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{"created":"2022-01-31T14:23:43.698402+00:00","id":"lit4513","links":{},"metadata":{"alternative":"Philosophische Studien","contributors":[{"name":"Marbe, Karl","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Philosophische Studien 14: 376-401","fulltext":[{"file":"p0376.txt","language":"de","ocr_de":"Die stroboskopischen Erscheinungen.\nVon\nKarl Marbe.\nHistorisches.\nIm Jahre 1825 hat lieget1) eine \u00bboptische T\u00e4uschung\u00ab mit-getheilt, der zufolge die Speichen eines auf dem Boden fortrollenden Wagenrades ruhend und gekr\u00fcmmt erscheinen, wenn das Rad durch eine Reihe vertical stehender St\u00e4be betrachtet wird. Dasselbe Ph\u00e4nomen tritt auch ein, wenn das Rad sich nur um seine Achse dreht, die St\u00e4be sich aber in horizontaler Richtung fortbewegen. Roget gibt eine richtige Erkl\u00e4rung dieser Thatsachen. Sie r\u00fchren daher, dass (abgesehen von denjenigen Speichen, die gerade den St\u00e4ben parallel sind), in jedem Zeitelement nur Bruchst\u00fccke der Speichen ihr Licht auf die Netzhaut werfen. Diese Bruchst\u00fccke beleuchten, wenn das Auge einen festen Punkt innerhalb der Radperipherie fixirt, immer dieselben Orte der Retina und bilden, wie Roget eingehend darlegt, Curven. Hieraus und aus den Thatsachen der inter-mittirenden Gesichtsreize ist es einleuchtend, dass wir bei einer gewissen Geschwindigkeit der Bewegung, statt gerader und bewegter, krumme und ruhende Speichen sehen2).\n1)\tPhilosophical Transactions 1825. S. 131 ff., deutsch von Poggendorff in dessen Annalen Bd. V (der ganzen Folge einundachtzigstem), S. 93 ff.\n2)\tDieselbe T\u00e4uschung hat schon im Jahre 1821 der Herausgeber des Quarterly Journal of Sciences and Arts aus einem an ihn gerichteten Brief eines gewissen J. M. kurz mitgetheilt, ohne jedoch eine Erkl\u00e4rung derselben zu geben (vergl. a. a. O. Bd. X. S. 282 f.j.","page":376},{"file":"p0377.txt","language":"de","ocr_de":"Die stroboskopischen Erscheinungen.\n377\nIm Jahre 1829 hat Plateau1) in einer umfangreichen Arbeit eine Reihe von Thatsachen behandelt, die mit dem Talbot\u2019schen Gesetz aufs engste Zusammenh\u00e4ngen. Bei dieser Gelegenheit theilt er einige Beobachtungen mit, die er zwar schon vor dem Erscheinen der Roget\u2019schen Arbeit gemacht hatte, auf die er aber erst nach demselben Werth zu legen begann. Wenn man ein Rad, sagt Plateau, welches mit Z\u00e4hnen versehen ist, die zur Ebene des Rades senkrecht stehen, in eine solche Lage zum Auge bringt, dass die eine H\u00e4lfte der Z\u00e4hne durch die andere verdeckt wird, so erblickt man, wenn das Rad rotirt, eine ganze Reihe unbewegter Z\u00e4hne. Wenn sich ferner zwei R\u00e4der hinter einander mit betr\u00e4chtlicher Geschwindigkeit, aber in entgegengesetzter Richtung um eine und dieselbe Achse drehen, so erblickt man, wenn man das eine Rad durch das andere betrachtet, ein Rad mit unbewegten Speichen. Drehen sich die R\u00e4der um verschiedene Achsen, so bilden die ruhig gesehenen Z\u00e4hne Ourven.\nEs ist klar, dass diese Beobachtungen auf ganz demselben Princip beruhen, wie die von Roget mitgetheilte: An einem und demselben Orte der Netzhaut erscheinen in kurzen regelm\u00e4\u00dfigen Intervallen dieselben Reize (Z\u00e4hne oder Speichen), was zur Folge hat, dass man feste und ruhende Bilder sieht.\nGanz analoge Erscheinungen hat Faraday2) im Anschluss an die Roget\u2019schen, aber ohne Kenntniss der Plateau sehen Untersuchungen mitgetheilt. Dieser Forscher erw\u00e4hnt aber auch den Fall, wo zwei R\u00e4der auf gleicher Achse sich mit verschiedener Geschwindigkeit drehen. Bringt man unter diesen Umst\u00e4nden das Auge in die N\u00e4he des einen Rades, um das andere durch dieses zu betrachten, und bewegen sich beide R\u00e4der in entgegengesetzter Richtung, so erblickt man das zweite Rad in Bewegung und zwar zieht sich die Bewegung nach der Richtung hin, nach welcher sich das\n1)\tDissertation sur quelques propri\u00e9t\u00e9s des impressions, produites par la lumi\u00e8re etc. Li\u00e8ge 1829, deutsch von Poggendorff in dessen Annalen Bd. XX (der ganzen Folge sechsundneunzigstem), S. 304 ff.\n2)\tJourn. of the Royal Instit. Bd. I. (1831), S. 205 ff., deutsch von Poggendorff in dessen Annalen Bd. XXTT (der ganzen Folge achtundneunzigstem), S. 601 ff., ausf\u00fchrlicher von Baumgartner in der Zeitschr. f\u00fcr Physik u. Mathematik, Bd. X. S. 80 ff. (Letztere findet man auch unter dem Namen \u00bbWiener Zeitschrift\u00ab citirt.)","page":377},{"file":"p0378.txt","language":"de","ocr_de":"378\nKarl Marbe.\nschneller rotirende Rad dreht. Diese Erscheinung r\u00fchrt, wie Faraday richtig erkannt hat, daher, dass die Mittelpunkte der gesehenen Z\u00e4hne successive nicht auf gleiche, sondern auf neben einander liegende Netzhautstellen fallen1).\nRoget\u2019s und Faraday\u2019s Versuche haben Stampfer2) in Wien zur Erfindung der stroboskopischen Scheiben veranlasst. Diese Erfindung ist aber auch beeinflusst3) durch ein zu jener Zeit offenbar verbreitetes4) Spielzeug, dessen Erfinder ein gewisser Dr. Paris5) ist durch das sogenannte Thaumatrop. Dieses Instrument, das auch noch heutzutage gelegentlich auf Jahrm\u00e4rkten und durch Hausirer in Wirthsh\u00e4usern angeboten wird, besteht aus einer Cartonscheibe, an welcher in der Richtung eines Durchmessers zwei F\u00e4den angebracht sind. Auf den beiden Seiten des Cartons befinden sich zwei einander correspondirende Zeichnungen, z. B. ein Vogel und ein K\u00e4fig oder dergl. Wird nun der Carton mit H\u00fclfe der F\u00e4den schnell um den durch die F\u00e4den bestimmten Durchmesser gedreht, so erblickt der Beobachter die beiden Bilder vereinigt; er sieht also in unserem Falle einen Vogel in einem K\u00e4fig.\nStampfer construire Scheiben, die an der Peripherie mit L\u00f6chern (Spalten) versehen sind und die unter den L\u00f6chern Bilder tragen. Blickt man bei der Rotation einer derartigen Scheibe durch die L\u00f6cher, so kann man in einem der Scheibe parallel gestellten Spiegel Bilder sehen, die entweder ruhend sind oder sich langsam\n1 ) Die Gesammtheit der von Par a d ay angegebenen Versuche mit zwei R\u00e4dern l\u00e4sst sich sehr sch\u00f6n ausf\u00fchren, wenn man eine aus wei\u00dfen und schwarzen Sectoren bestehende rotirende Scheibe beleuchtet und die Lichtquelle dadurch periodisch verdunkelt, dass man eine Scheibe, aus der einige Sectoren ausgeschnitten sind, vor ihr rotiren l\u00e4sst. Die aus wei\u00dfen und schwarzen Sectoren bestehende Scheibe entspricht bei diesen Versuchen demjenigen Rad in der Rar a day\u2019sehen Anordnung, welches beobachtet wird, die andere demjenigen, durch welches der Beobachter hindurchblickt. Ich habe im Jahre 1894 derartige Versuche im Leipziger Laboratorium ausgef\u00fchrt.\n2)\tStampfer, Die stroboskopischen Scheiben oder optischen Zauberscheiben, deren Theorie und wissenschaftliche Anwendung. Wien 1833; sp\u00e4ter (1834) im XVIII. Bd. der Jahrb\u00fccher des polytechnischen Instituts in Wien S. 237 ff. abgedruckt.\n3)\tStampfer a. a. O. \u00a7 1.\n4)\tPogg. Ann. Bd. X (der ganzen Folge sechsundachtzigster), S. 480.\n5)\tBdinb. Journal, Vol. IV. S. 87.","page":378},{"file":"p0379.txt","language":"de","ocr_de":"Die stroboskopischen Erscheinungen.\n379\nbewegen. Stampfer hat eine Scheibe angefertigt, mittels deren man in einem Spiegel das Wort \u00bbOptik\u00ab deutlich sehen kann, obgleich die einzelnen unter den Spalten sich befindlichen Bilder nur Bruchst\u00fccke dieses Wortes enthalten. Eine andere Scheibe zeigt im Spiegel rotirende Zahnr\u00e4der: hier sind die Scheibenbilder so eingerichtet, dass die Mittelpunkte der Z\u00e4hne successive auf etwas verschiedene Netzhautstellen fallen. Es ist einleuchtend, dass diese Anordnungen auf denselben Principien beruhen, wie diejenigen von Faraday, die wir eben kennen lernten. Stampfer brachte unter seinen Spalten aber auch Bilder an, die im Spiegel als ver\u00e4nderliche Objecte gesehen wurden. So zeigt eine Scheibe ein Galopp tanzendes (oder vielmehr chassirendes) Paar, eine andere einen mit mehreren Kugeln arbeitenden Jongleur. Die einzelnen Scheibenhilder sind hier nicht nur so eingerichtet, dass sie der Reihe nach auf etwas verschiedene Netzhautstellen fallen, sondern sie sind auch selbst von einander verschieden1). \u2014 Stampfer\u2019s Scheiben wurden alsbald in Deutschland allgemein bekannt2).\nStampfer hat, wie er berichtet3), die erste stroboskopische Scheibe im December 1832 angefertigt. Mit dem Datum des 20. Januar 1833 hat dann Plateau einen Artikel publicirt4), in welchem er den Gedanken des Stroboskops ausf\u00fchrt. Plateau\u2019s Mittheilung ist unabh\u00e4ngig von derjenigen Stampfer\u2019s. Ja Poggendorff berichtet in seinen Annalen5), dass Plateau schon im November 1832 eine stroboskopische Scheibe an Faraday gesandt habe. Unter diesen Umst\u00e4nden und hei der Entfernung der Aufenthaltsorte der beiden Gelehrten (Wien und Br\u00fcssel) wird man, wie mit Recht that-s\u00e4chlich geschieht, beide als selbst\u00e4ndige Erfinder des Stroboskops bezeichnen m\u00fcssen. \u2014 Auch Plateau kannte \u00fcbrigens au\u00dfer den\n1)\tStampfer lie\u00df seine Scheiben im Jahre 1833 in der ehemaligen Kunsthandlung von Trentsensky et Vieweg in Wien erscheinen. Ein Theil dieser Scheiben ist noch heute in der Kunsthandlung von Trentsensky in Wien, Domgasse 2 k\u00e4uflich. Eine Scheibe mit je einer Bilderreihe auf jeder Seite kostet 50 Kreuzer.\n2)\tGrehler\u2019s Physikalisches W\u00f6rterbuch, Bd. VIII (1836), S. 772.\n3)\ta. a. 0. \u00a7 3.\n4)\tCorrespondance math\u00e9matique et physique de l\u2019observatoire de Bruxelles. T. VII. S. 365.\n5)\tBd. XXXII (d. g. F. hundertundachter), S. 647.","page":379},{"file":"p0380.txt","language":"de","ocr_de":"380\nKarl Marbe.\nbei rotirenden R\u00e4dern zu beobachtenden Thatsachen das Thaumatrop von Paris, das er schon im Jahre 1829 in der oben Seite 377 erw\u00e4hnten Dissertation beschrieben hat.\nNach der Erfindung des Stroboskops haben eine Reihe Gelehrter sehr sch\u00f6ne wissenschaftliche Anwendungen desselben gemacht1). So hat T\u00f6pler2) dasselbe zur Untersuchung der singenden Flammen benutzt. Auch hat man den stroboskopischen Vorrichtungen selbst mannigfache Formen gegeben. So brachte Horner3) im Innern eines rotirenden Cylinders die Bilder und \u00fcber denselben die L\u00f6cher an, durch welche die Bilder betrachtet werden. Horner gab diesem Apparat den Namen D\u00e4daleum4).\nDiese Vorrichtung ist im Princip identisch mit derjenigen, welche unter dem Namen Schnellseher z. Z. durch die Actiengesellschaft Ottomar Ansch\u00fctz (Berlin W. 8. Leipzigerstr. 116) in Handel gebracht wird. Bei diesen Apparaten ist indessen die Au\u00dfenseite des Cylinders schwarz gef\u00e4rbt, was zur Folge hat, dass die Bilder sehr deutlich hervortreten. Ferner sind die im Innern des Cylinders angebrachten Bilder auf photographischem Wege gewonnen. Den Bem\u00fchungen von Jansen, Muybridge und Ansch\u00fctz selbst ist es n\u00e4mlich gelungen, in sehr kurzen Zwischenr\u00e4umen eine ganze Reihe Momentphotographien aufzunehmen und so die einzelnen Phasen periodischer Bewegungen (z. B. eines gehenden Menschen, eines springenden Pferdes u. dergl.) zu photographiren5). Derlei Bilder sind im Innern der Ansch\u00fctz\u2019schen Apparate angebracht und gew\u00e4hren bei der Rotation einen \u00e4u\u00dferst nat\u00fcrlichen und \u00fcberaus interessanten Anblick.\nEine weitere Entwickelung hat das Stroboskop in den neuerdings\n1)\tVergl. Fischer, Philos. Studien, III. Bd. (1886). S. 153.\n2)\tPogg. Ann. Bd. CXXVIII d. g. F. zweihundertundvierter), S. 108 ff.\n3)\tPogg. Ann. Bd. XXXH (d. g. F. hundertundachter), S. 650 ff.\n4)\tAuf die Idee dieses Apparates hat schon Stampfer a. a. O. \u00a7 6 hingewiesen.\n5)\tDie photographische Aufnahme der Bewegungsphasen ist f\u00fcr das Studium der animalischen Bewegungen sehr wichtig. Vergl. hier\u00fcber, sowie \u00fcber die Geschichte der hierher geh\u00f6rigen photographischen Erfindungen Marey, Le mouvement. Paris (Masson, Boulevard St. Germain 120), 1894. Vergl. auch Pizzi-ghelli, Handbuch der Photographie. 1892. Bd. III. S. 393 ff. und David, Die Momentphotographie. 1898 (Heft 29 d. \u00bbEncyklop\u00e4die d. Photographie\u00ab), S. 138 ff.","page":380},{"file":"p0381.txt","language":"de","ocr_de":"Die stroboskopischen Erscheinungen.\n381\nvon Edison construirten Apparaten gefunden. In den ersten Monaten des Jahres 1895 hat dieser Erfinder in den Gro\u00dfst\u00e4dten Europas einen Apparat ausgestellt, in welchem man auf Grund der stroboskopischen Thatsachen und der Fortschritte der Momentphotographie nicht periodische Bewegungen, sondern ganze Scenen aus dem Lehen (aus der Barbierstuhe, aus einem Ballet u. dergl.) erblicken konnte. Edison nannte diesen jetzt wohl allgemein bekannten Apparat Kine-matoskop. Ein sp\u00e4ter erfundener Apparat von Edison (der Kine-matograph) projicirt die Bilder an die Wand und ist jetzt gleichfalls viel verbreitet1).\nDas Stroboskop ist auch mehrfach mit dem Stereoskop verbunden worden. Das sogenannte Stereophantoskop oder Bioskop ist eine Vereinigung des Wheatstone\u2019schen Spiegelstereoskops mit dem Stroboskop2). Dieses Bioskop hat offenbar Czermak3) im Auge, wenn er von den Bem\u00fchungen spricht, die man in Paris zur Verbindung der beiden fraglichen Apparate mache. Er selbst beschreibt eine Vereinigung des bekannten Brewster\u2019schen Prismenstereoskops mit dem Stroboskop4 5). Im Jahre 1894 hat M\u00fcnsterherg ein neues Stereoskop erfunden6). Sein Apparat besteht aus zwei auf einer Achse rotirenden Scheiben. Auf der einen (schwarzen) Scheibe sind in zwei concentrischen Bingen je sechs Spalten angebracht und zwar so, dass auf einen Spalt des einen Ringes jeweils ein Spalt des anderen folgt. Auf der zweiten Scheibe befinden sich sechs Paar stereoskopischer Bilder. Sie sind alle in einem Kreise angebracht; aber die f\u00fcr das eine Auge bestimmten Bilder liegen auf denjenigen Radien, die den centralen Spalten gegen\u00fcberliegen, die f\u00fcr das andere Auge bestimmten auf denjenigen, welche den peripheren Spalten gegen\u00fcber liegen. Wenn man nun hei ganz langsamer Rotation der Scheiben mit dem linken Auge durch die peripheren, mit dem rechten\n1)\tDie Idee, l\u00e4nger dauernde Handlungen, theatralische Scenen u. dergl. auf stroboskopischem Wege darzustellen, hat schon Stampfer (a. a. 0.) \u00a7 4c ausgesprochen. Die Projection stroboskopischer Bilder an die Wand hat schon Uehatius (Wiener Sitzungsberichte, Math.-naturw. Cl. Bd. X. [1853]. S. 482ff.) ausgef\u00fchrt.\n2)\tVergl. v. Helmholtz, Physiol. Optik. 2. Aufl. S. 836.\n3)\tWiener Sitzungsber. Math.-naturw. Cl. Bd. XV. S. 463.\n4)\ta. a. 0. S. 463 ff.\n5)\tThe Psychological Review, Bd. I. (1894.) S. 56 ff.","page":381},{"file":"p0382.txt","language":"de","ocr_de":"382\nKarl Marbe.\ndurch die centralen Spalten blickt oder umgekehrt, und wenn man einen festen Punkt des Ringes, auf dem die Bilder sich bewegen, binocular fixirt, so sieht jedes Auge intermittirend das ihm zukommende Bild an eben derselben Stelle des Raumes, an welchem nachher das andere Auge sein Bild sieht. Bei gen\u00fcgend schneller Rotation aber tritt der stereoskopische Effect ein, indem dann die Bilder auf der Netzhaut zur Deckung gelangen. Man sieht ohne weiteres, dass die Einrichtung dieses Stereoskops dem Stroboskop sehr verwandt ist. Um den Eindruck bewegter Objecte zu erhalten, braucht man, worauf M\u00fcnsterberg mit Recht hinweist, nur die Bilder dieses Stereoskops in entsprechender \"Weise zu modificiren.\nDer Vollst\u00e4ndigkeit halber mag hier auch noch der Begriff der Oharpentier\u2019schen \u00bbStroboscopie retinienne\u00ab l) erw\u00e4hnt werden. Wenn man eine schwarze Scheibe, auf der sich in gleichen Entfernungen sechs wei\u00dfe Sectoren \u00e0 3 Grad befinden, sich einmal in der Secunde drehen l\u00e4sst, so erblickt man circa 36 ruhende Sectoren. Diese und andere \u00e4hnliche Gesichtserscheinungen, die bei langsam rotirenden Scheiben entstehen, erkl\u00e4rt Charpentier durch die nach kurzen Reizen entstehenden retinalen Oscillationen, die von ihm2) und anderen3) untersucht worden sind. Die suhjectiven Sectoren entstehen in unserem Beispiel nach Charpentier dadurch, dass die durch den wei\u00dfen Sector gereizte Netzhautstelle in Folge innerer retinaler Vorg\u00e4nge nach der Reizung periodische Erregungen erf\u00e4hrt. Diese periodischen, naturgem\u00e4\u00df immer schw\u00e4cher werdenden Erregungen werden durch den n\u00e4chsten ohjectiven Sector wieder verst\u00e4rkt u. s. f. Charpentier nennt die hierher geh\u00f6rigen Erscheinungen Stroboskopie wegen ihrer Analogie mit den stroboskopischen Thatsachen; er bezeichnet sie als retinal, weil sie vorwiegend auf in der Netzhaut selbst vor sich gehenden Processen beruhen.\n*\n* *\nWir haben bis jetzt gesehen, dass die stroboskopischen Thatsachen durch Erweiterung mehr gelegentlicher Beobachtungen ent-\n1)\tComptes rendus. Bd. CXXII. (1896.) S. 326 ff.\n2)\tSiehe Archives de Physiologie, Yol. XXVIII. (1896.) S. 677ff\n3)\tVergl. Zeitschr. f. Psychol, u. Physiol, d. Sinnesorg. Bd. IX. (1896.) S. 59 unten.","page":382},{"file":"p0383.txt","language":"de","ocr_de":"Die stroboskopischen Erscheinungen.\n383\ndeckt wurden. Sie wurden dann zu wissenschaftlichen Zwecken benutzt und gaben Veranlassung zu mannigfachen Constructionen. Arbeiten, welche lediglich den Zweck hatten, die Theorie der stroboskopischen Erscheinungen n\u00e4her zu begr\u00fcnden, haben wir bisher nicht kennen gelernt. Eine derartige Untersuchung hat zuerst O. Fischer1) im Jahre 1886 mitgetheilt2). Dieser Forscher benutzte zu einem Theil seiner Untersuchungen zwei hinter einander rotirende Scheiben. Die eine (die Bildscheibe) trug nahe der Peripherie die aufgezeichneten Bewegungsphasen eines Gegenstandes, die andere (die Spaltscheibe) trug ebenso viel Oeffnungen, durch welche der Beobachter auf die Bildscheibe sehen sollte. Die Bildscheibe war wei\u00df, die Spaltscheibe war in den meisten F\u00e4llen auf der dem Beobachter zugekehrten Seite schwarz.\nDie Bilder waren Punkte. Einmal waren sie innerhalb eines Kreisringes so angebracht, dass sie, wenn man sich den Kreisring an einer Stelle aufgeschnitten und in ein Bechteck deformirt denkt, in einer Sinuslinie zu liegen schienen. Ein anderes Mal waren sie so angebracht, dass sie nach dem beschriebenen Deformationsprocess auf einer gebrochenen Linie zu liegen schienen. Die Zahl der Punkte (n) konnte mittels einer praktischen Vorkehrung variirt werden. Fischer\u2019s Ergebnisse sind folgende:\n1)\tWenn sich die Spaltscheibe in derselben Richtung, wie die Bildscheibe dreht, so sieht man in gleichen Winkelabst\u00e4nden circa n Punkte auf- und abschwingen. Dieselben erscheinen nicht ganz scharf umgrenzt und etwas breiter als sie thats\u00e4chlich sind.\n2)\tDreht man die Scheiben in verschiedener Richtung aber mit gleicher Geschwindigkeit und f\u00fchrt man die Beobachtung in einiger Entfernung von der Spaltscheibe aus, so erblickt man ungef\u00e4hr die doppelte Anzahl von Punkten und zwar sind sie diesmal sch\u00e4rfer begrenzt als im ersten Fall.\n3)\tDie eben beschriebene Anzahl von Punkten trifft nur zu, so lange die gemeinsame Geschwindigkeit der beiden Scheiben eine\n1)\tPhilos. Studien, Bd. III. (1886.) S. 128 ff.\n2)\tSchon fr\u00fcher hat Stricker (Studien \u00fcber Bewegungsvorstellungen. Wien '882. S. 28ff) einige Versuche mitgetheilt, die beweisen sollen, dass der stroboskopische Effect durch Vermittelung von Augenbewegungen zu Stande komme. Die Darstellungen Strieker\u2019s sind unrichtig und bed\u00fcrfen heute keiner Widerlegung mehr.","page":383},{"file":"p0384.txt","language":"de","ocr_de":"384\nKarl Marbe.\ngewisse Grenze nicht \u00fcbersteigt. W\u00e4chst die Geschwindigkeit \u00fcber diese Grenze, so sieht man zwei dicht unter einander gelegene Punkte gemeinsam dieselbe Bewegung ausf\u00fchren. Vergr\u00f6\u00dfert man die Geschwindigkeit noch mehr, so gesellt sich unter die Punkte noch ein dritter u. s. f.\n4)\tDagegen zeigt sich, dass auch eine Minimalgeschwindigkeit erforderlich ist, unter welcher der stroboskopische Effect \u00fcberhaupt nicht eintritt.\n5)\tDurch geeignete gr\u00f6\u00dfere oder geringere Verdeckung des Gesichtsfeldes ergab sich der Satz, dass die Erscheinung der Bewegung von Punkten schon bei um so geringerer Geschwindigkeit eintritt, je weniger Punkte neben einander zu gleicher Zeit sichtbar sind.\n6)\tUnter sonst vollkommen gleichen Bedingungen tritt der stroboskopische Effect hei um so geringerer Geschwindigkeit ein, je k\u00fcrzer die Zeiten sind, w\u00e4hrend welcher die Phasenhilder auf das Auge wirken.\n7)\tUm die Bewegung eines Gegenstandes k\u00fcnstlich nachzuahmen, ist es nothwendig, dass zwischen den einzelnen Bildphasen kein Licht auf das Auge wirke.\nOffenbar ohne Kenntniss der Fischer\u2019schen Versuche hat sp\u00e4ter Gr\u00fctzner1) mit dem Stroboskop experimentirt. Er lie\u00df wie Fischer zwei Scheiben hinter einander rotiren und er zeigte:\n1)\tdass sich mittels des Stroboskops zwei oder mehrere Farben \u00bbauf Grund desselben Princips, das auch am Farbenkreisel Anwendung findet\u00ab, mischen lassen. \u00bbSei beispielsweise der Grund der Bildscheihe blau und klebt man auf sie mehrere Reihen gelber gleich abst\u00e4ndiger Punkte, in die \u00e4u\u00dferste Reihe etwa 20, in die mittlere 10, in die innerste Reihe 5, so sieht man heim Drehen der Scheiben drei concentrische Reihen von je 20 feststehenden Punkten. Die \u00e4u\u00dfersten sind gelb; die mittleren sind grau, aus gleichen Theilen blau und gelb gemischt ; die innersten sind blaugrau, aus drei Theilen blau und einem Theil gelb gemischt\u00ab.\n2)\ttheilt Gr\u00fctzner Versuche \u00fcber den farbigen Contrast mit. Es zeigt sich, dass man die Thatsachen des farbigen Contrastes darstellen kann durch geeignete Wahl der Farben des Grundes der\n1) Pfl\u00fcger\u2019s Archiv. Bd. LY. (1893/94). S. 508 ff.","page":384},{"file":"p0385.txt","language":"de","ocr_de":"Die stroboskopischen Erscheinungen.\n385\nBildscheibe und der Farbe der Punkte und dadurch, dass man einen Theil der Spalten mit farbigen Gelatinepapieren versieht.\n3) berichtet Gr\u00fctzner, er habe eine Bildscheibe, welche darstellt, wie ein Knabe \u00fcber einen anderen \u00bbBock springt\u00ab, durch eine entsprechende Spaltscheibe betrachtet; er habe dann die Bilder derjenigen Knaben, welche gerade \u00fcber den anderen schweben, mit wei\u00dfem Papier verklebt und trotzdem gesehen, wie ein Knabe \u00fcber den anderen hin\u00fcberfliege.\nBerichtigungen \u00e4lterer Versuchsergebnisse.\nDie mitgetheilten Constructionen und Experimente habe ich im psychologischen Institut der Universit\u00e4t W\u00fcrzburg in Gemeinschaft mit Herrn stud. phil. Ernst D\u00fcrr zum gr\u00f6\u00dften Theil nachgepr\u00fcft. Dabei zeigte sich, dass die oben unter 7) angef\u00fchrte Behauptung Fischer\u2019s in ihrer Allgemeinheit unzutreffend ist. Wenn es auch zweifellos f\u00fcr die Deutlichkeit der stroboskopisch gesehenen Bilder f\u00f6rderlich ist, wenn das Auge zwischen den einzelnen Phasenbildern von Licht nicht afffcirt wird, so muss diese Bedingung doch nicht nothwendiger Weise erf\u00fcllt sein, wenn die Bilder stroboskopisch gesehen werden sollen. Auch wenn das Auge zwischen der Einwirkung der Phasenbilder von ziemlich starkem Licht afficirt wird, tritt das stroboskopische Ph\u00e4nomen sehr sch\u00f6n ein, wofern sich die Phasenbilder nur deutlich vom Grund, auf den sie aufgetragen sind, abheben. Den besten Beweis f\u00fcr die Richtigkeit dieser Behauptung bildet die Stampfer\u2019sche Vorrichtung, bei der beide Seiten der vor einem Spiegel zu betrachtenden Scheiben wei\u00df sind. Allerdings sieht man bei diesen Scheiben die Ph\u00e4nomene besser, wenn man die dem Beobachter zugekehrte Scheibenseite mit grauem, und noch besser wenn man sie mit schwarzem Papier \u00fcberzieht. Das fragliche Fischer\u2019sche Ergebniss muss daher dahin modificirt werden, dass der stroboskopische Effect um so deutlicher eintritt, je geringer die Intensit\u00e4t des Lichtes ist, das zwischen der Wirkung der einzelnen Phasenbilder auf die Netzhaut f\u00e4llt.\nAuch die unter 3) angef\u00fchrte Behauptung Gr\u00fctzner\u2019s bedarf wenigstens einiger Modificationen. Wir haben den Gr\u00fctzner\u2019schen Versuch mit dem Ansch\u00fctz\u2019sehen Schnellseher nachgepr\u00fcft und","page":385},{"file":"p0386.txt","language":"de","ocr_de":"386\nKarl Marbe.\nbenutzten als Bilder die photographirten Phasen eines eine H\u00fcrde nehmenden Reiters. (Streifen 3 der Ansch\u00fctz\u2019schen Collection.) Wenn man diejenigen Bewegungsphasen, in welchen sich der Reiter \u00fcber der H\u00fcrde befindet, verdeckt, so glaubt man allerdings trotzdem den Reiter \u00fcber die H\u00fcrde springen zu sehen. Um diesen Versuch auszuf\u00fchren, ist es aber nicht n\u00f6thig, dass man, wie Gr\u00fctz-ner anzunehmen scheint, vorher die Serie der Phasen un verdeckt stroboskopisch betrachtet. Auch hat es bei verdeckten Phasen mit dem Sehen des Reiters eine eigene Bewandtniss; stellt man sich n\u00e4mlich die Frage, ob man wirklich den Reiter einen Moment \u00fcber der H\u00fcrde sieht, so merkt man bei gespannter Aufmerksamkeit deutlich, dass dies nicht der Fall ist. Man kann also nicht wohl mit Gr\u00fctzner sagen, \u00bbdas geistige Auge erg\u00e4nzt. . . eine Bewegung, von der das leibliche nur Anfang und Ende sieht, zu einer vollkommenen Bewegung\u00ab, sondern man wird sich auf Grund unseres Versuches vielmehr besser so ausdr\u00fccken: Unter Umst\u00e4nden kann eine Reihe von an sich wichtigen Bewegungsphasen ausfallen, ohne dass der Beobachter es bemerkt. Dieser Ausfall der Bewegungsphasen kann aber bei gen\u00fcgender Aufmerksamkeit und geeigneter Richtung derselben bewusst werden.\nDas Talbot\u2019sche Gesetz.\nDie stroboskopischen Erscheinungen beruhen theilweise auf den Thatsachen der successiv-periodischen Gesichtsreizung oder, wie wir (mit einer zweckm\u00e4\u00dfigen Erweiterung des urspr\u00fcnglichen Begriffs) auch sagen k\u00f6nnen, auf den Thatsachen des Talbot\u2019schen Gesetzes. Im folgenden m\u00f6gen nun die hierher geh\u00f6rigen Thatsachen und Theorien dargestellt werden. Dass ich nicht einfach auf meine fr\u00fcheren Arbeiten1) \u00fcber diesen Gegenstand und auf die inzwischen erschienenen Untersuchungen anderer Autoren verweise, ist darin begr\u00fcndet, dass ich mich veranlasst sehe, meine \u00e4lteren Darstellungen in einzelnen Punkten zu erweitern und ihnen einige polemische Bemerkungen hinzuzuf\u00fcgen.\nWenn zwei oder mehrere Gesichtsreize successive und periodisch\n1) Philos. Studien, Bd. IX, S. 384 ff., Bd. XII, S. 279 ff. u. Bd. XIII, S. 106 ff","page":386},{"file":"p0387.txt","language":"de","ocr_de":"Die stroboskopischen Erscheinungen.\n387\ndie Netzhaut treffen, so gibt es eine gewisse kurze Periodendauer, bei welcher sie eben eine constante Empfindung erzeugen; diese Periodendauer hei\u00dft die kritische Periodendauer. Auch hei denjenigen Periodendauern, die k\u00fcrzer sind als die kritische, erzeugen die beiden Reize constante Empfindungen.\nFolgende vier Momente beg\u00fcnstigen das Entstehen einer con-stanten Empfindung:\n1)\tdie Verminderung der Reizdauem,\n2)\tdie Vergr\u00f6\u00dferung des Unterschiedes der Reizdauern,\n3)\tdie Verminderung des Unterschiedes der Reizintensit\u00e4ten,\n4)\tdie Verst\u00e4rkung der mittleren Intensit\u00e4t.\nJe mehr diese Momente erf\u00fcllt sind, desto gr\u00f6\u00dfer ist daher die kritische Periodendauer.\nMeine Theorie des Talbot\u2019sehen G-esetzes sucht diese Thatsachen zu erkl\u00e4ren. Ich verstehe unter photochemischem Elementareffect die in einem Zeitelement auf die Retina wirkende Lichtintensit\u00e4t. Wenn wir das Zeitelement zu 1 o rechnen, so ist die Empfindung f\u00fcr jeden Retinapunkt in jedem Zeitelement eine Function des gleichzeitigen und einiger direct vorangehenden Elementareffecte, d. h. der charakteristischen Effectengruppe. Dass nun gleichen charakteristischen Effectengruppen unter sonst vollkommen gleichen Bedingungen gleiche Empfindungen entsprechen, ist selbstverst\u00e4ndlich. Aus den bekannten Thatsachen der Unterschiedsempfindlichkeit folgt aber, dass nicht nur absolut gleichen, sondern auch gen\u00fcgend \u00e4hnlichen charakteristischen Effectengruppen gleiche Empfindungen entsprechen. \u2014 Die w\u00e4hrend einer bestimmten Zeit (z. B. zwei Minuten) aufeinander folgenden charakteristischen Effectengruppen sind nun unter sich um so \u00e4hnlicher, je kleiner erstens die Zeiten sind, innerhalb welcher gleich viel Licht ins Auge f\u00e4llt, und zweitens, je geringer die mittlere Variation der Elementareffecte innerhalb dieser Zeiten ist. Je mehr diese beiden Momente erf\u00fcllt sind, desto \u00e4hnlicher sind auch die charakteristischen Effectengruppen mit denjenigen, welche vorhanden w\u00e4ren, wenn die Lichtvertheilung w\u00e4hrend der zwei Minuten absolut gleichm\u00e4\u00dfig w\u00e4re. Denn eine absolut gleichm\u00e4\u00dfige Lichtvertheilung kann angesehen werden als Grenze einer ungleichm\u00e4\u00dfigen, bei welcher die mittlere Variation der einer charakteristischen Effecten-* gruppe angeh\u00f6rigen Elementareffecte gleich Null wird, oder als Grenze\nWandt, Philos. Studien. XIV.\t26","page":387},{"file":"p0388.txt","language":"de","ocr_de":"388\nKarl Marbe.\neiner ungleichm\u00e4\u00dfigen Lichtvertheilung, bei welcher die Zeiten, innerhalb deren gleich viel Licht ins Auge f\u00e4llt, unendlich klein werden.\nNun wird durch Vergr\u00f6\u00dferung des Unterschiedes der Reiz dauern, durch Verminderung des Unterschiedes der Reizintensit\u00e4ten die mittlere Variation der Elementar eff ecte verringert, durch Verminderung der Reizdauem aber werden die Zeiten, innerhalb derer gleich viel Licht ins Auge f\u00e4llt, verkleinert. Alle drei Momente also m\u00fcssen, wenn sie gen\u00fcgend zur Anwendung gebracht werden, nach dem Vorhergehenden eine constante Empfindung erzeugen, und zwar speciell diejenige, welche bei gleichm\u00e4\u00dfiger Lichtvertheilung vorhanden w\u00e4re.\nDass die Verst\u00e4rkung der Gesammtintensit\u00e4t der Reize die Verschmelzung beg\u00fcnstigt, erkl\u00e4rt sich daraus, dass, unserer Kenntniss der Unterschiedsempfindlichkeit entsprechend, der Unterschied, den zwei charakteristische Effectengruppen haben d\u00fcrfen, um eben gleiche Erregungen zu erzeugen, mit der mittleren Gr\u00f6\u00dfe der Elementareffecte w\u00e4chst1).\nDiese Erkl\u00e4rung des Einflusses der Gesammtintensit\u00e4t auf das Verschmelzungsph\u00e4nomen d\u00fcrfte wohl allgemein verst\u00e4ndlich sein. Den \u00fcbrigen Theil der vorgetragenen Theorie kann man sich leicht mit H\u00fclfe von Zahlen klar machen.\nWir wollen z. B. annehmen, die Reize 1 und 9 tr\u00e4fen successive und periodisch auf einen Punkt der Retina; jeder der beiden Reize wirke je 10 er lang ein. Die charakteristischen Elementareffecte sind dann folgende:\nhl,!, 1,1,1,1,1,1,1, 9, 9,9, 9,9, 9,9, 9, 9, 9,1,1,1, 1,1,1, 1,1,1, 1, 9, 9, 9, 9, 9, 9, 9, 9, 9, 9 ...\nDie durch diese Elementareffecte ausgedr\u00fcckte Successionsge-schwindigkeit sei nicht hinreichend, um eine constante Empfindung zu erzeugen. Um eine solche zu erzielen, kann man nun der obigen Theorie zufolge (abgesehen von der Verst\u00e4rkung der Gesammtintensit\u00e4t) entweder 1) die Reizdauern vermindern oder 2) den Unterschied der Reizdauem vergr\u00f6\u00dfern, oder 3) denjenigen der Reizintensit\u00e4ten vermindern.\nWenn man in I die Reizdauern vermindert, indem man sie z. B. halb so gro\u00df macht, so erh\u00e4lt man folgende Elementareffecte:\n1) Diese Darstellung der Theorie ist fast w\u00f6rtlich aus der Zeitschr. f. Psychol, u. Physiol, d. Sinnesorg. Bd. XIII. (1897.) S. 368f. \u00fcbernommen.","page":388},{"file":"p0389.txt","language":"de","ocr_de":"Die stroboskopischen Erscheinungen.\n389\n1,1, 1, 9, 9, 9, 9, 9, 1,1,1,1,1, 9,9, 9, 9, 9,1,1,1,1,1,9, 9, 9, 9, 9,1,1,1,1,1, 9, 9, 9, 9, 9 ...\nWenn man den Unterschied der Reizdauern, der in I gleich Null ist, dadurch z. B. auf 4 a bringt, dass man die Dauer des Reizes 1 auf Kosten der Dauer des Reizes 9 vergr\u00f6\u00dfert, so erh\u00e4lt man folgende Elementareffecte:\n1,1, 1,1,1,1,1,1,1,1,1,9, 9, 9, 9, 9,9, 9, 9, 1,1,1,1,1,1,1,1,1,1,1,1, 9, 9, 9,9, 9, 9,9,9 ... Wenn man drittens den Unterschied der Reizintensit\u00e4ten vermindert, indem man z. B. statt des Reizes 9 den Reiz 8 verwendet, so erh\u00e4lt man folgende Elementareffecte:\nII\nIII\n1,1,1,1,1,1,1,1,1,1, 8, 8, 8, 8, 8, 8, 8, 8, 8, 8,1,1,1,1, 1, 1,1,1,1,1, 8, 8, 8, 8, 8, 8, 8, 8, 8, 8 ... IV\nVergleicht man nun die Reihen II, m, IV jeweils mit I, so sieht man, dass in II die Zeiten, innerhalb welcher gleich viel Licht ins Auge f\u00e4llt, kleiner sind als in I, w\u00e4hrend in DI und IV die mittlere Variation der Elementareffecte geringer ist als in I.\nEs ist nun aber auch leicht einzusehen, dass in Folge dessen die charakteristischen Effectengruppen in D, DI, IV unter sich \u00e4hnlicher sind als in I.\nDie charakteristische Effectengruppe umfasse z. B. im Mittel 10 Elementareffecte. Dann haben wir folgende charakteristischen\nEffectengruppen zu verzeichnen:\n\t\tF\u00fcr I\t\t\t\t\t\tF\u00fcr II\t\t\t\t\t\t\t\t\t\tF\u00fcr III\t\t\t\t\t\t\t\tF\u00fcr IV\n1,1,\t1,\t1,\t1,1,1,1,1,\t1.\t1,\t1,\t1,\t1,\t1,\t9,\t9,\t9,\t9,\t9.\t1,\t1,\t1,\t1,\t1,\t1,\t1,\t1,\t1,\t1.\tDieselben wie f\u00fcr I,\t\n1,1,\t1,\t1,\t1,1,1,1,1,\t9.\t1,\t1,\t1,\t1,\t9,\t9,\t9,\t9,\t9,\t1.\t1,\t1,\t1,\t1,\t1,\t1,\t1,\t1,\t1,\t1.\tnur\tstatt dass der\n1,1,\t1,\t1,\t1,1,1,1,9,\t9.\t1,\t1,\t1,\t9,\t9,\t9,\t9,\t9,\t1,\tI.\t1,\t1,\t1,\t1,\t1,\t1,\t1,\t1,\t1,\t1.\tZahl\t9 die Zahl 8\n1,1,\t1,\t1,\t1,1,1,9, 9,\t9.\t1,\t1,\t9,\t9,\t9,\t9,\t9,\t1,\t1,\t1.\t1,\t1,\t1,\t1,\t1,\t1,\t1,\t1,\t1,\t9.\t\teintritt.\n1,1,\t1,\t1,\t1,1, 9, 9, 9,\t9.\t1,\t9,\t9,\t9,\t9,\t9\t1,\t1,\t1,\t1.\t1,\t1,\t1,\t1,\t1,\t1,\t1,\t1,\t9,\t9.\t\t\n1,1,\t1,\t1,\t1,9, 9, 9, 9,\t9.\t9,\t9,\t9,\t9,\t9\t1\t1,\t1,\t1,\t1.\t1,\t1,\t1,\t1,\t1,\t1,\t1,\t9,\t9,\t9.\t\t\n1,1,\t1,\t1,\t9,9,9, 9, 9,\t9.\t9,\t9,\t9,\t9,\t1\t1\t1\t1,\t1,\t9.\t1,\t1,\t1,\t1,\t1,\t1,\t9,\t9,\t9,\t9.\t\t\n1,1,\t1,\t9,\t9,9,9, 9, 9,\t9.\t9.\t9\t9,\t1,\t1\t1\t1,\t1,\t9,\t9.\t1,\t1,\t1,\t1,\t1,\t9,\t9,\t9,\t9,\t9.\t\t\n1,1,\t9,\t9,\t9, 9, 9,9, 9,\t9.\t9,\t9\t1,\t1,\t1\t1\t1\t9\t9,\t9.\t1,\t1,\t1,\t1,\t9,\t9,\t9,\t9,\t9,\t9.\t\t\n1,9,\t9,\t9,\t9, 9, 9, 9, 9,\t9.\t9,\t1\t1,\t1\t1\t1\t9,\t9\t9\t9.\t1,\t1,\t1,\t9,\t9,\t9,\t9,\t9,\t9,\t9.\t\t\n9,9,\t9,\t9,\t9, 9, 9,9, 9,\t9.\t1\t1\t1,\t1\t1\t9\t9\t9,\t9,\t9.\t1,\t1,\t9,\t9,\t9,\t9,\t9,\t9,\t9,\t9.\t\t\n3,9,\t9,\t9,\t9, 9, 9, 9,9,\t1.\t\t\t\tu\t. s.\t\tw.\t\t\t\t1,\t9,\t9,\t9,\t9,\t9\t9,\t9,\t9,\t1.\t\t\n9,9\t9,\t9,\t9, 9, 9, 9,1,\t1.\t\t\t\t\t\t\t\t\t\t\t9,\t9,\t9,\t9,\t9,\t9,\t9,\t9,\t1,\t1.\t\t\n9,9,\t9,\t9,\t9, 9, 9,1,1,\t1.\t\t\t\t\t\t\t\t\t\t\t9,\t9,\t9,\t9,\t9,\t9\t9,\t1,\t1,\t1.\t\t\n9,9\t9,\t9,\t9, 9,1,1,1\t1.\t\t\t\t\t\t\t\t\t\t\t9,\t9\t9,\t9,\t9,\t9\t1,\t1,\t1,\t1.\t\t\n9,9\t9\t9\t9, 1,1,1,1\t1.\t\t\t\t\t\t\t\t\t\t\t9,\t9,\t9,\t9,\t9,\t1\t1,\t1,\t1,\t1.\t\t\n9,9\t9\t9,\t1,1,1,1,1\t1.\t\t\t\t\t\t\t\t\t\t\t9,\t9,\t9,\t9,\t1,\t1,\t1,\t1,\t1,\t1.\t\t\n9,9\t9\t1,\t1,1,1,1,1\t1.\t\t\t\t\t\t\t\t\t\t\t9,\t9,\t9,\t1,\t1,\t1,\t1,\t1,\t1,\t1.\t\t\n9,9\t1\t1\t1,1, 1,1,1\t1.\t\t\t\t\t\t\t\t\t\t\t9,\t9\t1,\t1,\t1,\t1\t1,\t1,\t1,\t1.\t\t\n9,1\t1\t1\t1,1,1,1,1\t1.\t\t\t\t\t\t\t\t\t\t\t9,\t1,\th\t1,\t1,\t1,\t1,\t1,\t1,\t1.\t\t\n1,1\t1\t1\t1,1,1,1,1\t1.\t\t\t\t\t\t\t\t\t\t\t1,\t1,\t1.\t1,\th\t1,\t1,\t1,\t1,\t1.\t\t\n\t\tu\t. s. w.\t\t\t\t\t\t\t\t\t\t\t\t\t\t\tu\ts\t. w.\t\t\t\t\t\t\n26*","page":389},{"file":"p0390.txt","language":"de","ocr_de":"390\nDie letzte Reihe einer jeden dieser Oolumnen ist identisch mit der ersten und entspricht ihr vollkommen. Man kann daher diese Oolumnen fortsetzen, wenn man auf die letzte Reihe die zweite, dann die dritte u. s. w. folgen l\u00e4sst.\nDie charakteristischen Effectengruppen von I enthalten nun auf 20 aufeinanderfolgende Gruppen auch 20 verschiedene. Die charakteristischen Effectengruppen von II aber enthalten auf 20 succedi-rende Gruppen nur 10 verschiedene. Die charakteristischen Effectengruppen von HI enthalten auf je 20 auf einander folgende Gruppen 3 gleiche, w\u00e4hrend diejenigen von I alle von einander verschieden sind.\nDie charakteristischen Effectengruppen von I, H, III sind aber nur in der eben angegebenen Richtung verschieden. Denn alle auf einander folgenden charakteristischen Effectengruppen in I, II, HE sind, sofern sie \u00fcberhaupt von einander differiren, in I ebenso von einander verschieden als in II oder in IH, da in allen drei obigen Oolumnen zwei auf einander folgende unter sich verschiedene Effectengruppen lediglich (d. h. hei sonst analoger Anordnung und Gr\u00f6\u00dfe der Elementareffecte) darin von einander abweichen, dass sie einen Elementareffect \u00e0 1 [9] mehr bezw. weniger enthalten.\nDie charakteristischen Effectengruppen in II und III sind also unter sich \u00e4hnlicher als die in I. Dasselbe gilt nun auch von den charakteristischen Effectengruppen in IV; denn die Gruppen in IV und I unterscheiden sich einerseits lediglich dadurch, dass hei diesen der Werth 9 an Stelle des Werthes 8 steht, andererseits ist in IV die mittlere Variation der arithmetischen Mittel der zu einer Gruppe geh\u00f6rigen Elementareffecte geringer als in I. Es ist also erkl\u00e4rlich, dass Verminderung der Reiz-dauem, Vergr\u00f6\u00dferung des Unterschiedes der Reizdauern und Verminderung des Unterschiedes der Reizintensit\u00e4ten die Verschmelzung beg\u00fcnstigen.\nDie charakteristischen Effectengruppen in II, III, IV sind aber auch mehr als diejenigen in I denjenigen charakteristischen Effectengruppen \u00e4hnlich, die vorhanden w\u00e4ren, wenn das w\u00e4hrend der suc-cessiven Reize wirkende Licht gleichm\u00e4\u00dfig auf die Dauer der Reizwirkung vertheilt w\u00e4re.\nFolgende Zahlen bedeuten die arithmetischen Mittel der Eie-","page":390},{"file":"p0391.txt","language":"de","ocr_de":"Die stroboskopischen Erscheinungen.\n391\nmentareffecte derjenigen charakteristischen Effectengruppen, die in den obigen Columnen mitgetheilt sind.\nMittel f\u00fcr I\tMittel f\u00fcr II\tMittel f\u00fcr III\tMittel f\u00fcr IV\n5\t5\t4,2\t4,5\nFolgende fettgedruckten Zahlen bedeuten daher diejenigen charakteristischen Effectengruppen, die in I, II, III, IV bei absolut gleicher Lichtvertheilung vorhanden w\u00e4ren.\nI.\tn.\n5. 5. 5. 5. 5. 5. \u00e4. S. 5. 5.\t5. 5. 5. 5. 5. S. 5. 5. S. 5.\nin.\n4,3. 4,3. 4,3. 4,3. 4,3. 4,3. 4,3. 4,3. 4,3. 4,3.\nIV.\n4,\u00fc. 4,S. 4,S. 4,\u00abv. 4,lv. 4,\u00a3p. 4,S. 4,&. 4,S. 4,\u00e4\u00bb\nMan sieht nun ohne weiteres ein, dass die unter II, III und IV stehenden fettgedruckten Zahlen von den einzelnen ihnen correspon-direnden Gruppenmitteln der obigen Columnen durchschnittlich weniger differiren, als die unter I stehende fettgedruckte Gruppe durchschnittlich von den arithmetischen Mitteln der Gruppen in Columne I abweicht.\nWir haben somit an einem Beispiel gezeigt, dass durch Verminderung der Reizdauem, durch Vergr\u00f6\u00dferung des Unterschiedes der Reizdauern und durch Verminderung des Unterschiedes der Reiz-intensit\u00e4ten die charakteristischen Effectengruppen nicht nur unter sich \u00e4hnlicher werden, sondern dass sie sich auch denjenigen charakteristischen Gruppen n\u00e4hern, die vorhanden w\u00e4ren, wenn das Licht gleichm\u00e4\u00dfig auf die Zeit, innerhalb welcher es wirkt, vertheilt w\u00e4re. Da wir nun auf Grund der allgemeinen Thatsachen der Unterschiedsempfindlichkeit mit Recht annehmen, dass nicht nur absolut gleichen, sondern auch hinreichend \u00e4hnlichen Effectengruppen gleiche Empfindungen entsprechen, so ist es einleuchtend, dass die fraglichen drei Momente f\u00fcr die Verschmelzung g\u00fcnstig sein m\u00fcssen.\nGegen meine erste Darstellung dieser Theorie1) hat Witasek2)\n1) Philos. Studien, Bd. XII. (1896.) S. 279 ff.\n2} Zeitschr. f. Psychol, u. Physiol, d. Sinnesorg. Bd. XIII. (1897.) S. 116 ff.","page":391},{"file":"p0392.txt","language":"de","ocr_de":"392\neinen bemerkenswerthen Einwand erhoben. Er h\u00e4lt die Heranziehung des Weber\u2019schen Gesetzes als eines Erkl\u00e4rungsprincipes nicht f\u00fcr einwandsfrei, weil sich dieses Gesetz nur auf graduelle Unterschiede beziehe ; zwischen einer aus lauter gleichen Elementareffecten bestehenden Effectengruppe, z. B. 3, 3, 3, 3, 3, 3, 3, 3 und einer aus verschiedenen Elementareffecten bestehenden Effcctcngruppe, z. B. 2, 2, 2, 6, 2, 2, 2, 6 bestehe ein mehr als gradueller Unterschied. Auch k\u00f6nne man nicht sagen, dass die Verschiedenheit zwischen den charakteristischen Effectengruppen 2, 2, 2, 6, 2, 2, 2, 6 und 3, 3, 3, 3, 3, 3, 3, 3 geringer sei als die zwischen 4, 4, 4, 12, 4, 4, 4,12 und 6, 6, 6, 6, 6, 6, 6, 6.\nIch glaube, dass dieser Einwand gegen\u00fcber der Form, in welcher die Theorie oben vorgetragen wurde, und gegen\u00fcber den an Zahlen versuchten Erl\u00e4uterungen nicht mehr stichhaltig ist. Denn ich habe jetzt darauf hingewiesen, dass eine gleichm\u00e4\u00dfige Lichtver-theilung allerdings als Grenze einer ungleichm\u00e4\u00dfigen angesehen werden kann, bei welcher die mittlere Variation der Elementareffecte gleich Null wird, und dass sie auch als Grenze einer ungleichm\u00e4\u00dfigen betrachtet werden kann, bei welcher die Zeiten, innerhalb deren gleich viel Licht ins Auge f\u00e4llt, unendlich klein sind. Auch zeigen die obigen Erl\u00e4uterungen, dass man sehr wohl sagen kann, der Unterschied zwischen den charakteristischen Effectengruppen 2,2,2,6,2,2,2,6 und 3, 3, 3, 3, 3, 3, 3, 3 sei geringer als zwischen den Gruppen 4, 4, 4,12, 4, 4, 4,12 und 6, 6, 6, 6, 6, 6, 6, 6. Der Unterschied zweier gleich gro\u00dfer charakteristischer Effectengruppen mit verschiedenen Elementareffecten wird hei analoger Anordnung der Elementareffecte bestimmt durch die Differenz der arithmetischen Mittel beider Effectengruppen, eine Thatsache, die ich, wie man sieht, in den obigen Erl\u00e4uterungen benutzt habe1).\nDie in diesem Abschnitt bisher vorgetragenen Thatsachen und Theorien gelten f\u00fcr den Fall, dass die successiven Beize gleichzeitig f\u00fcr alle Netzhautpunkte abwechseln. Wenn man jedoch zur Erzeugung der successiven Beize Fl\u00e4chen anwendet, welche nach einander am Fixationspunkt vorbeieilen, wie dies bei rotirenden Scheiben und\n1) In Witasek\u2019s Kritik a. a. O. S. 118, Zeile 20 von oben ist statt ,gr\u00f6\u00dfer1 ,kleiner1 zu lesen. In meiner \u00bbTheorie des Talbot\u2019schen Gesetzes\u00ab, Philos. Studien, Bd. XII. (1896.) S. 293, Zeile 5 von unten ist statt ,k\u00fcrzere1 l\u00e4ngere1 einzusetzen.","page":392},{"file":"p0393.txt","language":"de","ocr_de":"Die stroboskopischen Erscheinungen.\n393\nbei den stroboskopischen Erscheinungen der Pall ist, so tritt zu den bisher genannten Momenten ein f\u00fcnftes hinzu, das der Contouren-bewegung. Je langsamer sich n\u00e4mlich unter sonst vollkommen gleichen Umst\u00e4nden die Pl\u00e4chencontouren bewegen, desto weniger verschmelzen die Reize.\nIch habe1) diese Thatsache daraus erkl\u00e4rt, dass die neben einander hegenden Netzhautstellen in jedem Zeitelement durchschnittlich um so verschiedener gereizt werden, je langsamer sich die Contouren bewegen; je langsamer sie sich bewegen, desto gr\u00f6\u00dfer sind daher (so lange keine Verschmelzung stattfindet) die Unterschiede der Erregungen der neben einander hegenden Netzhautpunkte. Je differenter aber die neben einander hegenden Netzhautpunkte bei einer Periodendauer, die gr\u00f6\u00dfer ist als die kritische, erregt sind, desto ung\u00fcnstiger hegen nat\u00fcrlich die Verh\u00e4ltnisse f\u00fcr die Verschmelzung, um so geringer wird daher die kritische Periodendauer sein m\u00fcssen.\nMit dieser Theorie ist es in guter Uebereinstimmung, wenn nach Schen\u00e7k2) sich die Thatsachen der Oontourenbewegung um so weniger geltend machen, je kleiner das Gesichtsfeld ist, dessen Helligkeit successive wechselt. Die Verschiedenheiten der Erregungen der neben einander hegenden Retinapunkte werden eben desto mehr geeignet sein, die kritische Periodendauer zu verk\u00fcrzen, auf einem je ausgedehnteren Netzhautbezirk sie vorhanden sind.\nGegen\u00fcber meiner Theorie der Oontourenbewegung haben Fick3) und Schenck3\u20194) sehr eigenth\u00fcmliche Ansichten ins Feld gef\u00fchrt. Nach diesen Forschem sind meine Darlegungen \u00fcber diesen Gegenstand deshalb unzutreffend, weil die Thatsachen der Coiftourenbe-wegung auf unbeabsichtigten, unwillk\u00fcrhchen Augenbewegungen beruhen, die sich um so mehr geltend machen sollen, je langsamer sich die Contouren bewegen. Ich habe fr\u00fcher5) meine Gr\u00fcnde gegen diese Ansichten und die vermeintlichen Beweise derselben dargelegt, jetzt\n1)\tPhilos. Studien, Bd. XII. (1896.) S. 288 ff. u. Zeitsohr. f. Psych, u. Physiol, d. Sinnesorg. Bd. XIII (1897.) S. 369. Anm.\n2)\tPfl\u00fcger\u2019s Archiv, Bd. 64. (1896.) S. 165 ff.\n3)\tPfl\u00fcger\u2019s Archiv, Bd. 64. (1896.) S. 165 ff.\n4)\tPfl\u00fcger\u2019s Archiv, Bd. 68. (1897.) S. 40 ff.\n5)\tZeitschr. f. Psychol, u. Physiol, d. Sinnesorg. Bd. XIII. (1897.) S. 365 ff. und Bd. XYI. (1898.) St. 438 ff.","page":393},{"file":"p0394.txt","language":"de","ocr_de":"394\nKarl Marbe.\naber kann ich auf eine Beihe von Versuchen hinweisen, welche mir nichts geringeres, als die Vernichtung der Fick-Schenck\u2019schen Augenbewegungstheorie zu bedeuten scheinen.\nVor einiger Zeit hat G-r\u00fcnbaum1) mitgetheilt, dass, wenn man einen Theil einer rotirenden Scheibe durch eine kleine kreisf\u00f6rmige Oeffnung betrachtet, die kritische Periodendauer um so geringer ist, je gr\u00f6\u00dfer das Verh\u00e4ltniss des Durchmessers der Oeffnung zur Breite der Sectoren ist. Das hei\u00dft: Wenn man einen Theil einer rotirenden Scheibe durch eine Oeffnung betrachtet, so ist die kritische Periodendauer um so geringer, je centraler der beobachtete Scheiben-theil gelegen ist.\nIch habe diese Thatsache auf folgende Weise nachgepr\u00fcft. Ich setzte eine aus 8 schwarzen und 8 wei\u00dfen Sectoren bestehende Scheibe in rotirende Bewegung. Gegen\u00fcber der Scheibe, in ca. 30 cm Entfernung, wurde ein gro\u00dfer, ganz mit schwarzem Papier \u00fcberzogener Spiegel aufgestellt. In dem Papier waren zwei kleine, unter sich gleiche, rechteckf\u00f6rmige L\u00f6cher von ca. 3,2 qmm Gr\u00f6\u00dfe ausgeschnitten. Das eine war so angebracht, dass der Beobachter bei geeigneter Stellung der Augen durch dasselbe einen m\u00f6glichst peripheren Scheiben-theil im Spiegel abgebildet sah, das andere so, dass es dem Auge einen m\u00f6glichst centralen Scheibentheil darbot. Wir gaben nun der Scheibe diejenige Geschwindigkeit, die n\u00f6thig war, um das Spiegelbild der peripheren Scheibentheile zur Verschmelzung gelangen zu lassen; dabei zeigte sich sowohl f\u00fcr Herrn D\u00fcrr als f\u00fcr mich, dass diese Geschwindigkeit ungen\u00fcgend war, um auch das Spiegelbild der central gelegenen Scheibentheile zur Verschmelzung zu bringen. Derselbe Versuch wurde nun mit einer Beihe anders zusammengesetzter Scheiben angestellt. Alle diese Experimente zeigten dasselbe Be-sultat. F\u00fcr das Verschmelzen einer rotirenden Scheibe ist es daher nach diesen Versuchen ung\u00fcnstiger, wenn ein centraler als wenn ein peripherer Scheibentheil fixirt wird. Das Gr\u00fcnbaum\u2019sche Ergebniss findet also in unseren Experimenten eine Best\u00e4tigung.\nWie unterscheiden sich nun f\u00fcr ein und dieselbe Scheibe die Spiegelbilder der Scheibenperipherie und des Scheibencentrums ? Bei allen mitgetheilten Versuchen zeigte das Spiegelbild des Centrums\n1) The Journal of Physiology. Yol. XXII. (1898.) S. 433 ff.","page":394},{"file":"p0395.txt","language":"de","ocr_de":"Die stroboskopischen Erscheinungen.\n395\ndurchschnittlich kleinere Fl\u00e4chen als das Spiegelbild der Peripherie. Dieser Umstand kann aber f\u00fcr die Erkl\u00e4rung unseres Ergebnisses nicht in Anspruch genommen werden, da ja im Gegentheil, wie ich schon fr\u00fcher1) betonte, die Verkleinerung der Felder eher g\u00fcnstig als ung\u00fcnstig f\u00fcr die Verschmelzung wirken muss. Das Spiegelbild der Scheibenperipherie differirt aber au\u00dferdem nur durch ein zweites Moment von demjenigen des Scheibencentrums, durch die Contouren-bewegung. Im Centrum bewegen sich die Contouren langsamer als an der Peripherie. Wenn deshalb hier die Verschmelzung leichter eintritt als dort, so folgt hieraus, dass die langsame Contourenbe-wegung als solche f\u00fcr die Verschmelzung ung\u00fcnstig ist, was meine Theorie eben verst\u00e4ndlich zu machen sucht. Dass aber die Contouren-bewegung erst durch Vermittelung der Fick-Schenck\u2019schen Augenbewegungen die Verschmelzung beeintr\u00e4chtige, ist hei diesen Versuchen ausgeschlossen. Denn Augenbewegungen, die von Einfluss auf das Verschmelzungsph\u00e4nomen sein k\u00f6nnen, finden jedenfalls dann nicht statt (und zwar auch nach Fick und Schenck nicht), wenn, wie es in unseren Experimenten der Fall war, dem Auge eine ganz kleine Fl\u00e4che, d. i. ein fester Fixationspunkt, dargeboten wird. Wenn daher die Thatsachen der Contourenbewegung auch eintreten, wo offenbar die Fick-Schenck\u2019schen Augenbewegungen ausgeschlossen sind, so wird man doch wohl schlie\u00dfen m\u00fcssen, dass diese Augenbewegungen \u00fcberhaupt nicht die Ursache f\u00fcr die sogenannten Thatsachen der Contourenbewegung sind2).\n1)\tTheorie des Talbot\u2019schen Gesetzes. Philos. Studien, Bd. XII. (1896.) S. 290 Anm.\n2)\tUeber die Thatsachen des Talbot\u2019schen Gesetz\u00e8s handeln neuerdings auch Lummer und Brodhun, Zeitschr. f. Instrumentenkunde, Jahrg. XVI. (1896.) S. 299ff. und J. B. Lough, Psych. Bev. Vol. m. (1896.) S. 484ff. Beide Arbeiten best\u00e4tigen, wie viele andere (vergl. Philos. Studien, Bd. XU. S. 279), die G\u00fcltigkeit des Talbot\u2019schen Gesetzes. Im Gegensatz zu diesen Ergebnissen glaubte vor Kurzem Gr\u00fcnbaum (a. a. O. S. 438ff.) die Ungenauigkeit des Talbot\u2019schen Gesetzes bei starken Beizen beweisen zu k\u00f6nnen. Wenn sich seine Ergebnisse als richtig erweisen sollten, so m\u00fcsste die Theorie des Talbot\u2019schen Gesetzes einige Erweiterungen erfahren. \u2014 Uebrigens hat Gr\u00fcnbaum (wohl mangels gen\u00fcgender Kenntniss der deutschen Sprache) aus meinen Arbeiten sehr wunderliche Dinge herausgelesen; S. 439 sagt er: \u00bbMarbe has stated several theoretical reasons for considering the Talbot-Plateau law inaccurate\u00ab, was ganz falsch ist, und S. 447 hei\u00dft es: \u00bbMarbe states that it (n\u00e4mlich Schwarz) is a stimulus of reconstitution","page":395},{"file":"p0396.txt","language":"de","ocr_de":"396\nKarl Marbe.\nTheorie der stroboskopischen Erscheinungen.\nAus dem Talbot\u2019schen Satz k\u00f6nnen wir einen gro\u00dfen Theil der stroboskopischen Gesetzm\u00e4\u00dfigkeiten ableiten.\nZun\u00e4chst ist es klar, dass eine Minimalgeschwindigkeit erforderlich ist, unter welcher der stroboskopische Effect \u00fcberhaupt nicht eintritt (vergl. Fischer\u2019s Resultate Nr. 4). Denn bei allen stroboskopischen Versuchen (mag es sich nun um die Darstellung von Bewegungen handeln oder um ruhend zu sehende Bilder, wie beim Stampfer\u2019schen Versuch mit dem Wort \u00bbOptik\u00ab) werden dem Auge successive Gesichtsreize geboten, von denen eine Reihe zun\u00e4chst einmal verschmelzen muss, wenn von einem stroboskopischen Effect die Rede sein soll. Vor allem darf die Unterbrechung der Bildphasen nicht mehr zum Bewusstsein kommen.\nEs ist aber auch klar, dass, wenn man bei der Fischer\u2019schen Anordnung die Geschwindigkeit immer mehr wachsen l\u00e4sst (vgl. Fischer\u2019s Resultate Nr. 3), dass man dann 2 und bei gr\u00f6\u00dferer Geschwindigkeit noch mehr Punkte unter einander dieselbe Bewegung ausf\u00fchren sieht. Will man die Sache so einrichten, dass man nur einen Punkt schwingen sieht, so muss man den Scheiben eine so geringe Geschwindigkeit geben, dass jeder Punkt eben zu verschwinden scheint, wenn der n\u00e4chste sichtbar wird. Ist die Geschwindigkeit so gro\u00df, dass der vorhergehende Punkt immer noch wirkt,\nof that material which is decomposed by white light\u00ab. Wann und wo habe ich mich \u00fcber diesen Gegenstand \u00fcberhaupt ausgesprochen? Meine Litteraturangaben in der Schrift \u00bbTheorie des Talbot\u2019schen Gesetzes\u00ab hat Gr\u00fcnbaum gar nicht benutzt und nicht einmal zur Erkenntniss, dass es sich in dieser Schrift um eine Theorie des Talbot\u2019schen Gesetzes handelt, scheint er vorgedrungen zu sein. \u2014\u2022 Eine Reihe anderer hierher geh\u00f6riger Arbeiten sind referirt in der Zeitschr. f\u00fcr Psychol, u. Physiol, d. Sinnesorg. Bd. XVI. (1898.) f. \u2014 Meine fr\u00fcheren Bem\u00fchungen (Zeitschr. f. Psychol, u. Physiol, d. Sinnesorg. Bd. XIII. (1897.) S. 368), die That-sachen der Contourenbewegung f\u00fcr den Tastsinn nachzuweisen, sind gescheitert. Im Verlauf der Untersuchungen mit Zahnr\u00e4dern zeigte sich, dass (obgleich einzelne Versuche im Sinne der Contourenbewegung ausgefallen waren) gro\u00dfe Zahnzahl f\u00fcr die Vergr\u00f6\u00dferung der kritischen Periodendauer g\u00fcnstig ist. Diese That-sache h\u00e4ngt offenbar damit zusammen, dass man unwillk\u00fcrlich um so tiefer in die R\u00e4der eingreift, je weniger Z\u00e4hne vorhanden sind, d. h. je gr\u00f6\u00dfer die Zahnl\u00fccken sind. Ueber die hierher geh\u00f6rigen Thatsachen des Tastsinns vergl. Valentin, Archiv f. physiol. Heilkunde, Jahrg. XI. (1852.) S. 438 ff. u. S. 587 ff.","page":396},{"file":"p0397.txt","language":"de","ocr_de":"Die stroboskopischen Erscheinungen.\n397\nwenn der n\u00e4chste das Auge reizt, so sieht man zwei Punkte unter einander dieselbe Bewegung ausf\u00fchren. Drehen sich die Scheiben so schnell, dass noch zwei Punkte nachwirken, wenn der dritte erscheint, so sieht man drei Punkte unter einander u. s. f.\nDass die Punkte sch\u00e4rfer begrenzt sind, wenn die Scheiben in entgegengesetzter Richtung sich drehen, als wenn sie in gleicher Richtung rotiren (vgl. Fischer\u2019s Resultate Nr. 1 und 2), liegt daran, dass die Punkte bei gleicher Rotationsrichtung an einem gr\u00f6\u00dferen Retinast\u00fcck vorbeipassiren, als bei entgegengesetzter. Drehen sich die Scheiben daher so schnell, dass der stroboskopische Effect ein-tritt, so n\u00e4hern sich hei gleicher Rotationsrichtung die Retinabilder der Punkte viel mehr der Gestalt von Linien, als dies hei verschiedener Rotationsrichtung der Fall ist. \u2014 Dass aber der kurze Phaseneindruck als solcher ganz allgemein f\u00fcr die Sch\u00e4rfe der stroboskopisch gesehenen Bilder g\u00fcnstig ist, was Fischer annimmt, darf nicht behauptet werden. Diese Ansicht gilt, wie man aus unserer Erkl\u00e4rung des fraglichen Ph\u00e4nomens direct ersieht, nur f\u00fcr diejenigen Versuchsanordnungen, hei welchen dem Auge die Bildphasen nicht ruhend, sondern bewegt geboten werden.\nDass man hei gleicher Rotationsrichtung der Scheiben und wenn man das Auge direct vor die Spiegelscheibe bringt, nur ungef\u00e4hr n, hei umgekehrter Rotationsrichtung und entferntem Auge doppelt so viel Punkte in halber Entfernung von einander sieht (vergl. oben S. 383), \u2014 liegt (wie Fischer richtig ausf\u00fchrt) daran, dass im zweiten Falle das Auge durch mehrere Spalten zugleich sehen kann, und dass hier nach\nDrehung der Scheiben um \u2014\u2014 immer ein neues Phasenhild sichtbar\nlilfb\nwird, w\u00e4hrend im ersten Fall (bei gleicher Rotationsrichtung und wenn das Auge sich direct vor der Spaltscheihe befindet) das Auge nur durch einen Spalt zugleich sehen kann und daher hier erst nach\nDrehung der Scheiben um ~ ein neues Phasenhild erblickt.\nDie Thatsache, dass der stroboskopische Effect unter sonst vollkommen gleichen Bedingungen um so leichter eintritt, je k\u00fcrzer die Zeiten sind, w\u00e4hrend welcher die Phasenbilder auf das Auge wirken (vergl. Fischer\u2019s Resultate Nr. 6), ist nur ein specieller Ausdruck des allgemeinen Gesetzes, demzufolge die kritische Periodendauer f\u00fcr","page":397},{"file":"p0398.txt","language":"de","ocr_de":"398\nKarl Marbe.\nsuccessiv periodische Reize um so gr\u00f6\u00dfer ist, je geringer die Differenz der Dauer dieser Reize ist. Die Reize, um die es sich hier handelt sind je ein Phasenbild einerseits und der auf dasselbe folgende dunkle, durch die Spaltscheibe applicirte Lichtreiz.\nDass man, wenn man die successiven Punkte auf dieselbe Netzhautstelle fallen l\u00e4sst (wie Gr\u00fctzner gethan hatte, yergl. seine Resultate Nr. 1 und 2), mit H\u00fclfe der stroboskopischen Scheiben die Thatsachen der Farbenentstehung und des Farbencontrastes darstellen kann, ist ohne weiteres einleuchtend. Man hat es in diesem Falle einfach mit successiv-periodischen Gesichtsreizen zu thun, ebenso wie hei der Benutzung einfacher rotirender Scheiben. Man wird daher auch mittels der stroboskopischen Scheiben die Thatsachen darstellen k\u00f6nnen, die man bekannterma\u00dfen mit H\u00fclfe successiv-periodischer Reize darstellt.\nZu den successiv-periodischen Reizen ist aber in diesem Falle auch das Licht zu rechnen, welches die Netzhaut w\u00e4hrend der Zeit trifft, wo die Bildscheibe durch die Spaltscheibe verdeckt ist, ein Umstand, den Gr\u00fctzner hei der Erkl\u00e4rung seiner diesbez\u00fcglichen Ergebnisse nicht betont hat.\nWir haben jetzt eine Reihe von S\u00e4tzen, die sich auf das Stroboskop beziehen, direct auf das Talhot\u2019sehe Gesetz zur\u00fcckgef\u00fchrt und somit die alte allgemeine Ansicht im einzelnen best\u00e4tigt, dass die stroboskopischen Erscheinungen mit dem Talbot-schen Gesetz aufs engste Zusammenh\u00e4ngen. Diejenigen stroboskopischen Erscheinungen, bei welchen es sich nicht um das Sehen bewegter Bilder handelt (wie z. B. die angef\u00fchrten Gr\u00fctzner\u2019sehen Ergebnisse und die Stampf er\u2019sehen Versuche mit dem Worte \u00bbOptik\u00ab), beruhen im wesentlichen lediglich auf den Thatsachen des Talhot\u2019schen Satzes. Diejenigen aber, hei welchen der Eindruck bewegter Objecte erzeugt wird (und dies sind ja die interessantesten und wichtigsten), beruhen noch auf einem zweiten Moment, n\u00e4mlich darauf, dass wir unter Umst\u00e4nden continuirliche Bewegungen zu sehen glauben, auch wenn die einzelnen auf einander folgenden Bildphasen nicht auf neben einander Hegende Netzhautstellen fallen. Wenn ein objectiver Gegenstand vor unserem Auge auf- und abschwingt, so beleuchtet er die entsprechenden neben einander liegenden Netzhautpunkte. Wenn wir mittels des Stroboskops aber den","page":398},{"file":"p0399.txt","language":"de","ocr_de":"Die stroboskopischen Erscheinungen.\n399\nEindruck eines auf- und abschwingenden Punktes erzeugen wollen, so d\u00fcrfen die nach einander die Netzhaut beleuchtenden Punkte einen gewissen Abstand von einander haben, ohne dass dadurch der stroboskopische Effect vereitelt w\u00fcrde. Wir k\u00f6nnen diese Thatsache auch so ausdr\u00fccken: Wenn wir Bewegungen stroboskopisch darstellen, so d\u00fcrfen mehrere Bewegungsphasen ausfallen, ohne dass wir es bemerken.\nIch war eine Zeit lang der Meinung, diese Thatsache h\u00e4nge mit dem Verhalten unserer Sehsch\u00e4rfe zusammen. Unter Sehsch\u00e4rfe versteht man bekanntlich die F\u00e4higkeit des Auges, zwei leuchtende Punkte zu unterscheiden1). Ich nahm nun an, wir w\u00fcrden nur dann in der Lage sein, dem Auge stroboskopisch den Eindruck von Bewegungen zu verschaffen, wenn die Retinabilder zweier successiver Phasen so nahe bei einander l\u00e4gen, dass ihre Distanz, auch wenn sie zu gleicher Zeit geboten w\u00fcrden, nicht zum Bewusstsein k\u00e4me. Ich habe mich aber alsbald von der g\u00e4nzlichen Unrichtigkeit dieser, wie ich glaube, naheliegenden Meinung \u00fcberzeugt. Man kann n\u00e4mlich z. B. bei der Fischer\u2019schen Anordnung mit dem schwingenden Punkte die Phasenbilder (ohne den stroboskopischen Effect zu st\u00f6ren) um mehr als ca. 5 mm entfernen, um eine Distanz also, die wir (nat\u00fcrlich bei normaler Entfernung des Apparates vom Auge) jedenfalls nicht in Folge unserer geringen Sehsch\u00e4rfe \u00fcbersehen k\u00f6nnen.\nAuf Grund des Gr\u00fctzner\u2019schen Versuches mit den Bildern bockspringender Knaben, und unseres Experimentes mit den Bildern des Reiters bin ich nun zur Ansicht gelangt, dass der Ausfall von Bewegungsphasen in Folge centraler Ursachen unbemerkt bleibt. Das Experiment mit dem Reiter gab uns ein Beispiel daf\u00fcr, dass eine Reihe von Bewegungsphasen unter Umst\u00e4nden ohne Nachtheil ausfallen kann, dass aber der Ausfall der Bewegungsphasen bei gen\u00fcgender Aufmerksamkeit und geeigneter Richtung derselben bewusst werden kann. Ebenso wie bei diesem Versuch verh\u00e4lt es sich bei den stroboskopischen Bewegungserscheinungen \u00fcberhaupt. Der Ausfall von Bewegungsphasen bleibt, wenn der stroboskopische Effect eintritt, unbemerkt, kann aber bei gen\u00fcgender Aufmerksamkeit und\n1) Eine \u00fcbersichtliche Darstellung der wichtigsten Thatsachen der Sehsch\u00e4rfe giebt Nuel in Kichet\u2019s Dictionnaire de Physiologie, Bd. I. (1895) S, 122\u2014136.","page":399},{"file":"p0400.txt","language":"de","ocr_de":"400\nKarl Marbe.\ngeeigneter Richtung derselben zum Bewusstsein gebracht werden. Von der Richtigkeit dieser Anschauung kann man sich \u00fcberzeugen, wenn man bei der Fischer\u2019schen Anordnung mit den schwingenden Punkten auf der Bildscheibe einen ihr concentrischen Kreis zieht, so dass die Punkte der Bildscheihe ausschlie\u00dflich auf beiden Seiten des Kreises liegen. Erzeugt man nun durch Bewegung der Scheiben den stroboskopischen Effect, so bemerkt man bei aufmerksamem Zusehen sogleich, dass man den schwingenden Punkt nie direct \u00fcber dem Kreise sieht. Da deshalb der Satz, dass der Ausfall der Bewegungsphasen bei geeigneter Richtung und St\u00e4rke der Aufmerksamkeit bewusst wird, nicht nur bei dem Versuch mit dem Reiter, sondern auch bei dem elementaren Versuch mit dem schwingenden Punkt eintritt, so darf man wohl annehmen, dass er eine allgemeine Gesetzm\u00e4\u00dfigkeit der stroboskopischen Erscheinungen ausdr\u00fcckt1).\nDa nun der Ausfall der Bewegungsphasen bei geeigneter Richtung und St\u00e4rke der Aufmerksamkeit zum Bewusstsein kommt, so folgt daraus nothwendig, dass dieser Ausfall dann unter gew\u00f6hnlichen Umst\u00e4nden deshalb unbemerkt bleibt, weil es an einer geeignet gerichteten oder gen\u00fcgend intensiven Aufmerksamkeit fehlt. Der Ausfall der Bewegungsphasen bei den stroboskopischen Erscheinungen bleibt also in Folge rein centraler Ursachen unbemerkt.\nWir haben jetzt die Theorie der stroboskopischen Erscheinungen im wesentlichen erledigt. Wir haben gesehen, dass alle hierher geh\u00f6rigen Vorg\u00e4nge auf den Thatsachen des Talbot\u2019schen Gesetzes beruhen. Der wichtigste Theil dieser Vorg\u00e4nge, die stroboskopischen Bewegungserscheinungen beruhen au\u00dferdem auf der Thatsache, dass wir in Folge rein centraler Verh\u00e4ltnisse den Ausfall von Bewegungsphasen nicht bemerken. Wir haben jetzt nur noch zu Nr. 5 und Nr. 7 der Fischer\u2019schen Ergebnisse einiges zu bemerken.\nDass die Erscheinung der Bewegung von Punkten bei der Fischer\u2019schen Anordnung (vergl. dessen Ergebniss Nr. 5) um so leichter eintritt, je weniger Punkte neben einander zu gleicher Zeit sichtbar sind, hat schon Fischer richtig erkl\u00e4rt: Je mehr Punkte\n1) Hiermit ist nat\u00fcrlich nicht gesagt, dass es uns immer m\u00f6glich ist, der Aufmerksamkeit eine geignete Richtung zu geben. So k\u00f6nnen wir z. B. bei der Fischer\u2019schen Anordnung ohne Zuh\u00fclfenahme des Kreises oder dergl. den Ausfall der Bewegungsphasen nicht bemerken.","page":400},{"file":"p0401.txt","language":"de","ocr_de":"Die stroboskopischen Erscheinungen.\n401\nman zu gleicher Zeit sieht, eine desto gr\u00f6\u00dfere Wahl hat man, wie man die Punkte einander zuordnen will, da eine Bewegung, die eine andere Zuordnung als die durch die Yerticalen voraussetzt, ebenso gut m\u00f6glich ist; erst bei gr\u00f6\u00dferer Geschwindigkeit macht sich ein Zwang geltend, hei der H\u00e4ufung der Eindr\u00fccke die Zuordnung in der einfachsten Weise zu erkl\u00e4ren.\nDie Thatsache, dass der stroboskopische Effect um so deutlicher eintritt, je geringer die Intensit\u00e4t des Lichtes ist, das zwischen der Wirkung der einzelnen Phasenhilder auf die Netzhaut f\u00e4llt (vergl. Fischer\u2019s Kesultat Nr. 7 und meine Berichtigung dazu) ergibt sich aus unserer Unterschiedsempfindlichkeit. Wie wir den stroboskopischen Apparat auch einrichten m\u00f6gen, und was f\u00fcr ruhende oder bewegte Bilder wir auch im Stroboskop sehen m\u00f6gen, wir sehen die Bilder auf einem Untergrund und wir sehen sie tun so deutlicher, je verschiedener ihre Helligkeit von derjenigen des Grundes erscheint. Die subjective Helligkeit des gesehenen Bildes wird nun (den That-sachen des Talbot\u2019schen Gesetzes entsprechend) durch die Lichtintensit\u00e4ten des ohjectiven Bildes und der zwischen ihnen wirkenden Reize bestimmt; die subjective Helligkeit des Grundes wird ebenso bestimmt, nur dass hier an Stelle der Bilder eine homogene wei\u00dfe, graue oder schwarze Fl\u00e4che eintritt. Nun ist aus der Lehre von der Unterschiedsempfindlichkeit allgemein bekannt, dass der subjective Helligkeitsunterschied zweier benachbarter Fl\u00e4chen unter sonst gleichen Bedingungen um so gr\u00f6\u00dfer ist, je schw\u00e4cher das von diesen Fl\u00e4chen reflectirte Licht ist. Auch die stroboskopischen Bilder m\u00fcssen sich daher um so deutlicher vom Grunde abhehen, je geringer die objectiven Lichtintensit\u00e4ten sind, die Bild und Grund entsprechen. Dies ist aber um so mehr der Fall, je schw\u00e4cher die Intensit\u00e4t der \u2014 abgesehen von den Bildern \u2014 auf die Netzhaut wirkenden Reize ist. Die stroboskopischen Bilder m\u00fcssen sich also um so deutlicher abheben, d. h. man muss die stroboskopischen Bilder um so deutlicher sehen, je geringer die Intensit\u00e4t des Lichtes ist, das zwischen den einzelnen Phasenbildern auf die Netzhaut f\u00e4llt.","page":401}],"identifier":"lit4513","issued":"1898","language":"de","pages":"376-401","startpages":"376","title":"Die stroboskopischen Erscheinungen","type":"Journal Article","volume":"14"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:23:43.698407+00:00"}