als Reihen- oder Streckenvorstellung gel\u00e4ufig sind. Das Erlebnis hingegen, welches zu unseren Umfangsbestimmungen allein in Analogie gebracht werden darf, tritt erst ein, wenn nach all diesen Schwierigkeiten wirklich eine in sich relativ eindeutige und innerlich im Glanzen gegenw\u00e4rtige Glesammtvorstellung gebildet ist. Nur wird eben heim exakten Zeitsinnexperiment \u00fcber nicht allzu lange Zeitstrecken das Erlebnis selbst gleich zum Aufbau und zur Festhaltung der Reihen- oder Streckenvorstellung ausgen\u00fctzt, so dass nicht erst ein Zusammensuchen und Combiniren aus der Erinnerung notwendig wird. Ist aber die zeitliche Glesammtvorstellung einmal wirklich da, dann tritt der Vergleich ohne R\u00fccksicht auf die Gr\u00f6\u00dfe der gemeinten Zeitstrecke mit gleicher Unmittelbarkeit ein und beweist eben dadurch unsere F\u00e4higkeit zu derartig eigenth\u00fcmlichen simultanen Vqrstellungsgebilden, welche ebenfalls als eine Ausf\u00fcllung des Bewusstseins verwerthbar sind. 1)\nMit alledem sind nat\u00fcrlich nicht einfach die Ergebnisse \u00fcber die die Unterschiedsempfindlichkeit bei der Vergleichung intensiver Gr\u00f6\u00dfen, mit ihrer nicht weiter in Elemente zerlegbaren Einheitlichkeit auf extensive Gr\u00f6\u00dfen \u00fcbertragen, etwa durch unvermittelte Hinzunahme der Voraussetzung, dass sich schlie\u00dflich auch jene Intensit\u00e4ten aus Elementen zusammensetzen m\u00fcssten und dass deshalb auch die Unterschiedsschwelle als Summe unklarer Elemente aufzufassen sei, die sich im ganzen endlich hinreichende Beachtung verschaffen. Die eigenartige Vereinigung der Klarheitsgrade zusammengefasster Ele-\n1) Die inhaltliche Gestaltung dieser \u00fcber beliebig gro\u00dfe Strecken ausdehnbaren Zeitvorstellung ist nat\u00fcrlich ebenso, wie jene vorhin genannte Structur der Vorstellung einer Dauer, ein Problem, auf das ich hier nicht weiter eingehen kann. Jedenfalls k\u00f6nnen beliebig herausgehobene Grenzpunkte verm\u00f6ge ihrer associativen Wirksamkeit so viele dazwischenliegende Momente ins Bewusstsein heben und mit entsprechenden Klarheitsgraden versehen als es der Umfang des Bewusstseins f\u00fcr diese specielle Art von Vorstellungsbeziehungen, also f\u00fcr eine anschauliche Zeitvorstellung hergibt. Die Psychologie der Abstraction m\u00fcsste hier ebenso umfangreich beigezogen werden, wie etwa bei der n\u00e4heren Analyse des Vorstellungsumfanges, der sich bei tachistoskopischer Darbietung solcher Gesichtsvorstellungen erg\u00e4be, welche eine dreidimensionale Auffassung in gr\u00f6\u00dferem Stile erm\u00f6glichen. Hier wie dort wird nat\u00fcrlich die Klarheit der einzelnen Vorstellungselemente ihrer Anzahl gem\u00e4\u00df immer mehr herabgesetzt und die Unterschiedsschwelle f\u00fcr ein sicheres Vergleichsurtheil dementsprechend erh\u00f6ht werden.\n35*","page":547},{"file":"p0548.txt","language":"de","ocr_de":"548\nWilhelm Wirth.\nmente kann vielmehr eben nur da abgeleitet werden, wo man wirklich Klarbeitsgrade der einzelnen Elemente feststellen kann, also bei Elementen, die auch als solche im gew\u00f6hnlichen Sinne des Wortes in einem Nebeneinander bewusst werden. So kann also h\u00f6chstens umgekehrt von hier aus das entsprechende Verh\u00e4ltniss bei den intensiven Gr\u00f6\u00dfen aufgehellt werden, indem man die erh\u00f6hte Intensit\u00e4t wegen ihres unter sonst gleichen Umst\u00e4nden gesteigerten Anspruches an den Bewusstseinsumfang jenen Oomplexen vergleicht, eine Erkenntniss, von der ausgehend Wundt zum ersten Male mit Nachdruck auf die psychologische Bedeutung der Psychophysik hingewiesen hat. (Yergl. vor allem auch unten Cap. 4.)\n4) Beg\u00fcnstigung der Vergleichung durch die successive Angleichung bei einer klar gegliederten Gesammtvor-stellung. Bei einer Analyse der Bedingungen, unter denen ein Vergleichsurtheil mit solcher Promptheit und Unmittelbarkeit erfolgt, wie es speciell bei unseren Tactreihen innerhalb der gefundenen Grenzen m\u00f6glich ist, muss indessen auch ein Hauptvortheil der gegliederten Gesammtvorstellung von geringer Ausdehnung noch besonders hervorgehoben werden, dessen Dasein in den Beschreibungen der Versuche zun\u00e4chst einfach als thats\u00e4chliche Eigenth\u00fcmlichkeit des speciellen Vergleichserlebnisses erw\u00e4hnt wurde: Es sind hier nicht nur so wenig entscheidende Hauptelemente, dass jedes einzelne hinreichende Klarheit besitzen kann, und zur wirksamen Betheiligung am Vergleichsurtheil nicht erst eine Vereinigung mehrerer Elemente nothwendig ist.\nVielmehr bringt diese besondere Beachtung hier eben deshalb, weil sie jedem einzelnen Hauptgliede der Eintheilung zukommt, noch einen besonderen Vortheil. Aus der ganz entsprechenden Gliederung des zweiten Vergleichsobjectes ergibt sich ja die M\u00f6glichkeit, die im Ganzen fortdauernd simultan festgehaltene Gesammtvorstellung in sicher abgegrenzten Abschnitten nach einander restlos an die Vergleichsvorstellung anzugleichen. Dies ist eben das schon immer hervorgehobene Erlebniss der successiven \u00fcbereinstimmenden Abwicklung des Ganzen beim Anh\u00f6ren der Vergleichsreihe, welches beim letzten Tacte mit voller Sicherheit und Bereitschaft zum Urtheil ungleich oder gleich bef\u00e4higt, weil sich ein Ueberschuss oder","page":548},{"file":"p0549.txt","language":"de","ocr_de":"549\nZur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung.\nAbstrich sofort von einer klar festgestellten bisherigen Ueberein-stimmung abhebt, bezw. die Letztere bis zum Schl\u00fcsse vorhanden ist. Die Gesammtvorstellung, welche durch ihre inhaltlichen Merkmale bereits v\u00f6llig \u00fcbersichtlich gegliedert ist, erm\u00f6glicht also hier bis zum Schl\u00fcsse lauter klare, widerspruchslos haltbare Einzelurtheile. Dehnt sich hingegen die Reihe der Einzelelemente, bei denen hier nat\u00fcrlich nicht gerade an die einzelnen Tactschl\u00e4ge, sondern eben an die entscheidenden Vergleichsmomente gedacht ist,1) \u00fcber die gefundene Grenze weiter aus, dann sind die im Inhalt thats\u00e4chlich Vorgefundenen oder durch gel\u00e4ufige Eintheilungen hineingebrachten Gliederungen wegen ihrer zu gro\u00dfen Zahl innerhalb der Gesammtvorstellung nicht mehr mit gleicher Klarheit zu \u00fcberschauen, so dass also wegen dieses Mangels nicht schon fortw\u00e4hrend beim Ablauf der Vergleichsreihe eine restlose successive Bew\u00e4ltigung der Gesammtvorstellung mit jeweils maximaler Klarheit und Sicherheit m\u00f6glich gewesen ist, sondern nur im Ganzen verglichen werden kann.\nMan k\u00f6nnte nun meinen, damit sei doch gerade wiederum eine gewisse Mittelbarkeit des Vergleiches innerhalb jenes gefundenen Umfanges der pr\u00e4cisesten Urtheile behauptet. Und doch braucht man nur zu ber\u00fccksichtigen, dass die Leistung w\u00e4hrend des Ablaufes der Vergleichsreihe nicht in der Wirkung einer blo\u00df discursiven Gesammtvorstellung besteht, weil eine simultane unm\u00f6glich w\u00e4re. Die successiven Urtheile w\u00e4hrend der zweiten Reihe beziehen sich ja durchweg nur auf die sichere und zielbewusste Subsumption der entsprechenden Elemente unter jene Gesammtvorstellung und setzen also gerade die Fertigkeit und simultane Gegenw\u00e4rtigkeit der Letzteren w\u00e4hrend der ganzen Dauer jener Succession bis zum letzten Gliede schon immer voraus. Kur die Angleichung des Vergleichsobjectes an die Gesammtvorstellung ist naturgem\u00e4\u00df ein discursiver Vorgang, auf dessen stetigem Fortschreiten die schlie\u00dfliche sichere Wiedererkennung des letzten Tactschlages als eines solchen beruht.\nDiese discursive Subsumption der Vergleichsreihe ist aber, wie gesagt, von der klaren Uebersicht \u00fcber die innere Gliederung der Gesammtvorstellung abh\u00e4ngig, wie sie eben nur bis zu einer bestimmten Anzahl von Untergliedern m\u00f6glich ist. Je mehr ein end-\n1) Vgl. die genaue Bestimmung derselben unter Absatz 6 dieses Capitels.","page":549},{"file":"p0550.txt","language":"de","ocr_de":"550\nWilhelm Wirth.\ng\u00fcltiges Urtheil erst von der gesammten Vorstellung im Ganzen ausgehen kann, so dass eine vorherige sichere Angleichung einzelner Theile unm\u00f6glich ist, umso mehr werden dann auch schlie\u00dflich zwei vollst\u00e4ndige Gesammtvorstellungen mit einander im Ganzen verglichen werden m\u00fcssen, eine Leistung, die nat\u00fcrlich die Pr\u00e4cision des Erfolges entsprechend herabsetzt. Es w\u00fcrde freilich viel zu weit f\u00fchren, wenn man auf alle Besonderheiten eingehen wollte, die sich bei all den Ueberg\u00e4ngen zwischen jener successiven Angleichung mit klarem Ueberblick \u00fcber die Entfernung von Anfangs- und Zielpunkt des simultan vorschwebenden Ganzen einerseits und jener simultanen Vergleichung im Gro\u00dfen und Ganzen bei zwei neben einander ohne klar \u00fcberschaute Gliederung vorgestellten Complexen andererseits ergeben. Jedenfalls sind hiermit die Vergleichsurtheile bei gr\u00f6\u00dferen Reihen in eine gr\u00f6\u00dfere N\u00e4he des Vergleiches ungetheilter Strecken und schlie\u00dflich sogar rein intensiver Gr\u00f6\u00dfen ger\u00fcckt, wo ebenfalls erst das eine Ganze mit dem anderen verglichen werden kann und dem entsprechend erst von einer Unterschiedsschwelle des Ganzen im eigentlichen Sinne die Rede sein darf.\n5) Die zur Bewusstseinsenge noch hinzutretende Beschr\u00e4nkung der sicher beherrschten Gesammtvorstellung aus successiven Wahrnehmungen durch den Ged\u00e4chtniss-verlust. Endlich wird noch in \u00e4hnlicher Weise wie hei den ta-chistoskopischen Anfangsbestimmungen, diejenige Einschr\u00e4nkung des gesammten Bestandes in Betracht gezogen werden m\u00fcssen, welche darauf beruht, dass auch bei dieser successiven Vergleichung l\u00e4ngerer Tactreihen ein Ged\u00e4chtnissverlust stattfindet, welcher von der Gesammtvorstellung der ersten Reihe in Abzug gebracht wird. Zun\u00e4chst ist nat\u00fcrlich ganz allgemein die Abnahme einer jeglichen Wahrnehmung durch die Zeit nach Aufh\u00f6ren des Reizes ein Moment, welches mit dem speciellen Inhalt der zeitlichen Vorstellung am Schl\u00fcsse der Reihe untrennbar verkn\u00fcpft ist. Die vergleichbare Gesammtvorstellung einer zeitlichen Reihe wird also schon an und f\u00fcr sich, ohne R\u00fccksicht auf ihr Eortwirken beim Vergleich mit anderen \u00e4hnlichen Reihen nicht nur durch denjenigen Umfang eingeschr\u00e4nkt sein, der f\u00fcr jegliches simultane Nebeneinander von Inhalten besteht und insbesondere der Auffassung solcher Complexe eine Schranke setzt,","page":550},{"file":"p0551.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung. 551\nderen entsprechende Reize simultan dargeboten sind. Wie schon von Wundt in Betreff der Bildungen solcher Reihen Vorstellungen erw\u00e4hnt wurde, ist hierbei der Verlauf einer jeden Einzelvorstellung von wesentlicher Bedeutung, wie er auch ohne R\u00fccksicht auf deren Einbeziehung in ein solches Ganze das sichere Bewusstsein, dass diese Vorstellung ehemals da war, mit der Zeit immer mehr verblassen l\u00e4sst. Es w\u00fcrde ja f\u00fcr diese Umfangsbestimmung nicht gen\u00fcgen, dass wir in einem beliebigen Momente eine eindeutig bestimmte Gesammt-vorstellung in uns tragen k\u00f6nnen, welche ganz genau einer bestimmten Anzahl von Reihengliedern ohne einfache Abz\u00e4hlung entspricht. Dieses Bewusstsein muss auch das sichere Wissen von einem thats\u00e4chlichen Verlauf einer solchen ganz bestimmten Reihe in sich tragen, und gerade hierzu ist schon, wenn wir nur ein und die n\u00e4mliche Reihe an und f\u00fcr sich ins Auge fassen, eine nicht zu gro\u00dfe zeitliche Ferne der Glieder nothwendig, sobald es sich um eine Reihe aus lauter gleichen Elementen handelt, welche der gegenseitigen Verwechselung in der Erinnerung bei mangelnder Klarheit au\u00dferordentlich zug\u00e4nglich sind. Bei allen zu langen Reihen geht also diese Unsicherheit des Wissens, ob eine bestimmte, wenn auch nicht abgez\u00e4hlte Gruppe von Gliedern wirklich geh\u00f6rt oder nur noch mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit angenommen werden m\u00fcsse, fortw\u00e4hrend mit der Unklarheit auf Grund des beschr\u00e4nkten Bewusstseinsumfanges Hand in Hand. Dazu kommt aber nun noch die besondere Herabminderung der Sicherheit des Wissens, welche auch bei einer an sich k\u00fcrzeren Reihe w\u00e4hrend der Dauer der zweiten Vergleichsreihe eintritt. Denn da es f\u00fcr uns auf die Festhaltung der eindeutigen Gesammtvorstellung bis zum Ende der zweiten Reihe ankommt, so wird es nichts helfen, wenn eine bestimmte Reihe am Ende der ersten Reihe in ihrem ganzen Best\u00e4nde noch sicher in der Erinnerung ist. Allerdings ist der Ged\u00e4chtniss-verlust nicht ein derartiger, wie er fr\u00fcher bei den tachistoskopischen Versuchen f\u00fcr die unklaren Elemente deshalb zugestanden werden musste, weil die Erinnerung der Klarheit im unmittelbaren Erleben entspricht. Letztere ist ja in unserem Falle bei der intensiven Beachtung jedes neuen Tactschlages immer maximal. Vielmehr kommt nur die Zeitdauer bis zur Reproduction und erst secund\u00e4r die Zahl der geh\u00f6rten Elemente in Betracht. Dies gen\u00fcgt aber eben, um","page":551},{"file":"p0552.txt","language":"de","ocr_de":"552\nWilhelm Wirth.\nvon einer bestimmten Grenze an den Vortheil der klaren Apperception im unmittelbaren Erleben wieder zu compensiren. Andererseits wird dieser Ged\u00e4chtnissverlust doch auch da wiederum nur in viel geringerer Ausdehnung wirken k\u00f6nnen, wo die Elemente, welche den einzelnen Theilen des unmittelbar Erlebten entsprechen, innerhalb der Gesammtvorstellung noch eine hinreichende mittlere Klarheit zu behaupten verm\u00f6gen, und insofern kommt hier allerdings die Zahl mit ihrem Einfluss auf die Klarheitsvertheilung in der Gesammtvorstellung nochmals, wenn auch hier erst secund\u00e4r, in Betracht.\nEs braucht aber wohl kaum noch besonders hervorgehoben zu werden, dass f\u00fcr eine bestimmte Reihengr\u00f6\u00dfe wegen der Constanz aller Zeitverh\u00e4ltnisse etc. ein etwaiger Ged\u00e4chtnissverlust wenigstens als ein constanter Nebenfactor betrachtet werden darf.\n6) Y ersuch einer Angleichung des gefundenen Umfangs-werthes an den Umfang \u00bbmaximaler\u00ab Klarheit mit R\u00fccksicht auf die gr\u00f6\u00dftm\u00f6gliche Anzahl der entscheidenden Haupttacte. Alle diese Ausf\u00fchrungen sollten nur dazu dienen, um etwaige Missverst\u00e4ndnisse auszuschlie\u00dfen, welche die Bezeichnung der bisher besprochenen Versuche mit Tactreihen als Messung des Bewusstseinsumfanges mit sich f\u00fchren k\u00f6nnten. Zun\u00e4chst war es nat\u00fcrlich niemals Wundt\u2019s Meinung, dass von einer Ausf\u00fcllung des gesammten Bewusstseins in dem Sinne die Rede sein w\u00fcrde, dass \u00fcberhaupt nichts anderes mehr in demselben Platz f\u00e4nde. Selbst wenn durch exacteste Ausf\u00fchrung der Versuche in einem Still- und Dunkelzimmer alle St\u00f6rungen m\u00f6glichst ausgeschlossen w\u00e4ren, w\u00fcrde selbstverst\u00e4ndlich das Bewusstsein nicht auf die Reihenvorstellung eingeengt werden k\u00f6nnen. Au\u00dferdem zeigt aber auch der nunmehr ausf\u00fchrlich besprochene Vergleich mit analogen Ergebnissen bei viel gr\u00f6\u00dferen Tactreihen und Zeitstrecken, bei denen zwar eine entsprechende Unterschiedsschwelle, aber eben doch auch die M\u00f6glichkeit eines unmittelbaren Vergleiches besteht, dass jene festumschriebenen Grenzen sich doch nur auf den m\u00f6glichen Umfang relativ gr\u00f6\u00dferer Klarheitsgrade, nicht etwa der Bewusstheit \u00fcberhaupt beziehen. Denn nur eine solche Stellung der Elemente kann einer so hohen Anforderung Gen\u00fcge leisten, wie sie in dem Verlangen nach einem derartig pr\u00e4cisen Vergleichsurtheil gestellt sind. Ber\u00fccksichtigt man","page":552},{"file":"p0553.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung. 553\naber nun ferner noch die genauere Analyse der Bewusstseinserlebnisse, welche den verschiedenen von Dietze gefundenen Umfangswerthen entsprechen, so wird die n\u00e4here Bestimmung des erforderlichen Klarheitsgrades wenigstens der entscheidenden Beihenglieder sogar eine ziemlich gro\u00dfe Ann\u00e4herung des hier gefundenen Resultates an den Umfang der maximalen Klarheit aufweisen, wie er nach der zuerst besprochenen tachistoskopischcn Methode festgestellt werden konnte. Man muss hierzu vor allem diejenigen Erlebnisse n\u00e4her ins Auge fassen, in welchen eine besonders lange Tactreihe, also z. B. eine Reihe von 40 Schl\u00e4gen, unmittelbar richtig wiedererkannt wurde. Diese Zahlen scheinen ja am allermeisten einer Ausdehnung des Umfanges der entscheidenden Elemente \u00fcber jenen tachistoskopisch festgestellten Aufmerksamkeitsumfang von vier bis sechs Elementen hinaus zu entsprechen. Es handelt sich also darum, ob in jenen ausgedehnten Reihen thats\u00e4chlich der einzelne Tactschlag, dem als Theil eines simultanen Ganzen im Mittel vielleicht etwas mehr als ya jener maximalen Klarheit zukommen mag, bei jenem Vergleiche der Tactreihen eine selbst\u00e4ndige Bedeutung besitzt und als entscheidendes Moment Geltung erlangt, so wie nach dem allgemeinsten Principe jeder Bewusstseinsinhalt in einem Bewusstsein der Aehnlich-keit oder Verschiedenheit zur Geltung kommen kann, oder ob immer erst umfangreichere Unterabtheilungen durch eine Zusammenfassung mehrerer Elemente herausgehoben worden sein m\u00fcssen, wenn ein derartiges Resultat sich ergeben soll, weil erst die erh\u00f6hte Klarheit dieser weniger zahlreichen Haupttheile ein entschiedenes Ver-gleichsurtheil begr\u00fcnden kann.\nWie nun bereits von Wundt a. a. O. hervorgehoben wurde, begleitet das richtige und sichere Vergleichsresultat bei ca. 40 Schl\u00e4gen und dar\u00fcber thats\u00e4chlich eine Zusammenfassung zu Untereinheiten von je 8 Tactschl\u00e4gen, wie sich dieselbe am besten bei einem Tempo von 0,2 bis 0,3 sec. f\u00fcr den Tactschlag ausf\u00fchren l\u00e4sst. Dies entspricht aber nun einer Anzahl von f\u00fcnf verschiedenen Hauptgruppen, und dieser Werth stimmt offenbar vortrefflich mit derjenigen Gr\u00f6\u00dfe \u00fcberein, welche in den tachistoskopischen Versuchen als Umfang der Einheiten mit maximaler Klarheit gefunden wurde. Der besonders sichere und richtige Ausfall","page":553},{"file":"p0554.txt","language":"de","ocr_de":"554\n\u25a0Wilhelm Wirth.\ndes Vergleichsurtheiles wird also wohl doch von der relativ geringen Zahl der Haupttacte herr\u00fchren, welche somit nur dann die entscheidenden Fundamente im Vergleichsurtheile bilden k\u00f6nnen, wenn sie wirklich im Mittel \u00bbmaximale\u00ab Klarheit in dem fr\u00fcher erlebten Sinne besitzen. Mehr Haupttacte als 4\u20146 k\u00f6nnen nicht mehr so sicher wie hier verglichen werden. Diese Haupttacte entsprechen also in der That jenen sinnvollen Oombinationen ; sie sind uns ebenso gel\u00e4ufig wie jene Wortformen, oder vielleicht eher wie jene regelm\u00e4\u00dfigen, einfachen Figuren, allerdings in einem etwas anderen, noch genauer zu erl\u00e4uternden Sinne. Sie werden ebenso wie jene \u00bbim Glanzen\u00ab wiedererkannt und beschweren das Bewusstsein nicht mit der isolirten Beachtung der Einzelelemente. Mit einer Zusammenfassung zu je 8 Tactschl\u00e4gen ist aber nat\u00fcrlich gleichzeitig auch diejenige zu 4 oder 2 als umso leichter m\u00f6glich zugestanden, wie sie insbesondere auch andere g\u00fcnstigste Geschwindigkeiten erfordert, und je nach sonstigen individuellen Vorbereitungen auch eine gelegentliche Zusammenfassung zu 6 und 3. So l\u00e4sst sich also jene Reduction der entscheidenden Elemente der Gesammt-vorstellung auf unsere Zahl 4\u20146 noch viel eher bei den geringeren Ausdehnungen der richtig verglichenen Tactreihen zu 20, 16 oder 12 Tactschl\u00e4gen vornehmen, bei denen f\u00fcr jene Reduction nur eine Division mit 5, 4 oder 3 nothwendig ist. \u2014 Nat\u00fcrlich ist auch hier die Zahl von Tactschl\u00e4gen, welche zu Untereinheiten verbunden werden, selbst wiederum von dem Umfang der Aufmerksamkeit abh\u00e4ngig, da nur in dieser Weise eine klare und sichere Angleichung einer Untereinheit an ein entscheidendes Element der im Ganzen festgehaltenen Gesammtvorstellung der Reihe stattfinden kann. Nur bringt die successive Darbietung der letzten Einzelelemente des Ganzen eher die M\u00f6glichkeit mit sich, sozusagen zu h\u00f6heren Potenzen unserer Constanten1) hinaufzusteigen. Wenn fortw\u00e4hrend die M\u00f6glichkeit bleibt, mit dem klaren Ueberblick \u00fcber die Haupt-eintheilung auch ohne Z\u00e4hlen den Haupttact sicher zu subsumiren, mit welchem man gerade innerhalb der Vergleichsreihe besch\u00e4ftigt ist, dann kann man auch vor\u00fcbergehend jedem solchen Haupttheil eine ganz besondere Aufmerksamkeit zukommen lassen, um ihn klar\n1) Y gl. oben 2, 11.","page":554},{"file":"p0555.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung. 555\nals ganzen Tact in y8-Noten aufzufassen. Hierauf wird dann einem weiteren Haupttheil des Ganzen in der n\u00e4mlichen Weise eine Mare Aufl\u00f6sung zu theil werden, bis zum letzten. Bei aller Analogie zu jenen tacbistoskopisch gefundenen Werthen darf also doch niemals \u00fcbersehen werden, dass die beiderseits gefundenen Zahlenwerthe nur deshalb so gut stimmen, weil ungef\u00e4hr im Mittel jener maximale Klarheitsgrad auf ein entscheidendes Element, d. h. auf einen Haupt-tact in demjenigen R\u00fcckblick auf die ganze Reihe gerechnet werden muss, der allein die jeweihge Subsumption des Haupttactes m\u00f6glich macht, der dann noch weiterhin irgendwie \u00bbaufgel\u00f6st\u00ab werden kann. Allerdings weicht schlie\u00dflich auch die Anzahl aller einzelnen Tact-schl\u00e4ge doch nicht allzu sehr, etwa h\u00f6chstens um das Doppelte von den letzten Einheiten ab, die in gel\u00e4ufige Gruppen gebracht, eben noch tachistoskopisch \u00fcberblickt werden k\u00f6nnen, ca. 25; denn auch die successive Aufl\u00f6sung der immer h\u00f6chstens 4\u20146 Haupttheile darf nicht so weit getrieben werden, dass die \u00fcbrige Gesammtvorstellung und ihre Gliederung allzusehr zur\u00fccktritt. Der Ueberblick und die richtige Angleichung bleibt ja nur dadurch fortdauernd erm\u00f6glicht, dass wir bei jener Aufl\u00f6sung die eindeutig bewusste, nicht abgez\u00e4hlte Stelle innerhalb der Gesammtvorstellung im Auge behalten und niemals gezwungen sind, sie erst wieder reflectiv aus v\u00f6lliger Unklarheit hervorzuholen, wodurch wiederum auch die richtige Auffassung des Sp\u00e4teren gest\u00f6rt w\u00fcrde.\nAuch aus einem weiteren, ebenfalls schon behandelten Grunde wird bei den Versuchen mit Tactreihen eine vollst\u00e4ndigere Ausn\u00fctzung des Bewusstseinsumfangs gelingen als bei der tachistoskopischen Auffassung gel\u00e4ufiger Complexe. Schon bei den letzteren erkannten wir (S. 526 f.) einen Vorzug wenigstens gegen\u00fcber der Auffassung ungel\u00e4ufiger Complexe darin, dass die Constituirung des neuen und im einzelnen unerwarteten Bestandes doch nicht in allen Theilen erst frisch geleistet werden m\u00fcsse, wie es bei ebenso unerwarteten sinnlosen Complexen der Fall sei. Koch etwas vollst\u00e4ndiger wird aber nat\u00fcrlich die in einem einzigen Augenblick m\u00f6gliche Ausf\u00fcllung des Bewusstseins mit Vorstellungen bestimmter Art erreicht werden, wenn die augenblickliche Situation \u00fcberhaupt nicht erst in dem kritischen Moment sich neu constituiren muss, wenn vielmehr ein allm\u00e4hlicher Aufbau einer einzigen, in sich v\u00f6llig einheitlich gegliederten Gesammt-","page":555},{"file":"p0556.txt","language":"de","ocr_de":"556\nWilhelm Wirth.\nVorstellung sozusagen alle hierf\u00fcr frei verf\u00fcgbaren Kr\u00e4fte in dem zu messenden Best\u00e4nde angelegt und ins Gleichgewicht gebracht hat. Der Grundcharakter der ganzen Methode, doch wiederum eine simultan \u00fcbersichtliche und unterscheidbare Zahl maximal klarer Einheiten als hierbei allein wirksames Fundament des Yergleichsurtheiles herauszubilden, wird hierdurch nat\u00fcrlich nicht ver\u00e4ndert.\nIst aber einmal das Zusammenfassen der Einzelelemente zu Haupt-tacten als der entscheidende Factor anerkannt, der jenes sichere Ver-gleichsurtheil innerhalb der gefundenen Grenzen nach einem \u00e4hnlichen Princip wie bei den tachistoskopischen Versuchen erm\u00f6glicht, dann wird eine experimentelle Beeinflussung des Rhythmus durch ausdr\u00fcckliche Betonung bestimmter Tactschl\u00e4ge u. dergl. in verschiedenen Tactformen als passende Contr\u00f4le zu verwerthen sein. Gleichzeitig kommen hier alle jene Fragen in Wegfall, die sich hei den tachistoskopischen Versuchen daraus ergaben, dass eine Verwerth-barkeit der Gel\u00e4ufigkeit von Wortformen doch nur unter der Voraussetzung m\u00f6glich ist, dass wirklich sinngem\u00e4\u00dfe Worte u. s. w. dargeboten werden. Der Aufbau von Haupttacten als einer Gesammtform der subjectiven Auffassung ist vielmehr seihst von speciellen Voraussetzungen v\u00f6llig unabh\u00e4ngig, es gibt hier ebenso wie hei den einfachen Figuren keine M\u00f6glichkeit des Widerspruches zwischen Symbol und Bedeutung. Nach dem Bisherigen braucht wohl auch kaum noch darauf hingewiesen zu werden, dass auch gerade die Einschlie\u00dfung des gefundenen Umfanges in so scharf umschriebene Grenzen, \u00fcber welche hinaus jenes pr\u00e4cise Vergleichsurtheil auf einmal versagt, ganz und gar der Thatsache entspricht, dass eben nur Elemente mit maximaler Klarheit als Vergleichsmomente in Betracht kommen k\u00f6nnen und dass also \u00fcber das Maximum derartig beg\u00fcnstigter Einheiten hinaus die einzig m\u00f6gliche Grundlage f\u00fcr ein derartig promptes Vergleichsurtheil in Wegfall kommt. Nur f\u00fcr diejenigen Leistungen, in denen eine relativ hohe Beachtung der entscheidenden Elemente gefordert ist, konnte ja nach den \u00fceberlegungen von S. 535 eine relativ geringe mittlere Variation f\u00fcr einen bestimmten Spielraum dei Schwankungen des gesammten Umfanges erwartet werden, nicht aber, wenn relativ wenig beachtete, nur eben \u00fcberhaupt bewusste Elemente den Ausschlag gehen k\u00f6nnen.","page":556},{"file":"p0557.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung.\n557\n7) Reduction einer scheinbaren Abweichung der Wiedergabe des Resultates beim rhythmischen Umfang von der tachistoskopischen Umfangsbestimmung maximaler Klarheit. Uebrigens verdient noch ein eigenartiger Unterschied zwischen den verschiedenen Resultaten hei Tactreihen zu 4 bis 6 Schl\u00e4gen einerseits und den Resultaten in der N\u00e4he des Maximums des gefundenen Umfanges, also ca. 40 Schl\u00e4gen, anderseits, wie er bei entsprechenden Variationen am Tachistoskop fehlte, eine n\u00e4here Betrachtung, weil man aus ihm ebenfalls eine principielle Differenz der beiderseitigen Resultate abzuleiten versucht sein k\u00f6nnte. Bei den Tactirversuchen ist man sich n\u00e4mlich ohne Z\u00e4hlen, also beim einzig exacten Versuche, nach dem Anh\u00f6ren von ca. 40 Tactschl\u00e4gen ohne experimentelle Markirung von Haupttacten nicht einmal hinsichtlich der Zahl der Hauptgruppen unmittelbar im Klaren, obgleich man eine eindeutige Gesammtvors teiljung besitzt, w\u00e4hrend dies nat\u00fcrlich nach 3\u2014 4 Schl\u00e4gen sicher der Fall ist. F\u00fcr die Zahl von eben so viel gel\u00e4ufigen Worten, kleinen Strichgruppen u. s. w., wie sie gew\u00f6hnlich dargeboten werden, ist man sich aber \u00fcber die Anzahl ebenso klar, als ob man nur ebenso viele einfache Buchstaben oder Striche gesehen h\u00e4tte. Dies h\u00e4ngt f\u00fcrs erste wohl mit der geringen Abtrennung der Hauptgruppen gegeneinander zusammen, was also anderseits wieder dem Maximum der noch eine bestimmte Klarheit gestattenden Ausdehnung dieses in sich eindeutigen, wenn auch nicht abgez\u00e4hlten Bestandes zu Gute kommt. Die 40 Tactschl\u00e4ge folgen in ununterbrochener Reihenfolge, so dass die herausgehobenen Hauptgruppen hei der gro\u00dfen absoluten Ausdehnung des gesammten Bestandes keineswegs so leicht isolirt herausgegriffen werden k\u00f6nnen, wie es zu einem klaren unmittelbaren Bewusstsein der Anzahl nothwendig ist. Deshalb sind sie doch alle eindeutig genug, um hei jener Abwicklung des Ganzen an der Vergleichsreihe nicht verwechselt zu werden. Eine \u00e4hnliche Erschwerung der Zahlangabe w\u00fcrde sich also auch bei tachistoskopischen Versuchen ergeben, wenn man die Strich- oder Wortgruppen weniger scharf von einander trennen w\u00fcrde. Nur w\u00e4re damit auch zugleich die Bedingung f\u00fcr die richtige Auffassung \u00fcberhaupt ver\u00e4ndert, weil ja dort die Apperception mit dem Ganzen in allen seinen Theilen im Augenblicke der Exposition fertig werden muss. Anderseits w\u00fcrde hei den Tactirversuchen die","page":557},{"file":"p0558.txt","language":"de","ocr_de":"558\nWilhelm Wirth.\nEinf\u00fchrung markanter Grenzen zwischen den Hauptgruppen die simultane Auffassung der Anzahl ohne Z\u00e4hlen zu sehr erleichtern, weil ja hier eine successive Bew\u00e4ltigung des Ganzen m\u00f6glich ist. Au\u00dferdem muss aber doch auch noch zwischen der hinreichenden mittleren Klarheit einer entsprechenden Zahl von Einheiten einer Gesammtvorstellung und dem Zahlbewusstsein genau unterschieden werden. Das letztere setzt zwar die erstere voraus, aber nicht auch umgekehrt. Das Zahlbewusstsein erfordert zugleich eine m\u00f6glichst gleichm\u00e4\u00dfige simultane Vertheilung der Beachtung, wie sie auf dem Gebiet des r\u00e4umlichen Nebeneinander thats\u00e4chlich eher erreicht wird, w\u00e4hrend auf dem Gebiete der Zeitvorstellung diese Vertheilung mit dem eindeutigen Bewusstsein des Ganzen mitsamt seiner Gliederung noch nicht ohne Weiteres gegeben ist, vielmehr erst eine reflective Aufl\u00f6sung desselben auf diesen speciellen Gesichtspunkt hin nothwendig macht, die sich allerdings auch in jedem Momente beliebig anschlie\u00dfen kann.\n8) Unn\u00f6thigkeit der Vergleichsmethode f\u00fcr die Feststellung des gefundenen Umfanges. \u2014 Vollwerthige Ersetzbarkeit durch die unmittelbare Wiedergabe. Mit dieser Eigenth\u00fcmlichkeit, die trotzdem keinen principiellen Unterschied des hei diesen Tactirversuchen entscheidenden Umfanges bedingt, h\u00e4ngt wohl auch die besondere Bedeutung zusammen, welche der Vergleich mit einer zweiten Reihe als besondere Methode der Feststellung jener klaren Einheiten bei den Tactirversuchen besitzt. Der Vergleich ist nach dem fr\u00fcher Gesagten die allgemeinste Methode, bei der auch die unklarsten Regionen zur Geltung kommen k\u00f6nnen. Insofern aber nun hier doch wiederum nur die n\u00e4mliche Zahl von Einheiten den Ausschlag gibt, wie hei den tachistoskopischen Versuchen, so kann man fragen, ob denn hier nicht ebenso wie dort die Methode der unmittelbaren Wiedergabe nach Auffassung einer einzigen Gesammtvorstellung ausreichen m\u00fcsste, um den simultanen Bewusstseinsbestand festzustellen, so weit er \u00fcberhaupt durch diese specielle Methode umfasst wird. Allerdings f\u00e4llt diese unmittelbare Wiedergabe z. B. nach der Apperception von Strichgruppen mit der sofortigen Angabe der Anzahl zusammen. Doch wird man nach den Ausf\u00fchrungen des vorigen Absatzes diese Zahlenangabe kaum mehr mit dem unmittelbaren Ausdruck des augenblicklich vorschwebenden","page":558},{"file":"p0559.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung. 559\nGesammtbewusstseins identifiziren. Dieser kann vielmehr auch in der Erzeugung eines in der Zeit verlaufenden Vorgangs bestehen, und in unserem Falle k\u00f6nnte er in der That in gar nichts anderem bestehend gedacht werden, als eben darin, dass die Versuchsperson das ihr vorschwebende Ganze thats\u00e4chlich in der angegebenen Weise durchnimmt, dass sie die geh\u00f6rten Tactreihen selbst unmittelbar nach dem ihr vorschwebenden Vorbild herstellt. Das eigene Nach-tactiren von seiten des Beobachters ohne Z\u00e4hlen w\u00e4re also die den bisherigen tachistoskopischen Versuchen entsprechende unmittelbare Wiedergabe, wie sie sich aus der vorschwebenden Gesammtvorstellung jeden Augenblick in dem angegebenen Umfang von 4 bis 6 Haupttacten jederzeit richtig ausf\u00fchren l\u00e4sst. Auch hier m\u00fcsste nat\u00fcrlich in jedem Augenblick die bereits reproducirte Tactreihe vom Beobachter sorgf\u00e4ltig an die Gesammtvorstellung ang\u00e7glichen werden. Aber auch bei der gew\u00f6hnlichen Aussage nach einem tachistoskopischen Versuche liegt nat\u00fcrlich eine fortw\u00e4hrende Contr\u00f4le durch die Erinnerung vor, welche einem solchen Vergleichsprocesse entspricht. Dass also f\u00fcr die Tactirversuche nicht die eigene Wiedergabe von seiten des Beobachters, sondern die Vergleichung mit einer ebenfalls experimentell dargebotenen neuen Reihe erfolgte, war nur eine exactere Ausgestaltung der Methode der unmittelbaren Wiedergabe, mit der man ebenfalls nur dem Umfange maximaler Klarheit (im Mittel) beizukommen vermochte. Es waren dadurch etwaige gegenseitige Verschiebungen der Gesammtvorstellung und des Darstellungsmittels vermieden, auf deren gegenseitiger Angleichung die Wiedergabe beruht, und war diese Sorgfalt deshalb von besonderer Bedeutung, weil bekanntlich gerade die Tactreihen je nach der passiven Auffassung oder eigenen Wiedergabe einen etwas verschiedenen Charakter und inhaltlichen Bestand besitzen, so dass also der eigenen Wiedergabe von seiten des Beobachters auch die eigene Herstellung des ersten eigentlichen Vergleichsobjectes, nat\u00fcrlich ebenfalls ohne Z\u00e4hlen, entspr\u00e4che. In der That wird man sich leicht \u00fcberzeugen k\u00f6nnen, dass die in letzterer Weise unternommenen Versuche mit denen bei durchweg passiver Aufnahme in ihren Resultaten gut \u00fcbereinstimmen. Der Umfang wird dabei zugleich dem Maximum des nach dieser Methode messbaren Umfanges deshalb besonders nahe kommen, weil die unwill-","page":559},{"file":"p0560.txt","language":"de","ocr_de":"560\nWilhelm Wirth.\nk\u00fcrliche Markirung der Haupttacte bei der eigenen Herstellung den wirklich innerlich erlebten Zusammenfassungen am besten entspricht. So erscheint also von diesem Gesichtspunkt aus die Methode der directen Wiedergabe, wie sie bisher bei den tachistoskopischen Versuchen allein zur Anwendung kam, nur als eine weniger exacte Vergleichsmethode, wie ja auch sonst bei den \u00bbpsychophysischen\u00ab Methoden die Methode der Herstellung nur eine besondere Ausgestaltung des Vergleiches bedeutet. Bei den weiter unten behandelten Verwendungen der tachistoskopischen Methode wird dies noch ausf\u00fchrlich zur Sprache kommen.\nFasst man also alle Ausf\u00fchrungen dieses Capitels zusammen, so scheinen auch hier wiederum die letzten Ergebnisse, zu denen man bei den zuerst erw\u00e4hnten tachistoskopischen Apperceptions-versuchen gelangte; ihre allgemeine Bedeutung in allen derartigen Umfangsfragen bew\u00e4hrt zu haben. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Cat teil seine fr\u00fcher erw\u00e4hnten Versuche deshalb als Messungen des Bewusstseinsumfanges bezeichnet hat, weil ihm diese Aehnlichkeit des allgemeinen Princips bei den Auffassungen von Tactreihen und von optischen Complexen vorschwebte. Keinesfalls darf aber die von Wundt der Oattell\u2019schen Terminologie gegen\u00fcber sogleich hervorgehobene Thatsache, dass es sich bei jenem Umfang von 4 bis 6 Einheiten nur um die Zahl der besonders beachteten Punkte des simultanen Ganzen handle, wieder aus den Augen verloren werden. Es wird sich also viel eher darum handeln, diese auch f\u00fcr den Umfang der richtig beurtheilten Tactreihen bestehende Einschr\u00e4nkung, welche auch von Wundt anerkannt ist, durch eine entsprechende Bezeichnung zu markiren. Es geht aber wohl kaum an, den Begriff des Aufmerksamkeitsumfanges, wie er aus der relativ gleichm\u00e4\u00dfigen Vertheilung der Beachtung auf m\u00f6glichst isolirte Einzelobjecte abgeleitet worden war, mit dem bei Tactreihen gefundenen Umfange einfach zu identificiren. Hierf\u00fcr ist sozusagen jenes Relief, welches uns die Vertheilung der Klarheitsgrade innerhalb des Bewusstseins versinnlicht, zu sehr verschieden, und au\u00dferdem muss die Vermehrung der gefundenen Einheiten ber\u00fccksichtigt werden, welche aus der M\u00f6glichkeit einer successiven Aufl\u00f6sung bestimmter Einheiten jener Gesammtvorstellung hervorgeht. So w\u00fcrde sich also f\u00fcr die Anzahl der jeweils umfassten Einzel-Tactschl\u00e4ge die besondere Bezeichnung","page":560},{"file":"p0561.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung.\t5gj\neines Umfanges des. rhythmischen Bewusstseins empfehlen, wobei man sich freilich immer gegenw\u00e4rtig halten muss, dass auch dieser Umfang des successiv aufgel\u00f6sten Rhythmus f\u00fcr seine schlie\u00df-liche Erkl\u00e4rung unmittelbar auf jene allgemeine Constante des Umfangs der maximalen Klarheit zur\u00fcckweist, aus welcher auch die Auffassung mehrerer gel\u00e4ufiger optischer Complexe herzuleiten ist.\n9) Yertheidigung der von Wundt vorausgesetzten M\u00f6glichkeit der simultanen G-esammtvorstellung aus succes-siven Wahrnehmungen. Ich habe nun den Zusammenhang dieser Betrachtungen nicht durch ein n\u00e4heres Eingehen auf einen princi-piellen Einwand unterbrechen wollen, der gegen Wundt hinsichtlich der wichtigsten Voraussetzung erhoben worden ist, welche all diesen Ueberlegungen zu Grunde liegt.\nDer Einwand, den ich hier in eigenen Worten kurz wiedergebe, fu\u00dft auf der Anschauung, dass die simultane Gesammtvorstellung, welche aus der in der Zeit verlaufenden Tactreihe gewonnen wurde! \u00fcberhaupt nicht existire1). Dass die Vergleichsreihe bis zu einem bestimmten Tactschlag verlaufen m\u00fcsse, um der ersten zu entsprechen, werde nicht durch einen Vergleich mit einer simultan vorschwebenden Gesammtvorstellung festgestellt, sondern mehr indirect erschlossen, und zwar auf Grund einer besonderen Leistung der frischen, an sich unbewussten Ged\u00e4chtnissspuren, welche ein Gef\u00fchl der Erwartung, immer mehr Tacte zu h\u00f6ren, solange erhalten l\u00e4sst, bis das letzte hinzugeh\u00f6rige Element der Vergleichsreihe vorbei ist. Je nach dem thats\u00e4chlichen richtigen Abschluss oder der Fortsetzung der Reihe erlebe man ein Gef\u00fchl der Erf\u00fcllung, bzw. der Entt\u00e4uschung. Au\u00dfer dem Gef\u00fchl und dem jeweils eben geh\u00f6rten Tactschlag brauche dann zu dem gew\u00fcnschten Erfolge nichts weiter gleichzeitig im Bewusstsein gegeben zu sein. Wundt ist diesem Einwande, mit dessen Richtigkeit nat\u00fcrlich auch alle Ausf\u00fchrungen dieses Abschnittes hinf\u00e4llig w\u00fcrden, bereits selbst seinerzeit ausf\u00fchrlich begegnet2), so dass ich mich hier unter gleichzeitigem Hinweis auf diese Darlegungen kurz fassen kann.\nZun\u00e4chst scheint ja allerdings eine uneliminirbare methodische\n1) F. Schumann, Zeitschr. f. Psychol, u. Physiol, d. Sinnesorgane I, S. 75 n> S. 115.\t2) S. S. 539.\nWundt, Philos. Studien. XX.\t..\u00df","page":561},{"file":"p0562.txt","language":"de","ocr_de":"562\nWilhelm Wirth.\nSchwierigkeit f\u00fcr unsere Frage deshalb vorhanden zu sein, weil die Elemente, um deren Gleichzeitigkeit im Bewusstsein es sich handelt, nicht auch experimentell in einem einzigen Momente dargehoten und dann wieder entzogen werden, wie heim Tachistoskop die optischen Wahrnehmungselemente. Das simultane Vergleichsobject ist vielmehr ein indirectes Ergehniss der einzelnen Augenblicke des Wahrnehmungsprocesses unter Zuhilfenahme der absichtlichen Zusammenfassung des successiv Dargebotenen. Wir sind also f\u00fcr den Nachweis der Gleichzeitigkeit ganz auf die reflective Analyse angewiesen. Diese ergibt nun allerdings, dass Gef\u00fchle von der hei jenem Einwande angenommenen Art das Anh\u00f6ren der Vergleichsreihe begleiten. Aber diese Gef\u00fchle erscheinen nicht als sogenannte grundlose, rein stimmungsm\u00e4\u00dfige Gem\u00fcthshewegungen der Spannung und L\u00f6sung, hezw. Befriedigung oder Missbefriedigung neben den neuen Empfindungen, so dass wir erst aus ihnen auf gewisse fr\u00fchere Wahrnehmungen schlie\u00dfen w\u00fcrden. Wir sind uns vielmehr dabei genau bewusst, dass wir die Gef\u00fchle nur im Hinblick auf bestimmte that-s\u00e4chlich vorgestellte Merkmale eines gr\u00f6\u00dferen Ganzen erleben. Allerdings m\u00fcssen also die Dispositionen vom ersten Erlebniss her fortwirken, damit \u00fcberhaupt diese eindeutig bestimmte Vorstellung der ersten Reihe erhalten bleibt und nicht etwa durch andere Elemente verf\u00e4lscht wird, und wurde diese Bedeutung der ged\u00e4chtnissm\u00e4\u00dfigen Sicherheit der Erinnerung mitsammt ihren Schranken vorhin bereits n\u00e4her besprochen. Indessen ist zu der Wirksamkeit der Associationen, wie sie thats\u00e4chlich gegeben ist, jederzeit nothwendig, dass man sich \u00fcberhaupt innerlich auf diese bestimmten fr\u00fcheren Erlebnisse beziehen will, gleichg\u00fcltig, ob die Gr\u00fcnde hierf\u00fcr in einer unwillk\u00fcrlichen bewussten Nachdauer des Vergangenen oder in einem besonderen Vorsatz bestehen.\nMan k\u00f6nnte ja eben so wohl diese zweite Reihe ohne jegliche bewusste Bezugnahme auf die fr\u00fcheren Erlebnisse anh\u00f6ren, wodurch die rein dispositionelle Wirkungsf\u00e4higkeit des ersten Erlebnisses nat\u00fcrlich nicht aufgehoben, sondern nur eben nicht bewusst w\u00fcrde. Es w\u00fcrden dann auch die entsprechenden Erwartungen und sonstigen Gef\u00fchle vollst\u00e4ndig ausbleiben, ebenso wie ja auch innerhalb ein und der n\u00e4mlichen Reihe die ganze Zusammenfassung nicht einfach als ein Fortwirken von Ged\u00e4chtnissspuren der ersten Tactvorstellung bis","page":562},{"file":"p0563.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung. 563\nzur letzten beschrieben werden kann. Letzteres wird ja nat\u00fcrlich auch hierbei zutreffen, aber es ist doch blo\u00df eine Voraussetzung f\u00fci das hierzu nothwendige Bewusstsein der Zusammenfassung einer in allen Theilen bekannt erscheinenden Gesammtvorstellung. Nur durch dieses thats\u00e4chlich erlebte Bewusstsein der Zusammenfassung werden weiterhin auch die Dispositionen, zur Reproduction von vorne herein so beeinflusst, wie es eine einfache gegenseitige Abl\u00f6sung der Einzelelemente im Bewusstsein ohne jene simultane Bezugnahme nicht vermocht h\u00e4tte. Der weitere Blick der hier vertretenen Anschauung zeigt sich also darin, dass sie nicht nur die thats\u00e4chlich vorhandenen Gef\u00fchle, sondern auch deren bewusste Vorstellungsbasis ber\u00fccksichtigt.\nEs w\u00e4re nat\u00fcrlich auch v\u00f6llig ausgeschlossen, die letztere Gesammtvorstellung etwa dadurch zu ersetzen, dass man immer blo\u00df das Erinnerungsbild an den einzelnen entsprechenden Tactschlag aufsteigen lie\u00dfe, bis die richtige Anzahl vorbei ist, sodass hieraus eine richtige Absch\u00e4tzung der Vergleichsreihe entst\u00e4nde. Hierduroh k\u00f6nnte ja kein unmittelbares Gef\u00fchl der Erwartung u. s. w. erkl\u00e4rt werden, sondern nur die jeweils immer neu auftauchende Frage, ob denn beim n\u00e4chsten Schlage diese innere Begleitung noch stattfinden w\u00fcrde oder nicht, ein derartig mittelbares Verfahren, wie es nat\u00fcrlich in dem thats\u00e4chlichen Erlebniss nicht entfernt anzutreffen ist. Ferner sind wir aber auch gen\u00f6thigt, die Vorstellungsgrundlage f\u00fcr das Ver-gleichsurtheil und irgend welche Gef\u00fchle der Spannung u. s. w. thats\u00e4chlich als eine simultane anzusehen. Es ist beim Anh\u00f6ren der T ergleichsreihe in keinem Moment sozusagen das Bewusstsein einer r\u00fcckl\u00e4ufigen Bewegung vorhanden, als ob man sich der bestimmten Lage des neuen Elementes in der ganzen Reihe immer erst durch ein m\u00f6glichst rasches Durchlaufen vergangener Elemente bewusst werden m\u00fcsste. Man geht nur mit der Tactreihe selbst weiter, w\u00e4hrend alles Vergangene entweder simultan oder \u00fcberhaupt nicht mehr f\u00fcr uns da ist. Dies ist ja auch vom Gegner gar nicht bestritten worden, der eben gerade jenes sichere Fortschreiten, aber nur eben ohne Zuhilfenahme einer Gesammtvorstellung erkl\u00e4ren wollte.\nEndlich k\u00f6nnen auch nicht etwa secund\u00e4re Vorstellungsmerkmale, wie Qualit\u00e4tsunterschiede der Einzelelemente der Reihenvorstellung\n36*","page":563},{"file":"p0564.txt","language":"de","ocr_de":"564\nWilhelm Wirth.\nverwendet werden oder Variationen der sonstigen Organempfindungen oder Gef\u00fchle, wie sie, abgesehen von der zu beweisenden Vorstellungsgrundlage selbst, als unmittelbare Nebenerfolge von Dauer und Zahl der einzelnen apperceptiven Acte auftreten k\u00f6nnten. Alle derartigen Charakterisirungen der Einzeltacte d\u00fcrften ja, wenn sie das leisten sollen, wozu sie eingef\u00fchrt werden, von nichts weiter abh\u00e4ngig sein, als von der bewussten Zusammenfassung innerhalb ganz bestimmt markirter Grenzen, ohne R\u00fccksicht auf andere vorhergegangene und nachfolgende Apperceptionsacte; sie w\u00fcrden also die zu eliminirende Vorstellung ebenfalls bereits voraussetzen.\nNun hat aber doch eigentlich der Versuch, diese simultane Ge-sammtvorstellung zu eliminiren, auch au\u00dferdem gar keine allgemeineren Beweggr\u00fcnde f\u00fcr sich, die gegen das simultane Nebeneinander mehrerer Bewusstseinselemente \u00fcberhaupt sprechen w\u00fcrden. Auch abgesehen von dem niemals bestrittenen r\u00e4umlichen Nebeneinander der bewussten Gesichts- und Tastempfindungen gibt es ja doch noch andere Beziehungen, die nur innerhalb eines mehrfach gegliederten simultanen Ganzen m\u00f6glich sind, wie z. B. die eigenartige Coordination von T\u00f6nen und Kl\u00e4ngen innerhalb eines Accordes. Somit ist also jener ganze Einwand durchaus auf der Voraussetzung aufgebaut, dass speciell die Elemente einer Zeitvorstellung niemals in irgend einer Weise simultan im Bewusstsein gegeben sein k\u00f6nnten, sondern immer nur nacheinander bewusst werden k\u00f6nnten, einer Anschauung, der in dieser Allgemeinheit in letzter Zeit am ausf\u00fchrlichsten auch von Meinong1) entgegengetreten wurde, der es in dieser Frage mit den n\u00e4mlichen Gegnern wie Wundt zu thun hat. Alle der Analyse des Zeitbewusstseins \u00fcberhaupt entnommenen Argumente k\u00f6nnen nat\u00fcrlich auch f\u00fcr die Gesammtvorstellungen aus Tactreihen ohne specielle Ber\u00fccksichtigung der Zeitdauer verwerthet werden.\nAber zu alledem kommt eben nun aus der Vergleichung der absoluten Werthe f\u00fcr den Umfang der Zeitvorstellung mit anderen Umfangsbestimmungen noch eine weitere Subsumption dieser Auffassung unter allgemeinere Gesichtspunkte hinzu, welche die ganze Vorstel-\n1) A. Meinong, Ueber Gegenst\u00e4nde h\u00f6herer Ordnung und deren Verh\u00e4lt-niss zur inneren Wahrnehmung. Zeitschr. f. Psychol, u. Physiol, d. Sinnesorg. 21, S. 183; besonders der dritte Abschnitt S. 243 kommt f\u00fcr unsere Ausf\u00fchrungen in Betracht.","page":564},{"file":"p0565.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung. 505\nlung noch selbstverst\u00e4ndlicher erscheinen lassen. Wenn f\u00fcr den Umfang der Zeitvorstellung sich Werthe ergehen w\u00fcrden, die zu entsprechenden Leistungen auf anderen Gebieten unter \u00e4hnlichen Bedingungen in keinem Verh\u00e4ltnis st\u00e4nden, so k\u00f6nnte man immer noch eher versucht sein, eine besondere Auffassung \u00fcber das Wesen der Zeitvorstellung nach dieser Hinsicht gelten zu lassen. Zeigt sich jedoch noch dazu eine so gute Uehereinstimmung, wie sie mir nach den bisherigen Versuchen erwiesen scheint, so sehe ich \u00fcberhaupt keinen Grund mehr daf\u00fcr ein, dass man eine simultane Gesammt-vorstellung einer Zeitreihe leugnen will. M\u00fcsste ja doch auch sonst das Ged\u00e4chtniss, abgesehen von der sonstigen Function, die es auch bei allen anderen auf ein wirkliches Erlebniss bezogenen Gesammt-vorstellungen als Bedingung f\u00fcr die Richtigkeit der Erinnerung \u00fcberhaupt aus\u00fcbt, auf einmal ganz speciell f\u00fcr die Zeitvorstellung die n\u00e4mliche Leistung vollbringen, wie bei anderen Complexen die F\u00e4higkeit, innerhalb eines bestimmten Umfanges Vorstellungselemente als eine gleichzeitige Grundlage eines Vergleichsurtheiles und darauf bezogenen Gef\u00fchles wirksam sein zu lassen. Zu einer solchen Leistung bedarf es aber nach jenem allgemeinsten, am Beginn des Kapitels behandelten Prinzip jedenfalls Bewusstsein der Elemente \u00fcberhaupt, nach den sp\u00e4teren Ausf\u00fchrungen und unter den speciellen Voraussetzungen sogar eine hinreichende Klarheit der entscheidenden Einheiten,\n10) Verteidigung des Schlusses vom Vergleichsurtheil auf die Bewusstheit der entscheidenden Vorstellungselemente. \u2014 Die Vergleichsmethode als Specialfall des allgemeinsten Principes der Ph\u00e4nomenologie des Bewusstseins. Endlich w\u00e4re aber selbst nach dem Zugest\u00e4ndniss des Vergleichsurtheiles in seinem allein auf die Gesammtvorstellung bezogenen Sinne noch ein ganz principieller Einwand gegen das ganze Schlussverfahren m\u00f6glich, welches aus dem Vergleichsurtheil nach dem zu Anfang des Oapitels erl\u00e4uterten Principe die Zugeh\u00f6rigkeit der entscheidenden Gesammtvorstellung zum Bewusstsein folgert. W\u00e4hrend man also den Schluss auf die Bewusstheit da zugesteht, wo er zur besonderen Feststellung der bewussten Elemente nicht mehr nothwendig ist, also etwa bei concreten, gegenw\u00e4rtig wahr-","page":565},{"file":"p0566.txt","language":"de","ocr_de":"566\nWilhelm Wirth.\ngenommenen Einzelinhalten, die auch ohne Vergleichung f\u00fcr sich allein in der Betrachtung klar isolirbar sind, k\u00f6nnte man ihn- hei eomplicirteren Verh\u00e4ltnissen, wie sie gerade hei der Zeitvorstellung gegeben sind, \u00e4hnlich in Zweifel ziehen, wie etwa bei der Frage nach der Bewusstheit abstracter Merkmale und Vorstellungsbeziehungen, die zwar nicht isolirt vorstellbar, aber doch zur selbst\u00e4ndigen Begr\u00fcndung von Vergleichsurtheilen bef\u00e4higt sind. Man w\u00fcrde also damit den Vergleich als allgemeines ph\u00e4nomenologisches Princip verwerfen und das Bewusstsein der Aehnlichkeit, Verschiedenheit u. s. w. als inhaltlich v\u00f6llig abtrennbare Wirkung der successiven oder simultanen Betrachtung der verglichenen Vorstellungsobjecte betrachten. Damit w\u00e4re es vertr\u00e4glich, dass dasjenige \u00bbMoment\u00ab oder \u00bbFundament\u00ab, worin die verglichenen Vorstellungen \u00fcbereinstimmen oder differiren, keineswegs nothwendig zu dem Ganzen des Bewusstseins als integrirender Bestandtheil hinzugeh\u00f6ren bezw. vielleicht auch nicht einmal hinzugeh\u00f6rt haben muss, in welchem das durch sie begr\u00fcndete Vergleichsurtheil vorkomme. W\u00fcrden in dieser Weise auch unbewusste Erregungen unmittelbar, d. h. eben ohne ein im Bewusstsein gegebenes Correlat ein ihrem thats\u00e4chlichen Verh\u00e4ltnis entsprechendes bewusstes Vergleichsurtheil mit sich f\u00fchren k\u00f6nnen, dann w\u00e4re nat\u00fcrlich auch eine Bestimmung des Bewusstseinsumfanges nach der hier vertretenen Methode unm\u00f6glich. Die Beantwortung der Frage, ob das Moment der bewussten Uebereinstimmung oder Verschiedenheit wirklich selbst ein Bewusstseinsinhalt sei oder nicht, muss nat\u00fcrlich zu einer Analyse des Aehnlichkeitsbewusstseins u. s. w. im Ganzen zur\u00fcckgehen und hierbei wird man nicht bestreiten k\u00f6nnen, dass uns das entscheidende Element oder Merkmal der Vergleichsvorstellungen ganz in der n\u00e4mlichen Weise \u00bbgegeben\u00ab erscheint, wie alle Bewusstseinsinhalte f\u00fcr uns im Erleben unmittelbar gegenw\u00e4rtig sind. Das Ergebnis des Vergleichens besteht jederzeit sogar in einem Emporsteigen jenes Momentes zu h\u00f6herer Klarheit. Alles Bewusstsein der Aehnlichkeit, Verschiedenheit u. s. w. ist also nur das Bewusstsein solcher relativ beachteter Momente in besonderen Verbindungen und mit gr\u00f6\u00dferer oder geringerer Differenzirung gegen\u00fcber der Umgebung, bezw. bei abstracten Momenten gegen\u00fcber den \u00fcbrigen Merkmalen, und enth\u00e4lt z. B. das Bewusstsein der Identit\u00e4t und der Gleichheit jederzeit eine Oontinuit\u00e4t, das Verschiedenheitsbewusstsein eine eigen-","page":566},{"file":"p0567.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung. 567\nartige Unterbrechung der bewussten Perception bezw. Apperception, beim Uebergang von dem einen auf das andere Vergleichsobject. Die Vergleichserlebnisse sind also mitsammt allen ihren \u00bbFundamenten\u00ab specielle Gestaltungen der allgemeinsten Formen des simultanen und successiven Zusammenhanges des Bewusstseinslebens \u00fcberhaupt. Soweit das Vergleichsurtheil reicht, soweit sind uns bewusste Momente gegeben, wenn auch wegen der Besonderheit dieser Erlebnisse nicht zugleich die Umkehrung des Satzes richtig sein sollte. Nat\u00fcrlich ist mit diesen Elementen und Merkmalen, welche in unser Vergleichsbewusstsein eingehen k\u00f6nnen, die ganze F\u00fclle von Vorstellungen und reflectiv betrachteten Gem\u00fcthsbewegungen inbegriffen. Auch jede Stimmung, die Art und Weise, wie uns Gegenst\u00e4nde \u00bbanmuthen\u00ab, kann eine bewusste Aehnlichkeit und Verschiedenheit begr\u00fcnden, sofern wir eben wirklich diese Gef\u00fchlssph\u00e4re mit in das Vergleichsobject hineinnehmen.\nEine genauere Behandlung dieser anscheinend selbstverst\u00e4ndlichen Vorfrage der Ph\u00e4nomenologie des Bewusstseins w\u00e4re nat\u00fcrlich Sache einer besonderen Untersuchung. Hier ist eben nur so viel von Wichtigkeit, dass die Vergleichsresultate nicht etwa einfachste Gef\u00fchle oder dergleichen sind, die keineswegs das Fundament der Aehnlichkeit in sich schl\u00f6ssen und nur durch eine nachtr\u00e4gliche Deutung ihren Sinn als Aehnlichkeits- und Verschiedenheitsbewusstsein erhielten. W\u00fcrde doch eine solche Deutung schlie\u00dflich das Unm\u00f6gliche wenigstens denkbar erscheinen lassen, dass, nach ungen\u00fcgender oder irref\u00fchrender Erfahrung, beim Erleben eines thats\u00e4chlichen Aehnlichkeitsbewusstseins an Differenzen zwischen den verglichenen Gegenst\u00e4nden, bei Verschiedenheitsbewusstsein aber an ein Fortbestehen \u00fcbereinstimmender Merkmale geglaubt wird. Alle derartigen Zur\u00fcckf\u00fchrungsversuche d\u00fcrften vielmehr das zu Erkl\u00e4rende wohl immer bereits voraussetzen.\nDaran wird nat\u00fcrlich nichts ge\u00e4ndert, wenn man Vorg\u00e4nge annimmt, welche, ohne selbst Bewusstseinsinhalt zu sein, die thats\u00e4chlichen Bewusstseinserlebnisse bewirkt haben, und deren hypothetischer Begriff nun aus der Betrachtung der sonstigen psychologischen und physiologischen Ereignisse noch weiterhin specialisirt werden soll. Offenbar kann auch von jedem Vergleichserlebniss aus auf derartige, an sich unbewusste Vorg\u00e4nge geschlossen werden, die","page":567},{"file":"p0568.txt","language":"de","ocr_de":"568\nWilhelm Wirth.\nsich zu ihm verhalten, wie sich eben \u00fcberhaupt solche Vorg\u00e4nge zu entsprechenden Bewusstseinsinhalten verhalten. Keinesfalls wird aber das Fundament der bewussten Aehnlichkeit in dem vorhin definirten Sinne durch einen ausschlie\u00dflich unbewussten Vorgang ersetzt werden k\u00f6nnen. Denn sobald die zu Bewusstseinscorrelaten bef\u00e4higten Vorg\u00e4nge an der Erzeugung eines solchen Elementes momentan verhindert sind, werden in dem Concurrenzkampfe daf\u00fcr andere von Erfolg begleitet sein. Damit wird aber nat\u00fcrlich auch das Vergleichsbewusstsein anders ausfallen m\u00fcssen. Eine solche Ver\u00e4nderung eines Vergleichs-urtheiles tritt ja schon ein, wenn das entscheidende Element zwar noch bewusst geworden, aber doch nicht mehr am meisten klar und beachtet ist. Eine blaue Farbe von bestimmter Nuancirung und Helligkeit wird einem gleichen Blau von anderer Helligkeit je nach Beachtung von Farbe oder Helligkeit entweder als gleich, bezw. \u00e4hnlich oder verschieden erscheinen k\u00f6nnen. So w\u00fcrde also ein in seinem Bewusstseinserfolg v\u00f6llig zur\u00fcckgebliebener, oder zu einem solchen seinem Wesen nach unf\u00e4higer Vorgang \u00fcberhaupt nicht in der Lage sein, beim Vergleichsurtheil irgendwie zur Geltung zu kommen. Widerspr\u00e4che doch auch die Annahme einer solchen Leistung des Unbewussten als unmittelbarer Grundlage eines Vergleichsurtheiles der ganzen methodischen Ableitung des Begriffes eines Unbewussten bei Allen, welche ihn in dem angedeuteten Sinne verwerthen, wie z. B. Th. Lipps. Hier ist das Unbewusste stets ein erschlossener Vorgang, der zur Vervollst\u00e4ndigung des causalen Zusammenhanges hypothetisch nach rein formalen quantitativen und zeitlichen Beziehungen unter vorl\u00e4ufigem Verzicht auf n\u00e4here qualitative Charakterisirung construirt wird, welch\u2019 letztere bei Einf\u00fcgung in den allgemeinen Lebenszusammenhang jederzeit so weit als m\u00f6glich physiologisch gefasst werden kann. Beim Vergleichsurtheil ist man sich hingegen keiner Erschlie\u00dfung hypothetischer Gr\u00fcnde des Urtheiles aus irgend welchen anderen Erlebnissen, sondern eben der \u00e4hnlichen oder verschiedenen Merkmale selbst bewusst. Damit erscheint aber nun auch der letzte Ein wand beseitigt, der gegen die Wundt\u2019sehe Begr\u00fcndung der Vergleichsmethode zur Feststellung des Bewusstseinsumfanges erhoben werden k\u00f6nnte.","page":568},{"file":"p0569.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung.\n569\n4. Kapitel.\nTheorie einer Bestimmung des (optischen) Bewusstseinsumfanges durch eine tachistoskopische Yergleichsmethode. \u2014 Bestimmung der einzelnen Bewusstseinsgrade durch die Unterschiedsschwelle.\n1) Verallgemeinerung der Vergleichsmethode zur Re-gistrirung beliebiger Bewusstseinselemente, unabh\u00e4ngig von h\u00f6heren Einheitsbildungen und speciellen Bewusst-seinsgraden. \u2014 Noth wendigkeit eines simultan dar gebotenen Wahrnehmungscomplexes zu diesem Zwecke. \u2014 Tachistoskopische Darbietung des Vergleichsohjectes. Das in den soeben dargelegten Versuchen verwerthete Princip, dass ein Ver-gleichsurtheil jederzeit die Bewusstheit des Elementes voraussetzt, dessen Oonstanz das Aehnlichkeits- und dessen Variation das Verschiedenheitsbewusstsein bewirkt, l\u00e4sst aber nun eine noch viel allgemeinere Anwendung in unserer Umfangsfrage zu. Dies ist auch von Wundt seihst in den oben citirten Erl\u00e4uterungen zu der vorigen Methode hervorgehoben worden. Konnte man nach den Darlegungen des vorigen Oapitels bei den Vergleichungen von Tactreihen \u00fcber eine l\u00e4ngere Reihe wieder nur in der Weise Rechenschaft ablegen, dass ihre Elemente einigen wenigen und f\u00fcr sich maximal klaren Haupttheilen einer Gesammtvorstellung subsumirt waren, so sollen nun die hier behandelten Verallgemeinerungen der Vergleichsmethode erm\u00f6glichen, dass die einzelnen, weniger beachteten und unklaren Elemente relativ selbst\u00e4ndig zur Geltung kommen. Somit wird sich also auch die Bestimmung des gr\u00f6\u00dften, auf solche Weise messbaren Umfanges nicht mehr blo\u00df auf die Feststellung von vier bis sechs maximal klaren Haupteinheiten, sondern unmittelbar auf die einzelnen Vorstellungselemente des Umfanges selbst beziehen. Dadurch wird einerseits die Zusammenfassung der Elemente zu Haupttheilen unn\u00f6thig, andererseits wird man in der Zahl der Einzelelemente und der hiervon abh\u00e4ngigen Vertheilung der Klarheit und deren mittlerer Grade so wenig beschr\u00e4nkt sein, als es das Klarheitsminimum des einzelnen Elementes zul\u00e4sst, f\u00fcr welches eine derartig verallgemeinerte Methode eben noch gut zu stehen vermag. Dadurch wird aber nun zur Vergleichbarkeit der gefundenen Umfangsbestimmung noch ein Ma\u00df der Klarheit der Einzelelemente noth-","page":569},{"file":"p0570.txt","language":"de","ocr_de":"570\nWilhelm Wirth.\nwendig. Denn f\u00fcr die bisher besprochenen Methoden war der Umfang nur deshalb ohne weiteres durch eine ziemlich bestimmte Zahl der inhaltlichen Haupteinheiten vergleichbar ausgedr\u00fcckt, weil nach dem sonstigen Wesen der Methode und nach den Voraussetzungen f\u00fcr die Wiedergabe oder Beurtheilung eines einzelnen Haupttheiles, jederzeit ein bestimmter mittlerer, und zwar maximaler Klarheitsgrad f\u00fcr die entscheidenden Einheiten selbstverst\u00e4ndlich war.\nDass eine solche Unabh\u00e4ngigkeit von der Zahl und dem Klarheitsgrade der Einzelelemente ohne gleichzeitige Verwerthung weniger gel\u00e4ufiger Zusammenfassungen \u00fcberhaupt nur in indirecten Vergleichsmethoden bestehen kann, d\u00fcrfte nun in den bisherigen Ausf\u00fchrungen hinreichend nachgewiesen sein. Nur wird hierzu nach den speciellen Ausf\u00fchrungen des vorigen Capitels gleichzeitig zu der simultanen und kurzdauernden Darbietung des gesammten Wahrnehmungscomplexes zur\u00fcck zu kehren sein, deren unmittelbare Vergleichbarkeit mit einem entsprechenden Complexe die simultane Bewusstheit der einzelnen Elemente eines Complexes beweisen und damit einen R\u00fcckschluss auf den simultanen Bewusstseinsumfang gestatten soll. Bei dem Vergleich der Gesammtvorstellung, die durch das Anh\u00f6ren einer Tactreihe entstanden war, waren ja vor allem deshalb wieder blo\u00df einige wenige, daf\u00fcr aber relativ klare Haupteinheiten die entscheidenden Elemente, weil das hier verwendete Vergleichsobject nur in der nachtr\u00e4glichen Pesthaltung von Wahrnehmungselementen allm\u00e4hlich aufgebaut wurde, deren Auffassung im Verh\u00e4ltnis zur Ausdehnung der Beihe immer weiter in der Zeit zur\u00fcck lag und daher nicht nur immer unklarer, sondern vor allem auch immer unsicherer wurde. K\u00e4me bei der Vergleichsmethode nur das Dasein gleichzeitiger Vorstellungselemente \u00fcberhaupt in Betracht, gleichg\u00fcltig ob der Beobachter diese Vorstellungen sich nur ausdenkt oder mit gr\u00f6\u00dferer oder geringerer Sicherheit als thats\u00e4chliche Vergangenheit betrachtet, dann k\u00e4me es ja, wie gesagt, auch f\u00fcr die Verwerthung selbst\u00e4ndiger unklarer Elemente auf die Entstehungsweise des Simultanbestandes gar nicht weiter an. Zu einem solchen Augenblicksbestande aus Erinnerungen, Vermuthungen und Phantasmen k\u00f6nnte aber nat\u00fcrlich ein entsprechendes Vergleichsobject nur dadurch hergestellt werden, dass man wei\u00df, was in dem Complex enthalten war. Dies erforderte aber eben bereits eine vollst\u00e4ndige","page":570},{"file":"p0571.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung.\n571\nAnalyse des durch die Methode erst festzustellenden Bewusstseinsumfanges seihst, so weit man in diesem Falle die Gestaltung dieses Umfanges den rein subjectiven psychischen Bedingungen \u00fcberlassen hatte. Ohne zeitlich .unmittelbare Abh\u00e4ngigkeit der verglichenen Gesammterlebnisse vom Experiment lie\u00dfe sich also wiederum nicht mehr feststellen, als auch ohne experimentelle Darbietung eines Yergleichsobjectes durch unmittelbare Wiedergabe m\u00f6glich w\u00e4re, wie es denn in der That bei dem Umfang der sicher vergleichbaren Gesammtvorstellungen aus Tactreihen im vorigen Oapitel zugestanden werden musste. Die Yergleichsmethode erm\u00f6glicht also eine selbst\u00e4ndige Ber\u00fccksichtigung auch der unklaren Einzelelemente in dem Gesammtumfang nur unter der gleichzeitigen Voraussetzung, dass das Vergleichsobject seihst, so wie es in dem Momente zur Geltung kommt, in m\u00f6glichst weitem Umfange in seinen klaren wie in seinen unklaren Theilen hinsichtlich der einzelnen Intensit\u00e4ten und Qualit\u00e4ten dem experimentell dargebotenen simultanen Beizcomplexe entspricht, und nicht etwa anderweitigen modificirenden Einfl\u00fcssen durch die Zeit ausgesetzt ist. Denn nur in diesem Falle kann nat\u00fcrlich der Bewusstseinsumfang durch den Thatbestand der Beize wirklich in m\u00f6glichst gro\u00dfer Ausdehnung vertreten werden, so weit dieser eben als simultanes Vergleichsobject dienen kann.\nAu\u00dferdem kann aber bei einer allm\u00e4hlich entstandenen Gesammt-vorstellung aus einer in der Zeit ablaufenden Beihe der f\u00fcr ihre Ver-werthung als Umfangsbestimmung unbedingt nothwendige Beweis ihrer Gleichzeitigkeit als eines Ganzen auf Grund der M\u00f6glichkeit jenes Ver-gleichsurtheiles nur dann gef\u00fchrt werden, wenn in der That gar keine qualitative Charakterisirung und Individualisirung der einzelnen Elemente, abgesehen von der selbst vom Ganzen abh\u00e4ngigen Betonung, stattgefunden hat. Sonst w\u00fcrde ja wirklich das Ged\u00e4chtniss diese qualitativen Charakterisirungen wie bei Durchnahme einer Melodie nach einander ablaufen und discursiv vergleichen lassen k\u00f6nnen, ohne dass eine simultane Gesammtvorstellung nothwendig w\u00e4re. Andererseits darf auch die Untergliederung keine andere sein, als die auch ganz unwillk\u00fcrlich eingef\u00fchrte gleichm\u00e4\u00dfige Eintheilung, wenn eine thats\u00e4chlich simultane Gesammtvorstellung von ungef\u00e4hr","page":571},{"file":"p0572.txt","language":"de","ocr_de":"572\nWilhelm Wirth.\nvier bis sechs klar bewussten und sicher erinnerten Haupttheilen jene gro\u00dfe Zahl von Elementen enthalten soll.\nDie qualitative Unterschiedslosigkeit der letzten Elemente, welche allein das Resultat bei successiver Darbietung auf einen simultanen Umfang beziehen l\u00e4sst, bringt es aber nat\u00fcrlich nun auch mit sich, dass wir schlie\u00dflich bei jenem successiven Angleichen der simultan vorschwebenden Gesammtvorstellung, z. B. von 40. Tactschl\u00e4gen, an die einzelnen Schl\u00e4ge der Vergleichsreihe (Vergl. 3, 4) nicht mehr charakteristische Einzelelemente einer Gesammtvorstellung vor uns haben, die um ihrer besonderen Qualit\u00e4t willen das Vergleichsurtheil selbst\u00e4ndig beeinflussen k\u00f6nnten. Wir sind uns nicht bewusst, ein Einzelelement in seiner Eigenart wieder zu erkennen. Die Angleichung muss vielmehr ganz und gar von der gegenseitigen Orientirung der weniger klar bewussten Haupttheile ausgehen, die ja unter sich eben so wenig qualitativ charakterisirt sind und nur durch ihr Nebeneinander in der Gesammtvorstellung eine Art von zeitlichem Lagewerth erhalten. Eine gr\u00f6\u00dfere Unabh\u00e4ngigkeit der simultan gegebenen Einzelelemente in ihrem Einfluss auf das Vergleichsurtheil ist aber auch wieder nur durch die simultane Darbietung eines Wahrnehmungs-complexes zu erreichen, der qualitativ individuell charakterisirte Einzelelemente von der schon fr\u00fcher besprochenen Art (2,4a) in sich enth\u00e4lt. Dabei ist es aber nun vor Allem wichtig, dass der simultane Wahrnehmungscomplex, der das Vergleichsurtheil entscheidet, wieder von m\u00f6glichst kurzer Dauer ist. Denn von qualitativ differen-zirten Einzelobjecten l\u00e4sst sich nur dann mit einiger Sicherheit behaupten, dass im Vergleichsprocess wirklich nur diejenigen zur Geltung gekommen sind, welche sich in einer simultanen Gesammtvorstellung neben einander befinden, dass also ein discursives Angleichen ausgeschlossen ist, wie es bei einer l\u00e4nger dauernden Vergleichsvorstellung unter Voraussetzung einer qualitativen Differenzirung der Einzelelemente nach den vorigen Ausf\u00fchrungen m\u00f6glich ist. Mit diesem Vortheil der momentanen Darbietung des Vergleichsobjectes h\u00e4ngt aber dann unmittelbar der zweite zusammen, dass nun s\u00e4mmt-liche Einzelvorstellungen auch nur mit denjenigen Klarheitsgraden auf das Vergleichsurtheil einen Einfluss zu gewinnen verm\u00f6gen, welche sie in diesem Moment gerade besitzen, dass also auch gewisse Verschiebungen der Gesammtvertheilung der Klarheit ausgeschlossen sind,","page":572},{"file":"p0573.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung. 573\nwelche auch f\u00fcr die successive Angleichung l\u00e4ngerer Tactreihen als \u00bbAufl\u00f6sung\u00ab der Haupttacte zugestanden werden mussten. Das Resultat ist also hier wirklich zugleich ein Ergehniss der simultan vorhandenen Klarheitsgrade, so dass nun beim Hinzutreten einer weiteren Analyse auch die Aussicht besteht, diese eindeutige Vertheilung r\u00fcckl\u00e4ufig zu erschlie\u00dfen. Unter diesen Voraussetzungen wird sich also in der That eine verallgemeinerte Vergleichsmethode in dem oben erw\u00e4hnten Sinne ausgestalten lassen.\nDas specielle Gebiet, aus welchem die experimentell dargebotenen Wahrnehmungen entnommen werden sollen, ist nat\u00fcrlich hier ebenso gleichg\u00fcltig, wie bei der Methode der unmittelbaren Wiedergabe (Cap. 2), wo es sich ebenfalls nur darum handelt, dass man die exacte Abgrenzung des gesammten Bestandes vornehmen k\u00f6nne. Doch wird vor allem wieder an die Complexe von Gesichtswahrnehmungen zu denken sein, welche sowohl eine einfache individuelle Charakte-risirung der Einzelobjecte als insbesondere eine hinreichend kurze Darbietung des Vergleichsobjectes in der tachistoskopischen Exposition gestatten. Speciell auf eine solche Vergleichung tachisto-skopisch dargebotener Complexe ist denn auch bereits von Wundt als auf eine allgemeine Anwendung der Vergleichsmethode hingewiesen worden.1) Und die folgenden Darlegungen sollen sich nur noch mit der Ausgestaltung einer solchen tachistoskopischen Vergleichsmethode befassen.\n2) Unsch\u00e4dlichkeit des Gesammteindruckes bei Unwissent-lichkeit hinsichtlich des variirten Elementes im Vergleichs-complex. Nat\u00fcrlich muss hiebei verh\u00fctet werden, dass beim Vergleich mit dem zweiten gleichen oder variirten Complex nur ein Gesammtbild zur Geltung komme, an welchem das augenblicklich vorhandene Bewusstsein eines Einzelelementes nicht mit seiner qualitativen Eigenart mitgewirkt zu haben braucht. Wenn freilich ebenso wie bei der rhythmischen Gesammtvorstellung nur regelm\u00e4\u00dfig gegliederte optische Complexe dargeboten w\u00fcrden, aus denen beim Vergleichsobject im Falle seiner Verschiedenheit einfach immer an einer ganz bestimmten Stelle, welche dem zeitlichen Ende der rhythmischen Reihe entspr\u00e4che, ein\n1) Wundt, a. a. O., Philos. Studien VI, S. 250 f.","page":573},{"file":"p0574.txt","language":"de","ocr_de":"574\nWilhelm Wirth.\nintegrirendes Element wegfiele oder ein neues hinzuk\u00e4me, dann brauchte zur Abgabe des richtigen Yergleichsurtheiles \u00fcber den optischen Complex h\u00f6chstens nur ein Gesammteindruck zur Orientirung jener kritischen Stelle vorhanden zu sein, eine Aufgabe, die bei der viel einfacheren Orientirung in einem r\u00e4umlichen Ganzen unsere Fassungskraft viel weniger in Anspruch n\u00e4hme, als die Wiedererkennung des Reihenschlusses, der eine hinreichend klar gegliederte Gesammtvor-stellung voraussetzt. Ist jedoch die Stelle der Variation innerhalb des zweiten Vergleichsobjectes nicht immer die n\u00e4mliche oder \u00fcberhaupt im Voraus bekannt, sondern v\u00f6llig unvorhergesehen, so wird eine Beeinflussung des Vergleichsurtheils nach unserem allgemeinsten Princip (3,1) nicht anders erfolgen k\u00f6nnen, als dass wirklich das gerade variirte einzelne Bewusstseinselement bezw. die Abweichung von dem entsprechenden Elemente des Vergleichsobjectes eine einigerma\u00dfen selbst\u00e4ndige Geltung besitzt. Nat\u00fcrlich kann auch hier der Erfolg in gewissem Sinne dem Gesammteindruck zugeschrieben werden. Dieser kann aber eben das Vergleichsurtheil nur dadurch im Sinne des that-s\u00e4chlichen Verh\u00e4ltnisses zwischen beiden Vergleichsobjecten in ihrer ganzen Ausdehnung beeinflussen, dass er alle einzelnen Bewusstseinselemente in sich enth\u00e4lt, welche dem simultan dargebotenen B,eiz-complex entstammen. Bei Unwissentlichkeit hinsichtlich der variirten Stelle ist dies also nur ein anderer Ausdruck f\u00fcr die gerade geforderte Thatsache, dass wirklich nur die simultanen Bewusstseinsmomente in ihren augenblicklich vorhandenen Klarheitsgraden f\u00fcr das Vergleichsurtheil verantwortlich gemacht werden k\u00f6nnen. Tritt aber irgend eine Stelle des Ganzen aus einem beliebigen Grunde, z. B. wegen zu gro\u00dfer anderweitiger Absorption der Aufmerksamkeit, v\u00f6llig aus der Gesammtvorstellung zur\u00fcck oder verliert sie in entsprechendem Ma\u00dfe an Klarheit, so wird eine bestimmte Variation an der betreffenden Stelle auch das Vergleichsurtheil nicht beeinflussen k\u00f6nnen. ')\nDie Vertheilung des Bewusstseins mit seinen verschiedenen Graden auf das Blickfeld ist nat\u00fcrlich auch hier durch die absichtliche innere Einstellung des Beobachters m\u00f6glichst constant zu erhalten, am besten\n1) Ueber die Bedeutung des Gesammteindrucks abgesehen von den einzelnen Elementen vgl. auch noch unten Absatz 14 dieses Oapitels.","page":574},{"file":"p0575.txt","language":"de","ocr_de":"575\nZur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung.\nwiederum durch Verlegung des inneren Blickpuncts in den \u00e4u\u00dferen. Die \u00fcbrige Vertheilung wird dann u. s. gl. U. durch die Ausdehnung und Eigenart der charakteristischen Wahrnehmungsinhalte bestimmt sein, in welchen der zu messende Umfang augenblicklich angelegt ist. Es handelt sich dabei also nur darum, dass wenigstens f\u00fcr gleichwerthige Complexe eine entsprechende Vertheilung durch die Lage des inneren Blickpunktes festgehalten wird.\n3) Die beliebig lange Darbietung des ersten Complexes (Urcomplexes) als Voraussetzung zu einer m\u00f6glichst vollst\u00e4ndigen Messung des B.-U. beim Auftreten des Vergleichsobjectes. \u2014 Beseitigung der Einw\u00e4nde einer vermeintlichen Verf\u00e4lschung (Vergr\u00f6\u00dferung) des thats\u00e4ch-lichen Werthes. Ausdr\u00fccklich wurde bis jetzt noch gar nichts \u00fcber die Dauer des zun\u00e4chst dargebotenen Wahrnehmungsbestandes bestimmt, welcher durch die Vergleichung mit dem m\u00f6glichst momentan dargehotenen Vergleichsobject seiner Ausdehnung und Klarheit nach analysirt werden soll. Es wurde nur gefordert, dass er jederzeit in der unmittelbaren Wahrnehmung eines simultan exponirten Beiz-complexes bestehen m\u00fcsse. Dabei ist es \u00e4hnlich wie bei der Gesammt-vorstellung auf Grund der Tactreihe m\u00f6glich, dass der zu vergleichende Complex vor der momentanen Darbietung des Vergleichsobjectes bereits so und so lange wahrnehmbar gewesen ist. Soweit es sich um die Feststellung des simultanen Umfanges in m\u00f6glichster Vollst\u00e4ndigkeit handelt, ist diese l\u00e4ngere Dauer, bzw. Wiederholung sogar ausdr\u00fccklich nothwendig. Auch hier kommt es ja gerade auf eine m\u00f6glichst vollst\u00e4ndige \u00bbAnlegung\u00ab des ganzen Bewusstseins in dem experimentell dargebotenen Complex an. Alles, was also im 2. und 3. Kapitel (2, 10 a und 3, 6) \u00fcber den Nachtheil der zu kurzen Dauer eines v\u00f6llig neuen und ungel\u00e4ufigen Wahrnehmungsbestandes und den Vortheil einer l\u00e4ngeren Exposition hinsichtlich der Ausnutzung des verf\u00fcgbaren Umfanges gesagt worden ist, gilt vor allem auch f\u00fcr diese Bestimmung des Umfanges in m\u00f6glichster Vollst\u00e4ndigkeit.\nHier vollzieht sich zugleich die allm\u00e4hliche Verarbeitung eines dauernd oder wiederholt im Ganzen exponirten Wahrnehmungsbestandes zu einer Gesammtvorstellung unter viel exacteren Bedingungen, insofern dauernd der experimentell dargebotene Reizcomplex","page":575},{"file":"p0576.txt","language":"de","ocr_de":"576\n\"Wilhelm \"Wirth.\ndie F\u00fchrung beh\u00e4lt. So wird also auch schlie\u00dflich der gesammte Umfang mitsammt der weniger klaren Regionen u. s. gl. U. ein ziemlich constantes Ma\u00df des Gesammtumfangs erf\u00fcllen und eine constante Klarheitsvertheilung erreichen, nachdem die vor der Exposition beliebig zerstreute und anderweitig besch\u00e4ftigte Aufmerksamkeit immer mehr auf den Complex gesammelt wurde. Diese Concentration ist aber auch unerl\u00e4sslich. Denn dieser dem Reizcomplex entstammende Wahrnehmungszustand bildet ja f\u00fcr uns sozusagen den \u00bbMa\u00dfstab\u00ab oder die \u00bbWage\u00ab des Bewusstseinsumfanges. Wenn aber ein der Verfl\u00fcchtigung unterworfener K\u00f6rper m\u00f6glichst vollst\u00e4ndig gemessen werden soll, d\u00fcrfen nicht blo\u00df so viel oder so wenig Theile ber\u00fccksichtigt werden, als in einer beliebig kurzen Zeit erreicht werden k\u00f6nnen. Vor der Messung, welche dem Erfolge der momentanen Einwirkung des Vergleichsobjekts und seiner deductiven Verwerthung entspricht, muss vielmehr eine sorgf\u00e4ltige \u00bbSammlung\u00ab aller erreichbaren Theile auf die Wage erfolgen. Da die Darbietung des entscheidenden Vergleichsobjectes eine tachistoskopisch momentane ist, so wird ja trotz aller Dauer des ersten Complexes doch immer nur der momentane Gesammtbestand, wie er durch das Vergleichsobject repr\u00e4sentirt wird, im Vergleichsurtheil zur Geltung kommen, und nur dieses Vergleichsbewusstsein bildet die Grundlage, von der aus man sp\u00e4terhin wieder den simultanen Gesammtbestand r\u00fcckl\u00e4ufig erschlie\u00dft, so dass keine falsche Erweiterung des gemessenen Gegenstandes unterlaufen kann. Denn nach unserem allgemeinsten Princip wird in diesem Urtheil nur die augenblickliche Bewusstseinslage zur Geltung kommen. Es ist also auch keine Verf\u00e4lschung unseres Resultates, wenn w\u00e4hrend der Dauer des ersten Objectes die Aufmerksamkeit zun\u00e4chst beliebig hin- und herwandern durfte und durch diese Durchforschung des ganzen Complexes immer festere Associationen zwischen den einzelnen Elementen kn\u00fcpfen konnte. Abgesehen von der in ihrem Werthe schon hinreichend betonten Concentration auf den experimentellen Complex k\u00f6nnen alle diese Ged\u00e4chtnissdispositionen h\u00f6chstens noch dazu dienen, eine m\u00f6glichst gleichm\u00e4\u00dfige Beherrschung des ganzen Bestandes zu bewirken, was bei gleichm\u00e4\u00dfiger Einhaltung in allen Versuchen nur die Constanz der Versuchsbedingungen erh\u00f6ht; die Dauer kann aber niemals die thats\u00e4chlicheEnge des actuellen Bewusstseins \u00fcberhaupt aufheben. Allerdings ist ja, wie schon fr\u00fcher","page":576},{"file":"p0577.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung.\n577\nerw\u00e4hnt (2, 10 a), nicht ausgeschlossen, dass doch auch das absolute Ma\u00df des Umfanges selbst einer Ver\u00e4nderung, z. B. auch einer Erh\u00f6hung f\u00e4hig ist, obgleich alle derartigen Annahmen, wie gesagt, wegen der M\u00f6glichkeit einer Beiziehung vorher anderweitig ausgef\u00fcllter Seiten, welche einer einfacheren Gesetzm\u00e4\u00dfigkeit entspricht, unn\u00f6thig erscheinen, solange nichts \u00fcber die absoluten Ma\u00dfe ausgemacht ist. W\u00fcrde aber eine solche Erh\u00f6hung mit der Dauer that-s\u00e4chlich eintreten, dann w\u00fcrde sie in dem normalen Ma\u00df ihr Maximum nach dieser Bichtung so ziemlich erreichen m\u00fcssen. Denn z. B. in der Arbeit des allt\u00e4glichen Lebens pflegen wir uns doch mit den Gegenst\u00e4nden kaum jemals tachistoskopisch zu besch\u00e4ftigen. Wir w\u00fcrden also hei der normalen inneren Anspannung allen Dingen und Ereignissen gegen\u00fcber fortw\u00e4hrend den durch die Dauer der Ereignisse ausgeweiteten Bewusstseinsumfang erleben und auch heim Uebergehen auf neue Gegenst\u00e4nde sch\u00f6be sich wegen der im allgemeinen vorhandenen Continuit\u00e4t der Erlebnisse sozusagen immer sogleich ein Ersatz in die preisgegebenen L\u00fccken dieses Umfangs hinein, welcher ein Einschrumpfen desselben verhinderte. Nicht einmal vor einem tachistoskopischen Versuch k\u00f6nnte eine Entleerung des Umfanges auf ein Mindestma\u00df stattfinden, welcher bei folgender tachistoskopischer Darbietung einen exacteren und vergleichbareren Umfang des Erfassten veranlassen k\u00f6nnte. Denn eine derartige Einengung des gesammten Quantums, die mit einer Concentration auf eine bestimmte Art der Verwendung nat\u00fcrlich nicht verwechselt werden darf, ist hier eben durch die Beachtung der einstweilen sichtbaren Expositionsgegend mit Fixirmarke u. s. w., sowie durch die ganze Erwartung ausgeschlossen. Diese w\u00fcrden also seihst wiederum dazu dienen, den vom gew\u00f6hnlichen Leben \u00fcbernommenen \u00bbUmfang\u00ab zu erhalten. Abgesehen von irgend welchen von dem gew\u00f6hnlichen Lehen abweichenden Bedingungen, die doch nicht ausdr\u00fccklich eingef\u00fchrt werden sollen, kann also hei der tachistoskopischen Exposition der geringere Umfang der ihr entsprechenden Vorstellungen nur auf der ungen\u00fcgenden \u00dfeiziehung der zun\u00e4chst anderweitig absorbirten Kr\u00e4fte beruhen.\nMan k\u00f6nnte also h\u00f6chstens noch Bedenken tragen, dass die Grade der Ein\u00fcbung in der Vorstellung des dauernd exponirten Bestandes unvergleichbar schwankende Bedingungen f\u00fcr die Versuche einf\u00fchren. Bein deductiv, d. h. auf Grund der sonstigen Erfahrungen \u00fcber die\nWundt, Philos. Studien. XX.\t37","page":577},{"file":"p0578.txt","language":"de","ocr_de":"578\nWilhelm Wirth.\nEin\u00fcbung und ihre Erhaltung, l\u00e4sst sich hingegen nat\u00fcrlich auf die Thatsache der maximalen Uebung verweisen, welche auf allen Gebieten nach einer entsprechenden Zeit als relativ constanter Zustand sich nachweisen l\u00e4sst. So wird also auch bei l\u00e4ngerem Anblick einer beliebigen Zusammenstellung einfacher, individuell charakteri-sirter Figuren in gr\u00f6\u00dferer Anzahl, bezw. beim Versuch einer bestimmten m\u00f6glichst gleichm\u00e4\u00dfigen Vertheilung der Aufmerksamkeit auf dieselben, nach einer bestimmten H\u00e4ufigkeit dieses Verfahrens ein und dem n\u00e4mlichen Complex gegen\u00fcber ein Grad der Vertrautheit in dieser Beherrschung eintreten, der nicht mehr viel vermehrt werden kann. Man durchmustert etwa zun\u00e4chst discursiv unter Beibehaltung der Fixationslage des Auges die einzelnen Figuren und ihre gegenseitigen Beziehungen, kehrt dann immer wieder zum einmal ausgemachten inneren Fixationspunkt zur\u00fcck und verwerthet die discursiv gewonnenen Erfahrungen zur Ausgleichung der Aufmerksamkeit auf die verschiedenen Seiten des Complexes, die ohne systematische Durchmusterung planloser hervor- und zur\u00fccktreten w\u00fcrden, so dass im Augenblick des Vergleiches kein constanter -und vergleichbarer Zustand best\u00fcnde. Nach einer gewissen H\u00e4ufigkeit der Wiederholung dieser Betrachtung eines und des n\u00e4mlichen, jeweils bestimmte Zeit dargebotenen Complexes kann man unter diesen Umst\u00e4nden jederzeit eine gleichm\u00e4\u00dfige Klarheitsvertheilung hinreichende Zeit festhalten, in welcher man f\u00fcr die Qualit\u00e4t der verschiedenen Regionen des Complexes sozusagen simultan mit verschiedener Sicherheit und Pr\u00e4cision einstehen zu k\u00f6nnen glaubt. Auch hier muss ein Fixationspunkt der Aufmerksamkeit festgehalten werden, der am besten wieder in den \u00e4u\u00dferen Blickpunkt verlegt und m\u00f6glichst in der Mitte des dargebotenen Complexes gew\u00e4hlt wird.\nDiese Lage des Bewusstseins darf nat\u00fcrlich nicht mit dem dispositionellen Zustand des Ged\u00e4chtnisses verwechselt werden, wonach man den ganzen Complex auswendig wiederzugeben vermag. Dieses Ged\u00e4chtniss ist vielmehr nur ein an sich f\u00fcr die Versuche unn\u00f6thiger Nebenerfolg der h\u00e4ufigen Wiederholung und Durchmusterung des . Complexes und gewisserma\u00dfen ein Anzeichen daf\u00fcr, dass jene maximale Ein\u00fcbung f\u00fcr die actuelle Betrachtung inzwischen jedenfalls erreicht worden ist. Zun\u00e4chst ist ja eigentlich nur die gleichm\u00e4\u00dfig abgestufte und im Mittel m\u00f6glichst erh\u00f6hte Klarheit des gesammten","page":578},{"file":"p0579.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung. 579\nComplexes zu unserer Messung des Umfangs vorausgesetzt. Infolge der gegenseitigen Concurrenz bei einer gr\u00f6\u00dferen Anzahl von Elementen, wie sie hier vorausgesetzt sind, werden dabei nat\u00fcrlich so und so viele Einzelelemente weniger beachtet sein und eine constante Orientirung des Aufmerksamkeitsreliefs nach einem bestimmten \u00bbinneren\u00ab Blickpunkte wird f\u00fcr diese Elemente auch nach der maximalen Ein\u00fcbung nicht mehr als diese relativ geringere Klarheit bedeuten. Bei einer hinreichenden Ge\u00fcbtheit in der angemessenen Aufmerksamkeitsvertheilung, welche ohne Weiteres den einzelnen Inhalten je nach ihrer \u00bbEntfernung\u00ab vom \u00bbinneren\u00ab Blickpunkte das entsprechende Ma\u00df von Klarheit zu Theil werden l\u00e4\u00dft, wird diese geringere Klarheit des Peripheren eigentlich gar niemals wesentlich \u00fcberschritten zu werden brauchen, so dass also (nach jener allgemeinsten Kegel \u00fcber die Abh\u00e4ngigkeit der reflectiven Wiedergabe von einem Mindestma\u00df der erlebten Klarheitsgrade (1,2)) auch nach maximaler Ein\u00fcbung der constanten g\u00fcnstigsten Aufmerksamkeitsverteilung keine Angabe der verschiedenen Figuren und ihrer Verteilung m\u00f6glich zu sein braucht, oder wenigstens nur sehr indirect nach l\u00e4ngerer Reflexion \u00fcber den gesammten Bestand. Andererseits brauche ich kaum noch hinzuzuf\u00fcgen, dass f\u00fcr gew\u00f6hnlich das Auswendiglernen von Complexen sich zur Erleichterung seiner Aufgabe nur an ganz bestimmte Richtungen der Aufz\u00e4hlung zu halten pflegt, w\u00e4hrend nat\u00fcrlich die Orientirung des simultanen Aufmerksamkeitsreliefs sich sofort nach allen Richtungen und Beziehungen gleichm\u00e4\u00dfig erstrecken wird, so viel daran eben der gleichzeitige Umfang des Bewusstseins simultan in entsprechender Klarheit mit zu erfassen im st\u00e4nde ist.\nIndessen stellt sich dieser Nebenerfolg bei der thats\u00e4chlichen Durchmusterung des Bestandes, wie gesagt, wirklich ein, und man k\u00f6nnte nun versucht sein, aus der jedenfalls viel sp\u00e4teren Erreichung eines Uebungsmaximums f\u00fcr ein derartiges Auswendig-Wiedergeben des ganzen Complexes auf ein \u00e4hnliches Fortschreiten der actuellen Beherrschung w\u00e4hrend der Betrachtung selbst schlie\u00dfen zu wollen, was nat\u00fcrlich f\u00fcr die Constanz der Versuche eine schlechte Aussicht bilden w\u00fcrde. Denn_auch nach einer sehr gro\u00dfen Zahl von jeweils l\u00e4ngeren Fixationen des Complexes wird die auswendige Wiedergabe immer noch einer Beschleunigung und Verbesserung f\u00e4hig sein.\n37*","page":579},{"file":"p0580.txt","language":"de","ocr_de":"580\nWilhelm Wirth.\nDass man nach einer bestimmten H\u00e4ufigkeit der Wiederholungen des Auswendigzulernenden gew\u00f6hnlich ebenfalls seinen Zweck vollst\u00e4ndig erreicht hat, beruht nur darauf, dass es eben nur auf einen ganz bestimmten Grad der Treue der Reproduction ankommt. Es w\u00fcrde eine viel gr\u00f6\u00dfere Zeit erfordern und, wie erw\u00e4hnt, in den dauernd unklaren Regionen \u00fcberhaupt unm\u00f6glich sein, den ganzen Wahrnehmungsbestand, wie er sich von einer inneren Fixation aus darstellt, mit aller beim Vergleich in Betracht kommenden Genauigkeit auswendig zu lernen, wenngleich man bei fortgesetzter Uebung hierin nat\u00fcrlich immer weiter fortschreiten w\u00fcrde.\nDas Maximum der Uebung, das hier durch die l\u00e4ngere Betrachtung erreicht werden soll, bezieht sich aber eben nur auf die klare, g\u00fcnstigste Vertheilung der Aufmerksamkeit auf den ganzen Wahrnehmungsbestand bei gleichzeitiger Einwirkung des Reizcomplexes. Wegen dieser fortgesetzten freiwilligen Abh\u00e4ngigkeit des ganzen Bestandes vom Experiment ist also der Leistung zur Herstellung eines Vergleichsobjectes ein viel niedrigeres Ziel gesteckt. Dieses wird aber daf\u00fcr auch entsprechend bald in voller H\u00f6he erreicht und kann in fortgesetzten Versuchen gar nicht mehr \u00fcberschritten werden, vor allem deshalb, weil eben der Umfang des Bewusstseins seihst es nicht mehr besser hergiht. Die ganze Ein\u00fcbung bezieht sich ja sozusagen nur auf diese simultane Einf\u00fcllung eines bestimmten experimentell dargebotenen Bestandes in diesen Umfang. Es l\u00e4sst sich auch gar nicht sogleich sagen, welches Ma\u00df von Ein\u00fcbung f\u00fcr das Auswendigwissen diesem Maximum des Ueherblickes entspricht, weil eben beides viel zu verschiedenartige Leistungen sind, insofern dieses eine selbst\u00e4ndige Leistung ist, jenes aber von der \u00e4u\u00dferen Wahrnehmung getragen wird. Man wird also h\u00f6chstens sagen k\u00f6nnen, dass jedenfalls nach erreichtem Maximum des Ueherblickes die andere Disposition f\u00fcr das Auswendigwissen inzwischen immer weiter ge\u00fcbt wird. Jenes Maximum der Verarbeitung, das nach einer l\u00e4ngeren Betrachtung ein und des n\u00e4mlichen Complexes hinsichtlich der Vertheilung unseres Bewusstseins auf denselben erreicht wird, ist zugleich ein Stadium, das \u00fcberhaupt immer nur durch eine continuirlich andauernde Actualit\u00e4t der Disposition, daf\u00fcr aber jeweils auch in nicht zu langer Zeit, und nach einer gewissen Ein\u00fcbung immer schneller, erreicht werden kann. Es geh\u00f6rt zu der vollkommensten Wirksamkeit der Dispositionen, wie sie,","page":580},{"file":"p0581.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung.\n581\nh\u00f6chstens von abnormen Zust\u00e4nden u. s. w. abgesehen, insbesondere \u00fcberhaupt niemals rein dispositionell so vorbereitet sein kann, dass sie mit einem Male beim Auftreten des Wahrnehmungscomplexes gegeben w\u00e4re. Auch kann, wie gesagt, die mittlere Klarheit des Ge-sammtcomplexes bei einer formal auf dergleichen einge\u00fcbten Person nach einer einmaligen l\u00e4ngeren Betrachtung ebenfalls jenes Maximum erreichen, w\u00e4hrend noch so h\u00e4ufige und lange dauernde fr\u00fchere Betrachtungen im Augenblick des kritischen Vergleiches v\u00f6llig nutzlos sind, wenn die absichtliche Beachtung des Complexes augenblicklich versagt und eine anderweitige Zutheilung und Zerstreuung des Bewusstseins erfolgt. Es wird also auch der aller sicherste Besitz der Ged\u00e4chtnissdisposition, den ganzen Bestand discursiv richtig beschreiben oder sich allm\u00e4hlich ein Gesammtbild desselben zur\u00fcckrufen zu k\u00f6nnen, uns der Aufgabe nicht \u00fcberheben, die erneute Zutheilung und Vertheilung unseres vorher anderweitig erf\u00fcllten Bewusstseins durch eine entsprechend lange neue 'Wahrnehmung des n\u00e4mlichen Complexes vorzunehmen, sobald der Umfang wiederum in diesem Complex gemessen werden soll. Alles Auswendiglernen des ersten Complexes k\u00f6nnte also weder schaden noch n\u00fctzen. Es kommt vielmehr nur darauf an, die f\u00fcr die Umfangsbestimmung wichtigen . Eactoren, welche im Bisherigen discutirt wurden, m\u00f6glichst exact zu w\u00e4hlen, also sich nicht auf das Merken f\u00fcr sp\u00e4ter, sondern ganz auf die augenblickliche objective Beherrschung des Thatbestandes zu verlegen und f\u00fcr den Moment des Vergleiches eine m\u00f6glichst g\u00fcnstige Zutheilung des gesammten Umfangs bei voller Concentration zu ben\u00fctzen (vergl. 1, 1). Au\u00dfer einer rein deductiven Ableitung des Vortheiles, d. h. der dauernden und wiederholten Betrachtung des Complexes vor der Vergleichung, sind aber nat\u00fcrlich die constanten Resultate der entsprechenden Versuche selbst, wie sie weiter unten zur Sprache kommen werden, die beste Best\u00e4tigung. Die einfachsten Urcomplexe beherrscht man nat\u00fcrlich am schnellsten.\n4) Discussion der verschiedenen M\u00f6glichkeiten zur allm\u00e4hlichen Beherrschung des Urcomplexes. \u2014 Continuirliche und discontinuirliche tachistoskopische Darbietung. Die g\u00fcnstigsten Bedingungen f\u00fcr die allm\u00e4hliche Entstehung einer maximalen Beherrschung des ersten Complexes sind nat\u00fcrlich dann vor-","page":581},{"file":"p0582.txt","language":"de","ocr_de":"582\nWilhelm Wirth.\nhanden, wenn derselbe dem Beobachter eine beliebige Zeit lang continuirlich dargeboten ist. Die Buhe und Stetigkeit der allm\u00e4hlichen Durchmusterung und der entsprechenden Vertheilung der Aufmerksamkeit wird \u201edann in keiner Weise gest\u00f6rt, so dass auch eine nicht zu lange Exposition nothwendig ist, damit das Bewusstsein des relativ klarsten ljeherhlickes \u00fcber den ganzen Complex zugleich mit einer constanten Aufmerksamkeitsvertheilung sich einstellt. Hier und in allen anderen Variationen dieser Versuche muss nat\u00fcrlich die Anordnung darauf berechnet sein, dass die Auswahl des Zeitpunktes f\u00fcr das momentane Auftreten des Vergleichsobjectes ganz der Wahl des Beobachters \u00fcberlassen bleibt, wie dies auch in den meisten tachistoskopischen Versuchen bisher hinsichtlich des Zeitpunktes der einmaligen Exposition \u00fcberhaupt eingehalten wurde. Was in diesen fr\u00fcheren Versuchen die allm\u00e4hliche, in ihrem Zeitverlauf ganz dem Beobachter \u00fcberlassene Concentration der Aufmerksamkeit auf die Stelle des Sehfeldes, an welcher das Object erwartet wurde, f\u00fcr die Feststellung des Umfangs der maximalen Klarheit bedeutet, das ist hier die allm\u00e4hliche Verarbeitung des ersten Wahrnehmungscomplexes. Auch hier ist der geeignete Moment unter Umst\u00e4nden nach verschieden langer Zeit vom Beginn der ersten Exposition an erreicht, je nachdem augenblicklich die Neugestaltung des Bewusstseinsinhaltes mehr oder weniger angestrengt und geschickt vorgenommen wird. Alle Vortheile, welche sonst die Beherrschung einer neuen oder momentan noch ungewohnten Situation beg\u00fcnstigen, m\u00fcssen beobachtet werden. Trotzdem ist der vorhin hinsichtlich der Constanz seines Inhaltes besprochene maximale Enderfolg der sicheren Verarbeitung f\u00fcr das Bewusstsein auch so ausdr\u00fccklich charakterisirt, dass die.vor maximaler Uebung oft recht verschiedene Zeitdauer nicht als Grund der Un-exactheit und Inconstanz betrachtet werden darf, wenn nur schlie\u00dflich der Beobachter richtig nach seinem Gef\u00fchl die Zeit der Vergleichung ausw\u00e4hlt. Selbstverst\u00e4ndlich erm\u00fcdet auch sein langes, \u00e4ngstliches Hin- und Hersuchen ohne irgend welchen compensiren-den Vortheil, so dass von einem bestimmten Zeitpunkte an eine Unruhe in der Klarheitsvertheilung mit steigender Erm\u00fcdung eintritt, worauf die Vergleichung dann nur umso sicherer hinausgeschoben werden muss. Eine richtige und zielbewusste Ausn\u00fctzung der ersten Zeit hinreichender Frische mit K\u00fccksicht darauf, dass gleichzeitig im","page":582},{"file":"p0583.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung.\n58B\nMoment der Vergleichung ein Aufmerksamkeitsmaximum \u00fcberhaupt vorhanden ist, wird durch die TJebung auch hier sich ganz von selbst ergehen.\nDie gr\u00f6\u00dfere Schwierigkeit in der Auswahl des richtigen Augenblicks und die leichtere Erm\u00fcdbarkeit erfordert nat\u00fcrlich vor allem dann eine intensivere Ein\u00fcbung, wenn nun die Periode f\u00fcr die allm\u00e4hliche Beherrschung des ersten Complexes nicht durch eine continuirliche Darbietung, sondern durch eine beliebig gro\u00dfe Anzahl von Wiederholungen kurzdauernder Expositionen des Complexes ausgef\u00fcllt ist. Je nach der Art und Weise der tachistoskopischen Darbietung des Vergleichsobjectes kann n\u00e4mlich diese wiederholte tachistoskopische Exposition des ersten Complexes einen besonderen Vortheil bieten. Bei dem bisher gebr\u00e4uchlichen Apparate f\u00fcr kurzdauernde Expositionen wird die Darbietung des Gesichtsbildes zeitlich von der Aussicht auf gleichf\u00f6rmig dunkle Fl\u00e4chen begrenzt, welche unmittelbar vor und nach der Exposition das Sehfeld an der entscheidenden Stelle ausf\u00fcllen. Dadurch erlangt nat\u00fcrlich das Gesammtbild sowohl hinsichtlich seiner absoluten Helligkeit und seiner inneren Contrastverh\u00e4ltnisse als auch hinsichtlich seiner ganzen psychischen Erscheinungsweise eine so eigent\u00fcmliche Charakterisirung, dass die Vergleichung mit einem continuirlich exponirten Complex, selbst nach maximaler Beherschung des ersten Objects, au\u00dferordentlich erschwert wird und auch trotz besonderer Ein\u00fcbung immer noch mit einer viel zu gro\u00dfen \u00bbUnterschiedsschwelle\u00ab zur Wirkung gelangt. In diesem Falle ist also die geeignetste Darbietung des ersten Complexes ebenfalls die tachistoskopische. Bei hinreichender Wiederholung in g\u00fcnstig gew\u00e4hlten Zeitabst\u00e4nden wird das eigent\u00fcmliche Ganze, welches in einem kurzdauernden Wahrnehmungscomplex besteht und eine zeitlich fest begrenzte Ausf\u00fcllung des optischen Bewusstseins darstellt, in der soeben ausf\u00fchrlich beschriebenen Weise ebenso sicher f\u00fcr den bestm\u00f6glichen Ausfall eines Vergleiches mit einer neuen, ebenfalls tachistoskopischen Exposition beherrscht sein. Einen besonderen Vorteil besitzt eine derartige Anordnung des Versuchs, wie sie sp\u00e4ter mitaammt, ihren Ergebnissen ausf\u00fchrlicher zu beschreiben ist (6, 2), noch au\u00dferdem durch die besonders scharf markirte Abgrenzung der Vergleichsexposition.","page":583},{"file":"p0584.txt","language":"de","ocr_de":"584\nWilhelm Wirth.\nWill man hingegen die continuirliche Exposition des Vergleichsobjectes, die durch jene besonders leichte und nat\u00fcrliche Verarbeitung des Complexes schlie\u00dflich u. s. gl. U. den Vorzug vor allem anderem verdient, mit einer tachistoskopischen Exposition vergleichen, so bleibt nat\u00fcrlich nichts \u00fcbrig, als die Zuordnung dieser Exposition zu dem dauernd dargebotenen Complex so einzurichten, dass sie zwar immer noch hinreichend von ihm unterschieden werden kann, dennoch aber ihrem Hauptcharakter nach in ihrem gr\u00f6\u00dften Theil von der continuirlichen Daseinsweise des ersten Complexes m\u00f6glichst wenig unterschieden ist. In einem sp\u00e4teren Abschnitt wird eine L\u00f6sung dieses speciellen Probl\u00e8mes der tachistoskopischen Methode noch ausf\u00fchrlicher zur Sprache kommen (6, 7).\nVor allem kann aber nun nat\u00fcrlich auch die einfachste Aufgabe, welche die fr\u00fcheren tachistoskopischen Versuche allein zu l\u00f6sen versuchten, die Feststellung des Umfangs der relativ \u00bbmaximalen Klarheit\u00ab, welche innerhalb eines tachistoskopischen Complexes erlangt wird, in noch exacterer Weise nach der Vergleichsmethode behandelt werden, wie ja auch schon im vorigen Capitel die Zur\u00fcckf\u00fchrung der \u00bbunmittelbaren Wiedergabe\u00ab auf die Vergleichsmethode im allgemeinen angedeutet wurde (S. 559). Zu diesem Zwecke bleibt nur die besondere Vorbereitung weg, welche auf die Beherrschung des ersten Complexes verwandt wurde. Es werden einfach zwei aufeinander folgende tachistoskopische Expositionen miteinander verglichen, wobei der Moment der ersten Exposition vom Beobachter beliebig ausgew\u00e4hlt und die Zwischenzeit zwischen beiden Darbietungen constant gehalten wird, nachdem vorher eine g\u00fcnstigste Zwischenzeit ausprobirt worden ist (Versuche s. 6, 5).\n5) Die g\u00fcnstigste zeitliche Zuordnung der beiden Vergleichsobjecte. Bezogen sich nun die bisherigen Darlegungen in der Hauptsache auf die m\u00f6glichst umfassende, bezw. in ganz bestimmtem Sinne eingeschr\u00e4nkte (bei einer Exposition) Ausf\u00fcllung des Bewusstseins mit dem zuerst dargebotenen Wahrneh-mungscomplexe, so wird nat\u00fcrlich eine ebenso gro\u00dfe Sorgfalt auf die \u00fcbrigen Vergleichsbedingungen zu verwenden sein, n\u00e4mlich auf die Beziehung zum Vergleichsobject und auf die zweckm\u00e4\u00dfigsten Variationen des letzteren zur Erm\u00f6glichung m\u00f6glichst","page":584},{"file":"p0585.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung. 585\nausgiebiger Schl\u00fcsse auf die zu Grunde liegende Klarheitsverthei-lung.\nRelativ einfach entscheidet sich wohl die Frage nach der vortheil-haftesten zeitlichen Zuordnung der beiden Vergleichsobjecte zu einander. Aus dem ganzen Wesen des Vergleichsprocesses, der eine besondere Wechselwirkung der beiden Vorstellungscomplexe darstellt, ergibt sich offenbar eine umso gr\u00f6\u00dfere Feinheit und Sicherheit des Vergleichsurtheiles, je unmittelbarer sich die beiden Complexe aneinanderschlie\u00dfen, nat\u00fcrlich immer noch unter der Voraussetzung einer Unterscheidbarkeit der beiden zu beurtheilenden Objecte im Ganzen, um welche man sich aber viel weniger zu sorgen braucht, da sie immer durch die Eigenth\u00fcmlichkeiten des tachistoskopischen Vorganges hinreichend garantirt wird. Es droht ja bei den Vergleichen eigentlich immer nur jene entgegengesetzte Gefahr, dass durch eine zu gro\u00dfe Zwischenzeit der zun\u00e4chst gebotene Gesammt-complex an seinem Einfluss auf das Vergleichsurtheil einb\u00fc\u00dfe. Der Verlust an einzelnen Elementen und deren gegenseitigen Beziehungen, sowie die logische Sicherheit des allenfalls Uebriggebliebenen nimmt bekanntlich gerade in. den allerersten Augenblicken nach dem Aufh\u00f6ren des \u00e4u\u00dferen Reizes so rapide ab, dass schon geringe Bruch-theile einer Secunde der Bestimmtheit des Vergleichsurtheiles und dem Umfange, auf welchem sich dasselbe \u00fcberhaupt noch beziehen kann, bedeutenden Abbruch thun. *)\n1) Damit soll nat\u00fcrlich keineswegs behauptet werden, dass f\u00fcr das Vergleichsurtheil bei entsprechender Zwischenzeit zwischen den Objecten so wenig vom ersten Complex zur Geltung komme, als er an Empfindungsfrische verloren habe. Diese eigenth\u00fcmliche Lebhaftigkeit und Frische ist von allen einzelnen Qualit\u00e4ten des Inhalts wohl zu unterscheiden. Zu einer hinreichend sicheren Vergleichung der beiden Objecte mit m\u00f6glichst geringer Unterschiedsschwelle ist es niemals nothwendig, dass die Elemente des ersten Objects mit der zu vergleichenden Qualit\u00e4t beim Wahrnehmen des zweiten noch in voller Lebhaftigkeit vorhanden sind. Der Vergleich setzt ja immer voraus, dass man sich von dem ersten Object weg dem anderen zuwendet, ohne R\u00fccksicht darauf, ob das erste noch mit Empfindungs-frische nebenbei im Bewusstsein bleibt. Es wird dann mindestens f\u00fcr den Augenblick weniger beachtet sein. Daher wird eine Gleichzeitigkeit im Bewusstsein h\u00f6chstens eine raschere Folge des Hin- und Hergehens ohne besondere technische Vorrichtungen, wie es die Schnelligkeit der AufmerksamkeitsWanderung nur immer hergibt, erm\u00f6glichen. Diese schnelle Folge wird aber eben auch bei successiver Darbietung, also ohne dass das erste Object nebenbei mit Empfindungsfrische","page":585},{"file":"p0586.txt","language":"de","ocr_de":"586\nWilhelm Wirth.\nAllerdings sind in Uebereinstimmung mit jener nun schon oft erw\u00e4hnten Regel \u00fcber die Abh\u00e4ngigkeit von Klarheitsgrad und Merk-barkeit die unklaren Elemente am meisten von diesem Verluste betroffen. Um die Einwirkung dieser letzteren auf das Vergleichsurtheil handelt es sich aber ja hier gerade am meisten, und deshalb ist die tachistoskopische Exposition des Vergleichsobjectes m\u00f6glichst unmittelbar an die Darbietung des ersten Objectes heranzur\u00fccken. Aus rein technischen Gr\u00fcnden ist allerdings auch in den meisten meiner eigenen Versuche (6, 1), soweit ich \u00fcber dieselben hier einstweilen berichten kann, dieser Zeitabstand zwischen beiden Vergleichsobjecten immer noch mindestens J/2 Sec. gro\u00df. Sobald eben einmal das tachistoskopisch exponirte Vergleichsobject, wie fr\u00fcher auf einer unmittelbar vorher und nachher gleichf\u00f6rmigen Fl\u00e4che (ohne Figuren) auftritt und infolgedessen den vorigen Ausf\u00fchrungen gem\u00e4\u00df (S. 583) auch die vorhergehende Ein\u00fcbung auf die Beherrschung des ersten Complexes in wiederholten Momentan-Unter-brechungen der gleichf\u00f6rmigen Fl\u00e4che sich vollzieht, wird ohnehin ein bestimmter nicht zu schneller Rhythmus der Expositionen eingehalten werden m\u00fcssen. Von dieser Tactfolge darf aber dann nat\u00fcrlich im wichtigsten Momente der Exposition des Vergleichsobjectes erst recht nicht abgewichen werden.\nEher lie\u00dfe es sich schon versuchen, beide Complexe dann zeitlich so nahe als m\u00f6glich an einander zu r\u00fccken, wenn der erste Complex selbst nur einmal tachistoskopisch dargeboten wurde. In diesem Falle ist ja von vorne herein kein besonderer Rhythmus aufgezwungen worden, es k\u00f6nnen sich also die tachistoskopischen Bilder mit sehr kurzer Zwischenzeit aneinandersetzen, was durch Uebung leicht zu gew\u00f6hnen ist, zumal die rasche Folge im ganzen Versuche nur einmal vorkommt. Die Auffassung und Klarheitsvertheilung wird ja nach dem fr\u00fcher Gesagten in diesem Falle beim ersten Objecte nur eine unvollst\u00e4ndige sein; durch die besondere Beg\u00fcnstigung der\nzur\u00fcckbleibt, den gleichen Vortheil gew\u00e4hren. Mit dieser Frage ber\u00fchren sich auch bekannte andere Discussionen, ob z. B. bei der Vergleichung zweier succes-siver Intensit\u00e4ten das erste Vorstellungsobject wegen der Herabsetzung der Lebhaftigkeit beim Auftreten des zweiten Objectes zu gering erscheine. Vgl. hierzu auch F. An g eil, Discrimination of clangs for different intervals of time. Am. Joum. of Psych. XI, 1 und XII, 1.","page":586},{"file":"p0587.txt","language":"de","ocr_de":"587\nZur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung.\ngegenseitigen Beziehung beider Vergleichst)!)jecte auf einander lie\u00dfe sich aber wenigstens der jedenfalls vorhandenen, unklaren Region vollst\u00e4ndiger beikommen, als wenn sich beide Complexe zum Vergleich nicht viel schneller folgen, als sonst auch die unmittelbare Wiedergabe in der Hauptsache geleistet sein konnte, ein Zeitpunkt, in dem nat\u00fcrlich von vorne herein nur noch die maximal klare Region hinreichend wirkungsf\u00e4hig sein kann (vgl. hierzu vor allem die Methode 6, 7).\nUebrigens muss bei dieser Beurtheilung des Einflusses der Zeitdifferenz zwischen den Vergleichsobjecten auf die Resultate, die durch diese Methode hinsichtlich der einzelnen Klarheitsgrade des Umfanges gewonnen werden, auch wiederum ein gewisser Vortheil dieser Differenz Erw\u00e4hnung finden. Nach jener nun schon oft erw\u00e4hnten Regel wird die Differenz hinsichtlich der Beachtung im unmittelbaren Erleben, abgesehen davon, dass die Verschiedenheit selbst bei unmittelbar anschlie\u00dfendem Vergleichsobject nur bei einer gewissen Unterschiedsschwelle erfasst wird, auch vor allem darin zur Geltung kommen, dass die Erinnerung an die unklaren Stellen noch entsprechend schw\u00e4cher wirkt. Von dieser Seite aus wird also in der That durch Einschiebung einer Zwischenzeit eine gewisse Potenzirung der Klarheitsdifferenzen innerhalb des ganzen Umfanges entstehen, welche diese Differenzen sozusagen in vergr\u00f6\u00dfertem Ma\u00dfstabe erkennen l\u00e4sst. Wo es also vor allem auf die Feststellung dieser Klarheitsverh\u00e4ltnisse ankommt, wird diese discontinuirliche Darbietung sogar recht gute Dienste leisten k\u00f6nnen. Indessen muss man freilich immer im Auge behalten, dass diese Vergr\u00f6\u00dferung der Differenzen keineswegs wie bei sonstigen vorteilhaften Vergr\u00f6\u00dferungs-Beobachtungen auf einer gleichm\u00e4\u00dfigen Erh\u00f6hung s\u00e4mmtlicher absoluter Werthe beruht, sondern ausschlie\u00dflich auf Kosten der geringeren Werthe gewonnen wird, wobei sogar erst noch eine gleichzeitige, wenn auch viel geringere Herabsetzung der h\u00f6heren Werthe \u00fcberholt werden muss. Auch bei diesen letzteren ist die Pr\u00e4cision nat\u00fcrlich etwas geringer als bei continuirlichem Anschluss der Differenzen. Diese unverh\u00e4ltnissm\u00e4\u00dfige Verringerung der unteren Klarheitsgrade ist aber nat\u00fcrlich wiederum f\u00fcr die allgemeinere Absicht dieser Bestimmungen nachtheilig, welche vor allem m\u00f6glichst viele Einzelelemente ber\u00fccksichtigen will, welche in dem gesammten Um-","page":587},{"file":"p0588.txt","language":"de","ocr_de":"588\nWilhelm Wirth.\nfange des Augenblickes simultan erlebt wurden, und erst in zweiter Linie nach den Klarheitsgraden im Einzelnen fragt. Eignet sich also auch die zeitlich discontinuirliche Darbietung vortrefflich zu einer Uebersicht \u00fcber die Differenzen der Klarheit \u00fcberhaupt, wie sie im unmittelbaren Erleben vorhanden sind, so wird sie f\u00fcr umfassendere Umfangs-Bestimmungen im eigentlichen Sinne, wo also auch die unklareren Regionen zur Geltung kommen sollen, m\u00f6glichst durch die continuirliche Darbietung des Urcomplexes mit unmittelbar anschlie\u00dfender Vergleichsvariation ersetzt werden m\u00fcssen.\nZur vorl\u00e4ufigen W\u00fcrdigung der Differenzen, die man f\u00fcr die relativen Klarheitswerthe zwischen der continuirlichen und discontinuir-lichen Darbietung zu erwarten hat, darf man sich ja nicht etwa auf den viel geringeren Unterschied zwischen der Pr\u00e4cision der Vergleichsresultate jener beiden F\u00e4lle verlassen, der dann vorhanden ist, wenn sich das Urtheil nur auf ein einziges Objectpaar zu beziehen braucht. Denn sobald zu einem complicirten Urcomplexe \u00fcbergegangen wird, bleibt doch einerseits f\u00fcr die continuirliche Betrachtung auch bei den weniger beachteten Elementen die richtige Zuordnung des Neuen zum Alten im Einzelnen mit der n\u00e4mlichen Klarheit erhalten, mit der die betreffende Region selbst im unmittelbaren Erleben aufgefasst wird. Die ganze Orientirung innerhalb des Feldes, welche die Variation sozusagen am einzelnen Element selbst sogleich feststellen l\u00e4sst, ist also bei der Continuit\u00e4t nicht erst wiederum neu zu gewinnen, wie es andererseits bei der Discontinuit\u00e4t der Vergleichscomplexe der Fall ist. Je mehr eigenartige Elemente der ganze Complex besitzt, umso mehr wird schon sehr kurz nach Unterbrechung der Wahrnehmung des Urcomplexes die richtige Beziehung des einzelnen Elementes im neuen Complex auf diejenigen des alten ihre Schwierigkeiten besitzen. Damit ist also noch die Herabsetzung der Pr\u00e4cision des Vergleiches im Einzelnen gesteigert, welche f\u00fcr ein einzelnes Element ohnehin best\u00e4nde, und welche in einer gewissen Progression mit der Anzahl der Einzelvergleichungen zunimmt, welche im Gesammturtheil repr\u00e4sentirt sind. In welchem Umkreise freilich die vollkommene Beseitigung all dieser Schwierigkeiten bei der continuirlichen Vergleichung zugleich die Differenzen der Wirksamkeit der verschieden klaren Regionen so sehr ausgleicht, dass die Vergleichsmethode zur Differenzirung der Klarheitswerthe","page":588},{"file":"p0589.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung.\n589\nnicht mehr ausreicht, muss erst durch das Experiment seihst festgestellt werden und liegen mir hier\u00fcber noch keine gen\u00fcgenden Resultate vor, wovon aber das folgende allgemeine Princip der Umfangsbestimmung nicht ber\u00fchrt w\u00fcrde.\nIn der Hauptsache w\u00fcrden sich also einstweilen etwa vier Variationsm\u00f6glichkeiten der Versuche hinsichtlich des Zeitverh\u00e4ltnisses ergehen. Erstens kann, wie bereits erw\u00e4hnt, sowohl nach einmaliger, als nach mehrfacher tachistoskopischer Exposition des ersten Objectes die Darbietung des Vergleichsohjectes durch eine andersartig (und zwar am einfachsten durch eine gleichf\u00f6rmige El\u00e4che) ausgef\u00fcllten Zwischenpause getrennt sein, zweitens kann sich aber nun die Exposition des Vergleichsobjectes an eine continuirliche Darbietung des ersten Objectes anschlie\u00dfen, worin die wichtigste Combination \u00fcberhaupt gegeben sein d\u00fcrfte, und ein specieller Fall hiervon w\u00e4re wiederum der bereits erw\u00e4hnte unmittelbare Anschluss an eine einmalige tachistoskopische Exposition des ersten Objectes. In letzterem Falle w\u00e4re der Idealfall des Versuches bei objectiver Gleichheit des zweiten Objectes einfach eine Fortdauer der ersten Exposition mit entsprechender Markirung des zweiten Theiles. Wenn das erste Object nur einmal dargeboten wird, w\u00fcrde \u00fcberhaupt nur eine einzige tachistoskopische Exposition vorhanden sein, da es ja nicht darauf ankommt, ob die beiden Expositionen, die mit einander verglichen werden sollen, die ganze oder die halbe Zeit der gew\u00f6hnlichen tachistoskopischen Exposition dauern. Die besondere Aufgabe, welche das Erlehniss des Beobachters von einem gew\u00f6hnlichen tachistoskopischen Versuch der fr\u00fcheren Art unterscheidet, liegt dann eben nur in der Fragestellung, oh sich das Object im Ganzen inhaltlich gleich geblieben ist oder nicht1). (Damit ist dann allerdings auch technisch wenigstens die M\u00f6glichkeit einer inhaltlichen Variation der Exposition und somit jedenfalls eine l\u00e4ngere Exposition des Ganzen als das Minimum der Wahrnehmungszeit f\u00fcr eine einmalige Exposition gefordert. Vergl. \u00fcbrigens 2, 1.) F\u00fcr die technische Ausf\u00fchrung der beiden an zweiter Stelle genannten Versuche mit zeitlicher Continuit\u00e4t der beiden Vergleichs objecte ist eine besondere Technik, wenigstens\n1) Ueber die tachistoskopische Bestimmung der Unterschiedsschwelle zwischen simultanen Empfindungen als Analogon hierzu vergl. u. S. 619 und S. 627.","page":589},{"file":"p0590.txt","language":"de","ocr_de":"590\nWilhelm Wirth.\nf\u00fcr beliebige Complexe und Variationsrichtungen, vorteilhaft und will ich deshalb auch f\u00fcr die eingehendere Behandlung der psychologisch-theoretischen Seite, die nach dem bisher Gesagten noch manchen Einwand zul\u00e4sst, auf sp\u00e4ter verweisen (6, 7). Au\u00dferdem sind keineswegs alle vier von den erw\u00e4hnten M\u00f6glichkeiten f\u00fcr unsere Umfangsfrage gleich wichtig. Die Ausf\u00fcllung des Bewusstseins mit dem experimentell gew\u00e4hlten Ma\u00dfe seines Umfanges ist ja bei einmaliger tachistoskopischer Exposition nach allem fr\u00fcher Gesagten ohnehin keine maximale. Es w\u00e4ren also auch h\u00f6chstens jene rasch zu relativ h\u00f6chster Klarheit erhobenen Elemente von Interesse, welche auch schon nach der fr\u00fcheren Methode der unmittelbaren Wiedergabe heraus gel\u00f6st werden konnten, ja deren Klarheitsgrad geradezu allein von dieser Leistung aus n\u00e4her bestimmt werden konnte, wobei zugleich wegen der fest umschriebenen Grenzen der m\u00f6glichen Zahl entsprechend klarer Einzelelemente die besondere Berechtigung zu der speciellen Bezeichnung dieser Klarheitsgrade innerhalb des ganzen Momentbestandes bei einmaliger tachistoskopischer Exposition betont wurde. Bis in alle unklaren Einzelheiten nachzugehen, hat indessen wegen der bereits hinl\u00e4nglich erl\u00e4uterten Zuf\u00e4lligkeit des Umfanges derselben je nach ihrer Gel\u00e4ufigkeit von unserer Specialfrage aus nur secund\u00e4re Bedeutung. Es kommt hierbei eine neue, an sich nat\u00fcrlich eben so wichtige und interessante Frage herein, wie bestimmte concrete Vertheilungen der Aufmerksamkeit in der Zeit sich aufbauen. Der gesammte Umfang des Bewusstseins, soweit er in solchen Complexen angelegt werden kann, wird hierbei niemals, und auch stets verschieden weit erreicht. Eine Aussicht auf die Ergreifung einer auch die unklare Begion einbeziehenden Gesetzm\u00e4\u00dfigkeit ergibt sich erst wiederum, wenn in Folge gleichm\u00e4\u00dfig maximal g\u00fcnstiger Bedingungen f\u00fcr die Beherrschung des Ganzen wirklich nur der Bewusstseinsumfang \u00fcberhaupt als einschr\u00e4nkende Ursache eingreift, und nicht blo\u00df zu kurze Zeit, um ihn auszun\u00fctzen. Au\u00dferdem bekommt aber nat\u00fcrlich die einmalige tachistoskopische Darbietung des ersten Objectes ihre eigenartige Bedeutung auch nur dann, wenn die Combination des Complexes wirklich immer eine v\u00f6llig neue ist. Dieses erfordert nat\u00fcrlich f\u00fcr eine hinreichende Versuchszahl eine gro\u00dfe Anzahl von Expositionsbildern, bezw. besondere Variations-","page":590},{"file":"p0591.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung.\n591\nVorrichtungen. Versucht man mit einer geringeren Zahl ein f\u00fcr allemal angefertigter Objecte zu arbeiten, so werden sich bald doch irgendwelche Gel\u00e4ufigkeiten herausbilden, und man hat dann nur ein unexactes Mittelding zwischen vollst\u00e4ndiger Anpassung des Bewusstseins an den Complex, wie es nur hei dauernder Betrachtung m\u00f6glich ist, einerseits, und der v\u00f6lligen Ungel\u00e4ufigkeit hei wirklich nur einmaliger tachistoskopischer Exposition andererseits. Um des secund\u00e4ren theoretischen Werthes und dieser technischen Schwierigkeiten willen, ist im Folgenden die Vergleichung nach einmaliger tachistoskopischer Darbietung des ersten Objectes nur mit der einfacheren Anordnung mit Zwischenzeit und Isolirung der Vergleichsexposition an mehreren einfachsten Beispielen durchgef\u00fchrt, und der Effect der continuirlichen Aneinanderf\u00fcgung mit der gleichen Fragestellung bez\u00fcglich einer bemerkbaren Vergleichsbeziehung einstweilen nur methodisch und hinsichtlich des Hauptcharakters kurz erl\u00e4utert (6, 7). Die Hauptmasse der Versuche erstreckt sich hingegen auf die eigentliche Grundfrage nach dem Vergleichsobject hei allm\u00e4hlicher Ein\u00fcbung auf den ersten Complex, und zwar, ebenfalls aus rein technischen Gr\u00fcnden, mit wiederholter tachistoskopischer Darbietung und auch entsprechend kurzer Zwischenzeit bis zur Exposition des Vergleichsobjectes. Ebenfalls nur nach ihrem Hauptcharakter und ihrer methodischen Seite erl\u00e4utert wird endlich der Erfolg bei continuirlicher Einf\u00fcgung eines tachistoskopischen Vergleichsobjectes in das fortdauernd ruhig dargebotene Urbild, wof\u00fcr die ganze technische Seite der Anordnung erst neu auszubilden war.\n6) Die Einrichtung des Vergleichsobjectes. \u2014 Ableitung von Unterschiedsschwellen f\u00fcr die verschiedenen Stellen des Urcomplexes ohne Vorherwissen der jeweils variirten Stelle. Zur allgemeinen Uebersicht \u00fcber das Wesen der Vergleichsmethode als Umfangsbestimmung ist jetzt nur noch die zweckm\u00e4\u00dfigste inhaltliche Gestaltung des tachistoskopisch dargebotenen Vergleichsobjectes n\u00e4her zu beleuchten, welche einen indirecten R\u00fcckschluss auf den Bewusstseinsumfang und die simultane Klarheitsvertheilung in m\u00f6glichst gro\u00dfer Ausdehnung erm\u00f6glichen kann. Es w\u00fcrde nat\u00fcrlich zu diesem Zwecke nicht gen\u00fcgen, das Vergleichsobject immer dem Urcomplex vollst\u00e4ndig gleich zu belassen, und den Bewusstseins-","page":591},{"file":"p0592.txt","language":"de","ocr_de":"592\nWilhelm Wirth.\numfang dann so weit anzusetzen, als \u00fcberhaupt noch ein Gleichheits-urtheil gef\u00e4llt werden k\u00f6nnte. Die Ausbildung einer bestimmten Erwartung der Gleichheit k\u00f6nnte dahei nat\u00fcrlich immerhin noch sicher genug verhindert werden, vor allem durch h\u00e4ufige \u00bbVexir-v er suche\u00ab mit beliebiger Variation und durch Anstreben einer m\u00f6glichst gro\u00dfen Objectivit\u00e4t seitens des Beobachters. Doch w\u00fcrde nat\u00fcrlich bei gr\u00f6\u00dferen Oomplexen, in welchen nicht mehr jedes Element einen hinreichenden Bewusstseinsgrad besitzen kann, das auf das Ganze bezogene Vergleichsurtheil in der schon fr\u00fcher erw\u00e4hnten Weise selbst eine entsprechende Unsicherheit besitzen, w\u00e4hrend das Bestreben dieser indirecten Vergleichsmethode gerade darauf gerichtet ist, Wirkungen der weniger klaren Elemente zu verwerthen, welche ein sicheres Vergleichsbewusstsein in sich enthalten. Es liegt aber nun im Wesen der unklar erlebten Vorstellungen, dass die Erinnerung, bezw. die eben abklingende Vorstellung selbst, welche in dem speciellen Continuit\u00e4tserlebniss des Vergleichsactes zu der Vergleichs-vorst\u00ebllung in Beziehung tritt, innerhalb gewisser Grenzen unsicher ist. Es ist dies nur eine besondere Seite der allgemeinen Thatsache der Unterschiedsschwelle. Dabei ist hier nat\u00fcrlich keineswegs eine aprioristische Erkenntniss \u00fcber den Umfang dieser \u00bbSchwankung\u00ab in Abh\u00e4ngigkeit von irgend welchen Qualit\u00e4ten der Beize angenommen. Ueberhaupt kann die \u00bbSchwankung\u00ab nicht einen inhaltlichen Vorgang, etwa eine Schwingung zwischen qualitativen Extremen darstellen, wie man es sich manchmal in handgreiflicherer Weise vorzustellen sucht1). Diese Anschauung k\u00f6nnte nat\u00fcrlich f\u00fcr das Bewusstsein der Unsicherheit deshalb keine rechte Erkl\u00e4rung verschaffen, weil ja eben dann lauter ganz sichere Vergleichsurtheile, nur eben bald alsVerschiedenheits-, bald als Gleichheitsbewusstsein, kurz ein sicheres Bewusstsein dieser inhaltlichen Ver\u00e4nderungen selbst, sich ergeben m\u00fcssten, sobald diese Schwankungen in jedem Augenblicke einen ganz bestimmten Inhalt repr\u00e4sentiren w\u00fcrden. Gerade dieses Letztere ist aber eben nicht der Fall, und in diesen Grenzen der subjectiven Unsicherheit des Beurtheilenden besteht eben die prim\u00e4re Bewusstseinserscheinung, welche alle Erkl\u00e4rungsversuche der Unterschiedsschwelle, soweit sie mit qualitativen Ver\u00e4nderungen der\n1) U. a. auch Psych. Rev. VII, 1900 S. 24, L. M.Solomons A new explanation of Webers Law.","page":592},{"file":"p0593.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung.\n593\nInhalte arbeiten, bereits voraussetzen. Jedenfalls ist diese Sicherheit der Erinnerung nach jener zu Anfang mehrfach erw\u00e4hnten Regel von dem Bewusstseinsgrade aller einzelnen Elemente im unmittelbaren Erleben abh\u00e4ngig. Ein theilweise unklarer Complex kann also hei v\u00f6lliger Gleichheit des Vergleichsobjectes (nat\u00fcrlich in seinem augenblicklichen suhjectiven Erfolge), wie bei der Methode der unmittelbaren Wiedergabe, jene Unsicherheit nur ganz entsprechend zum Ausdrucke bringen. Offenbar w\u00e4re aber mit der blo\u00dfen Angleichung an \u00fcbereinstimmende Vergleichsobjecte auch nur ein verschwindend kleiner Theil der m\u00f6glichen Wirkungen der unklar erlebten Elemente ausgen\u00fctzt. Enthalten ja doch gerade die Grenzen der Unsicherheit, welche nach jener Annahme von dem Bewusstseinsgrad heim Erleben abh\u00e4ngig sind, ein wichtiges Moment in sich, welches die Leistungsf\u00e4higkeit des Elementes erst recht zur Geltung kommen l\u00e4sst. Es ergibt sich also trotz der Unklarheit des Elementes ein sicheres Ver-gleichsurtheil, und zwar ein Verschiedenheitsbewusstsein, sobald wir eine Variation des Vergleichsohjectes vornehmen und die Abweichung des Vergleichsobjectes an der entsprechenden Stelle die \u00bbUnterschiedsschwelle\u00ab \u00fcbersteigen lassen. Damit aber die Vertheilung der Aufmerksamkeit sich nicht der zu variirenden Stelle zuwendet, wodurch deren eventuell bei der constanten Einstellung relativ geringer Klarheitsgrad erh\u00f6ht w\u00fcrde, muss nat\u00fcrlich die Stelle der Variation des hier tachistoskopisch dargebotenen Vergleichsobjectes im Voraus g\u00e4nzlich unbekannt sein. Daf\u00fcr bedarf es aber auch in jedem Versuche einer Reihe immer nur je einer einzigen Ver\u00e4nderung von verschiedener Gr\u00f6\u00dfe innerhalb des ganzen Bestandes, und eines entsprechenden Wechsels der ver\u00e4nderten Stelle in den verschiedenen Versuchen (bis zur Durchnahme s\u00e4mmtlicher Stellen des ganzen Complexes). So weit sich unter den \u00fcbrigen, bereits bekannten Bedingungen noch ein richtiges Unterschiedsbewusstsein bei einer solchen Variation mit Sicherheit einstellt, so weit reicht mindestens der Umfang des simultanen optischen Bewusstseins. Die Differenz aber, welche zur Erzielung eines solchen Unterschiedsbewusstseins an einer bestimmten Stelle nothwendig ist, also die Unterschiedsschwelle unter diesen speciellen Aufmerksamkeits-\nWubdt. Philes. Studien. XX.\t3g","page":593},{"file":"p0594.txt","language":"de","ocr_de":"594\nWilhelm Wirth.\nbedingungen, ist zugleich ein Ma\u00df des Klarheitsgrades, welcher an dieser Stelle bei der Vertheilung innerhalb des betreffenden Complexes herrscht. In diesen S\u00e4tzen ist zugleich das Wesen dieser indirecten Umfangsbestimmung \u00fcberhaupt so vollst\u00e4ndig als m\u00f6glich wiedergegeben. Doch bed\u00fcrfen sie wohl noch mannigfacher Erl\u00e4uterung und Yertheidigung gegen m\u00f6gliche Einw\u00e4nde.\nAm besten versteht man den ganzen Zusammenhang wieder hei einem ruhig beherrschten, also zun\u00e4chst l\u00e4ngere Zeit, hezw. wiederholt dargehotenen Urcomplex, welcher ja auch ohnehin nach allem Bisherigen f\u00fcr die allgemeine Umfangsfrage die exactesten Bedingungen bietet. Der oben abgeleiteten maximalen Vertrautheit mit demselben entspricht es, dass in allen Einzelversuchen zur Bestimmung des simultanen Bewusstseinsbestandes, der dem Beizcomplexe entspricht, mit dem steten Wechsel der Stelle der Variation immer wieder ganz der n\u00e4mliche Urcomplex benutzt werden kann. Es besteht daher nicht nur Gleichwertigkeit der Elemente hinsichtlich ihres Aufmerksamkeits-Anspruches, bezw. der Leichtigkeit ihrer Auffassung bei den verschiedenen Versuchen, worauf man bei der analogen Untersuchung eines einmal tachistoskopisch exponirten Complexes wegen der vorhin erl\u00e4uterten Nothwendigkeit einer steten Variation der einzelnen Elemente und ihrer Combination im Urcomplexe verzichten musste. Vielmehr sind auch die Qualit\u00e4ten des Urcomplexes, bei jedem Versuche im einzelnen immer die n\u00e4mlichen, und die hierdurch gewonnene vollst\u00e4ndige Constanz des inhaltlichen Ausgangspunktes bei der Vergleichung wird mit der Ein\u00fcbung immer mehr erreicht. Es wird dann einfach das Pr\u00e4cisionsma\u00df in dem aus der Psychophysik bekannten Sinne hinsichtlich jeder bestimmten Stelle innerhalb dieses l\u00e4ngst jederzeit zun\u00e4chst neu wiederhergestellten Complexes festzustellen versucht. Nur entspricht es hier eben nicht, wie in seiner fr\u00fcheren Verwerthung innerhalb der Psychophysik einer ganz ausschlie\u00dflich auf eine einzige Stelle gerichteten, sondern einer entsprechend ge-theilten Aufmerksamkeit, da man ja doch stets die ganze Ausdehnung in bestimmter Vertheilung beachten muss, w\u00e4hrend nur an einem einzigen Punkt variirt wird. Die Unwissentlichkeit der Variation ist also eine Grundbedingung f\u00fcr den Sinn der ganzen Methode. Wegen dieser stets einfachen Variation des ganzen Complexes in einem","page":594},{"file":"p0595.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung. 595\neinzigen Elemente sind also die psychologischen Vorg\u00e4nge hier ganz die n\u00e4mlichen wie hei der einfachen Bestimmung der Unterschiedsschwelle zwischen zwei successiv dargebotenen Einzelelementen, abgesehen von der gleichzeitig abgelenkten Aufmerksamkeit. Die ganze Messung des Bewusstseinsumfanges l\u00e4uft also in ihren exactesten Formen auf eine eigenartige Anwendung der allgemeinen psycho-physischen Methoden hinaus und werden schlie\u00dflich die Resultate \u00fcber den gesammten messbaren Umfang eine ganz entsprechende Formulirung zulassen. Erinnert man sich der l\u00e4ngst anerkannten reichen Zusammensetzung des Bewusstseinshintergrundes aus zahllosen Elementen mit immer mehr abnehmender Klarheit, so werden sich je nach der verschiedenen Configuration des Urcomplexes sozusagen Reihen von verschiedener Gliederzahl und einer mit dieser Zahl immer mehr abnehmenden Gr\u00f6\u00dfe des Pr\u00e4cisions-ma\u00dfes ergehen, wie es der gefundenen Unterschiedsschwelle f\u00fcr ein bestimmtes Glied des Complexes indirect proportional ist. Nur die Summe dieser Reihe, die aus den einzelnen Pr\u00e4cisionsma\u00dfen als Gliedern besteht \u2022\u2014\u25a0 die Qualit\u00e4t kommt ja hier zun\u00e4chst nicht in Betracht \u2014, braucht f\u00fcr die Momente ungef\u00e4hr gleich zu sein, f\u00fcr welche eine ungef\u00e4hre Constanz des Umfanges vorhanden sein soll. Die Eintheilung der verschiedenen Glieder in die constante Summe wird je nach der Zusammensetzung des Urcomplexes wechseln (gleichg\u00fcltig\noh willk\u00fcrliche oder unwillk\u00fcrliche Concentration oder Dilatation statt-\n*\nfindet). Der verschiedene Grad der Concentration, der objectiv gleichen Complexen gegen\u00fcber erlebt ist, wird sich dabei je nachdem in einer engeren Zusammengeh\u00f6rigkeit von Unterahtheilungen der ganzen Reihe durch eine gleiche mittlere und von anderen Gruppen deutlich abweichende Gr\u00f6\u00dfe des Pr\u00e4cisionsma\u00dfes bezw. in einer allm\u00e4hlicheren Abgestuftheit desselben \u00e4u\u00dfern m\u00fcssen. Zur Erzielung constanter Resultate ist es nat\u00fcrlich wichtig, gleichen Complexen gegen\u00fcber auch die n\u00e4mliche Art dieser Aufmerksamkeitseinstellung vorzunehmen, die nat\u00fcrlich, wie schon zu Anfang besonders betont wurde (S. 500), niemals durch den objectiven Reizbestand allein bestimmt ist. Nur dann werden sich ja die in mehreren Versuchen mit Variation und Differenz f\u00fcr die verschiedenen Stellen gefundenen Unterschiedsschwellen Zu einem richtigen Werth des Gesammtumfanges zusammenschlie\u00dfen.\n38*","page":595},{"file":"p0596.txt","language":"de","ocr_de":"596\nWilhelm Wirth.\n7) Werth gelegentlicher Gleichheitsf\u00e4lle. Bei dieser Ver-werthung von verschieden gro\u00dfen Variationen des Vergleichsobjectes ist aber nat\u00fcrlich die Bedeutung der ohjectiven Gleichheit des letzteren keineswegs zu untersch\u00e4tzen, es wird eben, wie auch sonst in den psychophysischen Methoden, an Ort und Stelle zu verwenden sein. Es besitzt die objective Gleichheit in unserer Frage deshalb sogar noch eine besondere Bedeutung, weil es eine schnelle Contr\u00f4le erm\u00f6glicht, wie weit der Beobachter sich den ganzen Versuchsbedingungen in der Weise angepasst hat, dass wirklich nur die experimentell gew\u00fcnschten Qualit\u00e4ten die herrschende Ausf\u00fcllung im Bewusstsein \u00fcbernommen haben. Anfangs besitzt ja der unge\u00fcbte Beobachter leicht eine inad\u00e4quate Concentrationslage des Bewusstseins, welche auch Nebensachen beachtet, welche gar nicht als zu beurtheilende Variationsrichtung beabsichtigt waren, insbesondere spielen unvermeidliche, wenn auch noch so minimale Nebenger\u00e4usche hier eine wichtige Bolle. Andererseits sind aber innerhalb der Versuchsanordnung besonders am Anfang manchmal noch unbeabsichtigte Variationen vorhanden, von welchen das Urtheil niemals ahstrahiren kann, z. B. in unseren Versuchen etwa zu gro\u00dfe Verschiedenheit entsprechender Figuren und Elemente u. s. w. Dergleichen wird nun vor allem durch 'die Beurtheilung der vollen ohjectiven Gleichheit schnell zu Tage treten. Nat\u00fcrlich ist ja aus der Methode der r. u. f. F. hinreichend bekannt, dass auch objective Gleichheit nicht immer als solche be-urtheilt wird. Indessen muss eben doch mindestens ein gewisser Procentsatz eingehalten werden, andernfalls gew\u00f6hnlich noch irgendwelche nebens\u00e4chliche objective Verh\u00e4ltnisse ver\u00e4ndert, hezw. f\u00fcr die subjective Auffassung anders in Anrechnung gebracht werden m\u00fcssen. Bei der m\u00f6glichst umfangreichen Einbeziehung der unklaren Begion besitzt ja diese ganze Frage der Nebenerscheinungen eine noch viel gr\u00f6\u00dfere Bedeutung als gew\u00f6hnlich. Von diesem Gesichtspunkte aus ist denn auch in den sp\u00e4teren Versuchen die Gleichhaltung aller nicht absichtlich variirten Bedingungen, vor allem auch m\u00f6glichste Ger\u00e4uschlosigkeit mit Aufwendung vieler M\u00fche angestrebt worden, und hat sich durch eine entsprechend richtige Beurtheilung der Gleichheitsf\u00e4lle im weitesten Umfange die Erreichung des Gew\u00fcnschten hinreichend document\u00e2t.","page":596},{"file":"p0597.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung. 597\n8) Reduction der gefundenen Unterschiedsschwellen zu einem vergleichbaren Ma\u00dfe des Bewusstseinsgrades f\u00fcr die verschiedenen Elemente. Es ist in dieser Eormulirung noch nicht auf die charakteristische Qualit\u00e4t R\u00fccksicht genommen worden, die an den einzelnen Stellen vorhanden ist. Alle secund\u00e4ren Fragestellungen \u00fcber das Ma\u00df des gesammten m\u00f6glichen Klarheitsumfanges, welches verschiedene Urcomplexe je nach den inneren qualitativen Beziehungen der Einzelelemente und je nach der Einfachheit ihrer Anordnung u. s. w. in Anspruch nehmen, die vor allem in der oben erw\u00e4hnten Schrift von Th. Lipps \u00fcber die Quantit\u00e4t in psychischen Gesammtvorz\u00fcgen discutirt wurden, kommen in dieser allgemeinsten Formulirung f\u00fcr das Experiment erst recht zur Geltung. Sie werden eben verschiedene Gliederungen oder Gr\u00f6\u00dfenverh\u00e4ltnisse zwischen den Einzelgliedem innerhalb der ganzen gesuchten Reihe, bezw. des gesuchten St\u00fcckes der Reihe darstellen. Das allgemeinste und theoretisch wichtigste Object bildet bei diesen Umfangsbestimmungen jedenfalls ein solcher Urcomplex, bei welchem m\u00f6glichst gro\u00dfe Unabh\u00e4ngigkeit der einzelnen Elemente und damit zugleich eine m\u00f6glichst gro\u00dfe Coordination der einzelnen Theile und ein weniger complicirtes Hineinspielen h\u00f6herer Untereinheiten des Ganzen in die Klarheitsvertheilung gew\u00e4hrleistet ist. Nun sind aber nat\u00fcrlich auch die gefundenen Unterschiedsschwellen der verschiedenen Elemente nicht so unmittelbar in ihren absoluten Ma\u00dfen vergleichbar. Eine intensivere Qualit\u00e4t w\u00fcrde ja z. B. schon nach dem Weber-schen Gesetz eine gr\u00f6\u00dfere Unterschiedsschwelle mit sich bringen. Allerdings muss f\u00fcr eine gr\u00f6\u00dfere Coordination im Ganzen eine gr\u00f6\u00dfere Aufdringlichkeit eines Elementes nach einer bestimmten Richtung durch entsprechende andere ebenso hervortretende Eigen-th\u00fcmhchkeiten der \u00fcbrigen Figuren compensirt werden, damit die Unterscheidung nicht in ein Hervortreten einzelner weniger Elemente ausartet. Da aber trotzdem aus der Form und Lage der Elemente zu viele Abweichungen der rein objectiven Yergleichsbedingungen sich ergeben, so w\u00e4re es f\u00fcr jede beliebige Combination \u00fcberhaupt unm\u00f6glich, die Unterschiedsschwellen nur nach der absoluten \u00bbIntensit\u00e4t\u00ab der jeweils variirten Qualit\u00e4t, etwa unter gleichzeitiger Ber\u00fccksichtigung des Web er\u2019sehen Gesetzes, auf ein vergleichbares Pr\u00e4cisionsma\u00df zur\u00fcckzuf\u00fchren, welches nicht mehr die Abh\u00e4ngigkeit der Unterschieds-","page":597},{"file":"p0598.txt","language":"de","ocr_de":"598\nWilhelm Wirth.\nschwelle von der Qualit\u00e4t und Intensit\u00e4t, sondern vor allem von dem hier gerade allein wichtigen Klarheitsgrad zum Ausdruck bringt.\nDie passendste Reduction der in verschiedenen Ma\u00dfen ausgedr\u00fcckten Pr\u00e4cisionsma\u00dfe auf vergleichbare Werthe w\u00fcrde offenbar dadurch gewonnen werden k\u00f6nnen, dass man die Aufmerksamkeitsbedingungen f\u00fcr die verschiedenen Stellen in einer besonders daf\u00fcr unternommenen Versuchsreihe m\u00f6glichst constant w\u00e4hlt. Dies gelingt nun offenbar am besten durch eine eben solche Ausprohirung der Unterschiedschwelle an den verschiedenen Stellen mit jeweiliger Variation einer einzigen Stelle, aber gleichzeitig durchaus wissentlichem Verfahren mit vorhergehender specieller Concentration der Aufmerksamkeit auf die betreffende zu variirende Stelle, jedoch unter gleichzeitiger sorgf\u00e4ltiger Beibehaltung des fr\u00fcheren Fixationspunktes des Auges. So werden nacheinander f\u00fcr die verschiedenen Stellen diejenigen Werthe der Unterschiedsschwelle festgestellt, welche einem und dem n\u00e4mlichen, in diesem Falle also maximalen Beachtungsgrad entsprechen. Einen vergleichbaren Werth der Grade der Beachtung, welche f\u00fcr eine und die n\u00e4mliche Gesammtvertheilung der Aufmerksamkeit mit verschieden g\u00fcnstiger Stellung der einzelnen Elemente zu Theil werden, gewinnt man dann offenbar ohne gro\u00dfen Fehler, wenn man den Schwellenwerth hei maximaler Beachtung der wissentlich variirten Stelle mit dem Schwellenwerth dividirt, der bei unwissentlichem Verfahren, also den eigentlichen Umfangsbestimmungen gewonnen worden ist. Alle qualitativen Differenzen zwischen den simultanen Einzelohjecten fallen in dieser Weise aus der Rechnung heraus, und gehen in die Reihe als Ausdruck des gemessenen Klarheitsumfanges nur noch die gefundenen Verh\u00e4ltnisse zwischen dem Werthe bei wissentlicher und unwissentlicher Variation als Einzelglieder ein. Jede andere Weise der Heraushebung und der speciellen Einzelqualit\u00e4ten zur Ableitung einer Unterschiedsschwelle bei maximaler Beachtung, etwa eine Verlegung der speciellen Qualit\u00e4t in das Centrum oder eine gleichzeitige Entfernung oder Verdeckung der umgebenden Figuren hei der wissentlichen Variation der einen Figur, w\u00fcrde unvergleichbare Gesammtbedingungen einf\u00fchren. Auch die rein qualitative Seite, welche der Einzelvorstellung als solcher zugeh\u00f6rt, und damit die Unterschiedsschwelle ohne R\u00fccksicht","page":598},{"file":"p0599.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung. 599\nauf den speciellen Grad der Beachtung mitbestimmt, wird durch eine Ver\u00e4nderung der Umgehung ver\u00e4ndert. Man k\u00f6nnte h\u00f6chstens meinen, dass bei der anderen Umgebung \u00fcberhaupt eine solche maximale Beachtung, je nach der sonstigen Lage der Figur, nur in verschiedenem Grade gel\u00e4nge. Diese subjective Seite der richtigen Aufmerksamkeits-vertheilung ist aber nat\u00fcrlich nur eine Sache der Ein\u00fcbung, w\u00e4hrend die inhaltliche Ver\u00e4nderung der Gesammtvorstellung einer isolirten oder irgendwie im Sehfeld verschobenen Figur niemals aufzuheben ist. F\u00fcr diese Ein\u00fcbung m\u00f6gen ja allerdings zun\u00e4chst Vergleiche mit Isolirung der einzelnen Elemente, aber wenigstens unter Beibehaltung ihrer alten Stelle am Platze sein. Die entscheidenden Resultate d\u00fcrften trotzdem erst nach Einf\u00fchrung der alten Umgebung gewonnen werden.\nMit gr\u00f6\u00dferem Recht k\u00f6nnte indessen die richtige Berechnung des reducirten Werthes, mit welchem eine Unterschiedsschwelle bei den Umfangsbestimmungen in Anschlag zu bringen ist, f\u00fcr etwas complicirter gehalten werden, als es durch das einfache Verh\u00e4ltnis der unwissentlichen zur wissentlich und speciell beachteten Ableitung geschah. Jedenfalls wird aber die Schwelle, die in den Ausdruck f\u00fcr den Gesammtumfang eingeht, nur in ihrem Verh\u00e4ltnis zur Schwelle bei maximaler Beachtung in Anschlag zu bringen sein, und hierf\u00fcr ist eben u. s. gl. U. die einfache Division der angemessenste Ausdruck. Da aber noch nicht ausgemacht ist, ob eine im absoluten Werthe bereits bei maximaler Beachtung gr\u00f6\u00dfere oder geringere Schwelle nun auch bei ihrer Ableitung unter geringerer Beachtung ohne R\u00fccksicht auf diese absolute Gr\u00f6\u00dfe direct proportional zum Grade der Klarheitsabnahme\u00bb vergr\u00f6\u00dfert wird, oder ob kleinere Schwellen sich bei gleicher Klarheitsabnahme im Ganzen schneller vergr\u00f6\u00dfern als gro\u00dfe, oder gar umgekehrt, so sind die Potenzen, in welche die entsprechenden Werthe vor der Division zu erheben sind, noch nicht bestimmt. Nach der psychologischen Deutung des Weber-schen Gesetzes, so wie es bisher allein f\u00fcr maximale Beachtung der verglichenen Gesammtintensit\u00e4ten abgeleitet wurde, wird nun die verschiedene Gr\u00f6\u00dfe der Schwelle selbst bereits, wie oben erw\u00e4hnt (S. 548) als Erfolg einer gegenseitigen Hemmung der einzelnen Elemente des Ganzen in ihrer apperceptiven Bedeutung zu betrachten sein, ganz analog der gegenseitigen Herabsetzung der Klarheit seitens der Elemente eines","page":599},{"file":"p0600.txt","language":"de","ocr_de":"600\nWilhelm Wirth.\nextensiven Complexes. Die gr\u00f6\u00dfere Schwelle entspricht also hier bereits einem geringeren Grad der Beachtung, welcher sozusagen auf das einzelne \u00bbElement\u00ab des Ganzen trifft, wobei vorausgesetzt ist, dass ein Unterschiedsbewusstsein von bestimmter Klarheit und Sicherheit einem bestimmten Ma\u00df von Klarheit des unterscheidenden Merkmals oder des \u00bbUeberschusses\u00ab entspreche. Unser Urcomplex ist nun ein extensives Ganze, dessen Variation ebenfalls im Ganzen ein Unterschiedsbewusstsein bewirken soll und hierzu f\u00fcr die betreffende Variationsgr\u00f6\u00dfe unter Voraussetzung der constanten Aufmerksamkeits-vertheilung ebenfalls jenes bestimmte Ma\u00df an Klarheit bedarf. Die Zahl der \u00bbElemente\u00ab, welche nun hierf\u00fcr im Einzelnen an der variirten Stelle Zusammenwirken m\u00fcssen (gleichg\u00fcltig, ob sie that-s\u00e4chlich extensiv als Elemente bewusst sind, oder in einer Gesammt-intensit\u00e4t enthalten sind), bleibt nun nach der genannten Auffassung der Unterschiedsschwelle bei maximaler Beachtung offenbar bei allen Klarheitsgraden jenes variirten Einzelobjectes jener Zahl unter g\u00fcnstigsten Aufmerksamkeitsbedingungen einfach und direct proportional, so dass von diesem allgemeineren Gesichtspunkt aus jene einfache Division der Schwellenwerthe zur Gewinnung der Verh\u00e4ltnisszahl als Ausdruck des Klarheitsgrades ganz am Platze erscheint. Im Uebrigen k\u00f6nnte freilich erst das Experiment selbst in Zukunft die Frage dadurch entscheiden, dass eine solche Berechnungsweise f\u00fcr eine gleiche Concentration der Aufmerksamkeit auf verschieden differenzirte Complexe besonders verst\u00e4ndliche Werthe der Reihensummen erg\u00e4be.\n9) Vortheil einer gemeinsamen Variationsrichtung innerhalb des ganzen Complexes. Bei diesen genauesten Versuchen ist nat\u00fcrlich auch vorausgesetzt, dass die Bich tu ng der Ver\u00e4nderung bei den einzelnen Objecten nicht zweifelhaft ist, welche das endg\u00fcltige Verschiedenheitsurtheil zu st\u00e4nde kommen l\u00e4sst. Bei den einfachen phychophysischen Versuchen war diese Richtung ja ebenfalls sicher bekannt und war ein constantes Resultat mit den gefundenen Gr\u00f6\u00dfenwerthen nur m\u00f6glich, wenn der Beobachter wusste, dass er z. B. nur Helligkeitsver\u00e4nderungen, nicht aber etwa zugleich Gr\u00f6\u00dfenver\u00e4nderungen beurtheilen sollte. Zuf\u00e4llige oder absichtliche Ausdehnungsver\u00e4nderungen der hellen Objecte in solchen Gr\u00f6\u00dfen, in","page":600},{"file":"p0601.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung. 001\ndenen sie bei ausdr\u00fccklicher Beachtung dieser Variationsrichtung schon mit einem Verschiedenheitshewusstsein aufgefallen w\u00e4ren, h\u00e4tten bei entsprechender Concentration auf die Helligkeitsver\u00e4nderungen noch kein entsprechendes Vergleichsbewusstsein bewirkt. Man k\u00f6nnte ja die Unwissentlichkeit durchwegs auch auf die Richtung der jeweiligen Variation ausdehnen und durch einen entsprechenden Wechsel von Variationen z. B. nach Helligkeit, Form und Ausdehnung diese innere Einstellung aufrecht erhalten, selbst wenn man schlie\u00dflich nur in einer dieser Richtungen so viel Abstufungen der Ver\u00e4nderung darbieten w\u00fcrde, dass ein entsprechendes Pr\u00e4cisionsma\u00df zu gewinnen w\u00e4re. Ebenso lie\u00dfe sich auch der \u00bbreducirte\u00ab Werth durch die Anwendung des wissentlichen Verfahrens (vgl. S. 598) mit ausdr\u00fccklicher Beachtung eines Objectes und einer einzigen Ver\u00e4nderungsrichtung nacheinander f\u00fcr die verschiedenen Variationsrichtungen gewinnen. Offenbar entspr\u00e4che aber dieses ganze Verfahren einfach nur der Einf\u00fchrung neuer Concurrenzelemente in den simultanen Bewusstseinsumfang. Wie auch schon oben \u00f6fters erw\u00e4hnt wurde, besitzt ein einzelnes Vorstellungsobject ja keineswegs nur immer im Glanzen einen bestimmten Bewusstseinsgrad. Wenn wir dasselbe nach einer einzelnen Seite, z. B. ein Glesichtsobject auf seine Helligkeit hin betrachten, und von den anderen Seiten ab-strahiren, f\u00fcllt es unseren gesammten Aufmerksamkeitsumfang nat\u00fcrlich weniger aus, als wenn wir gleichzeitig die verschiedensten Seiten ins Auge fassen, gleichg\u00fcltig, wie man sich den psychologischen Vorgang der Abstraction im Einzelnen zurecht legt. Eine solche gleichm\u00e4\u00dfigere Betrachtung aller Seiten wird sich aber nat\u00fcrlich ganz von selbst einstellen, wenn die Richtung der Ver\u00e4nderung unbekannt ist, und deshalb zur Erzielung eines* Vergleichsurtheiles, das allen M\u00f6glichkeiten m\u00f6glichst gerecht werden soll, allerlei abstracte Seiten bei der Verarbeitung und allm\u00e4hlichen Beherrschung des Urcomplexes zugleich ins Auge gefasst werden m\u00fcssen. Die Unterschiedsschwelle f\u00fcr die Ver\u00e4nderung in einer von diesen voneinander relativ unabh\u00e4ngigen Richtungen wird damit nothwendig etwas steigen. Bei Ausschluss aller Richtungen bis auf eine einzige, z. B. die Helligkeitsver\u00e4nderung, wird hingegen das gesammte Einzelobject thats\u00e4ch-lich als ein einfachstes Element hinsichtlich seines Anspruches an die Aufmerksamkeit gerechnet werden k\u00f6nnen, h\u00f6chstens mit einer","page":601},{"file":"p0602.txt","language":"de","ocr_de":"602\nWilhelm Wirth.\nder Intensit\u00e4t entsprechenden Verh\u00e4ltnisszahl, gem\u00e4\u00df der psychologischen Deutung des Weber\u2019sehen Gesetzes \u00fcber die Abh\u00e4ngigkeit der Schwellen von der Quantit\u00e4t des Umfanges, welche in einer einheitlichen Empfindung absorbirt sein kann. Eine individuelle Charak-terisirung der Einzelobjecte wird dann am einfachsten ebenfalls durch die wechselnden Grade dieses einzig ver\u00e4nderten Merkmales in den verschiedenen Elementen gegeben, die als isolirte Einheiten zusammen (den bereits angedeuteten Grunds\u00e4tzen entsprechend) nat\u00fcrlich viel mehr Aufmerksamkeit beanspruchen als eine einzige Empfindung von einer ihrer Summe entsprechenden Intensit\u00e4t. Dann ist auch die urspr\u00fcngliche Verteilung viel einfacher zu \u00fcbersehen, und es sind leichter thats\u00e4chlich alle einigerma\u00dfen Aufmerksamkeit absorhirenden Glieder in der dem Umfange entsprechenden \u00bbGesammtreilie\u00ab zusammen zu bringen, als wenn man sich erst fragen muss, nach welcher verschiedenen Richtung ein Object thats\u00e4chlich Aufmerksamkeit absorbirt hat, was nat\u00fcrlich immer nur durch thats\u00e4chliche Bestimmung der Schwellen nach all diesen Richtungen festzustellen w\u00e4re. Es entspricht also einer vollkommeneren experimentellen Beherrschung der gesammten Ausf\u00fcllung des Bewusstseinsumfanges, wenn man die Richtung der Ver\u00e4nderung \u00fcberall constant h\u00e4lt und den Beobachter ein f\u00fcr alle Mal wissen l\u00e4sst. Es ist ja dann auch die Zahl der m\u00f6glichen Seiten, nach welchen das Object das gesammte Quantum absorbiren kann, vom Experiment abh\u00e4ngig, und diese unmittelbare Abh\u00e4ngigkeit m\u00f6glichst aller am Bewusstseinsumfang betheiligten Elemente ist ja schon oben als wesentliche Bedingung f\u00fcr ein umfassenderes Resultat dieser Umfangshestimmungen hervorgehoben worden.\n10) Contr\u00f4le der Constanz der Klarheitsvertheilung. Mit diesem Ueberblick \u00fcber eine constante Aufmerksamkeitsvertheilung, welcher durch die jeweils einfache unwissentliche Variation des Vergleichsobjects herbeigef\u00fchrt wird, ist ferner auch eine hinreichende Contr\u00f4le dieser Constanz in der gesammten Orientirung unseres Aufmerksamkeitsreliefs zu den Elementen des Wahrnehmungscomplexes gegeben. Niemals sind ja kleine unwillk\u00fcrliche Abweichungen des inneren Pixationspunkts von seiner idealen Lage oder hei Einhaltung der mittleren Haupt-Orientirung wenigstens kleine Schwankungen","page":602},{"file":"p0603.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung. 603\nder Bewusstseinsgrade, der Ausdehnung der Concentration u. s. w. v\u00f6llig ausgeschlossen. Die hierdurch entstandenen Verschiebungen der Bewusstseinsgrade m\u00fcssen aber dann nat\u00fcrlich auch f\u00fcr ein und die n\u00e4mlichen Ver\u00e4nderungen des momentan dargebotenen Vergleichsobjects ganz verschiedene Vergleichsurtheile bewirken, je nachdem die Aufmerksamkeit im Momente der Vergleichung gerade nach den Stellen der Variation hin gravitirt oder von ihr augenblicklich mehr abgewandt war. Eine gewisse Zahl von Versuchen mit jeder Variationsm\u00f6glichkeit, die nat\u00fcrlich m\u00f6glichst \u00fcber die ganze Zeit der Versuche mit ein und dem n\u00e4mlichen Urcomplex verstreut werden m\u00fcssen, kann aber nat\u00fcrlich trotz solcher kleiner Verschiebungen des Bewusstseins \u00fcberhaupt, bezw. der H\u00f6hepunkte des Reliefs innerhalb des gesammten dispositioneilen Blicksfelds, wie es durch den Reizcomplex dargeboten ist, schlie\u00dflich doch noch einen endg\u00fcltigen Schluss auf die mittlere Ausdehnung des gesammten Bewusstseins und seiner verschiedenen Klarheitsregionen gestatten. Uebrigens wird durch eine hinreichende Ein\u00fcbung die Gleichm\u00e4\u00dfigkeit einer bestimmten Auf-merksamkeitsvertheilung und insbesondere die Auswahl des richtigen Momentes f\u00fcr die Variation endlich ebenso sicher wie die f\u00fcr unsere Versuche ebenso nothwendige \u00e4u\u00dfere Fixation festgehalten werden k\u00f6nnen und kommen zuf\u00e4llige Abweichungen hiervon dem Beobachter dann so deutlich als Versuchsfehler zum Bewusstsein, dass man mit einer Elimination besonders irref\u00fchrender Abweichungen der Fixation durch R\u00fcckschl\u00fcsse aus einer gro\u00dfen H\u00e4ufung von Versuchen mit m\u00f6glichst \u00e4hnlichen Complexen und Variationen wenig Zeit zu verlieren braucht. Dennoch geht aus dieser ganzen Ueherlegung zur Gen\u00fcge hervor, dass f\u00fcr eine m\u00f6glichst vollst\u00e4ndige Analyse des Bewusstseinsumfanges nach der gesammten \u00bbQuantit\u00e4t\u00ab seiner Klarheitsgrade eine ziemlich gro\u00dfe Zahl von Versuchen nothwendig ist, falls man die verschiedenen Pr\u00e4cisionsma\u00dfe f\u00fcr eine gr\u00f6\u00dfere Ausf\u00fcllung mit hinreichender gegenseitiger Concurrenz feststellen will. Nat\u00fcrlich k\u00f6nnen die Hauptbeziehungen auch bei einer geringeren Anzahl von simultanen Einzelvorstellungen untersucht werden. Innerhalb eines reich differenzirten Complexes, der eine gewisse symmetrische Anordnung zu einem Haupt-Fixationspunkt der Aufmerksamkeit zeigt, gen\u00fcgt z. B. die Feststellung des Pr\u00e4cisionsma\u00dfes einiger weniger Vertreter der verschiedenen Lagen zu jenem Centrum der","page":603},{"file":"p0604.txt","language":"de","ocr_de":"604\nWilhelm Wirth.\naugenblicklichen Ooncentrationslage. Nur muss eben die Unwissent-lichkeit der hierzu ausgew\u00e4hlten Stellen durch eine m\u00f6glichst gleich h\u00e4ufige Variation aller Elemente des ganzen Complexes v\u00f6llig aufrecht erhalten werden, wenn auch nur f\u00fcr jene wenigen Stellen durch allm\u00e4hliche Abstufung der Variationsgr\u00f6\u00dfe die Unterschiedsschwelle genauer festgestellt wird. Denn nur bei dieser Ausdehnung der Erwartung einer Variation auf den gesammten Complex ist auch wirklich eine gr\u00f6\u00dfere Herabsetzung des Bewusstseinsgrades der Einzelelemente mit Steigerung der Anzahl der Elemente m\u00f6glich. Bei Einschr\u00e4nkung der Erwartung auf einige wenige Stellen werden hingegen die unver\u00e4ndert bleibenden Elemente gem\u00e4\u00df der allgemeinen Vorbereitung des Beobachters allm\u00e4hlich ganz von selbst eine vom \u00bbHintergrund\u00ab nicht mehr viel verschiedene Stelle innerhalb des Urcomplexes spielen.\n11) Die Ableitung qualitativ analoger Unterschiedsschwellen in der bisherigen Psychophysik \u2014 Ver\u00e4nderungsschwellen. In den bisherigen Darlegungen konnte noch in keiner Weise eine genauere Angleichung an die bisherigen Methoden der Psychophysik im Einzelnen vorgenommen werden, da vor Allem noch keine bestimmten qualitativen Verh\u00e4ltnisse eingef\u00fchrt wurden und die Auswahl derselben f\u00fcr diese allgemeinste Fragestellung \u00fcberhaupt erst noch von einer l\u00e4ngeren experimentellen Erfahrung in dieser ganz speciellen Bichtung abh\u00e4ngig sein wird. Jedenfalls ist aber schon in rein formaler Hinsicht so viel gewiss, dass sich diese Angleichung nur auf diejenigen Feststellungen der Unterschiedsschwelle beziehen k\u00f6nnte, bei welchen die zu unterscheidenden Inhalte in der n\u00e4mlichen Weise, insbesondere in derselben zeitlichen Beziehung zu einander dargeboten wurden, wie es hier geschieht. Bei den Versuchen mit beliebig wiederholter tachistoskopischer Exposition des ersten Complexes und einmaliger des zweiten in bestimmten Zwischenpausen ist es das n\u00e4mliche Verh\u00e4ltnis wie bei der successiven, zeitlich deutlich unterschiedenen Darbietung der beiden zu vergleichenden Einzelobjecte, die in der Psychophysik aller Sinnesgebiete, abgesehen vom Gesichtssinn, schon immer zur Anwendung kam, nur beim Gesichtssinn wird wegen der Adaptationsver\u00e4nderungen durch das erste Object eine Succession an der gleichen Stelle vermieden, sobald es sich","page":604},{"file":"p0605.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung. 605\num eine Variation der Helligkeits- und Farbenverh\u00e4ltnisse handelt. Da es indessen bei unserer Methode nicht etwa auf die absolute Gr\u00f6\u00dfe der Unterschiedsschwellen in Einheiten der variirten Gr\u00f6\u00dfe, sondern nur auf die angegebenen Verh\u00e4ltnisswerthe ankommt, deren Z\u00e4hler und Nenner beide Male unter den n\u00e4mlichen optischen und peripher-physiologischen Bedingungen abgeleitet sind, so kommt dieser Adaptationsfactor wenigstens hier kaum als wesentlicher Versuchsfehler in Betracht. Die ideale Form bei einer successiven Darbietung der Vergleichsobjecte ist aber, wie schon gesagt, die tachisto-skopische Variation eines continuirlich dargebotenen Urcomplexes, und somit haben wir es bei den entsprechenden Versuchen, f\u00fcr welche unten wenigstens noch die n\u00e4heren technischen Einzelheiten besprochen werden sollen1), mit Unterschiedsschwellen bei Ver\u00e4nderungsauffassungen zu thun. Die Ableitung solcher \u00bbVer\u00e4nderungsschwellen\u00ab und zwar auch f\u00fcr Helligkeitsempfindungen, ist zum ersten Male von W. Stern versucht worden2). Dabei handelt es sich zwar im allgemeinen um eine endliche Dauer des Verlaufes der aufzufassenden Variation, doch wurde auch untersucht, innerhalb welcher Grenzen eine momentan erfolgende Helligkeitsver\u00e4nderung vor sich gehen m\u00fcsse, um merklich zu sein3 * S. *). Auch dieser Vorgang ist ja zwar noch nicht mit unserer tachistoskopischen Variation identisch, da bei Stern die pl\u00f6tzlich eingetretene neue Helligkeit fernerhin constant blieb. Es liegt im Wesen unserer Methode, dass die Ver\u00e4nderung den Urcomplex \u00fcberhaupt nur f\u00fcr einen Moment von seiner con-stanten und hinreichend bekannten und innerlich beherrschten Qualit\u00e4t verschieden sein l\u00e4sst, und wird der weitere Verlauf nach dieser Variation erst weiter unten noch von anderen Gesichtspunkten zu betrachten sein (S. 4, 14), welche die absolute Gr\u00f6\u00dfe ver\u00e4ndern k\u00f6nnen, die zur Merklichkeit unter diesen besonderen Umst\u00e4nden nothwendig ist. Dennoch \\\\7ird sich so viel im Voraus sagen lassen, dass die allgemeinen psychologischen Verh\u00e4ltnisse dadurch nicht principiell ver\u00e4ndert werden, aus denen oben die Deutung des\n1)\tVgl. 6, 7.\n2)\tW. Stern, Die Wahrnehmung von Hell.-Ver. Zeitsohr. f. Psychol. VII,\nS. 249, und \u00bbPsychologie der Ver\u00e4nderungsauffassung\u00ab. Breslau 1898.\n3)\tWilliam Stern, Zeitschr. f\u00fcr Psychologie und Physiol, d. Sinnesorgane\n7, S. 255.","page":605},{"file":"p0606.txt","language":"de","ocr_de":"606\nWilhelm Wirth.\nVerh\u00e4ltnisses der Unterschieds-, bezw. Ver\u00e4nderungsschwelle bei verschiedenen Bewusstseinsgraden abgeleitet wurde. Diese ist ja nur davon abh\u00e4ngig, dass die Gr\u00f6\u00dfe der eben merklichen momentanen Ver\u00e4nderung als solche bei ihrer einfachen Behandlung nach der alten psychophysischen Methode, die sich zun\u00e4chst nur auf eine einzige bestimmte Vergleichung bezieht, dem Web er\u2019sehen Gesetze hinreichend Folge leistet, und gerade dies ist ja bereits in den Stern-schen Resultaten zur Gen\u00fcge zum Ausdruck gekommen. Die besondere Differenz zwischen der Region des directen und des indirecten Sehens, wonach in letzterer sogar eine feinere \u00bb Ver\u00e4nderungsempfindlichkeit\u00ab besteht, wird nat\u00fcrlich nicht etwa die Herabsetzung der Bewusstseinsgrade innerhalb der Peripherie bei gleich intensiver Concentration auf die Mitte compensiren. Sie ver\u00e4ndert ja nur die absoluten Gr\u00f6\u00dfen der zur Merklichkeit nothwendigen Ver\u00e4nderung und compensirt dadurch allerdings f\u00fcr gleiche absolute Ver\u00e4nderungen einigerma\u00dfen den praktischen Nachtheil, der aus der gew\u00f6hnlichen Klarheitsvertheilung entspringt. F\u00fcr die bei unserer Methode allein in Betracht kommenden Verh\u00e4ltnis wer the werden aber auch diese Unterschiede aus dem Gesammtwerth der gesuchten Reihe herausfallen.\nSchlie\u00dflich wird auch noch die qualitative Besonderheit des ganzen Vorganges der Ver\u00e4nderung f\u00fcr unsere Ueberlegung zu ber\u00fccksichtigen sein, die auch von Stern mit Recht hervorgehoben wird, und die besonders bei der instantanen Variation hin und zur\u00fcck an einer bestimmten Stelle des continuirlich fortbestehenden Gesammtcomplexes recht deutlich an den Vorgang einer \u00bbBewegung am Ort\u00ab erinnert, selbst wenn die momentane Helligkeitsver\u00e4nderung auf der ganzen variirten Stelle noch so simultan erfolgt, wie es bei dem unten beschriebenen Apparat sicher m\u00f6glich ist. Man k\u00f6nnte nun glauben, dass eine einzige solche tachistoskopische Ver\u00e4nderung, auf deren Feststellung es ja nach unserer Methode allein ankommt, nachdem sie in ihrem Wesen als Ver\u00e4nderungsqualit\u00e4t \u00fcberhaupt einmal durch einige \u00fcbermerkliche Ver\u00e4nderungen bekannt geworden sei, weiterhin nun ohne besondere Beachtung der Einzelheiten des Urcomplexes an jeder beliebigen Stelle noch viel leichter und sicherer aufgefasst werden k\u00f6nne, als ein einzelner schwarzer Strich auf einem tachistoskopisch dargebotenem gleichf\u00f6rmigem Felde sicher aufgefasst werde. Denn","page":606},{"file":"p0607.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung. 607\nim Falle der tachistoskopischen Variation eines vorher continuirlich vorhandenen Feldes sei ja nicht einmal das Feld im Ganzen momentan neu dargehoten, so dass es also doch keiner Orientirung mehr bed\u00fcrfe, ohne die eine besondere nicht zu auff\u00e4llige Marke leicht \u00fcbersehen werden kann. Damit w\u00fcrde indessen von vorne herein eine Erfahrung bei weit \u00fcbermerklichen Ver\u00e4nderungsgr\u00f6\u00dfen f\u00e4lschlich auf unser Gebiet \u00fcbertragen. Zun\u00e4chst ist nat\u00fcrlich auch schon die Feststellung eines einzelnen momentan auftauchenden Gegenstandes, der auf einem gleichf\u00f6rmigen vorher beliebig lange betrachteten Felde auftritt, hei entsprechender Herabsetzung seiner Abhebung vom Hintergr\u00fcnde eine beliebig zu erschwerende Sache. Wenn man also wirklich f\u00fcr das ganze Feld gutstehen soll und im Voraus absolut im Unklaren dar\u00fcber ist, wo die tachistoskopische Ver\u00e4nderung auftreten soll, wird man also f\u00fcr die verschiedenen Stellen je nach der Gr\u00f6\u00dfe des zu \u00fcberblickenden Feldes voraussichtlich verschiedene Ver\u00e4nderungsschwellen erhalten, im Vergleich zu der ebenso momentanen Variation mit Wissen des Beobachters, an welcher Stelle variirt wird, wie es eben hei den einfachen psychophysischen Versuchen immer der Fall war. Damit w\u00fcrden aber nat\u00fcrlich nur die besonderen Verh\u00e4ltnisse der Aufmerksamkeitsvertheilung und die besondere Abh\u00e4ngigkeit der Absorption des gesammten Klarheitsumfanges festgestellt, die rein durch die r\u00e4umliche Ausdehnung der simultan zu beherrschenden Fl\u00e4che als solche, also durch ein Ganzes aus lauter ann\u00e4hernd gleichwerthigen Einzelelementen, bestimmt ist und nicht etwa einer einfach proportionalen, sondern viel geringeren Zunahme der Absorption unserer Aufmerksamkeit mit Zunahme der Fl\u00e4che entspricht1 *). Eine complicirtere Ausf\u00fcllung des Sehfeldes mit charakteristischen Einzelqualit\u00e4ten wird indessen auch die Schwelle der \u00bbVer\u00e4nderungsqualit\u00e4t\u00ab entsprechend erh\u00f6hen, falls die Ver\u00e4nderung wirklich f\u00fcr jede charakteristische Einzelqualit\u00e4t gleich sicher erwartet werden muss. Denn das4 Bewusstsein der Ver\u00e4nderung (das man ebenso wie jeden Inhalt eine Qualit\u00e4t nennen kann, wenn man die eigentlich nothwendige Sch\u00e4rfe der Bezeichnungen momentan au\u00dfer Acht lassen will) ist ganz allgemein ebenso wenig wie die\n1) Ygl. auch Th. Lipps, Die Quantit\u00e4t in physischen Gresammtvorg\u00e4ngen.\nA. a. 0. S. 418.","page":607},{"file":"p0608.txt","language":"de","ocr_de":"608\nWilhelm Wirth.\nspecielle Ver\u00e4nderungsVorstellung der Bewegung ein letztes Bewusstseinselement, das eine selbst\u00e4ndige Wirksamkeit bes\u00e4\u00dfe, abgesehen von dem Dasein der variirten Einzelqualit\u00e4ten im gew\u00f6hnlichen pr\u00e4ciseren Sinne des Wortes. Der Bewusstseinsgrad der Ver\u00e4nderung h\u00e4ngt von demjenigen der Qualit\u00e4ten ab, an denen er sich vollzieht, und wenn zahlreiche charakteristisch verschiedene Einzelelemente auf ihre Ver\u00e4nderung hin zu betrachten sind, so dass dem einzelnen Element weniger Klarheit zukommt, so wird auch diese besondere Ver\u00e4nderungsqualit\u00e4t den geringeren Bewusstseinsgrad ihrer integrirenden Elemente theilen. Wenn man also das Eigenartige des ganzen Vorganges als \u00bbVer\u00e4nderungsqualit\u00e4t\u00ab noch so genau kennen gelernt hat, so wird dieses trotzdem niemals ohne jede B\u00fccksicht auf die sonstige Vorstellungsconcurrenz der ruhenden Qualit\u00e4ten hervortreten, weil das klare Bewusstsein der Ver\u00e4nderung, auf das es hier allein ankommt, unter Voraussetzung einer bestimmten Gr\u00f6\u00dfe der Ver\u00e4nderung nur bei einem bestimmten Klarheitsgrad der variirten Stelle bei der Ver\u00e4nderung m\u00f6glich ist. Das Bewusstsein der Ver\u00e4nderung besteht eben mit allen seinen Eigent\u00fcmlichkeiten kurz gesagt nur auf der Basis der entsprechenden Eigenth\u00fcmlichkeiten des Bewusstseins der Endpunkte der Variation (bei momentaner Ver\u00e4nderung). Es ist in diesem Sinne, wie Meinong1) sagt, eine \u00bbVorstellung h\u00f6herer Ordnung\u00ab. Somit unterscheidet es sich nicht von dem Vergleichsbewusstsein im allgemeinen und kann alles dort Gesagte auf dasselbe angewendet werden. Insbesondere ist die besondere Verschiebung der Aufmerksamkeit nach der ver\u00e4nderten Stelle hin ebenfalls nur ein Specialfall der bei jedem einfachen Verschiedenheitsbewusstsein gegebenen Verschiebung, auf die im n\u00e4chsten Absatz noch genauer einzugehen ist. Schlie\u00dflich ist es vielleicht nicht ganz unn\u00f6thig, darauf hinzuweisen, dass auch in dieser Frage ein Zur\u00fcckgreifen auf secund\u00e4re H\u00fclfsmittel der Ver\u00e4nderungsauffassung, wie Empfindungen pl\u00f6tzlicher Pupillenver\u00e4nderung u. s. w. niemals als Gegeninstanz gegen die Erwartung einer Aeu\u00dferung der Bewusstseinsfrage in dem angegebenen Sinne vorgebracht werden kann. Falls wirklich wie hier nicht blo\u00df ein einziges Object, z. B. mit einer einzigen Helligkeit, in Frage kommt, sondern ein gr\u00f6\u00dferer Complex,\n1) Ygl. Meinong a. a. 0.","page":608},{"file":"p0609.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung.\n609\nder ohnehin eine \u00bbmittlere\u00ab Adaptationslage herbeif\u00fchrt, wird eine einseitige Variation wenigstens nicht fr\u00fcher einen f\u00fchlbaren Ausschlag in jenen Accomodationsreagentien hervorbringen k\u00f6nnen, als er auch an sich im Vergleichsbewusstsein zur Geltung gekommen ist.\n12) Der Mechanismus des klaren Hervortretens der vari-irten Stelle bei Ueberschreitung der Schwelle (\u00bbpsychische Stauung\u00ab). \u2014 Unn\u00f6thigkeit einer mehrfachen Variation des Objectes. Es wurde nun oben noch vor der Darlegung der zweckentsprechenden Gestaltung des Vergleichsobjectes besonderer Werth auf die constante Vertheilung der Aufmerksamkeit, bezw. der Klarheitsgrade innerhalb des ganzen Complexes gelegt. Nur dadurch, so hie\u00df es, k\u00f6nne wirklich eine simultane Gesammtlage ermittelt werden, wie es f\u00fcr die Analyse einer Gesetzm\u00e4\u00dfigkeit \u00fcber eine Wechselwirkung simultaner Bewusstseinsinhalte noth wendig ist. Eben deshalb musste ja au\u00dfer der Vorbereitung eines ruhigen Ueberblickes \u00fcber den Urcomplex auch noch eine momentane Darbietung des Vergleichsobjectes angestrebt werden. Solange nun dieses Vergleichsobject selbst in allen seinen Theilen dem Urcomplex objectiv gleich oder nur ganz untermerklich von ihm verschieden ist, wird auch w\u00e4hrend des Vergleiches selbst nicht nothwendig eine wesentliche Ver\u00e4nderung des gesammten Klarheitsreliefs erfolgen. Sobald jedoch an irgend einer Stelle die Verschiedenheit, bezw. die momentane Ver\u00e4nderung auff\u00e4llig wird, so ist damit jedenfalls eine vollst\u00e4ndige Umwandlung der Aufmerksamkeitsvertheilung, und zwar im Allgemeinen eine besondere Beachtung der variirten Stelle eingetreten, und zur Verhinderung einer missverst\u00e4ndlichen Auslegung dieser Erscheinung als eines Widerspruchs gegen die ganze Methode will ich noch kurz hierauf eingehen. Zur sicheren Bestimmung der wichtigen Unterschiedsschwelle ist also gerade ein klares und sicheres Verschiedenheitsbewusstsein nothwendig, welches auf einen mehr oder weniger bestimmten Theil des gesammten Urcom-plexes und nicht vielleicht auf einen nicht n\u00e4her qualificirbaren Theil des Gesammtbewusstseins \u00fcberhaupt bezogen ist. Derartige auf einen ganz unklaren Inhalt bezogene Urtheile, sogar ohne n\u00e4heres Bewusstsein, ob diese Verschiedenheit innerhalb oder au\u00dferhalb des zu beurtheilenden Complexes stattfand, werden ja z. B. auch oft bei\nWundt, Philos. Studien. XX.\t39","page":609},{"file":"p0610.txt","language":"de","ocr_de":"610\nWilhelm Wirth.\nzuf\u00e4lligen (nicht einmal nothwendig optischen) st\u00f6renden Begleitwahrnehmungen hei der tachistoskopischen Darbietung des Vergleichsobjectes angegeben, die mit der Variation des Vergleichsobjectes nichts zu thun haben. Ein exactes vergleichbares Ma\u00df der Wirkung, die als Bestimmung der Unterschiedsschwelle dienen soll, besteht also nur dann, wenn nur ein ebenso klares Hervortreten der variirten Stelle als directe Folge der Variation als Kriterium des gesuchten Schwellen-werthes zugelassen wird, wie es auch hei den gew\u00f6hnlichen Schwellenbestimmungen der Fall ist. Die Klarheit der Ver\u00e4nderung selbst ist dabei, wie schon gelegentlich erw\u00e4hnt, deshalb besonders hervorzuheben, weil auch \u00f6fters durch wenig untermerkliche Variationen nachtr\u00e4glich die volle Aufmerksamkeit auf die Stelle hingezogen wird, ohne dass der Klarheitsgrad der Ver\u00e4nderung im unmittelbaren Erleben dazu ausreichte, als Erkenntniss einer Variation der Stelle festgehalten zu werden. F\u00fcr die einzige Variation, welche nach der oben skizzirten Methode vorgenommen wird, sind also ganz die n\u00e4mlichen Bedingungen zu erf\u00fcllen, wie fr\u00fcher bei der einfachen Methode der directen Wiedergabe nach einer tachistoskopischen Exposition. Diese Variation muss ebenfalls \u00bbmaximale\u00ab Klarheit in jenem dort n\u00e4her bezeichneten Sinne erlangen, um als Verschiedenheit sicher gemerkt und wiedergegehen zu werden, wenn auch hier im Unterschiede von der dortigen Methode hinterdrein nichts \u00fcber die einzelnen Elemente des Urcomplexes im Ganzen ausgesagt zu werden braucht. Diese pl\u00f6tzlich eintretende, v\u00f6llig andere Vertheilung der Klarheitsverh\u00e4ltnisse, die in diesem Falle besonders dann eine besonders eingreifende Verschiebung bedeutet, wenn eine zun\u00e4chst sehr wenig beachtete Stelle durch eine entsprechend gro\u00dfe Variation sozusagen hervorspringt, \u00e4ndert aber nat\u00fcrlich deshalb nichts an allen bisherigen Ausf\u00fchrungen, weil sie eben erst die zeitliche Folge der vorhergehenden Configuration der Bewusstseinsgrade ausmacht. Die Gr\u00f6\u00dfe der inhaltlichen Ver\u00e4nderung, welche f\u00fcr dieses Auf steigen der Stelle zu maximaler Klarheit nothwendig ist, wird sich, wie schon \u00f6fters erw\u00e4hnt, von der urspr\u00fcnglichen und bei jedem Versuch zun\u00e4chst constanten Aufmerksamkeitsvertheilung abh\u00e4ngig erweisen und ist gerade deshalb als das brauchbarste indirecte Ma\u00df f\u00fcr diese urspr\u00fcngliche Vertheilung anzusehen. Der ganze Process ist bekanntlich ein","page":610},{"file":"p0611.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung. 611\nganz allgemeines und sehr interessantes Problem der psychologischen \u00bbMechanik\u00ab. Wo nur immer Einzelvorstellungen wegen ihrer urspr\u00fcnglichen inhaltlichen Gleichartigkeit innerhalb eines Complexes, oder wegen ihrer associativen Einf\u00fcgung in ein allt\u00e4glich gewohntes Ganze nicht selbst\u00e4ndig unter Vernachl\u00e4ssigung der anderen Inhalte-maximal beachtet werden, sondern nur innerhalb des Ganzen mit einem entsprechend geringeren Antheil an dem gesammten Bewusstseinsumfang, da wird eine entsprechende Ver\u00e4nderung irgend eines einzelnen dieser zun\u00e4chst relativ gleichm\u00e4\u00dfig beachteten Inhalte unsere Aufmerksamkeit auf denselben sammeln und die anderen vorl\u00e4ufig um so mehr zur\u00fccktreten lassen. F\u00fcr eine genauere Analyse dieses Vorganges verweise ich vor allem auf die mehrfachen eingehenden Darlegungen von Th. Lipps, der den ganzen Process bekanntlich in einem Bilde, das den gesammten Bewusstseinsumfang mit dem Wasserstande eines Stromes vergleicht, als \u00bbpsychische Stauung\u00ab bezeichnet und insbesondere in seinem Verh\u00e4ltniss zu jenen entgegengesetzten Ausgleichungs- und Gew\u00f6hnungswirkungen untersucht hat.*) Es ist also diese ganze Vergleichsmethode geradezu als eine systematische Verwerthung der sogenannten \u00bbpsychischen Stauung\u00ab zu betrachten, wie auch andererseits in der allm\u00e4hlichen Ausbildung einer relativ ruhigen und constanten Aufmerksamkeitsvertheilung im Urcomplex vor der Vergleichung die nivellirenden Einfl\u00fcsse der Ausgleichung und Gew\u00f6hnung nicht zu verkennen sind.\nMit der gleichzeitigen Herahminderung der Klarheit der \u00fcbrigen, nicht variirten Einzelelemente enth\u00e4lt das sichere Urtheil der Verschiedenheit nat\u00fcrlich ein solches Bewusstsein thats\u00e4chlich nur in dieser bestimmten Hinsicht. Man ist sich also bei der unmittelbaren Wiedergabe dieses Urtheiles nicht bewusst, ob noch irgend wo anders ebenfalls eine \u00e4hnliche Verschiedenheit stattgefunden hat. Damit kommen wir also nur auf die n\u00e4mlichen Betrachtungen zur\u00fcck, wie hei der tachistoskopischen Methode nach dem fr\u00fcheren einfachen Princip. Denn auch hier wird mit einer momentanen St\u00f6rung und Nothwendigkeit einer schnellen Neuorganisation\n1) Insbesondere \u00bbG-rundtbatsachen des Seelenlebens\u00ab, S. 335, 377 u. a. m., sowie \u00bbKomik und Humor\u00ab S. 70 ff.\n39*","page":611},{"file":"p0612.txt","language":"de","ocr_de":"612\nWilhelm Wirth.\nin der kurzen Zeit der Ueberblick nur theilweise erreicht werden. Nur ist nat\u00fcrlich die Lage hier im allgemeinen viel complicirter. Denn erstens braucht die Vorbereitung des Beobachters vor der tachistoskopischen Darbietung nicht einfach in dem Ueberblick \u00fcber \u2022eine gleichfarbige Fl\u00e4che zu bestehen, sondern kann vielseitig besch\u00e4ftigt sein. Die Aufmerksamkeit ist also dann im Uebrigen bereits hinreichend absorbirt und steht nicht allen Neuerungen sozusagen beliebig zur Verf\u00fcgung. Zweitens wird aber auch dann, wenn eine eben merkliche Ver\u00e4nderung an verschiedenen Stellen auf einer zun\u00e4chst v\u00f6llig gleichm\u00e4\u00dfigen Fl\u00e4che vorgenommen wird, eine viel ung\u00fcnstigere Bedingung f\u00fcr die Auffassung mehrerer solcher Ver\u00e4nderungen gegeben sein, weil jede einzelne Variation die zu ihrer Feststellung nothwendige maximale Klarheit sich nur viel schwerer, d. h. eben maximal schwer, erobern kann, w\u00e4hrend dort die weit \u00fcbermerklichen Unterschiede wie aufgesetzte Buchstaben, Figuren u. s. w. dies nicht nothwendig haben. Dabei wird nat\u00fcrlich der Umfang, in welchem gleichzeitig das Verh\u00e4ltniss mehrerer Einzelelemente des ganzen Complexes zum Vergleichsobjecte beurtheilt werden kann, zugleich in hohem Grade von der zeitlichen Stellung der Vergleichs-ohjecte abh\u00e4ngig sein und bei dem continuirlichen Uebergang weiter reichen als bei einer gewissen Zwischenzeit. (Vgl. 4, 5). Wenn nat\u00fcrlich die Versuchsperson ein- f\u00fcr allemal weiss, dass nur eine einzige Variation stattfindet, so ist die Lage bedeutend vereinfacht. Denn in diesem Falle wird einer einmal aufgetauchten Verschiedenheit in keiner Weise durch Zweifel und Fragen Concurrenz gemacht, was sonst noch im ganzen Complex vorgekommen ist. Und nachdem die Erkenntniss einer einfachen Variation ohne Vorherwissen der Stelle zur L\u00f6sung unserer Aufgabe hinreicht, w\u00fcrden somit mehrfache Variationen sogar als blo\u00dfe Vexirversuche zur Erzielung einer Unwissentlichkeit nach dieser Richtung nur st\u00f6rend wirken. Besondere Versuche aber, die ausdr\u00fccklich solche auf gr\u00f6\u00dfere Strecken bezogene Vergleichsurtheile nach dieser Methode anstreben, entspr\u00e4chen einer ganz secund\u00e4ren Fragestellung, deren Beantwortung im Wesentlichen von der L\u00f6sung der ersteren allgemeineren abh\u00e4ngig erscheint.\n13) Bedeutung einer Wiederholung des Urcomplexes nach Darbietung des Vergleichscomplexes. Eine besondere","page":612},{"file":"p0613.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung. 613\nUeberlegung, die zur Frage der g\u00fcnstigsten zeitlichen Beziehung der beiden Vergleichsobjecte in einer gewissen Beziehung steht, aber doch schon die Ausf\u00fchrungen \u00fcber den gesammten Vorgang voraussetzt, soll hier noch ihre Stelle finden: die Frage n\u00e4mlich, ob die Er-kenntniss der gesammten Klarheitsvertheilung im Urcomplexe, so wie sie eben durch die Vergleichsmethode indirect festgestellt werden soll, nicht auch noch dadurch vermehrt werden k\u00f6nnte, dass man nach der tachistoskopischen Vergleichsexposition (mit ihrer entsprechend markirten Abhebung) wider den alten Urcomplex ruhig fortbestehen, bezw. die tachistoskopischen Wiederholungen desselben fortsetzen l\u00e4sst. Es ist offenbar nicht zu bestreiten, dass eine solche Einschiebung des Vergleichsobjectes mit der M\u00f6glichkeit, dasselbe sozusagen nach beiden Seiten hin zu vergleichen, nicht nur eine Aufhebung gewisser Fehler der Zeitlage, sondern eine Beg\u00fcnstigung einer Auffassung der qualitativen Beziehung in sich schlie\u00dft. Denn sobald die tachistoskopische Exposition des Vergleichsobjectes den ganzen Process abschlie\u00dft, etwa durch darauffolgende B\u00fcckkehr zu einer gleichfarbigen, unterschiedslosen Fl\u00e4che, wird nur die Erinnerung an den Urcomplex der Wahrnehmung des Vergleichsobjectes gegen\u00fcbertreten, es wird aber nicht mehr auch noch die Erinnerung an das Letztere erneut an die Wahrnehmung des Urcomplexes angeglichen. Es ist aber nat\u00fcrlich die Frage, ob diese \u00bbBeg\u00fcnstigung\u00ab eines Vergleichs-urtheiles, welche das Vergleichsurtheil \u00fcber die qualitativen Vorstellungsverh\u00e4ltnisse der beiden Complexe erleichtert, nicht mit einer gleichzeitigen Verf\u00e4lschung der Antwort auf unsere Umfangsfrage erkauft ist, indem sie verschiedene Klarheitsvertheilungen beim Vergleiche zur Geltung kommen l\u00e4sst. W\u00e4ren beliebige Verschiebungen der Aufmerksamkeit im Spiel, so w\u00fcrde sie nat\u00fcrlich nur eine Aufhebung des Vortheiles der tachistoskopischen Exposition des Vergleichsobjectes bedeuten, die ja eben gerade nur eine einzige Klarheitsvertheilung ausscheiden lassen soll, n\u00e4mlich gerade diejenige im Momente des Uebergangs vom Urcomplexe auf die Momentwahrnehmung. Da eine Verl\u00e4ngerung des ganzen Vergleichsprocesses immer eine gewisse Gefahr nach Seite der Aufmerksamkeitswanderung in sich schlie\u00dft, ist nat\u00fcrlich der ganzen Sache mit gro\u00dfer Vorsicht zu begegnen. Dennoch muss sie bei der Wichtigkeit einer jeden Steigerung der Leistungsf\u00e4higkeit des Vergleichsurtheiles f\u00fcr ein und die n\u00e4mliche Klarheits-","page":613},{"file":"p0614.txt","language":"de","ocr_de":"614\nWilhelm Wirth.\nvertheilung zum mindesten versucht werden. Bei den fr\u00fcheren Anwendungen der einfachen psychophysischen Methoden kam ja diese ganze Frage desshalb wenig in Betracht, weil es sich stets nur um die maximale Aufmerksamkeit handelte, aber nicht um bestimmte Vertheilungen. Zu Ungunsten einer Wiederholung des Urcomplexes spricht vor allem die im letzten Absatz ausf\u00fchrlich besprochene That-sache, dass innerhalb des Augenblickes der Vergleichsexposition gerade durch die Variation des Vergleichsobjectes eine Verschiebung der Aufmerksamkeit nach dieser Stelle hin stattfindet. Dies ist ja eben ein integrirendes Moment in dem f\u00fcr uns nothwendigen sicheren Verschiedenheitsbewusstsein. Eine R\u00fcckkehr zum Urcom-plexe wird dann nat\u00fcrlich ganz anders betrachtet werden als am Anfang. Die Aufmerksamkeit wird auch hier auf die variirte Stelle concentr\u00e2t sein, und damit schlie\u00dft also das zweite Stadium des Vergleichsprocesses gerade jene gef\u00e4hrliche und f\u00e4lschende Wanderung in sich. Nun ist aber ja nach allem Bisherigen hei dieser Methode immer nur eine einzige Variation vorhanden; die dadurch bedingte Ver\u00e4nderung der Aufmerksamkeitsvertheilung ist somit zun\u00e4chst f\u00fcr s\u00e4mmtliche Einzelversuche eine hinreichend vergleichbare und wohl auch in ihrem positiven Erfolg, der bereits im ersten Vergleichsstadium erlangten Beachtung der Verschiedenheit, gen\u00fcgend proportional. Ueberall angewendet, w\u00fcrde also diese doppelseitige Vergleichung keine Ver\u00e4nderung des gegenseitigen Verh\u00e4ltnisses der Klarheitswerthe ergeben, und die Gesammtsumme erschiene sozusagen nur in feineren Einheiten wiedergegeben. Dabei muss man noch ber\u00fccksichtigen, dass die Klarheitsvertheilung jener Proportionalit\u00e4t entsprechend doch eigentlich nur dann eine wesentlich andere ist, wenn die Verschiedenheit beim ersten Male hinreichend aufgefallen ist, um vom Beobachter registrirt zu werden. Sie ist also am gr\u00f6\u00dften und zugleich am eindeutigsten, wenn das f\u00fcr die Schwellenbestimmung geforderte Vollma\u00df der Klarheit und Sicherheit bereits das erste Mal vorhanden war. Die zweite Vergleichung dient in diesem Falle \u00fcberhaupt nur zur Sicherung, indem sie sozusagen die n\u00e4mliche Exactheit mit einer gewissen Erleichterung des Beobachters erreichen l\u00e4sst. Insbesondere gewinnt dadurch das Gleichheitsbewusstsein, wie es sich bei sicher untermerklichen Ver\u00e4nderungen einstellt, noch ganz besonders an einer leicht merkbaren Charakterisirung,","page":614},{"file":"p0615.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung.\n615\ndie dem Beobachter nach entscheidendem Versuch eine Erleichterung gew\u00e4hrt, in dem Bewusstsein der absoluten Oontinuit\u00e4t, \u00bbals ob nichts vorgefallen w\u00e4re\u00ab. Doch wird nun bei tachistosko-pischer Wiederholung, also zeitlicher Trennung, nicht einmal eine besondere Herabsetzung desjenigen Klarheitsminimums ein-treten, bei dem noch eine gewisse Variation erkannt werden kann. Damit ist also sogar eine besondere Ver\u00e4nderung des Ma\u00df stabes f\u00fcr den gesammten Klarheitsumfang ausgeschlossen. Denn jene Verbesserung der Vergleichsbedingungen durch nochmaliges Heranr\u00fccken des Urcomplexes wird doch zugleich die Vorstellung des tachisto-skopischen Vergleichsobjectes wieder etwas in ihrer Position sch\u00e4digen. Ein sofortiges Einspringen des alten Bestandes wird ja zun\u00e4chst die selbst\u00e4ndige Fortdauer der Vergleichsvorstellung \u00e4hnlich st\u00f6ren, wie auf peripher-physiologischem Gebiet eine der tachisto-skopischen Exposition unmittelbar folgende Lichterregung die Buchstabenformen viel schneller ausl\u00f6scht. Damit ist zugleich eine Herabminderung der Chancen f\u00fcr die Wechselwirkung der Vergleichsvorstellungen \u00fcberhaupt gegeben. Das nur tachistoskopisch dargebotene Vergleichsobject wird sozusagen gehindert, seine sonstigen Nachtheile in seinem Dasein als Wahrnehmung bis zu einem gewissen Grade dadurch auszugleichen, dass es in seiner centralen Nachdauer als Vorstellung freier zur Geltung kommt. Ebenso, wie man aber nun auf peripherem Gebiet durch entsprechende Adaptation die Em-pfindungsnachdauer so weit einschr\u00e4nkt, als sich \u00fcberhaupt noch exact unterscheidbare Linien ergeben, wird man allerdings auch hier in der \u00bbAusl\u00f6schung\u00ab durch die folgende Vorstellung unter Umst\u00e4nden keinen Nachtheil zu sehen haben. Es wird sich dann manchmal zwar auch noch ein \u00bbirregul\u00e4rer\u00ab Einfluss der Variation des Vergleichsobjectes geltend machen, indem die entsprechende Stelle des Urcomplexes bei seiner Wiederkehr auff\u00e4llt, indessen ist diese \u00bbAuff\u00e4lligkeit\u00ab als unmittelbare Gef\u00fchlswirkung der psychischen Stauung von einem Bewusstsein der Verschiedenheit des vorhergehenden Vergleichsobjectes leicht zu unterscheiden. Es sind dies also nur Uebergangsf\u00e4lle, die den unsicheren Vergleichsurtheilen ohne Wiederholung des Urcomplexes an die Seite gestellt werden k\u00f6nnen. Da andererseits die specielle Methode einer fortgesetzt tachistoskopischen Darbietung des Urcomplexes nach jeder Exposition","page":615},{"file":"p0616.txt","language":"de","ocr_de":"616\nWilhelm Wirth.\neinen Abschluss des Ganzen erm\u00f6glicht, ohne dass der Charakter der einzelnen Gesammtbilder ver\u00e4ndert wird, wird \u00fcbrigens auch der Vergleich mit und ohne R\u00fcckkehr des Urcomplexes umso \u00e4hnlichere Bedingungen besitzen, je mehr durch die urspr\u00fcngliche Beherrschung des Urcomplexes das Bild sicher eingepr\u00e4gt ist und man in Folge dessen beliebig schnell und sicher zu seiner Vorstellung zur\u00fcckkehren kann. So hat sich denn auch im Experiment mit solchen tachistoskopischen, zeitlich getrennten Einzelbildern des Urcomplexes (bei beliebig h\u00e4ufiger Darbietung vor dem Vergleich) kein Unterschied zwischen dem Resultat beim Abbrechen des ganzen Processes nach Darbietung des Vergleichsobjectes einerseits und der Wiederholung andererseits ergeben. Bei der continuirlichen Darbietung des Urcomplexes und unmittelbarem Anschluss der Vergleichsvariation an denselben w\u00e4re aber nat\u00fcrlich der Gesammteindruck, dessen gleichm\u00e4\u00dfiger Fortbestand zur einheitlichen Vorbereitung f\u00fcr den Vergleichsvorgang, gleichsam als sichere Basis f\u00fcr die h\u00f6heren Processe, hinzugeh\u00f6rt, durch einen Abbruch des Ganzen nach der momentanen Darbietung des Vergleichsobjectes, das hier einfach in einer Momentvariation des continuirlichen Complexes besteht, wesentlich ver\u00e4ndert. Es kann eine derartige Anordnung nur als eine St\u00f6rung der ganzen Vorstellungslage betrachtet werden. Indessen ist hier daf\u00fcr auch wieder der ganze Charakter der inhaltlichen Gegenst\u00e4nde des Vergleichs-urtheiles ein wesentlich anderer, indem es sich nun nicht mehr um die Vergleichung in sich abgeschlossener, selbst\u00e4ndiger Einheiten, sondern einfach um eine Ver\u00e4nderungsauffassung handelt. Nat\u00fcrlich k\u00e4me hierbei niemals eine Momentanver\u00e4nderung in einer Richtung mit constanter Fortdauer der neuen Lage in Betracht, da ja diese keine Momentanabweichung vom sicher beherrschten Ur-complexe bedeutet; es w\u00fcrde sich eben unter Ausschluss jenes Abbruches nach der Variation um eine doppelte Ver\u00e4nderung an Ort handeln. Wie sich nun die Resultate hier zu den entsprechenden bei discontinuirlicher Exposition verhalten, kann allerdings a priori nicht gesagt werden. Ist ja doch die Ver\u00e4nderungsauffassung, wie Stern a. a. O. gezeigt hat, nach allen Seiten ein besonderes Problem f\u00fcr sich, dessen Discussion nach dieser speciellen Seite zudem erst nach Mittheilung entsprechender Versuche an der Zeit ist. Die","page":616},{"file":"p0617.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung.\n617\nR\u00fcckkehr zum alten Complex kann aber hier desshalb ganz besonders wenig an der f\u00fcr uns besonders wichtigen Erhaltung einer constanten Klarheitsver\u00e4nderung \u00e4ndern, weil sie eben mit der n\u00e4mlichen tachistoskopischen Geschwindigkeit erfolgt, wie die Variation selbst. Wenn also in Folge der besonderen Verh\u00e4ltnisse der Ver\u00e4nderungsauffassung die R\u00fcckkehr zum alten Complex \u00fcberhaupt eine Beg\u00fcnstigung des Vergleiches mit sich bringt, was beim discontinuirlichen Vergleich nicht der Fall zu sein scheint, und damit der Vortheil noch erh\u00f6ht wird, der hier bereits durch die unmittelbare zeitliche Folge garantirt ist, so wird jene Beg\u00fcnstigung eben wegen ihrer Einwirkung auf die constante Klarheitsvertheilung besonders rein und ohne jegliche Gefahr einer sonstigen F\u00e4lschung der Resultate zur Geltung kommen.\n14) Einfluss des Gesammteindruckes einer localen Ver\u00e4nderung. \u2014 Verschiedene Bedeutung bei discontinuir-licher Vergleichung und bei Ver\u00e4nderungsschwellen. Nach einer genaueren Zergliederung der Vorg\u00e4nge, welche durch die tachisto-skopische Vergleichsexposition ausgel\u00f6st werden, l\u00e4sst sich auch die Bedeutung des Gesammteindruckes f\u00fcr das Vergleichsurtheil nochmals klarer fassen, als es oben (4, 2) m\u00f6glich gewesen ist. Die Wirkung des \u00bbGesammteindruckes\u00ab ist besonders durch die innige Simultanverbindung beg\u00fcnstigt, welche die einzelnen Elemente des Urcomplexes durch die Einheitsbildung w\u00e4hrend der Concentration und allm\u00e4hlichen Verarbeitung des Complexes (4, 3) eingehen und welche zugleich die Hauptursache f\u00fcr eine schnelle Ausscheidung der variirten Stelle (nat\u00fcrlich je nach ihrer urspr\u00fcnglichen Klarheit, s. S. 610) ausmacht. Dadurch wird auch die entfernte Stelle bis zu einem gewissen Grade von der Variation einer Stelle in Mitleidenschaft gezogen. Aber es ist eben doch auch wiederum klar, dass diese \u00bbAusstrahlung\u00ab der \u00bb'psychischen Stauung\u00ab von dem Bewusstseinsgrade an der variirten Stelle selbst abh\u00e4ngig sein wird. Vollzieht sich an einem zun\u00e4chst (eben wegen der Unwissentlichkeit des Verfahrens nach dieser Hinsicht) relativ unbeachteten Elemente eine momentane Variation von sehr geringem Umfange, so wird auch der Einfluss auf die Umgebung, der noch geringer ist, an der Unmerklichkeit dieser Ver\u00e4nderung nichts \u00e4ndern, selbst wenn","page":617},{"file":"p0618.txt","language":"de","ocr_de":"618\nWilhelm Wirth.\ndiese Variation ihrem absoluten Werthe nach bei intensiverer Beachtung der speciellen Stelle auff\u00e4llig gewesen w\u00e4re. Dabei muss ferner noch ber\u00fccksichtigt werden, dass dieser specielle Einfluss der Einzelvariation auf das Ganze in hohem Ma\u00dfe von der Eigent\u00fcmlichkeit der gegenseitigen qualitativen Beziehung der einzelnen Elemente eines Ganzen abh\u00e4ngig ist. Es kommt hier wiederum von einer besonderen Seite eine aus der Psychophysik l\u00e4ngst bekannte Thatsache zur Geltung, die Bedeutung des Weber\u2019schen Gesetzes f\u00fcr sog. \u00bb\u00fcbermerkliche\u00ab Intensit\u00e4tsunterschiede oder f\u00fcr die Methode der mittleren Abstufungen. Es gilt dies zun\u00e4chst f\u00fcr die gr\u00f6\u00dfere Differenzirung des Urcomplexes, die ich oben wegen ihres gr\u00f6\u00dferen Anspruches an die Aufmerksamkeit (bei Voraussetzung einer gleich sicheren Beherrschung) und der deshalb zu erhoffenden gr\u00f6\u00dferen Abweichung der Klarheitsgrade vom Maximum empfahl, z. B. also bei Auswahl von Kreisen u. s. w. (mit ausschlie\u00dflicher Variation der Helligkeit im Vergleichsobject) in verschiedener Helligkeit als charakteristischer Elemente, die auf einen \u00fcberall gleichhellen Hintergrund aufgesetzt sind. In diesem Falle sind nat\u00fcrlich die Beziehungen der einzelnen Elemente zum Hintergrund und unter sich lauter \u00fcbermerkliche Helligkeitsdifferenzen. Eine Variation der Helligkeit an einer Stelle wird also auch der Umgebung gegen\u00fcber nach dem oben erw\u00e4hnten Specialfall des Weber\u2019schen Gesetzes nicht so leicht auffallen, als wenn die ganze Fl\u00e4che an der betreffenden Stelle eine unterschiedslose Helligkeit in Grau oder Wei\u00df darstellen w\u00fcrde. Nat\u00fcrlich zeigt sich auch dieser Unterschied der verschiedenen Complexe schon in der Ableitung der \u00bbNormalschwelle\u00ab, aber es lassen sich doch hier die besonderen Factoren herausheben, die neben der Schwelle f\u00fcr die variirte Stelle in Bezug auf sich selbst durch eine Herabsetzung der Beachtung besonders erh\u00f6ht werden und deren Ver\u00e4nderung vielleicht einen ganz besonderen Beitrag zur Charakterisirung des besonderen Pr\u00e4cisionsma\u00dfes f\u00fcr unklarere Stellen beitr\u00e4gt, wie ja schon das Correlat der Unklarheit, die \u00bbUndeutlichkeit\u00ab, also die Ver\u00e4nderung der Beziehung zur Umgebung, besonders nahe legt. Auch diese verminderte Feinheit der Sch\u00e4tzung in Bezug auf die Umgebung und das Ganze, welche bei einer gr\u00f6\u00dferen Differenzirung des Urcomplexes eintritt, wird wohl auch bei der discon-tinuirlichen Darbietung des Urcomplexes und des Vergleichsobjectes","page":618},{"file":"p0619.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung.\n619\nin tachistoskopischen Einzelexpositionen besonders zur Geltung kommen, indem die Erschwerung des Vergleichsurtheiles durch die Zwischenzeit auch nach dieser Seite den unklareren Inhalten einen besonders gro\u00dfen Abstrich zu Theil werden l\u00e4sst.\nEine Unvergleichbarkeit zwischen den Eesultaten der verschiedenen \u00bbAusf\u00fcllungen\u00ab des Bewusstseins mit der entsprechenden, f\u00fcr uns besonders interessanten Ver\u00e4nderung der Klarheitsvertheilung, d\u00fcrfte allerdings auch dadurch nicht herbeigef\u00fchrt werden, da es keineswegs wahrscheinlich ist, dass die Herabsetzung des Pr\u00e4cisionsma\u00dfes f\u00fcr die verschiedenen quantitativen Beziehungen zur Umgebung, welche bei der Gesammtauffassung mitwirken, irgendwie von der allgemeinen Gesetzm\u00e4\u00dfigkeit abweiche, auf die unsere ganze Methode basirt ist. Somit wird also auch die nun schon \u00f6fters erw\u00e4hnte Untersuchung der Klarheitsvertheilung auf einer qualitativ in sich v\u00f6llig einheitlichen Fl\u00e4che mit allen anderen vergleichbar bleiben, bei der, abgesehen von der absoluten Intensit\u00e4t, die Beziehungen zur Umgebung mit der feinsten Unterschiedsempfindung nachhelfen, sofern eben hier die qualitative Differenz zun\u00e4chst = Null gewesen ist. (Die gr\u00f6\u00dfere mittlere Variation bei der Aufsuchung einer mittleren Abstufung [bei gleicher Betrachtungsweise*) ] erscheint ja von diesem Gesichtspunkte aus ebenfalls als Folge des Web er\u2019sehen Gesetzes f\u00fcr die Absch\u00e4tzung der quantitativen Verh\u00e4ltnisse).\nDaf\u00fcr l\u00e4sst sich aber nun auch diese Aufsuchung von Schwellen-werthen innerhalb einer gleichm\u00e4\u00dfig hellen Fl\u00e4che (\u00fcber die Nachtheile der gleichm\u00e4\u00dfig dunklen Fl\u00e4che f\u00fcr unsere Methode vgl. S. 632) am einfachsten zu einer exacten Untersuchung des allm\u00e4hlichen Aufbaues des neuen Aufmerksamkeitsreliefs bei einmaliger tachistoskopischerExposition untersuchen, welche bei der Methode der unmittelbaren Wiedergabe von Buchstaben, Figuren u. s. w. nur die relativ klarsten Elemente des neuen Ganzen ergab, so weit sich dieses in der kurzen Zeit eben neu zu etabliren vermocht hatte. Sobald n\u00e4mlich eine einheitliche Fl\u00e4che mit einer unwissentlich irgendwo angebrachten minimalen Abweichung von dieser Gleichf\u00f6rmigkeit nach vorhergehendem Anblick einer andersartig einheitlichen Fl\u00e4che nur einmal tachistoskopisch dargeboten\n1) Vgl. Wundt, Grundz\u00fcge der Physiol. Psychol. 4. Aufl. I, S. 398.","page":619},{"file":"p0620.txt","language":"de","ocr_de":"620\nWilhelm Wirth.\nwird, so wird die Aufsuchung der Schwellenwert\u00fce an den verschiedenen Stellen nach den bisherigen Darlegungen durchaus der thats\u00e4chlichen Klarheitsvertheilung entsprechen, und k\u00f6nnen nun auf diese Weise auch die weniger klaren Regionen mit beliebiger Genauigkeit in ihrer Klarheit zur Geltung kommen. Es ist nat\u00fcrlich auch dies eine Abart der Vergleichsmethode, nur handelt es sich dabei eben ganz und gar um die momentane Klarheit von Simultanbeziehungen. Auch f\u00e4llt diese Untersuchung insofern nicht vollst\u00e4ndig mit der \u00f6fters erw\u00e4hnten Auffassung von Abweichungen aus einer gleichartigen Fl\u00e4che nach beliebig langer Betrachtung zusammen, weil ganz ebenso, wie bei den gew\u00f6hnlichen tachistoskopischen Versuchen nach der alten Methode, eine Neuorientirung auf einer in ganz anderen, z. B. also helleren Gesammtfl\u00e4che nothwendig wird. Die Methode dient allerdings deshalb nicht zur Untersuchung ganz analoger Verh\u00e4ltnisse, wie bei jenen einfachsten Versuchen, weil ja dort sofort \u00fcbermerkliche Differenzen sichtbar waren, w\u00e4hrend hier sozusagen die alte v\u00f6llig zertheilte Anordnung der Aufmerksamkeit bleibt. Will man ganz genau die n\u00e4mliche, allm\u00e4hliche (nicht vollendete) Vertheilung wie dort anstreben, dann kann man nat\u00fcrlich von der blo\u00dfen Simultanvergleichung mit einmaliger Exposition keinen Gebrauch mehr machen, und muss eben zu den oben (unter 4, 4) bezeichneten Anordnungen zur\u00fcckkehren. Kur sind eben dann auch die dort bereits hervorgehobenen Schwierigkeiten nicht behoben, die bei dieser einfachsten Fragestellung zuf\u00e4llig in Wegfall kommen. Doch geht ja auch diese ganze Frage der allm\u00e4hlichen Entstehung einer neuen Ausf\u00fcllung des Bewusstseins, wie schon \u00f6fters erw\u00e4hnt, bereits weit \u00fcber unsere Analyse einer bereits vorhandenen hinaus.\n15) Bedeutung der Schwellen f\u00fcr momentane Erregung der w\u00e4hrend des \u00dcrcomplexes v\u00f6llig unbewussten Dispositionen. Das Mittel der Erzielung eines Verschiedenheitsurtheiles, welches hier zur Feststellung der Bewusstheit eines Elementes und seines Klarheitsgrades empfohlen wurde, ist nat\u00fcrlich keineswegs etwa insofern eine indirecte und objective, von der detaillirten Reflexion und Wiedergabe des Beobachters unabh\u00e4ngige Methode, als man auch von der Erinnerung an die kritische, in ihrer Variation erkannte Stelle g\u00e4nzlich unabh\u00e4ngig w\u00fcrde. Wenn auch f\u00fcr jeden einzelnen Versuch, in welchem ann\u00e4hernd die n\u00e4mliche Klarheits-","page":620},{"file":"p0621.txt","language":"de","ocr_de":"621\nZur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung.\nvertheilung jeweils nach einer anderen Richtung analysirt wird, die Erinnerung an alles \u00fcbrige gleichg\u00fcltig ist, so muss man sich doch sicher bewusst sein, ob das klare Hervortreten einer Stelle nach ihrer Variation im Vergleichsobject, wie es allein als annehmbarer Ma\u00dfstab anerkannt wurde, wirklich einen bewussten Vergleich mit einer entsprechenden, nur anders ausgef\u00fcllten Stelle des Urcomplexes bedeutet. Die Variation des Vergleichscomplexes darf also nicht etwa allein f\u00fcr sich, infolge einer innerhalb des Bewusstseins nicht weiter zur\u00fcckf\u00fchrbaren Ver\u00e4nderung der Klarheitsvertheilung besonders klar hervortreten, ohne das an dieser \u00bbStelle\u00ab vorher \u00fcberhaupt etwas bewu\u00dft gewesen bezw. bis zum Auftreten der Variation gemerkt worden w\u00e4re. Kurz, es muss wirklich das charakteristische Bewusstsein eines Vergleichsurtheiles \u00fcber die kritische Stelle vorhanden sein, welches nach dem fr\u00fcher Gesagten allein wirklich einer continuirlichen Bewusstheit des variirten Momentes in irgend welchen Klarheitsgraden entspricht. Bei jeder beliebigen Ausf\u00fcllung des gesammten Bewusstseins muss ja nat\u00fcrlich eine bestimmte Intensit\u00e4t eines neuen, augenblicklich \u00fcberhaupt noch nicht in demselben vertretenen Reizes, auch bei einer nur momentanen Darbietung, hinreichen, um in einer \u00e4hnlichen Verschiebung des Klarheitsreliefs, wie bei jenen Versuchen, die neue \"Wahrnehmung klar hervortreten zu lassen. Der in solcher Weise ganz analog abgeleitete Schwellenwerth f\u00fcr die klare Actualit\u00e4t einer vorher v\u00f6llig unbewussten Disposition bes\u00e4\u00dfe aber dann nat\u00fcrlich einen v\u00f6llig anderen Sinn wie die oben als relatives Klarheitsma\u00df vorgeschlagenen Unterschiedsschwellen. Eine Verwechslung kann also nur durch den bewussten Unterschied verhindert werden, dass in den fr\u00fcheren F\u00e4llen eine mehr oder weniger bestimmte und somit beide-male bewusste Stelle der beiden Complexe verglichen wurde, in diesem Falle aber \u00fcberhaupt keine Vergleichung stattfindet oder h\u00f6chstens die Complexe im Ganzen als verschieden erscheinen.\nIn einem ausgedehnten Urcomplexe sind aber freilich viele Elemente, deren Stelle sp\u00e4ter bei ihrer Variation klar hervortritt, relativ sehr wenig beachtet, und es ist vor darauf bez\u00fcglichen Experimenten nicht a priori zu sagen, ob ganz allgemein auch die geringsten Bewusstseinsgrade in . dem von \u00e4u\u00dferen Reizen abh\u00e4ngigen Urcomplexe dazu ausreichen werden, dass man bei hinreichender Variation die","page":621},{"file":"p0622.txt","language":"de","ocr_de":"622\nWilhelm Wirth.\nbetreffende Stelle nicht blo\u00df ebenso wie beim Auftreten eines v\u00f6llig neuen Reizes auff\u00e4llig finde, sondern auch als Variation einer schon vorher irgendwie bewussten Qualit\u00e4t auffasse. Auf diese Schwierigkeit wurde ja schon bei der ersten Charakterisirung der Methode im vorigen Capitel hingewiesen.\nZun\u00e4chst w\u00e4re es aber ja kein Einwand gegen das ganze Unternehmen, wenn h\u00f6chstens die allergeringsten Klarheitsgrade nicht mehr mit Sicherheit in die gesuchte Gesammtsumme einbezogen werden k\u00f6nnten. W\u00e4re doch damit nur die allgemeine, im Wesen der Sache selbst begr\u00fcndete Art der unbestimmten Abgrenzung des Bewusstseins nach dem Unbewussten hin zum Ausdruck gebracht. Diese Werte k\u00f6nnten ja ihrem Wesen nach bei G\u00fcltigkeit der bisherigen Ueberlegungen \u00fcberhaupt nur sehr geringe sein, und so m\u00fcssen insbesondere eine relative Constanz des Umfangs und die Ver\u00e4nderungen der Klarheitsgrade bei verschiedenen Aufmerksamkeitsvertheilungen, welche die interessantesten Gesichtspunkte in einer von der That-sache des Bewusstseinsumfanges ausgehenden psychischen Mechanik ausmachen, auch unter ausschlie\u00dflicher Ber\u00fccksichtigung der klaren Regionen des Bewusstseins aufgefunden werden k\u00f6nnen. Jedenfalls reicht der in solcher Weise verf\u00fcgbare Umkreis viel weiter als nach jener Methode der unmittelbaren Wiedergabe.\nEs enth\u00e4lt aber nun die ganze oben empfohlene Methode selbst in der erw\u00e4hnten Ausn\u00fctzung der \u00bbpsychischen Stauung\u00ab einen Hauptvortheil, um auch f\u00fcr beliebig niedrige Bewusstseinsgrade der variirten Stelle im unmittelbar vorangehenden Moment ein Vergleichsbewusstsein im eigentlichen Sinne entstehen zu lassen. Denn die besondere Beachtung der variirten Stelle in der Vergleichsvorstellung wird auch die kurz vorher erregte Qualit\u00e4t der kritischen Stelle in der Vorstellung besonders beg\u00fcnstigen, und eine solche Einengung der Aufmerksamkeit auf diese einzige Stelle wird auch relativ geringe Klarheitsgrade der kurz vorhergehenden Wahrnehmung zur Herstellung einer hinreichend klaren Beziehung zwischen beiden Elementen ausn\u00fctzen lassen.\nDabei w\u00fcrde man jene Unsicherheit des Resultats hinsichtlich der geringsten Bewusstseinsgrade, falls sie wirklich Vorkommen sollte, vor allem f\u00fcr die Untersuchung des den optischen Reizen entsprechenden Bewusstseinsumfanges f\u00fcr relativ gering anschlagen","page":622},{"file":"p0623.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung. 623\nk\u00f6nnen. Denn gerade das Sehfeld der \u00e4u\u00dferen Wahrnehmung scheint insbesondere bei Helladaption jederzeit im Ganzen irgendwie bewusst zu sein, und dr\u00e4ngt sich diese Anschauung schon durch den einfachsten Vergleich auf, der sich in der reflectiven Betrachtung der continuirlich sich folgenden Momente der Gesichtswahmehmung ergibt. Dies w\u00fcrde nun wirklich ganz allgemein zur Erwartung berechtigen, dass innerhalb der Gesichtswahrnehmung thats\u00e4chlich alle erkannten ohjectiven Variationen zugleich als Verschiedenheiten gegen\u00fcber der vorigen Ausf\u00fcllung aufgefasst werden k\u00f6nnen, vorausgesetzt, dass nun auch die Beziehung der beiden Versuchsobjecte aufeinander eine hinreichend enge, also die Zwischenzeit m\u00f6glichst gering ist. Denn auch diese wird nat\u00fcrlich wegen der allgemeinen Abh\u00e4ngigkeit der Erinnnerung von dem Bewusstseinsgrade hei den geringsten Klarheitsgraden zur Entstehung des Verschiedenheitsbewusstseins im vollsten Sinne des Wortes von besonderer Wichtigkeit sein.\nAu\u00dfer dem n\u00e4mlichen Sinnesgehiet wird aber nun wohl auch jede andere Sinnessph\u00e4re irgendwie an dem Gesammtumfange des Bewusstseins betheiligt sein, und es fragt sich, oh die sog. ganz neuen Reize nicht einfach als Unterschiedsschwellen f\u00fcr diese Bewusstseinsvertretung der augenblicklich wenig beachteten Sinnesgebiete zu betrachten sind, welche nat\u00fcrlich relativ wenig klar und von zahlreichen Verschmelzungen (im Sinne der Herhart\u2019schen Terminologie) in ihrem Specialumfangc eingeengt sind. Es w\u00e4re dann ganz gleichg\u00fcltig, welcher im Urcomplex noch nicht vorhandene Reiz nebenbei momentan zur Einwirkung gelangte; es w\u00fcrde dann nicht etwa mit der Schwelle eines jeden neuen Reizes ein selbst\u00e4ndig zu ber\u00fccksichtigender Werth abgeleitet, der \u00fcber den Umfang des unmittelbar vorhergehenden Bewusstseinsmomentes in besonderer Weise hinaus wiese, im Gegensatz zu den Werthen f\u00fcr die einzelnen Bewusstseinsgrade der Elemente des Urcomplexes. Vielmehr w\u00fcrden jederzeit doch nur die Klarheitsgrade der thats\u00e4chlich bereits im Bewusstsein vorhandenen Vertretungen der anderen Vorstellungsgebiete gemessen, mit denen man augenblicklich nicht besonders besch\u00e4ftigt ist, nur eben vielleicht f\u00fcr ein und das n\u00e4mliche Element so und so oft. Denn es entspricht nur der Auffindung verschiedener Unterschiedsschwellen des n\u00e4mlichen bereits bewussten Inhaltes sozusagen nach verschie-","page":623},{"file":"p0624.txt","language":"de","ocr_de":"624\nWilhelm Wirth.\ndenen Richtungen, wenn z. B. nach dem Dasein eines unklaren Verschmelzungsproductes der unvermeidlichen Nebenger\u00e4usche, welche bei unserem optischen Urcomplexe augenblicklich v\u00f6llig unbeachtet sein sollen, das eine Mal ein momentanes neues Ger\u00e4usch von hinreichend verschiedener Intensit\u00e4t eben als etwas Neues beachtet wird, das andere Mal ein solches von hinreichend verschiedener H\u00f6henlage. Wie die einzelnen F\u00e4lle nach dieser Hinsicht zu beurtheilen sind, m\u00fcsste nat\u00fcrlich jedesmal erst durch sorgf\u00e4ltige Analyse der vorher bereits bewussten Inhalte und der Klarheitsvertheilung in dieser Region festgestellt werden.\nNach den fr\u00fcheren Ausf\u00fchrungen k\u00f6nnen ja auch f\u00fcr den n\u00e4mlichen concreten Inhalt verschiedene abstracte Merkmale oder Seiten besonders beachtet sein, welche zugleich nach der hier \u00fcberall vorausgesetzten Abh\u00e4ngigkeit von Schwellenwerth und Klarheitsgrad verschieden \u00bbgerichtete\u00ab Unterschiedsschwellen herabsetzen. Andererseits sind nat\u00fcrlich auch alle Variationen des Urcomplexes, falls sie wirklich unwissentlich erfolgen, derartig \u00bbneue Reize\u00ab, nur eben in geringerer Abweichung vom bisherigen Bewusstseinsbestand, und weisen mit ihrer Beachtung ebenso sehr auf die psycho-physiologischen Bedingungen zu seelischem Geschehen \u00fcberhaupt hin, wie sie sowohl f\u00fcr verschiedene Qualit\u00e4ten und Variationsrichtungen, als auch f\u00fcr die verschiedenen Beobachter andere Werthe herbeif\u00fchren k\u00f6nnen. Au\u00dferdem ist aber wohl kaum noch besonders zuzugestehen, dass die weitere theoretische Discussion der Verwerthung einer experimentellen Bestimmung solcher Reizschwellen f\u00fcr ein augenblicklich wirklich v\u00f6llig unbeachtetes disparates Gebiet nicht viel Werth hat, weil die practische Ausf\u00fchrung geradezu unm\u00f6glich erscheint. Denn eine solche unbeachtete Stellung der Nebenvorstellungen, wie sie einen kr\u00e4ftig hervortretenden Reiz von dieser Art als relativ neu erscheinen l\u00e4sst, w\u00e4re offenbar h\u00f6chstens dann zu erreichen, wenn der Beobachter auch nicht ein einziges Mal v\u00f6llig disparate Schwellen zu beurtheilen hatte. Sonst wird zu dem optischen Urcomplexe, in welchem der Umfang des Bewusstseins in der Hauptsache eigentlich angelegt sein sollte, sehr bald mindestens eine neue Vorstellung mit hinzutreten, die zwar vielleicht sehr abstract und schwankend, daf\u00fcr aber doch relativ beachtet und am Gesammtumfang mehr- oder weniger stark betheiligt ist, d. h. eben die unausbleibliche Erwartung disparater","page":624},{"file":"p0625.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung. 625\nReize. Es ist also einfach eine neue Klarheitsvertheilung vorhanden, wobei die mit den neuert Reizen gemessenen Bewusstseinsgrade auch nicht viel geringer sind. Damit ist also geradezu ein Versuchsfehler gegeben, insofern man eigentlich unter Ausschluss uncontrolirbarer, aber doch thats\u00e4chlich vorhandener Ausf\u00fcllungen des Bewusstseins bei dem n\u00e4mlichen Urcomplex bleiben soll1).\n5. Capitel.\nCharakterisirung der fr\u00fcheren Messungen der Vorstellungs-concurrenz durch Schwellenbestimmungen.\nDurch diese Zur\u00fcckf\u00fchrung der ganzen Frage des Bewusstseinsumfanges auf eine specielle Erweiterung der allgemeinen psychophysischen Methoden ist nat\u00fcrlich nur die schon in Cap. 3 mehrmals genannte phychologische Deutung des Weber\u2019schen Gesetzes in ihren wesentlichen Prinpien f\u00fcr unsere Frage systematisch verwerthet. Diese Deutung setzt bekanntlich in der Wundt\u2019schen Formulirung eine directe Proportionalit\u00e4t der Empfindungsintensit\u00e4t zur Reizintensit\u00e4t voraus und l\u00e4sst nun die klare und sichere Erkennung der Empfindungsdifferenzen, (die nat\u00fcrlich einen besonderen psychischen That-bestand ausmacht), von der Enge des Aufmerksamkeitsumfanges und der hierdurch bedingten Hemmung je nach der Intensit\u00e4t des objectiven Gegenstandes der Beachtung abh\u00e4ngig werden2), so dass f\u00fcr gr\u00f6\u00dfere Intensit\u00e4ten gr\u00f6\u00dfere Differenzen zu einer Unterschieds-\n1)\tSolche Versuche mit \u00bbneuen\u00ab Reizen sind also nur dann sinnvoll, wenn es nicht darauf ankommt, eine bestimmte Ausf\u00fcllung des Bewusstseins \u00fcberhaupt, sondern nur die augenblickliche Hauptbesch\u00e4ftigung constant zu erhalten, also eine bestimmte Concentration auf ein Gebiet unter wechselnder, wom\u00f6glich in ihrem Anspruch an den Gesammtumfang zunehmender Ausf\u00fcllung des \u00fcbrigen Bewusstseins. Dies sind somit die sog. \u00bbAblenkungsversuche\u00ab, wof\u00fcr diese Methode auch von Kraepelin (Psychologische Arbeiten I, 1, S. Iff.: Der psychologische Versuch in der Psychiatrie) vorgeschlagen worden ist, aber ebenfalls schon unter der Erw\u00e4hnung jener auch dann noch nicht belanglosen Schwierigkeiten. Auch der feinste Tact des Experimentators wird entweder bei wirklicher Erhaltung der Unbefangenheit des Beobachters zu wenig einschl\u00e4gige Mittheilungen erhalten, oder bei Ma\u00dfregeln gegen letzteren Fehler einfach die Unbefangenheit zerst\u00f6ren. (Vgl. Stern, Ueber Psychologie der individuellen Differenzen. Leipzig 1900. S. 80 ff.)\n2)\tWundt, Physiol. Psychol. 4. Aufl. 1893, I. S. 398 f. Vgl. dort auch die genaueren historischen und litterarischen Angaben.\nWundt, Philos. Studien. XX.\n40","page":625},{"file":"p0626.txt","language":"de","ocr_de":"626\nWilhelm Wirth.\nl\u00ebistung nothwendig sind. Dass jene Formulirung der Abh\u00e4ngigkeit der U.-E. von der Enge der Aufmerksamkeit a. a. 0. in Zusammenhang mit einer physiologischen Erkl\u00e4rungsm\u00f6glichkeit gebracht ist, darf nicht \u00fcbersehen lassen, dass am gleichen Orte ausdr\u00fccklich ihre unmittelbare Erschlie\u00dfung aus der Bewusstseinsthatsache der Enge der Apperception betont wird. In \u00e4hnlicher Weise, wenn auch ohne die n\u00e4mliche Formulirung der Bewusstseinsthatsachen im einzelnen, ist von G. E. M\u00fcller die gegenseitige Hemmung der Erregungen zu einer psychologischen Deutung verwendet worden1), und vor allem auch von Th. Lipps, der besonders die Analogie zu der extensiven Concurrenz ausf\u00fchrlicher behandelt. Auch von anderen ist eine Verwerthung der psychischen Concurrenz in diesem Sinne bereits mehr im einzelnen verwerthet worden, ohne dass ich an dieser Stelle auf die reiche Litteratur hier\u00fcber n\u00e4her eingehen k\u00f6nnte. Au\u00dferdem wurde aber nun auch bereits \u00fcber diese mehr deductive Erkl\u00e4rung des Web er\u2019sehen Gesetzes, soweit es durch die Vergleichung von zwei oder mehreren Objecten gewonnen wird, zu einer Art von Probe auf diese Auffassung hinausgegangen, indem man Reizschwellen und Unterschiedsschwellen unter gleiche zeitig eingef\u00fchrten Hemmungs- und St\u00f6rungsbedingungen abzuleiten versuchte. Auch hier sollte die Erh\u00f6hung ein Ma\u00df f\u00fcr die Herabsetzung der Aufmerksamkeit auf das Verglichene im Gegens\u00e4tze zu der ungest\u00f6rten Vergleichung und vollen Aufmerksamkeit liefern. Die erste wenigstens von den mir bekannten Arbeiten nach dieser Richtung ist die Untersuchung von Friedrich Boas2), dem u. a. vor allem damals bereits die bez\u00fcglichen Ausf\u00fchrungen G. E. M\u00fcller\u2019s bekannt waren. Auch er schlie\u00dft zun\u00e4chst aus allgemeinen Erfahrungen, dass \u00bbdie Unterschiedsschwellen je nach dem Grade der Aufmerksamkeit wechseln\u00ab, sucht \u00fcberall die psychische Mechanik in gr\u00f6\u00dferem Umfange zu ber\u00fccksichtigen und will dies durch einwandfreie Versuche best\u00e4tigen. Die nach mehrw\u00f6chentlicher Vor\u00fcbung \u00fcber zwei Tage ausgedehnten Versuche enthielten Augenma\u00dfvergleichungen der L\u00e4ngen von zwei Strichen zu 64 und 61,8 mm\n1)\tZur Grundlegung der Psychophysik, 1878, S. 364 ff.\n2)\tPr. Boas, Ueber eine neue Form des Gesetzes der Unterschiedsschwelle. Pfl\u00fcger\u2019s Archiv f\u00fcr Physiologie, Bd. 26. 1881. S. 493\u2014500.","page":626},{"file":"p0627.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung.\n627\nnach der Methode der richtigen und falschen F\u00e4lle (Berechnung der Schwelle nach G. E. M\u00fcller). Am ersten Tage leitete er unter gew\u00f6hnlicher Concentration der Aufmerksamkeit die Normalschwelle zu 1,68 mm ah, w\u00e4hrend er am zweiten Tage seine Aufmerksamkeit dadurch ablenkte, dass er gleichzeitig Musikst\u00fccke in Gedanken durchging. Thats\u00e4chlich fand er hei dieser Ablenkung auch, dass eine Erh\u00f6hung der Schwelle auf 3,88 mm eintrat *).\nSo untersuchte Bertels auf Anregung Kraepelin\u2019s, der vor allem diesen Bestimmungen der Ablenkbarkeit wegen ihrer Bedeutung f\u00fcr die psychiatrische Diagnose gro\u00dfes Interesse entgegenbringt1 2), die Erh\u00f6hung der Reizschwelle f\u00fcr Lichtempfindung nach kurz vorhergehenden andersartigen Erregungen mit Variation der Zwischenzeit und Reizdauer3). Besonders aber hat in neuester Zeit auch G. Heymans in dem 2. Theil seiner \u00bbUntersuchungen \u00fcber psychische Hemmung\u00ab (in der 1. Mittheilung werden nur einfache Unterschiedsschwellen f\u00fcr verschiedene Reizintensit\u00e4ten und Variationsrichtungen bestimmt und wird damit zur psychologischen Deutung des \"Webersehen Gesetzes in dem vorhin genannten Sinne nichts Neues hinzuf\u00fcgt) Reizschwellen unter gleichzeitiger Einwirkung benachbarter Reize (bei Dunkeladaptation) in ihrer Abh\u00e4ngigkeit von der Intensit\u00e4t dieser Hemmungsreize zu bestimmen versucht und f\u00fcr Tast- und Lichtreize eine gute Proportionalit\u00e4t der Erh\u00f6hung gefunden4). Im Gegensatz hierzu sind\n1)\tAuch die Umkehrung, dass die Erkennung feinerer Unterschiede eine h\u00f6here psychische Arbeit erfordere, suchte Boas in der Weise abzuleiten, dass er die mindeste Zeitdauer der Vergleichung bis zur Urtheils\u00e4bgabe f\u00fcr verschieden gro\u00dfe Unterschiede bestimmte, was er ebenfalls als gelungen berichtet. Dieser Gesichtspunkt kommt f\u00fcr unsere Versuche h\u00f6chstens insofern in Betracht, als hier beim Tachistoskop besonders die Darbietung der Vergleichsreize selbst in den constantesten Zeitverh\u00e4ltnissen erfolgte, was wenigstens bei optisch-psychophysischen Versuchen der gew\u00f6hnlichen Art nirgends exacter, eher weniger genau eingehalten zu werden pflegt. Die Dauer bis zur Abgabe des Urtheiles braucht nat\u00fcrlich neben der Schwellenbestimmung bei einmal eingef\u00fchrter Con-stanz nicht besonders ins Auge gefasst zu werden.\n2)\tKraepelin, Der psychologische Versuch in der Psychiatrie. Psycholog. Arbeiten 1, S. 1. 1896.\n3)\tBertels, Versuche \u00fcber die Ablenkung der Aufmerksamkeit. Dissertation. Dorpat 1889.\n4)\tG.Heymans, Untersuchungen \u00fcber psychische Hemmung, I.Theil, Zeitschr. f\u00fcr Psychologie, XXI, S. 321 if. u. XXVI, S. 305 ff.\n40*","page":627},{"file":"p0628.txt","language":"de","ocr_de":"628\nWilhelm Wirth.\naber in einer Reihe von Arbeiten des Am. Journ.1), auf die auch von Ebbinghaus besonders hingewiesen worden ist2), Bestimmungen von U.-Sch. bei St\u00f6rung durch andere Reize oder bei Zerstreuung durch gleichzeitige geistige Besch\u00e4ftigung abgeleitet worden, also wieder nach der zuerst von Boas ausgef\u00fchrten Art. Doch ergab sich nun meistentheils kaum eine merkliche Ver\u00e4nderung, ja sogar eher unter Umst\u00e4nden eine Verfeinerung der U.-E. bei jenen St\u00f6rungen. Durch diese letztere Gruppe von Arbeiten, die im Ganzen schlie\u00dflich auch ein ziemlich gro\u00dfes Material, vorbringt, ist das Resultat von Boas mindestens in Frage gestellt, zumal seine entscheidenden Versuche nur \u00fcber zwei Tage ausgedehnt waren, was bei der Methode der r. u. f. F. kein sicheres Resultat ergeben kann. Aber auch die anderen Versuche von Bertels und Heymans k\u00f6nnen gegen jenes negative Resultat kaum entscheidend ins Gewicht fallen. Denn die Bestimmung der Reizschwellen in verschiedener r\u00e4umlicher und zeitlicher Nachbarschaft ist kaum die sicherste Methode, die Quantit\u00e4tsverh\u00e4ltnisse der psychologisch bedingten Modi-ficationen am ungetr\u00fcbtesten studiren zu k\u00f6nnen, weil gerade f\u00fcr die Reizschwelle zugleich peripher physiologische Momente viel mehr ins Gewicht fallen, indem geringe absolute Ver\u00e4nderungen aus solchen Gr\u00fcnden schon eine gro\u00dfe relative Verschiebung bedeuten. Bei den optischen Versuchen wird z. B. infolge eines intensiven Reizes an irgend einer Stelle des Sehfeldes sogleich eine allgemeine St\u00f6rung der angestrebten Gesammtdunkeladaptation stattfinden, zumal gerade die Anfangsgeschwindigkeit dieser Ver\u00e4nderungen stets sehr bedeutend ist, und beginnen sich auch sofort Lichtnebel nach allen Seiten von der st\u00f6renden Stelle aus zu ergie\u00dfen, welche allerdings w\u00e4hrend des St\u00f6rungsreizes infolge des Simultancontrastes nicht so auffallen, trotzdem aber verhindern, die minimalen objectiven Reize noch aus der Fl\u00e4che herauszuerkennen, ganz abgesehen von der Ausstrahlung innerhalb der Augenmedien selbst. Bei vorhergehenden\n1)\tJastrow, The interference of mental processes. IV, 8. 219. Swift, Disturbance of the attention during simple mental processes V, 1 Drew, Attention VII, 533. Alice Hamlin, Attention and Distraction VIII, 3.\n2)\tEbbinghaus, Grundz\u00fcge der Psychologie, S. 595. Daselbst findet sich auch eine Zusammenstellung der genannten Arbeiten aus dem Am. Journ., soweit sie bis dahin erschienen waren.","page":628},{"file":"p0629.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung. 629\nReizen (Bertels) kommen aber au\u00dfer den Adaptationsver\u00e4nderungen die unter solchen Yersucbsbedingungen besonders ausgedehnten positiven, sehr diffus ausstrahlenden Nachwirkungen an der gereizten Stelle selbst in Betracht:. Obwohl also jedenfalls zugestanden werden muss, dass die Auffassung minimaler Reize, ebenso wie bei \u00fcbermerklichen Erregungen, zugleich psychischen Hemmungen von seiten der Umgebung unterliegt, die im Fall ihrer ausschlie\u00dflichen Wirkung, auf eine Erh\u00f6hung der Schwelle hinwirkten, so sind sie eben zum mindestens hier nicht selbst\u00e4ndig zu erkennen. Die entsprechende Variation der U.-E. unter solchen Bedingungen k\u00f6nnte also in relativer Reinheit \u00fcberhaupt nur bei der Messung von U.-Sch. \u00fcbermerklicher Reize in Helladaptation gefunden werden, bei denen das gleichzeitige Auftreten einigerma\u00dfen entfernter Reize f\u00fcr die absoluten Intensit\u00e4ten ziemlich belanglos ist, und gerade hier scheint wenigstens die Eindeutigkeit des Resultates ganz zu fehlen. Betrachtet man aber nun die allgemeineren Bedingungen in diesen bisherigen Versuchen im Vergleich zu den Voraussetzungen, welche eine wirkliche gr\u00f6\u00dfere psychische Concurrenz und Hemmung nach den fr\u00fcheren Darlegungen mit sich bringen k\u00f6nnen, so ist dieser Ausfall der vermeintlichen Hemmungsversuche schlie\u00dflich auch gar nicht zu verwundern.\nBei all diesen Versuchen wusste ja der Beobachter von vorne herein, f\u00fcr welche Elemente des Bewusstseins die U.-Empfindlichkeit festgestellt werden sollte. Ja, bei mehreren Versuchen, insbesondere bei denjenigen von Heym\u00e4ns, war die willk\u00fcrliche Aufmerksamkeit ausdr\u00fccklich auf die Stelle gespannt, an welcher der Minimalreiz auftreten sollte. Aber auch, wo eine geringere ausdr\u00fcckliche Concentration auf den variirten Reiz herrschte, bewirkte doch das sichere Wissen um die variirte Stelle eine ganz unwillk\u00fcrliche, triebartige Aufmerksamkeit auf den kritischen Punkt. M\u00f6gen noch so viele sonstige St\u00f6rungsvorstellungen nebenhergehen, sie locken sozusagen die Aufmerksamkeit nicht an, da man sicher wei\u00df, dass dort nichts f\u00fcr den Versuch Wichtiges geschehen wird. Nun ist allerdings diese aus irgend einem willensm\u00e4\u00dfigen oder triebartigen Interesse hervorgehende Aufmerksamkeitsspannung, wie schon \u00f6fters erw\u00e4hnt und wie auch Heymans gegen Sully richtig hervorhebt1), nur eine specielle\n1) Ygl. a. a. O. S. 338.","page":629},{"file":"p0630.txt","language":"de","ocr_de":"630\nWilhelm Wirth.\nBedingung f\u00fcr die tats\u00e4chlich erreichte Klarheit und Deutlichkeit der Vorstellung, der immer noch andere Triebe oder Vorstellungen, die unter reinem Passivit\u00e4tsgef\u00fchl sich gewaltsam durch die eigene Intensit\u00e4t u. s. w. (kurz die \u00bbEigenenergie\u00ab nach Th. Lipps) auf dr\u00e4ngen, entgegen wirken k\u00f6nnen. Bei hinreichender Concentrations-f\u00e4higkeit ist aber eben unter den hier vorhanden\u00e9n Versuchsbedingungen, hei welchen die Aufgabe der Vergleichung des einzigen in Frage kommenden Objectes sachgem\u00e4\u00df im Mittelpunkt des Interesses steht, offenbar jede sonstige Vorstellungsconcurrenz zu gering, um die kritische Stelle aus ihrer klaren Stellung zu verdr\u00e4ngen und ihr Pr\u00e4cisionsma\u00df erkennbar zu vermindern. Und je ge\u00fcbter und brauchbarer der Beobachter sonst in psychologischen Experimenten ist, umso mehr ist gerade seine Concentrationsf\u00e4higkeit ge\u00fcbt. So wird insbesondere auch, wie Ebbinghaus a. a. 0. hervorgehoben hat, die in den genannten Arbeiten bisweilen sogar auftretende Verfeinerung des Vergleichs-urtheiles bei St\u00f6rung dadurch erkl\u00e4rlich, dass die Concentration, die ihrem Wesen nach eben eine Gegenwirkung gegen aufdringliche St\u00f6rungsvorstellungen bedeutet, unter Umst\u00e4nden erst recht aufger\u00fcttelt und zu au\u00dfergew\u00f6hnlichen Leistungen gebracht wird. Gerade disparate Reize k\u00f6nnen wohl offenbar aus der allein f\u00fcr uns wichtigen Besch\u00e4ftigung mit der zu vergleichenden Stelle ausgeschieden werden, w\u00e4hrend gleichartige \u00bb Hemmungs Vorstellungen \u00ab, wie sie Heymans in den genannten Versuchen verwendete, eben um ihrer Aehnlichkeit willen noch am ehesten sich unwillk\u00fcrlich in die Aufmerksamkeit einschleichen k\u00f6nnen, wenngleich die ausschlie\u00dfliche Besch\u00e4ftigung der Vergleichsth\u00e4tigkeit mit der kritischen Stelle gerade bei Heymans besonders stark hervorzutreten scheint.\nDaf\u00fcr w\u00fcrde sich aber nun unter diesen Versuchsbedingungen bei den St\u00f6rungsvorstellungen, die ohne wesentlichen Erfolg neben der hier allein verglichenen Stelle auftraten, eine entsprechende Herabsetzung der Klarheit und damit des Pr\u00e4cisionsma\u00dfes zeigen m\u00fcssen. Bei ihnen hat man es aber eben f\u00fcr die n\u00e4mliche Klar-heitsvertheilung nicht nachgepr\u00fcft. H\u00e4tte man es aber versucht, so w\u00e4re man eben ganz von selbst auf die oben empfohlene Anordnung gekommen, welche thats\u00e4chlich jedem der Elemente eines gr\u00f6\u00dferen Complexes ein herabgemindertes Pr\u00e4cisionsma\u00df zu Theil werden l\u00e4sst und","page":630},{"file":"p0631.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung.\n631\ngleichm\u00e4\u00dfige Ooncurrenzbeding\u00fcngen einf\u00fchrt. Bei allen jenen Versuchen aber war die Concurrenz gerade da, wo ihr Erfolg gemessen werden sollte, durch die unter solchen Bedingungen unwillk\u00fcrliche Concentration compensirt. Allerdings sind diese Versuche deshalb nicht werthlos. Sie bestimmen aber nur eine einzige Bedingung innerhalb dieser Concurrenz, und zwar eben gerade die Concentration, welche der Hemmung entgegenwirkt, und welche je nach der Qualit\u00e4t des Concentrationsgegenstandes und des St\u00f6rungsobjects und vor allem je nach der Person und ihrer Gesammtvorstel-lung verschieden sind. Solche Versuche sind daher nur als Messung der Ablenkungsf\u00e4higkeit sinnvoll, als welche sie von Kraepelin vorgeschlagen worden sind. Aus dieser Bedeutung erkl\u00e4rt sich auch vor Allem die geringe Uebereinstimmung der Resultate bei den verschiedenen Beobachtern. Sie beziehen sich aber nicht auf die psychische Hemmung, so wie sie als die Concurrenzf\u00e4higkeit jedes einzelnen, des Bewusstseins f\u00e4higen Elementes auf Grund der Begrenztheit des Bewusstseinsumfanges besteht. Will man diese Letztere festzustellen versuchen, dann muss zun\u00e4chst einmal f\u00fcr ein und die n\u00e4mliche Concurrenzlage die Concentration der Person m\u00f6glichst constant erhalten werden, indem man nicht bald mit, bald ohne St\u00f6rung arbeitet, sondern einen bestimmten Complex vor sich hat, auf den sich die Aufmerksamkeit im Ganzen immer gleichm\u00e4\u00dfig beziehen muss. Es muss also diese willk\u00fcrliche Aufmerksamkeit, welche bei ge\u00fcbten und concentrationsf\u00e4higen Personen jederzeit sozusagen den Haupttheil des gesammten Bewusstseins- und Klarheitsumfanges auszuf\u00fcllen berufen ist, gerade das gesammte Feld der Concurrenz umfassen. Dann aber muss diese concentrirte Aufmerksamkeit als die Hauptbedingung f\u00fcr die vorhandene Klar -heitsvertheilung selbst durch die im vorigen Capitel ausgef\u00fchrte Vorbereitung zertheilt werden. Und dies geschieht eben nur dadurch, dass man vollst\u00e4ndige Unwissentlichkeit hinsichtlich derjenigen Stelle einf\u00fchrt, von welcher die Variation stattfinden soll, bei gleichzeitiger Aufgabe, bei s\u00e4mmtlichen Stellen f\u00fcr die Erkennung einer Variation einzustehen. Trotz dieser Unzweckm\u00e4\u00dfigkeit der Versuchsanordnung f\u00fcr den eigentlich beabsichtigten Endzweck liegen aber bei all den hier erw\u00e4hnten Arbeiten doch wenigstens die theoretischen Ausgangspunkte ganz in. der","page":631},{"file":"p0632.txt","language":"de","ocr_de":"632\nWilhelm Wirth.\nRichtung, welche schlie\u00dflich zu einer Verwerthung der alten Psycho-physik zur Messung der allgemeinen Yorstellungsconcurrenz innerhalb des beschr\u00e4nkten Gesammtumfanges f\u00fchren muss. Mit dieser Zuspitzung der Untersuchung \u00fcber einzelne Hemmungserscheinungen auch ohne Messung des ganzen Umfanges ist aber nat\u00fcrlich nach allem fr\u00fcher Gesagten nothwendig der Uehergang zu einem momentanen Auftreten aller entscheidenden Vorstellungen gefordert, f\u00fcr die optischen Versuche also speciell wieder die Anwendung des Tachistoskops. Denn nur dann ist wirklich eine einzige Hemmungslage mit ihren quantitativen Verh\u00e4ltnissen herausgesondert. Schon um dessentwillen ist abermals die Verwerthung von Reizschwellen als psychophysisches Ma\u00df der auf eine Stelle des Bewusstseins verwandten Aufmerksamkeit weniger zu empfehlen, insofern gerade Dunkeladaptation die Wirkungen momentaner Reize in die L\u00e4nge zieht, wenngleich vor Ausf\u00fchrung solcher Versuche nicht zu entscheiden ist, inwieweit gr\u00f6\u00dfere K\u00fcrze und Schw\u00e4che der Reize diesen Fehler zu compensiren verm\u00f6gen. Ben\u00fctzt man aber das Auftauchen von beliebig vertheilten Discontinuit\u00e4ten auf einem gleichm\u00e4\u00dfig hellen Feld, so kommt man wieder ganz von selbst zur Bestimmung von Unterschiedsschwellen. Au\u00dferdem ist aber mit dieser Variation einer sonst v\u00f6llig gleichwerthigen Fl\u00e4che nat\u00fcrlich, wie schon \u00f6fters erw\u00e4hnt, immer auch nur eine einzige mehr oder weniger bestimmte \u00bbForm\u00ab unseres Klarheitsreliefs untersucht, falls wirklich keine besonderen Markirungen innerhalb des Sehfeldes gegeben sind, da eben dann die Fl\u00e4che rein als gleichm\u00e4\u00dfig erf\u00fcllte Ausdehnung die Aufmerksamkeit absorbirt, wobei allerdings die Abh\u00e4ngigkeit vom Fl\u00e4cheninhalt bereits interessant ist, der wohl keineswegs einfach als Proportionalit\u00e4t des concurrirenden Werthes zu der Fl\u00e4chenausdehnung erscheinen wird. \u2018) F\u00fchrt man aber irgend welche Markirung und charakteristische Ausf\u00fcllung des Sehfeldes ein, welche sich etwa auf einem gleichf\u00f6rmigen Hintergr\u00fcnde erhebt, so wird dadurch die vollst\u00e4ndigste \u00bbAbsorptionswirkung\u00ab dann herbeigef\u00fchrt werden, wenn sich die Unwissentlichkeit hinsichtlich des Ortes der Variation auch mit auf diese erstreckt. Kurz, die Erwartung, wo \u00fcberhaupt\n1) Vgl. Th. Lipps, Die Quantit\u00e4t in psychischen G-esammtvorg\u00e4ngen, a. a. 0.","page":632},{"file":"p0633.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung.\n633\nVariationen stattfinden sollen, bestimmt unwesentlichen diejenigen Regionen, innerhalb deren die Concurrenzeinfl\u00fcsse eine hinreichende Differenzirung der Klarheit bewirken. Daher braucht man nat\u00fcrlich den ann\u00e4hernden Ausschluss eines nicht zu variirenden und deshalb nicht in die Concentration hereingenommenen Hintergrundes zwischen den Figuren nicht zu f\u00fcrchten, wie er auch in dem eigenen Versuche (Cap. 6, 2 und Fig. 4) vorkam. Wenn nur die Art und Weise der Vertheilung der charakteristischen Einzelelemente auf dieser relativ zur\u00fccktretenden Fl\u00e4che eine ann\u00e4hernd gleichm\u00e4\u00dfige ist, wird damit ein hinreichend constanter und nicht allzu gro\u00dfer Betrag des gesammten Umfanges vernachl\u00e4ssigt. Der trennende Hintergrund unterst\u00fctzt insbesondere die relative Isolirung der Einzelelemente und damit die Differenzirung des Aufmerksamkeitsreliefs, welche die gesuchten Unterschiede der Bewusstseinsgrade leichter finden lassen. Mit dieser Betonung der Unkenntniss des Beobachters hinsichtlich des Ortes der vorgenommenen Variation in Verbindung mit- einer constanten Aufmerksamkeitsvertheilung und mit Hervorhebung der Nothwendigkeit des tachistoskopischen Verfahrens, sind die Bestimmungen des Bewusstseins- bezw. Aufmerksamkeitsumfanges zugleich hinreichend gegen die bekannten Untersuchungen \u00fcber die Ausdehnung des Sehfeldes, bezw. \u00fcber die pathologischen Einschr\u00e4nkungen des Gesichtsfeldes am Hell- oder Dunkel-perimeter abgegrenzt, auf deren reiche Litteratur in physiologischpathologischer, psychiatrischer und psychologischer Hinsicht ich hier ebenfalls nicht weiter eingehen will.1) Nat\u00fcrlich fallen diese Versuche als Schwellenbestimmungen mit und ohne gleichzeitige St\u00f6rung oder Zerstreuung vollst\u00e4ndig unter das soeben Gesagte. Soweit sie nicht mit voller Unwissentlichkeit der eben behandelten Stelle erfolgen, wird auch bei ihnen die Concurrenz nicht nothwendig zur Geltung kommen, soweit nicht die st\u00f6renden Nebenreize that-s\u00e4chlich im Sinne der oben erw\u00e4hnten Zerstreuung die Concentration auf die eigentlich gestellte Aufgabe aufzuheben verm\u00f6gen, was eben nur bei bestimmter Ablenkbarkeit der Person der Fall ist. Anderer-\n1) Vgl. vor allem die ausgedehnte Verwendung in psychiatrisch-psychologischer Absicht von Sante de Sanctis. Einen theilweisen Ueberblick \u00fcber seine mehrfachen Arbeiten auf diesem Gebiete gibt er: Zeitschrift f. Psychologie, Bd. XVII S. 206 ff.","page":633},{"file":"p0634.txt","language":"de","ocr_de":"634\nWilhelm Wirth.\nseits gilt nat\u00fcrlich auch f\u00fcr eine unwissentliche Variation der Stelle, soweit dieselbe nicht tachistoskopisch erfolgt, der eben ger\u00fcgte Nachtheil, dass dann \u00fcberhaupt keine einfache Concurrenz-lage zur Geltung kommen wird. Es ergibt sich vielmehr ein fortw\u00e4hrend wanderndes Suchen, das schlie\u00dflich die ganze Untersuchung zu einem schwer qualificirbaren Mittelding zwischen wissentlicher und unwissentlicher Schwellenbestimmung werden l\u00e4sst.\nEs w\u00fcrde zu weit vom eigentlichen Thema ablenken, wenn ich auch auf die reiche Literatur \u00fcber die Frage nach dem Einfl\u00fcsse der Klarheit auf die Intensit\u00e4t der Empfindung eingehen wollte *), da sich doch eine derartige Sch\u00e4tzung der Intensit\u00e4ten zur Bestimmung der verschiedenen Bewusstseinsgrade innerhalb eines gr\u00f6\u00dferen Complexes kaum verwerthen lie\u00dfe, selbst wenn die Sache theoretisch bereits klarer l\u00e4ge. Freilich ist der Nachweis, ebenso wie die Widerlegung der in Frage stehenden Thatsachen auch immer erst davon abh\u00e4ngig, ob thats\u00e4chlich ein entsprechend geringerer Klarheitsgrad erreicht worden ist. In den bisherigen Versuchen wurde dies aber nun ebenso wie bei den in diesem Capitel behandelten Schwellenbestimmungen immer nur durch gleichzeitige St\u00f6rungen versucht, wobei die Versuchsperson w\u00e4hrend der unmittelbaren Wahrnehmung genau wusste, welche Intensit\u00e4t zu beurtheilen war. Alles, was hier gegen die Annahme der Herabminderung der thats\u00e4chlichen Klarheit durch solche St\u00f6rungen unter solchen Bedingungen gesagt wurde, l\u00e4sst sich also auch hier wieder Vorbringen. Nat\u00fcrlich ist bei Beurtheilung einer einzelnen Intensit\u00e4t w\u00e4hrend der Wahrnehmung selbst die Wissentlichkeit niemals auszuschlie\u00dfen. Man m\u00fcsste daher, wo es sich z. B. um optische Intensit\u00e4ten handelt, wieder einen gr\u00f6\u00dferen Complex einf\u00fchren, wobei der Beobachter gew\u00e4rtig sein muss, dass er \u00fcber jedes beliebige der Elemente hinterdrein Auskunft zu gehen hat, und zwar wiederum mit tachistoskopischer Darbietung, damit ebenfalls nicht verschiedene Klarheitsvertheilungen sich gegenseitig compensiren k\u00f6nnen. Eine exacte Bestimmung \u00fcber die Abh\u00e4ngigkeit der scheinbaren Intensit\u00e4t von dem Klarheitsgrade setzt aber dann offenbar\n1) Vgl. auch 0. K\u00fclpe, Ueber den Einfluss der Aufmerksamkeit auf die Empfindungsintensit\u00e4t. Bericht des m. Congresses f\u00fcr Psychologie. M\u00fcnchen 1897. S. 180 f.","page":634},{"file":"p0635.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung.\n635\ngerade schon die Feststellung der bei dieser Vertheilung thats\u00e4chlich vorhandenen Klarheitsvertheilnng nach der oben behandelten Methode voraus;\t'. i\nOapitel 6.\nBericht \u00fcber die eigenen Experimente. (Nene tachistoskopische Apparate und ihre Methode.)\n1) Vereinfachung der Fragestellung zur vorl\u00e4ufigen Contr\u00f4le des Zusammenhanges von Umfang und Unterschiedsschwelle. Die bisherigen Darlegungen sind von einer W\u00fcrdigung der historischen Entwicklung der Fragestellung sogleich zur Theorie einer idealen Methode \u00fcbergegangen, die noch auf keine practischen Messungsresultate verweisen kann, sondern mehr deductiv aus fr\u00fcheren Arbeiten und eigenen Versuchen \u00fcber Umfangsbestimmungen nach einfacheren Methoden, sowie unter Ber\u00fccksichtigung scheinbar ferner liegender und allgemeinerer Gesichtspunkte als vorl\u00e4ufige Orientirung f\u00fcr sp\u00e4tere Versuche abgeleitet sein soll. Ein solches Verfahren ist nat\u00fcrlich nur dann einigerma\u00dfen zu rechtfertigen, wenn, wie in unserem Falle, ein Problem bereits auf eine entwicklungsreiche Geschichte zur\u00fcckblickt und wegen seiner umfassenden Bedeutung besonders offenkundig von der L\u00f6sung zahlreicher und zum Theil rein theoretischer Vorfragen abh\u00e4ngig erscheint, deren Discussion bereits ein ziemlich abgeschlossenes Thema f\u00fcr sich ausmacht. Dennoch w\u00fcrde man vielleicht allzu leicht versucht sein, jene Vorschl\u00e4ge als zu abstracte und voreilige Oombinationen anzusehen, denen die concrete Basis fehlt, wenn nicht einstweilen auch die bisherigen Methoden und Resultate thats\u00e4chlicher eigener Versuche in dieser Richtung mitgetheilt w\u00fcrden, zumal sie schlie\u00dflich auch die subjectiven Bedingungen f\u00fcr jene obigen Entwicklungen ausmachten. Beweisen sie doch zum mindesten \u00fcberhaupt die M\u00f6glichkeit, f\u00fcr die einzelnen Klarheitsgrade m\u00f6glichst vieler von den ausgebreiteten simultanen Elementen des jeweiligen Bewusstseins derartige Werthe wirklich ableiten zu k\u00f6nnen, wie sie oben empfohlen wurden. Ebenso, wie sich die von den oben genannten Autoren (Cap. 5) gehegte Absicht nicht in dem erwarteten Umfange best\u00e4tigte, dass die St\u00f6rung durch anderweitige Nebenreize auf die Unterschiedsschwelle zwischen zwei","page":635},{"file":"p0636.txt","language":"de","ocr_de":"636\nWilhelm Wirth.\neindeutig gekennzeichneten Vergleichsobjecten einen erh\u00f6henden. Einfluss aus\u00fcben soll, was vorhin allerdings mit der theoretischen Begr\u00fcndung meiner eigenen Versuche sehr vertr\u00e4glich erschien, k\u00f6nnte man ja doch auch von der unwissentlichen Variation innerhalb einer gr\u00f6\u00dferen Anzahl von Elementen eine \u00e4hnliche Unabh\u00e4ngigkeit der Unterschiedsschwelle von der in unserem Falle allerdings that-s\u00e4 chlich wesentlich herabgesetzten Beachtung des einzelnen Elementes erwarten. Denn obgleich f\u00fcr unsere Auffassung von der psychologischen Bedeutung der Unterschiedsschwelle eine derartige Skepsis auch ohne besondere Vorversuche nicht mehr gerechtfertigt w\u00e4re, so ist doch diese Anschauung noch keineswegs allgemein genug anerkannt und muss die Methode f\u00fcr die Umfangsbestimmungen durch einfachere Vorversuche auch unabh\u00e4ngig hiervon klar gemacht werden k\u00f6nnen, so dass umgekehrt der oben vertretenen Anschauung \u00fcber das Wesen der Unterschiedsschwelle von dieser Seite sogar eine relativ selbst\u00e4ndige Best\u00e4tigung zu Theil werden k\u00f6nnte. Nun w\u00e4re jedenfalls die Ableitung eines Schwellenwerthes f\u00fcr eine bestimmte Stelle innerhalb des Urcomplexes von beliebigem Bewusstseinsgrade bereits ein ziemlich complicirtes Experiment, da eben die ganze Umst\u00e4ndlichkeit psychophysischer Versuche sofort in mehrfacher Vergr\u00f6\u00dferung eingef\u00fchrt w\u00fcrde. Offenbar ist aber wenigstens die M\u00f6glichkeit einer Ableitung erh\u00f6hter \u00bbSchwellenwerthe\u00ab unter den angegebenen Umst\u00e4nden, und damit die umfassendere Auswerthung des Bewusstseinsumfanges hei Herabsetzung der Anspr\u00fcche an die Unterscheidungsf\u00e4higkeit auch. schon in der Weise darzuthun, dass man umgekehrt eine bestimmte maximale Variation festsetzt und nun pr\u00fcft, in welchem Complex eine derartige unwissentlich angebrachte Ver\u00e4nderung eben noch erkannt wird, hezw. ob \u00fcberhaupt \u00fcber eine bestimmte Apzahl von Einzelelementen hinaus dieser Variationsumfang in den relativ weniger beachteten Elementen untermerklich bleibt. Ist diese Variation bei wissentlichem Vollzug noch hinreichend deutlich, so ist dann auch noch die Erlangung hinreichend differenzirter Klarheitswerthe garantirt. Die praktische Hauptschwierigkeit der vielfach abgestuften Variation f\u00e4llt dann zun\u00e4chst noch fort, und ist nur auf eine entsprechende Gestaltung des Urcomplexes und der einfachen Variation zu achten.\t......","page":636},{"file":"p0637.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung.\n637\n2) Der verwendete Urcomplex und seine Variation. Wie schon erw\u00e4hnt (S.589), wurde diese Frage zun\u00e4chst mit einem tachisto-skopisch, also discontinuirlich dargehotenen Urcomplexe durchgef\u00fchrt, welcher vorher beliebig lange bis zur sicheren Beherrschung und m\u00f6glichst constanten Aufmerksamkeitsvertheilung wiederholt werden konnte, his sich die variirte Vergleichsexposition bei einer beliebig auszuw\u00e4hlenden Exposition der fortlaufenden Reihe einschob. Hierauf brach dann je nachdem (vgl. 4,13) der Versuch ab, oder es kehrte die alte Exposition fortgesetzt wieder, was nach den soeben citirten Darlegungen keinen erkennbaren Einfluss auf die Pr\u00e4-cision aus\u00fcbte. Der Urcomplex, welcher bei diesen ersten Versuchen benutzt wurde, ist auf Fig. 4 (Taf. H) abgebildet. Auf einer Karte aus wei\u00dfem Carton (10 x 11 cm) sind in der Mitte 25 einfache Figuren aufgedruckt, deren Umrisse sich in die Quadratfl\u00e4che von je 5 X 5 mm einf\u00fcgen, mit einem Abstand dieser Quadratfl\u00e4chen von je 2 mm, wodurch eine hinreichende gegenseitige Abhebung der Figuren erreicht ist, wenn dieselben aus 40 cm Entfernung, also ungef\u00e4hr normaler Sehweite betrachtet werden. Dabei liegen dann auch alle Figuren, bis h\u00f6chstens auf die vier \u00e4u\u00dfersten Eckfiguren, noch in der Region des deutlichsten Sehens. Selbstverst\u00e4ndlich darf diese Lage f\u00fcr Bestimmungen des Bewusstseinsumfanges nach dieser Methode an und f\u00fcr sich nicht mehr allgemein f\u00fcr s\u00e4mmtliche Einzelelemente gefordert werden. Bei Einf\u00fchrung gr\u00f6\u00dferer Differenzen der Lage im Sehfeld w\u00fcrde aber nat\u00fcrlich auch die Festhaltung ein und der n\u00e4mlichen objectiven Variation f\u00fcr s\u00e4mmtliche Stellen des Complexes, wie sie in diesen Vorversuchen zun\u00e4chst \u00fcberall vorkommt, an den verschiedenen Stellen des Sehfeldes subjectiv nicht die gleiche Empfindungsvariation bedeuten. Infolge dieser Specialisirung der Versuche, welche ja auch noch gar nicht auf die Ableitung eines m\u00f6glichst umfassenden Ausdruckes f\u00fcr die gesammten augenblicklichen optischen Klarheitsverh\u00e4ltnisse ausgehen, ist also diese Einschr\u00e4nkung der verwendeten Figuren auf die Region des deutlichsten Sehens ganz gerechtfertigt. Die Zusammenstellung der Figuren ist nun m\u00f6glichst so gew\u00e4hlt, dass, abgesehen von der Grundform der Anordnung selbst, die ja nicht variirt werden soll, keine auff\u00e4lligen Beziehungen herausgefunden werden k\u00f6nnen, welche eine besonders abnorme Vertheilung, bezw. Einschr\u00e4nkung der Aufmerksamkeit mit","page":637},{"file":"p0638.txt","language":"de","ocr_de":"638\nWilhelm Wirth.\nsich br\u00e4chten. Auch diese Forderung w\u00e4re ja allerdings bei einer umfassenderen Messung nicht so streng, weil eben jede beliebige Vertheilung der Klarheitsgrade, falls sie nur dem n\u00e4mlichen Ur-complexe gegen\u00fcber constant bleibt, schlie\u00dflich in der gesuchten Gesammtsumme ohne wesentlichen Verlust zum Ausdruck kommen muss. Bei der umgekehrten Anwendung der Methode, durch Aufsuchung des Merklichkeitsbereiches f\u00fcr ein und den n\u00e4mlichen Variationsumfang f\u00fcr s\u00e4mmtliche Stellen des Complexes, wird wenigstens eine etwas gr\u00f6\u00dfere Allgemeing\u00fcltigkeit des Resultates erreicht, wenn die Vertheilung der Aufmerksamkeit innerhalb des Sehfeldes eine m\u00f6glichst gleichm\u00e4\u00dfige ist.\nDie \u00fcberall \u00bb gleichwertige\u00ab Variation der einzelnen Stellen des Complexes bestand nun darin, dass im Vergleichsobject eine im Urcomplex schwarz ausgef\u00fcllte Figur weiss gelassen, hezw. eine dort weisse Figur hier schwarz ausgef\u00fcllt wurde. Dies konnte in einfachster Weise ausgef\u00fchrt werden, nachdem durch Lithographie einige Hundert Karten mit dem n\u00e4mlichen Muster hergestellt worden waren, und zwar mit durchaus unausgef\u00fcllten, beliebig zu schw\u00e4rzenden Umrissfiguren, wie sie aus den entsprechenden Figuren des Complexes zu ersehen sind. Damit ist dann auch die M\u00f6glichkeit gegeben, weiterhin ohne Anfertigung einer neuen Schrift beliebige andere Ausf\u00fcllungen als Urcomplex verwenden zu k\u00f6nnen. Zugleich gibt das Muster nur die Maximalzahl des Urcomplexes an. Denn durch Aufsetzen von Papierschablonen mit entsprechendem Ausschnitt k\u00f6nnen s\u00e4mmtliche Karten, sowohl die des Urcomplexes, als auch alle Variationsscheiben, auf eine beliebig geringere Anzahl von Figuren eingeengt werden. Eine gewisse Abweichung von dem Princip der gleichm\u00e4\u00dfigen Variation, wie es f\u00fcr die Vorversuche einzuhalten ist, liegt allerdings in dem Unterschiede der Variation bei wei\u00dfen und schwarzen Figuren des Urcomplexes, welche ja bei der Ver\u00e4nderung von Wei\u00df in Schwarz und umgekehrt nicht ganz die n\u00e4mliche ist. W\u00e4ren aber z. B. ausschlie\u00dflich wei\u00dfe oder schwarze Figuren verwendet worden, wodurch die Variationsm\u00f6glichkeit unter den gleichen Bedingungen im ganzen Feld eine einzige geworden w\u00e4re, so w\u00fcrde damit nat\u00fcrlich die Absorption der Aufmerksamkeit gem\u00e4\u00df den fr\u00fcheren Ausf\u00fchrungen eine viel geringere gewesen sein, so dass vielleicht die 25 Figuren f\u00fcr die hier gew\u00e4hlte relativ gro\u00dfe Maximal-","page":638},{"file":"p0639.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung. 639\nvariation nicht entfernt die Grenze gebildet h\u00e4tten. Man h\u00e4tte dann etwa zu dem ganz anderen Princip der Formvariation schreiten m\u00fcssen. Durch die Versuche selbst ergab sich aber nun, dass die aus rein practischen Gr\u00fcnden gew\u00e4hlte Variation thats\u00e4chlich nach beiden Seiten hin ungef\u00e4hr gleich auff\u00e4llig erschien, womit nat\u00fcrlich die Brauchbarkeit derselben als vergleichbaren Ma\u00dfes in allen Regionen des Complexes hinreichend garantirt war. Nachdem nun die Variation sich ausschlie\u00dflich auf Ver\u00e4nderungen der Helligkeit beschr\u00e4nkte, h\u00e4tte nat\u00fcrlich auch eine viel einfachere Gestaltung des Urcomplexes, z. B. mit lauter Quadraten oder Kreisen zu dem n\u00e4mlichen Zwecke ausgereicht. Die gr\u00f6\u00dfere Differenzirung der Figuren beruhte eben nur auf einer gleichzeitigen anderweitigen Verwendung derselben in jeweils neuen Urcomplexen mit einmaliger tachisto-skopischer Exposition. Einmal vorhanden, konnte diese Differenzirung wohl auch f\u00fcr diese Versuche h\u00f6chstens eine Ver\u00e4nderung in derjenigen Richtung bewirken, dass die Aufmerksamkeit zur hinreichenden Beherrschung des Ganzen noch mehr in Anspruch genommen und die gesuchten Grenzen h\u00f6herer Klarheitsgrade damit in noch greifbarere N\u00e4he ger\u00fcckt wurden.\n3) Die Versuchsanordnung der ersten Anordnung. (Wiederholte tachistoskopische Darbietung des Urcomplexes.) Der ganze \u00fcbrige Apparat der ersten Hauptanordnung dient nun zur wiederholten tachistoskopischen Exposition des Urcomplexes mit constanter Schnelligkeit der Aufeinanderfolge, sowie zur exacten Auswechselung der gebotenen Scheibe f\u00fcr eine einzige, vom Beobachter ausgew\u00e4hlte Exposition in dieser fortlaufenden Reihe. Diese Anordnung besteht aus zwei Haupttheilen (s. Taf. I Fig. 1): der Vorrichtung, welche die vorhin bereits n\u00e4her beschriebenen Expositionsscheiben tr\u00e4gt, bezw. in einem auszuw\u00e4hlenden Momente in bestimmtem Tacte auswechselt (B), und einer gro\u00dfen (vermittelst des Transmissionsrades p durch einen sehr constanten Electromotor von y8 HP getriebenen) kreisrunden Scheibe (A) von 1 m Durchmesser von matter, dunkelgrauer Farbe. In diese Scheibe ist an der Peripherie der Spalt a (von 10x10 cm Weite) eingeschnitten, dessen Ausdehnung senkrecht zum Radius durch die beiden Schieber a\u2019, a! (auf der der Zeichnung entgegengesetzten Seite) noch beliebig verkleinert werden kann. Die","page":639},{"file":"p0640.txt","language":"de","ocr_de":"640\nWilhelm Wirth.\nKreisscheibe soll zur Unterscheidung von der Expositionsscheibe weiterhin einfach als Rad bezeichnet werden. Die Axe des Rades A l\u00e4uft, wie vor Allem aus dem Seitenriss (Taf. II Fig. 2) deutlich wird, in dem Lager m, das durch den Stab s und die Brettunterlage u auf einem Tische (7) befestigt ist. Die Achse des Rades befindet sich dadurch etwa in Augenh\u00f6he des am Tische II sitzenden Beobachters (s. Fig. 2) der durch das innen geschw\u00e4rzte Rohr R monucular nach dem Objecte hinvisirt. Der Kreisring der Radperipherie, in welchen der genannte Spalt a eingeschnitten ist, verdeckt zugleich die Expositionsscheibe dem Beobachter und gibt sie nur beim Yorheigang des Spaltes frei. \u2014 In den folgenden Versuchen war \u00fcberall die Umdrehungsgeschwindigkeit des Rades auf sec. festgehalten worden, was fortw\u00e4hrend sorgf\u00e4ltigst controlirt wurde. Da gleichzeitig in diesen Reihen wegen der Ausdehnung des Objectes von einer Verengerung des Spaltes kein Gebrauch gemacht wurde, belief sich die gesammte Expositionszeit jeder Stelle des Complexes im Mittel auf 16ff, und die sog. reine Exposition der 3,5 cm senkrecht zum Radius ausgedehnten Figur auf 10,i1*. Hierbei erschien und verschwand der ganze Wahmehmungscomplex vollst\u00e4ndig simultan und konnten verschiedene Umdrehungsrichtungen des Rades hei Einschr\u00e4nkung des Gesichtsfeldes auf das Expositionsfeld ohne besondere Marken an der Scheibe nicht unterschieden werden. Fig. 1 zeigt das Ganze vom Experimentator aus betrachtet, der hinter dem Rade steht, auf deren gegen\u00fcberliegender Seite der Beobachter seinen Platz hat. Die Lage der Expositionsscheibe, wie sie Fig. 4 dargestellt ist, ist in Fig. 1 nicht besonders markirt. Sie ist nat\u00fcrlich auf der anderen Seite von B dem Beobachter zugekehrt und in der H\u00f6he der Rad-axe A angebracht, damit die beiden radialen Begrenzungen des Spaltes m\u00f6glichst horizontal und gleichgerichtet durch das Gesichtsfeld gehen, weshalb ja auch das Rad in so grossen Dimensionen gew\u00e4hlt wurde. Au\u00dferdem liegt die Scheibe nat\u00fcrlich symmetrisch zu der \u00e4u\u00dferen und inneren Begrenzung des Spaltes.\nDer Apparat ist ferner so eingerichtet, dass der Spalt w\u00e4hrend der vollen Umlaufsgeschwindigkeit des Rades beliebig verschlossen und wieder ge\u00f6ffnet werden kann. Diese Einrichtung kann auch schon bei beliebig wiederholter tachisto-skopischer Exposition dazu ben\u00fctzt werden, um den Urcomplex erst","page":640},{"file":"p0641.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung.\n641\nfreizulegen, wenn die volle Geschwindigkeit erreicht ist. Doch ist sie hier allerdings weniger nothwendig, da gerade eine anf\u00e4nglich gr\u00f6\u00dfere Expositionszeit mit ganz allm\u00e4hlicher Abnahme die Betrachtung des Urcomplexes hei mehrfach tachistoskopischer Darbietung sich relativ noch am meisten der idealen continuirlichen Darbietung ann\u00e4hert. Indessen wird jener Verschluss des Spaltes vor allem bei einmaliger Exposition des ersten Objectes, hezw. bei einer genau begrenzten Anzahl der Darbietungen die einfachste Versuchsanordnung darhieten, also insbesondere auch bei einer Untersuchung, die den allm\u00e4hlichen Aufbau der Gesammtvorstellung, welche hier als \u00bbAusf\u00fcllung\u00ab des Bewusstseins verwendet wird, verfolgen wollte, was eine specielle Abart exacter Ged\u00e4chtnissversuche abgibt. (Vgl. 4, 4.) Die Vorrichtung wird in ihrer experimentellen Verwerthung erst im n\u00e4chsten Abschnitt (6, 5), hei den Versuchen mit einmaliger Exposition zur Sprache kommen, doch geh\u00f6rt die Erw\u00e4hnung der Technik nat\u00fcrlich zur vorausgeschickten Beschreibung der gesammten Anordnung. Es wird hier von der n\u00e4mlichen Vorrichtung Gebrauch gemacht, die Marbe in seinem Rotationsapparat mit Verstellbarkeit der Sectoren w\u00e4hrend der Rotation zu optischen Zwecken zum ersten Male angewendet hat1) und die in ihrer practischen Einfachheit ein so allgemeines Anwendungsgebiet besitzt, dass sie bei vielen ausgedehnteren Ver\u00e4nderungen an einem sich drehenden K\u00f6rper w\u00e4hrend der Rotation eine zweckm\u00e4\u00dfige L\u00f6sung bieten d\u00fcrfte. Die einfache Einrichtung ist aus Eig. 1, sowie aus dem Seitenriss (Eig. 2) zu entnehmen. Der Radscheibe von r\u00fcckw\u00e4rts (d. h. vom Beobachter abgekehrt) sehr genau anliegend, ist der geschw\u00e4rzte Blechstreifen b als ein um die n\u00e4mliche Axe verdrehbarer Sector aufgesetzt. Dieser tr\u00e4gt oben eine breitere Platte, welche den Spalt a vollst\u00e4ndig verschlie\u00dft, sobald b in Richtung des Pfeiles verdreht wird. Bei der gew\u00f6hnlichen Lage mit Oeffnung des Spaltes ist der Sector b von der Feder f gegen den Widerhaltstift h zur\u00fcckgezogen. Die Verschiebung des Spaltes kann nun w\u00e4hrend der Rotation in der Weise vorgenommen werden, dass der Experimentator an dem Handgriff e am hinteren Ende der Radaxe anzieht. Dadurch zieht man die (hier sehr kr\u00e4ftige)\n1) Physiol. Centralblatt 1894, Heft 25, S. 811.\nWundt, Philos. Studien. XX.\n41","page":641},{"file":"p0642.txt","language":"de","ocr_de":"642\nWilhelm Wirth.\nDarmsaite d aus der durchbohrten Axe heraus, welche ebenso wie beim Marbe\u2019schen Apparat mit ihrem anderen Ende von der Axe aus senkrecht \u00fcber ein R\u00e4dchen (Eig. 2, c) nach den vier kleinen R\u00e4dchen (Eig. 1 u. 2 c) gef\u00fchrt ist, \u00fcber die hinweg sie an dem Winkelhebel V angreift, der an b gegen\u00fcber der Axe befestigt ist. Die Verschiebung von V in Richtung des Pfeiles, welche durch den Widerhalt h ihr Ende erreicht, dient somit zum Verschluss des Spaltes a, der beim Nachlassen des Handgriffes e durch die Eeder f wieder ge\u00f6ffnet wird. Damit der Handgriff e w\u00e4hrend der Rotation ruhig in der Hand des Experimentators bleiben kann, was bei dem raschen Tacte der nothwendigen Bewegungen wichtig ist, ist das Ende der Schnur, die nat\u00fcrlich mit verdreht wird, erst durch eine glatte Durchbohrung des Ringes g geleitet, in der sie sich leicht mitverdrehen kann. Bei der hier in Betracht kommenden Wucht des Rades ist eine frei mitlaufende Axe als Ende der Schnur unn\u00f6thig. Nur muss nat\u00fcrlich auch hier bei Verwendung dieser Vorrichtung die Umlaufsrichtung des Rades der Drillung der Schnur entsprechen. Es ist bei der thats\u00e4chlichen Verwendung des Mechanismus an sich kein gro\u00dfer Unterschied, ob der Verschluss oder die Oeffnung des Spaltes durch Anziehen am Handgriff e bewirkt wird. Da man aber doch unter Umst\u00e4nden auch ohne diese Vorrichtung arbeiten will, wie es zun\u00e4chst auch in der hier an erster Stelle behandelten Versuchsreihe der Eall war, so ist nat\u00fcrlich die hier beschriebene Einrichtung mit gew\u00f6hnlich ge\u00f6ffnetem Spalt vorzuziehen. Zur Balan-cirung der Sperrvorrichtung ist noch das Gewicht l an der Scheibe befestigt.\nDurch diesen Blechsector ist nat\u00fcrlich, trotz dessen D\u00fcnne, wiederum der Zwischenraum etwas vergr\u00f6\u00dfert, der sich zwischen der gew\u00f6hnlich fixirten Fl\u00e4che und der Expositionsebene befindet. Um diesen \u00bbsch\u00e4dlichen\u00ab Raum so klein als m\u00f6glich zu machen, besteht bereits die gro\u00dfe Radscheibe mit dem vor dem Object vorbeigehenden Ringe ausschlie\u00dflich aus der Pappe, welche auch den \u00fcbrigen Theil des Rades auf der Vorderseite \u00fcberzieht, das zur gr\u00f6\u00dferen Festigkeit in dem ganzen mittleren Theile aus der kr\u00e4ftigen Holzscheibe 0 besteht. Blech w\u00e4re f\u00fcr die gro\u00dfe Scheibe in der n\u00e4mlichen D\u00fcnne zu wenig glatt gelegen. So konnte der Distanzunterschied unter diesen Umst\u00e4nden wenigstens auf 1 cm herabgesetzt werden, ein Ma\u00df,","page":642},{"file":"p0643.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung. 643\ndas bei binocularen Leseversuchen nat\u00fcrlich wegen der Accomodations-st\u00f6rungen ganz unzul\u00e4ssig w\u00e4re, das aber bei monocularer Beobachtung schon weniger schadet, und insbesondere bei diesen Versuchen mit tactm\u00e4\u00dfiger Wiederholung der Exposition die Accomodation von der etwas n\u00e4her liegenden, durch keine secund\u00e4ren Tiefenmerkmale ausgezeichneten Unterbrechungsehene viel eher ahstrahiren l\u00e4sst1). Au\u00dferdem kommt es aher ja hier \u00fcberhaupt nur noch auf die bezeich-neten qualitativ sehr pr\u00e4gnanten Helligkeitsdifferenzen an und ist daher selbst in den sp\u00e4teren Versuchen mit einmaliger Exposition bei vorher verschlossenem Spalte der Accomodationsfehler kaum in Anschlag zu bringen. Nebenbei bemerkt wurden die Versuche auch stets bei voller Helladaptation vorgenommen. Die richtige Fixations-lage konnte zwischen den einzelnen Expositionen dadurch sicher behalten werden, dass auf der Peripherie des grauen Rades eine das Sehfeld halbirende feine wei\u00dfe Kreislinie gezogen war, die gerade vor dem Fixationspunkt vorbeistrich. Sie musste nat\u00fcrlich eine bestimmte Strecke vor der Spalt\u00f6ffnung abgebrochen werden, damit sie sich nicht in ihrem Abklingen noch als helle Linie ins Expositionsfeld mischte, sondern gerade noch vor diesem verschwand, bezw. von ihm v\u00f6llig ausgel\u00f6scht werden konnte. Die horizontale H\u00f6he musste dabei freilich durch einen feinen Faden markirt werden, der ca. 1 cm vor dem Rade quer vorbeiging. Doch konnte sich die Accomodation v\u00f6llig auf den Scheibenring einstellen und benutzte den Faden nur zur Einhaltung der richtigen H\u00f6henlage. Die Beobachtungen waren in dieser Weise durchaus bequem, und war au\u00dferdem jeder st\u00f6render Ausblick auf die \u00fcbrige Anordnung durch eine dunkle, das Ocular des Rohres in ca. 14 cm Radius umgehende Scheibe vollst\u00e4ndig verhindert.\nEine besondere Sorgfalt war nun weiterhin auf die exacte Auswechselung der Expositionsscheiben zur Variation des Urcomplexes zu verwenden. Bei geringeren Anspr\u00fcchen an die Gleichm\u00e4\u00dfigkeit und m\u00f6glichste Ger\u00e4uschlosigkeit der einzelnen Vorg\u00e4nge l\u00e4sst sich diese Variation bereits hinreichend genau mit einem einfacheren H\u00fclfsapparate ausf\u00fchren, als es f\u00fcr die hier zuerst behandelte Versuchsreihe durch den bereits genannten Objecttr\u00e4ger B geschah.\n1) Vgl. oben S. 473.\n41*","page":643},{"file":"p0644.txt","language":"de","ocr_de":"644\nWilhelm Wirth.\nFig. 1 zeigt rechts von der Radscheibe diese einfache Vorrichtung C welche vor allem bei der Vergleichung eines nur einmal exponirten Urcomplexes zur Verwendung kam, also bei der an zweiter Stelle besprochenen Gruppe (6, 5). Ein Brett von 75 cm H\u00f6he und 36 cm Breite steht parallel zur Ebene der Radscheibe unmittelbar hinter dieser, so dass die Pappfl\u00e4che ohne directe Ber\u00fchrung scharf davor vorbeistreicht. In dem Brette befindet sich ein rechteckiger Ausschnitt (von 12 X 50 cm), in dessen beiden Seitenw\u00e4nden Falze eingeschnitten sind, welche einen Schlitten (8) sehr leicht auf- und abbewegen lassen. Dieser Schlitten, der in seiner durch die Pfl\u00f6cke Z bestimmten Ruhelage abgebildet ist, bewegt sich bei einem genau in der Mitte wirkenden Zug der Schnur 11 unter vollkommener Einhaltung seiner Ebene nach oben, bis er an den mit D\u00e4mpfung versehenen oberen Widerhalten Z angelangt ist. In diesem Schlitten befinden sich nun zwei weitere Ausschnitte, in deren oberen die Scheibe mit dem Urcomplexe (9), und in deren unteren die Variationsscheibe (9') eingesetzt wird. Die obere Scheibe befindet sich in der Ruhelage gerade in Augenh\u00f6he, wie die Achse der Radscheibe, und entspricht also vollkommen symmetrisch der Lage der Scheibe unter Verwendung von B. Bei Gebrauch von C wird nat\u00fcrlich der Beobachter seinen Standort um 1 m nach links verlegen. Die ganzen Lageverh\u00e4ltisse des Schlittens und seines Spielraumes sind dabei so eingerichtet, dass die untere Variationsscheibe nach Hinaufziehen in die obere Endlage des Schlittens genau in der gleichen Lage sich befindet. Au\u00dferdem ist nat\u00fcrlich die Entfernung beider Scheiben im Schlitten so eingerichtet, dass die Grenze des Gesichtsfeldes im Beobachtungsrohr immer nur das eine geradeaus befindliche Object sehen l\u00e4sst. Die Scheiben liegen in der vordersten Fl\u00e4che des Brettes C. Zugleich ist hier weiter links vom Beobachter noch eine besondere Verdeckung (Fig. 1) von der n\u00e4mlichen Farbe wie die Radscheibe mit kreisf\u00f6rmigem Ausschnitt (auf dem Stabe 14, Fig. 1) angebracht, welche die Ebene des Rades noch weiter hinaus gleichm\u00e4\u00dfig fortsetzt. Diese auf beiden Seiten gleichfarbige Scheibe kann in symmetrischer Weise auch bei dem Objecttr\u00e4ger B angebracht werden. \u2014 Die gleichzeitige Bedienung des Handgriffes zur Oeffnung des zun\u00e4chst verschlossenen Scheibenspaltes und dieser Schlittenverschiebung stellt freilich bei 1/2\" Umdrehungszeit an das rhythmische Gef\u00fchl und die","page":644},{"file":"p0645.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung. \u00df45\nGeschwindigkeit des Experimentators einige Anforderungen, da doch alles erst auf das Signal des Beobachters, dann aber auch sofort vollzogen werden muss, und wird auch, wenn \"sie zeitlich richtig erfolgt, meist mit ziemlichem Kraft\u00fcberschuss und laut vollzogen. Die Anordnung hat nur den einen Vortheil, der vor allem in dem n\u00e4chsten Abschnitt (6, 5) von Bedeutung sein wird, dass sie in der Form und Dicke des Expositionsobjectes vollkommene Freiheit l\u00e4sst. Anderseits steigert sich jedoch die Complicirtheit der Bedienung besonders dann, wenn nach der Exposition des Vergleichsobjectes sogleich wieder zu derjenigen des Urcomplexes oder einer beliebigen anderen Ausf\u00fcllung des Sehfeldes zur\u00fcckgekehrt werden soll (vergl. 4, 13).\nAlle diese Auswechselungsvorrichtungen k\u00f6nnen nun mit Vorrichtung B mechanisch bewerkstelligt werden, wobei die Spaltscheibe je nach ihrer Stellung zum Expositionsobject die Zeitmomente f\u00fcr die einzelnen Vorg\u00e4nge selbst bestimmt, u. z. noch richtig f\u00fcr viel h\u00f6here Umdrehungsgeschwindigkeiten, und dabei immer mit der n\u00e4mlichen Ger\u00e4uschlosigkeit. Au\u00dferdem wird der ganze Mechanismus zur Variation des Urcomplexes doch auch wiederum erst auf Signal mittelbar von einem Gehilfen in Bewegung gesetzt, hezw. durch eine Reactionsbewegung unmittelbar vom Beobachter. Es erlaubt also diese Anordnung B insbesondere dem Beobachter auch ohne Beanspruchung eines Gehilfen zu arbeiten, bezw. hat der Gehilfe nur so wenig zu thun, als er ohne besondere Ein\u00fcbung mit Leichtigkeit auszuf\u00fchren vermag. Die ganze Anordnung war somit wiederum darauf eingerichtet, dass ich weitaus die Hauptmasse der Versuche durch eigene Beobachtung gewinnen konnte, was f\u00fcr die Beurtheilung aller Vorg\u00e4nge bei eigentlich psychologischen Versuchen im engeren Sinne des Wortes immer von besonderem Werthe ist. Der Verlauf der Variation ist aus Fig. 1\u20144 zu ersehen, wobei vor allem der Seitenriss des oberen Theiles von B in Fig. 3 wichtig ist. An der Vorderseite von B sind die beiden Scheiben des Urcomplexes und des Vergleichsobjectes in ganz genauer Deckung \u00fcbereinander aufgeh\u00e4ngt, so dass der Urcomplex zu oberst liegt. Bei dem pr\u00e4cisen Schnitt der Scheiben nach gleichzeitig vorgedruckten Linien konnte die Deckung hierbei sehr exact erreicht werden, so dass nach dem Fortfall der oberen Scheibe die untere bis auf die variirte Stelle ganz die n\u00e4mliche Ausf\u00fcllung des Sehfeldes darstellte, ebenso wie bei C","page":645},{"file":"p0646.txt","language":"de","ocr_de":"646\nWilhelm Wirth.\nnach Verschiebung des Schlittens 8. Der ganze Halt der Scheiben an der Vorderfl\u00e4che des Brettes besteht nun in den glatt und ziemlich spitzig zugefeilten Stiften s s und 11 (Fig. 4), von denen s die obere Scheibe, t die untere festhalten. Diese Stifte k\u00f6nnen aber nun in das Brett zur\u00fcckgezogen werden. Sie sind (s. Fig. 3) in Querh\u00f6lzer p, p' eingeschlagen, die an Platten (5 und 6, s. auch Fig. 1 bei B) befestigt sind, welche mit einer umgehogenen Kante (5' und 6' Fig. 3) verdrehbar am Brette B festgemacht sind und von demselben nach hinten zur\u00fcckgeklappt werden k\u00f6nnen. Durch diese R\u00fcckw\u00e4rtsbewegung von 5 und 6 und der Querh\u00f6lzer p und p' werden nat\u00fcrlich die Stifte in das Brett zur\u00fcckgezogen, so dass je nach der Bewegung von 5 oder 6 entweder die obere oder die untere Scheibe vom Stifte ahgestreift wird und abf\u00e4llt. Dieses Zur\u00fcckziehen der Stifte wird nun durch die Magnete M und N bewerkstelligt, welche hinter B an einem Stativ 1 (s. Fig. 1) durch die Verklammerung 2 und 3 festgehalten sind. Durch die als Anker dienenden Schrauben a (in p) und a\u2019 (in p') wird je nach der Wirkung des Magneten M oder Ar das obere oder untere Stiftepaar sich zur\u00fcckziehen (Fig. 3).\nEine D\u00e4mpfung aus Watte l\u00e4sst zudem diese Bewegung ganz ger\u00e4uschlos erfolgen, welche ja ohnedies nur wenige Millimeter umfasst. Auch fallen die Scheiben selbst ger\u00e4uschlos auf weiche Tuchunterlagen. Das Zur\u00fcckziehen der Stifte muss nun immer sogleich nach demjenigen Vorbeigang des Spaltes in der Radscheibe erfolgen, welcher der Variation eben vorhergeht, damit m\u00f6glichst viel Zeit f\u00fcr das Abfallen der betreffenden Scheibe bis zur n\u00e4chsten Exposition \u00fcbrig bleibt. Dazu dient nun die Contactvorrichtung k (Fig. 1 und 2), welche vom Transmissionsrade r der Scheibe aus, bei der soeben be-zeichneten Phase der Drehung geschlossen wird. Der an r senkrecht befestigte Stab t (Fig. 1), tr\u00e4gt au\u00dfen ein sehr leicht drehbares R\u00e4dchen v, von dessen \u00e4u\u00dferem Falz die Gummischnur w zum Contact k l\u00e4uft. Die Schnur w wirkt also wie ein Hebel mit sehr freiem Spielraum, gleitet wegen der L\u00e4nge von t auch leicht \u00fcber den Handgriff e hinweg, der in diesem Falle nicht verwendet zu werden braucht (1. Fig. 2), und schlie\u00dft bei jeder Drehung des Rades in der be-zeichneten Stellung den Contact k ger\u00e4uschlos durch Andr\u00fccken eines bereits in der Ruhelage ganz wenig abstehenden Hebels an eine elastische Platte. Dieser Contactschluss darf aber nat\u00fcrlich erst","page":646},{"file":"p0647.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung. 647\nauf Wunsch des Beobachters die Ausl\u00f6sung bewirken; desshalb ist in dem n\u00e4mlichen Stromkreis der Reactionstaster T (Fig. 1) eingeschaltet, welchen der Experimentator bei einem Signal des Beobachters nach einer vorher ausgemachten Zahl von Uml\u00e4ufen (z. B. zweien) niederdr\u00fcckt. Z\u00e4hlt der Geh\u00fclfe die leise zu h\u00f6renden Tact-schl\u00e4ge des Contactes k mit, so wird er ohne M\u00fche die Scheibe noch unmittelbar mit dem Tacte abwerfen, hei dem er niederdr\u00fcckt, weil die elastische Schnur den Contact eine Zeit lang geschlossen h\u00e4lt. Arbeitet man ohne Geh\u00fclfen, so benutzt man nach Schluss des Schl\u00fcssels T den au\u00dferdem geschlossenen Taster T am Beobachtungsrohre (Fig. 2), was bei der Einfachheit der Leistung nach kurzer Ein\u00fcbung ohne St\u00f6rung der Beobachtung richtig ausgef\u00fchrt werden kann. Nun muss aber au\u00dferdem der n\u00e4mliche Contact k in zwei auf einander folgenden Umdrehungen die beiden Scheiben nach einander abwerfen. Denn nur dann ist ja die Vergleichsscheibe wirklich nur ein einziges Mal exponirt gewesen. Dies vermittelt die Stromverzweigung bei der Klemme 4 (Fig. 1) einerseits und dem Contactwechsel U (Fig. 4, in Fig. 1 bei Bl) andererseits, der aus dem Inventar f\u00fcr Zeitsinnversuche1) entnommen ist. Der nach Schluss des Tasters T oder T gemeinsame Theil der Stromkreise ist in Fig. 1 mit a bezeichnet. Die Dr\u00e4hte \u00df zeigen dann die Erg\u00e4nzung zu dem Stromkreis, der bei Schluss von k den oberen Magneten M durchflie\u00dft. Er entspricht der Ausgangslage des U-Contactes. Das Herabfallen der ersten Scheibe mit dem Urcomplexe bewirkt nun in der aus Fig. 4 ersichtlichen Weise seihst die Umstellung von U, da die Scheibe heim Fallen durch einen Faden (Fig. 4,f) den Hebelarm h von U vom Ringe r aus nach vorne zieht, wodurch nun die Verbindung y (Fig. 1) an \u00ab angeschlossen und \u00df ausgeschaltet wird. Dieser kurze Vorgang ist bis zum n\u00e4chsten Schluss von k l\u00e4ngst beendigt und wird dann der untere Magnet N in Th\u00e4tigkeit treten und auch die Variationsscheibe abwerfen. Soll der Urcomplex sogleich wieder an seine Stelle treten, so ist einfach zu unterst eine der oberen v\u00f6llig gleiche Scheibe in der n\u00e4mlichen Deckung dauernd zu befestigen. Au\u00dferdem ist an dieser Stelle z. H. ein wei\u00dfes Blatt anzubringen. (Durch die n\u00e4mliche Vorrichtung kann nat\u00fcrlich auch eine einmalige Exposition mit einem\n1) Beschreibung u. Abbildung s. Wundt, Physiol. Psychol. 4. Aull. II, S. 424.","page":647},{"file":"p0648.txt","language":"de","ocr_de":"648\nWilhelm Wirth.\nfolgenden Objecte verglichen werden. Zu diesem Zwecke ist dann einfach die oberste Scheibe eine leere Karte, die mittlere tr\u00e4gt das einmal zu exponirende Object, und zu unterst wird in einen festen Rahmen das Yergleichsobject eingeschoben. Nat\u00fcrlich k\u00f6nnen dann nur Karten von gleich feiner Beschaffenheit wie dort verwendet werden.) Bei der geringen Dicke der Karten war auch keinerlei Accomodations-st\u00f6rung vorhanden, da sie ganz glatt auf einander lagen und zur sicheren Festhaltung im oberen Theil noch durch den umklappbaren Rahmen d (Fig. 4) angedr\u00fcckt waren. Zur gr\u00f6\u00dferen Bequemlichkeit des Aufsetzens der Scheiben auf die Stifte konnte der ganze Tr\u00e4ger B auf einem G-eleise 88 (Fig. 1) hinter der Radscheibe nach rechts (vom Beobachter aus) vorgeschoben werden, so dass erst der mit den Scheiben versehene Apparat B wieder in seine richtige Lage hinter der Radscheibe zur\u00fcckgelangt. Der ganze Mechanismus functionirte mit gro\u00dfer Pr\u00e4cision und d\u00fcrfte f\u00fcr derartige Versuche sehr zu empfehlen sein. Die Art der Scheibenbefestigung f\u00fcr ganz das gleiche Auswechselungsprincip l\u00e4sst sich ja allerdings noch beliebig variiren. Vortheilhaft ist vor Allem noch, dass man nur mit momentanem Stromschluss arbeitet.\nDie Untersuchung mit beliebiger Wiederholung des Urcomplexes, soweit sie bereits abgeschlossen vorhegt, erstreckt sich allerdings nur auf den einen Urcomplex, wie er in Fig. 4 abgebildet ist, allerdings in zwei Serien mit allen 25 und mit nur 13 Einzelfiguren. Nur wurden daf\u00fcr s\u00e4mmtliche Einzelvariationen der 25 bezw. 13 Figuren mehrfach vorgelegt und im Ganzen ca. 250 Versuche ausgef\u00fchrt. Beobachter war ich au\u00dfer wenig Controlreihen meist selbst, w\u00e4hrend ich jedoch so viel als m\u00f6glich den Apparat von anderen Herren bedienen lie\u00df, um ganz ungest\u00f6rt beobachten zu k\u00f6nnen. Bei diesen Versuchen sowohl, als bei den sp\u00e4ter mitgetheilten wurde ich vor Allem von den Herren Dr. D\u00fcrr, Dr. Churchill, Geiger und Dr. Wrinch in dankenswerther Weise unterst\u00fctzt.\nDie vorhergehenden Variationen durften bei diesen Versuchen nat\u00fcrlich nicht irgend welche engere Auswahl der variirten Stellen nach sich ziehen, nachdem vorher die Anderen durchprobirt waren, damit wirklich vollst\u00e4ndige Unwissentlichkeit bestand. Da jeder Variationsweise, worunter sich auch eine gr\u00f6\u00dfere Zahl von mehrfachen Variationen befand, eine besondere Karte entsprach, konnte","page":648},{"file":"p0649.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung. \u00df49\ndiese v\u00f6llige Erhaltung der Unwissentlichkeit am besten dadurch erreicht werden, dass s\u00e4mmtliche Karten, die von r\u00fcckw\u00e4rts einander v\u00f6llig gleichen, vor jedem Versuch wie in einem Kartenspiele hinreichend gemischt wurden und einfach so lange experimentirt wurde, bis eine hinreichend gleichm\u00e4\u00dfige Anzahl von Einzelversuchen jeder einzelnen Art erreicht war. Bei v\u00f6lliger Unwissentlichkeit war ja mit zwei bis drei Versuchen von einer Art mehr erreicht, als mit gleichm\u00e4\u00dfig vielen, aber einer specielleren Vorbereitung. War au\u00dferdem die Reihenfolge der variirten Elemente vorher l\u00e4ngere Zeit gen\u00fcgend dem Zufall \u00fcberlassen worden, so konnte immer noch sp\u00e4ter einer der genannten Herren die zuf\u00e4llig noch nicht in entsprechendem Ma\u00dfe ber\u00fccksichtigten Karten in engere Wahl, aber doch wiederum mit gleicher Mischung hervorholen. Au\u00dferdem hatte das Verfahren aber nat\u00fcrlich noch den besonderen Vortheil, dass sich mitunter auch ohne jeden Ge-h\u00fclfen Versuche anstellen lie\u00dfen. Denn das Aufsetzen der Scheiben auf den Apparat konnte ohne jede Kenntnissnahme von der Variationsscheibe erfolgen, da beide Scheiben sehr leicht sogleich nach der Auswahl ohne Ansehen der unten liegenden Variationsscheibe, in der auf Fig. 4 ersichtlichen Weise, zur Deckung gebracht und auf die Stifte gesetzt werden konnten. Die 13 Figuren des Complexes, welche bei der einen Serie der Versuche zur Verwendung kamen, erh\u00e4lt man, wenn man sich in Fig. 4 an allen vier Ecken die drei \u00e4u\u00dfersten Figuren durch eine d\u00fcnne Papierauflage mit einem Ausschnitt in der oben beschriebenen Weise bedeckt denkt.\n4) Resultat der ersten Hauptreihe. Das einstweilige Ergebnis dieser Versuche will ich an dieser Stelle nur in der Hauptsache mittheilen, soweit es mir bisher bereits gesichert erscheint. In derjenigen Versuchsgruppe, in welcher die zw\u00f6lf symmetrisch um den Mittelpunkt gelagerten Figuren, nach Ausschluss der 12 Eckfiguren (also 13 Figuren im Ganzen), allein den Urcomplex bilden, wurden immer nach einer gewissen Anzahl von Expositionen des Urcomplexes (die ohne R\u00fccksicht auf die fr\u00fcheren Expositionen ausschlie\u00dflich von der Art und Weise der augenblicklichen Aufmerk-samkeitsvertheilung abhing und zu allen Zeiten ca. zwischen 8 und 16 schwankte) s\u00e4mmtliche 13 Figuren so klar beherrscht, dass jede einzelne Variation in dem n\u00e4her bezeichneten","page":649},{"file":"p0650.txt","language":"de","ocr_de":"650\nWilhelm Wirth.\nUmfang, gleichg\u00fcltig an welcher Stelle, noch sicher erkannt und richtig localisirt wurde. Bei der Exposition des ganzen Complexes von 25 Figuren konnte man sich entweder mehr auf die Mitte concentriren, wobei dann jede Variation innerhalb der mittleren Figuren in dem vorhin bezeichneten Umfange sicher erkannt und richtig localisirt wurde. Beachtet man unter gleicher Fixation der Mitte mehr die eine oder die andere Seite der Peripherie, wobei auch beliebig kreisf\u00f6rmige Vertheilung der Klarheit m\u00f6glich war, so erkannte man zwar eben so sicher eine Variation dieser Umgebung (wobei der entsprechende Umfang noch nicht vollst\u00e4ndig ermittelt ist), war aber daf\u00fcr nicht im st\u00e4nde, die Variationen der Mitte als solche aufzufassen. Bei v\u00f6lliger objectiver Gleichheit der zweiten Scheibe ergab sich aus der sonstigen unvermeidlichen St\u00f6rung im Moment der Variation manchmal, etwa in 10 % der F\u00e4lle, eine nicht im Complex localisirte St\u00f6rung. Dieses Urtheil konnte bei 25 Figuren auch nicht immer sicher von einer thats\u00e4chlichen Variation der \u00e4u\u00dfersten Peripherie unterschieden werden, die sich auf mehr als eineFigur erstreckte, sobald die Peripherie nicht beachtet war. So undeutlich und verschwommen ist also in der Erinnerung bereits nach 4/2 Sec. die Abgrenzung der im unmittelbaren Erleben unklaren Begion des Ur-complexes von dem noch peripheren Hintergrund des Bewusstseins. ITebrigens erfolgt mit der Zeit doch eine zunehmende Verminderung dieser Verwechselung von Gleichheitsf\u00e4llen mit irgend welchen peripheren Variationen. Zu diesen Fehlurtheilen kommt dann auch ein allerdings viel geringerer Procentsatz der gelegentlichen Abweichungen von dem soeben formulirten Satz \u00fcber die sichere Beherrschung der 12 um die Mitte gescharten Figuren. Meist konnte dabei eine momentane Schwankung der Aufmerksamkeit von der variirten Stelle weg constatirt werden. Bei einer mehrfachen Variation wurde meist nur eine erkannt, au\u00dfer wenn dieselben benachbart lagen. Insbesondere wurden mehrfache benachbarte Expositionen auch bei 25 Figuren innerhalb der Peripherie erkannt, wenn auch diese nicht besonders beachtet war, was also auf eine entsprechend gr\u00f6\u00dfere Unterschiedsschwelle unter dieser Bedingung hinweist. Andererseits war aber nat\u00fcrlich f\u00fcr jede beliebige Stelle innerhalb des ganzen Complexes bei Fixation der Mitte die Variation sozusagen","page":650},{"file":"p0651.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung. \u00dfg p\nmit weitaus \u00bb\u00fcbermerklicher\u00ab Deutlichkeit erkennbar, sobald diese Stelle im Voraus bekannt war und willk\u00fcrlich oder infolge der Wissentlichkeit auch nur unwillk\u00fcrlich besonders beachtet wurde. Es m\u00fcssten sich also unter diesen Versuchsbedingungen ganz sicher entsprechende Pr\u00e4cisionswerthe nach Kap. 4 gewinnen lassen.\n5) Die zweite Hauptreihe (einmalige tachistoskopische Exposition des Urcomplexes). \u2014 Versuchsanordnung. Mit der oben bereits ausf\u00fchrlich beschriebenen einfacheren Variationsvorrichtung C(Eig. 1) mitHandbetrieb, wurde nun in einer anderen Versuchsgruppe auch der Erfolg eines nur einmal exponirten Urcomplexes untersucht, und zwar sowohl zun\u00e4chst mit der alten Methode der einfachen directen Wiedergabe nach einer Exposition, als auch mit der Vergleichsmethode, nat\u00fcrlich unter discontinuirlicher Darbietung der Objecte. Die Zahl der Einzelversuche bel\u00e4uft sich auch hier erst auf ca. 200, vertheilt sich aber nur auf Darbietung von 5 Figuren f\u00fcr die unmittelbare Wiedergabe und von 5 und 3 Figuren f\u00fcr die Vergleichsmethode. S\u00e4mmtliche oben genannte Herren waren hierbei auch Versuchsperson. Wenn ich selbst beobachtete, bediente meistens Herr Geiger den Apparat und besorgte vor allem auch die Auswahl der Urcomplexe und der Variationen nach den bereits angegebenen allgemeinsten Gesichtspunkten. Wie schon gesagt, ist ja hier der fortw\u00e4hrende Wechsel des Urcomplexes, der wom\u00f6glich keinen einzigen Versuch ebenso wiederholt, die Hauptvoraussetzung. Da sich aber die Zahl der m\u00f6glichen Variationen ebenfalls in entsprechender Proportion steigert, so ist hier die Verwendung einer Universalcombinations-scheibe sehr am Platze. Fig. 6 zeigt eine solche Scheibe, die f\u00fcr 11 in Kreuzform angeordnete Figuren von ganz der n\u00e4mlichen Gr\u00f6\u00dfe eingerichtet ist, wie sie in dem Complex der vorhin beschriebenen Gruppe vorkamen, und wie man sich dieselbe, abgesehen von den gedruckten Figuren, leicht selbst anfertigen kann. Die Ziffern 1\u201411 bezeichnen die Stelle, an denen die Figuren auf der Scheibe zu sehen sind. An jed\u00e9r dieser Stellen k\u00f6nnen 17 verschiedene Figuren zu stehen kommen, wie sie (nach Fig. 5) auf einzelnen 7 mm breiten Streifen, aus kr\u00e4ftigem, doch biegsamen wei\u00dfem sog. \u00bbNotenpapier\u00ab der Reihe nach in Abst\u00e4nden von 5 mm aufgedruckt sind. Diese","page":651},{"file":"p0652.txt","language":"de","ocr_de":"652\nWilhelm Wirth.\nStreifen sind in Fig. 6 durch die einfach punktirten Linien vertreten, soweit sie oberhalb der festen Kartenscheibe liegen. Sieben sind vertical, vier horizontal durchgezogen. Die elf Paare schraffirter Doppellinien a bis l bezeichnen die glatten durchgeschlagenen 7 mm langen und 3 mm breiten Ausschnitte des Cartons, durch welchen die Streifen mit ihren (in der Figur nicht mehr dargestellten) Enden nach r\u00fcckw\u00e4rts durchgezogen sind. Durch Hin- und Herziehen der in dieser Weise beschriebenen Streifen kann jede beliebige der 17 Figuren auf die dem Streifen entsprechende Stelle des Kreuzes gebracht werden. Zur Verdeckung der oben nicht verwendeten Theile der Streifen dient noch ein au\u00dferhalb der Schnittlinie a his l aufgeklebtes Blatt aus demselben Notenpapier, das zugleich die Vorderfl\u00e4che v\u00f6llig gl\u00e4ttet. Es wurden nun zwei derartige Kartenscheiben hergestellt, deren Ausschnitte gemeinsam durchgeschlagen waren und die mit ebenso angefertigten Deckbl\u00e4ttern versehen wurden. Bei entsprechend genauer Einstellung der Figuren in die mittlere Stellung bildeten sie v\u00f6llig \u00fcbereinstimmende Vergleichsobjecte. Diese beiden Scheiben sind also die beiden Eins\u00e4tze 9 und 9' in den Schlitten 8 (Fig. 1), die zugleich nur diese Auswechselungsvorrichtung zulie\u00dfen, da wegen der r\u00fcckw\u00e4rts hervortretenden Streifen eine TJebereinanderlagerung (wie in der vorigen Gruppe [6, 3]) unm\u00f6glich war. Diese Vorrichtung hat sich vollkommen bew\u00e4hrt und ist in ihrer schnellen und relativ umfangreichen Variationsf\u00e4higkeit kaum durch einfacheres zu ersetzen. Sie erm\u00f6glichte f\u00fcr die am meisten verwendeten Gruppen zu je 5 eine unersch\u00f6pfliche F\u00fclle von Oomhinationen und Variationen, denen die Ausbildung von Gel\u00e4ufigkeitsbeziehung kaum nachzukommen vermochte. (Eine Verwendung von Gummistempeln, die eine \u00e4hnliche Freiheit in der Herstellung der Complexe und ihrer Variation und einen gr\u00f6\u00dferen Spielraum der Anwendung gestatten und deren ich mir sechs verschiedene anfertigen lie\u00df, wurden wegen der Schwierigkeit einer genauen Gleichheit aller Abdrucke, bezw. der Complicirtheit entsprechender H\u00fclfs-vorrichtungen wieder aufgegeben.) Auch hier kann ich \u00fcber die Besultate einen kurzen summarischen \u00dceberhlick geben, soweit der geringe Umfang des Materials einstweilen hierzu zu berechtigen scheint.\nBei der Vergleichung eines nur einmal exponirten Complexes mit","page":652},{"file":"p0653.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung.\n653\neinem folgenden macht sich nun vor allem die Zwischenzeit zwischen beiden Expositionen, je nach der inneren Einstellung des Beobachters, in ganz verschiedener Weise geltend. Wenn man jemanden von Anfang an immer wieder darauf aufmerksam macht, dass er gar nichts dar\u00fcber anzugeben braucht, was f\u00fcr Figuren er gesehen hat, wenn er nur ein entsprechendes Yergleichsurtheil abgeben kann, so ist der Beobachter trotzdem zun\u00e4chst ganz unwillk\u00fcrlich immer darauf bedacht, in seinem Berichte m\u00f6glichst viel \u00fcber die einzelnen Figuren von beiden Oomplexen angeben zu k\u00f6nnen. Damit ist nat\u00fcrlich eine principiell andere Betrachtungsweise w\u00e4hrend und kurz nach der Exposition nahe gelegt, als wenn er die Expositionen so frisch, wie sie ihm erscheinen, zum Vergleiche ausn\u00fctzt, ohne beim Versuche selbst sich auf das Merkenwollen zu verlegen. Thut er das letztere, so wird er sogleich durch die erste Exposition hinreichend besch\u00e4ftigt. Er will sie sich unwillk\u00fcrlich bereits repro-ductiv zurechtlegen, wie dies vor allem Finzi im ganzen Verlaufe w\u00e4hrend l\u00e4ngerer Zeit (a. a. 0.) systematischer untersucht hat, und wird in dieser Th\u00e4tigkeit bereits von der folgenden Exposition \u00fcberrascht, der er dann nicht mit voller Concentration gegen\u00fcbertritt. Bei dieser Einstellung w\u00fcnscht dann der Beobachter auch eine relativ lange Zwischenzeit von ca. D/a bis 2 Sec.; daf\u00fcr bezieht sich aber auch sein Vergleichsurtheil viel zu ausschlie\u00dflich auf dasjenige, was er sich nach der ersten Exposition bis zur Wiedergabe vor Augen halten konnte, also auf den sog. Umfang der \u00bbmaximalen\u00ab Klarheit bei einmaliger Exposition (vgl. Cap. 2). Allerdings kann er dann auch sein Urtheil hinterdrein bis ins Einzelne mit den concreten Figuren belegen, da die Figuren der zweiten Exposition ohnehin \u00bbungest\u00f6rter\u00ab im G-ed\u00e4chtniss bleiben. Man sieht geradezu oft ganz deutlich, wie das Vergleichsurtheil selbst erst auf diese Erinnerung an den ganzen Thatbestand basirt ist. Ist jedoch der Beobachter einmal hinreichend auf die Vergleichung einge\u00fcbt, so dass er das erste Object nicht mehr sich merken, sondern dasselbe nur m\u00f6glichst unmittelbar an das zweite heranbringen will, dann werden entsprechend k\u00fcrzere Zwischenzeiten bevorzugt. Man strebt dann beide Objecte m\u00f6glichst in einem Maximum der Aufmerksamkeitsspannung zusammen zu erhalten; allerdings ist die angenehmste Zeit doch nicht so kurz, wie sie bei der beliebig langen Betrachtung des Urcomplexes passend erschien,","page":653},{"file":"p0654.txt","language":"de","ocr_de":"654\nWilhelm Wirth.\nweil die erste Exposition auch bei der Vergleichsabsicht noch mehr selbst\u00e4ndige Betrachtung zur ersten Hauptorientirang erheischt. Doch wird immer die Vergleichsexposition sozusagen in den n\u00e4mlichen \u00bbTact\u00ab mit hineinzunehmen versucht. Die Zeit von ca. 1 * 3/4 Sec. erschien mir seihst hier als passendste Zwischenzeit, ohne dass ich leugnen wollte, dass noch mehr Uebung in der angemessenen Betrachtung diese Zeit nicht auch herabsetzen w\u00fcrde.*) F\u00fcr noch einfachere Variationen der Zwischenzeit m\u00fcsste freilich in der Radperipherie ein zweiter Spalt in seiner Entfernung vom ersten variirt werden k\u00f6nnen, was aber den Apparat nat\u00fcrlich sehr complicirt.\nAllerdings wird auch durch die sichere Aussicht darauf, dass jeweils im Vergleichsobject immer nur ein einziges Element variirt werden wird, die innere Continuit\u00e4t in der Auffassung der beiden Complexe erh\u00f6ht und das Vergleichsurtheil dadurch dem besseren Erfolge jener zweiten \u00bbEinstellung\u00ab angen\u00e4hert. Das Vergleichsurtheil wird also hierbei so schnell als m\u00f6glich schon hei der zweiten Exposition selbst actuell, wenn man von vorne herein die Beziehung der Objecte aufeinander angestrebt hat. Die sp\u00e4tere Erinnerung bei der Wiedergabe braucht sich nicht an die einzelnen Elemente zu halten und etwa die Vergleichung erst dann auszuf\u00fchren, sondern kann in der Hauptsache das fertige Urtheil reproduziren. Es fanden sich hinreichend pr\u00e4gnante F\u00e4lle, in denen sich diese f\u00fcr das Vergleichsurtheil g\u00fcnstige Art der Wiedergabe besonders klar von den sp\u00e4teren Stadien scheiden l\u00e4sst. Je besser der Beobachter sogleich zu klarer psychologischer Reflexion \u00fcbergehen kann, umso leichter werden nachtr\u00e4gliche Vergleichungen schon subjectiv ausgeschieden. Zu einer ohjectiven Unterscheidung, also abgesehen von der Reflexion auf die zeitliche Trennung der Processe, dienen zugleich die gelegentlichen\n1) Allerdings musste zu diesem Zwecke auch immer die Spaltweite etwas\nverringert werden, um bei der geringeren Umlaufsgeschwindigkeit eine gen\u00fcgend kurze Expositionszeit zu ergeben. Bei der geringeren Ausdehnung von nur 6 in Kreuzform angebrachten Figuren (Feld 3, 4, 5, 9 und 10 in Fig. 6) \u2014 nur 21 mm\nin (Richtung der Spaltbewegung \u2014 wurde hier auch bei 6 cm Spaltweite und 1 Sec. Umlaufszeit immer noch eine hinreichend lange reine Expositionszeit (ca. 12,8a) erlangt. Der Experimentator hielt in ' diesem Falle den (Radspalt zun\u00e4chst verschlossen, \u00f6ffnete nach einem Signal kurz nach einem Yorbeigang, verschob nach dem n\u00e4chsten den Schlitten und schloss nach dem folgenden Vorbeigang den Spalt wieder ab.","page":654},{"file":"p0655.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung. 555\nF\u00e4lle mit v\u00f6llig richtigen Angaben hinsichtlich der Stelle der Variation, bezw. der Gleichheit, ohne die entsprechende F\u00e4higkeit zur Angabe der entsprechenden Figuren. Dabei war nat\u00fcrlich \u00fcberall die Fixation der Mitte vorausgesetzt, und nur zur Contr\u00f4le, ob die innere Fixation ebenfalls auf die Mitte gerichtet war, wurde stets verlangt, dass die Mitte angegeben werden solle. Doch sollte diese Frage nur dazu dienen, die richtige innere Fixation einzu\u00fcben, da f\u00fcr exacte Versuche jede Absicht etwas zu merken, st\u00f6rend wirken kann. \u2014 Der Umfang des unmittelbar Wiedergegebenen steigert sich dabei nat\u00fcrlich nicht gegen\u00fcber den gew\u00f6hnlichen tachistoskopischen Versuchen; das Ver-gleichsurtheil aber kann bei einer hinreichend einschneidenden Variation den Bestand in viel weiterem Umfange richtig als einen variirten beurtheilen. Bei ausdr\u00fccklicher Concentration auf die Vergleichung, ohne gleichzeitige Nebenabsicht, die Einzelmomente zu merken, fand jedoch wohl eine gleichzeitige Herabsetzung der Anzahl von Einzelelementen statt, die hinterdrein noch au\u00dfer der Wiedergabe des richtigen Vergleichsurtheiles reproducirt werden konnten. Die Klarheit der Einzelelemente darf ja hier bei der blo\u00dfen Vergleichsabsicht im unmittelbaren Erleben \u00fcber den gr\u00f6\u00dferen Complex zu Ungunsten der einzelnen nivellirt worden sein, sie wird deshalb trotzdem noch wenigstens zu einem umfassenden Vergleichsurtheil ausreichen, zu dessen Vollzug der erste Complex blo\u00df auf eine m\u00f6glichst bald nachfolgende Variation bezogen zu werden braucht. Es ist so, als ob eine einzige tachistoskopische Exposition stattf\u00e4nde, in der nur eine einzige, allerdings complicirtere Einheit, eben die allgemeinste inhaltliche Beziehung zwischen beiden Complexen aufgefasst zu werden braucht, die sich gerade bei gleichm\u00e4\u00dfiger Vertheilung auf das Ganze am besten \u00fcberschauen l\u00e4sst.\n6) Resultat der zweiten Gruppe. Die einmalige Exposition von drei oder vier Figuren wurde nach hinreichender Uebung und Gel\u00e4ufigkeit der 17 Figuren richtig wiedergegeben, Verwechselungen von \u00e4hnlichen Figuren, insbesondere 12 und 16, 13 und 14, nat\u00fcrlich inbegriffen. Bei f\u00fcnf Figuren begann bereits eine Auswahl, wobei meist nur drei Objecte richtig und sicher angegeben wurden, w\u00e4hrend schon das vierte h\u00e4ufig unsicher und falsch war, also eine Herabsetzung der sicheren Vierzahl, wie es sich auch in den Versuchen","page":655},{"file":"p0656.txt","language":"de","ocr_de":"656\nWilhelm Wirth.\nvon Finzi als Erfolg gr\u00f6\u00dferer Complexe ergeben hatte, ohne dass ich die Erkl\u00e4rung durch noch nicht maximale Uebung, wenigstens f\u00fcr meine Versuche, ausschlie\u00dfen wollte. Es sollen hier nur ein paar Beispiele f\u00fcr die bereits hinreichend klar gelegten Verh\u00e4ltnisse beigef\u00fcgt werden, welche zugleich die allgemeine Vergleichbarkeit dieser speciellen Versuchsbedingungen mit den fr\u00fcheren darthun (die Reihenfolge der nach Fig. 5 citirten Figuren-Nummern entspricht den Feldern 3, 4, 5, 9, 10 in Fig. 6):\n1)\tExposition: 7, 3, \u2014, 6, 4 (Feld 5 leer). Wiedergabe: Alles richtig und sicher (W.).\n2)\tExposition: 11, 7, 15, 15, 2. Wiedergabe: 11, 7, 15? \u2014 2, (G).\n3)\tAls besonders fehlerhaft: Exposition: 2, 10, 1, 6, 8. Wiedergabe: -, 5, 1, 7, 8 (W.).\nBei den Vergleichsversuchen wurde indessen die Ungleichheit von 5 Figuren durch eine einzige Variation der oben bezeichneten Art noch durchweg richtig als solche erkannt. Die unmittelbare Wiedergabe zeigt sich jedoch besonders bei Variation des Complexes besonders gest\u00f6rt. Selten wurde aber zugleich der Ort der Variation richtig angegeben, was aber nat\u00fcrlich hier nicht als unsichere Auffassung der Verschiedenheit gedeutet werden kann, wie bei beliebiger Beherrschung des Urcomplexes, sondern eben gerade als Ausdruck des Vergessens der Einzelheiten, welche dem an sich sicheren Verschiedenheitsurtheil als freilich auch im einzelnen nicht maximal klare Grundlage dienten. Die Angabe der Einzelfiguren selbst war bei je 5 Figuren bereits durchweg l\u00fcckenhaft und confus. Bei mehrfacher Variation wurde diese allgemeine St\u00f6rung erh\u00f6ht, doch pflegte dann wenigstens eine Verschiedenheit sicher und auch hinsichtlich des Ortes richtig bezeichnet zu werden. Die Beurtheilung der objectiven Gleichheit war ebenfalls bis zu 5 Figuren noch sehr deutlich von der Verschiedenheitsauffassung getrennt, verstieg sich jedoch selten zum klaren und sicheren Gleichheitsurtheil, d\u00e4mpfte sich vielmehr, je l\u00e4nger die Wiedergabe dauerte, meist umso mehr zur Behauptung eines \u00bbGleichheitseindruckes\u00ab oder einer \u00bbsehr gro\u00dfen Aehnlichkeit\u00ab ab. Die Wiedergabe war auch hier l\u00fcckenhaft, doch der geringen Zahl von vorgef\u00fchrten Einzelfiguren entsprechend, etwas besser. Interessant","page":656},{"file":"p0657.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung. 657\nsind ferner auch die F\u00e4lle, in denen bei geringeren Variationen von vorne herein ein deutliches Aehnlichkeitsbewusstsein (im sicheren Gegensatz zur Gleichheit) registrirt wurde. Ueberhaupt dient diese Art von Versuchen sehr gut zur Demonstration aller Schat-tirungen des Aehnlichkeitsbewusstseins von der sicheren Verschieden-heitserkenntniss bis zum sicheren Gleichheitsurtheil. Allem Anschein nach wird auch noch f\u00fcr eine etwas gr\u00f6\u00dfere Zahl von Elementen eine einmalige Exposition des Urcomplexes die Verschiedenheit von der Gleichheit in dieser Weise als sicheres Verschiedenheitsbewusstsein einerseits und unsicheres Gleichlieits- bezw. sicheres Aehnlichkeitsbewusstsein im engeren Sinne anderseits unterscheiden lassen, gleichg\u00fcltig, wo die Variation stattfindet. Nat\u00fcrlich sind \u00fcberall die bisher bezeichneten Elemente und die entsprechende Variation vorausgesetzt. Die Versuche werden sich voraussichtlich noch bedeutend vereinfachen und ein noch einheitlicheres Resultat ergeben, wenn auch hier eine qualitativ noch gleichartigere Variationsrichtung eingehalten wird als hier, wo die Variation irgend eine der 17 Figuren an die Stelle der anderen setzte. Doch diente diese mehr qualitative Ver\u00e4nderung eben zugleich zu einer gewissen Abstufung der Variation unter diesen Bedingungen. F\u00fcr drei Figuren zeigte sich nat\u00fcrlich nicht nur eine entsprechend erh\u00f6hte Sicherheit des Urtheiles, vielmehr konnte hei Gleichheit oder einmaliger Variation der gesammte Complex auch im einzelnen wiedergegeben werden. Eine gleich umfassende Untersuchung \u00fcber mehr als 5 Figuren wurde noch nicht durchgef\u00fchrt-Jedenfalls ist aber auch schon aus diesen Versuchen mit Sicherheit zu entnehmen, dass der \u00bbmaximale\u00ab Klarheitsgrad, den diejenige Anzahl von Figuren erreicht, die nach einmaliger Exposition unmittelbar wiedergegeben werden k\u00f6nnen, noch einer viel feineren Unterschiedsempfindlichkeit entspricht, als sie durch die Merklichkeit einer Vertauschung der 17 Figuren in den angegebenen Grenzen repr\u00e4sentirt wird. Insbesondere entspricht die Ebenmerklichkeit der Ver\u00e4nderung von Wei\u00df in Schwarz und umgekehrt, unter den hier vorhandenen Versuchsbedingungen bereits einer viel geringeren Pr\u00e4cision der Auffassung. Somit gestattet auch schon diese relativ rohe und primitive Methode, von der diese Untersuchungen ihren Ausgang nahmen und mit welcher das specielle Problem vorl\u00e4ufig allein in Angriff genommen wurde, f\u00fcr die einmalige tachistoskopische Exposition \u00fcber\nWundt, Philos. Studien. XX.\t42","page":657},{"file":"p0658.txt","language":"de","ocr_de":"658\nWilhelm Wirth.\nden mit der unmittelbaren Wiedergabe allein greifbaren Umfang der maximalen Klarheit hinreichend hinauszugehen. Auch hier seien nur einige wenige Beispiele zur allgemeinen Orientirung angegeben :\n1)\t1. Exposition: 13, \u2014, 7, 3, 6 (Mitte frei). 2. Exposition: ebenso. Urtheil: gleich (2. Sicherheitsgrad, nach 3 Graden qualifient). Wiedergabe: Mitten keine Figur (Ch.).\n2)\t1. Exposition: 8', 3, 2, 8, 9>). 2. Exposition: 8', 3, 2, 5, 9. Urtheil: gleich (3. Sicherheitsgrad). Wiedergabe: \u2014, 3, 2, 7, (!) - (Ch.).\n3)\t1. Exposition: 8', 1, 2, 3, 6. 2. Exposition: 8' 1, 2, 5, 6. Urtheil: ungleich (1. Sicherheit). Wiedergabe: (verlegt die Ungleichheit sogar in die Mitte). 1. Exposition: \u2014, 1, \u2014, \u2014, \u2014. 2. Exposition: \u2014, 7, \u2014, \u2014, \u2014 (Ch.).\n4)\t1. Exposition: 7, 7, 16, 3, 9. 2. Exposition: ebenso. Urtheil: Gleichheitseindruck. Wiedergegeben 1. Exposition: \u2014, 7, 16, \u2014, \u2014. 2. Exposition: ebenso (G.).\n5)\t1. Exposition: 1, 1, 7, 4, 4. 2. Exposition: ebenso. Urtheil: Gleichheitseindruck. Wiedergabe: Nur die Mitte, u. z. richtig (G.).\n6)\t1. Exposition: 12, 10, 15, 4, 7. 2. Exposition: 12, 10, 15, 6, 7. Urtheil: ungleich, u. z. links (also Ort vertauscht). Wiedergegeben: Nur die Mitte, u. z. richtig (G.).\n7)\t1. Exposition: 9', 5, 13, 1, 4. 2. Exposition: ebenso. Urtheil: \u00bbgleich\u00ab, mindestens sehr \u00e4hnlich; dabei vieles eckig\u00ab. Im einzelnen wiedergegeben: f\u00fcr beide Male \u2014, 5, \u2014, \u2014, 4 (W.).\n8)\t1. Exposition: 4, 12, 16, 7, 2. 2. Exposition: ebenso. Urtheil: gleich oder sehr \u00e4hnlich. Im einzelnen wiedergegeben : F\u00fcr beide Expositionen 4, 12, -\u2014, \u2014, 2 (W.).\n9)\t1. Exposition: 6', 11, 15, 6, 4. 2. Expositionen: 6' 11, 14, 6,4. Urtheil: gleich oder sehr \u00e4hnlich (also trotz der Verschiedenheit, allerdings ohne Helligkeitsdifferenz). Wiedergegehen: 1. Exposition \u2014, 11, \u2014, \u2014, \u2014. 2. Exposition: \u2014, 11, 14, \u2014, \u2014 (W..).\n1) 8' u. s. w. bedeutet zum Unterschiede von 8 u. s. w., dass die Figuren 4, 6, 8 und 9 bei ihrer Verwendung in Feld 4, 9 und 10 um 90\u00b0 verdreht erscheinen, bezw. 12 und 14 einfach in 16 und 13 verwandelt werden. Vergl, Fig. 6.","page":658},{"file":"p0659.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung. 659\n10)\t1. Exposition: 12, 13, 13, 7, 5. 2. Exposition: 11, 13, 13, 7, 5. Urtheil: Verschiedenheit links (also richtig). Wiedergegeben: 1. Exposition: \u2014, 13, \u2014, \u2014, \u2014. 2. Exposition: 11, 13, \u2014,\n-, - m\nBesonders markant wird das Verschiedenheitsbewusstsein bei Variation der Mitte, wobei alle sonstige Gleichheit im Urtheil keinen Aehnlichkeitseindruck erwecken kann, z. B.\n11)\t1. Exposition: 7, 13, 17, 5, 11. 2. Exposition: 7, 16, 17, 5, 11. Urtheil: sehr verschieden. Wiedergegeben: 1. Exposition \u2014, 13, 17? \u2014, \u2014. 2. Exposition: \u2014, 16, 17, \u2014, \u2014 (TU.).\nF\u00fcr mehrfache Variation:\n12)\t1. Exposition: 12, 10, 13, 6, 4. 2. Exposition: 11, 10, 15, 6, 4. Urtheil: Links verschieden. Wiedergegeben: f\u00fcr beide -\u2014\u25a0, 5?, 13?, -, - (TU).\nSpringt irgendwo eine speciellere inhaltliche Beziehung zwischen beiden Vergleichsobjecten sogleich hei ihrer Auffassung ins Auge, so dr\u00e4ngt diese alles Andere zur\u00fcck, z. B. beim Eindruck einer symmetrischen Anordnung der Horizontalreihe in beiden F\u00e4llen:\n13)\t1. Exposition: 2, 6', 13, 1, 5. 2. Exposition: 13, 6' 2, 1. 5. Urtheil: Horizontalreihe symmetrisch, das Uebrige unbestimmt.\nWiedergegeben: 1. Exposition 2, 6' 13,-----. 2. Exposition: 13, 6',\n2,-----. (W.)\nEin gutes Beispiel f\u00fcr die Unabh\u00e4ngigkeit des Vergleichsurtheiles von der Reproduction bei der Wiedergabe ist endlich folgendes:\n14)\t1. Exposition: 1, 4', 17, 2 (4 Figuren). 2. Exposition: 1, 4', 17, 1. Urtheil: Oben verschieden, sonst gleich. Dem gegen\u00fcber\nzeigt die Wiedergabe wesentliche Abweichungen vom wirklichen Bestand, 1. Exposition: 2?, 1!, 17, \u2014.\t2. Exposition: 2?, II, 17, \u2014.\n7) Neuer Apparat f\u00fcr tachistoskopische Versuche, insbesondere zur beliebigen tachistoskopischen Variation continuirlich dargebotener Bilder. Schlie\u00dflich will ich noch eine einfache Versuchsanordnung mittheilen, zu der ich einerseits durch die oben (Cap. 4) entwickelten theoretischen Ueberlegungen, andererseits durch die eingehende Besch\u00e4ftigung mit der Technik\n42*","page":659},{"file":"p0660.txt","language":"de","ocr_de":"660\nWilhelm Wirth.\ntachistoskopischer Anordnungen gef\u00fchrt wurde. Sie ist vor allem zur Erm\u00f6glichung einer beliebigen tachistoskopischen Variation eines Complexes erdacht worden, also f\u00fcr das Problem jener idealen Umfangsbestimmungen nach der Vergleichsmethode ohne jeden Ge-d\u00e4chtnissverlust bei unmittelbarer zeitlicher Nachbarschaft der Vergleichsobjecte. Au\u00dferdem d\u00fcrfte sie aber sowohl f\u00fcr die einfachen tachistoskopischen Versuche mit einmaliger tachistoskopischer Exposition eines Objectes, als auch f\u00fcr eine bessere Variation der Zwischenzeit zwischen mehrfachen tachistoskopischen discontinuirlichen Einzelexpositionen eine gewisse Erg\u00e4nzung der bisherigen Apparate bilden1). Der neue Apparat ist in dem Modell, das von Herrn Mechaniker E. Zimmermann einstweilen bis zur Herstellung einer completeren Anordnung ausgef\u00fchrt wurde, in Fig. 7 schematisch abgebildet. Es besteht in der Hauptsache in der runden Spiegelscheibe 8, (in diesem Modell einstweilen mit 35 cm Kreisdurchmesser), welche um die senkrecht zur Bildebene laufende Axe a in dem Lager M beliebig rasch rotiren kann und vermittelst des gleichfalls an der Axe a befestigten Transmissionsrades R (in der Zeichnung nur im Umrisse schraffirt) mit einem Electromotor getrieben wird. Durch Stativ H und Unterlage U ist das Ganze, wieder mit a in Augensitzh\u00f6he, auf einem Tische befestigt. In dem \u00e4u\u00dfersten Kreisringe des Spiegels ist nun ein quadratischer Ausschnitt von 5 X 5 cm aus\n1) Vor Ausgestaltung dieser speeiellen Anordnung versuchte ich das bekannte Ealltachistoskop in der Weise zum Vergleich continuirlicher Objecte mit tachiskopisch dargebotenen einzurichten, dass unten ein kleiner senkrecht verschiebbarer Schlitten angebracht wurde, welcher zwei Expositionsscheiben (\u00e4hnlich wie C, Eig. 1) \u00fcber einander enthielt. Je nach der unteren oder oberen Endlage dieses Schlittens befand sich das continuirlich oder das tachistoskopisch zu betrachtende Object im Sehfeld. Durch sein unteres, umgebogenes Ende konnte zugleich der Objectschlitten in seiner oberen Lage vom Spaltschlitten beim Herabfallen erfasst und nach Schluss der tachistoskopischen Exposition mit nach unten gerissen werden, so dass nach einem raschen Emporziehen des Spaltschlittens sogleich wieder die continuirliche Aussicht auf das nicht tachistoskopisch zu ex-ponirende Object frei wurde. Nach Schluss der Betrachtung vor der tachistoskopischen Exposition musste dann freilich der Schlitten erst in seine obere Lage gebracht und zun\u00e4chst bis zur tachistoskopischen Exposition des Objectes, das jetzt im Gesichtsfeld stand, verdeckt werden. (Vgl. hierzu die Beschreibung des neuen Tachistoskops nach Wundt\u2019s Angaben a. a. 0.) Doch wurde abgesehen von diesen Schwierigkeiten die Discontinuit\u00e4t sehr st\u00f6rend empfunden. Vgl. ferner oben S. 583.","page":660},{"file":"p0661.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung.\n661\ndem Spiegelbelag sehr pr\u00e4cis chemisch abgel\u00f6st, so dass der Spiegel zun\u00e4chst im Glanzen \u00e4hnlich wie die Pappscheibe A in Fig. 1 als gew\u00f6hnliches Tachistoskop verwendet werden kann, wenn man sich hinter seiner Fl\u00e4che das Expositionsobject angebracht denkt. Dabei bietet nun dieser Spiegelapparat schon f\u00fcr diese einfache tachistoskopische Exposition den gro\u00dfen Vorzug, dass man den Fixationspunkt, bezw. diese ganze Ebene vor der Exposition des Objectes ganz genau in die n\u00e4mliche Ebene verlegen kann, in welcher das Object hinterdrein auftreten wird, ohne dass man hierzu complicirter Projectionsvorrichtungen mit Ver\u00e4nderungen der allgemeinen Helligkeit u. s. w. bed\u00fcrfte. Man braucht zu diesem Zwecke nur eine andere gleichartige Scheibe von beliebiger Ausdehnung und Helligkeit u. s. w. genau so weit vor dem Spiegel und diesem zugekehrt anzubringen, als das Expositionsobject hinter demselben gelegen ist, eine Einstellung, die sich sehr leicht und genau bewerkstelligen l\u00e4sst. Zugleich muss nat\u00fcrlich die Lage der Fixationsmarke auf der vorderen Ebene derjenigen des gew\u00e4hlten Punktes im Expositionsobject entsprechen. Verschlie\u00dft man vorl\u00e4ufig durch eine entsprechend hinter dem Spiegel angebrachte Blende von gleicher scheinbarer Helligkeit wie die vordere Ebene den Ausblick auf das Expositionsobject durch den vorbei gehenden Spalt hindurch, so kann zun\u00e4chst nach richtiger Befestigung des Expositionsobjectes der Spiegel in hinreichend geschwinde Bewegung versetzt werden, wie man eben gerade die Expositionszeit w\u00fcnscht. Es bedarf dann nur noch einer Vorrichtung (\u00e4hnlich wie sie f\u00fcr die Variation der Scheiben auf B in Harmonie mit der Bewegung des Radspaltes oben ausf\u00fchrlich beschrieben wurde), durch welche der Ausblick durch den Spalt auf das Object nur f\u00fcr einen einzigen und zwar beliebig auszuw\u00e4hlenden Vorbeigang des Spaltes freigegeben wird, oder durch den das Expositionsobject sogleich nach seiner Darbietung vor Wiederkehr des Spaltes verschwindet, und man verf\u00fcgt \u00fcber den einfachsten Tachistoskopapparat, der allen ah einen solchen bisher gestellten Anforderungen vollkommen gerecht werden d\u00fcrfte. Auch hier kann wieder eine Marbe\u2019sche Vorrichtung zum Verschluss und zur Oeffnung des Spaltes w\u00e4hrend der Rotation (vergl. Fig. 1, b bis /), mit Vortheil verwendet werden. Der Spiegel muss","page":661},{"file":"p0662.txt","language":"de","ocr_de":"662\nWilhelm Wirth.\nnat\u00fcrlich genau gearbeitet und gut centrirt und visirt sein, damit w\u00e4hrend der Eotation die K\u00fche des ganzen Gesichtsfeldes m\u00f6glichst gewahrt bleibt. Dabei eignet sich der Apparat wegen der vollkommenen Accomodationshedingungen gleich gut f\u00fcr monoculare, wie f\u00fcr hinoculare Versuche und gestattet dem Beobachter den freiesten Ausblick z. B. durch ein Ocular, welches in der vorderen (gespiegelten) Ebene seihst angebracht sein kann.\nVor allem aber besitzt nun dieser Apparat den Vorzug, dass er die tachistoskopische Exposition nach Belieben auch nur als eine Momentphase in ein continuirlich dargebotenes Bild einzuf\u00fcgen gestattet. Dieses continuirliche Bild braucht ja hierzu nur ebenfalls auf der vor dem Spiegel befindlichen Ebene diesem zugewandt zu sein und wird dann von einem von r\u00fcckw\u00e4rts durch diese Ebene hindurch- oder an ihr vorheihlickenden Auge in einer entsprechenden Ebene hinter dem Spiegel continuirlich gesehen werden, bis es jeweils f\u00fcr einen tachistoskopischen Moment w\u00e4hrend des Spaltdurchganges bis auf die schwache Eeflexion des unhelegten Glases verloren geht. In Eig. 7 stellt die Scheibe K dieses vordere Bild dar, welches hier als Cartonscheibe mit dem Urcomplexe aus Fig. 5 gedacht ist. Sie ist durch den Halter N auf der Brettunterlage M und dem genau gearbeiteten Kasten P m\u00f6glichst parallel zur Ebene fixirt. Man hat sich nun diesen ganzen Theil der Zeichnung K, N als die gemeinsame Parallelprojection von zwei Scheiben mit entsprechenden Haltern auf die Spiegelebene zu denken, und liegen beide Scheiben, hei der L\u00e4nge von M \u2014 40 cm, genau 20 cm vor und hinter der Spiegelebene zu dieser Ebene symmetrisch. Auch ist der Druck der Figuren auf der r\u00fcckw\u00e4rtigen Karte genau das Spiegelbild der vorderen, wie sie auf Fig. 5 abgehildet ist, was sehr einfach und pr\u00e4cis durch Ben\u00fctzung der n\u00e4mlichen lithographischen Platte zu sogen. Contredruck erreicht wurde. Au\u00dferdem l\u00e4sst sich die Lampe L so richten, dass sie die beiden Karten, d. h. die direct durch den Spalt, bezw. das unbelegte Glas und andererseits die gespiegelt gesehene Karte zu ganz gleicher Helligkeit beleuchtet. Diese ganze Einstellung, sowohl der Karte, als auch der Lampe wird nat\u00fcrlich nach einer rohen Einstellung durch Messung der Distanzen u. s. w. durch den Vergleich im Spiegel selbst erreicht, indem man unter Hin- und Herhewegung der Spaltgrenzen alles so lange systematisch variirt und verschiebt,","page":662},{"file":"p0663.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung.\n663\nbis die beiden Bilder zur vollkommenen Deckung gebracht sind. In Fig. 7 ist ein Ocular 0 in K eingeschnitten gezeichnet, welches hier nur um der Symmetrie willen in der Mitte angebracht und f\u00fcr die Beobachtung der Complexe an irgend eine Stelle au\u00dferhalb der Figuren verlegt werden kann. Versetzt man nun den Spiegel in Rotation, so wird man bei entsprechender Gleichheit der beiden Complexe trotz des Spaltes ein v\u00f6llig continuirliches Bild vor sich sehen, zumal bei entsprechender Rotationsgeschwindigkeit sogar die feinen Grenzlinien des Spaltes mit ihren kleinen Anomalien der Reflexion vollst\u00e4ndig verschwinden. Es bedarf also jetzt nur noch einer Vorrichtung zur Auswechselung der Scheiben f\u00fcr einen einzigen Vorbeigang des Spaltes nach dem schon \u00f6fters erw\u00e4hnten Princip \u00e4hnlich wie an B (Fig. 1), und man bewirkt eine einzige tachistoskopische Variation des continuirlich sichtbaren Ge-sammtbildes. Nat\u00fcrlich muss hier die Deckung der Scheiben besonders genau gearbeitet sein, was ja bei gleichen Druckabz\u00fcgen von einer Platte mit vorgezeichneten Schnittlinien ebenso wie f\u00fcr 7, 1 sehr gut zu erreichen ist. Denn jede Verschiebung und Neigung der Expositionsscheibe in der Ebene parallel zum Spiegel w\u00fcrde nat\u00fcrlich ein Seitw\u00e4rtsspringen der Figuren in der tachistoskopischen Exposition erzeugen. Dagegen ist eine minimale Verschiebung senkrecht zur Spiegelebene, wie sie bei der in 7,2 stattfindenden Absto\u00dfung der \u00fcber einander gelagerten Scheiben eintritt, bei der Gr\u00f6\u00dfe der Gesammtentfernung von 40 cm oder mehr ohne Bedeutung. Man muss dann nur daf\u00fcr sorgen, dass die mittlere Karte, die also die kritische Variation enth\u00e4lt und auf die es daher eigentlich beim Versuch ankommt, der eigentlich genauesten Einstellung auch hinsichtlich der senkrechten Entfernung entspricht. Auch kann die Aufh\u00e4ngung an Stiften durch die noch einfachere Klemmung einer durch eine Feder niedergedr\u00fcckten Platte am oberen oder seitlichen Kartenrande ersetzt werden, die dann durch die Magneten wie hei Mund N (Fig. 1) mittelst Hebelvorrichtung momentan etwas gel\u00fcftet wird, weil hier f\u00fcr die Vorderfl\u00e4che des gesammten Expositionstr\u00e4gers hinterm Spiegel nicht mehr auf das nahe vorbei rotirende Scheibenrad, wie in Fig. 1, R\u00fccksicht zu nehmen ist. Au\u00dferdem w\u00e4re es aber auch kaum ein irgend heachtenswerther Mangel der Continuit\u00e4t des Objectes, wenn das Object hinter dem Spiegel von vorn herein blo\u00df","page":663},{"file":"p0664.txt","language":"de","ocr_de":"664\nWilhelm Wirth.\ndie Variationsscheibe darstellt, welche tachistoskopisch vorgef\u00fchrt werden soll und nun ebenso wie hei der zuerst beschriebenen Verwendung des Apparates zur einfachen tachistoskopischen Exposition zun\u00e4chst durch einen hinter dem Spiegel befindlichen Schirm verdeckt gehalten und blo\u00df f\u00fcr einen beliebigen Vorbeigang frei gegeben wird. In diesem Falle erspart man sich also die etwas schwierigere Auswechselungsvorrichtung unter genauer Einhaltung der Bildlage und hat nur f\u00fcr jeden Versuch das Variationsobject genau in die richtige Lage in einen festen Rahmen einzuschieben. Diese Anordnung hat dann noch den Vortheil, dass sie den Beobachter von Anfang in dem richtigen Tacte erh\u00e4lt, in welchem er die kritische Variation zu erwarten hat, indem er bei jedem Vorbeigang des Spaltes w\u00e4hrend der Bedeckung des Objectes mit einem gleichfarbigen Schirm das Gesammtbild momentan sozusagen im Ganzen zusammenzucken sieht, und zwar nat\u00fcrlich um so unauff\u00e4lliger und weniger st\u00f6rend, je dunkler der Deckschirm selbst ist. Auch wenn die Auswechselung der Objecte an Stelle der Schirmbedeckung vorgenommen wird, muss ja der Vorbeigang des Spaltes noch irgendwie besonders markirt sein, wozu bei guter Einstellung der Vorbeigang der Spaltgrenzen wegen seiner Unmerklichkeit nicht mehr zu verwenden ist. Es bedarf also dann einer besonderen Marke auf dem zun\u00e4chst zu oberst liegenden identischen Object hinter dem Spiegel. Doch d\u00fcrfte die gleichm\u00e4\u00dfige Unterbrechung des gesammten Bildes mindestens eben so viel f\u00fcr sich haben als eine die Klarheitsvertheilung immer mehr oder weniger einseitig st\u00f6rende Marke. So hat also auch hier jede der Anordnungen ihre Vortheile.\n8) Die gleichzeitige Verwendbarkeit des Spiegeltachisto-skopes zur Abstufung des Variationsumfanges. Alle \u00fcbrigen Einzelheiten der Versuchsanordnung, wie die Art der Variation u. s. w., bleiben nat\u00fcrlich die n\u00e4mlichen, wie bei Gruppe 6, 2. Nur erm\u00f6glicht unsere neue Anordnung zugleich nach einer allerdings nicht ganz einfachen Richtung eine gewisse Abstufung des Umfanges der Variation an den einzelnen Stellen ohne Zuh\u00fclf enahme neuer Variationsobjecte als der schon oben erw\u00e4hnten Karten, welche an der zu variirenden Stelle Wei\u00df mit Schwarz vertauschen und umgekehrt. Bei verschiedenen Umdrehungsgeschwindigkeiten des Spiegelrades wird","page":664},{"file":"p0665.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung.\n665\nein und dieselbe Spaltweite (nat\u00fcrlich sind au\u00dferdem auch hier Variationen der Spaltweite durch verschiebbare Silberbelegung m\u00f6glich) eine verschieden lange Unterbrechung bezw. Belichtung der variirten Stelle herbeif\u00fchren. Diese kommt aber weniger als eine Ver\u00e4nderung der gesammten Variationszeit zur Geltung, sondern vor allem als Ver\u00e4nderung des Variationsumfanges. Damit wird nat\u00fcrlich nicht etwa die der ver\u00e4nderten Reizdauer jeder Zeit entsprechende Ver-, \u00e4nderung der Wahrnehmungsdauer f\u00fcr gleichg\u00fcltig erkl\u00e4rt, wie sie sich insbesondere bei einmaliger tachistoskopischer Exposition eines Objectes nach vorheriger und nachfolgender unterschiedsloser und dunklerer Ausf\u00fcllung des Sehfeldes geltend macht (vgl. oben 2, 2). Bei dieser einmaligen Exposition des gesammten Bildbestandes, bei dem es sich um eine Neuauffassung des gesammten Bildes handelt, wird ja die Verl\u00e4ngerung der Wahrnehmungsdauer an allen Punkten psychologisch zur Geltung kommen. In unserem Falle steht aber ja das Bild bereits an allen Stellen, abgesehen von der oben unwissentlich variirten Stelle, fertig vor uns und wird w\u00e4hrend des Passirens des Spaltes \u00fcberhaupt nicht ver\u00e4ndert. F\u00fcr alle diese Stellen ist es daher ziemlich gleichg\u00fcltig, wie lange der Spalt zum Vorbeiwandern braucht. H\u00f6chstens f\u00fcr die variirte Stelle kann die Ver\u00e4nderung der Wahrnehmungszeit in Betracht kommen. Auch kann bei Variation der \u00bbSpaltzeit\u00ab niemals der Fehler geleugnet werden, dass bei etwas l\u00e4ngerer Variation die fortw\u00e4hrende unwillk\u00fcrliche Wanderung des Mavirrmms der Aufmerksamkeit (vgl. oben 2, 2) mehr Chancen hat, auch inzwischen an die variirte Stelle zu kommen. Indessen kann hier gerade der nicht allzu geringe Variationsumfang der Reizdauer ausgen\u00fctzt werden, der keine entsprechend gro\u00dfe Ver\u00e4nderung der Wahrnehmungsdauer, sondern nur eine verschiedene Helligkeit erzeugt. Auch bei den einfachen tachistoskopischen Versuchen war ja hiervon\u00bb schon \u00f6fters die Rede, dass eine Verk\u00fcrzung der Reizdauer unter ein bestimmtes Minimum f\u00fcr die Exposition der Bilder nicht zu verwenden sei, weil sie keine viel k\u00fcrzere Wahrnehmungsdauer, daf\u00fcr aber eine viel zu geringe Helligkeitsentwickelung der wei\u00dfen Stellen des Bildes bewirke, von denen sich die dunklen der Schrift abheben sollen. Der erste dieser Gesichtspunkte gestattet nun in unserem Falle gerade die beliebige Variation innerhalb des Umfanges, der zweite, dass zu kurze Expositionen keine hinreichende","page":665},{"file":"p0666.txt","language":"de","ocr_de":"666\nWilhelm Wirth.\nDifferenz erzeugen, ist aber f\u00fcr uns hier nat\u00fcrlich kein Grund, um nicht noch viel tiefer unter die dort begutachtete Expositionszeit von 10 his 2017 heruntergehen zu k\u00f6nnen, weil ja hier gerade eine Unterschiedsschwelle gesucht wird. Au\u00dferdem d\u00fcrfte aber bei v\u00f6llig unwissentlichem Verfahren, bei dem es noch dazu auf eine einzige Stelle des Sehfeldes ankommt, in welchem also der Zusammenfall von wanderndem Aufmerksamkeitsmaximum und der variirten Stelle v\u00f6llig zuf\u00e4llig und daher durch entsprechende Versuchszahl zu eliminiren w\u00e4re, auch eine gewisse Ueberschreitung jenes Maximums der Expositionsdauer gerechtfertigt sein, unter welchem die Variationen der Reizzeit f\u00fcr die Wahrnehmungszeit relativ irrelevant bleiben. Ein zu gro\u00dfer Umfang der Reizzeit ist nat\u00fcrlich ebenfalls unvortheil-haft, weil der Fortschritt der entsprechenden Wahrnehmungsver\u00e4nderung bis zu seinem Maximum ein immer langsamerer wird und somit vor allem nur noch der sch\u00e4dliche Einfluss der Wahrnehmungszeit zur Geltung kommt. Zudem d\u00fcrften die unterhalb von etwa 50 als Maximalexpositionszeit m\u00f6glichen Helligkeitsvariationen vollst\u00e4ndig ausreichen, um f\u00fcr einen gro\u00dfen Gesichtskreis die momentanen Ver\u00e4nderungsschwellen zu bestimmen. Denn soviel ich aus den bisherigen Versuchen bereits entnehmen konnte, ist selbst f\u00fcr einen relativ gro\u00dfen Complex noch eine hinreichende Feinheit der Auffassung f\u00fcr alle beliebigen unwissentlichen Variationen vorhanden. Dabei ist nat\u00fcrlich auch hier die Differenz der Ablaufsweise der Erregung von Peripherie und Centrum zu ber\u00fccksichtigen. Indessen d\u00fcrfte bei Concentration der Aufmerksamkeit auf die Mitte (trotz der rascheren Ablaufsweise in der Peripherie) die Unterschiedsschwelle f\u00fcr eine unwissentliche Variation entsprechend h\u00f6her gelegt sein. Daf\u00fcr ist aber nun auch die Wahrscheinlichkeit einer nach der betreffenden Stelle gerichteten Aufmerksamkeitswanderung eine entsprechend geringere, und somit wird man hier auch mit noch etwas l\u00e4ngeren Expositionszeiten den entsprechenden Variationsumf\u00e4ngen sich n\u00e4hern d\u00fcrfen. Soweit die Zeit der Bewusstseinsvorg\u00e4nge selbst, d. h. die doppelseitige Ver\u00e4nderung des Ansteigens und Abklingens als Ver\u00e4nderung der psychologischen Eindrucksf\u00e4higkeit der Variation wirkt, also mit einer verschiedenen F\u00e4higkeit, das gesuchte Vergleichsurtheil herbeizuf\u00fchren, ist sie allerdings eine psychologisch viel zu complicirte Variationsrichtung, um in exacteren","page":666},{"file":"p0667.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie dea Bewusstseinsumfanges und seiner Messung. 667\nSchwellenbestimmungen f\u00fcr die Klarheitsmessung verwendet werden zu k\u00f6nnen.\nZu alledem wird aber nun diese Variation der Spaltzeit dann auch f\u00fcr die Ableitung der Schwellenwerthe bei wissentlicher Variation und Aufmerksamkeitsconcentration dienen m\u00fcssen. Denn eine entsprechende Geschwindigkeit der Rotation wird auch hei einer ausdr\u00fccklich auf die variirte Stelle gerichteten Aufmerksamkeit keine Ver\u00e4nderung mehr erkennen lassen. Hier zeigt sich besonders deutlich die Kleinheit der Werthe, welche hei dieser Variante der Vergleichsmethode, mit ihrer engen zeitlichen Beziehung der entscheidenden Momente, zu einander in Verh\u00e4ltniss gesetzt werden m\u00fcssen, beinahe als ob ein Differentialquotient durch Abmessung an den einzelnen Ourvenstellen gewonnen werden sollte.\nSoweit hier allein von optischen Variationen die Rede ist, taucht auch zugleich wieder die interessante Beziehung zu den allgemeinen \u00bbVerschmelzungsbedingungen\u00ab hei schneller Aufeinanderfolge verschiedener, momentan einander ahl\u00f6sender Reize auf1), wie sie in der Theorie des Talbot\u2019schen Gesetzes eine wichtige Rolle spielen. Dabei ist f\u00fcr die Ableitung der \u00bbNormalver\u00e4nderungsschwelle\u00ab unter ausdr\u00fccklicher Beachtung der variirten Stelle nat\u00fcrlich je nach der Qualit\u00e4t der einander ersetzenden Reize schon nach jenen f\u00fcr die g\u00fcnstigste Verschmelzung am Farbenkreisel angegebenen Bedingungen ein verschiedener maximaler Zeitwerth zu erwarten. Wie aber nun die Abh\u00e4ngigkeit der einfachen Unterschiedsschwelle von der Empfindungsintensit\u00e4t eine psychologische Erkl\u00e4rung, insbesondere durch Hinweis auf die \u00bbEnge\u00ab der Apperception nahe legte und damit eine gewisse Coordination der Absorption der Aufmerksamkeit durch Intensit\u00e4ten mit der leichter als solche erkennbaren Wirkung der extensiven \u00bbConcurrenz\u00ab gestattete, ebenso oder \u00e4hnlich wird die Leichtigkeit der \u00bbVerschmelzung\u00ab als der Unmerklichkeit des Flimmerns unter verschiedenen Bedingungen, wie mittlere Intensit\u00e4t der \u00bbgemischten\u00ab Elemente, auf die wichtigen centralen und psychologischen Gesichtspunkte zur Erkl\u00e4rung des Geschwindigkeitsminimums hinweisen, welches in diesem Sinne eine Merklichkeitsschwelle f\u00fcr momentane, u. z. wie hier hin- und her-\n1) Vgl. auch Stern, a. a. O. S. 178ff.","page":667},{"file":"p0668.txt","language":"de","ocr_de":"668\nWilhelm Wirth.\ngehende Ver\u00e4nderungen repr\u00e4sentirt. Auch hier liegt die psychologisch bedingte Unmerklichkeit bei der Erh\u00f6hung der Schwelle durch die extensive Ooncurrenz am klarsten zu Tage. Damit ist nat\u00fcrlich nicht im mindesten die Wichtigkeit der rein peripheren Vorg\u00e4nge geleugnet, welche, abgesehen von den psychologischen Gr\u00fcnden f\u00fcr die Unmerklichkeit des Empfindungswechsels im Sinne einer hei jener Unmerklichkeit bereits vorausgesetzten Ausgleichung der Erregungsdiscontinuit\u00e4ten wirken. Gerade hei dem Unterschied von Peripherie und Centrum treten bekanntlich die letzteren um ihrer Differenzen willen klar zu Tage, insofern sie hier die Klarheitsdifferenzen bei der gew\u00f6hnlichen Vertheilung der Aufmerksamkeit sozusagen in zweckm\u00e4\u00dfiger Weise compensiren. Im allgemeinen aber wirken eben auch hier, wie so oft, z. B. heim Contrast, hei der extensiven Ausgleichung u. s. w., peripherere und centralere Momente auf einen gleichartigen Enderfolg im Bewusstsein hin, ohne dass \u00fcber dem einen das andere \u00fcbersehen werden d\u00fcrfte. Gerade die Eigenart der bekannten Bedingungen f\u00fcr die Leichtigkeit der \u00bbVerschmelzungen\u00ab von Lichtempfindungen nach dem Talbot\u2019schen Gesetze scheint auf eine Mitwirkung der verschiedenen Gr\u00f6\u00dfe der Ver\u00e4nderungsschwelle hinzuweisen. Allerdings sind die peripheren und vor allem auch die psychologischen Bedingungen f\u00fcr die Auffassung der Ver\u00e4nderung bei einmaliger Variation des con-tinuirlichen Urcomplexes, wie sie hier sowohl bei der unwissentlichen und unbeachteten Variation, als auch bei Ableitung der \u00bbNormalschwelle\u00ab mit Wissentlichkeit und Beachtung der Stelle (vergl. 4, 8) allein vorkommt, wohl immer noch hinreichend von den Verschmelzungsbedingungen beim Parbenkreisel verschieden, wo \u00fcberhaupt nur eine gleichm\u00e4\u00dfig fortlaufende Reihe \u00bbtachistoskopischer\u00ab Variationen stattfindet. Die Schwelle wird bei einmaliger Variation voraussichtlich einen noch etwas gr\u00f6\u00dferen Werth ergeben und damit eine noch deutlichere Differenzirung unter den verschiedenen Aufmerksamkeitsbedingungen gestatten. Wie sich die Resultate bei diesem \u00bbVergleichsoder Variationstachistoskop\u00ab im einzelnen gestalten, wird sich freilich erst nach ausgedehnteren Versuchen bestimmen lassen. Nat\u00fcrlich lassen sich nun die verschiedenen Dimensionen innerhalb der ganzen Anordnung so w\u00e4hlen, dass thats\u00e4chlich m\u00f6glichst gro\u00dfe Fl\u00e4chen des gesammten Sehfeldes beherrscht und tachistoskopisch variirt werden","page":668},{"file":"p0669.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung. 669\nk\u00f6nnen, wie es f\u00fcr ausgedehntere Umfangsbestimmungen des optischen Wahmehmungsbewusstseins nothwendig wird. Andererseits l\u00e4sst insbesondere eine cons\u00e9quente Anordnung des Spiegelprincipes auch noch beliebige andere Varianten der Vergleichsmethode mit discon-tinuirlicher tachistoskopischer Exposition zweier successiver Objecte mit gr\u00f6\u00dferer Variationsfreiheit aller einzelnen Functionsgr\u00f6\u00dfen vornehmen, als es oben in 6,2 geschehen konnte. F\u00fcr mehrere Vergleichsobjecte m\u00fcssten freilich auch verschieden gerichtete spiegelnde Fl\u00e4chen auf dem Rotationsapparate (oder Fall-Tachistoskop) eingef\u00fchrt werden, und best\u00fcnde der Grenzfall all dieser Varianten schlie\u00dflich in einer Art von Stroboskop mit ruhendem Bilderstreifen (beim Rotationsapparat w\u00e4re nat\u00fcrlich jede solche geneigte Fl\u00e4che ein Abschnitt aus einem Kegelmantel), bei dem die Bilder zwar auch nicht momentan, doch immer gleich an der richtigen Stelle auftreten. Die Schwierigkeit der richtigen Einstellung verschiedener Spiegelrichtungen d\u00fcrfte nat\u00fcrlich diese Anordnung der Vergleichsversuche etwas compliciren. Auch erscheint ja, wie gesagt, gerade f\u00fcr die Analyse des Umfanges eines fertigen Bewusstseinsbestandes jenes bereits erprobte Spiegel-Tachistoskop (6, 7) mit einer zur Variationsebene parallelen Spiegelebene vollkommen ausreichend.\nIch kann meinen Beitrag nicht schlie\u00dfen, ohne vor allem Herrn Professor Wundt selbst f\u00fcr die g\u00fctige Aufnahme der Arbeit in das Institutsprogramm und die freigebige Unterst\u00fctzung mit allen Apparatmitteln meinen innigsten Dank auszusprechen, wodurch er mir diese Widmung \u00fcberhaupt erst m\u00f6glich gemacht hat. Au\u00dferdem f\u00fchle ich mich aber auch Herrn Professor K\u00fclpe f\u00fcr das f\u00f6rdernde Interesse, das er dem Thema von Anfang an entgegenbrachte, zu aufrichtigem Danke verpflichtet.","page":669},{"file":"z0001table1.txt","language":"de","ocr_de":"Fig.1.\nWimdt, PhilosopMsdie Studien.XLBand.\nTaf.I.\nTerIagT.Wilh.elni Engelmann in Leipzig.\nLith. Aust Julius KMhaTfyLeipzig.","page":0},{"file":"z0003table2.txt","language":"de","ocr_de":"Wiindl, Philosophische Studien. XX.Hand.\nTaf.I.\nVerlag rW\u00fchehn Engelmanu in Leipzig^\nLith. Aast Julius KlinMia rdt, Leipzig","page":0},{"file":"z0005table3.txt","language":"de","ocr_de":"Wundt, Philosophische Studien.Xl.\u00dfaml.\nTal'. Ill\n4 ; 5\nT /\nLith.Anst .Julie: KM\u00fciar\u00e4t,Leipzig.\nVerlag Tr.\u2019W\u00fch.etm Encjelmaim inLerpzig-.","page":0}],"identifier":"lit4492","issued":"1902","language":"de","pages":"487-669","startpages":"487","title":"Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung","type":"Journal Article","volume":"20"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T12:39:27.707869+00:00"}