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{"created":"2022-01-31T12:39:13.994081+00:00","id":"lit4496","links":{},"metadata":{"alternative":"Philosophische Studien","contributors":[{"name":"Seyfert, Richard","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Philosophische Studien 18: 189-214","fulltext":[{"file":"p0189.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die Auffassung einfachster Raumformen.\nVon\nRichard Seyfert.\n(Oelsnitz i. Y.)\nMit Tafel IX.\nEinleitung.\nDie vorliegende Arbeit ist die selbst\u00e4ndige Fortsetzung einer in den Philosophischen Studien, Band XIV, unter gleicher Ueber-schrift ver\u00f6ffentlichten Untersuchungsreihe. Dort handelte es sich darum, die subjectiven Factoren der Formenauffassung festzustellen und auf ihre Bedeutung f\u00fcr den ganzen Complex der Gesichtswahrnehmung zu untersuchen. Zu diesem Zwecke mussten die Versuchspersonen bestimmte Dreiecksformen auf fassen:\n1.\tdurch Fixiren des Dreiecks von dessen Mitte aus,\n2.\tdurch die blo\u00dfe Augenbewegungsempfindung, die durch entsprechende Bewegung eines Fixationspunktes im neutralen Raume veranlasst wurde,\n3.\tdurch Tasten oder Nachziehen der erhabenen Umrisslinie bei geschlossenem Auge,\n4.\tdurch Verbindung des visuellen Netzhautbildes mit der Augenbewegung (der Fixationspunkt bewegt sich auf der sichtbaren Umrisslinie hin),\n5.\tdurch Verbindung der blo\u00dfen Augenbewegung mit der entsprechenden Handbewegung und\n6.\tdurch Verbindung des visuellen Netzhautbildes, der Augenbewegung und der Handbewegung.\nDie wichtigsten Ergebnisse dieser Versuche sind folgende:\n1. Das Ausschlaggebende f\u00fcr die Exactheit der Auffassung ein-\nWundt, Philos. Studien. XVIII.\tiq","page":189},{"file":"p0190.txt","language":"de","ocr_de":"190\tRichard Seyi'ert.\nfachster Formen ist die rinmittelbare oder reproducirte Augenbewegungsempfindung.\n2.\tDie genaueste Auffassung der Formen erfolgt so, dass das Auge die Figur im Ganzen vor sich sieht und sich auf den Umrisslinien hinbewegt.\n3.\tDieser Perceptionsart am n\u00e4chsten kommt diejenige, bei der die blo\u00dfe Augenbewegung ohne visuelles Gesammtbild vorhanden ist.\n4.\tDie Auffassung durch starres Fixiren ist sehr schwierig und gelingt nur ge\u00fcbten Personen. Bei diesen aber ist die Auffassung viel weniger genau als bei 1. und 2. Bei unge\u00fcbten Personen folgt das Auge unwillk\u00fcrlich den Umrisslinien.\n5.\tSimultane Bewegungen der Hand und des Armes vermindern in der Regel die Genauigkeit der Auffassung. Gro\u00dfe Uebung der Muskeln kann aber die Genauigkeit f\u00f6rdern.\n6.\tDie ungenaueste, dem Sehenden aber immerhin m\u00f6gliche Auffassung ist die auf Grund der blo\u00dfen Hand- und Armbewegungen erfolgende.\nIn der vorliegenden Arbeit handelte es sich nun darum, zun\u00e4chst die objectiven Factoren, n\u00e4mlich die Bedeutung der Umrisslinie und der markanten Punkte, die der Gr\u00f6\u00dfe und der Entfernung, der Farbe und den Einfluss g\u00fcnstiger oder ung\u00fcnstiger Beleuchtung, zu untersuchen, dann die unverkennbare Regelm\u00e4\u00dfigkeit der Fehler hervorzuheben und zu deuten. Die Arbeit zerf\u00e4llt deshalb in zwei Theile, von denen der erste die objectiven Factoren bei der Auffassung einfachster Raumformen, der andere die Regelm\u00e4\u00dfigkeit der Fehler untersucht.\nWie der einleitungsweise erw\u00e4hnten ersten Versuchsreihe lagen auch der zweiten, hier behandelten, 10 typische Dreiecksformen mit folgenden Basiswinkeln zu gr\u00fcnde:\nNr.\t^4 a\t-4*\tNr.\t^4\u00ab\t^4b\nI.\t45\u00b0\t45\u00b0\tVI.\t65\u00b0\t65\"\nII.\t90\u00b0\t30\u00b0\tVII.\t50\u00b0\t70\"\nIII.\t30\u00b0\t90\u00b0\tVIII.\t80\u00b0\t45\"\nIY.\t40\u00b0\t40\u00b0\tIX.\t25\"\t110\"\nY.\t60\u00b0\t60\"\tX.\t115\u00b0\t15\u00b0\nDiese Dreiecke werden von den Versuchspersonen aufgefasst, angeschaut und dann nachgezeichnet.","page":190},{"file":"p0191.txt","language":"de","ocr_de":"TJeber die Auffassung einfachster \u00eftaumformen.\n191\nUm ged\u00e4chtnissm\u00e4\u00dfiges Zeichnen m\u00f6glichst zu verhindern, wurde f\u00fcr jeden Versuch die Reihenfolge und die Lage der Dreiecke ver\u00e4ndert : hei Lage A liegt die Basis horizontal und unten, bei Lage B oben, hei Lage O vertical und links, hei Lage D rechts. Die Versuchspersonen sind bis zum Schl\u00fcsse der Versuche dar\u00fcber im Unklaren gelassen worden, ob sie immer dieselben Formen oder solche mit kleinen Abweichungen zu zeichnen hatten. In jedem Versuche wurde jedes der 10 Dreiecke dreimal gezeichnet.\nDa es hier nicht mehr auf die subjectiven Factoren ankam, so wurde es jeder Person \u00fcberlassen, in welcher Weise sie die Formen auf fassen wollte, nur die Auffassungszeiten waren f\u00fcr alle gleich lang. Es zeigte sich aber in der Auffassungsweise eine weitgehende Uebereinstimmung, die auf die oben angegebenen Ergebnisse der fr\u00fcheren Versuche bestimmt zur\u00fcckweist. Zun\u00e4chst wird das Dreieck rasch als Ganzes betrachtet, nicht durch starres Fixiren, sondern so, dass der Blick den Umriss uml\u00e4uft und dann f\u00fcr einen Moment auf dem Ganzen verweilt. Darauf erfolgt ein constructives Zerlegen, das fast durchweg durch das Hinzudenken der Dreiecksh\u00f6he geschieht.\nDie Reproduction der angeschauten Formen geschah durch freih\u00e4ndiges Nachzeichnen, wobei Correcturen gestattet waren. Um der Genauigkeit des Ausmessens willen mussten die Eckpunkte beim Zeichnen etwas markirt werden. Vor dem Ausmessen der Winkel wurden dann die gezeichneten Linien unter Benutzung der markirten Punkte mit dem Lineal nachgezogen.\nDie Aehnlichkeit der gezeichneten mit der aufgefassten Form wird sich in der Uebereinstimmung der Winkel aussprechen. Deshalb werden die Abweichungen hierin als Fehlerma\u00df benutzt. Wenn z. B. das Dreieck mit den Basiswinkeln von je 45\u00b0 in ein solches ver\u00e4ndert wird, bei dem -4t a 43\u00b0, -4 b 41\u00b0 ist, so betr\u00e4gt der Fehler\nf\u00fcr 4ff = \u20142\u00b0,\n\u00bb ^b = \u20144\u00b0,\n\u00bb j&c = +6\u00b0,\nin Summa 12\u00b0,\nf\u00fcr die Summe ist also das Vorzeichen gleichg\u00fcltig, f\u00fcr den Winkel c, der nicht direct gemessen zu werden braucht, aber nicht; denn in ihm erscheint der Fehler verst\u00e4rkt oder aufgehoben, je nachdem die Fehler bei 4 a und \u00ab4A gleiche oder ungleiche Vorzeichen haben.\n13*","page":191},{"file":"p0192.txt","language":"de","ocr_de":"192\nRichard Seyfert.\nDie objectiven Factoren.\nAls objective Factoren wurden folgende Momente untersucht :\n1.\tdie Umrisslinie und die markanten Punkte,\n2.\tdie Gr\u00f6\u00dfe,\n3.\tdie Entfernung,\n4.\tFarben,\n5.\tdie Beleuchtung.\nWeil die Zahl der Versuche gro\u00df war, mussten ziemlich viel Personen herangezogen werden, was zugleich den Vortheil bot, auch die individuellen Unterschiede kennen zu lernen und von zu weitgehenden Verallgemeinerungen abzuhalten. Es halfen mir folgende Herren: Fangh\u00e4nel, Gessinger, Glier, H\u00e4ntzschel, Kappler, Kl\u00f6pfel, Lange, Lohse, Maul, Merckel, Nessmann, Schilling, Trautner, Wede, Vorwerk und Zanther. Diesen Herren spreche ich auch hier meinen Dank aus. Mit jedem der Herren wurden etwa 12 Versuche angestellt. Im Folgenden wende ich f\u00fcr sie folgende Chiffern an: Khn, Lg, Mi, Nt, Ol, Pf, Qg, Es, Sl, Tk, Um, VI, Wn, Xw, Yd, Zt.\nUeber die Versuchsanordnung ist bei jeder Gruppe das N\u00f6thige gesagt. Es wurde bei dieser Reihe den Versuchspersonen zugemuthet, die Dreiecke auch in der richtigen Gr\u00f6\u00dfe zu zeichnen, was bei der ersten Reihe nicht der Fall war. Den eigentlichen Versuchen gingen einige Uebungsversuche voraus.\nI. Versuche, die die Umrisslinie und die markanten Punkte betreffen.\n1. Versuch I1. Kr\u00e4ftige Umrisslinie. Die Dreiecke sind mit schwarzer Tusche in kr\u00e4ftigen, etwa 3/4 mm starken Linien auf wei\u00dfem Carton aufgezeichnet. Jede Person sieht sie in der f\u00fcr sie geltenden Entfernung des deutlichsten Sehens.\nVersuch I2. Schwache Umrisslinie. Die Umrisse sind mit feinen Bleistiftlinien gezogen. Jede Person bestimmt f\u00fcr sich die Entfernung, in der sie die Dreiecke deutlich zu erkennen vermeint.\nVersuch I3. Schwache Umrisslinie, deutlich markirte Eckpunkte. Die Dreiecke sind wie im vorigen Versuche gezeichnet, die Eckpunkte aber deutlich hervorgehoben.","page":192},{"file":"p0193.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die Auffassung einfachster Raumformen.\n193\nVersuch I4. Bios markirte Eckpunkte, die Umrisslinie fehlt.\nDer Versuch I1, bei dem also die Dreiecke in kr\u00e4ftigen Conturen gezeichnet worden sind, wird bei allen Personen als der Normalversuch betrachtet; ihn haben darum auch alle auszuf\u00fchren gehabt. Bei ihm haben sich f\u00fcr die einzelnen Personen folgende Fehlerzahlen ergeben;\nOl\t165\u00b0\tWn\t340\nYd\t246\u00b0\tPf\t341\nLg\t249\u00b0\tXw\t356\nNt\t268\u00b0\tMi\t374'\nS1\t302\u00b0\tZt\t378'\nRs\t305\u00b0\tUm\t3801\nQg\t318\u00b0\tKhn\t382'\nVI\t338\u00b0\tTk\t571'\nVergleicht man mit diesen Ergebnissen zun\u00e4chst die des Versuches I2, so zeigt sich folgendes Bild:\nAbsolute Werthe\tRelative Werthe\n\tIi\t12\tIi\t12\n\tkr\u00e4ftiger\tschwacher\t\t\n\t\tUmriss\t\t\nOl\t165\u00b0\t184\"\t100 :\t111,5\nQg\t318\u00b0\t394\"\t100 :\t123.9\nVI\t338\u00b0\t386\"\t100 :\t114,2\nWn\t340\"\t378\"\t100 :\t111.2\nPf\t341\u00b0\t416\"\t100 :\t: 122\nXw\t356\u00b0\t406\"\t100 :\t114\nZt\t378\u00b0\t508\"\t100 :\t134,4\nKhn\t382\u00b0\t486\u00b0\t100 :\t129,8\n\t\tMittel 100 : 120,1.\t\t\nDie Fehlerzahl w\u00e4chst nahezu um ein F\u00fcnftel, obwohl die Versuchspersonen meinen, die Formen genau erkannt zu haben. In diesen Zahlen aber spricht sich die Bedeutung deutlicher \u00fcmriss-linien klar aus.\nUm diese Bedeutung noch sch\u00e4rfer zu beleuchten, will ich hier die Resultate eines Versuches mit farbigen Dreiecken anf\u00fcgen. Bei Versuch IV wurden gr\u00fcne und rothe Dreiecke auf wei\u00dfem Hintergr\u00fcnde angeschaut, und zwar einmal ohne, das andere Mal mit kr\u00e4ftiger schwarzer Contur. Hierbei ergaben sich folgende Zahlen:","page":193},{"file":"p0194.txt","language":"de","ocr_de":"194\nRichard Seyfert.\nAbsolute Werthe Gr\u00fcn auf wei\u00dfem Grunde\nRelative Werthe\nohne mit Umrisslinie\nOl\t168\t123\nNt\t236\t222\nLg\t248\t238\nZt\t302\t300\nUm\t298\t254\nTk\t428\t424\n100 : 73,2 100 : 94,6 100 : 95,9 100 : 99 100 : 85,5 100 : 99\nMittel 100 : 91,2,\nRoth auf wei\u00dfem Grunde\nohne mit Umrisslinie\nWn\t267\t238\nKhn\t352\t334\nPf\t360\t269\n(VI\t306\t426)\ti)\n100 : 89,5 100 : 92,5 100 : 74,4\nMittel 100 : 85,5.\nNach diesen Ergebnissen wird man die Bedeutung der Umrisslinie wohl zu beachten haben.\nWie ein Widerspruch hierzu sieht der Ausfall des Versuches I4 aus, bei dem statt der Conturen nur die Eckpunkte der Dreiecke kr\u00e4ftig markirt wurden. Der Vergleich mit dem Versuche I1, dem Normal versuche, zeigt dieses Bild:\nRelative Werthe\nAbsolute Werthe\nII\t14\nkr\u00e4ftiger kein Umriss, Umriss Eckpunkte markirt\n01\t165\t176\nQg\t318\t370\nVI\t338\t380\nWn\t340\t368\nPf\t341\t270\nXw\t356\t286\nZt\t378\t350\nKhn\t382\t282\nMittel 100 : 96,1.\n100\n100\n100\n100\n100\n100\n100\n100\nl) Dieses Ergebniss f\u00e4llt ganz aus der Reihe, nicht blos den \u00fcbrigen Personen, sondern auch den \u00fcbrigen Versuchen derselben Person gegen\u00fcber, da sie die Zahl aller Versuche, auch der sonst ung\u00fcnstigsten \u00fcbertrifft. Die H\u00f6he der Zahl ist nur aus einer zeitlichen starken Indisposition zu erkl\u00e4ren.","page":194},{"file":"p0195.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die Auffassung einfachster Raumformen.\n195\nDie Versuchspersonen scheiden sich scharf in zwei Gruppen. Bei der ersten ist die Auffassung der durch Punkte markirten Dreiecke weniger g\u00fcnstig als beim Normalversuche. Das erscheint von vornherein als das Nat\u00fcrlichere. Um so auff\u00e4lliger ist die Thatsache, dass sich hei der zweiten Gruppe die Fehlerzahl so bedeutend verringert; sie ist es um so mehr, als es die im Auffassen unge\u00fcbteren Personen sind, hei denen sie sich zeigt. F\u00fcr uns aber ist sie ein weiterer Beleg f\u00fcr die im ersten Theile gefundene Thatsache, dass f\u00fcr die Auffassung der Formen die Augenbewegung das Entscheidende ist. Durch die Perception der drei markirten Eckpunkte entsteht im Auge kein wirkliches Bild des Dreieckes; wohl aber ist die durch eine Bewegung zu messende Entfernung genau gegeben und die Richtung dieser Bewegung durch die gegenseitige Lage der Punkte unzweideutig bestimmt. Dies Beides aber gen\u00fcgt zur genauen Auffassung der Form. Ja, es muss angenommen werden, dass die markirten Punkte die apperceptive Tli\u00e4tigkeit der betreffenden Personen noch st\u00e4rker anregen, als die gleichf\u00f6rmig gezeichnete Umrisslinie. Nur so erkl\u00e4rt es sich, dass sie die Punkt-Dreiecke noch genauer auffassen als die mit Linien gezeichneten.\nDie n\u00e4chsten Versuche aber werden lehren, dass dieses g\u00fcnstige Ergebniss nur dann eintritt, wenn die drei markirten Punkte in den gelben Fleck fallen. Dies ist bei der gegebenen Versuchsanordnung der Fall gewesen.\nDie Bedeutung markirter Punkte beweist auch Versuch I3, bei dem die Linien so fein wie bei Versuch I2 gezeichnet, die Eckpunkte aber besonders markirt worden sind. Die Zahlen sind diese (verglichen mit Versuch I2):\nAbsolute Werthe\tRelative Werthe\n12\tp\nUmriss fein, Umriss fein.\n\tPunkte nicht\tPunkte\t\t\n\tmarkirt\tmarkirt\t\t\n01\t184\t176\t100\t95,7\nQg\t394\t348\t100\t88,3\nXw\t406\t330\t100\t81,3\nzt\t508\t318\t100\t62,6\nMittel 100 : 82.\nIn dem Ma\u00dfe, wie durch die Eckpunkte Gr\u00f6\u00dfe und Richtung der Augenbewegung bestimmter wird, wird auch die Auffassung genauer.","page":195},{"file":"p0196.txt","language":"de","ocr_de":"196\nRichard Seyfert.\nAus dieser Versuchsgruppe sind also folgende S\u00e4tze abzuleiten: Kr\u00e4ftige Conturen sind f\u00fcr die Auffassung der Formen g\u00fcnstig, schwache Conturen ung\u00fcnstig. Der Nachtheil schwacher Umrisslinien kann aufgewogen werden durch Markirung entscheidender Punkte. Bei gespannter Aufmerksamkeit gen\u00fcgt das Hervorheben der markanten Punkte zur richtigen Auffassung.\nII. Versuche, die sich auf die Gr\u00f6\u00dfe der Formen beziehen.\nDie Entfernung, in der die Dreiecke des Normalversuches aufgestellt wurden, betrug 60\u201470 cm. In dieser Entfernung hat beispielsweise das Netzhautbild des normalen gleichseitigen Dreiecks eine H\u00f6he von etwa 1 mm. Wird nun die Entfernung beibehalten, werden aber die Dimensionen der aufzufassenden Dreiecke verdreifacht, so verdreifachen sich nat\u00fcrlich auch die linearen Ausdehnungen des Netzhautbildes und die Grenzlinien der Dreiecke fallen, wenn man den Mittelpunkt fixirt, jenseit des gelben Fleckes. Das Umgekehrte wird geschehen, wenn bei gleicher Entfernung dreimal so kleine Dreiecke angeschaut werden.\nIn Versuch II1 werden nun bei einer Entfernung von ca. 650 mm linear dreifach vergr\u00f6\u00dferte,\nin Versuch II2 dreifach verkleinerte Dreiecke vorgef\u00fchrt.\nDie Fehlersummen beider Versuche seien mit denen des Normal-versuches zusammengestellt :\nAbsolute Werthe\tRelative Wertlie\n\tIi\tIII\tEP\t\t\t\n\tNormal-\tdreifach\tdreifach\t\t\t\n\tversuch\tvergr\u00f6\u00dfert verkleinert\t\t\t\t\nVI\t338\t400\t568\t100\t: 118,3\t: 168\nWn\t340\t410\t568\t100\t: 120,6\t: 167\nKlm\t382\t458\t369!\t100 :\t146\t:\t: 96,6\nPf\t341\t574\t322!\t100 :\t168,3 :\t: 94\nUm\t320\t374\t368\t100 :\t116,9 :\t115\nTk\t450\t557\t630\t100 :\t123,8 :\t140\nYd\t246\t534\t576\t100 :\t217\t:\t234\nRs\t305\t644\t375!\t100 :\t211,1 :\t122,9\nMittel 100 : 155,3 : 142,2.\nEs zeigt sich also, dass die vergr\u00f6\u00dferten Dreiecke sehr ungenau aufgefasst werden. Das scheint ein Widerspruch zu der von uns so stark betonten Bedeutung der Bewegungsempfindung zu sein.","page":196},{"file":"p0197.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die Auffassung einfachster Raumformen.\n197\nDenn wenn diese wirklich so bedeutungsvoll ist, dann m\u00fcsste, wie man annehmen sollte, die Auffassung um so genauer sein, je intensiver die Bewegungsempfindung ist; denn sie ist um so intensiver, je gr\u00f6\u00dfer die Formen sind. Dem ist zun\u00e4chst entgegenzuhalten, dass unsere erste Versuchsreihe diejenige Auf fassungsweise f\u00fcr die g\u00fcnstigste nachgewiesen hat, bei der Netzhautbild und Augenbewegung Zusammenwirken, und es ist bei den unter I angef\u00fchrten Versuchen darauf hingewiesen worden, dass die blo\u00dfe Markirung nur dann g\u00fcnstig ist, wenn alle drei Punkte auf den gelben Fleck fallen. Wenn man sich nun bei der Auffassung der vergr\u00f6\u00dferten Dreiecke selbst beobachtet, erkennt man leicht, wie unsicher sich das Auge bewegt, wie es sich bem\u00fcht, die beiden ersten Eckpunkte nicht zu verlieren, wenn es den dritten fixirt. In der That ist die Fixirung des Ganzen nicht m\u00f6glich, weil die Umrisslinien des Netzhautbildes eine gr\u00f6\u00dfere Fl\u00e4che umschreiben als der gelbe Fleck enth\u00e4lt. Die Localzeichen dieser jenseit der Centralgrube gelegenen Netzhautpunkte sind weniger fein entwickelt und ihre gegenseitige, durch eine Bewegungsempfindung zu messende Lage weniger genau bestimmt als bei den Punkten der macula lutea. Sofort entsteht die Frage : Wird die Auffassung g\u00fcnstiger sein, wenn man die Dreiecke so auffassen l\u00e4sst, dass ein Eckpunkt in den gelben Fleck f\u00e4llt und nur die beiden anderen au\u00dferhalb liegen ? wenn man also einen Eckpunkt mar-kirt? Ein eingeschobener Versuch gibt die Antwort darauf:\nAbsolute Werthe\tRelative Werthe\nVergr\u00f6\u00dferte Dreiecke von der von einem Eck-Mitte punkte aus fixirt\nOl\t348\t180\t100 : 51,7\nXw\t732\t656\t100 : 89,5\nBei der ersten Versuchsperson ist die Differenz au\u00dferordentlich gro\u00df, bei der zweiten doch immerhin deutlich zu erkennen. Hieraus folgt aber die \u00fcberaus wichtige Thatsache, dass unser Bewusstsein die Distanz irgend eines Netzhautpunktes au\u00dferhalb des gelben Fleckes zu einem Punkte innerhalb desselben sicherer sch\u00e4tzt, als eine gleichgro\u00dfe Distanz zwischen zwei Punkten au\u00dferhalb des gelben Fleckes. Es besteht demnach eine unverkennbare Abstufung in der Orientirungsempfindlichkeit, wie man diese Erscheinung wohl","page":197},{"file":"p0198.txt","language":"de","ocr_de":"198\nRichard Seyfert.\nbezeichnen k\u00f6nnte: Am sichersten orientiren sich zwei Punkte innerhalb, weniger sicher ein Punkt innerhalb mit einem Punkte au\u00dferhalb, am wenigsten sicher zwei Punkte au\u00dferhalb der macula lutea.\nWenn es wirklich die Gr\u00f6\u00dfe des Netzhautbildes ist, die im Versuche II1 die Genauigkeit beeintr\u00e4chtigt, dann muss die Auffassung besser werden, wenn man die vergr\u00f6\u00dferten Dreiecke in der dreifachen Entfernung auf stellt. Hierbei zeigt sich folgendes Verh\u00e4ltniss zwischen diesem und dem Normal versuche :\nAbsolut\tRelativ\nNormal- Gro\u00dfe Dreiecke, versuch 2 m entfernt\nOl\t166\t164\t100 : 100\nXw\t356\t402\t100 : 113,2\nDie Vermuthung, dass die Auffassung sich der des Normal Versuches n\u00e4hert, best\u00e4tigt sich.\nDie im Versuche n2 aufgefassten verkleinerten Dreiecke geben ebenfalls eine ung\u00fcnstigere Eehlerzahl als die des Normalversuches, wenn sie auch durchschnittlich nicht so ung\u00fcnstig ist wie bei den gro\u00dfen Dreiecken. Das Netzhautbild des gleichseitigen Dreiecks zeigt hier eine H\u00f6he von etwa 0,3 mm. Zwar ist das Netzhautbild, da es ganz in den Blickpunkt f\u00e4llt, deutlich und scharf, aber die zur Feststellung des Umrisses n\u00f6thige Augenbewegung ist so minimal, dass die Auffassung doch ungenau wird. Es gibt also auch eine untere Grenze f\u00fcr die Gr\u00f6\u00dfe der Formen; geht man \u00fcber diese nach unten hinaus, so wird die Auffassung ungenau. Man kann mit gr\u00f6\u00dfter Wahrscheinlichkeit vermuthen, dass die Punkte des Grenzbezirkes der macula lutea die feinste Orientirungsempfmdlichkeit besitzen. Wir fassen also einfache Formen dann am exactesten auf, wenn diese eine solche Gr\u00f6\u00dfe (und Entfernung) haben, dass ihr volles Bild auf den gelben Fleck f\u00e4llt, zugleich diesen aber der Gr\u00f6\u00dfe nach ungef\u00e4hr deckt.\nHI. Versuche, die die Entfernung betreffen.\nSchon in der vorangehenden Gruppe musste die Entfernung beachtet werden, da von ihr ja die Gr\u00f6\u00dfe des Netzhautbildes mit abh\u00e4ngt. Die hier vorliegenden Versuche haben den Zweck -\u2014 und in diesem leuchtet, wie auch in den weiterfolgenden Versuchen, die","page":198},{"file":"p0199.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die Auffassung einfachster Raumformen.\n199\np\u00e4dagogische R\u00fccksicht durch \u2014 T\u00e4uschungen nachzuweisen, denen man sich hei der Auffassung von Formen leicht hingibt. Bei den Entfemungsversuchen hatte jede Person f\u00fcr sich die Grenze des deutlichen Erkennens zu bestimmen. Dass diese je nach dem Bau des Auges verschieden ist, braucht nicht besonders gesagt zu werden. Wichtig aber ist es, dass jede Versuchsperson geglaubt hat, die Dreiecke deutlich genug zu erkennen, um sie richtig nachzuzeichnen. Es ergaben sich folgende Fehlerzahlen, die gleich neben die des Normalversuches gestellt werden m\u00f6gen:\n\tAbsolute Werthe\t\tRelative Werthe\t\n\tNormal- versuch\tNormale Dreiecke an der Grenze des deutlichen Erkennens\t\t\nXw\t356\t410\t100\t: 115,2\nQ&\t318\t479\t100 :\t150,7\nUm\t320\t352\t100 :\t: 110\nYd\t246\t458\t100 ;\t: 186,2\nRs\t305\t604\t100 :\t: 165,2\nMittel 100 : 145,5\nDie Fehlerzahl steigt nahezu um die H\u00e4lfte. Da das Bild selbst deutlich erkannt wird, so ist nach den \u00fcber den Einfluss der Augenbewegungen gelieferten Nachweisen zu vermuthen, dass die durch die geringere Gr\u00f6\u00dfe des Netzhautbildes bedingten geringer gewordenen Bewegungsempfindungen die gr\u00f6\u00dfere Fehlerzahl liervorrufen. Die Mittelzahl stimmt \u00fcbrigens beil\u00e4ufig mit der \u00fcberein, die sich beim Nachzeichnen der verkleinerten Dreiecke ergeben hat: 145,5: 142.\nDie Nachtheile der gro\u00dfen Entfernung werden auch durch die Einf\u00fchrung der Farbe in die Versuche nicht beseitigt. Au\u00dfer den gew\u00f6hnlichen Dreiecken wurden n\u00e4mlich auch gr\u00fcne Dreiecke auf wei\u00dfem Grunde in der Entfernung aufgefasst, und es zeigte sich folgendes Ergebniss:\nAbsolute Werthe\tRelative Werthe\nNormale Gr\u00fcne Dreiecke auf Dreiecke wei\u00dfem Grunde in Entfernung gesehen\nXw\t410\t474\t100 :\t: 114,6\nQg\t479\t420\t100 :\t; 87,7\nUm\t352\t374\t100 ;\t106,2\nYd\t458\t485\t100 :\t105,7\nRs\t504\t678\t100 :\t: 134,5\nMittel 100 : 109.7.","page":199},{"file":"p0200.txt","language":"de","ocr_de":"200\nRichard Seyfert.\nMit einer einzigen Ausnahme hat sich bei keiner Person die Auffassung verbessert. Vielmehr zeigt sich eine kleine Verschlechterung, die, wie aus den Versuchen unter I hervorgeht, auf das Fehlen der Umrisslinie zur\u00fcckzuf\u00fchren ist. Wichtig ist f\u00fcr uns aber die Er-kenntniss, dass durch gr\u00f6\u00dfere Entfernung die genaue Auffassung der Formen wesentlich erschwert wird.\nIV. Versuche, die sich auf die Farbe beziehen.\nBei diesen Versuchen handelt es sich zun\u00e4chst nur darum, den Einfluss der Farbe auf die Perception im allgemeinen festzustellen, nicht den der einzelnen Farbenqualit\u00e4ten. Zu untersuchen, ob hei sonst gleichen Versuchsumst\u00e4nden die einzelnen Farben verschiedene Ergebnisse zeitigen, w\u00e4re gewiss eine reizvolle Aufgabe; ihre L\u00f6sung muss aber einer besonderen Arbeit \u00fcberlassen werden. F\u00fcr die hier\nvorliegenden Versuche wurden nur zwei Farben \u2014 Roth und Gr\u00fcn \u2014 herangezogen. Bei der Auswahl der Farbt\u00f6ne, die ohne besondere H\u00fclfsmittel erfolgte, war ich bem\u00fcht, f\u00fcr beide Farben einen m\u00f6glichst reinen Ton von mittlerer S\u00e4ttigung und mittlerer Helligkeit zu treffen. Es sei gleich hier bemerkt, dass die Versuche selbst ergeben haben, dass der rotlie Farbton um einige Nuancen dunkler getroffen worden ist als der gr\u00fcne, ein zuf\u00e4lliger Umstand, der aber nicht ung\u00fcnstig gewirkt, sondern f\u00fcr die Versuche und ihre Bedeutung sich als recht vortheilhaft erwiesen hat.\nVergleicht man zun\u00e4chst die Auffassung der farbigen Dreiecke mit der der farblosen Normaldreiecke, so stellt sich folgende Ueber-\nsicht heraus:\nAbsolute Werthe\tRelative Werthe\n\tN orm alversuch\tGr\u00fcn auf Wei\u00df\t\t\n01\t165\t168\t100\t101,8\nzt\t378\t302\t100\t80,2\nNt\t268\t236\t100\t88,1\nLg\t249\t248\t100\t99,5\nUm\t320\t298\t100\t93,1\nTk\t450\t428\t100\t95,1\n\tMittel 100 : 94,6\t\t\t\n\tN ormalversuch\tRoth auf Wei\u00df\t\t\nVI\t338\t306\t100\t90,5\nWn\t340\t267\t100\t78,6\nKhn\t382\t352\t100\t92,1\nS1\t302\t236\t100\t78.1\nMittel 100 : 84.8.","page":200},{"file":"p0200s0001table9.txt","language":"de","ocr_de":"Wundt, Philosophische Studien. XVIII. Band.\nTaf. IX.\n/ J, 3t","page":0},{"file":"p0201.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die Auffassung einfachster Raumformen.\n201\nGanz unzweideutig gellt aus diesen Zahlen hervor, dass die Farbe g\u00fcnstig wirkt. Die farbig erregten Netzhauttheile heben sich dem Bewusstsein intensiv von den farblos erregten ab; diese differenzirte Erregung lenkt die Aufmerksamkeit kr\u00e4ftig auf die Form und beg\u00fcnstigt so die Auffassung. Dazu kommt aber noch ein Moment von betr\u00e4chtlichem Werthe, das ist das \u00e4sthetische Gefallen. Dieses wird durch die bunten Dreiecke auf dem elfen-heinwei\u00dfen Grunde so lebhaft erregt, dass es sich hei einzelnen Versuchspersonen unwillk\u00fcrlich in einem Urtheil, wie etwa dem: Das ist nett \u2014 \u00e4u\u00dfert, Dieses \u00e4sthetische Lustgef\u00fchl darf aber als in hohem Grade apperceptiv wirkend allgesprochen werden.\nDer Unterschied zwischen der Auffassung der rothen und der der gr\u00fcnen Dreiecke darf nicht \u00fcbersehen werden, da er nicht durch eine extrem niedrige Ziffer hei den rothen oder durch eine extrem hohe Ziffer bei den gr\u00fcnen Dreiecken veranlasst worden ist, sondern sich in allen Abstufungen zeigt. Dass die rothen Dreiecke auf wei\u00dfem Grunde genauer aufgefasst worden sind, liegt darin, dass das gew\u00e4hlte Roth einen st\u00e4rkeren Helligkeitsgegensatz zu Weiss bildet als das gew\u00e4hlte Gr\u00fcn.\nIst das richtig, so m\u00fcssen sich die beiden Farben dem schwarzen Hintergr\u00fcnde gegen\u00fcber entgegengesetzt verhalten. Man beachte die Zusammenstellung :\nAbsolute Werthe\tRelative Werthe\nGr\u00fcn auf Wei\u00df Gr\u00fcn auf Schwarz\n01\t166\t185\t100\t110,1\nzt\t302\t274\t100\t90,1\nNt\t236\t234\t100\t99\nLg\t248\t200\t100\t80,6\nUm\t298\t284\t100\t95,3\nTk\t428\t378\t100\t88,3\n\tMittel 100 : 94\t\t\t\n\tRoth auf Wei\u00df Roth auf Schwarz\t\t\t\nVI\t306\t322\t100\t105,2\nWn\t267\t316\t100\t118,4\nKhn\t352\t430\t100\t122,1\nPf\t360\t464\t100\t128,9\nMittel 100 : 118,7.\nBei Gr\u00fcn hat also die Fehlerzahl ab-, bei Roth zugenommen; es kommt hei Roth die g\u00fcnstige Wirkung der Farbenqualit\u00e4t gar nicht","page":201},{"file":"p0202.txt","language":"de","ocr_de":"202\nRichard Seyfert.\nmehr recht zur Geltung, was sich besonders deutlich zeigt, wenn man den Roth-Schwarz-Versuch mit dem Normalversuch vergleicht:\nVI\nWn\nKhn\nPf\nAbsolute \"Werthe Normalversuch Roth auf Schwarz\t\tRelative \"Werthe\t\n338\t322\t100\t95,3\n320\t316\t100\t98,8\n382\t430\t100\t112,5\n450\t464\t100\t103,1\nMittel 100 : 102,4.\nDie Tliatsache aber, dass die Farbenqualit\u00e4t nahezu wirkungslos wird, weist uns darauf hin, dass es vor allem die Helligkeitsunterschiede sind, die die Genauigkeit der Formenauffassung g\u00fcnstig oder ung\u00fcnstig beeinflussen. Je geringer der Helligkeitsunterschied zwischen dem Dreiecke und dem Hintergr\u00fcnde ist, desto ung\u00fcnstiger muss die Auffassung sein. Das zeigt sich nun sehr deutlich, wenn man die farbigen Dreiecke auf einen neutral grauen Hintergrund bringt. Vergleichen wir: 1. Gr\u00fcn auf Wei\u00df mit Gr\u00fcn auf Grau, so ergibt sich das Verh\u00e4ltniss................ 100 : 120,8,\n2. Roth auf Weiss mit Roth auf Grau ....\t100 : 109,7.\nDie Fehlerzahl steigt in beiden F\u00e4llen, weil die Heiligkeitsdifferenz in beiden F\u00e4llen geringer wird. Sie ist bei Gr\u00fcn auf Grau gr\u00f6\u00dfer, weil von dem Gr\u00fcn wirklich ein Mittelton der Helligkeit getroffen worden ist; sie ist beim Roth geringer, weil das Roth etwas zu dunkel gew\u00e4hlt wurde; der Helligkeitsunterschied ist hier etwas gr\u00f6\u00dfer, darum die Auffassung etwas genauer.\nDagegen mit Schwarz verglichen, ergibt sich:\nauf Schwarz auf Grau Gr\u00fcn\t94\t120,8\nRoth\t118,7\t109,7\nDass Gr\u00fcn auf Schwarz wenig Fehler zeigt, liegt an dem starken Helligkeitsunterschiede. Dass aber Roth auf Grau weniger F\u00f6hler aufweist als Roth auf Schwarz, sagt wiederum, dass es etwas zu dunkel ist und darum dem Schwarz n\u00e4her liegt als dem Grau.\nDie in den Versuchen vorhandenen Helligkeitsdifferenzen zwischen farbigem Dreieck und Hintergrund zeigen also folgende Stufen (die beigef\u00fcgten Zahlen geben das Verh\u00e4ltniss der Fehlersummen zu der des Normal Versuches an):","page":202},{"file":"p0203.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die Auffassung einfachster Raumformen.\n203\nGr\u00fcn : Grau\t113,52\nRoth : Schwarz\t102,4\nGr\u00fcn : Wei\u00df\t94,6\nRoth : Grau\t91,56\nGr\u00fcn : Schwarz\t88,9\nRoth : Wei\u00df\t84\nEs steht zu vermuthen, dass sich die Reihe, wenn das Roth ein wenig heller gew\u00e4hlt worden w\u00e4re, so gestaltet h\u00e4tte:\nGr\u00fcn : Grau Roth : Grau\nGr\u00fcn : \"Wei\u00df Roth : Schwarz\nGr\u00fcn : Schwarz Roth : Wei\u00df\nEs w\u00e4re dann eine sch\u00f6ne Regelm\u00e4\u00dfigkeit herausgekommen, daf\u00fcr aber w\u00e4ren die feinen Nuancen der Ergebnisse verwischt worden, und es h\u00e4tte leicht \u00fcbersehen werden k\u00f6nnen, was sich nunmehr so \u00e9clatant zeigt, dies n\u00e4mlich, dass weniger die Earhenqualit\u00e4ten als die Helligkeitsunterschiede die Exactheit der Auffassung bedingen.\nIn diesen Zusammenhang ist nun ein Entfernungsversuch einzureihen. Es war oben auf Grund der Versuche unter III ausgesprochen worden, dass die Farbe den Nachtheil einer \u00fcbergro\u00dfen Entfernung nicht ausgleichen k\u00f6nne. Der Entfernungsversuch mit Gr\u00fcn auf Wei\u00df ergab ein ung\u00fcnstigeres Resultat als der mit den normalen Dreiecken, das Verh\u00e4ltniss war 109,7 : 100. Dies \u00e4ndert sich nun sofort, wenn man an Stelle des Gr\u00fcn-Wei\u00df-Versuches den Gr\u00fcn-Schwarz-Versuch einschiebt. Es werden also die Gr\u00fcn-Schwarz-Dreiecke auf weite Entfernung betrachtet; da stellen sich folgende Zahlen heraus:\nAbsolute Werthe\tRelative Werthe\nNormaldreiecke Gr\u00fcn-Schwarz an der Grenze des deutlichen Erkennens\nXw\t410\t362\t100 :\t88,3\nQg\t479\t464\t100 :\t99\nUm\t352\t314\t100 :\t89,8\nYd\t458\t362\t100 :\t: 79\nRs\t504\t364\t100 :\t72,2\nMittel 100 : 85,7","page":203},{"file":"p0204.txt","language":"de","ocr_de":"204\nRichard Seyfert,\nDie starke Helligkeitsdifferenz zwischen dem Gr\u00fcn des Dreieckes und dem Schwarz des Hintergrundes vermag den Nachtheil der geringen Bewegungsempfindung auszugleichen und verbessert die an sich ungenaue Auffassung betr\u00e4chtlich.\nGr\u00fcn und Roth sind Contrastfarhen; wie wird die Auffassung sein, wenn man Gr\u00fcn auf rothem Grunde und Roth auf gr\u00fcnem Grunde untersucht? Hier sind die Zahlen zusammengestellt mit denen der Versuche mit wei\u00dfem Grunde:\n\tAbsolute Werth e\t\tRelative Werthe\t\n\tGr\u00fcn auf Wei\u00df\tGr\u00fcn auf Roth\t\t\n01\t168\t236\t100 :\t140,5\nzt\t302\t428\t100 :\t141,7\nM\t236\t415\t100 :\t133,5\nLg\t248\t420\t100 :\t169,5\n\tMittel 100 : 146,3\t\t\t\n\tRoth auf Wei\u00df\tRoth auf Gr\u00fcn\t\t\nVI\t306\t414\t100 :\t: 136,3\nWn\t267\t364\t100 :\t136,3\nKhn\t352\t438\t100 :\t124,4\nPf\t360\t420\t100 :\t117,2\n\tMittel 100 : 128,4\t\t\t\nUnmittelbar\tsich ber\u00fchrende Farbencontraste beeinfluss\t\t\t\nAuffassung durchaus ung\u00fcnstig. Es ist zun\u00e4chst der Randcontrast, der die Umrisslinien verschwommen erscheinen l\u00e4sst. Dann aber wirkt ein \u00e4sthetisches Missbehagen \u00fcberaus st\u00f6rend. Der Versuch ruft hei einigen Versuchspersonen direct schmerzhafte Empfindungen in den Augen hervor. Es ist aber dieser Versuch ein neuer Beweis daf\u00fcr, dass f\u00fcr die Erfassung der Formen die Farbenqualit\u00e4ten an Bedeutung zur\u00fccktreten.\nDie Ergebnisse dieser Versuchsgruppe lassen sich in folgende S\u00e4tze zusammenfassen:\n1.\tDie Farbe beg\u00fcnstigt im allgemeinen die Auffassung der Form.\n2.\tNicht die Farbenqualit\u00e4ten, sondern die Helligkeitsunterschiede sind hierbei das Ausschlaggebende. Je gr\u00f6\u00dfer die Helligkeitsdifferenz zwischen Form und Hintergrund, desto genauer ist die Auffassung.\n3.\tUnmittelbar zusammentreffende Farbencontraste sind f\u00fcr die Auffassung der Form ung\u00fcnstig.","page":204},{"file":"p0205.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die Auffassung einfachster Raumformen.\n205\nY. Versuche, die die Beleuchtung betreffen.\nAuch die Beleuchtungsversuche kn\u00fcpfen an eine praktische p\u00e4dagogische oder hygieinische Frage an. Die hiesige Schule ist mit dem einen Fl\u00fcgel nach der Stra\u00dfe gerichtet; in kaum 12 m Abstand befinden sich ihr gegen\u00fcber H\u00e4user. Die \u00fcble Folge davon ist die, dass die nach dieser Seite liegenden Zimmer bedeutend verdunkelt sind. Ueber den ung\u00fcnstigen Einfluss dieses Umstandes auf die Gesichtswahrnehmungen gibt einer unserer Versuche Aufschluss. Vergleicht man mit dem Normalversuche, der unter g\u00fcnstigen Beleuchtungsverh\u00e4ltnissen angestellt worden ist, die Versuche an den normalen Dreiecken in einem solchen Zimmer, so zeigt sich folgender Unterschied:\nAbsolute Werthe\tRelative Werthe\nNormal- Versuch im ung\u00fcnstig\n\tversuch\tbeleuchteten Zimmer\t\t\nNt\t268\t320\t100\t119,4\nLg\t249\t282\t100\t113,3\nYd\t246\t264\t100\t118\nMittel 100 : 116,9\nDabei hatten die Versuchspersonen die Dreiecke in der g\u00fcnstigsten Entfernung vor sich ; nun denke man sich mit der geringen Beleuchtung noch die ung\u00fcnstige Entfernung Zusammenwirken!\nUm den Einfluss ung\u00fcnstiger Beleuchtung weiter zu untersuchen, wurde der extreme Fall der unteren Grenze, d. h. f\u00fcr jede Person die Lichtst\u00e4rke festgestellt, bei der sie die Form eben deutlich zu erkennen vermeinte. Durch allm\u00e4hliche Aufhellung des vorher verdunkelten Zimmers wurde diese Grenze bestimmt. Auch hier zeigten sich wie bei den Entfernungsversuchen starke individuelle Differenzen.\nDem ersten Versuche liegen die gew\u00f6hnlichen Dreiecke zu Grunde; er ist deshalb mit dem Normal versuche verglichen:\n\tAbsolute \"Werthe\t\tRelative \"Werthe\n\tNormal-\tDunkelversuch mit den\t\n\tversuch\tgew\u00f6hnlichen Dreiecken\t\nQ,g\t318\t420\t100 : 132\nNt\t268\t314\t100 : 117,2\nLg\t249\t298\t100 : 119,7\nMi\t252\t269\t100 : 106,7\nS1\t302\t386\t100 : 128,8\nYd\t246\t436\t100 : 177,2\nRs\t305\t334\t100 : 109,5\n\t\tMittel 100 : 127,3\t\nWundt, Philos.\tStudien. XVIII.\t\t14","page":205},{"file":"p0206.txt","language":"de","ocr_de":"206\nRichard Seyfert.\nBei den Personen, bei denen die Fehlerzahl weit \u00fcber dem Mittel steht, h\u00e4tte vielleicht das Zimmer etwas mehr verdunkelt werden sollen. Jedenfalls aher sind die Zahlen v\u00f6llig eindeutig und sagen: Ung\u00fcnstige Beleuchtung verschlechtert die Auffassung in ganz betr\u00e4chtlichem Ma\u00dfe.\nEs muss hierbei aber noch auf ein recht wichtiges Moment hingewiesen werden, das ist die Erm\u00fcdung. Die Resultate w\u00e4ren sicher noch viel schlechter ausgefallen, wenn die Versuchspersonen nicht mit au\u00dferordentlicher Anspannung der Aufmerksamkeit gearbeitet h\u00e4tten, derart, dass keiner der Versuche so anstrengend gewesen ist, wie diese Dunkelversuche. (Einer der Herren theilte mir am Tage nach einem solchen Versuche mit, dass er in Folge eines deutlich gef\u00fchlten Schmerzes im Auge w\u00e4hrend der Nacht fortw\u00e4hrend die Dreiecke gesehen habe.) Sehr nahe lag nun der Gedanke, die Versuche selbst zu benutzen, um die Erm\u00fcdung nachzuweisen. Ich lie\u00df deshalb von zwei Personen, nachdem sie den Dunkelversuch ausgef\u00fchrt hatten, den Normalversuch wiederholen, wobei sich Folgendes ergab:\nNormal versuch Erm\u00fcdungsversuch Nt\t268\t320\nLg\t249\t282\nEin ebenso deutlicher Nachweis f\u00fcr den Einfluss der Erm\u00fcdung, als ein h\u00fcbscher Beweis f\u00fcr die Brauchbarkeit unserer Versuchsanordnung, diesen Einfluss nachzuweisen.\nSehr interessant gestalten sich die Farbenversuche bei ung\u00fcnstiger Beleuchtung, deren Ergebnisse zun\u00e4chst \u00fcbersichtlich zusammengestellt werden m\u00f6gen:\nAbsolute Werthe\n\t\t1.\t2.\t3.\t4.\n\t\tRoth\tGr\u00fcn\tGr\u00fcn\tRoth\n\tNormal-\tauf\tauf\tauf\tauf\n\tversuch\tWei\u00df\tSchwarz\tWei\u00df\tSchwarz\nQg\t318\t410\t400\t415\t488\nNt\t268\t360\t330\t292\t\u2014\nLg\t249\t252\t276\t287\t476\nMi\t252\t386\t434\t474\t504\nS1\t302\t326\t337\t344\t402","page":206},{"file":"p0207.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die Auffassung einfachster Raumformen.\n207\nRelative Werthe 1.\t2.\t3.\t4.\nQg\tNormal- versuch 100\tRoth auf Wei\u00df 129,5\tGr\u00fcn auf Schwarz 125,8\tGr\u00fcn auf Wei\u00df 130,8\tRoth auf Schwarz 153,4\nNt\t100\t134,3\t123,1\t108,9\t\u2014\nLg\t100\t101\t110,8\t115,2\t191,6\nMi\t100\t153,2\t160,3\t180,2\t200\nS1\t100\t108\t111,6\t113,9\t133,1\nMitte]\t110\t125,2\t126,3\t129,8\t169,5\nDer Beleuchtungsversuch mit den normalen Dreiecken, d. h. den Dreiecken mit kr\u00e4ftiger Contur auf wei\u00dfem Grunde, zeigt die Fehlerzahl 126,2, die besten Farbenversuche 125,2 und 126,3. In Folge der mangelhaften Beleuchtung geht also der Vortheil, den sonst die F\u00e4rbung bietet, verloren, trotzdem dass die Versuchspersonen die Farbenqualit\u00e4ten deutlich erkennen.\nVergleichen wir nun die Farbenversuche unter einander, so ergibt sich zun\u00e4chst f\u00fcr die Abstufung eine Reihenfolge, die genau mit derjenigen \u00fcbereinstimmt, die in der IV. Versuchsgruppe gewonnen wurde: Roth : Wei\u00df, Gr\u00fcn : Schwarz, Gr\u00fcn : Wei\u00df, Roth : Schwarz. (Der graue Hintergrund wurde nicht mit untersucht.) W\u00e4hrend also die Farbenqualit\u00e4ten nahezu wirkungslos werden, behaupten die Helligkeitsunterschiede ihren Einfluss. Der festgestellte gr\u00f6\u00dfte Unterschied zwischen Roth und Wei\u00df gibt auch hier das g\u00fcnstigste, der schw\u00e4chste Unterschied, der zwischen Roth und Schwarz, gibt das ung\u00fcnstigste Resultat. Nun entspricht es ja einer bekannten physikalischen Thatsache, dass das Roth bei schwacher Beleuchtung ung\u00fcnstiger wirkt als das Gr\u00fcn, weil es mehr Lichtstrahlen absorbirt als dieses und darum beim Dunkelwerden bald schwarz erscheint. Und die hohe Fehlerzahl bei Roth auf Schwarz erkl\u00e4rt sich daraus mit; aber da die Versuchspersonen das Roth thats\u00e4chlich als Roth erkennen, muss die hohe Fehlerzahl vor allem auf den Umstand zur\u00fcckgef\u00fchrt werden, dass das gew\u00e4hlte Roth relativ zu dunkel war.\nAuf den Ausfall dieser Versuche ist deshalb besonderes Gewicht zu legen, weil sie f\u00fcr die vor allem von Prof. Wundt vertretene Ansicht sprechen, dass jede Farbenempfindung eine Farbenqualit\u00e4tsund eine Helligkeitsempfindung umfasst. In unseren Versuchen sind\n14*","page":207},{"file":"p0208.txt","language":"de","ocr_de":"208\nRichard Seyferi.\nsie in ihrer Wirkung auf die Auffassung der Formen klar von einander zu unterscheiden: W\u00e4hrend die Qualit\u00e4tsempfindung in ihrer Wirkung auf die Formenauffassung ausgeschaltet erscheint, zeigt sich die Helligkeitsempfindung deutlich wirksam.\nNunmehr k\u00f6nnen wir die Gesammtergebnisse der zweiten Versuchsreihe zusammenfassen. Es lassen sich daraus folgende S\u00e4tze ahleiten :\n1.\tEine kr\u00e4ftige, deutliche Umrisslinie ist f\u00fcr die Auffassung wichtig. Bei schwachen Conturen w\u00e4chst die Fehlerzahl. Die Umrisslinie verbesssert die schon an sich g\u00fcnstige Auffassung farbiger Dreiecke auf wei\u00dfem Grunde und gleicht die Nachtheile gro\u00dfer Entfernung und geringer Helligkeitsunterschiede aus.\n2.\tEine exacte Auffassung der Dreiecke ist schon durch die Markirung der Eckpunkte gesichert. Indem die markirten Punkte die Aufmerksamkeit noch st\u00e4rker anregen als die gleichf\u00f6rmigen Linien, bewirken sie hei einzelnen Personen eine noch genauere Auffassung als die Umrisslinie. Auf jeden Fall verbessert die Hervorhebung der Eckpunkte die sonst ung\u00fcnstige Auffassung bei schwachen Conturen.\n3.\tGr\u00f6\u00dfe und Entfernung der Dreiecke m\u00fcssen sich so entsprechen, dass das ganze Netzhautbild in den gelben Fleck f\u00e4llt, diesen wom\u00f6glich deckt, Liegen die Umrisslinien und die markanten Punkte des Netzhautbildes au\u00dferhalb des gelben Fleckes, so ist die Auffassung sehr ungenau. Nahezu ebenso ungenau ist sie auch, wenn das Netzhautbild sehr klein und in Folge dessen die Bewegungsempfindung minimal ist.\n4.\tDie Orientirungsempfindliclikeit der Netzhautpunkte, d. h. die von ihren Localzeichen abh\u00e4ngige F\u00e4higkeit, ihre gegenseitige Entfernung und Lage zu empfinden, ist am gr\u00f6\u00dften zwischen den Punkten des gelben Fleckes und hier wieder innerhalb eines Grenzbezirkes; sie ist weniger gro\u00df zwischen einem Punkte innerhalb und einem au\u00dferhalb, am geringsten zwischen zwei Punkten, die au\u00dferhalb des gelben Fleckes liegen.\n5.\tDie F\u00e4rbung der Dreiecke beg\u00fcnstigt im allgemeinen die Auffassung.\n6.\tWichtiger als die Farbenqualit\u00e4t ist f\u00fcr die Genauigkeit der Auffassung der Helligkeitsunterschied zwischen der Farbe und dem","page":208},{"file":"p0209.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die Auffassung einfachster Eaumformen.\n209\nHintergr\u00fcnde. Jede Steigerung dieses Helligkeitsunterschiedes bedingt eine Verminderung der Fehlerzahl. Bei gro\u00dfer Entfernung und bei ungen\u00fcgender Beleuchtung verschwindet die Wirkung der Farbenqualit\u00e4t, w\u00e4hrend der Helligkeitsunterschied f\u00fcr die Auffassung wirksam bleibt.\n7.\tUnmittelbar sich ber\u00fchrende Farbencontraste sind f\u00fcr die Auffassung ung\u00fcnstig.\n8.\tMangelhafte Beleuchtung beeintr\u00e4chtigt die Genauigkeit der Auffassung derma\u00dfen, dass die Fehlerzahl bis auf das Doppelte der normalen Zahl anwachsen kann.\n9.\tErm\u00fcdung verringert die Sch\u00e4rfe der Auffassung; die erh\u00f6hte Fehlerzahl kann gegebenen Falles als Zeichen (bei weiterer Ausbildung der Versuche auch als Ma\u00df) der Erm\u00fcdung angesehen werden.\n10.\tAesthetisches Gefallen erh\u00f6ht, \u00e4sthetisches Missfallen verringert die Exactheit die Auffassung.\nDie Regelm\u00e4fsigkeit der Fehler.\n(Hierzu Tafel IX.)\nSo gro\u00df die individuellen Unterschiede in den Fehlersummen sein m\u00f6gen, so gro\u00df ist die Uebereinstimmung in der Art der Fehler. Die Differenz der Fehlersummen bei den einzelnen Versuchspersonen schwankt schon bei dem Normal versuche zwischen 165\u00b0 (01) und 571\u00b0 (Tk). 01 ist eine mit vorz\u00fcglichem Formensinn und ausgezeichneter Zeichenfertigkeit ausgestattete, Tk eine im Auffassen und Darstellen sehr unge\u00fcbte Person. Stellt man bei Kindern derartige Unterschiede fest, so wird man in dem einen Falle, in dem sich ein deutliches Ueberragen des Durchschnittes im g\u00fcnstigen Sinne findet, vielleicht auf besondere Begabung f\u00fcr Formengebung schlie\u00dfen d\u00fcrfen, im anderen Falle, wo sich ein gro\u00dfer Mangel zeigt, die N\u00f6thigung zu einer planm\u00e4\u00dfigen Pflege des Formensinnes wohl empfinden. Die individuellen Differenzen bleiben durch alle Versuche, so dass die f\u00fcr den Normalversuch geltende Beihe mit geringen Schwankungen auch f\u00fcr die \u00fcbrigen Versuche gilt.\nDie erste Regelm\u00e4\u00dfigkeit der Fehler zeigt sich in einer durchg\u00e4ngigen Verk\u00fcrzung der Strecken. Diese Thatsache konnte bei der gew\u00e4hlten Versuchsanordnung nur im allgemeinen festgestellt,","page":209},{"file":"p0210.txt","language":"de","ocr_de":"210\nRichard Seyi\u2019ert.\nnicht im einzelnen untersucht werden. Sie erkl\u00e4rt sich leicht zun\u00e4chst daraus, dass die Zeichenfl\u00e4che dem Auge n\u00e4her liegt als die zur Auffassung dargebotene Form; die gr\u00f6\u00dfere N\u00e4he der gezeichneten Figur l\u00e4sst diese also dem Bewusstsein der entfernteren gleich erscheinen, wiewohl sie tliats\u00e4chlich etwas kleiner ist. Diese Erkl\u00e4rung gen\u00fcgt aber nicht f\u00fcr die Versuche, bei denen es den Versuchspersonen gestattet war, die nachzuzeichnende Figur in gleicher Entfernung mit der Zeichenfl\u00e4che zu betrachten. Es muss also noch eine mitwirkende Ursache vorhanden sein. Diese aber ist in der Complication der Augenempfindungen mit den Muskelempfindungen des Armes und der Hand zu suchen. Das Bewusstsein setzt die k\u00fcrzere gezeichnete Strecke wegen des damit verbundenen gr\u00f6\u00dferen Kraftaufwandes der gr\u00f6\u00dferen, blo\u00df wahrgenommenen Strecke gleich.\nDie zweite Begelm\u00e4\u00dfigkeit, die f\u00fcr alle Personen und f\u00fcr alle Versuche gilt, ist die \u00fcbereinstimmende Tendenz zu Fehlern gleicher Art. So zeigt sich hei Lage A, d. h. hei der Lage, in der sich die Basis als Horizontale unten, und bei Lage B, wo sich die Basis als Horizontale oben befindet, die Tendenz, die H\u00f6he des Dreiecks k\u00fcrzer, das Dreieck von oben oder unten gedr\u00fcckt zu zeichnen; in Lage C und D, wo die Basis vertical steht, \u00e4u\u00dfert sich dieselbe Tendenz darin, dass die Basis relativ verk\u00fcrzt, die H\u00f6he verl\u00e4ngert gezeichnet wird. Aufs Deutlichste l\u00e4sst sich diese Thatsaclie aus den beigef\u00fcgten Tafeln erkennen. Aus den s\u00e4mmtlichen Versuchen s\u00e4rnmt-licher Personen ist f\u00fcr jedes Dreieck eine \u00bbmittlere Fehlerform\u00ab berechnet und auf gleicher Basis neben die richtige Form gezeichnet worden.\nAuf der linken Seite der Tafel IX sind die Dreiecke in Lage A und B gezeichnet. Ein Blick auf diese ergibt,\n1.\tdass alle H\u00f6hen der gezeichneten Dreiecke zu kurz,\n2.\tdass alle gezeichneten spitzen Basiswinkel (bis auf zwei Ausnahmen) zu klein,\n3.\tdass alle gezeichneten stumpfen Basiswinkel zu gro\u00df sind (die H\u00f6hen und die spitzen Winkel sind also beim Zeichnen \u00fcbersch\u00e4tzt, die stumpfen Winkel untersch\u00e4tzt worden),\n4.\tdass die Spitzen fast aller Dreiecke ein wenig nach rechts ger\u00fcckt worden sind.\nIn der Erkl\u00e4rung dieser auff\u00e4lligen Begelm\u00e4\u00dfigkeit der Fehler","page":210},{"file":"p0211.txt","language":"de","ocr_de":"Ucber clic Auffassung einfachster Raumformen.\n211\nk\u00f6nnen wir uns, nachdem wir die Bedeutung der Augenbewegungsempfindung \u2014 der unmittelbaren wie der reproducirten \u2014 nachgewiesen haben, der Auffassung Wundt\u2019s anschlie\u00dfen, die dieser \u00fcber die optisch-geometrischen T\u00e4uschungen gibt (Physiologische Psychologie. IV. Aull. II. Band. Seite 137 ff.). Die dort gegebenen Ausf\u00fchrungen werden durch die Ergebnisse der hier vorliegenden Versuche voll best\u00e4tigt. Darnach ist es die Asymmetrie der Augenbewegungswerkzeuge, die es bewirkt, dass wir zun\u00e4chst die verticale Distanz, also hier die zwar nicht gezeichnete, aber bei der Zeichnung vorgestellte H\u00f6he der Dreiecke \u00fcbersch\u00e4tzen. Diese That-sache wirkt so streng gesetzm\u00e4\u00dfig, dass unter den Tausenden der gezeichneten Dreiecke nicht 50 dagegen versto\u00dfen. Eine Folge dieser Verk\u00fcrzung der H\u00f6he ist es nun zun\u00e4chst, dass die spitzen Basiswinkel zu klein, die stumpfen zu gro\u00df gezeichnet, beim Zeichnen also jene \u00fcber-, diese untersch\u00e4tzt worden sind. Lediglich als eine Folge der Verk\u00fcrzung der H\u00f6he aber d\u00fcrfen die Winkelfehler nicht angesehen werden, weil 1. viele Dreiecke beim Zeichnen mit H\u00fclfe der Basiswinkel construirt werden, weil 2. der Grad der Verk\u00fcrzung der H\u00f6he von der Gr\u00f6\u00dfe des Winkelfehlers abh\u00e4ngt und weil 3. (besonders bei Lage C und D) der Winkelfehler den H\u00f6henfehler compensiren kann, wie dies bei dem Dreieck Hr. 10 in Lage A erkennbar ist.\nDie fast regelm\u00e4\u00dfig zu nennende Verschiebung der Spitze nach rechts kann nicht \u00fcbersehen werden und erkl\u00e4rt sich so: Die Dreiecke in der Lage A und B werden fast ausnahmslos von links nach rechts construirt, d. h. das Auge beachtet den linken Basiswinkel genauer als den rechten, die Spitze des Dreiecks wird also nach der Basis und der linken Ecke orientirt. Man kann sich demnach den Blick auf die linke H\u00e4lfte des Dreiecks fixirt denken, von wo aus dann die Blickbewegung nach dem rechten Eckpunkte eine gr\u00f6\u00dfere Energie erfordert, als wenn sich das Auge von der Spitze aus gleichzeitig nach links und rechts orientirte; bei dem gr\u00f6\u00dferen Kraftauf-wande w\u00fcrde also schon eine verh\u00e4ltnissm\u00e4\u00dfig k\u00fcrzere Strecke als \u00e4quivalent der beabsichtigten entsprechen. Die Verschiebung der Spitze nach rechts ist verh\u00e4ltnissm\u00e4\u00dfig gering; wenn sie also bei A III und bei B VI nicht zu finden ist, so mag das an zuf\u00e4lligen Fehlern liegen; bei B VIII aber wird dieser Fehler der seitlichen","page":211},{"file":"p0212.txt","language":"de","ocr_de":"212\nRichard Seyfert.\nVerr\u00fcckung \u00fcberwogen durch den Winkelfehler. Vergleicht man aber dieses Dreieck B VIII mit dem entsprechenden bei Lage A, so findet man doch die Tendenz der Verschiebung nach rechts deutlich wirksam; bei A VIII ist n\u00e4mlich durch sie der Winkelfehler vergr\u00f6\u00dfert, er betr\u00e4gt 8,16\u00b0; bei B VIII ist durch die gleiche Ursache der Winkelfehler verkleinert, er betr\u00e4gt nur noch 5,98\u00b0. In gleichem Sinne unterscheiden sich A IX und BIX; bei ersterem ist der stumpfe Winkel um 7,90\u00b0, bei letzterem nur um 7,20\u00b0 zu gro\u00df gezeichnet; in beiden F\u00e4llen bewirkt die Differenz von dem Mittel (7,55\u00b0) eine Verschiebung der Spitze des Dreiecks nach rechts. Und am allerdeutlichs ten zeigt sich das Gesagte bei A X und B X, wo der Winkelfehler erst + 2,24\u00b0, dann + 7,94\u00b0 betr\u00e4gt. Das so festgestellte Verh\u00e4ltniss zwischen seitlicher Verk\u00fcrzung und Winkelfehler ist zugleich ein weiterer Beweis daf\u00fcr, dass die Winkelfehler nicht als eine blo\u00dfe Folge der H\u00f6henverk\u00fcrzung angesprochen werden d\u00fcrfen.\nBetrachtet man auf der rechten Seite der Tafel IX Lage C und I), so fallen drei Erscheinungen als allgemeine auf:\n1.\tIn 13 von 20 F\u00e4llen sind die (hier horizontal liegenden) H\u00f6hen der Dreiecke verl\u00e4ngert; in zwei F\u00e4llen sind sie den gegebenen gleich, und nur in 5 F\u00e4llen erscheinen sie etwas verk\u00fcrzt.\n2.\tIn 12 von 20 F\u00e4llen sind die Spitzen der Dreiecke nach oben ger\u00fcckt; in 4 F\u00e4llen liegen sie fast genau in der Horizontalen mit den H\u00f6hen der Normaldreiecke und nur in 4 F\u00e4llen erscheinen sie merkbar nach unten verschoben.\n3.\tDie Winkelfehler sind bei weitem nicht so eindeutig wie in Lage A und B; von 32 spitzen Basiswinkeln sind 22 zu gro\u00df und 10 zu klein gezeichnet worden.\nZweierlei ist also charakteristisch, erstens dass die gemachten Fehler denen bei Lage A und B entgegengesetzt sind, zweitens aber, dass die Fehler nicht so markant auftreten wie dort. Deutlich genug sind sie aber immerhin, so dass sie eine Erkl\u00e4rung erheischen, die v\u00f6llig analog der im vorigen Abschnitt gegebenen ausfallen wird: Die Verl\u00e4ngerung der horizontal gedachten H\u00f6hen ist nur eine Folge der Verk\u00fcrzung der hier vertical zu zeichnenden Grundlinien. Die Hebung der Spitzen beruht auf der vielfach erw\u00e4hnten optischen T\u00e4uschung, nach der wir von zwei Strecken, die in einer Verticalen","page":212},{"file":"p0213.txt","language":"de","ocr_de":"\u00fceber die Auffassung einfachster JRaumformen.\t\u00a313\nliegen, die h\u00f6her gelegene \u00fcbersch\u00e4tzen, gegebenen Falles also zu kurz zeichnen. Indem die Versuchspersonen die Spitze des Dreiecks nach der verticalen Basis orientiren, theilen sie diese in zwei Ab schnitte von denen, wie gesagt, der h\u00f6her gelegene zu kurz genommen wire. Die Folge davon, dass die Basis verk\u00fcrzt, die H\u00f6he relativ verl\u00e4ngert wird, ist nun die, dass die spitzen Basiswinkel vergr\u00f6\u00dfert werden. In Folge der Verschiebung der Spitze nach oben trifft die Vergr\u00f6\u00dferung zun\u00e4chst und haupts\u00e4chlich den oberen der beiden asiswmkel, wie aus der Tafel deutlich hervorgeht. So finden auch die hier vorkommenden allgemeinen Fehler ungezwungen ihre volle Erkl\u00e4rung in den Bewegungsgesetzen unserer Augen. Wie ist es aber zu erkl\u00e4ren, dass die Fehler hier nicht so allgemein und auch nicht so gro\u00df sind als bei Lage A und B? Wie kommt es dass die relative Verl\u00e4ngerung der horizontalen H\u00f6he nicht so ausnahmslos und nicht so eminent ist wie bei Lage A und B die Verk\u00fcrzung der verticalen H\u00f6he? Woher r\u00fchrt es, dass die Verschiebung der Spitze nach oben, die nach den Augenbewegungsgesetzen bedeutend mehr hervortreten m\u00fcsste als die seitliche Verschiebung dort? Nun er Grund f\u00fcr alles das liegt darin, dass die nat\u00fcrlich gegebene, auf ie Anordnung unserer Augenmuskulatur zur\u00fcckzuf\u00fchrende Neigung vorgestellte spitze Winkel zu \u00fcbersch\u00e4tzen, sie, wie hei A und B geschehen, also unwillk\u00fcrlich zu klein zu zeichnen, jene Fehler com-pensirt. Die Thatsache, dass wir einen gegebenen Punkt zu einer verticalen Lime sicherer orientiren als zu einer horizontalen oder gar zu einer schr\u00e4gen, welche Thatsache bei allen freih\u00e4ndigen Constructionen hervortritt, ist durch die vorliegenden Versuche nachgewiesen und erkl\u00e4rt. Nachgewiesen ist sie durch die Feststellung, dass die Gesammtfehlersummen aller zehn mittleren Fehler-ormen, die zu einer Gruppe geh\u00f6ren,\nin\tLage\tA\t79,66\u00b0,\n\u00bb\t\u00bb\tB\t87,16\u00b0,\n*\t*\tC\t61,04\u00b0 und\n\u00bb\t\u00bb\tI)\t50 62\u00b0\nbetragen. Und diese bedeutenden Unterschiede trotzdem, dass die reiec e in Lage A und B nur mit Zuh\u00fclfenahme der gedachten verticalen H\u00f6he constraint worden sind! Und erkl\u00e4rt ist die That-","page":213},{"file":"p0214.txt","language":"de","ocr_de":"214 Richard Seyfert. lieber die Auffassung einfachster Raumformen.\nsache daraus, dass bei Lage A und B Strecken- und Winkelfehler sich verst\u00e4rken, bei Lage C und D sich compensiren m\u00fcssen.\nDie dritte Regelm\u00e4\u00dfigkeit der Fehler endlich liegt in der Bevorzugung und der Vernachl\u00e4ssigung bestimmter Formen. Die Durclischnittsfehlersumme, aus s\u00e4mmtlichen mittleren Fehlerformen berechnet, betr\u00e4gt 27,67\u00b0. F\u00fcnf Dreiecksformen haben ein geringeres, f\u00fcnf ein h\u00f6heres Fehlermittel; jene k\u00f6nnen als die bevorzugten, diese als die vernachl\u00e4ssigten Formen bezeichnet werden. Obenan stehen unter den bevorzugten Formen die beiden ungleichseitigen rechtwinkligen Dreiecke (Nr. 3 und 2) mit den Fehlersummen 13,60\u00b0 (Nr. 3) und 16,76\u00b0 (Nr. 2). In zweiter Linie kommen dann die gleichschenkligen Dreiecke, und zwar Nr. 6 (Basiswinkel 65\u00b0) mit 18,16\u00b0, das gleichseitige Dreieck Nr. 5 mit 21,18\u00b0 und das Dreieck Nr. 4 (Basiswinkel 40\u00b0) mit 21,32\u00b0. Unter den ung\u00fcnstigen Formen finden sich das gleichschenklige rechtwinklige Dreieck Nr. 1 mit 28,92\u00b0 Fehlersumme, dann die beiden unregelm\u00e4\u00dfigen spitzwinkligen Dreiecke Nr. 7 und 8 mit 30,02\u00b0 (Nr. 7) und 44,36\u201d (Nr. 8) Fehlersumme, endlich die beiden stumpfwinkligen Dreiecke Nr. 9 und 10 mit den Fehlersummen 33,40\u00b0 (Nr. 10) und 49\u00b0 (Nr. 9). Ein Blick auf die Formen gen\u00fcgt um zu erkennen, dass die bevorzugten Formen solche sind, die man als \u00e4sthetisch wohlgef\u00e4llig, als \u00e4sthetische Elementarformen bezeichnen kann, w\u00e4hrend die vernachl\u00e4ssigten als die an und f\u00fcr sich \u00e4sthetisch missf\u00e4lligen Formen erkannt werden. So er\u00f6ffnen die vorliegenden Versuche einen Weg, auf dem die \u00e4sthetischen Elementarformen festgestellt werden k\u00f6nnen ; zugleich aber lassen sie klar und deutlich erkennen, dass es im letzten Grunde die Augenbewegungsgesetze sind, auf Grund deren sich eine gewisse Uebereinstimmung in dem Urtheile dar\u00fcber hat bilden k\u00f6nnen, ob eine einfachste Form f\u00fcr sich \u00e4sthetisch wohlgef\u00e4llig oder missf\u00e4llig sei.","page":214}],"identifier":"lit4496","issued":"1903","language":"de","pages":"189-214","startpages":"189","title":"Ueber die Auffassung einfachster Raumformen","type":"Journal Article","volume":"18"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T12:39:13.994087+00:00"}