Open Access
{"created":"2022-01-31T14:25:53.217872+00:00","id":"lit4503","links":{},"metadata":{"alternative":"Philosophische Studien","contributors":[{"name":"Hartmann, Eduard von","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Philosophische Studien 18: 505-513","fulltext":[{"file":"p0505.txt","language":"de","ocr_de":"Die Finalit\u00e4t in ihrem Verh\u00e4ltniss zur Causalit\u00e4t.\nVon\nEduard von Hartmann.\nEdmund K\u00f6nig hat im XIX. Bande der \u00bbPhilosophischen Studien\u00ab S. 418\u2014458 zu beweisen gesucht, \u2022 dass die Finalit\u00e4t eine rein metaphysische und psychologische Kategorie sei, die nur hinter, aber nicht neben der Causalit\u00e4t ihren Platz habe und in der Naturbe-trachtung nur insoweit legitimirt sei, als die causalen Naturgesetze von einer metaphysischen Finalit\u00e4t abgeleitet werden (S. 451\u2014452). So sehr ich nun damit einverstanden hin, dass die Finalit\u00e4t die h\u00f6here Kategorie von beiden ist, so kann ich doch der Ausschlie\u00dfung der Finalit\u00e4tskategorie aus der Naturseite der Erscheinungswelt nicht zustimmen. Der Gegenstand scheint wichtig genug, um die K\u00f6nig-schen Argumente gegen die Coordination von Finalit\u00e4t und Causalit\u00e4t in der Natur einer Nachpr\u00fcfung zu unterziehen. Es sind haupts\u00e4chlich folgende.\n1.\tFinalit\u00e4t vollzieht sich nur mittelbar in einer Keihe von Ver\u00e4nderungen, Causalit\u00e4t zwischen zwei unmittelbaraufeinander folgenden Ver\u00e4nderungen (S. 444).\n2.\tFinalit\u00e4t und Causalit\u00e4t sind nur dadurch zu coordiniren, dass man beide unter Abstraction von der Zeit auf das Schema zeitloser logischer Determination zur\u00fcckf\u00fchrt, womit aber beide gleichm\u00e4\u00dfig aufgehoben werden und nur ein Drittes, die logische Abh\u00e4ngigkeit, \u00fcbrig gelassen wird (S. 426).\n3.\tVon einem immanenten \u00bbStreben\u00ab nach einem Zweck ist in den Naturprocessen objectiv nichts zu bemerken; die Finalit\u00e4t ist nur eine Deutung des Vorganges (S. 437).","page":505},{"file":"p0506.txt","language":"de","ocr_de":"506\nEduard von Hartmann.\n4.\tFinalit\u00e4t ist nur Willenshandlungen beizulegen, und sie schlie\u00dft damit einen hypothetischen Factor mehr ein als die Oausalit\u00e4t (S. 429).\n5.\tDie Finalit\u00e4t ist nicht ein nothwendiger Gedanke, der sich nns aufzwingt, sondern blo\u00df eine Hypothese (8. 433, 435).\n6.\tDie Finalit\u00e4t ist von bewussten Vorg\u00e4ngen abgeleitet; diese bewusste Finalit\u00e4t braucht zwar unbewusste Zwischenglieder, aber das berechtigt nicht dazu, von unbewusster Finalit\u00e4t zu sprechen (S. 420\u2014424, 429).\n7.\tSelbst in einer unbewussten Finalit\u00e4t w\u00fcrden beide unmittelbar verbundenen Glieder disparaten Gebieten angeh\u00f6ren (S. 429).\n8.\tNeben der Oausalit\u00e4t der unorganischen Naturgesetze ist in der Natur kein Platz f\u00fcr Kr\u00e4fte, die eine h\u00f6h\u00ab|e Finalit\u00e4t verwirklichen sollten (S. 439\u2014443).\n9.\tFinalit\u00e4t hat nur regulative, keine constitutive G\u00fcltigkeit in der Natur (S. 446).\n10.\tEine sch\u00f6pferische Beth\u00e4tigung des transcendenten Weltgrundes w\u00e4re unvereinbar mit dem Causalgesetz, das nur ph\u00e4nomenale Ursachen zul\u00e4sst (S. 4o0, 453).\nDiese zehn Punkte sind der Reihe nach zu betrachten.\n1.\tSowohl die Finalit\u00e4t als auch die Oausalit\u00e4t k\u00f6nnen wir nur auf Ver\u00e4nderungen anwenden, die durch Zwischenglieder mit einander verkn\u00fcpft sind; denn unmittelbar auf einander folgende Ver\u00e4nderungen, die nur durch ein Zeitdifferential getrennt sind, entziehen sich unserer Beobachtung. K\u00f6nnten wir sie wahrnehmen, so w\u00fcrde uns nichts hindern, beide Kategorien in gleicher Weise auf sie anzuwenden.\n2.\tEine unzeitliche logische Abh\u00e4ngigkeit ist weder Finalit\u00e4t noch Oausalit\u00e4t; eine zeitliche logische Determination ist sowohl Finalit\u00e4t, als auch Oausalit\u00e4t. Der Panlogismus kann die Zeitlichkeit der logischen Determination nicht erkl\u00e4ren, weil die Zeitlichkeit nichts Logisches ist; der Panthelismus oder universelle Voluntarismus, den K\u00f6nig vertritt (S. 456), muss die rein logische Abh\u00e4ngigkeit durch den universellen Willen zu einer realen werden lassen und bringt durch die Willensth\u00e4tigkeit ganz von selbst die Zeitlichkeit mit in sie hinein.\n3.\tVon einer immanenten Zweckth\u00e4tigkeit ist in den objectiven Naturvorg\u00e4ngen ebensowenig etwas zu bemerken wie von causa 1er","page":506},{"file":"p0507.txt","language":"de","ocr_de":"Die Finalit\u00e4t in ihrem Verh\u00e4ltniss zur Causalit\u00e4t.\t507\nVerkn\u00fcpfung; beides sind in genau gleichem Sinne blo\u00dfe Deutungen, die als subjective Zuthaten hineingelegt werden, um sich die Vorg\u00e4nge' verst\u00e4ndlich zu machen und sich in der Natur zu orientiren.\n4.\tWenn die Finalit\u00e4t nur Willenshandlungen beizulegen ist, die in der Natur nur hypothetische Factoren sind, so gilt doch das n\u00e4mliche auch von der Causalit\u00e4t. Ohne vorausgesetzte Willenshandlungen in der Natur, ohne eine dynamische, d. h. voluntarische Deutung der Naturvorg\u00e4nge k\u00e4me die Causalit\u00e4t ebenso wenig wie die Finalit\u00e4t \u00fcber eine unreale, blo\u00df logisch-ideelle, unzeitliche Abh\u00e4ngigkeit hinaus, ohne zu dem zu werden, wodurch sie sich von dieser unterscheiden soll. Die Finalit\u00e4t enth\u00e4lt also nicht einen hypothetischen Factor mehr als die Causalit\u00e4t.\n5.\tHypothetisch ist, ob im gegebenen Einzelfall ein finaler, beziehungsweise ein causaler Zusammenhang zwischen zwei Ver\u00e4nderungen besteht, ob dies oder jenes Zweck, beziehungsweise Ursache einer bestimmten Ver\u00e4nderung ist, hypothetisch, ob die Finalit\u00e4t, beziehungsweise die Causalit\u00e4t \u00fcberhaupt einen wirklichen Zusammenhang darstellt oder eine blo\u00dfe subjective Einbildung ist, hypothetisch, ob das Finalgesetz, beziehungsweise das Causalgesetz, ein unverbr\u00fcchliches, ausnahmsloses Naturgesetz ist, da beide doch nur durch l\u00fcckenhafte Inductionen erschlossen sind. Nicht hypothetisch, sondern ein logischer Denkzwang ist hingegen das instinctive Auftauchen der finalen, beziehungsweise causalen Verkn\u00fcpfungsweise, um sie versuchsweise auf gegebene Ver\u00e4nderungen anzuwenden, ferner die Ableitung eines Wahrscheinlichkeitscoefficienten aus den gegebenen Voraussetzungen und endlich die Ueberzeugung, dass die Hypothese einer reell bestehenden finalen, beziehungsweise causalen Verkn\u00fcpfung im gegebenen Fall die Wahrscheinlichkeit habe, welche der a priori abgeleitete Wahrscheinlichkeitscoefficient angibt. Der apriorische Denkzwang aller Kategorien und Denkgesetze kann niemals ein apriorisches Urtheil von apodiktischer Gewissheit \u00fcber reale Verh\u00e4ltnisse liefern, sondern nur Gewissheit \u00fcber die formale Richtigkeit formaler Gedankenverkn\u00fcpfungen und \u00fcber die Richtigkeit eines reellen f\u00fcr wahrscheinlich Haltens. Der Grad der realen Wahrscheinlichkeit w\u00e4chst mit dem unter logischer N\u00f6thigung abgeleiteten Wahr-scheinlichkeitscoefficienten nach Ma\u00dfgabe der Daten, kann aber niemals, weder f\u00fcr einen Einzelfall noch f\u00fcr die G\u00fcltigkeit des Final-\nWundt, Philos. Studien. XVIII.\t33","page":507},{"file":"p0508.txt","language":"de","ocr_de":"508\nEduard von Hartmann.\nund Oausalgesetzes \u00fcberhaupt, die Gewissheit erreichen. Auch hierin stehen Finalit\u00e4t und Causalit\u00e4t einander v\u00f6llig gleich.\n6.\tWenn hei der mittelbaren Causalit\u00e4t das Verh\u00e4ltniss zwischen jedem Gliede und einem Zwischengliede als causales gedeutet wird, so muss auch bei der mittelbaren Finalit\u00e4t das Verh\u00e4ltniss zwischen jedem der Glieder zu einem Zwischengliede als ein finales Verh\u00e4ltniss gedeutet werden. Wenn nun zugestanden wird, dass die sogenannte bewusste Finalit\u00e4t eine mittelbare Finalit\u00e4t ist, die durch mindestens ein unbewusstes Zwischenglied vermittelt ist, so muss auch das Verh\u00e4ltniss ihrer Glieder zu dem Zwischengliede final gedeutet werden. Das Gleiche gilt f\u00fcr mehrere unbewusste Zwischenglieder; sie m\u00fcssen in finaler Verkn\u00fcpfung mit einander stehen, wenn nicht die finale Verkn\u00fcpfung des Anfangs- und Endgliedes zur blo\u00dfen Einbildung herabgesetzt werden soll. Die \u00fcebertragung der finalen Verkn\u00fcpfung auf unbewusste Glieder ist unvermeidlich, wenn nicht die mittelbare finale Verkn\u00fcpfung des Anfangs- und Endgliedes durchschnitten werden und ihrer Vermittelung beraubt werden soll. Sie ist es auch unter dem andern Gesichtspunkt, dass dieselben Glieder einer Finalreihe bald bewusst, bald unbewusst sein k\u00f6nnen1).\n7.\tDass selbst in einer unbewussten Finalit\u00e4t beide unmittelbar verbundenen Glieder noch disparaten Gebieten angeh\u00f6ren w\u00fcrden, l\u00e4sst sich nur behaupten, wenn man entweder an relativ unbewusste psychische Ph\u00e4nomene statt an absolut unbewusste psychische Th\u00e4tig-keiten (Willensacte) denkt, oder wenn man absolut unbewusste Willensacte und physische Kraft\u00e4u\u00dferungen materiebildender Kr\u00e4fte als disparate Gebiete betrachtet. Ich kann nur die bewusste psychische Erscheinung und die absolut unbewusste Willensth\u00e4tigkeit als disparaten Gebieten, als verschiedenen Sph\u00e4ren der Erscheinungswelt zugeh\u00f6rig ansehen, meine dagegen, dass unbewusste Innervationsimpulse des Willens und physische Kr\u00e4fte demselben Gebiete, der Sph\u00e4re der Natur oder objectiv realen Erscheinung angeh\u00f6ren. Die Finalit\u00e4t als unbewusste entspricht der isotropen Causalit\u00e4t innerhalb derselben Erscheinungsspli\u00e4re; die Finalit\u00e4t mit bewussten Gliedern entspricht der allotropen Causalit\u00e4t, die von einer Erscheinungssph\u00e4re in die\nl) Vgl. meine \u00bbKategorienlehre\u00ab. Leipzig 1896, S. 454.","page":508},{"file":"p0509.txt","language":"de","ocr_de":"Die Finalit\u00e4t in ihrem Verh\u00e4ltniss zur Causalit\u00e4t.\t509\nandere iibergreift1). Auch hier ist also der Parallelismus zwischen der Tragweite der Finalit\u00e4t und der der Causalit\u00e4t ein vollst\u00e4ndiger, freilich nur, wenn man im Bereiche der Causalit\u00e4t auch die allotrope anerkennt. Ohne allotrope Causalit\u00e4t ist aber eine reale Einwirkung des Menschengeistes auf die Natur und damit auf andere Menschengeister unm\u00f6glich; nur durch sie, nicht durch eine blo\u00df metaphysische Finalit\u00e4t als Quelle f\u00fcr die Beschaffenheit der anorganischen Naturgesetze, ist die \u00bbAutomatentheorie\u00ab sammt ihren wirkungsunf\u00e4higen psychischen Begleiterscheinungen zu \u00fcberwinden. Denn ohne die allotrope Causalit\u00e4t sinkt die bewusstpsychische Causalit\u00e4t des Menschen auf die Natur und die anderen Menschengeister zur Illusion herab, und mit der bewusstpsychischen Causalit\u00e4t geht auch die Grundlage verloren, von der aus die Finalbeziehung auf unbewusste Vorg\u00e4nge \u00fcbertragen werden kann.\n8. Mit Hecht betont K\u00f6nig, dass Elemente durch ihr blo\u00dfes Zusammensein keine neuen Kr\u00e4fte gewinnen k\u00f6nnen, dass vielmehr die aus ihrem geordneten Zusammensein entspringenden Kraftwirkungen nur secund\u00e4re Combinationsresultate und ihre Gesetze nur secund\u00e4re Combinationsgesetze sein k\u00f6nnen (S. 439, 441). Alle diejenigen zweckm\u00e4\u00dfigen Keactionen, welche allein aus einem geordneten Zusammensein unorganischer Elemente entspringen, machen nur die \u00bbstatische Teleologie\u00ab offenbar, die in der Ordnung der Elemente, in der physikochemischen und anatomischen Structur liegt. Sie f\u00fchren \u00fcber eine \u00bbpassive Angepasstheit\u00ab des Baus und eine auf sie gest\u00fctzte \u00bbMaschinentheorie des Lebens\u00ab nicht hinaus (Beinke\u2019s \u00bbArbeitsdominanten\u00ab). Ob die Entstehung dieser Structuren auf rein mechanische Processe mit oder ohne den Hintergrund einer metaphysischen Teleologie oder auf Zusammenwirken physikochemischer und vitaler Kr\u00e4fte zur\u00fcckzuf\u00fchren ist, hleibt dabei zun\u00e4chst offene Frage. Diese Frage ist aber nicht dadurch zu entscheiden, dass durch einen Machtspruch alle Wirkungen am Organismus f\u00fcr Resultanten oder Combinationen unorganischer Elementarwirkungen erkl\u00e4rt werden. (S. 439). Die Zuwachse an passiver Angepasstheit k\u00f6nnen vielleicht durch mechanische Processe ohne immanente Finalit\u00e4t, vielleicht aber auch nur\ni) Ygl. meine Aufs\u00e4tze \u00bbDie allotrope Causalit\u00e4t\u00ab im Archiv f\u00fcr syst. Phil., Y, Hft. 1, S. 1\u201424 und \u00bbDie psychophysische Causalit\u00e4t\u00ab in der Zeitschrift f\u00fcr Phil. u. phil. Kritik CXXII, Hft. 1, S. 1-19.\n33*","page":509},{"file":"p0510.txt","language":"de","ocr_de":"510\nEduard von Hartmann.\ndurch \u00bbactive Anpassung\u00ab durch \u00bbdynamische Teleologie\u00ab mit h\u00f6herer organischer Gesetzlichkeit (\u00bbAutonomie der Lehensvorg\u00e4nge\u00ab), durch vitale Kr\u00e4fte (Reinke\u2019s \u00bbGestaltungsdominanten\u00ab) entstehen. Dar\u00fcber schwebt in den biologischen Wissenschaften noch immer der Streit; aber mehr und mehr ihrer Vertreter beginnen sich darauf zu besinnen, dass es einer beschr\u00e4nkten Wissenschaft auch geziemt, sich ihrer Grenzen bewusst zu bleiben und nicht jenseits derselben negative Urtheile als fachwissenschaftlich beglaubigte zu f\u00e4llen. Hier handelt es sich nur darum festzustellen, dass aus der Unver\u00e4nderlichkeit der materiellen Elemente und ihrer Gesetze keineswegs die Unm\u00f6glichkeit der Betheiligung h\u00f6herer Kr\u00e4fte mit eigener Gesetzlichkeit gefolgert werden kann, wie K\u00f6nig behauptet (S. 443). Wenn man Superposition einer anorganischen Kraftwirkung \u00fcber eine andere als St\u00f6rung, Einschr\u00e4nkung oder Suspension der Gesetzlichkeit der zweiten durch die der ersten bezeichnen will, dann ist die ganze unorganische Natur voll von solchen St\u00f6rungen. Will man auf sie diese Begriffe nicht anwenden, so f\u00e4llt auch das Recht fort, sie auf die Superposition etwaiger vitaler Kraftwirkungen \u00fcber unorganische anzuwenden. Nicht nur in der h\u00f6heren Gesetzlichkeit solcher vitaler Kr\u00e4fte ist die Causalit\u00e4t von Finalit\u00e4t durchdrungen, sondern schon in derjenigen der unorganischen Elemente (Uratome). Die Zwecke der Individualwillen niederster Ordnung sind nur so viel einfacher und tiefer stehend als die der Individualwillen h\u00f6herer Ordnungen, wie die Gesetzlichkeit der ersteren einfacher und tiefer stehend als die der letzteren ist. Nur die Gesetzlichkeit der ersteren l\u00e4sst sich mathematisch formuliren, weil sie sich auf Centralkr\u00e4fte mit Potential bezieht, die der letzteren nicht, weil sie sich auf nicht centrirte Kr\u00e4fte ohne Potential bezieht, die deshalb auch nicht wie jene ersteren die Erscheinung der Materie hervorbringen. Wie die Individuen der verschiedenen Stufen nur individualisirte Theilth\u00e4tigkeiten der universellen Willensth\u00e4tigkeit sind, so sind auch die Individualzwecke der verschiedenen Individuationsstufen nur individualisirte Theilzwecke der universellen Finalit\u00e4t. Wir \u00fcbersehen nur bei den niederen Stufen leichter \u00fcber der Seite der causalen Gesetzlichkeit die Seite der Finalit\u00e4t, weil uns die Zwecke zu niedrig scheinen, bei den h\u00f6heren Stufen leichter \u00fcber der Finalit\u00e4t die causale Gesetzlichkeit, weil sie unserm Verst\u00e4ndnis zu complicirt ist.","page":510},{"file":"p0511.txt","language":"de","ocr_de":"Die Finalit\u00e4t in ihrem Verh\u00e4ltniss zur Causalit\u00e4t.\t511\n9.\tJede Kategorie hat regulative und constitutive Bedeutung zugleich, n\u00e4mlich zuerst regulative in Bezug auf den ihr gegebenen Stoff, den sie erst formen soll, hernach constitutive in Bezug auf das Vorstellungsgebilde, das sie aus jenem Stoff geformt hat. In Bezug auf den urspr\u00fcnglichen Bewusstseinsinhalt, das Empfindungschaos, haben alle Kategorien der Anschauung und des Denkens nur regulative G\u00fcltigkeit, die Kategorien des Empfindens dagegen (Qualit\u00e4t, Intensit\u00e4t, Zeitlichkeit) bereits constitutive. Versteht man unter Erfahrung diesen urspr\u00fcnglichen Bewusstseinsinhalt, so hat f\u00fcr sie die Causalit\u00e4t ebenso blo\u00df regulative G\u00fcltigkeit wie die Finalit\u00e4t. Versteht man dagegen unter Erfahrung das fertige empirische Weltbild, wie es unter der instinctiven Mitwirkung der Kategorialfunctionen zu Stande gekommen ist, so hat f\u00fcr sie die Finalit\u00e4t ebenso gut constitutive G\u00fcltigkeit wie die Causalit\u00e4t. Es war ganz willk\u00fcrlich von Kant, den Begriff der Erfahrung so zu bestimmen, dass die Kategorie der Causalit\u00e4t an seiner Constituirung bereits mit betheiligt gewesen sein sollte, die der Finalit\u00e4t aber nicht. Beide lassen sich wohl in der Abstraction trennen, aber nicht in dem instinctiven Aufbau des empirischen Weltbildes. So wenig wir die Finalit\u00e4t zwischen erfahrungsm\u00e4\u00dfig gegebenen Gliedern zu denken verm\u00f6gen, ohne die Causalit\u00e4t zwischen ihnen mitzudenken, ebenso wenig w\u00e4ren wir jemals dazu gelangt, die Causalit\u00e4t zu denken, wenn wir nicht die eigene Finalit\u00e4t dabei als St\u00fctzpunkt h\u00e4tten mitbenutzen k\u00f6nnen. Die Unterscheidung und Sonderung regulativer und constitutive!- G\u00fcltigkeit d\u00fcrfte in allen ihren Anwendungen einer der schw\u00e4chsten Punkte der Kant\u2019schen Philosophie sein1).\n10.\tZugegeben, dass der Begriff der Causalit\u00e4t auf die Beziehungen zwischen Ver\u00e4nderungen, die beiderseits in der Erscheinungswelt liegen, beschr\u00e4nkt bleiben muss, so ist doch nicht zuzugeben, dass eine sch\u00f6pferische Action des absoluten Weltgrundes, wenn eine solche eintritt, nicht auch der Erscheinungswelt angeh\u00f6rt. Mag der sch\u00f6pferische Weltgrund als solcher metaphysisch transcendent sein, \u2014 sobald er eine Th\u00e4tigkeit entfaltet, die auf die Erscheinungswelt gerichtet ist und in ihr Ver\u00e4nderungen hervorbringt, so ist diese Th\u00e4-\n*) Vgl. meine Schrift \u00bb Kant\u2019s Erkenntnisstheorie und Metaphysik in den vier Perioden ihrer Entwicklung. Leipzig 1894, S. 81, 190\u2014191, 230\u2014232, 239, 247 bis 248. Ferner \u00bbGeschichte der Metaphysik\u00ab, II, Leipzig 1900, S. 38\u201439.","page":511},{"file":"p0512.txt","language":"de","ocr_de":"512\nEduard von Hartmann.\ntigkeit eo ipso metaphysisch immanent und ein integrirender Bestandteil der Erscheinungswelt. Unter dem Gesichtspunkt des universellen Voluntarismus sind alle materiellen Kr\u00e4fte genau in demselben Sinne Theile der universellen Willensth\u00e4tigkeit wie die etwaigen vitalen dynamischen Functionen, und beide wirken nach Naturgesetzen, die freilich so verschieden sind wie ihre Individuationsstufen und ihre Individualzwecke innerhalb der universellen Finalit\u00e4t. Ein \u00bbWunder\u00ab w\u00e4re nur der Eintritt einer solchen Action in den Zusammenhang der \u00fcbrigen Actionen des absoluten Weltgrundes, welche die logische Einheit und Gesetzlichkeit der universellen Finalcausalit\u00e4t durchbr\u00e4che und aus deren K\u00e4hmen herausfiele, aber nicht eine solche, die sich mit ihrer Gesetzlichkeit in sie eingliedert und aus dem Universalzweck heraus logisch determinirt ist. \u2014\nNach diesen Ausf\u00fchrungen d\u00fcrften die Bedenken und Einw\u00e4nde K\u00f6nig\u2019s gegen die G\u00fcltigkeit der Finalit\u00e4t im Gebiete der Natur nicht stichhaltig scheinen. Wenn die Finalit\u00e4t \u00fcberhaupt irgendwie G\u00fcltigkeit haben soll, so muss sie auch im Gebiete der Natur gelten; denn die bewusste Finalit\u00e4t hat nur dann eine reale Bedeutung, wenn sie als eine aus dem bewusstpsychischen Gebiet in das der Natur \u00fcbergreifende gedacht wird. Eine Finalit\u00e4t, die sich blo\u00df im Gebiete des Bewusstseinsinhalts oder der subjectiv-idealen Erscheinung hielte, ist ebenso unm\u00f6glich wie eine Causalit\u00e4t in dieser Beschr\u00e4nkung1). Wie die Hypothesen einer unbewussten und einer metaphysischen Finalit\u00e4t erst aus der bewussten Finalit\u00e4t herausgesponnen sind und mit dieser ihre Grundlage verlieren, so sinkt die bewusste Finalit\u00e4t zur Illusion herab, wenn sie auf das bewusstpsychische Gebiet eingeschr\u00e4nkt und ihr Uebergreifen in die Natur geleugnet wird. Finalit\u00e4t und Causalit\u00e4t sind auch im Reiche der Natur (in der Sph\u00e4re der objectiv-realen Erscheinung) gleichberechtigte und coordinirte Kategorien, die in der Wirklichkeit immer verbunden sind und nur durch die abstrahirende Th\u00e4tigkeit des bewussten Denkens von einander gesondert werden k\u00f6nnen.\nDie Arbeitstheilung der Wissenschaften bringt es mit sich, dass die Naturwissenschaften sich nur die Erforschung der causalen Beziehungen zum Ziel gesteckt haben. Die teleologische Betrachtungs-\n1) Vg]. meine \u00bbKategorienlehre\u00ab S. 439\u2014442, 367\u2014374.","page":512},{"file":"p0513.txt","language":"de","ocr_de":"Die Finalit\u00e4t in ihrem Verh\u00e4ltniss zur Causalit\u00e4t.\n513\nweise kann anerkannterma\u00dfen bei vorsichtiger kritischer Anwendung auch in ihnen von bedeutendem heuristischem Werthe f\u00fcr die causale Erforschung sein, wenngleich sie hei unkritischer Verwendung zu voreiligen Vermuthungen verleiten kann. Aber die causale Naturbetrachtung der Naturwissenschaften allein w\u00fcrde ein durchaus einseitiges und unvollst\u00e4ndiges Bild der Natur gehen, wenn sie nicht durch eine finale Naturbetrachtung erg\u00e4nzt w\u00fcrde, wie jeder Mensch sie instinctiv und die Naturphilosophie sie mit Bewusstsein \u00fcbt. Insofern der Naturforscher nebenbei auch Mensch und als Mensch mehr oder weniger Philosoph ist, kann auch er sich der finalen Naturhetrachtung gar nicht entziehen, obwohl sie ihm als Naturforscher nicht Ziel, sondern h\u00f6chstens heuristisches Mittel sein darf. Nur wer sich dem Irrthum hingibt, als ob die naturwissenschaftliche Naturbetrachtung die einzige und ersch\u00f6pfende sei, kann auf den Gedanken kommen, der Finalit\u00e4t jede kategoriale Bedeutung f\u00fcr die Natur \u00fcberhaupt darum absprechen zu wollen, weil ihre Erforschung nicht das Ziel der Naturwissenschaften ist.","page":513}],"identifier":"lit4503","issued":"1903","language":"de","pages":"505-513","startpages":"505","title":"Die Finalit\u00e4t in ihrem Verh\u00e4ltniss zur Causalit\u00e4t","type":"Journal Article","volume":"18"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:25:53.217877+00:00"}