The Virtual Laboratory - Resources on Experimental Life Sciences
  • Upload
Log in Sign up

Open Access

Zum Problem der Grundlagen der Tiefenwahrnehmung

beta


JSON Export

{"created":"2022-01-31T14:17:21.818897+00:00","id":"lit4494","links":{},"metadata":{"alternative":"Philosophische Studien","contributors":[{"name":"Kirschmann, August","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Philosophische Studien 18: 114-126","fulltext":[{"file":"p0114.txt","language":"de","ocr_de":"Zum Problem der Grundlagen der Tiefenwahrnehmung.\nVon\nA. Kirschmann.\nMit Tafel VI.\nDie in Band XIV dieser Zeitschrift ver\u00f6ffentlichte Arbeit von Robert M\u00fcller1) macht in ausgesprochener Weise den Anspruch eine experimentelle Pr\u00fcfung der von mir in Band IX der Studien aufgestellten \u00bbTheorie\u00ab zu sein, nach welcher die Parallaxe des indirec-ten Sehens eine wesentliche Rolle hei der monocularen Tiefenwahrnehmung spielt. Ich werde im Folgenden zeigen, dass die an sich gewiss werth vollen Versuche M\u00fcll er\u2019s mit dem von mir angeregten Problem wenig oder gar nichts zu thun haben. Ich beabsichtige sodann zweitens, den speciell meiner Theorie gemachten, aber die ganze Wundt\u2019sche Theorie der complexen Localzeichen treffenden Vorwurf, dass so kleine Gr\u00f6\u00dfen (wie die Parallaxe des indirecten Sehens), die nicht direct experimentell nachgewiesen werden k\u00f6nnen, nicht als Factoren bei dem Zustandekommen der Tiefenlocalisation mitwirken k\u00f6nnten, durch ein einfaches Experiment endg\u00fcltig zu entkr\u00e4ften. M\u00fcller nennt meine Darlegungen eine \u00bbTheorie\u00ab. Nun ist aber dieser Ausdruck anerkannterma\u00dfen zweideutig. Man versteht unter Theorie einmal eine mit mathematischer Folgerichtigkeit abgewickelte Deduction (z. B. die Theorie der reciproken Radien), das andere Mal aber einfach eine Hypothese oder auf hypothetischem Grunde aufgebaute Darstellung (z. B. die Hering\u2019sche Farbentheorie). Da in meinen Darlegungen in der That sowohl mathematische Deduction wie hypothetische Annahme anzutreffen ist, so will ich auch die angebliche experimentelle Pr\u00fcfung M\u00fcller\u2019s von beiden Gesichtspunkten aus betrachten.\n1) Ueber Kaumwahrnehmung beim monocularen indirecten Sehen. Philos. Stud. XIV p. 402 ff.","page":114},{"file":"p0115.txt","language":"de","ocr_de":"Zum Problem der Grundlagen der Tiefcnwahrnelimung.\n115\nSoweit meine Darstellung geometrisch das Vorhandensein und die Gr\u00f6\u00dfenwerthe der Parallaxe des indirecten Sehens behandelt, ist dieselbe eine Theorie im Sinne einer stricten mathematischen Deduction. Hier bedarf es also keines empirischen Beweises. Ich glaube nachgewiesen zu haben, dass auch f\u00fcr das monoculare Sehen parallactische Beziehungen bestehen, die ihre Basis in der Distanz zwischen den Centren der Visirrichtungen und der Blickrichtungen haben. Ich habe ferner gezeigt, dass dieser Unterschied zwischen Gesichtswinkel und Blickwinkel nicht, wie Helmholtz auf Grund einer ziemlich willk\u00fcrlich hergeleiteten und behandelten Formel, der die M\u00f6glichkeit geometrischer Veranschaulichung abging, schlie\u00dfen zu sollen glaubte, au\u00dferordentlich klein sei und daher vernachl\u00e4ssigt werden k\u00f6nne, sondern dass derselbe, besonders f\u00fcr die n\u00e4chste Umgehung, einen ganz betr\u00e4chtlichen Spielraum habe.\nSoweit ist meine \u00bbTheorie\u00ab reine Deduction und bedarf eben so wenig wie irgend eine andere mathematisch abgeleitete Wahrheit einer experimentellen Pr\u00fcfung oder Best\u00e4tigung. Eine mathematische Deduction, auch wenn sie \u00bbtrotz einer gewissen Complicirtheit manche schematische Z\u00fcge in ihrer Ableitung enth\u00e4lt\u00ab, bleibt richtig, auch wenn sie \u00bbohne die St\u00fctze zustimmender Beobachtungsergebnisse mit-getheilt wird\u00ab;l). Die Richtigkeit meiner Deduction wird daher auch nur dann in Frage gestellt, wenn gezeigt werden kann, dass sich irgendwo in der Reihe meiner Schlussfolgerungen etwas Unrichtiges eingeschlichen habe, sei es nun in Form unrichtiger Pr\u00e4missen oder falscher Schl\u00fcsse. Eine solche Unrichtigkeit hat aber weder M\u00fcller noch sonst Jemand nachgewiesen. M\u00fcller tadelt zivar, dass ich nicht mit der \u00bbStrahlengangsdiscussion\u00ab gebrochen habe zu Gunsten der \u00bbWellenfl\u00e4chen\u00ab. Dieser oberfl\u00e4chliche und ganz ungerechtfertigte Vorwurf zeigt aber, dass M\u00fcller meine Darlegungen gar nicht verstanden hat. Ich habe ja gerade gezeigt, dass die bisher \u00fcbliche \u2014 die Strahlengangsdiscussion benutzende aber \u00bbStrahlen\u00ab und geometrische Richtungen fortw\u00e4hrend durcheinander werfende \u2014 Behandlung der Bildentstehung im Auge grobe Irrth\u00fcmer und Unrichtigkeiten enth\u00e4lt. In meiner eigenen Construction habe ich mich ganz an mathematische Hiilfslinien gehalten, die f\u00fcr \u00bbStrahlengangs-\u00ab\n1) Siehe die citirte Arbeit M\u00fcller\u2019s p. 402.\n8*","page":115},{"file":"p0116.txt","language":"de","ocr_de":"116\nA. Kirsclimann.\nund \u00bbWellenfl\u00e4chen\u00ab -Discussion die gleiche Bedeutung haben. Visir-linien sind die Linien ira Baume, die auf der Netzhaut als Punkte repr\u00e4sentirt werden. Knotenlinien, ungl\u00fccklicherweise auch Bichtungs-\u00bb strahlen\u00ab genannt, sind Linien, hezw. Paare paralleler Linien, die zwei conjugirte Punkte verbinden. Ebenso wenig wie diese '\u00bbgeometrischen Orte\u00ab haben die Blicklinien und Netzhautprojectionen etwas mit \u00bbStrahlen\u00ab und \u00bbWellenfl\u00e4chen\u00ab zu thun. Ich habe ausdr\u00fccklich hervorgehoben, dass kein einziger Lichtstrahl in gerader Linie das Auge durchsetzt mit alleiniger Ausnahme desjenigen, der mit der Axe aller brechenden Medien zusammenf\u00e4llt. In den wenigen F\u00e4llen, wo ich mich in meinen Figuren der Begrenzungslinien von Strahlenkegeln bediente, habe ich dieselben, der Einfachheit wegen, von der Pupille aus als gerade gezeichnet; es handelt sich dabei ja nicht um eine quantitative Bestimmung der Distanzen zwischen den Betina-Projectionen. Die Parallaxe des indirecten Sehens ist der Bichtungs-unterscliied zweier geometrischer Linien und nicht Lichtstrahlen. Ob man sich bei der Behandlung derselben der \u00bbWellenfl\u00e4chen\u00ab oder der \u00bbStrahlengangs\u00ab-Discussion bedient, ist hier ebenso irrelevant wie bei der Behandlung irgend eines andern geometrischen Problems.\nEbenso ungerecht wie der obige Vorwurf ist es, wenn M\u00fcller, meine Er\u00f6rterungen \u00fcber die Zerstreuungskreise herabsetzend, in m\u00f6glichst zusammenhangsloser Weise das ganze Heer derer citirt, die auch einmal etwas \u00fcber Zerstreuungskreise gesagt haben, die aber den eigentlichen Gegenstand unserer Betrachtungen nicht ber\u00fchrten, n\u00e4mlich das Decken oder Auseinanderfallen der Mittelpunkte oder besser \u2014 da Zerstreuungs\u00bbkreise\u00ab weder Kreise sind noch eine gleichm\u00e4\u00dfige Vertheilung der Helligkeit aufweisen \u2014 der Schwerpunkte der Zerstreuungsfl\u00e4chen.\nHypothetisch ist an meinen Ausf\u00fchrungen, dass ich annehme, dass die Parallaxe des indirecten Sehens, deren Existenz und betr\u00e4chtliche Gr\u00f6\u00dfe nicht geleugnet werden kann, vom Gesichtssinne als Mittel zur Tiefenwahrnehmung verwandt werde. Diese Hypothese w\u00fcrde zwar durch den positiven Ausfall passender experimenteller Untersuchungen empirisch best\u00e4tigt werden; sie wird aber durch negative Versuchsergebnisse ebensowenig widerlegt, wie etwa die Annahme von Planeten jenseits der Neptunbahn durch die Thatsache, dass solche bisher nicht beobachtet wurden. Wenn von zehntausend","page":116},{"file":"p0117.txt","language":"de","ocr_de":"Zum Problem der Grundlagen der Tiefenwahrnehmung.\n117\nBeobachtern nicht ein einziger die Jupitermonde ohne Fernrohr sehen kann, so beweist das durchaus noch nicht, dass sie nicht mit blo\u00dfem Auge gesehen werden k\u00f6nnen.\nWenn M\u00fcller, um die erw\u00fcnschte experimentelle Nachpr\u00fcfung zu bewerkstelligen, einwandsfreie \u00bbzur Sache sprechende\u00ab Versuche angestellt h\u00e4tte, so h\u00e4tte ein positives Ergebniss allerdings zu Gunsten meiner Theorie gesprochen. Ein negatives aber beweist in diesem Falle noch keineswegs die Unrichtigkeit derselben, sondern hat vorerst nur den Werth des Zeugen, \u00bbder's nicht gesehen hat\u00ab. Nun sprechen aber M\u00fcller\u2019s Versuche, so interessant sie auch, von andern Gesichtspunkten aus betrachtet, sein m\u00f6gen, gar nicht \u00bbzur Sache\u00ab. Ich hatte behauptet, dass der Gesichtssinn bei der Tiefenlocalisation Gebrauch mache von den Daten, die die Parallaxe des indirecten Sehens liefert, nicht aber dass diese Daten direct und isolirt, gewisserma\u00dfen im Brennpunkte der Aufmerksamkeit, wahrgenommen werden k\u00f6nnen. Noch viel weniger habe ich behauptet, dass man auf Grund monocularer parallactischer Verh\u00e4ltnisse Urtheile \u00fcber Tiefenunterschiede zwischen fixirten und excentrisch gesehenen Punkten f\u00e4llen k\u00f6nne. Bei der M\u00fcller\u2019schen Versuchsanordnung wurde die Distanz einer fixirten Kugel mit derjenigen einer indirect gesehenen verglichen. Nun frage ich: Was hat das mit der Parallaxe des indirecten Sehens zu thun? Wenn M\u00fcller wenigstens zwei Kugeln ann\u00e4hernd in derselben Visirlinie angewandt h\u00e4tte, oder wenn er die Kugeln vor einem gemusterten Hintergrund h\u00e4tte fallen lassen, so lie\u00dfe sich noch von parallactischen Verh\u00e4ltnissen reden. Bei der von ihm angewandten Anordnung aber war der Parallaxe des indirecten Sehens von vornherein jede M\u00f6glichkeit der Mitwirkung an dem Zustandekommen einer Tiefenlocalisation abgeschnitten. Das Wesentliche der von der Parallaxe gelieferten Daten besteht in den durch die Aenderungen der Accommodation und der Stellung des Auges hervorgerufenen Verschiebungen in der Configuration der excentrischen Netzhautprojectionen. Handelt es sich aber, wie bei den M\u00fcller-schen Versuchen, um einen einzelnen Punkt oder Gegenstand, einerlei ob fest oder bewegt, vor einem homogenen Grunde, so sind solche Bildverschiebungen vollst\u00e4ndig ausgeschlossen. Wenn in M\u00fcller\u2019s Versuchen doch noch eine Tiefenlocalisation stattfand, so ist das selbstverst\u00e4ndlich nur dem Einfluss der Accommodationsempfindungen","page":117},{"file":"p0118.txt","language":"de","ocr_de":"118\nA. Kirsclimann.\nund secund\u00e4ren H\u00fclfsmitteln der Tiefenwahrnehmung, wie die scheinbare Gr\u00f6\u00dfe und Geschwindigkeit der Kugel etc. zuzuschreiben.\nIch habe darauf hingewiesen, dass die Parallaxe des indirecten Sehens ihre gr\u00f6\u00dfte Bedeutung auf den seitlichen Theilen des unteren Gesichtsfeldes habe, da sie dort f\u00fcr den Mangel des binocularen Sehens aufzukommen habe. Es sind dies aber gerade diejenigen Theile des Gesichtsraumes, in welchen wir einen gro\u00dfen Theil unserer wichtigsten Arbeiten verrichten. Nun hat aber M\u00fcller diese Bezirke gar nicht untersucht, sondern sich lediglich auf den Horizontal-Meridian beschr\u00e4nkt. Au\u00dferdem hat er \u00fcberall Normalentfernungen von \u00fcber 100 cm angenommen, obgleich die Parallaxe des indirecten Sehens gerade f\u00fcr die kleineren, unseren H\u00e4nden zug\u00e4nglichen Entfernungen ihre Hauptbedeutung und betr\u00e4chtlichere Winkelwerthe besitzt. Dass M\u00fcller, um meine Theorie experimentell zu pr\u00fcfen, einen central gesehenen Eindruck mit einem excentrischen vergleichen l\u00e4sst, erscheint mir geradezu unbegreiflich. Alles was man von der Parallaxe des monocularen Sehens nach meiner Theorie erwarten kann, ist, dass man, auf Grund der von ihr gelieferten Daten, von zwei indirect gesehenen, benachbarten Fl\u00e4chen die eine als vor oder hinter der anderen gelegen wahrnimmt; nicht aber, dass man mit ihrer H\u00fclfe directe Sch\u00e4tzungen von Entfernungsunterschieden wahrnehmen k\u00f6nne, und geschweige gar solchen zwischen einem fixirten und einem f\u00fcnfzehn Winkelgrade weit ins indirecte Sehen ger\u00fcckten Gegenstand.\nUeberliaupt ist die Annahme, dass die Daten f\u00fcr die Tiefen-localisation direct der Aufmerksamkeit und sch\u00e4tzenden Beurtheilung zug\u00e4nglich sein m\u00fcssten, nicht allein ein folgenschwerer Irrthum, sondern geradezu ein Schlag ins Gesicht f\u00fcr die Wundt\u2019sclie Theorie der complexen Localzeichen. Ebenso gut wie man die Wirkungen der monocularen Parallaxe leugnet, wenn man sie nicht direct wahrnehmen kann, k\u00f6nnte man alle Localzeichen \u00fcberhaupt leugnen. Mit gleichem Bechte z. B. k\u00f6nnte man behaupten, dass bei Menschen, welche die Doppelbilder nicht wahrnehmen k\u00f6nnen, die letzteren auch nicht zum Tiefensehen beitragen. Die auf einem complicirten Zusammenwirken von Tast- und Bewegungsempfindungen beruhenden au\u00dferordentlich feinen Einstellungen des menschlichen K\u00f6rpers beim Gehen und Laufen, beim Badfahren und Seiltanzen, d\u00fcrften wohl","page":118},{"file":"p0119.txt","language":"de","ocr_de":"Zum Problem der Grundlagen der Tiefenwahrnelimung.\tly 9\nniemals direct durch das Experiment nachgewiesen werden; aber deshalb bestehen sie doch. Solche unbewussten (oder richtiger, mit geringeren Graden von Bewusstsein behafteten oder auf niedere Cen-tren abgeladenen) Th\u00e4tigkeiten werden gerade um so genauer und sicherer ausgef\u00fchrt, je weniger man die Aufmerksamkeit auf sie richtet. Es ist meist gar nicht m\u00f6glich, die Aufmerksamkeit auf sie zu concentriren, ohne die Sicherheit und Pr\u00e4cision der Ausf\u00fchrung wesentlich zu sch\u00e4digen. Man versuche doch einmal beim Radfahren Beobachtungen dar\u00fcber anzustellen, wie man es macht, dass man das Gleichgewicht h\u00e4lt, und man wird die Erfahrung machen, dass man dadurch gerade in Gefahr ger\u00e4th, das Gleichgewicht zu verlieren. Es gibt eben gar manche, theils in der Entwicklung des Individuums, theils im Laufe vieler Generationen erworbenen Verrichtungen, die gerade dann nicht regelrecht vor sich gehen, wenn man die Aufmerksamkeit auf sie (anstatt auf ihr Endziel) lenkt. Beim Turnen und Radfahren und bei gymnastischen Spielen kann man das deutlich wahrnehmen. Beim Stabspringen beispielsweise und beim Hochsprung kommt es haupts\u00e4chlich darauf an, dass man den Eu\u00df, mit dem man abzuspringen gewohnt ist, an der richtigen Stelle aufsetzt. Man nimmt einen Anlauf von unbestimmter L\u00e4nge und kann daher weder die Gr\u00f6\u00dfe des letzten Schrittes noch die Wahl des Eu\u00dfes, mit dem derselbe ausgef\u00fchrt wird, voraus berechnen. Wenn man dennoch meist mit dem richtigen Eu\u00dfe an der richtigen Stelle ankommt, so ist das entweder ein v\u00e9ritables Wunder, oder aber die raumpercipirenden und Bewegungsorgane des K\u00f6rpers haben beim Herannahen \u2014 wenigstens f\u00fcr eine Anzahl Schritte vor dem Absprung \u2014 automatisch (d. h. hier ohne Beih\u00fclfe der Aufmerksamkeit) die Zahl und L\u00e4nge der Schritte richtig abgemessen. Bei dem Durchschnittsturner geht dies alles mit gr\u00f6\u00dfter Sicherheit vor sich. Er ist sich der dahinter steckenden Probleme nie bewusst geworden und denkt, es muss ja so sein. Sobald er aber, auf das Wunderbare der Thatsachen aufmerksam gemacht, dar\u00fcber nachdenkt, macht ihm die Ausf\u00fchrung des vorher so Leichten Schwierigkeiten. Wenn er w\u00e4hrend des Anlaufs an die M\u00f6glichkeit denkt, dass die Zahl und Gr\u00f6\u00dfe seiner Schritte nicht richtig auskomme, so wird ihm in vielen F\u00e4llen der Absprung wirklich missgl\u00fccken. Die m\u00f6glichst genaue Ausf\u00fchrung dieser Th\u00e4tigkeiten erfordert somit geradezu die","page":119},{"file":"p0120.txt","language":"de","ocr_de":"120\nA. Kirschmann.\nAbwesenheit der Aufmerksamkeit. Beim Turnen, Badfahren und Seiltanzen handelt es sich dabei um von dem Individuum erworbene F\u00e4higkeiten. Beim Gehen und Laufen dagegen sind es sicher Erwerbungen durch eine viele Generationen umfassende Stammeserfahrung. Auch das Sprechen geh\u00f6rt hierher; wenn man beim Beden an die Sprechbewegungen denkt und seine Aufmerksamkeit darauf concentrirt, ger\u00e4th man in die Gefahr sich zu versprechen und zu stottern. Anderseits stottert der eigentliche Stotterer nur, wenn er an seinen'Sprachfehler denkt. Wenn man ihn dahin bringt, dass er spricht ohne ans Stottern zu denken, dann ist er geheilt (nat\u00fcrlich nur wenn er nicht gleichzeitig Stammler ist).\nAehnlich ist es auch mit den als Mittel zur Tiefenlocalisation dem Gesichtssinne nutzbar gemachten parallactischen Verh\u00e4ltnissen. Sie entgehen mehr oder minder vollst\u00e4ndig der directen Aufmerksamkeit und Beurtheilung. Man muss einen Menschen durch umst\u00e4ndliche Versuche zur Erkenntniss bringen, dass er fortw\u00e4hrend Doppelbilder hat, und dass auch die Bilder f\u00fcr das einfach Gesehene im rechten und linken Auge verschieden sind, und auch dies scheitert oft genug an der Unf\u00e4higkeit des Beobachters, die Aufmerksamkeit auf das zu richten, was nicht fixirt wird. Viel schwieriger noch ist es die Parallaxe des bewegten Auges direct zu demonstriren, und die Parallaxe des indirecten Sehens endlich d\u00fcrfte wegen ihrer Kleinheit kaum direct wahrzunehmen sein, es sei denn f\u00fcr ganz geringe Entfernungen und unter Anwendung von leuchtenden kleinen Fl\u00e4chen, die bei Accommodations\u00e4nderungen oder Drehungen der Augen hinter der scharfen Kante eines Schirmes verschwinden hezw. neben derselben auftauchen.\nHalte ich so einen directen empirischen Nachweis f\u00fcr die Bichtig-keit meiner Hypothese f\u00fcr nahezu ausgeschlossen, so habe ich anderseits nicht allein die M\u00f6glichkeit indirecter Beweise nicht geleugnet, sondern ich habe selbst solche Beweise zu erbringen gesucht. Ich habe gezeigt, dass bei Annahme meiner Theorie zwei eigenth\u00fcmliche Erscheinungen sich einfach und ungezwungen erkl\u00e4ren lassen, n\u00e4mlich die Pupillar-Beaction bei der Accommodation f\u00fcr die N\u00e4he und die spaltf\u00f6rmigen Pupillen der Katze. Nimmt man meine Theorie nicht an, so hat man die Verpflichtung, f\u00fcr die genannten Erscheinungen andere Gr\u00fcnde vorzubringen, was speciell bei den Augen der","page":120},{"file":"p0121.txt","language":"de","ocr_de":"Zum Problem der Grundlagen der Tiefenwahrnehmung.\n121\nKatze in R\u00fccksicht auf die senkrechte Richtung des Pupillarspaltes schwer sein d\u00fcrfte1 2).\nIn einer zweiten A-iboif-) liahe ich sodann gezeigt^ dass eine eigenartige, Jedermann bekannte aber bisher nicht erkl\u00e4rte (d. i. auf letzte Elemente zur\u00fcckgef\u00fchrte) Erscheinung, der Metallglanz, mit gr\u00f6\u00dfter Wahrscheinlichkeit auf der Parallaxe des indirecten Sehens beruht. Ich glaube mit mathematischer Oonsequenz \u2014 wenn auch ohne Formeln \u2014 dargethan zu haben, dass jede andere Erkl\u00e4rung ausgeschlossen ist. Ich habe es aber bei dem negativen, apagogi-schen Beweise nicht bewenden lassen, sondern durch das Experiment gezeigt, dass man den Metallglanz in voller Naturtreue mit H\u00fclfe ganz unmetallischen Materials (Glasplatten, Gelatine- und Glimmer-Lamellen) hervorrufen kann, wenn man nur diejenigen Bedingungen erf\u00fcllt, unter welchen die monoculare Parallaxe zur Geltung kommt. Durch Todtschweigen oder durch allgemeine Redensarten werden meine Darlegungen nicht widerlegt, sondern lediglich dadurch, dass man Irrth\u00fcmer und Fehler darin nachweist, was bisher nicht geschehen ist3). Sollte aber meine Ansicht wirklich sich als unrichtig erweisen, so erw\u00e4chst gleichzeitig damit die erneute Aufgabe, zu zeigen, worin denn das Charakteristische und die Ursachen des Metallglanzes bestehen. Meine Forderung, dass man ein psychisches Ph\u00e4nomen nur dann als erkl\u00e4rt ausgebe, wenn es unzweideutig und\n1)\tEs sei an dieser Stelle bemerkt, dass durch eine, in meinem Institute von den Herrn Dr. Abbott und Dr. Scott ausgef\u00fchrte Untersuchung, die demn\u00e4chst im Druck erscheinen wird, experimentell festgestellt wurde, dass auch f\u00fcr das menschliche Auge, bei Anwendung einer k\u00fcnstlichen spaltf\u00f6rmigen Pupille, im indirecten Sehen die Raumwahrnehmung in der Richtung senkrecht zum Spalt der Pupille eine genauere wird.\n2)\tDer Metallglanz und die Parallaxe des indirecten Sehens. Philos. Stud. XI p. 147 ff.\n3)\tVictor Henri hat in einer eingehenden und sonst durchaus sachlichen Besprechung und Kritik meiner Theorie derselben den Vorwurf gemacht, dass sie nicht erkl\u00e4re, wie sehr d\u00fcnne Metallplatten Metallglanz zeigen k\u00f6nnten. (Siehe: L ann\u00e9e psychologique 1895 p. 647 ff.) Diesen von mir erwarteten Einwurf habe ich aber an mehreren Stellen meiner Abhandlung (Seite 168 und 175) im voraus widerlegt. Henri scheint irrth\u00fcmlicher Weise anzunehmen, dass ich mir den Vorgang der mehrmaligen totalen Reflexion bei den wirklichen Metallen \u00e4hnlich wie bei meinen k\u00fcnstlichen denke, n\u00e4mlich als an hinter einander gelegenen parallelen Spiegelfl\u00e4chen geschehend.","page":121},{"file":"p0122.txt","language":"de","ocr_de":"122\nA. Kirsclimann.\nwiderspruchslos auf psychische Grundph\u00e4nomene zur\u00fcckgef\u00fchrt ist, d\u00fcrfte an sich schon der Beachtung werth sein.\nEs bleibt mir nunmehr noch \u00fcbrig den Haupteinwand zu entkr\u00e4ften, den man gegen meine Theorie erhoben li\u00e2t, n\u00e4mlich dass so geringf\u00fcgige Gr\u00f6\u00dfen wie die Parallaxe des indirecten Sehens bei dem Zustandekommen der Tiefenlocalisation keine Bolle spielen k\u00f6nnten und daher vernachl\u00e4ssigt werden m\u00fcssten. Es ist hier nicht der Ort, sich \u00fcber die Irrth\u00fcmer zu verbreiten, die sich in mathematische und empirische Wissenschaften eingeschlichen haben durch den Missbrauch der Vernachl\u00e4ssigung kleiner Gr\u00f6\u00dfen. Aber ich kann mich der Bemerkung nicht enthalten, dass damit in wissenschaftlichen Arbeiten, die sich mit dem Nimbus mathematischer Unantastbarkeit umgehen, viel Unheil angerichtet wird. Man vergisst, dass alle Gr\u00f6\u00dfe relativ ist und dass nichts absolut gro\u00df oder klein ist. Die Berechtigung zum Vernachl\u00e4ssigen von Gliedern einer Keihe liegt in den seltensten F\u00e4llen in der Natur der Eeihe selbst und ihrer Glieder, sondern ist von Bedingungen abh\u00e4ngig, die von au\u00dfen gegeben sind und mit den Gr\u00f6\u00dfenverh\u00e4ltnissen der Beihe und ihrer Glieder in keinem directen Zusammenhang stehen. Absolut genommen gibt es keine Approximation. Die bei N\u00e4lierungswerthen vernachl\u00e4ssigten Gr\u00f6\u00dfen sind nur von gewissen von au\u00dfen her gew\u00e4hlten Standpunkten aus \u00bbklein\u00ab. Die Gesetze f\u00fcr die Lichtbrechung an sph\u00e4rischen Trennungsfl\u00e4chen beispielsweise gelten mathematisch entweder f\u00fcr alle Einfallsrichtungen oder f\u00fcr gar keine. Der Einthei-lung in centrale und Bandstrahlen entsprechen durchaus keine wesentlichen Verschiedenheiten in dem Gange der Lichtbewegung oder in den daf\u00fcr aufgestellten mathematischen Ausdr\u00fccken. Die Berechtigung dieser Eintheilung kommt von au\u00dfen. Sie beruht lediglich darauf, dass auf Grund der Gr\u00f6\u00dfe und Vertheilung der percipiren-den Betinaelemente Abweichungen von der Homocentricit\u00e4t, die eine gewisse Gr\u00f6\u00dfe nicht \u00fcberschreiten, unsichtbar bleiben.\nWenn jemand behauptet, dass gewisse mathematisch nachgewiesene r\u00e4umliche Verschiedenheiten und Aenderungen in der Configuration der Netzhautbilder zu klein seien, um als Daten f\u00fcr die Tief en Wahrnehmung zu dienen, so muss er zureichende Gr\u00fcnde f\u00fcr diese Behauptung erbringen, denn es ist bis jetzt weder in der Theorie noch empirisch eine untere Gr\u00f6\u00dfengrenze f\u00fcr die Mitwirkung bei der","page":122},{"file":"p0122s0001table6.txt","language":"de","ocr_de":"Wundt,Philosophische Studien.X\\1P. Band,\nTaft 11.\nVerlag TlViUiehn Enyelmaim in Leipzig.\nLith Anst Julius Klinkhardt Leipzig","page":0},{"file":"p0123.txt","language":"de","ocr_de":"Zum Problem der Grundlagen der Tiefenwahrnehmung.\n123\nTiefenvorstellung nachgewiesen worden. Wie geringf\u00fcgig aber die liier in Betracht kommenden Raumgr\u00f6\u00dfen sein k\u00f6nnen, das d\u00fcrfte ein f\u00fcr alle Mal demonstrirt sein durch die nachfolgenden Versuche, die sich allerdings vorerst nur auf das hinoculare Sehen beziehen.\nWenn man eine der beigegehenen Figuren oder auch eine sehr farbig gehaltene Landkarte oder Zeichnung binocular mit einem guten Leseglase von 4 oder mehr Zoll Durchmesser betrachtet, so wird man beobachten, dass die Farben nicht in einer einzigen Ebene gesehen werden, sondern in ganz verschiedenen Niveaux zu liegen scheinen. Die Ursache dieser Erscheinung ist in der chromatischen Aberration zu suchen, ganz \u00e4hnlich wie bei den Versuchen von Einthoven und Waller; nur handelt es sich hier nicht wie bei jenen um spurenhafte (zuweilen sogar umkehrbare) Tiefenwirkungen, beobachtet an verh\u00e4ltnissm\u00e4\u00dfig gro\u00dfen farbigen Fl\u00e4chen, sondern um eine ganz sichere und unzweideutige Tiefenlocalisation von scharfen, wenig Fl\u00e4che bietenden Linien.\nBei dem Experiment von Einthoven1) ist die Tiefenwirkung durch die chromatische Aberration des Auges selbst hervorgerufen. Bei den vorliegenden Versuchen dagegen handelt es sich um die chromatische Aberration einer Glaslinse. Wenn man mit beiden Augen gleichzeitig durch eine nicht zu weit entfernte, gr\u00f6\u00dfere Linse sieht, so ist das ungef\u00e4hr dasselbe als h\u00e4tte man ein Prisma vor jedem Auge. Man sollte daher bei ein\u00e4ugigem Betrachten der Figuren durch den Rand der Linse statt scharfer Linien verschwommene mit farbigen R\u00e4ndern sehen, davon aber nimmt man entweder gar nichts oder doch nur Spuren wahr. Die Dispersion ist wegen des kleinen brechenden Winkels des Prismas offenbar zu klein, um sich bemerkbar zu machen. Trotzdem aber sind diese geringen Gr\u00f6\u00dfen erheblich genug, um ganz bedeutende und deutlich wahrzunehmende Tiefenunterschiede zu verursachen. Wenn ich bei der Betrachtung der Figuren 1, 3 und 5 die Linse ungef\u00e4hr einen Fu\u00df weit von den Augen entferne und die Figur in eine Entfernung von 2 bis 2'/2 Fu\u00df\n1) Die Versuche von Waller k\u00f6nnen hier weiter unber\u00fccksichtigt bleiben, da es sich bei ihnen nur um die Herstellung secund\u00e4rer H\u00fclfen der Tiefenwahrnehmung handelt.","page":123},{"file":"p0124.txt","language":"de","ocr_de":"124\nA. Kirschmann.\nhalte, so betr\u00e4gt der stereoskopisch gesehene Entfernungsunterschied einen Zoll oder mehr. Beweist das Einthoven\u2019sche Experiment schon, dass die durch die chromatische Aberration bewirkten kleinen Bildverschiebungen zu mehr oder minder deutlichen Tiefendeutungen Anlass geben k\u00f6nnen, so wird durch die vorliegenden Versuche der Nachweis geliefert, dass die sehr geringen und direct kaum wahrnehmbaren St\u00f6rungen der Bilder, die die chromatische Aberration einer Linse hervorbringt, unter geeigneten Umst\u00e4nden als ausschlaggebende Bedingungen bei dem Zustandekommen unzweideutiger, deutlich wahrnehmbarer Tiefenunterschiede von ganz betr\u00e4chtlicher Gr\u00f6\u00dfe fungiren k\u00f6nnen.\nNun noch ein Wort zur Erl\u00e4uterung und Erkl\u00e4rung der Figuren. Im Falle farbiger Linien und Fl\u00e4chen auf schwarzem oder sehr dunklem Grunde stellt sich die Sache sehr einfach dar. Es ist klar, dass durch die Dispersion die langwelligen Farben am wenigsten, die kurzwelligen aber am meisten verschoben werden. Die Verschiebung geschieht in gegentheiligem Sinne f\u00fcr das rechte und linke Auge und zwar f\u00fcr die kurzwelligen Strahlen nach au\u00dfen. Es m\u00fcssen daher bei der binocularen Vereinigung der durch die chromatische Aberration verschieden gewordenen Bilder die rothen Linien oder Fl\u00e4chen am n\u00e4chsten, die blauen am fernsten erscheinen. Daraus erkl\u00e4rt sich der eigenartige Effect der Figur 1. Die kreisf\u00f6rmige blaue Fl\u00e4che tritt zollweit hinter das rothe Netzwerk zur\u00fcck. In Figur 3 scheinen die rothen Linien dem Beschauer am n\u00e4chsten, die blauen am weitesten entfernt zu liegen, w\u00e4hrend die gelben sich in einer mittleren Entfernung halten.\nGanz anders aber ist es mit Figuren auf wei\u00dfem oder hellerem Grunde. Man kann sich durch Ausprobiren der verschiedenen Farben leicht \u00fcberzeugen, dass hier der gr\u00f6\u00dfte Entfernungsunterschied zwischen Gelb und Blau stattfindet; und zwar zwischen einem sich weder dem Orange noch dem Gr\u00fcn zuneigenden Gelb und einem reinen, d. h. weder gr\u00fcnlichen noch dem Violetten sich n\u00e4hernden Blau. Mit B\u00fccksicht auf diese Thatsache ist die Wahl der Farben in Figur 2 getroffen. Das gelbe Kreuz tritt hier weit hinter das feine blaue Gitter zur\u00fcck. Die Verschiebung ist hier allerdings auch so gro\u00df, dass man bei genauer Vergleichung der Bilder in beiden Augen direct die Verschiedenheit erkennen kann. F\u00fcr das rechte Auge","page":124},{"file":"p0125.txt","language":"de","ocr_de":"Zum Problem der Grundlagen der Tiefenwalirnehmung.\n125\nber\u00fchrt die rechtsseitige Kante des gelben Kreuzes gerade die f\u00fcnfte der blauen Linien (von rechts gez\u00e4hlt und die dickere Randlinie nicht mitgereehnet). Mit dem linken Auge dagegen sieht man noch den wei\u00dfen Grund zwischen Kreuzkante und Gitterlinie. Figur 4 zeigt, dass auf wei\u00dfem Grunde Blau am meisten in den Vordergrund und Gelb am weitesten zur\u00fcckger\u00fcckt wird, w\u00e4hrend die \u00fcbrigen Farben sich zwischen diesen Grenzen halten. Dieses eigenth\u00fcmliche Verhalten erkl\u00e4rt sich ganz einfach aus dem Umstande, dass f\u00fcr dunkle Fl\u00e4chen auf hellem Grunde bei der Dispersion nicht die Ordnung des gew\u00f6hnlichen Spectrums, sondern diejenige des umgekehrten (negativen) Spectrums gilt. Das negative Spectrum beginnt mit Blau und endet mit Gelb1). W\u00e4hrend bei der vorstehend beschriebenen Versuchsanordnung die Tiefenlocalisation f\u00fcr die Farben Roth, Gelb und Blau eine au\u00dferordentlich scharfe und bestimmte ist, zeichnen sich Purpur, und mehr noch Gr\u00fcn, durch eine auff\u00e4llige Unsicherheit-und Unbestimmtheit aus. Dies d\u00fcrfte sich unschwer mit der Thatsache in Zusammenhang bringen lassen, dass jede dieser Farben in einem der beiden Spectren den Ort mittlerer Brechbarkeit einnimmt, w\u00e4hrend sie im andern ganz fehlt. Im negativen Spectrum fehlt das Gr\u00fcn wie im positiven das Purpur.\nIn Figur 5 sieht man mit blo\u00dfem Auge ein blau und gelb gemustertes Quadrat mit einem r\u00f6thlichen Fleck. Bei binocularer Betrachtung durch eine Linse von etwa 20 cm Brennweite (etwa einen Fu\u00df vom Auge und von der Figur entfernt) wird der blaue und gelbe\n1) Ein negatives oder umgekehrtes Spectrum (siehe auch Philos. Stud. VIII p. 174 fl. ; American Journal of Psychology Vol. VII p. 387 ff. und Psycholog. Series of the Univ. of Toronto Studies, Vol. I p. 100) entsteht, wenn in den Gang des Lichtes, ehe dasselbe das Prisma erreicht, ein undurchsichtiger Gegenstand, gleichsam ein negativer Spalt, eingeschaltet wird. Man kann einen zur oberen H\u00e4lfte positiven und zur unteren negativen Spalt benutzen und erh\u00e4lt dann das gew\u00f6hnliche und das umgekehrte Spectrum \u00fcber einander zum Vergleich. An der Stelle der geringsten Refraction, dem Roth des gew\u00f6hnlichen Spectrums entsprechend, sehen wir im umgekehrten Spectrum ein wundersch\u00f6nes reines Blau, in der Mitte Purpur und am andern Ende, dem Violett entsprechend, ein ausgedehntes Gelb, das Gelb hat im negativen Spectrum die gr\u00f6\u00dfte Ausdehnung, wie es im ordentlichen Spectrum die kleinste hat. Photographirt man beide Spectren, so findet man, dass das umgekehrte einen ultragelben Theil besitzt (Abwesenheit ultravioletter Strahlen), der sich auf der photographischen Platte genau in derselben Ausdehnung kenntlich macht wie das Ultraviolett des ordentlichen Spectrums.","page":125},{"file":"p0126.txt","language":"de","ocr_de":"126\nA. Kirschmann.\nTheil des Musters stereoskopisch vollst\u00e4ndig getrennt, so dass man ein blaues und ein gelbes Gitternetz siebt, von welchen das letztere weit hinter dem ersteren zur\u00fcck zu liegen scheint. Der r\u00f6thliche Fleck erscheint nun als durchsichtige Scheibe und in einer mittleren Entfernung zwischen beiden Gittern. Wir haben also hier deutlich und unverkennbar die Ordnung der Farben, wie sie das negative Spectrum fordert.\nWenn so geringf\u00fcgige Gr\u00f6\u00dfen, wie sie in den hier benutzten Erscheinungen der chromatischen Aberration vorliegen, bei binocu-larem Sehen noch so deutliche Tiefenwahrnehmungen vermitteln, so wird man wohl nicht l\u00e4nger behaupten d\u00fcrfen, dass die Parallaxe des indirecten Sehens, deren Spielraum sich \u00fcber mehrere Winkelgrade erstreckt, zu geringf\u00fcgiger Natur sei, um hei der Tiefenvorstellung eine Rolle zu spielen.","page":126}],"identifier":"lit4494","issued":"1903","language":"de","pages":"114-126","startpages":"114","title":"Zum Problem der Grundlagen der Tiefenwahrnehmung","type":"Journal Article","volume":"18"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:17:21.818902+00:00"}

VL Library

Journal Article
Permalink (old)
http://vlp.uni-regensburg.de/library/journals.html?id=lit4494
Licence (for files):
Creative Commons Attribution-NonCommercial
cc-by-nc

Export

  • BibTeX
  • Dublin Core
  • JSON

Language:

© Universitätsbibliothek Regensburg | Imprint | Privacy policy | Contact | Icons by Font Awesome and Icons8 | Powered by Invenio & Zenodo