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{"created":"2022-01-31T12:35:52.449301+00:00","id":"lit4501","links":{},"metadata":{"alternative":"Philosophische Studien","contributors":[{"name":"Bader, Paul","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Philosophische Studien 18: 437-477","fulltext":[{"file":"p0437.txt","language":"de","ocr_de":"Das Verh\u00e4ltniss der Hautempfindungen und ihrer nerv\u00f6sen Organe zu calorischen, mechanischen und faradischen Reizen.\nYon\nPaul Bader.\nMit Tafel X.\nEinleitung.\nDie Qualit\u00e4ten des Hautsinnes sind neuerdings haupts\u00e4chlich durch v. Frey, Nagel, Rollett, Alrutz und Thunherg untersucht worden1). Besonders haben v. Frey\u2019s fruchtbare Versuche das Interesse an ihnen wachgehalten. v. Frey experimentirte mit Druckreizen, nachdem er in seinen bekannten tarirten Haaren ein treffliches Reizmittel f\u00fcr die Punktqualit\u00e4ten der Haut entdeckt hatte. Er constatirte die sogenannte paradoxe K\u00e4lteempfindung und suchte die verschiedenen Qualit\u00e4ten auf die anatomische Differenzirung der nerv\u00f6sen Hautorgane zur\u00fcckzuf\u00fchren. Die Frey\u2019schen Mittheiluhgen veranlassten Nagel zu einer Kritik und Berichtigung, w\u00e4hrend Rollet t die complicirte physiologische Theorie der Hautempfindungen auf Frey\u2019scher Grundlage weiter aushaute. Die beiden nordischen Forscher Alrutz und Thunherg nahmen endlich speciell f\u00fcr die Temperaturempfindungen eine verschiedene Tiefenlage der verschiedenen nerv\u00f6sen Apparate an, eine Theorie, die schon Goldscheider erw\u00e4hnt, aber auf Grund der histologischen Thatsachen verworfen hatte. Alrutz stellte ferner eine neue Hypothese \u00fcber die Hitze-\nl) Nach Beendigung dieser Arbeit erschienen die \u00bbBeitr\u00e4ge zur Kenntniss der Topographie der W\u00e4rme-Empfindlichkeit, von Dr. Elem\u00e9r Yeress. Pfl. Arch. Bd. 89. 1902. S. 1. Der Verfasser, der fl\u00e4chenhafte Reize anwandte, corrigirt zum Theil wesentlich die bekannten Gold sc beider\u2019sehen Tabellen \u00fcber die Ver-theilung des W\u00e4rmesinns an der Hautoberfl\u00e4che.","page":437},{"file":"p0438.txt","language":"de","ocr_de":"438\nPaul Bader.\nempfindung auf, die ihm durch gleichzeitige Erregung der k\u00e4lte- und w\u00e4rmepercipirenden Organe ausgel\u00f6st erscheint, und er verfolgte die elektrolytischen Erscheinungen nach faradischer Reizung, durch die, wie er annahm, eine Umsetzung objectiver Reize in Nervenreize bewirkt werde.\nWie man sieht, ein weites hypothetisches Feld, das zu neuen Beobachtungen einladet, um die alten zu pr\u00fcfen oder zu erg\u00e4nzen, zu best\u00e4tigen oder zu berichtigen. . Nach einem Hinweise des Herrn Geh.-Raths Prof. Dr. Wundt schien ein Vergleich zwischen Empfindungen, die durch denselben Reiz auf verschiedenen Hautpunkten ausgel\u00f6st werden, mehr Erfolg zu versprechen, als eine getrennte Untersuchung der verschiedenen Qualit\u00e4ten. Das hat den Verfasser veranlasst, unter anderem einige f\u00fcr die Beobachtung bequem liegende Hautfl\u00e4chen der Arme und H\u00e4nde mit gleichen Reizen auf den verschiedensten Punkten nach ihren subjectiven Erscheinungen zu untersuchen und zu vergleichen. Die gewonnenen Resultate sind der besseren Uebersicht wegen unter die bekannten vier Qualit\u00e4ten: K\u00e4lte, W\u00e4rme, Schmerz und Druck vertheilt und geordnet worden. Da die ausgew\u00e4hlten Hautst\u00fccke in Folge ihrer relativ hohen Druckreizschwelle f\u00fcr eine Untersuchung der Druckempfindungen nicht g\u00fcnstig lagen, so sind die Ergebnisse innerhalb dieser Qualit\u00e4t bescheidener ausgefallen als die der anderen. In den Versuchsproto-collen sind hinter einem V. die verschiedenen Versuchspersonen angedeutet worden. Zahlreiche Versuche hat der Verfasser an sich selbst vornehmen lassen; in diesem Fall fehlt die Angabe der Versuchsperson. Das N\u00e4here \u00fcber die Reizmittel u. s. w. wird bei den Versuchen selbst mitgetheilt werden.\nA. K\u00e4ltepunkte.\nI. Qualit\u00e4t und Intensit\u00e4t der K\u00e4lteempfindung.\nW\u00e4hrend geeignete thermische Reize zur Ausl\u00f6sung von W\u00e4rmesensationen auf der Haut sehr verschieden von den Beobachtern angegeben werden, gelten zur Constatirung der K\u00e4ltepunkte allgemein punktf\u00f6rmige Reize von 15\u00b0 C. (Wasserleitungstemperatur) oder nach Alrutz solche von ca. 20\u00b0 0. (gew\u00f6hnlicher Zimmertemperatur) f\u00fcr","page":438},{"file":"p0439.txt","language":"de","ocr_de":"Das Verh\u00e4ltniss der Hautempfindungen zu calorischen etc. Reizen. 439\nam dienlichsten. Alrutz ermittelte au\u00dferdem K\u00e4ltepunkte mit H\u00fclfe feiner N\u00e4hnadeln, die bis unter den Nullpunkt abgek\u00fchlt waren. Jedoch muss hierbei die miterregte Schmerzempfindung das Ergebnis beeinflussen. Sodann ist f\u00fcr die K\u00e4ltepunkte die ohnehin zweifelhafte Abk\u00fchlung der Nadelspitze gar nicht n\u00f6thig, da sie \u00fcberhaupt auf Nadelstiche mit K\u00e4lte reagiren. Mein Reizmittel sowohl f\u00fcr K\u00e4lteais auch f\u00fcr W\u00e4rmepunkte bestand au\u00dfer in den bekannten Gr old-scheider\u2019schen Massivcylindern in einem Thermophor von \u00e4hnlicher Zusammenstellung, wie ihn M. v. Vintschgau und E. Steinach beschrieben haben1). Ein Blix\u2019sches Rohr war in einen Durchstr\u00f6mungsapparat eingeschaltet. Klemmen am Schlauch erm\u00f6glichten eine Verengerung oder Erweiterung oder Schlie\u00dfung des Str\u00f6mungscanals, wodurch die Zufuhr des erw\u00e4rmten Wassers beliebig variirt werden konnte. Die Klemmeneinrichtung bot au\u00dferdem den Vortheil, eine beliebige Temperatur eine Zeit lang auf constanter H\u00f6he zu erhalten. Hierzu mag auch beigetragen haben, dass der Warm-wasserrecipient in einem Glef\u00e4\u00df mit Wasser stand, wodurch seine Abk\u00fchlung sehr verz\u00f6gert wurde. Ferner konnte kaltes Wasser in den Warmwasserrecipienten durch einen Trichter beliebig zugegossen werden, um die Temperatur pl\u00f6tzlich herabzudr\u00fccken. Sie pl\u00f6tzlich zu erh\u00f6hen, gestattete eine entsprechende Handhabung der Klemmen.\nEs ergab sich nun Folgendes. Mit Erh\u00f6hung der Temperatur \u00fcber 13\u00b0 C. vermindert sich die Zahl der erregbaren K\u00e4ltepunkte. Die Intensit\u00e4t der Empfindung sinkt endlich auf 0, um bei fortdauernder Steigerung der Reiztemperatur anfangs nach relativ langer, auf sehr hei\u00dfe Reize nach relativ kurzer Reactionszeit mit unverminderter St\u00e4rke der Empfindung sich wieder einzustellen (paradoxe K\u00e4lteempfindung). Theils W\u00e4rme, theils Hitze, theils Schmerz k\u00f6nnen vor und neben der durch hei\u00dfe Applicationen veranlassten kalten Sensation appercipirt werden.\nDie K\u00e4ltepunkte sind nach der Intensit\u00e4t2) der auf ihnen auszul\u00f6senden K\u00e4lteempfindung dreifach verschieden. Derselbe Temperaturreiz l\u00f6st auf gewissen Punkten rein kalte Empfindungen, auf einigen\n*) Zeitmessende Versuche \u00fcber den Temperatur- und Drucksinn. Pfl. Arch., XLIII. 1888. S. 154 ff.\n2) Goldscheider, Gesammelte Abhandlungen. I. Physiologie der Hautsinnesnerven. Leipzig 1898. S. 94.","page":439},{"file":"p0440.txt","language":"de","ocr_de":"440\nPaul Bader.\nintensiv kalte oder eisige Empfindungen und auf anderen k\u00fchle Empfindungen aus. Au\u00dfer diesen punktuellen Perceptionen erzeugen K\u00e4ltereize zwischen den K\u00e4ltepunkten diffus k\u00fchle und fl\u00e4chenhafte Empfindungen, die bei der Markirung der K\u00e4ltepunkte unber\u00fccksichtigt geblieben sind. Zur exacten Markirung der Punkte und zur Erleichterung der Untersuchung eines Hautst\u00fcckes ist stets Millimeterpapier abgezogen worden. Das Verhalten der drei K\u00e4lteintensit\u00e4ten bei allm\u00e4hlicher Erniedrigung der Reiztemperatur unter 12\u00b0 C. scheint constant zu bleiben; denn es erreichten z. B. die kalten Punkte auf denselben K\u00e4ltereiz (bis \u2014 13\u00b0 C.) niemals die Intensit\u00e4t der eisigen. Die eisige Sensation auf Punkten h\u00f6chster K\u00e4lteintensit\u00e4t konnte auf die Dauer unertr\u00e4glich werden. Aus dieser von Groldseheider mit K\u00e4lteschmerz angesprochenen Empfindung trat deutlich die K\u00e4ltecomponente der schmerzhaften Erregung hervor. Der Golds cheider\u2019sche Ausdruck ist f\u00fcr einen fl\u00e4chenhaften eisigen Reiz bezeichnend, wie ihn die kalte Luft eines Wintertages aus\u00fcbt, wobei sich die Erregung zahlreicher K\u00e4ltepunkte zu einer \u00bbschneidenden\u00ab K\u00e4lte summirt; nicht zu vergessen des \u00bbbrennenden\u00ab Schmerzes, den eine im \"Winter an eine eisige Th\u00fcrklinke geklebte Hand verursacht. Alrutz bestreitet allerdings, dass man sich an kaltem Metall \u00bbverbrennen\u00ab k\u00f6nne *). Indem nach ihm Hitzeempfindung durch gleichzeitige Reizung der peripherischen K\u00e4lte- und W\u00e4rmeorgane bedingt sei, leugnet er sowohl Warme als auch Hitzeempfindung nach Anwendung kalter Reize. Durch Ber\u00fchrung kalten Metalls werde kein \u00bbbrennender\u00ab, sondern \u00bbstechender\u00ab Schmerz empfunden, da zur brennenden Sensation eine Miterregung der W\u00e4rmepunkte nothwendig sei (S. 455).\nII. Perceptionen anf K\u00e4ltepnnkten infolge von Temperatnrreizen.\nWenn man auf einer an Temperaturempfindung baren Hautfl\u00e4che (siehe das runde auf Temperaturreize an\u00e4sthetische: Eeld in Eig. 1, V.W\u2019.) einen kalten Fl\u00e4chenreiz (Reizmittel: Blix\u2019sches Rohr mit einer kreisrunden Reizfl\u00e4che von 21/2 mm Durchmesser) so aus\u00fcbt, dass aus der Nachbarschaft des psychroan\u00e4sthetischen Feldes ein be-\n*) Alrutz, Studien auf dem Gebiete der Temperatursinne U. Stand: Arch, f. Physiol. X. 1900. S. 350.","page":440},{"file":"p0441.txt","language":"de","ocr_de":"Das Verh\u00e4ltniss der Hautempfmdungen zu calorischen etc. Reizen. 441\nkannter K\u00e4ltepunkt mit gereizt wird, so erscheint die ganze Fl\u00e4che kalt. Eine intensivere fl\u00e4chenhafte Empfindung entsteht, wenn man zwei oder mehr Punkte in das Reizfeld bringt, wobei die erregten K\u00e4ltepunkte ihre punktuelle Empfindung verlieren und in einer fl\u00e4chenhaften kalten Empfindung verschwinden. Reizte man mit der kalten Fl\u00e4che so, dass die K\u00e4ltepunkte au\u00dferhalb derselben zu liegen kamen, so wurde keinerlei K\u00e4lteempfindung erzeugt, trotzdem die K\u00e4ltepunkte dem Rande der Reizfl\u00e4che sehr nahe lagen. Es konnte noch \u00f6fter bemerkt werden, wie k\u00e4lteindifferente Fl\u00e4chen bis dicht an kaltempfindliche Punkte heranreichten.\nAuf Reize von 0 bis \u2014 10\u00b0 0. fand sich nie eine Vermehrung der deutlichen K\u00e4ltepunkte. Ueber dem Biceps des linken Oberarms (V. D., siehe Fig. 2) erregten Reize von \u201413\u00b0 0. \u00fcberall K\u00e4lte, die W\u00e4rmepunkte reagirten mit k\u00fchlen Empfindungen. Trotz einer Ausdehnung der K\u00e4ltesensation in Folge intensiverer Reizung \u00fcber die ganze untersuchte Fl\u00e4che (Radialfl\u00e4che des linken Unterarms nahe an der Cubitalfurche, siehe Fig. 3) hat sich das Intensit\u00e4tsverh\u00e4ltniss der K\u00e4ltepunkte nicht in der Weise verschoben, dass die k\u00fchlen und kalten Punkte eisige Sensationen ausgel\u00f6st h\u00e4tten,\nDie folgenden Ausf\u00fchrungen st\u00fctzen sich auf die sich hier anschlie\u00dfenden Versuche, in denen der Verfasser Versuchsperson gewesen ist (in anderen Versuchen ist diese durch den Anfangsbuchstaben ihres Namens gekennzeichnet).\n1. Versuch.\nReizfl\u00e4che: Beugeseite des linken Unterarmes, 1,7 cm von der Handwurzelfurche, siehe Fig. 4.\nEs reagirten auf Reize von\n18\u00b0 C.\tdeutlich\t50 K\u00e4ltepunkte.\n21\u00b0 \u00bb\t\u00bb\t50\t\u00bb\n24\u00b0 \u00bb\t\u00bb\t'\t30\n26\u00b0 \u00bb\t\u00bb\t16\n29\u00b0 \u00bb\t\u00bb\t8\n33\u00b0 \u00bb\t\u00bb\t5\n38\u00b0 \u00bb\t\u00bb\t2\nDie beiden intensivsten Punkte l\u00f6sten auf 38\u00b0 0. noch eisige Empfindungen aus. Die K\u00e4lte trat auf diesen Reiz nicht so blitzartig","page":441},{"file":"p0442.txt","language":"de","ocr_de":"442\nPaul Bader.\nauf, wie auf 18\u00b0 0., sondern allm\u00e4hlicher. Sie verschwand bald wieder, um nach kurzem Intervall mit einer eisigen Sensation einzusetzen, was von einem leichten schmerzhaften Pressen oder Zerren begleitet war. Dabei war der Reizcylinder nur leicht aufgesetzt und wenig eingedr\u00fcckt. Nach \u00f6fteren St\u00f6\u00dfen mit dem 38\u00b0 0. warmen Heizrohre gegen den einen der beiden Punkte erfolgte stechender Schmerz, der sich mit der Zahl der Reize unangenehm steigerte. Indifferente Punkte der Nachbarschaft verhielten sich auf diese Reize \u00e4hnlich, jedoch war ihre Reaction tr\u00e4ger und der Schmerz schw\u00e4cher. Auf dem andern der beiden intensiven Punkte wurde der Reizcylinder stehen gelassen. Nach einiger Zeit folgte der K\u00e4lte stechender und pressender Schmerz. Eine Reizung der \u00fcbrigen K\u00e4ltepunkte mit einer W\u00e4rme von 41\u00b0 0. l\u00f6ste auf f\u00fcnf Punkten nach 1\" die ad\u00e4quate Empfindung aus. Diese war eine discontinuirliche, von Schmerz unterbrochene und zitternde Sensation. Durch tieferen Eindruck des Cylinders konnte der Schmerz aufgehoben werden. Auf Reize von 46\u00b0 C. percipirten fast alle K\u00e4ltepunkte pressenden Schmerz. Auf W\u00e4rme- und anderen k\u00e4ltean\u00e4sthetischen Punkten zeigte der Schmerz mehr stechende Qualit\u00e4t. Auf dem in der Eigur rechts liegenden k\u00e4lteempfindlichen Gebiete wurde au\u00dferdem \u00fcberall diffuse W\u00e4rme wahrgenommen. W\u00e4rme- und K\u00e4ltefelder schienen hier congruent zu liegen. Ganz anders die K\u00e4ltefl\u00e4che in der Eigur links; hier erzeugte sanftes Abtasten keine W\u00e4rme, nur diffuse K\u00e4lte. Auf 49\u00b0 C. reagirte der in der Figur oberste K\u00e4ltepunkt der Mitte mit Schmerz, danach mit dauernder, zitternder oder schwirrender K\u00e4lte. Auch in der Mitte des linken Feldes erschien auf 56\u00b0 C. eine \u00e4hnliche Sensation.\n2. Versuch.\nReizfl\u00e4che: Beugeseite des linken Unterarms, an der Medianlinie in der N\u00e4he der Handwurzelfurche, siehe Fig. 5.\nDer in der Figur starkgezeichnete K\u00e4ltepunkt gab auf einen 31\u00b0 C. warmen Reiz nach 8\" Reizdauer K\u00e4lte; W\u00e4rme erschien nicht, Druck wurde wahrgenommen. Ob an der Erregung der kalten Empfindung der Druck des Reizcylinders irgend welchen Antheil nahm, konnte nicht ermittelt werden. Auf demselben Punkte wurde sp\u00e4ter ein Reiz mit einer gl\u00fchenden Nadel applicirt, worauf nach ca. 2\"","page":442},{"file":"p0443.txt","language":"de","ocr_de":"Das Yerh\u00e4ltniss der Hautempfindungen zu calorischen etc. Reizen. 443\nK\u00e4lte eintrat. Der Keiz wurde viermal mit gleichem Effecte wiederholt. Danach wurde die hei\u00dfe Nadel eingestochen, ohne schmerzende Empfindungen auszul\u00f6sen.\n3. Versuch.\nReizfl\u00e4che: Mitte des Daumenballens der linken Hand, siehe Eig. 6.\nAuf diesem Felde l\u00f6sten Reize von 26 \u2014 31\u00b0 0. an zahlreichen Stellen leichten zerrenden, pressenden Schmerz ohne W\u00e4rmesensation aus und nur auf einem Punkte undeutliche K\u00e4lte. Steigerung der Temperatur bis 40\u00b0 C. erregte unklare W\u00e4rmeempfindung, dazu aus-gebreitetere und verst\u00e4rktere Schmerzempfindung. Bei Erh\u00f6hung der Reize auf 50\u00b0 C. wurden drei deutliche W\u00e4rmepunkte, die mittelsten in der Figur, in einem deutlichen W\u00e4rmefelde eruirt. Auf einen wiederholten Reiz mit einer Temperatur von 44\u00b0 C. erschien auf den drei Punkten eine unzweifelhafte und schmerzfreie warme Sensation. Auf Reize von 53\u00b0 0. trat \u00fcber den drei Punkten ein neuer W\u00e4rmepunkt hervor, desgleichen auf 55\u00b0 0. oben links in der Figur und bei 56\u00b0 C. unten unter den drei zuerst entdeckten Punkten. Jeder andere Punkt der Fl\u00e4che, auch die mit Reizen von Wasserleitungstemperatur constatirten K\u00e4ltepunkte, schmerzten auf diese Reize. Auf einigen K\u00e4ltepunkten erschien der Schmerz erst 12 bis 15\" nach dem Reize; diesem Schmerze mangelte die W\u00e4rmecomponente. Der in der Figur R bez. K\u00e4ltepunkt percipirte deutliche K\u00e4lte auf 59\u00b0 C. hei\u00dfe Reize. Die K\u00e4lte war oft von Schmerz unterbrochen. Sie erschien gew\u00f6hnlich pl\u00f6tzlich und intensiv, um allm\u00e4hlich dem Schmerze Platz zu machen. Manchmal liefen beide Empfindungen parallel nebeneinander her. Besprochener K\u00e4ltepunkt war mit einer diffus k\u00fchlen Empfindung schon beim ersten Abstichen des Feldes mit dem W\u00e4rmecylinder von 26\u201431\u00b0 0. W\u00e4rme erkannt, aber wegen seiner diffusen Reaction anfangs vernachl\u00e4ssigt worden. Zwei Tage nach der ersten Untersuchung erregte ein Hitzereiz von 58\u00b0 C. klare K\u00e4lte und zugleich brennenden Schmerz auf dem Lil bez. Punkte der higur. Beide, sowohl K\u00e4lte- als auch Schmerzcomponente, waren deutlich in der Empfindung zu unterscheiden. Nach Aufh\u00f6ren des Reizes dauerte die kalte Sensation noch kurze Zeit nach. Dieser\nWundt, Philos. Studien. XVIII.\n29","page":443},{"file":"p0444.txt","language":"de","ocr_de":"444\nPaul Bader.\nReiz von 58\u00b0 O. veranlasste brennend hei\u00dfe Empfindungen auf den beiden benachbarten K\u00e4ltepunkten unten links in der Figur, ebenso auf allen nicht qualitativen Punkten der Umgebung. Auf Hitze von 60\u00b0 C. percipirten die drei zuerst ermittelten W\u00e4rmepunkte den Schmerz sji\u00e4ter als die oben erw\u00e4hnten beiden benachbarten K\u00e4ltepunkte unten links in der Figur. Die beiden ZI bez. obersten K\u00e4ltepunkte l\u00f6sten bei 61\u00b0 C. K\u00e4lte und Schmerz aus. Der mit einer Temperatur von 26\u201431\u00b0 C. entdeckte K\u00e4ltepunkt reagirte auf 62\u00b0 C. mit K\u00e4lte und Schmerz. Der Schmerz trat 14/jw nach Auf setzen der Cylinderspitze ein, die K\u00e4lte sofort. Die Felder zwischen den Punkten reagirten allesamt mit Schmerz, unterschieden sich jedoch in der Schnelligkeit der Reaction. Auf gewissen unbezeichneten Punkten des Reizfeldes vergingen bei sanftem Druck des Reizcylinders 2\u20143\" Zeit, ehe Schmerz auftrat.\nDas Einstechen einer spitzen Insectennadel erregte an allen Stellen Schmerz, der in k\u00fcrzester Zeit appercipirt wurde. Viele K\u00e4ltepunkte l\u00f6sen an einer bestimmt zu treffenden Stelle der farbigen Marke intensive K\u00e4lte und Schmerz aus.\nAlle Reize sind in dem Versuche, wie auch in den anderen, durch sanftes Aufsetzen der Spitze des Heizrohres ausgef\u00fchrt worden, um Druckempfindungen so viel als m\u00f6glich auszuschlie\u00dfen. Auffallend ist der in der Figur R bez. K\u00e4ltepunkt, da er auf ad\u00e4quaten Reiz mit undeutlicher K\u00e4lteempfindung, ebenso auf W\u00e4rmereiz von 26\u201431\u00b0 C. nur mit einer diffusen ad\u00e4quaten Empfindung, dagegen auf Hitze von 59\u00b0 C. mit unzweifelhafter K\u00e4lte reagirte. Bemerkenswerth ist ferner, dass auf diesem Punkte bei einem Reize von 620 0. die K\u00e4lte sofort erschien und sich erst nach D/2\" Reizdauer Schmerz hinzugesellte. Au\u00dferdem ist merkw\u00fcrdig, dass auf K\u00e4ltepunkten nach sehr hei\u00dfen Reizen die Reactionszeit des Schmerzes eine so verschiedene ist, indem derselbe entweder sofort oder manchmal erst nach relativ sehr langer Zeit (12\u201415\") ausgel\u00f6st wird.\n4. Versuch.\nReizfl\u00e4che : Dorsalfl\u00e4che des linken Unterarms, distale Seite, 1,2 cm von der Handwurzelfurche entfernt, siehe Fig. 7.\nMit W\u00e4rmereizen von 36\u201441\u00b0 0. wurden auf obigem Felde zahl-","page":444},{"file":"p0445.txt","language":"de","ocr_de":"Das Verh\u00e4ltniss der Hautempfindungen zu caloriscfien etc. Reizen. 445\nreiche K\u00e4ltepunkte constatirt und zwar, wie sich sp\u00e4ter ergab, ca. der dritte Tlieil aller auf der Reiz H ach e mit ad\u00e4quaten Reizen nachzuweisenden Punkte. Die durch W\u00e4rmeapplication ausgel\u00f6ste K\u00e4lteempfindung unterschied sich von der durch kalte Reize yeranlassten durch eine viel geringere Empfindungsintensit\u00e4t. Nach den warmen wurden kalte Reize ausge\u00fcbt, welche die Ergebnisse best\u00e4tigten. Hitzereize von 53\u201458\u00b0 C. erregten auf den K\u00e4ltepunkten zun\u00e4chst hei\u00dfe und pressende Schmerzempfindungen, danach erst K\u00e4lte. Die hei\u00dfe Empfindung wuchs an Intensit\u00e4t, brach pl\u00f6tzlich ab, um der K\u00e4lte Platz zu machen, erschien abermals, um wiederum mit der K\u00e4lte zu wechseln u. s. f. Die kalten Perceptionen trugen einen vi-brirenden oder schwirrenden Charakter, gleich als wenn Schwingungen in dem Hautpunkte stattf\u00e4nden. Die Nachbarschaft der qualitativen Punkte reagirte mit denselben hei\u00dfen, zerrenden oder pressenden Schmerzsensationen, aber ohne K\u00e4lte.\n5. Versuch.\nReizfl\u00e4che: Dorsalseite des linken Unterarms, 4,8 cm von der Handwurzelfl\u00e4che, siehe Fig. 8. (In dieser Eigur sind, wie schon in Eig. 7, durch schr\u00e4ge Striche die Haare angegeben, welche vor dem Versuche kurz geschnitten worden waren. Von den anderen Hautst\u00fccken sind sie meist rasirt worden.)\nAuf genanntem Felde wurden warme Reize von 40\u201444\u00b0 C. ap-plicirt, wodurch unter anderem 7 k\u00fcble Punkte ermittelt wurden. Alle Wurden durch ad\u00e4quate Reize, und zwar 5 als deutliche, 2 als diffuse K\u00e4ltepunkte best\u00e4tigt. Die warmen Applicationen geschahen in der Weise, dass die Haut nur leicht ber\u00fchrt wurde. Danach er-schien die k\u00fchle Sensation nicht sofort, sondern erst nach einer leichten schmerzhaften Empfindung, die meist von W\u00e4rme begleitet war. Uebte man sto\u00dfweise Reizung aus, so reagirten die Punkte rascher, oft sogar mit kalten Sensationen. Daraus ist der Einfluss zu ersehen, den der Druck an der Ausl\u00f6sung der Empfindung nimmt. Noch eine andere Cautele ist bei W\u00e4rmeapplicationen zu ber\u00fccksichtigen. Au\u00dfer den 7 erw\u00e4hnten Punkten wurden auf obigen Reiz von 40\u201444\u00b0 0. 8 Punkte als undeutliche W\u00e4rmepunkte vorgemerkt, da sie eine diffuse W\u00e4rmeempfindung ausl\u00f6sten. Eine schmerzhafte, bren-\n29*","page":445},{"file":"p0446.txt","language":"de","ocr_de":"446\nPaul Bader.\nnend hei\u00dfe Sensation der Punkte auf 50\u00b0 0. warme Reize schien Zweifel auszuschlie\u00dfen; und doch wurden durch den K\u00e4ltecylinder diese Punkte als deutlich k\u00e4lteempfindlich erkannt. Darum ist es ein unsicheres Experiment, mit dem W\u00e4rmecylinder alle W\u00e4rmepunkte zu ermitteln; auch kalte Punkte k\u00f6nnen auf gewisse W\u00e4rmereize eine von W\u00e4rme nicht unterscheidbare Empfindung ausl\u00f6sen.\n6. Versuch.\nReizfl\u00e4che: Beugeseite des linken Unterarms, rechts von der Mittellinie, direct an der Handwurzelfurche, siehe Fig. 9.\nHier wurden zun\u00e4chst die K\u00e4ltepunkte durch ad\u00e4quate Reize festgestellt. Die ermittelten Punkte l\u00f6sten auf Reize von 30\u201431\u00b0 C. eine unklare, schwirrende K\u00e4lteempfindung aus; auf 33\u00b0 C. theils W\u00e4rme, theils diffuse K\u00e4lteempfindung. Zahlreiche mit derselben Temperatur gereizte indifferente Punkte an der Grenze des Reizfeldes percipirten nur Druck. W\u00e4rmeapplicationen von 36\u00b0 0. ergaben entweder W\u00e4rme- oder k\u00fchle Empfindungen auf den K\u00e4ltepunkten und temperaturlose Empfindungen auf nicht thermischen Punkten der Feldgrenze. (Die K\u00e4ltepunkte, die auf Reize von 36\u00b0 C. W\u00e4rme empfanden, sind in der Figur umringt.) Applicationen von 40\u201447\u00b0 C. W\u00e4rme beantworteten alle K\u00e4ltepunkte mit warmen Empfindungen, besonders empfanden diejenigen im linken Reizfelde der Figur deutliche W\u00e4rme. Auf etlichen Punkten ging dieselbe allm\u00e4hlich in pressenden Schmerz \u00fcber, der auf zwei Punkten von nicht ganz klarer K\u00e4ltesensation begleitet war. Die punktfreien Stellen des Feldes zeigten sich gut w\u00e4rmeempfindlich, doch lie\u00df sich die Empfindung nicht in Punkten localisiren\nDie gegens\u00e4tzlichen Sensationen der K\u00e4ltepunkte k\u00f6nnten auf nachbarschaftliche Lagerung der temperaturempfindlichen Punkte zur\u00fcckgef\u00fchrt werden; befremdend bleibt aber, dass auf einem oberen, einem Druckpunkte dicht anliegenden K\u00e4ltepunkte (siehe Fig. 9) die W\u00e4rme pl\u00f6tzlich nach dem Reize eintrat, w\u00e4hrend sie auf dem dicht daneben liegenden Druckpunkte mit einer diffusen Sensation begann und erst nach und nach, in ca. 3\u20144\", zur Deutlichkeit anschwoll.\nNach diesen Versuchen fallen die sog. paradoxen K\u00e4ltepunkte","page":446},{"file":"p0447.txt","language":"de","ocr_de":"Das Verh\u00e4ltniss der Hautempfindungen zu calorischen etc. Heizen. 447\nmit den ordin\u00e4ren zusammen, was Alrutz1) entgegen v. Frey2) zuerst hervorhob. Entgegen Alrutz beweisen aber die Versuche ferner, dass auf K\u00e4ltepunkten, wie zuerst Kiesow3) bemerkte, je nach der Einwirkung und Intensit\u00e4t des W\u00e4rmereizes und nach dem Localzeichen des Punktes sowohl warme als auch hei\u00dfe, sowohl brennende als pressende, zerrende Schmerzempfindungen auszul\u00f6sen sind. Alrutz behauptet dagegen, dass er auf den beschriebenen Punkten sogar bei Reizen von 100\u00b0 0. keinen W\u00e4rmeschmerz unterschied. Im Anschluss hieran theile ich folgende Beobachtungen mit.\n7. Versuch.\nReizfl\u00e4che : Radialfl\u00e4che des linken Unterarms, proximale Seite, siehe Fig. 3.\nMomentaner Druck eines 33\u00b0 C. warmen Cylinders veranlasste auf zwei K\u00e4ltepunkten brennende, unertr\u00e4glich hei\u00dfe Sensationen, so dass man abwehren wollte. Reize von 36\u00b0 C. lieferten die gleiche Erscheinung. Wenn man den 44\u00b0 C. warmen Cylinder \u00fcber die K\u00e4ltepunkte hinf\u00fchrte, so erregte das brennend hei\u00dfe Empfindungen. In den temperaturan\u00e4sthetischen Feldern musste man erst ein paar Se-cunden tasten, ehe \u00e4hnliche Erscheinungen folgten. Drei Tage nach diesem Versuche erzeugten K\u00e4ltepunkte auf Reize von 40\u00b0 C. warme Empfindungen, die Druckpunkte jedoch nur Druck, auch auf 49\u00b0 C. W\u00e4rmeapplication. Zwei K\u00e4ltepunkte l\u00f6sten auf Reize von 50\u00b0 C. deutlich W\u00e4rme, die anderen Schmerz aus, dessen Qualit\u00e4t von derjenigen benachbarter indifferenter Punkte kaum abstach. Auf temperaturan\u00e4sthetischen Punkten konnte die Schmerzempfindung niemals in eine Schmerz- und W\u00e4rmecomponente geschieden werden. Hei\u00dfe Reize von 53\u00b0 C. erregten \u00fcberall, aber nicht immer momentan Schmerz. Die Reactionszeiten der K\u00e4ltepunkte waren sehr verschie-\n^ Desgleichen Thunberg, Untersuchungen \u00fcber die relative Tiefenlage der K\u00e4lte, W\u00e4rme und Schmerz percipirenden Nervenenden in der Haut und \u00fcber das Yerh\u00e4ltniss der K\u00e4ltenervenenden gegen\u00fcber W\u00e4rmereizen. Skand. Arch. f. Physiol., XI. 1901. S. 422.\n2)\tv. Frey, Bericht der math.-phys. Classe der K. S. Ges. d. Wiss. zu Leipzig. Beitr\u00e4ge zur Sinnesphysiologie der Haut. 3. Mittheilung, S. 172.\n3)\tFriedrich Kiesow, Untersuchungen \u00fcber Temperaturempfindungen. Philos. Studien, XI. 1895. S. 145.","page":447},{"file":"p0448.txt","language":"de","ocr_de":"448\nPaul Bader.\nden; einige appercipirten sofort, andere erst nach Secunden den Schmerz. Die Punkte mit schneller Reaction l\u00f6sten stets brennend hei\u00dfe Empfindungen aus.\nDie K\u00e4lteintensit\u00e4t nach hei\u00dfen Reizen nimmt nach Alrutz parallel mit dem Reizgrade zu, auch sollen alle K\u00e4ltepunkte bei gen\u00fcgender Reizst\u00e4rke zur Ausl\u00f6sung ad\u00e4quater Empfindungen erregt werden k\u00f6nnen. Aus den geschilderten Versuchen ist ersichtlich, dass man mit Reiztemperaturen von 30\u00b0 C. selten deutlich kalte, meist k\u00fchle Empfindungen, und diese auch nicht auf allen K\u00e4ltepunkten erzielt; dass man dagegen auf Reize von ca. 45\u00b0 0. W\u00e4rme auf zahlreichen K\u00e4ltepunkten deutlich K\u00e4lteempfindung, verbunden mit W\u00e4rme oder Schmerz, ausl\u00f6sen kann. Dass die K\u00e4lteintensit\u00e4t auf allen Punkten, auf denen Energien bei mehr als 50\u00b0 C. ausgel\u00f6st werden, gesteigert w\u00fcrde, best\u00e4tigen obige Experimente im allgemeinen nicht ; eher wird die K\u00e4ltereactionszeit abgek\u00fcrzt ; doch entgeht mir hier die Kenntniss der Reaction kaltempfindlicher Punkte auf Hitzereize von \u00fcber 66\u00b0 C., die Alrutz (sogar bis 100\u00b0 C.) angewandt hat. Die andere Meinung desselben Forschers, dass bei gen\u00fcgend hohen Reizen auf jedem K\u00e4ltepunkte die ad\u00e4quate Empfindung erzielt werden k\u00f6nne, erh\u00e4lt eine St\u00fctze dadurch, dass nach dem 3. Versuche ein diffus k\u00fchler Punkt auf Hitze deutlich K\u00e4lte appercipirte. Daraus erhellt, dass hei der sogenannten paradoxen K\u00e4lteempfindung (v. Frey) eine Intensit\u00e4tsgliederung in etwa drei Stufen nicht mehr festgehalten werden kann, und es muss bezweifelt werden, ob es die Intermittenz der durch Hitzereize ausgel\u00f6sten discontinuirlichen K\u00e4lteempfindung zul\u00e4sst, sie nach Intensit\u00e4ten zu scheiden.\nIII. Scliwcllenbestiimmmg der paradoxen K\u00e4lteempfmdung.\nWas die untere Reizschwelle der sogenannten paradoxen K\u00e4lteempfindung anbetrifft, so nimmt sie v. Frey bei 45\u00b0, in Ausnahmef\u00e4llen bei 40\u00b0 0. an1). Alrutz verlegt sie noch tiefer2) und Tliun-berg am tiefsten, auf 35\u201432\u00b0 C., wobei er sich allerdings der Klarheit\n!) v. Brey, a. a. 0. 3. Mittheilung, S. 172.\n2) Alrutz, Studien auf dem Gebiete der Temperatursinne I. Skand. Arcli. f. Physiol., VII, 1897. S. 334.","page":448},{"file":"p0449.txt","language":"de","ocr_de":"Das Yerh\u00e4ltniss der Hautempfmdungen zu calorischen etc. Reizen. 449\nder erw\u00e4hnten Empfindung nicht recht bewusst geworden ist1). Wie oben beschrieben, erschien die besprochene Sensation auch auf Reize unter 31\u00b0 0. Man k\u00f6nnte eine untere Reizschwelle f\u00fcr sie h\u00f6chstens in dem Sinne auf stellen, dass alle oder fast alle K\u00e4ltepunkte auf W\u00e4rmeapplication mit K\u00e4lte reagiren. Je tiefer die Schwelle liegt, desto mehr verliert die Empfindung ihren paradoxen Charakter. Das dauernde Merkmal bleibt der discontinuirliche Verlauf. Reize in der N\u00e4he der Blut- und Hauttemperatur erregen keine reinen und deutlichen, sondern vibrirende, oft sehr diffuse K\u00e4lteempfindungen von relativ langer Reactionszeit auf den meisten Punkten. Etwa innerhalb der Temperaturgrenzen 20\u2014 40\u00b0 C. eine f\u00fcr alle K\u00e4ltepunkte g\u00fcltige Empfindung gleich 0 anzunehmen, ist nicht m\u00f6glich, sondern es scheint manchmal der geringste Ahstand der Reiztemperatur von der Eigenw\u00e4rme des gereizten Organs zu gen\u00fcgen, um eine K\u00e4lteempfindung zur Ausl\u00f6sung zu bringen. Bez\u00fcglich der oberen Grenze der Reizbarkeit der K\u00e4ltepunkte bezweifelt Thunberg, dass sie besonders hoch liegen k\u00f6nne, da die Nervensubstanz schon bei 50\u00b0 absterbe und deshalb die K\u00e4ltenervenenden, die nach ihm die paradoxe K\u00e4lteempfindung allein vermitteln, schon vorher ihre Reizbarkeit f\u00fcr Temperatursteigerung verlieren m\u00fcssten. Dieser Darlegung widersprechen die Beobachtungen. Reize von 66\u00b0 l\u00f6sen K\u00e4lteenergien aus, und Alrutz erzielte gleiche Resultate auf hei\u00dfe Applicationen bis\n100\u00b0 c.\nIV. K\u00e4lteempfindungen nach mechanischen Reizen.\nDie mechanische Reizung der Temperaturpunkte hat zuerst Goldscheider2) beschrieben und zur Ausl\u00f6sung der Temperaturempfin-dungen leichte St\u00f6\u00dfe auf die gespannte Hautfl\u00e4che f\u00fcr das geeignetste gehalten. Die Spannung der Haut habe ich vermieden, da sonst die Druckwirkung mehr in die Breite als in die Tiefe geht, wie schon v. Ere y betonte. Mit diesem Eorscher habe ich stets feine Druckhaare als Reizmittel benutzt und zwar meist Frauenhaare, da dieselben die kleinste Querschnittfl\u00e4che besitzen und distincte Reize gestatten. Auf den meisten K\u00e4ltepunkten, nicht auf allen, kann man\n!) Tliunberg, a. a. 0. S. 425 f.\n2) Goldscheider, a. a. 0. S. 118.","page":449},{"file":"p0450.txt","language":"de","ocr_de":"450\nPaul Bader.\nmittels solcher Frey\u2019scher Druckhaare deutlich K\u00e4lte ausl\u00f6sen. Es zeigten sich folgende Erscheinungen.\n1.\tVersuch.\nHeizfl\u00e4che : Mitte der Au\u00dfenfl\u00e4che des rechten Oberarms, ca. 6 cm von der Furche des Cubitalgelenks, siehe Fig. 10. V. K.\nDer in der Figur mit H hez. K\u00e4ltepunkt reagirte auf sto\u00dfweise Reize eines Frey\u2019schen Druckhaares von 177,5 mg Maximaldruck zun\u00e4chst mit einem sehr unangenehmen Kitzelgef\u00fchl, bald aber mit deutlicher K\u00e4lte. Der ZI bez. Punkt l\u00f6ste auf gleichen Reiz deutlich K\u00e4lte ohne Kitzelempfindung aus, desgleichen der L) bez. Punkt. Der E bez. Punkt percipirte auf 110,5 mg Haardruck deutliche K\u00e4lte ohne eine Spur von Druck; auf 159,5 mg Druckreiz reagirte er mit leisem Kitzel, aber deutlicher K\u00e4lte; auf 177,5 mg Druck mit vermehrtem Kitzelgef\u00fchl und K\u00e4lte. Die Localisation der auf dem Punkte gewonnenen druckfreien K\u00e4lteempfindung durch die Versuchsperson war eine sehr mangelhafte.\n2.\tVersuch.\nReizfeld: Mitte des Biceps, rechter Oberarm, siehe Fig. 2. V. D.\nAuf der Mitte des Biceps, auf einer Reizfl\u00e4che von reichlich 7* cm2, erregte ein Haardruck von 60 mg auf zwei K\u00e4ltepunkten k\u00fchle, druckfreie Sensationen. Die Localisation derselben durch die Versuchsperson geschah \u00e4u\u00dferst mangelhaft. Das Verfahren, eine Druckschwelle auf solchen scheinbar an\u00e4sthetischen Punkten zu ermitteln, wurde dadurch sehr beeinflusst, dass sich ein dem gesteigerten Drucke an Gr\u00f6\u00dfe proportional zunehmender Hautkegel bildete, der Spannungsempfindungen verursachte, die sich schwer eliminiren lie\u00dfen.\nDurch diese Beobachtungen wird die Differenz der Druck- und K\u00e4ltepunkte dargelegt; demnach m\u00fcssen auch deren reizumsetzende Organe verschieden sein. .\nDas Reizmittel folgender Versuche bestand in fein gespitzten, geh\u00e4rteten Stahlnadeln von ca. i/4 mm gr\u00f6\u00dftem Durchmesser.\n3.\tVersuch.\nReizfl\u00e4che siehe S. 441, Fig. 4.\nAuf leichte Stichreize antworteten kalte Punkte blitzartig mit","page":450},{"file":"p0451.txt","language":"de","ocr_de":"Das Yerh\u00e4ltniss der Hautempfindungen zu calorisclien etc. Reizen. 451\nK\u00e4lte, die 7 stark gezeichneten percipirten auf Einstechen ' intensive K\u00e4lte. Die Stiche waren oft sehr schmerzhaft, es gelang jedoch durch vorsichtiges Abtasten der farbigen Marke, womit der Punkt auf der Haut bezeichnet war, eine analgetische, K\u00e4lte percipirende Stelle zu finden. Auf dem \u25a1 bez. K\u00e4ltepunkte wurde die Nadel 1 mm tief eingestochen; erst darauf gesellte sich zur kalten Sensation ein geringer pressender Schmerz.\n4. Versuch.\nAuf dem Reizfelde der S. 444 erw\u00e4hnten Fig. 7 wurden Nadelstiche applicirt. Auf dem LI hez. K\u00e4ltepunkte begleitete deutliche K\u00e4lte das Einstechen, Druck kam nicht vor. Allm\u00e4hlich traten, durch den Hautkegel veranlasst, leise Spannungsempfindungen auf. Nach 2 mm Tiefe des Reizes begann der Schmerz. Auf dem ZI bez. K\u00e4ltepunkte waren die Erscheinungen ganz dieselben. Auf dem [*] bez. K\u00e4ltepunkte ging dem langsamen Einstechen der Nadel deutlich zunehmende K\u00e4lte parallel. Erst nach 3 mm tiefem Stich wurde pressender Schmerz bemerkt.\nDurch die obigen Untersuchungen wird die Analgesie der K\u00e4lte ausl\u00f6senden Organe von neuem dargethan.\nV. K\u00e4lteempfimhmgen nach faradisclien Reizen.\nDie Ausl\u00f6sung von kalten Empfindungen durch faradisclie Application ist von den Entdeckern der Punktqualit\u00e4ten der Haut, Blix und Groldscheider, zuerst beschrieben worden. Neuerdings wandten, au\u00dfer Kiesow, v. Frey und Alrutz unipolare Reizung an. Die von v. Frey beschriebene gro\u00dffl\u00e4chige Elektrode vermied ich und stellte eine Leitung durch die Erde her. Als Reizelektrode diente der Kopf einer sehr feinen Insectennadel. Die Stromquelle bestand in einem Bleiaccumulator (2 bez. 4 Volt Sp.). In den \u00e4u\u00dferen Stromkreis war au\u00dfer einem Schlittenapparat ein Widerstand eingeschaltet, der durch eine Quecksilberwanne sehr ver\u00e4ndert werden konnte. Der Einfluss des Druckes der Reizelektrode wurde durch sanftes Hinf\u00fchren derselben \u00fcber die Reizfl\u00e4che beschr\u00e4nkt. Mit R\u00fccksichtnahme auf diese Fehlerquelle wurden alle vier Punktqualit\u00e4ten in der Haut","page":451},{"file":"p0452.txt","language":"de","ocr_de":"452\nPaul Bader.\nsicher nachgewiesen. Doch entsprach die ausgel\u00f6ste K\u00e4lteempfindung nicht derjenigen, die ad\u00e4quate Reize erregten; sie war keine conti-nuirliehe, auch wenn das Prickeln nachlie\u00df nicht, sondern eine undeutlich unterbrochene, leise zitternde Sensation. Es ging auch nicht an, alle K\u00e4ltepunkte zur Ausl\u00f6sung ihrer Empfindung zu veranlassen. Auf der nicht befeuchteten Haut (Radialseite des Unterarms) konnte der Schmerz durch tiefes Eindr\u00fccken der Nadelelektrode vermindert und vermieden, die K\u00e4lte oft gesteigert werden. Zu letzterer Erscheinung tr\u00e4gt wahrscheinlich au\u00dfer der gr\u00f6\u00dferen Reiztiefe der Druck sein Theil bei, w\u00e4hrend erstere Thatsache aus dem verminderten Widerstande resultirt. Unter den in Eig. 5 markirten K\u00e4ltepunkten (deren Reizfeld S. 442 beschrieben ist) konnten einige minder kaltempfindliche Punkte durch faradische Reizung zu deutlicher Perception gebracht werden.\nDass die Faradisation mit einem elektrolytischen Processe innerhalb der Gewebefl\u00fcssigkeiten verbunden ist, hat letzthin Alrutz nachgewiesen1). Er sucht die Temperaturempfindungen daraus zu erkl\u00e4ren. Die Elektrolyse kann ich best\u00e4tigen; doch wird sich ein Einfluss derselben speciell auf die Entstehung der Temperaturempfindungen schwer nachweisen lassen, da sich der Process auch auf Schmerz-, Druck- und indifferenten Punkten abspielt.\nYl. Zur Physiologie der sogenannten paradoxen K\u00e4lteempfindung.\nDie physiologische Erkl\u00e4rung der sogenannten paradoxen K\u00e4lteempfindung ist nach den betreffenden Interpreten eine sehr verschiedene. W\u00e4hrend Thunberg die weit unten auf der Temperaturscala liegende Grenze f\u00fcr das Auftreten dieser Empfindung als Beweis daf\u00fcr nimmt, dass das Nervenendorgan und nicht der undifferenzirte Nervenfaden gereizt werde, sagt Alrutz gerade das Gegentheil, n\u00e4mlich dass durch inad\u00e4quate Reize nicht die Endorgane, sondern im Sinne Goldscheider\u2019s die Nerven afficirt w\u00fcrden. Thunberg st\u00fctzt seine Theorie auf die Frey\u2019sehe Hypothese von der oberfl\u00e4chlichen Lagerung der Schmerznervenenden und auf die Behauptung, dass auf W\u00e4rmereizung eine von jeder Schmerzsensation freie K\u00e4lte-\n4S Alrutz, Studien etc. I. S. 332.","page":452},{"file":"p0453.txt","language":"de","ocr_de":"Das Verh\u00e4ltniss der Hautempfindungen zu calorischen etc. Reizen. 453\nempfindung erhalten werden k\u00f6nnte. Man erlaube mir die w\u00f6rtliche Anf\u00fchrung der Stelle. Thunberg schreibt: \u00bbDa nun die Schmerznerven noch oberfl\u00e4chlicher als die K\u00e4ltenerven endigen, und da kein Grund zur Annahme vorliegt, dass diese letzteren eine specifische Reizbarkeit f\u00fcr hohe Temperaturen oder erstere eine verminderte solche besitzen, so m\u00fcsste ein auf die Hautfl\u00e4che applicirter Reiz, der ja immer kr\u00e4ftig auf die oberfl\u00e4chlichen Schichten wirkt, auch in noch h\u00f6herem Grade die Schmerznerven gereizt haben, wenn er \u00fcberhaupt als ein allgemeines Reizmittel wirkt. Da aber die dadurch hervorgerufene K\u00e4ltesensation durchaus von Schmerz frei ist, muss man daraus schlie\u00dfen, dass nicht der Herv, sondern das K\u00e4lteendorgan gereizt ist\u00ab1). Die Thunberg\u2019sche Annahme einer schmerzfreien K\u00e4ltesensation nach W\u00e4rmereizung best\u00e4tigen die angef\u00fchrten Y ersuche nicht; jedoch lassen sich dieselben nicht ohne weiteres mit den Thunberg\u2019sehen vergleichen, da dieser mit verschiedenfl\u00e4chigen (1\u20144 cm\"2 gro\u00dfen) und verschieden dicken Silberlamellen, die im Wasserbade erw\u00e4rmt wurden, fl\u00e4chenliafte Reize, ich dagegen in der Hauptsache punktuelle aus\u00fcbte. Die Sensationen, die ich erhielt, verliefen intermittirend neben schmerzhaften Qualit\u00e4ten; auch gelang es mir nie, auf W\u00e4rmereize \u00e4hnlich continuirliche und von anderen Perceptionen freie K\u00e4lteempfindungen zu erhalten, wie sie z. B. Reize von 15\u00b0 0. auf kalten Punkten ausl\u00f6sen. Glaubhaft erscheint mir, dass durch so hei\u00dfe Reize, wie sie 50\u00b0 0. und dar\u00fcber darstellen, und wie sie Thunberg zur Entstehung einer paradoxen K\u00e4lteempfindung f\u00fcr n\u00f6thig h\u00e4lt, nicht blo\u00df das Endorgan, dessen Projection der gereizte Hautpunkt bildet, erregt wird, sondern auch die nerv\u00f6sen Organe der [Nachbarschaft, desgleichen der dazugeh\u00f6rige Nervenfaden. In der nun ausgel\u00f6sten Empfindungssumme treten je nach dem Angriff des Reizes auf die verschiedenen nerv\u00f6sen Gebilde verschiedene Sensationen in den Vordergrund. Dass aber nach einiger Zeit die K\u00e4lteempfindung vor allen anderen appercipirt wird, ist deswegen nicht wunderlich, weil das reizempfangende Organ dieser Empfindung den Hauptangriffspunkt des Reizes bildet. Ferner dauert die K\u00e4ltesensation vor anderen Empfindungen deswegen an, weil ihre erregbaren Organe gegen eine Erm\u00fcdung viel widerstandsf\u00e4higer sind, als\nfl Thunberg. a. a. 0. S. 423.","page":453},{"file":"p0454.txt","language":"de","ocr_de":"454\nPaul Bader.\nz. B. die w\u00e4rmeempfindlichen Gebilde. Dass endlich die schmerzhafte durch die K\u00e4lteperception zeitweise unterdr\u00fcckt werden kann, findet auch bei mechanischer Beizung der K\u00e4ltepunkte, z. B. nach Nadelstichen, statt. Die Uebertragung einer W\u00e4rmeenergie bis 100\u00b0 C. (Alrutz) auf die Haut muss einem directen Nervenreize nahe kommen, die w\u00e4rmeleitende F\u00e4higkeit der Gewebe und Fl\u00fcssigkeiten der Hautschichten kommt wenig noch in Betracht. Thun ber g schr\u00e4nkt seine Erkl\u00e4rung f\u00fcr solche intensive Beize auch ein, indem er eine Beizung des Nervenfadens offen l\u00e4sst.\nSo paradox es ist, wenn auf hoch temperirte Beize eine kalte Empfindung folgt, so paradox verl\u00e4uft auch die chemische W\u00e4rmeregulation in der Haut. Der Warmbl\u00fcter reagirt \u00bbauf Abk\u00fchlung der K\u00f6rperoberfl\u00e4che mit gesteigerten Verbrennungsintensit\u00e4ten im Innern; umgekehrt auf Erw\u00e4rmung der Oberfl\u00e4che mit herabgesetzter Verbrennung\u00ab x). Ein derartiges gegens\u00e4tzliches Verhalten der Gef\u00e4\u00dfe gegen \u00e4u\u00dfere Temperatureinfl\u00fcsse muss auch gegen die f\u00fcr objective Beize zum Theil sehr empfindlichen k\u00e4ltepercipirenden Organe wirksam sein, so dass auch innere Beize Wirkungen aus\u00fchen k\u00f6nnen, die sich von solchen durch \u00e4u\u00dfere Energien veranlassten nicht unterscheiden lassen. Als reizausl\u00f6sender Factor k\u00e4me der Blutdruck in Betracht.\nB. W\u00e4rmepunkte.\nI. Qualit\u00e4t und Intensit\u00e4t der W\u00e4rmeempflndung.\nW\u00e4rmepunkte unterscheiden sich von den auf ad\u00e4quate Beize mit scharf umgrenzten Empfindungen schnell reagirenden K\u00e4ltepunkten durch allm\u00e4hliches Anwachsen ihrer Empfindung auf W\u00e4rmereize; durch Ausstrahlung derselben in ein gr\u00f6\u00dferes Feld, sodass die Empfindung einen mehr oder weniger fl\u00e4chenhaften Charakter annimmt; durch schnell erl\u00f6schende Perceptionsf\u00e4higkeit auf inad\u00e4quate Beize; durch eintretende Hyper\u00e4sthesie des gereizten Punktes sammt Umgehung bei fortgesetzter Beizung, wobei das Feld bald hyper\u00e4misch wird und auch an w\u00e4rmeindifferenten Punkten warme Sensationen\n1) Krehl und Soetbeer, Untersuchungen \u00fcber die W\u00e4rme\u00f6konomie der poikilothermen Wirbelthiere. Pfl. Arch. Bd. 77. 1899.","page":454},{"file":"p0455.txt","language":"de","ocr_de":"Das Verh\u00e4ltniss der Hautempfindungen zu calorischen eto. Reizen. 455\nausl\u00f6st. Dieser Zustand tritt mit einer Schwellung und R\u00f6thung der Reizil\u00e4che auf und macht die Untersuchung aussichtslos. Auf schwachen Druck k\u00f6nnen dann W\u00e4rmereactionen auf allen Punkten des Feldes erhalten werden, und Nadelstiche wirken \u00fcberall schmerzhaft. Genannte Merkmale der W\u00e4rmepunkte erschweren ihren exacten Nachweis ; und da nur deutliche Punkte markirt wurden, musste ihre Zahl hinter der der K\u00e4ltepunkte Zur\u00fcckbleiben, woraus nicht ohne weiteres auf eine geringere Zahl der W\u00e4rme- im Verh\u00e4ltniss zu den K\u00e4ltepunkten geschlossen werden darf. Hierbei f\u00e4llt noch ins Gewicht, dass auf warme Applicationen auch K\u00e4ltepunkte eine von W\u00e4rme schwer unterscheidbare Empfindung zu liefern verm\u00f6gen. Thunberg bemerkt, dass die durch W\u00e4rmereizung bewirkte Reizung der K\u00e4lteendorgane, die Ausnahme abgerechnet, gleichzeitig mit einer starken W\u00e4rmeempfindung entsteht1).\nW\u00e4hrend unter den K\u00e4lteempfindungen die drei Intensit\u00e4ten k\u00fchl, kalt und eisig bequem gesondert werden k\u00f6nnen, ergeben sich f\u00fcr W\u00e4rmesensationen nur die beiden Intensit\u00e4ten warm und hei\u00df, welch letztere noch strittig ist, da durch hochgradige Temperaturreize auch auf w\u00e4rmefreien Hautstellen brennend hei\u00dfe Empfindungen ausgel\u00f6st werden k\u00f6nnen; jedoch sind diese letzteren Sensationen je nach dem Grade des Reizes stets mit schwachem oder starkem Schmerz verbunden, dem sogenannten W\u00e4rmeschmerz (Goldscheider), der auf W\u00e4rmepunkten sp\u00e4ter eintritt, so dass auf ihnen vorher eine hei\u00dfe, schmerzfreie Qualit\u00e4t wahrgenommen werden kann. Jedenfalls tritt aus der auf W\u00e4rmepunkten ausgel\u00f6sten hei\u00dfen Sensation die W\u00e4rme-componente stark in den Vordergrund; das fehlt der Empfindung auf temperaturan\u00e4sthetischen Stellen. Intensive calorische Reize l\u00f6sen auf jedem beliebigen Hautpunkte Schmerz von ununterscheidbarer Qualit\u00e4t aus.\nAlrutz nennt Hei\u00df eine Empfindung sui generis, eine Auffassung, die schon Thunberg2) zu weit geht. Nach Alrutz beginnt die hei\u00dfe Sensation bei 40\u00b0 C.; das kann ich nicht best\u00e4tigen, wie die Eolge lehren wird. Er nennt Hei\u00df ausschlie\u00dflich eine Empfindung, die hei gleichzeitiger Erregung der K\u00e4lte- und W\u00e4rmenerven ent-\n\u00fc Thunberg, a. a. 0. S. 431.\n2) Thunberg, a. a. 0. S. 416, Anm.","page":455},{"file":"p0456.txt","language":"de","ocr_de":"456\nPaul Bader.\nstellt. Dem widersprechen die gegens\u00e4tzlichen Eigenschaften der beiden Temperatnrempfindungen, vor allem ihre verschiedenen Reac-tionszeiten. Man kann kalte Empfindlingen blitzartig durch den Reiz ausgel\u00f6st sehen, woran auch die gleichzeitige Erregung eines W\u00e4rmepunktes nichts \u00e4ndert. Au\u00dferdem ist die Nervenleitung einer hei\u00dfen Sensation trotz ihrer Reizintensit\u00e4t eine relativ tr\u00e4ge, weshalb wir uns gew\u00f6hnlich schon verbrannt haben, ehe wir die Nervenerregung percipiren.\nEs gelang mir einmal die seltene Beobachtung der Congruenz eines K\u00e4lte- und W\u00e4rmepunktes f\u00fcr ohjectiven Reiz. Die Stelle lag auf der Mitte des Biceps des linken Oberarms (s. Fig. 2. V. D. Der Punkt ist umringt). Hierauf l\u00f6sten Temperpturreize von 15\u00b0 C. tropfige, intensive K\u00e4lteempfindung, calorische Reize von 33\u00b0 0. mit demselben Reizinstrumente deutlich anwachsende W\u00e4rme aus, die, nachdem sie auf der H\u00f6he angelangt war, fl\u00e4chenhaft ausstrahlte. Eine nachfolgende vihrirende (paradoxe) K\u00e4lteempfindung war auch auf intensivere Reize nicht zu constatiren. Da man annehmen kann, dass durch die Reizenergien von \u00fcber 33 \u00b0 0. beide temperaturempfindliche Organe irritirt worden sind, ohne Hitzeempfindungen auszul\u00f6sen, ist eine Mischung beider Temperaturqualit\u00e4ten zu einer hei\u00dfen Sensation ausgeschlossen.\nII. Perceptionen auf W\u00e4mepunkten nach Temperatnrreizen.\nWelche Temperaturreize sich zur Ausl\u00f6sung deutlicher W\u00e4rme- . perceptionen am besten eignen, ist sehr umstritten. Einige halten W\u00e4rmeapplicationen in der N\u00e4he der Bluttemperatur f\u00fcr geeignet; Alrutz gibt 45\u201450\u00b0 C. als dienlichste Reiztemperatur an. Auf der Mitte meines linken Daumenballens (s. Fig. 6) traten W\u00e4rmepunkte erst nach Reizen von 50\u00b0 C. und mehr deutlich hervor, und W\u00e4rmefelder nach gleichtemperirten Fl\u00e4chenreizen. Auf der Au\u00dfenfl\u00e4che des rechten Oberarms ( V. K. s. Fig. 10) erschienen auf Applicationen von 23\u00b0 C. schon zwei W\u00e4rmepunkte mit deutlich warmen Perceptionen. Fig. 11 (Reizfeld auf der Volarfl\u00e4che des linken Unterarms, links von der Medianlinie, 14 cm von der Handwurzelfurche) weist einen W\u00e4rmepunkt (doppelt umringt in der Fig.) auf, der auf einen Reiz von 16\u00b0 C. mit einer klaren W\u00e4rmesensation erwiderte. Inwie-","page":456},{"file":"p0456s0001table10.txt","language":"de","ocr_de":"\nA\n9 FU .\n< \u2022-*\n\u2022 %\n\u2022\t\u00b0\u00bbo!\n?<!\t.ill.\n,,, \u00ae=?, -^u| ii1!1! SCJffil\n<3 \u2014\t\u00ab >\n\u00ab \u2014\u2014\t\u00ab\n/\n\n/ / \u2022 * - ^ /\n\u00abI\n< -^fp9w:\n3\u00d4'\nfii\nOi\n\n\n\u2022 \u2022 \u2022 \u2022 4\u00ab\n\u2022nVIJli^^ \u2022\n\u2022 v -> J\u00ff-.i \u2022 o/ A\n\u2022\t\u2022\t^b-\n^\t^ e dio-wAA*'-v \u00ae\nm\n\u2022 o\u00ab o\n?\no o*\t\t\u2022 \u2022\n\u2022 \u2022\tcsi\t>\u00b000\u00b0\n\u2022 \u2022 \u2022 \u2022 \u2022 oo\t\u2022\u00a7>\t: \u00ae \u2022 iii\t\u2022\n\t\t\u2022\u2022 \u2022 \u2022 \u2022 \u2022 \u2022\no \u00a9 #\t\t\nR1\ncs\n><*\n\u00a3\nE\nx\nLD\n\u00a3\nto\ne\n\nE\n\u00ae\na\n<^\u00b0<c<]\nfi<M\t*\nss;Xv\"\n\u00b0.#y/. /\n/ y \\ _. Vo ..n \u201e e;\n' \u2022\nS\u00b0\n/\na, o/ y\n\ny?\nn\u00ab?v.-0\n-\u25a0^pipa])5\n*0\n\u00a7\n.S\n;\u00a7>\nF\n^\u00abCJ^-cF\nSchmerzfeld.","page":0},{"file":"p0457.txt","language":"de","ocr_de":"Das Verh\u00e4ltniss der Hautempfindungen zu calorischen etc. Reizen. 457\nweit vielleicht der Druck des Cylinders dazu mitgewirkt haben k\u00f6nnte, lie\u00df sich nicht nachweisen. Die W\u00e4rme wurde nach relativ langer Reaetionszeit percipirt, dauerte aber dann mit dem Reize an. In dem oben geschilderten Versuche auf der Hautoberfl\u00e4che \u00fcber dem Biceps (s. Big. 2. V. D.) unterschieden sich die W\u00e4rme- von den K\u00e4ltepunkten dadurch, dass sie auf \u201413\u00b0 0. nur k\u00fchle Empfindungen percipirten, die schw\u00e4chsten des ganzen Feldes.\nTrotzdem es gelingt, auf 16\u00b0 C. z. B. unzweifelhafte W\u00e4rme auszul\u00f6sen, wird man das keine paradoxe Sensation nennen k\u00f6nnen, da diese Empfindungen mit den \u00fcbrigen W\u00e4rmeperceptionen im Zusammenh\u00e4nge bleiben, insofern sie auf der untersten Stufe der W\u00e4rmereizscala liegen, wo nur selten W\u00e4rmeperceptionen erfolgen, w\u00e4hrend auf der geeignetsten W\u00e4rmereizschwelle von etwas unter und \u00fcber 40\u00b0 C. die meisten deutlichen W\u00e4rmesensationen erhalten werden k\u00f6nnen. Alrutz reizte mit bis auf \u201470\u00b0 C. abgek\u00fchlten Metallspitzen, ohne paradoxe W\u00e4rmeempfindung nachweisen zu k\u00f6nnen.\nEs ist \u00fcblich, constatirte qualitative Hautpunkte zur sicheren Wiederauffindung mit Silbernitratl\u00f6sung zu \u00e4tzen. Das geschah auch nach der ersten Untersuchung auf dem Reizfelde der Fig. 8 (S. 445 beschrieben). Tags darauf zeigte sich die Fl\u00e4che leicht ger\u00f6thet und hyper\u00e4sthetisch. Es wurden die K\u00e4ltepunkte mit Reizen von 15\u00b0 0. controllirt und best\u00e4tigt. Wie ich schon fr\u00fcher in Erfahrung gebracht hatte, werden die K\u00e4ltepunkte durch H\u00f6llenstein\u00e4tzung in ihrer Empfindlichkeit nicht gest\u00f6rt. Sie fanden sich sogar einmal mit derselben Perceptionsklarheit wieder, mit der sie auf die ersten Reize reagirten, als eine etwas zu starke Aetzung die Epidermis auf ihnen zerst\u00f6rt hatte. Ganz anderes Verhalten offenbaren die W\u00e4rmepunkte. In genanntem Felde l\u00f6sten sie auf 15\u00b0 C.-Reize theils zerrenden und pressenden, theils intensiv hei\u00dfen Schmerz aus. Auf den W\u00e4rmepunkten im Felde oben links traten entweder sofort nach dem Reiz oder innerhalb der schmerzenden Sensationen kalte Empfindungen hinzu, die allm\u00e4hlich verschwanden, und an deren Stelle die ad\u00e4quate Empfindung trat. Wahrscheinlich verliefen da K\u00e4ltenerven dicht neben den w\u00e4rmeempfindlichen. Infolge des st\u00f6renden Einflusses der Aetzung auf die Empfindlichkeit der Nerven ist daher fernerhin eine Markirung der Punkte durch Anilintinten vorgezogen worden.","page":457},{"file":"p0458.txt","language":"de","ocr_de":"458\nPaul Bader.\nIII. W\u00e4rmeempfindnngen nach mechanischen Reizen.\nAnalog den K\u00e4ltepunkten sind W\u00e4rmepunkte durch Druck erregbar; doch hat Alrutz1) recht, wenn er die Entdeckung der W\u00e4rmepunkte durch mechanische Reize f\u00fcr schwierig erkl\u00e4rt. Auf der Mitte der Au\u00dfenfl\u00e4che des rechten Oberarms (s. Eig. 10. V. K.) l\u00f6ste der Druck eines Frey\u2019sehen Reizhaares von 257 mg Maximaldruck auf dem in der Figur durch einen Ring dargestellten Punkte deutlich W\u00e4rme aus. Desgleichen erregte ein leichter Druck mit einem Zahnstocher bei derselben Versuchsperson auf der Au\u00dfenseite des rechten Oberarms (ca. 11 cm vom Ellbogengelenk, s. Fig. 12) deutliche W\u00e4rmeperceptionen auf den mit 6 bez. W\u00e4rmepunkten. Die Punkte wurden sp\u00e4ter durch Temperaturreize von 221/2\u00b0 C. als W\u00e4rmepunkte best\u00e4tigt.\nEbenso selten wie auf Druckreize und ebenfalls meist unsicher reagiren W\u00e4rmepunkte auf Stiche. Es ist m\u00f6glich, dass die oft ausgel\u00f6ste Schmerzempfindung in solchen F\u00e4llen die W\u00e4rmeapperception verhindert. Auf Stichreize erfolgte eine unzweifelhafte W\u00e4rmeausl\u00f6sung auf dem Reizfelde der Fig. 4 (S. 441). Drei in der Figur mit V bez. W\u00e4rmepunkte wurden zu einer hei\u00dfen Perception mit deutlicher W\u00e4rmecomponente bewogen. Die Nadel war ein wenig eingestochen worden. Die anderen Punkte der W\u00e4rmequalit\u00e4t zeigten nur unklare Empfindungen. Fig. 7 bezeichnet eine Reizfl\u00e4che (S. 444), deren unterster sehr klarer W\u00e4rmepunkt auf Einstechen mit einer wohlthuenden W\u00e4rme ohne jede Beimischung von Schmerz reagirte. Erst das Eindringen der Nadel bis \u00fcber 1 mm schmerzte.\nIV. W\u00e4rmeempfindnngen nach faradischen Reizen.\nFaradische Applicationen eignen sich ebensowenig wie mechanische zur Ausl\u00f6sung deutlicher W\u00e4rmeempfindungen. Selten wurde z. B. auf der Hautoberfl\u00e4che der Arme und H\u00e4nde (V. Brn.) unzweifelhafte W\u00e4rme percipirt. Auch Alrutz constatirt2), dass die W\u00e4rme-punkte dem elektrischen Reize gegen\u00fcber weniger irradiiren als dem\n*) Alrutz, Studien etc. I. A. a. O. S. 327.\n2) desgl. S. 331.","page":458},{"file":"p0459.txt","language":"de","ocr_de":"Das Verh\u00e4ltniss der Hautempfindungen zu calorischen etc. Heizen. 459\nthermischen. Ihm fiel aber die elektrolytische Erscheinung dort auf, wo der Strom applicirt worden war (siehe unten).\nDurch tiefen Eindruck der Elektrode auf der Volarseite des rechten Unterarms (an der Medianlinie, 6 cm von der Handwmrzel-furche, V. K.) erfolgten einige klare W\u00e4rmeperceptionen. Leider spielt aber in einer derartig ausgel\u00f6sten Empfindung der Druck eine zweifelhafte Rolle. Alrutz wollte ihn aus dem Reiz insofern eliminiren, als er die Anwendung eines feinstm\u00f6glichen Drahtes vorschlug ; doch birgt dieses Reizmittel eine neue Fehlerquelle in sich, da durch derartig distincte Reize die sehr oberfl\u00e4chlich liegenden empfindlichsten Schmerzpunkte schon hei blo\u00dfer Ber\u00fchrung der Hautoberfl\u00e4che Schmerz ausl\u00f6sen, ohne dass der Strom geschlossen zu sein braucht.\nDie Reizempfindlichkeit der W\u00e4rmepunkte auf faradische Reize ist eine geringere als die der K\u00e4ltepunkte, und auch bei dieser Reizung unterscheidet sich die Empfindung jener durch eine relativ lange Re-actionszeit von der Empfindung dieser. Das ergab unter anderem ein Versuch auf der proximalen Seite der Volarfl\u00e4che des Unterarms {V. D.). W\u00e4rme- und K\u00e4ltepunkte wurden constatirt, diese zahlreich und schnell reagirend, jene seltener, unklarer und relativ langsam. Nach -wiederholter Reizung h\u00f6rten die W\u00e4rmesensationen auf, die K\u00e4ltepunkte reagirten dauernd. Ein \u00e4hnliches Resultat lieferte eine Untersuchung auf Handr\u00fccken und Dorsalseite des Unterarms (V. Brn.). W\u00e4hrend im vorhergehenden Versuche die W\u00e4rmepunkte zuerst mit dem faradischen Strome aufgesucht -worden waren, wurden diesmal in gr\u00f6\u00dferen Abst\u00e4nden vier deutliche W\u00e4rmepunkte mit ad\u00e4quaten Reizen eruirt. Auf zweien wurde au\u00dferdem die Haut angefeuchtet. Von den vier Punkten l\u00f6sten drei eine deutliche, der vierte eine unklare W\u00e4rmeempfindung aus; auf ihm war der Widerstand durch Befeuchtung der Haut verringert. Schon beim dritten Reize hatten drei Punkte ihre specifische Empfindung eingeb\u00fc\u00dft, nach dem f\u00fcnften Reize versagte auch der vierte Punkt. Ob durch elektrolytische Zersetzung der nervenumgehenden Substanzen die Empfindlichkeit herab-gestimmt wird, bleibt eine Vermuthung, die Alrutz hegt. Dass eine Elektrolyse die Application begleitet, ist gewiss. Man sieht n\u00e4mlich den Hautpunkt, auf dem der Ausgleich stattfindet, eine graubraune F\u00e4rbung annehmen, nimmt wohl auch einen Geruch gleich dem verbrannter Haut wahr und sieht eine Fl\u00fcssigkeit austreten. Alrutz Wundt, 1 hilos. Studien. XVIII.\t30","page":459},{"file":"p0460.txt","language":"de","ocr_de":"460\nPaul Bader.\nhat deren chemische Reaction untersucht. Da die W\u00e4rmepunkte auf mechanische Reizung, was ihre Reizempfindlichkeit und Perceptions-zeit anbetrifft, gleiche Eigenschaften zeigen wie auf faradisclie Ap-plicationen, ohne dass bei solcher Reizart ein elektrolytischer Process nachzuweisen w\u00e4re, habe ich die weitere Untersuchung der eigen-th\u00fcmlichen Erscheinung unterlassen.\nV. Zur Physiologie der W\u00e4rme percipirenden Nerven.\nBez\u00fcglich der verschiedenen Reactionszeiten gewisser Hautempfindungen existiren in der Hauptsache drei Erkl\u00e4rungen, und zwar f\u00fcr Schmerzempfindungen eine mehr Widerstand darhietende Bahn im R\u00fcckenmark (Herzen, Wundt, Eunke), f\u00fcr W\u00e4rmeempfindungen im Gegensatz zur schnellen Reactionszeit der K\u00e4lteempfindungen eine geringere Reizbarkeit der W\u00e4rme- als der K\u00e4lteendorgane (Goldscheider) oder eine gr\u00f6\u00dfere Tiefenlage der W\u00e4rme- als der K\u00e4ltenervenenden (Alrutz, Thunberg). Zuerst hat Goldscheider (1888) *) eine tiefere Lage der W\u00e4rme- als der K\u00e4ltenerven unter der Hautoberfl\u00e4che er\u00f6rtert, aber auf Grund seiner histologischen Befunde verworfen. Alrutz erblickt eine St\u00fctze daf\u00fcr nicht blo\u00df in der relativ langen Reactionszeit der W\u00e4rme- gegen\u00fcber den K\u00e4lteempfindungen, sondern auch in der Thatsache, dass W\u00e4rme- und Schmerzpunkte keine gleiche Reactionszeit haben, sondern die W\u00e4rme noch sp\u00e4ter als der Schmerz percipirt wird. Da nun dessen reizempf\u00e4ngliche Organe der Oberfl\u00e4che sehr nahe liegen (v. Frey), meint Alrutz, m\u00fcssten die w\u00e4rmeempfindlichen in einer tieferen Schicht verlaufen. Endlich hypostasirt er auch gr\u00f6\u00dfere Nervenendorgane f\u00fcr die Ausl\u00f6sung der W\u00e4rmeempfindung. Dem widersprechen die Beobachtungen der paradoxen K\u00e4lteempfindung, die meist mit warmen Sensationen beginnt (Thunberg), deren Ausl\u00f6sung den k\u00e4lteperci-pirendenNerven zugeschrieben werden muss. Selbst wenn nach Thunberg W\u00e4rme ein inad\u00e4quates Reizmittel f\u00fcr K\u00e4lteendorgane w\u00e4re, so sieht man nicht ein, warum nur f\u00fcr w\u00e4rmeempfindliche Nerven gr\u00f6\u00dfere Endorgane substituirt werden, da auch k\u00e4lteempfindliche Organe eine von W\u00e4rme schwer unterscheidbare Empfindung ausl\u00f6sen\n4) G-oldscheider, Zur Dualit\u00e4t des Temperatursinnes. Gres. Abhdlgn. A. a. O. S. 293.-","page":460},{"file":"p0461.txt","language":"de","ocr_de":"Das Verh\u00e4ltniss der Hautempfindungen zu calorischen etc. Reizen. 461\nk\u00f6nnen. Bei der fl\u00e4chenhaften Temperaturreizung Thunberg\u2019s mit H\u00fclfe erw\u00e4rmter Metalllamellen w\u00e4re zu erw\u00e4gen, inwiefern dadurch, bei Beobachtung der W\u00e4rmeempfindungen z. B., die K\u00e4ltenerven in-nervirt worden w\u00e4ren und durch inad\u00e4quate Temperaturempfindungen das Resultat beeinflussen konnten. Freilich wird aus den Thun-berg\u2019schen W\u00e4rmeausl\u00f6sungen der Antheil, den die Erregung der K\u00e4ltenerven daran nehmen konnte, schwerlich zu eliminiren sein. Deshalb ist eine punktuelle Reizung der nerv\u00f6sen Organe der fl\u00e4chen-liaften vorzuziehen.\nAus der der Hyper\u00e4sthesie parallel gehenden Hyper\u00e4mie des wiederholt gereizten W\u00e4rmefeldes k\u00f6nnte man eine innervirende Eigenschaft der Nerven auf die Capillargef\u00e4\u00dfe folgern und aus deren Blutf\u00fclle eine ad\u00e4quate Reizung der w\u00e4rmepercipirenden Apparate. Sind doch die objectiven Reize in den seltensten F\u00e4llen directe Nervenreize. Zwischen dem Angriffspunkte des \u00e4u\u00dferen Reizes und dem nerv\u00f6sen Organe liegen stets die Epithelzellen, die sich je nach dem Einfl\u00fcsse der Reiztemperatur zusammenziehen und ausdehnen. Da au\u00dferdem die Zellen in einer Lage angeordnet sind, so m\u00fcssen sie wechselseitig ihre Gestalt beeinflussen, wodurch der transformirte Reiz an Fl\u00e4che gewinnt, aber an Energie in der beabsichtigten Richtung verliert. Inwiefern Zellhaut, Plasma und Kern durch diese Einfl\u00fcsse ver\u00e4ndert werden und den Reiz transformiren, ist nicht nachgewiesen. Ein zartes Gewebe von Protoplasmaf\u00e4den verbindet die Zellen untereinander, desgleichen eine halbfl\u00fcssige Zwischensubstanz, die die Ern\u00e4hrungswege der Zelle vorstellt1). Wenn es nun That sache ist, dass innerhalb dieser ern\u00e4hrenden Substanz feinste Nerven-fibrillen verlaufen, so muss jede Aenderung des Diclitigkeitsverh\u00e4ltnisses der nervenumsp\u00fclenden Fl\u00fcssigkeit den Druck auf die Nerven-endchen entweder steigern oder vermindern. Eine eminente Wichtigkeit in Bezug auf die Transformation objectiver Reize kommt vor allem dem lockeren Bindegewebe zu, das die Unterlage f\u00fcr die Epi-tlielien bildet, die Elemente des Nervengewebes von den \u00fcbrigen Geweben unterscheidet und die Blutbahnen begleitet. Proportional der F\u00e4higkeit desselben, Reizenergien umzusetzen, w\u00e4chst sein Einfluss\n*) Gegenbaur, Lehrbuch der Anatomie des Menschen. I. 7. Aufl. Leipzig 1899. S. 97.\n30","page":461},{"file":"p0462.txt","language":"de","ocr_de":"462\nPaul Bader.\nauf die eingelagerten Nerven. Besonders sind die zarten Gewebe der Arterienw\u00e4nde in Folge ihrer Elasticit\u00e4t zu Formver\u00e4nderungen, die von Temperaturreizen bewirkt werden k\u00f6nnen, sehr f\u00e4hig. Es best\u00fcnde dann eine gegenseitige Wirksamkeit dieser Elemente mit den darin eingebetteten oder ihnen anlagernden Nerven.\nSowohl die Blutf\u00fclle als auch die Blutleere der Gef\u00e4\u00dfe kann f\u00fcr die Leitung der Nerven bedeutungsvoll sein. Wei\u00df man doch, dass die Nervenzellen, die die motorischen Bahnen im R\u00fcckenmark unterbrechen, gegen An\u00e4mie sehr empfindlich sind1), woraus man die Leitungsunterbrechung dieser Nerven zu erkl\u00e4ren sucht. Auch f\u00fcr sensible Nerven ist das sehr wahrscheinlich. Erweist sich doch sogar die graue Substanz des Centralnervensystems sehr empfindlich (Vul-pian) gegen die Abschneidung der Blutzufuhr; desgleichen behauptet Steinach, dass Nervenfasern der An\u00e4misirung zum Opfer fallen2). Unter den Beobachtungen Goldscheider\u2019s finden sich manche, die f\u00fcr eine Abh\u00e4ngigkeit nicht blo\u00df der Tast- und Schmerz-, sondern auch der Temperaturnerven vom Blutdruck sprechen, ohne dass sie der Beobachter in diesem Sinne verwerthet. Er theilt z. B. mit3), dass K\u00e4lteschmerz viel sp\u00e4ter auftritt, wenn man eine Fingerkuppe mit einem Gummibande abschn\u00fcrt und erk\u00e4ltet, als wenn man durch Einwicklung des Fingers das Blut nach der Spitze desselben treibt und diese abk\u00fchlt. \u00bbDie Ursache\u00ab, meint er, \u00bbkann in kaum etwas anderem gelegen sein, als dass hier durch die spannende Turgescenz die Tast- oder Schmerznerven in eine h\u00f6here Erregbarkeit versetzt werden.\u00ab Wahrscheinlich sind aber die Temperaturorgane gegen die Turgescenz noch empfindlicher als die anderen; denn es ist glaubhafter, dass der K\u00e4lteschmerz allein vom k\u00e4ltepercipirenden Nerven ausgel\u00f6st, und keine gemischte Qualit\u00e4t ist, herr\u00fchrend von einer Erregung der Tast- oder Schmerz- und der K\u00e4ltenerven.\nWenn man an einem Finger das Blut nach der Spitze dr\u00fcckt, erh\u00e4lt man nach einiger Zeit eine k\u00fchle Sensation. Der Versuch gelingt auch beim Druck des Blutes in die Hand durch Pressung\n1)\t0. Langendorf, Zur Kenntniss der sensiblen Leitungsbahnen im R\u00fcckenmark. Pfl. Arch. Bd. 71. S. 401 ff.\n2)\tSteinach, Ueber die centripetale Erregungsleitung im Bereiche des Spinalganglions. *Pfl. Arch. Bd. 78. 1899. S. 291.\n3)\tGoldscheider, a. a. 0. S. 45.","page":462},{"file":"p0463.txt","language":"de","ocr_de":"Das Yerh\u00e4ltniss der Hautempfindungen zu calorischen etc. Reizen. 463\ndes Unterarms. Auch das ist ein Beweis f\u00fcr die Empfindlichkeit der Temperaturnerven gegen Ver\u00e4nderungen der Blutcirculation.\nDurch diese Erscheinungen werden die Ausl\u00f6sungsvorg\u00e4nge von Reiz- und Empfindungsenergien viel verwickelter und entziehen sich der Beobachtung viel mehr, als das hei anderen Sinnen der Fall ist. Ferner lehren besonders die den ausl\u00f6senden Reizen paradoxen Empfindungen, dass zwischen beiden kein qualitatives, sondern nur ein quantitatives Verh\u00e4ltniss besteht1).\nDie gef\u00e4\u00dfcontrahirende Kraft objectiver Reize ist in der Psychologie und Physiologie der Hautsinne zur Erkl\u00e4rung parallel laufender subjectiver Erscheinungen manchmal gestreift und auch einmal von Goldscheider gew\u00fcrdigt worden. Es hatte Kisch (1863) mit-getheilt, dass gasf\u00f6rmige Kohlens\u00e4ure in der Haut ein eigent\u00fcmliches W\u00e4rmegef\u00fchl errege, dass z. B. die Gasw\u00e4rme von 12\u00b0 0. einer Empfindung von 45\u00b0 0. entspr\u00e4che. Von Dubois-Reymond angeregt, begann Goldscheider2) eine Untersuchung der merkw\u00fcrdigen Tliatsache. Seine Experimente f\u00fchrten ihn zu der Vermutung, dass der prim\u00e4re Effect der Kohlens\u00e4ure ein gef\u00e4\u00dfcontrahirender sei. Eine andere Vermutung verlegte die Ursache des W\u00e4rmegef\u00fchls in eine \u00bbErweiterung der Blutgef\u00e4\u00dfe und daraus resultirende Erh\u00f6hung der E i g e n t crrip er atu r der Haut\u00ab. Dazu teilt der Forscher ein Experiment von Sk\u00f6rzewski3) mit, der am Kaninchenohr und an der Froschzunge fand, dass sich die Arterien unter Einwirkung eines d\u00fcnnen Kohlens\u00e4urestromes erweitern, die Venen verengern; zuweilen jedoch tr\u00e4te als erste Wirkung eine Verengerung der Arterien und Erweiterung der Venen ein, was aber bald in den entgegengesetzten Zustand \u00fcberginge. Trotzdem hiernach eine Erkl\u00e4rung der subjec-tiven W\u00e4rmeerscheinungen auf Grund contractiler Ver\u00e4nderungen in den Gef\u00e4\u00dfen nahe lag, meinte Goldscheider, dass es gewiss unwahrscheinlich sei, dass sich die Gef\u00e4\u00dferweiterung so schnell herausbilde, um das so unmittelbar erfolgende W\u00e4rmegef\u00fchl zu erkl\u00e4ren. Freilich, wenn nach ihm die Gef\u00e4\u00dferweiterung zuerst eine Steigerung\n1)\tRollett, Beitr\u00e4ge zur Physiologie des Geruchs, Geschmacks, der Hautsinne und der Sinne im allgemeinen. Pfl. Arch. Bd. 74. 1899. S. 428.\n2)\tGoldscheider, Die Einwirkung der Kohlens\u00e4ure auf die sensiblen Nerven der Haut. A. a. 0. S. 305.\n3)\tGoldscheider, a. a. 0. S. 309.","page":463},{"file":"p0464.txt","language":"de","ocr_de":"464\nPaul Bader.\nder Hauttemperatur und erst in zweiter Linie eine Nervenerregung hervorrufen soll, so ist die Kette zu lang geschlossen, und die ob-jectiven Vorg\u00e4nge erstrecken sich \u00fcber eine gr\u00f6\u00dfere Zeitstrecke, als zum Auftreten des subjectiven Momentes notbwendig erscheint. Aus den Goldscheider\u2019schen Darlegungen geht aber die Incompetenz der Hautw\u00e4rme als nervenerregender Factor hervor. Es enth\u00e4lt die Ver\u00e4nderung der Gef\u00e4\u00dfe allein genug Energien, um die Nerven zu afficiren. Die Ver\u00e4nderung kann allerdings durch einen chemischen Vorgang am besten erkl\u00e4rt werden, aber nicht so, dass eine directe chemische Affection der W\u00e4rmenerven, sondern eine indirecte derselben durch contractile Vorg\u00e4nge in den Gef\u00e4\u00dfen, welche dazu chemisch durch die Kohlens\u00e4ure gereizt worden sind, statt hat. Noch eine Beobachtung Goldscheider\u2019s spricht deutlich f\u00fcr Gef\u00e4\u00dfinnervationen. Er fand, dass ein gegen die Conjunctiva des Kaninchens gerichteter Kohlens\u00e4urestrom von Hauttemperatur nach einer gewissen Zeit eine deutliche K\u00f6thung hervorruft. Dieselbe Erscheinung trat auf einer enthornten Stelle der menschlichen Haut ein1). Er leugnet nun aber, da die R\u00f6thung erst nach der Sensation sichtbar wurde, eine urs\u00e4chliche Beziehung zwischen Empfindung und Gef\u00e4\u00dfver\u00e4nderung. Es kann jedoch die Sichtbarkeit einer Ver\u00e4nderung nach der Sensation das Dasein eines physiologischen Vorganges in den Gef\u00e4\u00dfen vor derselben nicht ausschlie\u00dfen. In Folge der mikroskopischen Feinheit der betheiligten Organe entzieht sich deren Function dem beobachtenden Auge, und nur extreme Reize werden sofort sichtbare Erscheinungen hervorrufen.\nIm allgemeinen wird man zugehen m\u00fcssen, dass die Erkl\u00e4rungsversuche der Temperaturempfindungen aus der anatomischen Verschiedenheit ihrer zugeh\u00f6rigen Nervenendorgane etc. zweifelhaft sind, v. Frey z. B. nimmt Endkolben als die die K\u00e4lteempfindung wahrscheinlich ausl\u00f6senden Organe an, w\u00e4hrend er den W\u00e4rmeperceptionen Nervenkn\u00e4uel als reizausl\u00f6sende Apparate substituirt. Nun ist ja nicht zu leugnen, dass die bisher nachgewiesenen differenzirten nerv\u00f6sen Apparate als reizempfangende und -umsetzende Organe eine gewisse Rolle spielen m\u00f6gen, aber die Art der Function ist noch sehr dunkel, und wenn seihst die anatomischen Differenzen klarer\n1) a. a. O. S. 309.","page":464},{"file":"p0465.txt","language":"de","ocr_de":"Das Yerh\u00e4ltniss der Hautempfindungen zu calorischen etc. Reizen. 465\nw\u00e4ren, so schl\u00f6sse dies nicht aus, dass die objectiven Reizenergien nicht direct das Endorgan treffen, sondern von den nervenumlagernden Substanzen transformirt \u00fcbertragen werden. Die Wichtigkeit der reizleitenden Gewebe und Fl\u00fcssigkeiten gewinnt dadurch an Interesse. Es ist bekannt, dass sich K\u00e4ltepunkte auf calorische Reize, die in der N\u00e4he der Bluttemperatur liegen, von Ausnahmen abgesehen, indifferent verhalten, dass sie aber leicht von Reizen erregt werden, deren Temperatur entweder nach oben oder nach unten auf der Temperaturscala von der Normalblut w\u00e4rme weit abliegt. Dazu laufen sowohl der K\u00e4lte-, wie auch der W\u00e4rmereizung Ver\u00e4nderungen der Blutzufuhr, des Blutdruckes oder der Gef\u00e4\u00dfinnervationen parallel, die ihre Erkl\u00e4rungsursache in den genannten \u00e4u\u00dferen Einwirkungen finden, zum Theil aber auch in inneren Reizen, wie das z. B. in krankhaften Zust\u00e4nden gewiss ist. Viele Krankheiten zeigen die Symptome einer Aenderung des Blutdrucks und Blutumlaufs, was die oft leicht erregbaren nerv\u00f6sen Substrate nicht gleichg\u00fcltig lassen kann. Herrn Geheimrath Wundt bin ich f\u00fcr seinen Hinweis auf die Erscheinungen im Fieberfroste dankbar. Die allgemeine K\u00e4ltesensation im Fieberfroste l\u00e4uft n\u00e4mlich einer \u00fcber die Norm erh\u00f6hten Hauttemperatur parallel.\nVon den Temperaturempfindungen scheinen vor allem die W\u00e4rme-perceptionen mit vasomotorischen Ver\u00e4nderungen in einem urs\u00e4chlichen Zusammenh\u00e4nge zu stehen. Die indirecten Reize, ausgel\u00f6st durch contractile Vorg\u00e4nge innerhalb der Gef\u00e4\u00dfe, geben eine gen\u00fcgende Grundlage nicht allein f\u00fcr die fl\u00e4chenhafte Qualit\u00e4t der W\u00e4rmeempfindung, sondern auch f\u00fcr ihre relativ lange Reactionszeit. Es findet diese Annahme noch eine St\u00fctze durch das histologische Ergebnis Goldscheider\u2019s, nach dem Temperaturnerven auffallend stets in der N\u00e4he von Gef\u00e4\u00dfen verliefen1).\nC. Sclimerzpunkte.\nI. Qualit\u00e4t und Intensit\u00e4t des Schmerzes auf verschiedenen\nHautpunkten.\nNach andauerndem Druckreize mit einem auf 169,5 mg tarirten Haare auf zwei Punkten von der Au\u00dfenseite des Oberarms ( V. K.\ni) a. a. O. S. 234.","page":465},{"file":"p0466.txt","language":"de","ocr_de":"466\nPaul Bader.\ns. Fig. 10) erfolgte stichartiger Schmerz, der nach Abheben des Haares in unverminderter St\u00e4rke eine Zeit lang anhielt, darauf an Intensit\u00e4t nach und nach einb\u00fc\u00dfte und verschwand. Mittels calorischer Reize wurden auf dem Daumenballen (S. 443) schon bei schwachen Applicationen von 26\u201431\u00b0 0. schwache Schmerzperceptionen von zerrender oder pressender Qualit\u00e4t beobachtet. Thunberg1) erw\u00e4hnt auch, dass Schmerz durch schwache W\u00e4rme hervorgerufen werden k\u00f6nne, woraus er folgert, dass man W\u00e4rme nicht als allgemein wirkendes Reizmittel ansehen k\u00f6nne. Donath gibt die niedrigste W\u00e4rmeschmerzschwelle auf 36,3\u00b0 0. an2). Goldscheider fand die W\u00e4rmeschmerzschwelle nicht unter 42,5\u00b0 C. und zwar an der Brustwarze und an den Augenlidern. Es kommt eben sehr darauf an, wie man die Qualit\u00e4t definirt. Der unangenehme Gef\u00fchlston entscheidet allein noch nichts, da er auch reine Temperatur- oder Druckempfindungen begleiten kann. Das Stechende, Zerrende und Pressende gewisser Sensationen ist das erste specifische qualitative Merkmal einer Schmerzempfindung. Aber pressenden Schmerz veranlassen auch hei\u00dfe Applicationen auf K\u00e4ltepunkten und thermische Reize von hoher Intensit\u00e4t auf allen Punkten der Hautoberfl\u00e4che. Es scheinen alle sensiblen Nerven f\u00fcr gewisse Reize schmerzempfindlich zu sein. Aus diesen allgemeinen und schwirrenden Schmerzempfindungen heben sich nun aber solche heraus, deren Reaction eine tr\u00e4ge ist, deren Perception allm\u00e4hlich an- und ahklingt, wie man gesagt hat, und, was das wichtigste iffc, einen continuirlichen Verlauf nimmt. Dergleichen Sensationen l\u00f6sen manchmal die schw\u00e4chsten Haardrucke (12 mg z. B.) auf gewissen distincten Hautpunkten aus. Selbst nach k\u00fcrzestem Reize eines solchen Schmerzpunktes sui generis tritt die Perception nach einer Pause mit oben beschriebenen Merkmalen ein. Dabei kann ein sehr unangenehmer Gef\u00fchlston die f\u00fcr einen Stich (mit einem Ere y\u2019sehen Haare) befremdliche continuirlich stechende Sensation begleiten.\nSobald in der Schmerzempfindung durch Erregung eines K\u00e4ltepunktes eine K\u00e4ltecomponente auftritt, verliert der Schmerz an Intensit\u00e4t, ja er kann durch \u00fcberwiegende K\u00e4ltesensation unterdr\u00fcckt\n\\ a. a. O. S. 423.\n2) Donath, Ueber die Grenzen des Temperatursinnes im gesunden und kranken Zustande. Archiv f. Psychiatrie. XY. S. 695.","page":466},{"file":"p0467.txt","language":"de","ocr_de":"Das Verh\u00e4ltniss der Hautempfindungen zu calorischen etc. Heizen. 467\nwerden. Die D\u00e4mpfung des Schmerzes durch Hinzutreten einer K\u00e4lteempfindung l\u00e4sst sich sowohl nach thermischen als auch nach mechanischen und faradischen Reizen constatiren. Boeri und di Sil -vestro1} erkl\u00e4rten, dass die Empfindlichkeit der Schmerznervenenden durch Abk\u00fchlung herabgesetzt werde. Es geschieht das, wie die Beobachtungen zeigen, nicht allein durch Abk\u00fchlung, sondern durch jede inad\u00e4quate Reizung k\u00e4ltepercipirender Organe. Rollett bemerkt, dass gewisse Schmerznerven eine Empfindung ausl\u00f6sen, die von uns gew\u00f6hnlich als K\u00e4lte gef\u00fchlt werde. Er meint sicher eine durch K\u00e4lte bet\u00e4ubte Schmerzperception.\nNimmt man f\u00fcr K\u00e4lteausl\u00f6sungen specifische Endorgane an, so befremdet es nicht, wenn dieselben jede beliebige Reizenergie in die specifische Empfindung umsetzen analog dem Sehnerven, der mit Lichtempfindung auch auf Druck reagirt. Wahrscheinlich ist es ferner, dass faradische, Stich- oder intensive Temperaturreize eine theils st\u00f6rende, theils zerst\u00f6rende Wirkung auf die davon betroffenen Organe aus\u00fcben. Wird nun ein K\u00e4ltenerv und sein Endorgan durch inad\u00e4quaten und intensiven Reiz afficirt, so wird sich der specifischen Sensation je nach der functionsst\u00f6renden Kraft des Reizes eine ver-schiedengradige Schmerzempfindung heimischen. Es mag jedoch das Quantum der Empfindung hoch oder niedrig stehen, sie ist stets durch einen unterbrochenen Verlauf charakterisirt, und das ist das Merkmal einer Allgemeinempfindung. Wenn man dagegen mit einem auf 19 mg tarirten Haare vorsichtig die Au\u00dfenseite des Unterarms untersucht, erscheinen Punkte, auf denen Schmerzsensationen von einer ganz eigenth\u00fcmlichen Qualit\u00e4t ausgel\u00f6st werden. Der Schmerz schwillt ohne Unterbrechung an, verliert stetig, nachdem er seine H\u00f6he erreicht hat, an Schw\u00e4che, verschwindet und tritt nach einem scheinbar leeren Intervall auch nach Wegfall des Reizes mit allm\u00e4hlich Avachsender Intensit\u00e4t wieder auf. So geAvinnt die Empfindung einen wellenartigen Charakter mit dem Merkmal der Stetigkeit. Hierbei kann das Maximum der zweiten Welle das der ersten \u00fcberragen, auch wenn der \u00e4u\u00dfere Reiz aufgeh\u00f6rt hat. Eine solche Schmerzempfindung sui generis unterscheidet sich von einer allgemeinen auch durch ihren Gef\u00fchlston. Trotzdem ein Druck von 19 mg kaum sp\u00fcr-\n1 Litteraturangabe bei Thunberg, a. a. O. S. 409.","page":467},{"file":"p0468.txt","language":"de","ocr_de":"468\nPaul Bader.\nbar erscheint, erreicht die Empfindung auf gewissen Punkten eine solche Intensit\u00e4t, dass die Versuchsperson beim ersten Male unwillk\u00fcrlich zuckt. Sodann wirkt die ununterbrochen stechende Qualit\u00e4t h\u00f6chst unangenehm. Man vermag eine intermittirende Schmerzempfindung selbst bei hoher Intensit\u00e4t eher zu ertragen als den conti-nuirlichen Schmerz nach einem distincten Haardrucke. Allerdings ist die Entdeckung der originellen Schmerzpunkte nicht so leicht. Vermuthlich muss man eine Fibrille, die sich in besonders exponirter Lage befindet, in ihrer Richtung treffen. Nach v. Frey, Rollett1) u. s. w. ist es wahrscheinlich, dass die frei in der Haut liegenden Endb\u00e4umchen des absteigenden Fortsatzes des Neurocyten des ersten sensiblen Neurons die Vermittler dieser eigenth\u00fcmlichen Empfindung sind; denn diese freien intraepithelialen Nervenenden (1866 von Cohnheim zuerst in der Hornhaut nachgewiesen) sind wie die Schmerzsensation \u00fcber den ganzen K\u00f6rper verbreitet.\nDie Reactionszeiten beider Schmerzempfindungen, sowohl der originellen wie der allgemeinen, sind sehr verschieden, im allgemeinen jedoch von relativ langer Dauer. Wenn alle sensiblen Nerven, von den specifischen Endorganen abgesehen, schmerzempfindlich sind, ist die Verschiedenheit erkl\u00e4rlich. Auf der Hautoberfl\u00e4che des Biceps (s. Fig. 2. V. D.) begannen die W\u00e4rmepunkte auf calorische Reize von 66\u00b0 C. warme Empfindungen auszul\u00f6sen, die schnell in hei\u00dfe, brennende, schmerzende Sensationen umschlugen. Die benachbarten, der Temperaturempfindung ermangelnden Punkte l\u00f6sten dieselbe Schmerzqualit\u00e4t sofort aus. Auf dem QI bez. K\u00e4ltepunkte erschien nach einem Reiz von 61\u00b0 C. Hitze der Schmerz erst nach geraumer Zeit und nach tieferem Eindr\u00fccke des Reizcylinders. Ebenso reagirte der in der Figur oberste rechte K\u00e4ltepunkt.\nII. Mechanische Reize auf analgetischen Hautpnnkten.\nKiesow und v. Frey zerst\u00f6rten die Meinung, dass jeder Hautpunkt je nach der Tiefe des ein dringenden Reizes schmerzhaft sei. Die in der Folge mitzutheilenden Ergebnisse f\u00fchren zu dem Resultate, dass mit Anwendung von distincten Reizen \u00fcberall in der Haut\na. a. O. S. 446.","page":468},{"file":"p0469.txt","language":"de","ocr_de":"Das Verh\u00e4ltniss der Hautempfmdungen zu calorischen etc. Reizen. 469\nanalgetische Punkte nachzuweisen sind, und dass es neben den disse-minirten Apparaten qualitativer Hautpunkte disseminirte L\u00fccken gibt.\n1.\tVersuch.\nAuf der Hautfl\u00e4che des Unterarms (Reizfeld s. S. 445 S. Fig. 8) wurde mit 152 mg Haardruck ein deutlicher Druckpunkt bestimmt und darauf die S. 450 beschriebene Nadel eingestochen, bis schmerzhafte Reaction eintrat. Das geschah erst, nachdem die Nadel 3 mm tief durch die Haut hindurch gesto\u00dfen worden war. Die Schmerz-perception war trotz des tiefen Stichs von schwacher Intensit\u00e4t; ihr schmerzausl\u00f6sendes Organ muss unter der Haut gesucht werden. Die Nadel wurde hierauf gleich einem Hebel aus ihrer senkrechten Lage gewendet und gedreht. Der Schmerz nahm verschiedene Grade an und blieb zu Zeiten aus, erreichte aber nie unertr\u00e4gliche Intensit\u00e4t. Beim kreisf\u00f6rmigen Bewegen der Spitze um den Stichcanal traten theilweise kalte Empfindungen auf.\n2.\tVersuch.\nZwei andere analgetische Druckpunkte sind in Fig. 4 (Reizfeld s. S. 441) dargestellt. Beide Punkte wurden durch 152 mg Haardruck ermittelt. Auf dem V bezeichneten stach die Nadel bis zur Schmerz-perception 2 mm tief. \u201cWegen der relativ langen Reactionszeit des Schmerzes erfolgte das Einstechen stets langsam. Der umringte Druckpunkt beantwortete den Stich mit W\u00e4rmesensation. Auf ihm l\u00f6ste der Reiz erst nach 2 mm tiefem Stich Schmerz aus.\n3.\tVersuch.\nAuf dem obersten Druckpunkte links im Reizfelde der Fig. 9 (S. 446) begleitete nur Druckempfindung den 2 mm tiefen Stich der Nadel. Erst nach einer Reiztiefe von 2,/2 mm wurde die Sensation schmerzhaft.\nDie Tiefe des Stichcanals wurde dadurch gemessen, dass die Nadel vor dem Reiz in Talg gestochen wurde, wodurch sie eine matte Oberfl\u00e4che bekam, die je nach der Tiefe des Stichs weggewischt wurde.","page":469},{"file":"p0470.txt","language":"de","ocr_de":"470\nPaul Bader.\nDie Versuche lassen erkennen, class eine Identit\u00e4t druck- und schmerzempfindlicher Nerven, wie sie Goldscheider f\u00fcr wahrscheinlich nimmt, nicht festgehalten werden kann. Man muss sie auch deswegen fallen lassen, weil sich sehr schmerzempfindliche Hautfl\u00e4chen gegen Druck indifferent verhalten. In Dig. 4 (Heizfl\u00e4che s. S. 441) ist ein kreuzweis schr\u00e4g schraffirtes Hautst\u00fcck bezeichnet, dessen An\u00e4sthesie durch Temperatur- und Druckreize dargethan wurde. Auf schwache Nadelstiche dagegen reagirte das Feld \u00e4u\u00dferst schmerzhaft. Schon auf 308 mg Haardruck l\u00f6ste ein Punkt in der Mitte der Fl\u00e4che Schmerz aus. Das reciproke Verh\u00e4ltniss zwischen Druck-und Schmerzempfindung beweisen auch Reize auf der Hautfl\u00e4che des R\u00fcckens. Die mit einem groben Localisationsverm\u00f6gen ausgestattete R\u00fcckenhaut (E. H. Weber) ist trotz ihres Mangels an Drucknerven reich an schmerzempfindlichen Punkten.\nAu\u00dfer der Analgesie der Druckpunkte f\u00fcr mechanische Reize stellt auch diejenige der Temperaturpunkte fest. Es wurden folgende Beobachtungen gemacht.\n4. Versuch.\nDie in Fig. 8 dargestellte Hautfl\u00e4che (s. S. 445) schien in Folge ihrer R\u00f6thung und Hyper\u00e4sthesie nach H\u00f6llenstein\u00e4tzung interessant f\u00fcr eine Untersuchung nach analgetischen Punkten zu sein. Der einem W\u00e4rmepunkte dicht anlagernde K\u00e4ltepunkt (unten rechts in der Figur) percipirte auf Stichapplication intensive K\u00e4lte. Nach 1 mm Reiztiefe begann heftiger Schmerz, der nach Aufh\u00f6ren des Reizes andauerte. Auf der fl\u00e4chenhaften Marke jedes Punktes lie\u00dfen sich distincte Punkte mit theils unertr\u00e4glich stechender, theils kaum merkbarer Schmerzintensit\u00e4t nachweisen. Oft beobachtete man auf der Marke (neben hyperalgetischen Punkten einen solchen, auf dem der Stich keine Spur von Schmerz ausl\u00f6ste. Auf ihm wurde die Nadel tiefer eingestochen. Der in der Figur unterste K\u00e4ltepunkt f\u00fchlte nach iy2 mm tiefem Stich schwachen Schmerz. M\u00e4\u00dfige K\u00e4lte begleitete die Empfindung. Wenn die eingestochene Nadel nach der k\u00e4lteempfindlichen Seite (in der Figur nach oben) gedreht wurde, verschwand der Schmerz. Nach Herausziehen der Nadel dauerte die schwache Schmerzsensation einige Secunden an, um dann von einer","page":470},{"file":"p0471.txt","language":"de","ocr_de":"Das Verh\u00e4ltniss der Hautempfindungen zu calorischen etc. Reizen. 471\nintensiv hei\u00dfen Empfindung abgel\u00f6st zu werden, die nach einiger Zeit wieder mit einer m\u00e4\u00dfig stechenden Empfindung wechselte. Auf dem 3 bez. K\u00e4ltepunkte verlief ein von deutlicher K\u00e4lte begleiteter Einstich bis \u00fcber 1 mm analgetisch. Auf dem doppelt umringten W\u00e4rmepunkte in der Nachbarschaft eines kalten l\u00f6ste ein Stichreiz anfangs k\u00fchle, darauf temperaturlose Druckempfindung aus. In gr\u00f6\u00dferer Tiefe erschien eine sehr hei\u00dfe Sensation, die sich zu heftigem Schmerze steigerte. Die Nadel war fast 2 mm eingedrungen. Nach dem Herausnehmen derselben lie\u00df der Schmerz nach; eine kalte Sensation trat ein, die sich \u00fcber ein breites Feld erstreckte.\nWarme und hei\u00dfe Empfindungen begleiteten einen 1 mm tiefen Stich auf dem. o bez. W\u00e4rmepunkte. Au\u00dferdem verlief ein 3 mm tiefer Reiz auf dem 9 bez. W\u00e4rmepunkte vollkommen schmerzlos; nur eine leise, warme Empfindung lief dem Reize parallel.\n5. Versuch.\nMit einer feinen Insectennadel wurde ein Hautst\u00fcck \u00fcber dem Biceps (linker Oberarm, 14 cm vom Ellbogen, s. Eig. 13) gereizt. Die Nadel drang auf dem in der Eigur durch ein stehendes Kreuz be-zeichneten Punkte 6y2 mm tief ein. Nur Druckempfindung, sogar mit angenehmem Gef\u00fchlstone verbunden, war das Resultat. Ganz dicht an der Oeifnung des Stichcanals lag ein hyperalgetischer Punkt, der schon auf schwache Applicationen reagirte. Daneben fand sich noch ein intensiver Schmerzpunkt. Beide Punkte waren beim Einstechen in das Spannungsfeld des entstandenen Hautkegels einbezirkt gewesen, ohne die Analgesie zu unterbrechen. Acht Tage nach dem ersten Versuche wurde der Stich auf dem analgetischen Punkte wiederholt. Das Ergehniss blieb dasselbe.\n6. Versuch.\nReizfeld : Au\u00dfenseite des rechten Oberarms, 7 cm von der Furche des Cubitalgelenks, s. Eig. 14. V. D.\nDurch vorsichtiges Abtasten der Fl\u00e4che mit der Nadelspitze wurden zwei Punkte ermittelt, die analgetische Eigenschaften aufwiesen. Die Analgesie dauerte in beiden Punkten an, als die Nade!","page":471},{"file":"p0472.txt","language":"de","ocr_de":"472\nPaul Bader.\n2 bez. 272 mm tief eindrang. Die Versuchsperson, die nat\u00fcrlich von deni Seize nichts sah, percipirte nur Druck ohne jegliche unangenehme Nebenempfindung, trotzdem der Sto\u00df der Nadel durch die Haut einen tiefen Kegel erzeugte. Die Untersuchung der Umgebung ergab ein ausgebreitetes Schmerzfeld mit intensiven Qualit\u00e4ten. Dicht am Stichcanale lagen hyperalgetische Punkte.\n7. Versuch.\nIn den letzten beiden Versuchen zeigten sich die analgetischen Stellen zugleich an\u00e4sthetisch f\u00fcr Temperatureinwirkungen. Einen auch f\u00fcr Druck, also f\u00fcr alle vier Tastqualit\u00e4ten unempfindlichen Hauptpunkt zu ermitteln, scheint schier unm\u00f6glich zu sein, da immer zugleich die durch Seize miterregte Umgebung strebt, sich mit ihren Qualit\u00e4ten, besonders mit Druck- und Spannungsempfindungen, einzumischen. Das best\u00e4tigte eine Beobachtung auf der Mitte der \u00e4u\u00dfersten Kr\u00fcmmung des linken Handballens (s. Eig. 15). Auf der Fl\u00e4che wurden mittels verschiedenwerthiger Druckhaare die Druckpunkte gesucht. Das am h\u00f6chsten tarirte Haar reizte mit 400 mg Druck. Darauf wurden m\u00e4\u00dfige Stichreize mit beschriebener feiner Stahlnadel auf beliebigen Punkten applicirt, Der in der Figur durch ein stehendes Kreuz gekennzeichnete Punkt erwies sich auf 400 mg Haardruck an\u00e4sthetisch, l\u00f6ste auf Stichreize keine Schmerzempfindung aus und verhielt sich indifferent gegen thermische Applicationen. Nach diesem Ergebniss stach ich die Nadel langsam 2 mm tief ein, was einen tiefen Hautkegel verursachte. Schwache Spannungsempfindungen waren die einzige Ausl\u00f6sung auf diesen Reiz. In der Umgebung erregten Stiche intensiven Schmerz.\nIm Anschl\u00fcsse hieran sei eine Beobachtung mitgetheilt, die den gefundenen analgetischen Punkten eigenth\u00fcmlich war, n\u00e4mlich dass aus dem Stichcanale kein Blut floss. Selten war eine w\u00e4sserige Fl\u00fcssigkeit nachzuweisen. Auch wiederholte Stiche lieferten kein anderes Resultat. Stach man auf einem erwiesenen Schmerzpunkte ein, so floss schon nach einem Stiche von geringer Tiefe schnell Blut aus. Es ist darum m\u00f6glich, dass viele schmerzpercipirende Nerven nahe an Blutgef\u00e4\u00dfen verlaufen. Dass aus zahlreichen Temperaturpunkten, nachdem in sie eingestochen war, kein Blut floss und","page":472},{"file":"p0473.txt","language":"de","ocr_de":"Das Verh\u00e4ltnis der Hautempfindungen zu calorischen etc. Reizen. 473\ntrotzdem neben der ad\u00e4quaten Empfindung Schmerz percipirt wurde, l\u00e4sst sich wohl dadurch erkl\u00e4ren, dass Temperaturnerven durch den Stich angegriffen und schmerzhaft erregt wurden; denn auf solche Reize l\u00f6sen alle sensiblen Nerven Schmerzperceptionen aus.\nMan k\u00f6nnte zu der Entdeckung analgetischer Hautpunkte durch genannte mechanische Reize meinen, dass die Analgesie vieler Funkte noch gar nicht erwiesen sei, da nach einem Stiche von 2, 3 und mehr Millimeter Tiefe im allgemeinen doch noch Schmerz percipirt worden sei, was nach der relativ langen Reactionszeit dieser Sensation nicht verwunderlich w\u00e4re. Der Einwurf wird durch die Art der Reizung haltlos; denn es trat der Schmerz stets in derselben Tiefe auf, wenn die Nadel wiederholt und in schnelleren oder langsameren St\u00f6\u00dfen als das erste Mal eingestochen wurde. Ferner erlosch der Schmerz beim Nachlassen des Druckes auf die Nadel oder beim Zur\u00fcckziehen derselben um eine Kleinigkeit. Verminderte man den Druck auf die eingestochene Nadel, so verringerte sich der Hautkegel, und nach Aufheben des Druckes kehrte die Haut verm\u00f6ge ihrer Elasticit\u00e4t in ihre fr\u00fchere Lage zur\u00fcck, die Nadel dagegen blieb in der Haut stecken, ohne schmerzhafte Empfindungen auf erw\u00e4hnten Hauptpunkten auszul\u00f6sen.\nIII. Algetische .und analgetische Empfindungen nach faradischen\nReizen.\nEin faradischer Strom von 2 bez. 4 Volt Spannung l\u00f6st auf zahlreichen Hautpunkten intensiven Schmerz, weniger h\u00e4ufig, aber deutlich Druck und K\u00e4lte, selten W\u00e4rme aus. Durch Anfeuchten der Haut wird in Folge des dadurch verringerten Widerstandes die Schmerzsensation vermindert. F\u00fcr die Untersuchung der Temperaturpunkte l\u00e4sst sich dies Verfahren jedoch wegen der auftretenden Verdunstungsk\u00e4lte trotz der Frey\u2019sehen Empfehlung nicht bef\u00fcrworten. Darum wurden die folgenden Versuche theils auf trockener, theils auf nasser Haut ausgef\u00fchrt.\n1. Versuch.\nInteressant verlief eine Reizung der Hautoberfl\u00e4che auf der Volarseite der Handwurzelknochen. Auf der an der Ulnarseite hervor-","page":473},{"file":"p0474.txt","language":"de","ocr_de":"474\nPaul Bader.\nragenden Stelle wurde ein Strom von 4 Volt Spannung applicirt und zwar aixf trockener Haut, so dass man den Funken \u00fcberspringen sah. Keine Spur von Schmerz wurde gef\u00fchlt. Auch nach Aufdr\u00fccken der Elektrode blieb die Stelle analgetisch. Das Resultat best\u00e4tigten vier Versuchspersonen. Sonst l\u00f6sten thermische und mechanische Reize alle Qualit\u00e4ten aus, Nadelstiche z. B. erregten Schmerz. Seiner Qualit\u00e4t nach schien derselbe eine Folge allgemeiner Nervenreize zu sein. Wenn auf genannter Reizfl\u00e4che die sensiblen Nerven in den tieferen Hautschichten endigen sollten, lie\u00dfe sich eine Analgesie der Oberfl\u00e4che auf elektrische Reize erkl\u00e4ren.\n2. Versuch.\nDerselbe Strom gleicher Spannung wurde auf der Volarseite des Unterarms auf die befeuchtete Hautoberfl\u00e4che in der N\u00e4he des Cu-bitalgelenks applicirt. Die Muskeln geriethen dadurch in einen sichtbaren Tetanus ohne Schmerzausl\u00f6sung. Auch der tiefe Eindruck der Elektrode erregte keinen Schmerz, v. Frey beschrieb eine \u00e4hnliche Erscheinung auf der von Kiesow1) entdeckten, sehr ausgedehnten analgetischen Stelle der Wange, und Mommsen bemerkt, dass der Muskelreflextonus auch bei An\u00e4sthesie der Haut bestehen bleibt und nicht abh\u00e4ngig ist von der Th\u00e4tigkeit sensibler Hautnerven2).\nBei der Schmerzausl\u00f6sung auf faradische Irritationen spielt der oberfl\u00e4chliche oder gegentheilige Verlauf der sensiblen Nerven in der Haut eine gro\u00dfe Rolle. Auf vielen gereizten Punkten konnte der Schmerz dadurch erstickt werden, dass man die Elektrode tiefer eindr\u00fcckte; an etlichen anderen Punkten war es gerade umgekehrt, durch Eindr\u00fccken der Elektrode wurde erst Schmerz erzeugt, der sicher im faradischen Reiz seine Ursache fand; denn die Unterbrechung des Stromes bei unvermindertem Druck der Nadel stillte den Schmerz, w\u00e4hrend er sich nach Schlie\u00dfung des Stromes wieder einstellte.\nWenn man mit der faradischen Application auf den Fingerspitzen\ni) Kiesow, Philos. Stud., IX. S. 512. v. Prey, a. a. O. 2. Mittheilung. 1894. S. 293.\n2) Litteraturangabe bei H. Ewald Hering, Pfl. Arch. Bd. 68. 1897. S. 25.","page":474},{"file":"p0475.txt","language":"de","ocr_de":"Das Verli\u00e4ltniss der Hautempfindungen zu oalorisohen etc. Reizen. 475\nbeginnt und successive nach der Yola der Hand und weiter nach der Hautoberfl\u00e4che des Unterarms reizt, merkt man deutlich eine starke Zunahme der schmerzhaften Empfindungen, sowohl ihrer Qualit\u00e4t als auch ihrer Intensit\u00e4t nach. Je mehr das Tastverm\u00f6gen an Feinheit verliert, desto mehr w\u00e4chst die Empfindlichkeit der schmerzperci-pirenden Apparate.\nI). Druckpunkte.\nZur Vollst\u00e4ndigkeit der Untersuchung galt es, einige Versuche \u00fcber die Beziehung der Druckpunkte zu den anderen Punktqualit\u00e4ten der Hautlund \u00fcber das Verh\u00e4ltniss der Druckempfindungen zu den verschiedensten Reizen anzustellen. Nur Weniges kann dar\u00fcber mit-getheilt werden, da die Untersuchungen noch nicht abgeschlossen sind.\nMit H\u00fclfe Frey\u2019scher Druckhaare findet sich eine gro\u00dfe Verschiedenheit der Reizschwellen der \u00fcber die ganze Hautfl\u00e4che dicht ausgestreuten Druckpunkte. Deren Schwellenempfindungen sind viel mehr abstufbar als diejenigen der Temperaturpunkte. Dazu erh\u00f6ht sich die Druckreizschwelle proportional der Spannung der Hautfl\u00e4che. Den erheblichen Einfluss der Hautspannung auf Druck- und Schmerzpunkte hat auch v. Frey nicht \u00fcbersehen1). Auf Handr\u00fccken und Hohlhand l\u00e4sst sich unzweifelhaft nachweisen, wie mit der Hautspannung der Hautwiderstand w\u00e4chst und dadurch der Reiz an Deutlichkeit und Begrenztheit verliert. Es ist diese Beobachtung zugleich ein Beweis daf\u00fcr, dass die Drucknerven ihre Enden nicht in die \u00e4u\u00dferste Hautschicht senden k\u00f6nnen.\nAuf Ausschaltung der Nervencompression ist gro\u00dfes Gewicht gelegt worden, da z. B. Ducceschi2) (allerdings an Froschpr\u00e4paraten) fand, dass ein Druck von 50 g gen\u00fcgt, um die Nervenleitung zu st\u00f6ren und zu unterbrechen, auch 15 g sollen in manchen F\u00e4llen von hemmender Wirkung sein.\nIn der N\u00e4he der Reizschwelle eines Druckpunktes hat man vor der Apperception einer deutlichen Empfindung gew\u00f6hnlich ein Kitzel-\n1)\ta. a. 0. 2. Mittheilung. 1894. S. 286.\n2)\tUeber die Wirkung engbegrenzter Nervencompression. Pfl. Arch. Bd. 78. 1899. S. 42.\nWundt, Philos. Studien. XVIII.\t31","page":475},{"file":"p0476.txt","language":"de","ocr_de":"476\nPaul Bader.\ngef\u00fchl, das schon durch h\u00e4ufige Wiederholung untermerklicher Reize ausgel\u00f6st werden kann. Die deutliche Sensation eines punktuell gereizten Druckpunktes besteht in einer k\u00f6rnigten (K\u00f6lliker) Empfindung, die auf nat\u00fcrliche Reize schwerlich zum Bewusstsein kommt, da selten so distincte Reize im allt\u00e4glichen Leben vorliegen, wie sie durch Frey\u2019sehe Druckhaare vermittelt werden, und noch seltener Druckpunkte dadurch bewusst getroffen werden. Die nat\u00fcrliche Reizung ist fl\u00e4chenhaft.\nGegen Temperaturreize verhalten sich Druckpunkte ganz indifferent. Wird auf ihnen W\u00e4rme oder K\u00e4lte ausgel\u00f6st, so ist das auch in ihrer Nachbarschaft der Fall und auf benachbarte Lagerung temperaturempfindlicher Apparate zur\u00fcckf\u00fchrbar. Vom Reizfelde der Eig. 3 (s. S. 441) wurden zwei deutliche Druckpunkte, die mit 159,5 mg Haardruck ermittelt worden waren, mit 40 und 49\u00b0 0. W\u00e4rme gereizt; die Punkte percipirten nur Druck.\nAuf der radialen Seite der Handwurzelfurche l\u00f6ste ein hei\u00dfer Reiz auf einem Druckpunkte erst nach 3\u20144\" eine warme Empfindung aus, w\u00e4hrend sie ein dicht anlagernder K\u00e4ltepunkt unmittelbar nach dem Reize percipirte.\nWas von dem Verh\u00e4ltnisse zwischen Temperatur- und Druckpunkten gilt, ist auch f\u00fcr Druck- und Schmerzpunkte g\u00fcltig. Noch ein Gegensatz ist bemerkenswerth. Man empfindet einen minimalen Druck eines Frey\u2019sehen Haares auf dem Handr\u00fccken oder in der Hohlhand viel eher, wenn die Hautspannung vermieden wird. Dagegen scheint f\u00fcr die Schmerzempfindlichkeit das Umgekehrte zu gelten, indem eine Erschlaffung der Hautoberfl\u00e4che die Schmerzunterschiedsschwelle erh\u00f6ht. Wenn aber die Hautspannung die Druckschwelle erh\u00f6ht, die Schmerzschwelle dagegen vermindert, so ist eine Identit\u00e4t druck- und schmerzpercipirender, specifischer Organe (nach Goldscheider) nicht wahrscheinlich. Glaubhafter dagegen erscheint die Frey\u2019sehe Hypothese, dass Mei\u00dfner\u2019sche Tastk\u00f6rperchen und die Nervenkn\u00e4uel der Haarwurzeln die druckempfindlichen, dagegen die freien epithelialen Nervenenden die schmerzvermittelnden Apparate darstellen1).\n\u00fc v. Frey, a. a. 0. 1. Abhandlung. Druckempfindung und Schmerz. Leipzig 1896. S. 257.","page":476},{"file":"p0477.txt","language":"de","ocr_de":"Das Yerh\u00e4ltniss der Hautempfindungen zu calorischen etc. Reizen. 477\nAm Schl\u00fcsse der Arbeit will ich nicht ermangeln, meinen hoch-gesch\u00e4tzten Mitarbeitern f\u00fcr ihre freundliche Unterst\u00fctzung, die sie mir drei Semester lang als Versuchspersonen bereitwilligst gewidmet haben, meinen innigsten Dank zu sagen, n\u00e4mlich den Herren Assistenten Dr. M\u00fcller, Privatdocent Dr. Wirth, Dr. D\u00fcrr und den Herren Quandt, Katzenellenbogen und Privatdocent Dr. Brahn.\n31*","page":477}],"identifier":"lit4501","issued":"1903","language":"de","pages":"437-477","startpages":"437","title":"Das Verh\u00e4ltniss der Hautempfindungen und ihrer nerv\u00f6sen Organe zu calorischen, mechanischen und faradischen Reizen","type":"Journal Article","volume":"18"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T12:35:52.449306+00:00"}