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{"created":"2022-01-31T14:25:19.213492+00:00","id":"lit4517","links":{},"metadata":{"alternative":"Philosophische Studien","contributors":[{"name":"Seyfert, Richard","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Philosophische Studien 14: 550-566","fulltext":[{"file":"p0550.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die Auffassung einfachster Raumformen.\nY on\nRichard Seyfert.\nMit einer Figur im Text.\nDer Ausgangspunkt der folgenden Untersuchungen war ein p\u00e4dagogisches Interesse. Genaue Auffassung der Formen der Dinge ist eine der wichtigsten Bedingungen der geistigen Bildung. Unsere Gesichtsvorstellungen aber sind complexe psychische Gebilde, in die au\u00dfer den Netzhautempfindungen auch Augenbewegungsempfindungen, sowie anderweite Muskelempfindungen und schlie\u00dflich auch Reflexionen eingehen. Es ist sicher interessant, festzustellen, welchen Antheil die genannten Momente an der Ausgestaltung der Gesichtsvorstellungen haben oder, anders ausgedr\u00fcckt, wie sich die Vorstellungen gestalten, wenn die einzelnen Factoren f\u00fcr sich und wenn sie in willk\u00fcrlich ver\u00e4nderten Verbindungen wirken.\nDie Exactheit der Formenauffassung h\u00e4ngt aber auch von ob-jectiven Bedingungen ab, von der Gr\u00f6\u00dfe der Form, von der Entfernung, in der sie gesehen wird, von Helligkeits- und Farben-contrasten, von der Deutlichkeit der Umrisslinie und der markanten Punkte dieser Linie.\nZun\u00e4chst sind die subjectiven Factoren ins Auge gefasst worden.\nBei den Versuchen stellten sich mir als Versuchspersonen die Herren Professor Meumann, Assistent Mosch, v. Jankowsky, Hanschmann, Waisemann, Schniedewind, Otto, Hertsch und Br\u00e4unlich freundlichst zur Verf\u00fcgung, denen ich hierdurch danke. Ich verwende im Folgenden f\u00fcr die Namen der Herren Chiffren, die wohl f\u00fcr mich etwas, f\u00fcr den Leser aber nichts bedeuten: Al, Bro, Cha, Dro, Em, Fri, Gab, Hu, lg.","page":550},{"file":"p0551.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die Auffassung einfachster Raumformen.\n551\nA. Die Apparate.\nAls die zu untersuchende einfachste Raumform wurde aus bestimmten Gr\u00fcnden das Dreieck gew\u00e4hlt.\nDen verschiedenen Zwecken der Versuche entsprachen mehrere Apparate.\nI.\tDie einfachsten bestehen in wei\u00dfen Cartonbl\u00e4ttchen, auf die die aufzufassenden Dreiecke mit schwarzer Tusche gezeichnet werden.\nII.\tF\u00fcr einige Versuche (besonders f\u00fcr Massenversuche, die hier nicht weiter zu erw\u00e4hnen sind) habe ich auf einer gro\u00dfen, mit wei\u00dfem Papier \u00fcberzogenen Papptafel die Eckpunkte der darzustellenden Dreiecke eingestochen. In die so entstandenen L\u00f6cher werden je drei feine Nadeln eingesteckt, die das bestimmte Dreieck bilden. Die Umrisslinie wird durch eine in sich geschlossene Gummischnur gebildet, die um die Nadeln herumgelegt wird.\nHL Um endlich die M\u00f6glichkeit zu haben, jedes denkbare Dreieck m\u00f6glichst schnell herzustellen, habe ich den in beistehender Figur dargestellten einfachen Apparat construirt. ab, ac und bd sind 40\u201450 cm lange Stahlst\u00e4bchen. ab ist fest, ac und bd aber sind mit Oesen auf ab verschiebbar, zugleich aber um ihren Endpunkt drehbar, dort also mit Charnier versehen. (F\u00fcr meine Zwecke gen\u00fcgte es, das Ge-st\u00e4be aus Regenschirmst\u00e4ben zusammenzusetzen.) ab wird nun auf einer gro\u00dfen achteckig geschnittenen, mit wei\u00dfem Papier \u00fcberzogenen Pappe befestigt. Auf diese zeichnet man bei a (m\u00f6glichst fein) die Winkeleintheilung, w\u00e4hrend man bei b einen Transporteur aus Papier so anbringt, dass er sich mit dem Schenkel bd verschieben l\u00e4sst. Mit diesem Apparate l\u00e4sst sich jedes Dreieck schnell construiren, und durch Drehung der","page":551},{"file":"p0552.txt","language":"de","ocr_de":"552\nRichard Seyfert.\nPappe kann man die Dreiecke auch in jeder beliebigen Lage zeigen. Bei den Versuchen selbst \u00fcberdecke man die \u00fcberspringenden Enden der Schenkel mit einem Blatte wei\u00dfen Papieres, indem man damit zugleich die Schenkel in ihrer Lage fixirt.\nB. Die Reproduction der Auffassung.\nAls einfachste Eorm der Beproduction erscheint zun\u00e4chst das freih\u00e4ndige Nachzeichnen der aufgefassten Figur. Aber bei geringer Uehung entspricht nach dem Zugest\u00e4ndniss einiger Versuchspersonen das Gezeichnete dem Vorgestellten nicht oder doch nur ganz ann\u00e4hernd. Darum versuchte ich die Reproduction dadurch zu erleichtern, dass ich im Zeichenhefte der Versuchspersonen die Basis des zu reproducirenden Dreieckes einzeichnete, deren Endpunkte etwas markirte und nur das Setzen des dritten Punktes forderte.\nNebenbei sei erw\u00e4hnt, dass ich um anderer Zwecke willen auch andere Reproductionsweisen anwenden lie\u00df, zun\u00e4chst das freih\u00e4ndige Zeichnen mit geschlossenem Auge, endlich auch das Construiren mit schwarzen E\u00e4den. F\u00fcr diese letztere Art ist ein kleiner Apparat n\u00f6thig, der im Princip mit dem oben dargestellten \u00fcbereinstimmt. Der Unterschied besteht darin, dass die Dimensionen kleiner und dass statt der Stahlst\u00e4be E\u00e4den vorhanden sind, die straff gezogen werden m\u00fcssen.\nC. Die Versuche.\n1. Allgemeine Vorbemerkungen.\nDie ersten der Versuche waren Abstufungsversuche, so angestellt, dass einer der Basiswinkel constant blieb, w\u00e4hrend der andere von 5\u00b0 zu 5\u00b0 vergr\u00f6\u00dfert oder verkleinert wurde. Die Ahstufungsversuche wurden sp\u00e4ter zweckm\u00e4\u00dfig durch Typenversuche ersetzt, deren Ergebnisse allein im Folgenden benutzt worden sind. 10 Dreiecke mit folgenden Basiswinkeln wurden in jeder Versuchsreihe gezeichnet:","page":552},{"file":"p0553.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die Auffassung einfachster Raumformen.\n553\nNr.\ta\tb\n1.\t45\u00b0\t45\u00b0\n2.\t90\u00b0\t30\u00b0\n3.\t30\u00b0\t90\u00b0\n4.\t40\u00b0\t40\u00b0\n5.\t60\u00b0\t60\u00b0\n6.\t70\u00b0\t70\u00b0\n7.\t50\u00b0\t70\u00b0\n8.\t80\u00b0\t45\u00b0\n9.\t25\u00b0\t110\u00b0\n10.\t115\u00b0\t15\u00b0\nDurch Ver\u00e4nderung der Reihenfolge, vor allem aber durch Aende-rung der Lage der Dreiecke hei jeder neuen Versuchsreihe wurde das Wiedererkennen und ged\u00e4chtnissm\u00e4\u00dfige Zeichnen m\u00f6glichst verhindert. Um eine gro\u00dfe Zahl von F\u00e4llen zu erhalten, wurde jedes Dreieck dreimal hinter einander aufgefasst und dargestellt, so aber, dass die Auffassungszeiten im Verh\u00e4ltnis 3:2:1 standen, sich also bei der Wiederholung verk\u00fcrzten.\n2. Uebersicht \u00fcber die Versuche.\n1.\tA-F\u2019(Augen-fest)-Versuche. Bei diesen werden die Dreiecke in der Weise auf gefasst, dass ein innerhalb derselben markirter Punkt scharf fixirt wird. Die Auffassungszeiten sind 12, 8 und 4 Se-cunden. Unwillk\u00fcrliche Mitbewegungen der Hand werden dadurch ausgeschaltet, dass man die Fingerspitzen der beiden H\u00e4nde leicht gegeneinander pressen l\u00e4sst.\n2.\tA-B1 (Augen-hewegt) -Versuche1, das sind reine Augenbewegungsversuche. Die Dreiecke sind auf der wei\u00dfen Fl\u00e4che so fein nur angedeutet, dass sie wohl vom Experimentator, nicht aber von der Versuchsperson erkannt werden k\u00f6nnen. Mit H\u00fclfe eines wei\u00dfen Zeigestabes, an dessen Ende sich eine kleine schwarze Scheibe befindet, werden die Dreiecksformen umfahren. Die Versuchsperson hat die Aufgabe, die bewegte Scheibe zu fixiren und ihrer Bewegung mit dem Auge zu folgen. Auf scharfes Fixiren muss sorgf\u00e4ltig geachtet werden, um die Nachbildwirkung m\u00f6glichst auszuschalten. Damit die Bewegung recht ausgiebig werde, sind die Dreiecke gro\u00df","page":553},{"file":"p0554.txt","language":"de","ocr_de":"554\nRichard Seyfert.\nzu zeichnen. Das Umfahren der Dreiecksumrisse erfordert etwas Uebung und eine ruhige Hand. N\u00f6thig ist es auch, dass der Zeigestab immer sich parallel gef\u00fchrt wird. Mithewegungen der Hand der Versuchsperson sind wie bei dem 1. Versuche zu verhindern.\n3.\tH-B (Hand-bewegt)-Versuche. Sie werden so ausgef\u00fchrt, dass die Versuchsperson bei geschlossenem Auge tastend mit dem Finger auf den St\u00e4ben des oben unter Fig. 1 dargestellten Apparates hinf\u00e4hrt und aus den Tast- und den Bewegungsempfindungen der Hand und des Armes das Dreieck reconstruirt. Das Tasten erfolgt bei jedem Dreieck erst drei-, dann zwei-, zuletzt einmal. Bei einer zweiten Versuchsanordnung He\u00df ich die Umrisse ausgestanzter Dreiecke mit dem Bleistift nachziehen. Ein wesentlicher Unterschied in den Ergebnissen hat sich zwischen beiden Arten nicht herausgestellt.\nDie weiteren Versuche sind nun Oombinationen.\n4.\tDie yl-iU7-Versuche erfolgen so, dass das Auge durch den Zeigestab veranlasst wird, der deutlich sichtbaren Umrisslinie des Dreiecks zu folgen. Netzhautbild (Nachbild) und Augenbewegungsempfindung wirken also zusammen.\n5.\tA-B1- und H-B-Yersuche, d. h. eine Verbindung des 2. und des modificirten 3. Versuches. Es wirken zusammen die Augen-bewegungsempfindungen (ohne Netzhauthild) und die Bewegungsempfindungen der Hand und des Armes. Die Ausf\u00fchrung erfolgt wie hei dem 2. Versuche, gleichzeitig aber zeichnet die Versuchsperson mit Bleistift das Dreieck, ohne jedoch die Markirungsscheibe des Zeigestabes aus dem Auge zu verlieren.\n6.\tA-B11- und H-B-Versuche, d. i. eine Combination des 4. und des modificirten 3. Versuches. Das Auge folgt dem Zeigestabe, der die deutlich sichtbaren Dreiecke umf\u00e4hrt, gleichzeitig zeichnet die Hand das angeschaute Dreieck nach. So wirken demnach zusammen das Netzhauthild (Nachbild), die Augenbewegungsempfindung und die Bewegungsempfindungen der Hand und des Armes.\nAls mehr nebens\u00e4chlich und gelegentlich wurde noch ein Versuch mit innerlich erregten Vorstellungen, also mit H\u00fclfe der Beflexion angestellt. Die Aufgabe der Versuchsperson war hier die, auf die blo\u00dfe Angabe der Gr\u00f6\u00dfe der Basiswinkel hin die Dreiecke zu zeichnen.","page":554},{"file":"p0555.txt","language":"de","ocr_de":"555\nUeber die Auffassung einfachster Raumformeu.\n3. Ermittelung der Ergebnisse.\nDie Exactheit der Auffassung der Formen soll erschlossen werden aus der Dichtigkeit der Eeproduction \u00e4hnlicher Formen im geometrischen Sinne. Da die geometrische Aehnlichkeit auf der TJeber-einstimmung der Winkel beruht, lassen sich die in der Eeproduction gemachten Fehler durch die Abweichungen in den Winkeln aus-dr\u00fccken.\nWird ein Dreieck mit den Basiswinkeln a = 90\u00b0, b = 30\u00b0 ver\u00e4ndert in ein solches mit a = 92\u00b0, b \u2014 36\u00b0, so betr\u00e4gt der Fehler\nf\u00fcr \u00ab\t=\t+ 2\u00b0\n\u00bb b = + 6\u00b0\n\u00bb c \u00ab= \u20148\u00b0.\nWird 86\u00b0 und 28\u00b0 gezeichnet, so sind die Fehler 4\u00b0, \"\u20142\u00b0,\t6\u00b0.\nWird gezeichnet 92\u00b0 und 26\u00b0, so betragen die Fehler -j- 2\u00b0, \u2014 4\u00b0, H- 2\u00b0.\nDie Hereinziehung des 3. Winkels ist n\u00f6thig, weil in ihm der Fehler entweder verst\u00e4rkt oder theilweis compensirt erscheint, je nachdem die Basiswinkel im gleichen oder im entgegengesetzten Sinne verfehlt worden sind. F\u00fcr die Fehlersumme eines Dreieckes ist das Vorzeichen gleichg\u00fcltig; sie betr\u00e4gt bei den angef\u00fchrten Beispielen 16\u00b0, 12\u00b0, 8\u00b0.\nDa bei jedem Versuche 10 Dreiecke, jedes 3mal, im Ganzen also 30 Dreiecke gezeichnet wurden, enth\u00e4lt jedes Protocoll 90 Winkelangaben.\nDas Beispiel eines Protocolls m\u00f6ge hier folgen.\n23.2.97. II. Yersuoh. Lage des Dreiecks:\nDreieck Nr. a\n1.\nReihenfolge : 1. Reproduction\n2.\n3.\n4.\n5.\n6.\n7.\n8.\n9.\nbabe Sa. 30\u00b0 90\u00b0 +2\u00b0\t0\t\u2014 2\u00b0 4\u00b0\n90\u00b0 30\u00b0\t0\t\u2014 2\u00b0 + 2\u00b0 4\u00b0\n40\u00b0 40\u00b0\t\u20141\u00b0\t\u20144\u00b0\t+5\u00b0\t10\u00b0\n450 450\t_ 50\t+ 40\t_|_ 40\t10o\nii0\u00b0 60\u00b0 \u20148\u00b0 \u20143\u00b0 +11\u00b0 22\u00b0 70\u00b0 70\u00b0\t\u201410\u00b0\t\u2014 8\u00b0\t+ 18\u00b0\t36\u00b0\n50\u00b0 70\u00b0\t\u2014 15\u00b0\t+ 4\u00b0\t+ 12\u00b0\t32\u00b0\n80\u00b0 45\u00b0 + 1\u00b0 + 11\u00b0 \u201412\u00b0 24\u00b0 25\u00b0 110\u00b0 \u20146\u00b0 \u20148\u00b0 +14\u00b0 28\u00b0\nl0- 115\u00b0 15\u00b0 +6\u00b0 +1\u00b0 \u20147\u00b0 14\u00b0\n\"Wnndt, Philos. Studien. XIV.\nb*\n2. 4. 6. 8. 10. 1. 3. 5. 2. Reproduction abc Sa. 0 0 0 0 + 2\u00b0 \u2014 3\u00b0 +1\u00b0 6\u00b0\n_)_10\t_|_go\t_4o\tgo\n+1\u00b0 \u2014 2\u00b0 +1\u00b0 4\u00b0 0\t\u20145\u00b0\t+5\u00b0\t10\u00b0\n\u2014'9\u00b0 \u2014 10\u00b0 + 19\u00b0 38\u00b0 -11\u00b0 \u20144\u00b0 +15\u00b0 30\u00b0 + 5\u00b0 + 12\u00b0 \u201417\u00b0 34\u00b0 \u2014 8\u00b0\t0\t+8\u00b0 16\u00b0\n\u2014 6\u00b0\t0\t+6\u00b0 12\u00b0\nHerr Dro.\n7. 9.\n3. Reproduction\na\tb\te\tSa.\tSSa.\n__3\u00b0 _3\u00b0 _|_ 6\u00b0 12\u00b0 16\u00b0 + 2\u00b0\t\u20143\u00b0\t+1\u00b0\t0\u00b0\t16\u00b0\n_9<> \u2014 5\u00b0 + 14\u00b0 28\u00b0 46\u00b0\n\u2014\t6\u00b0\t+3\u00b0\t+3\u00b0\t12\u00b0\t26\u00b0\n-10\u00b0\t\u20147\u00b0\t+17\u00b0\t34\u00b0\t66\u00b0\n\u2014\t4\u00b0\t\u20147\u00b0\t+11\u00b0\t22\u00b0\t96\u00b0\n-10\u00b0 - 9\u00b0 + 19\u00b0 38\" 100\u00b0\n\u2014\t2\u00b0\t+8\u00b0\t\u20146\u00b0\t16\u00b0\t74\u00b0\n\u2014\t8\u00b0\t\u20144\u00b0\t+12\u00b0\t24\u00b0\t68\u00b0\n\u2014\t8\u00b0\t\u20142\u00b0\t+10\u00b0\t20\u00b0\t46\u00b0\n37","page":555},{"file":"p0556.txt","language":"de","ocr_de":"556\nRichard Seyfert.\nEhe ich zur Verwerthung der Ergebnisse \u00fcbergehe, m\u00f6chten noch einige Einwendungen beseitigt werden. Es k\u00f6nnte doch zweifelhaft erscheinen, oh die Reproduction ein zul\u00e4ssiges Kriterium f\u00fcr die Perception sei. Manuelle Unge\u00fcbtheit, blitzschnelle Reflexionen, vermeintliches oder bewusstes Wiedererkennen m\u00fcssen die Ergebnisse beeinflussen. Das ist nicht zu bestreiten; insbesondere wird sich der Uehungseinfluss einigerma\u00dfen geltend machen. Wollte ich aber meine Versuchspersonen auf die bestimmten Dreieckstypen ein\u00fcben, bevor die eigentlichen Versuche beginnen, so w\u00fcrden eben wegen des Erinnerungseinflusses die zu untersuchenden subjectiven und objectiven Momente gar nicht mehr zur Geltung kommen. Um aber doch den Uehungseinfluss abzuschw\u00e4chen, nahm ich vor den eigentlichen Versuchen Uebungsversuche mit anderen Dreiecken vor. Eerner suchte ich durch Drehung der Dreiecke und durch Ver\u00e4nderung der Aufeinanderfolge das Wiedererkennen m\u00f6glichst zu verhindern. Dass dies im allgemeinen gelungen, beweist folgende Thatsache: Each Ablauf der ersten sechs Versuche lie\u00df ich bei einigen Versuchspersonen den ersten wiederholen. Die Gesammtfehlersumme, immer von 30 Dreiecken gewonnen, dieses 7. Versuches stimmt ann\u00e4hernd genau mit der des 1. Versuches \u00fcberein. Sie betr\u00e4gt bei\nWiederholung\n1. Versuch\n232\u00b0\n362\u00b0\n424\u00b0\nFri 234\u00b0 Al 374\u00b0 Dro 378\u00b0\nBei Dro ist also sogar eine Steigerung der Fehlersumme vorhanden, ein Beweis daf\u00fcr, dass Nebenumst\u00e4nde wie Erm\u00fcdung, Sinken der Aufmerksamkeit u. dergl. die Ergebnisse beeinflussen, wenn ich auch bem\u00fcht gewesen bin, solche durch Gleicherhaltung der Zeitlage, durch moralische Beeinflussung u. s. w. fernzuhalten. Doch sprechen diese Umst\u00e4nde eben daf\u00fcr, dass die Reproduction ein Ma\u00df f\u00fcr die Exactheit der Perception ist. Wie fein dieses Ma\u00df ist, m\u00f6ge noch ein Versuch beweisen: Eine Versuchsreihe wurde mit den Herren Eri und lg bei Lampenlicht ausgef\u00fchrt. Die Ergebnisse dieser Reihe wichen von denen derselben Reihe, bei Tageslicht vorgenommen, in geradezu frappanter Weise ab. Die Gesammtfehlersummen auf 30 Dreiecke betrugen:","page":556},{"file":"p0557.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die Auffassung einfachster Raumformen.\n557\nbei Tageslicht bei lg\t370\u00b0\n\u00bb Fri\t364\u00b0\nbei Lampenlicht\n604\u00b0\n542\u00b0\n4. Uebersicht \u00fcber die Ergebnisse.\nAls deutlichen Ausdruck f\u00fcr die zu untersuchenden Thatsachen betrachte ich die Fehlersummen jeder einzelnen Versuchsreihe, die zun\u00e4chst einmal \u00fcbersichtlich zusammengestellt sein m\u00f6gen. Die angef\u00fchrten Zahlen geben also in Graden an, um wieviel die 90 Winkel der reproducirten Dreiecke von der Winkelsumme der vorgezeigten Dreiecke abweichen.\n\tI\tII\tIII\tIV\tV\tVI\tVH\tvin\nVersuchs- person\tA-F Augen fest\tf'\u00dfI\tE-Bl bewegt, ,Han^ ohne\tAbewe^\u2019 Ne\u201c\u2018 s\u00c4fen\t\tA-Bn Auge bewegt mit Netzhaut- bild\tA-B+\tA-BV H-B\tH-B 2.Versuch 4.Versuch mit Hand- mit Handbewegung bewegung\t\tSumme\tVersuch mit Keflexion\n1. Al\t374\t274\t410\t280\t446\t290\t2074\t236\n. Bro\t436\t292\t620\t294\t342\t440\t2424\t232\ni. Cha\t458\t348\t620\t412\t324\t320\t2482\t254\n1. Dro\t490\t376\t536\t260\t478\t416\t2556\t296\nEm\t332\t418\t776\t300\t404\t268\t2498\t234\nFri\t404\t396\t602\t364\t490\t436\t2692\t\nGab\t368\t400\t930\t362\t670\t438\t'\t3168\t392\n. Hu\t356\t582\t848\t340\t734\t592\t3452\t258\n'\u25a0 lg\t556\t762\t602\t604\t806\t736\t4066\t378\nIrithm. Mittel\t: 419\t428\t660\t357\t522\t437\t\t285\n5. Deutung der Ergebnisse.\nDer Ueberblick zeigt zun\u00e4chst ganz bedeutende individuelle Unterschiede, die in den Einzelsummen, vor allem aber in den Gesammt-summen zum Ausdruck kommen. Die letzte der angef\u00fchrten Personen hat fast genau doppelt soviel Fehler gemacht als die erste; die Personen unter 2\u20146 weichen nur wenig in den Summen von einander ab u. dergl. Auf diese individuellen Differenzen einzugehen, ist hier nicht der Ort.\n37*","page":557},{"file":"p0558.txt","language":"de","ocr_de":"558\nRichard Seyfert.\nL\u00e4sst man die Zahlen ganz im allgemeinen sprechen, so w\u00e4ren daraus folgende S\u00e4tze zu folgern:\n1.\tDie exacteste Auffassung erfolgt so, dass das Auge die Figur im Ganzen vor sich sieht und sich auf den Umrisslinien hinbewegt.\n2.\tDie dieser Auffassungsweise in der Genauigkeit n\u00e4chststehende w\u00e4re die mit fixirtem, also ruhendem Auge.\n3.\tDie blo\u00dfe Augenbewegungsempfindung garantirt eine ziemlich sichere Auffassung, auch wenn das Netzhautbild fehlt.\n4.\tGleichzeitige Muskelbewegungen der Hand und des Armes verringern die Exactheit der Auffassung.\n5.\tDie ungenaueste Auffassung ist die, welche auf Grund der blo\u00dfen Hand- und Armbewegungen erfolgt.\nDiese S\u00e4tze bed\u00fcrfen der Nachpr\u00fcfung.\nFassen wir zun\u00e4chst das Verh\u00e4ltniss zwischen dem 1. und dem 4. Versuche ins Auge. Bei dem 1. sollte das Netzhautbild des ruhenden Auges f\u00fcr sich, bei dem 4. Versuche mit dem Netzhauthilde zugleich die Augenbewegung die Auffassung der Figur vermitteln. Es ergaben sich folgende Fehlersummen:\n\tabsolut\t\tauf 100\treducirt\n\t1. Versuch\t4. Versuch\t1. Vers.\t4. Vers.\n\tNetzhautbild\tNetzhautbild\t\t\n\tohne\tmit\t\t\n\tAugenbeweg.\tAugenbeweg.\t\t\nAl\t374\t280\t100\t74,87\nBro\t436\t294\t100\t67,43\nCha\t458\t412\t100\t89,96\nDro\t490\t260\t100\t53,06\nEm\t332\t300\t100\t90,36\nFri\t404\t364\t100\t90,10\nGab\t368\t362\t100\t98,37\nHu\t356\t340\t100\t95,51\nfg\t556\t604\t100\t108,63\nAbgesehen von der letzten Versuchsperson, zeigt sich bei allen Versuchen ein g\u00fcnstiger Einfluss der Augenbewegung auf die Ergebnisse.\nDieser Einfluss wird noch viel deutlicher, wenn die Versuchsumst\u00e4nde genauer ins Auge gefasst werden. Unter den Versuchs-","page":558},{"file":"p0559.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die Auffassung einfachster Raumformen.\n559\npersonen sind f\u00fcnf (Al, Bro, Oha, Dro und Fri) durch anderweite Versuche im Fixiren ausgezeichnet oder doch gut ge\u00fcbt, die Personen Em. Grab, Hu und lg gar nicht ge\u00fcbt. Auff\u00e4llig ist es, dass die Personen Em, Gab, Hu und lg relativ so g\u00fcnstige Ergebnisse bei dem 1. Versuche haben. Dies erkl\u00e4rt sich aber daraus, dass sie, unge\u00fcbt im Fixiren, nicht im Stande sind, das Dreieck aufzufassen, ohne die Augen zu bewegen, dass sie nach eigener Aussage fortw\u00e4hrend den Fixationspunkt aus dem Auge verlieren und den Umrisslinien folgen, eine Thatsache, die ich bei allen unge\u00fcbten Personen festgestellt habe. Sie haben also in Wirklichkeit den 1. Versuch gar nicht ausgef\u00fchrt, sondern statt dieses den 4. Damit stimmen denn auch die relativen Werthe beider Versuche\nEm\t100\t:\t90,36\nGab\t100\t:\t98,37\nHu\t100\t:\t95,51\nlg\t100\t:\t108,63\ngut \u00fcberein. Diese vier Personen m\u00fcssen demnach aus dem 1. Versuche ausgeschieden werden; dann aber gestaltet sich das relative Fehlermittel noch viel markanter f\u00fcr den Einfluss der Bewegungsempfindung. Die Mittelzahlen der bleibenden 5 Personen sind dann:\n1. Versuch, ohne 4. Versuch, mit Augenbewegung 100\t:\t75,08\nHieraus ergibt sich, dass das Entscheidende f\u00fcr die exacte Auffassung der Formen die Augenbewegung ist.\nDie im Fixiren unge\u00fcbten Personen zeigen im Fixirversuche auff\u00e4llig gute Ergebnisse, weil sie den Versuchsbedingungen nicht entsprechen k\u00f6nnen, sondern unwillk\u00fcrlich die Augen bewegen. Die ge\u00fcbten Personen zeigen ung\u00fcnstige Ergebnisse, eben weil sie die Versuchsbedingungen erf\u00fcllen und das Auge ruhig halten. Das Ver-h\u00e4ltniss \u00e4ndert sich sofort, wenn man auch diesen Personen (im 4. Versuche) die Augenbewegung gestattet, sofort stellt sich bei ihnen eine bedeutende Verbesserung der Ergebnisse ein, w\u00e4hrend bei jenen fast keine Differenz der Fehlersummen vorhanden ist.\nDie Schwierigkeit aber, die im Fixiren liegt, spricht von selbst","page":559},{"file":"p0560.txt","language":"de","ocr_de":"560\nRichard Seyfert.\ndaf\u00fcr, wie stark die Bewegungstendenz unseres Auges bei der Auffassung von Formen ist. Unbefragt, sagen auch die ge\u00fcbten Personen aus, dass immer und immer die Neigung des Auges zu bek\u00e4mpfen ist, den Linien zu folgen. Wie gro\u00df aber der Einfluss dieser Bewegungstendenz auf die Auffassung auch bei ruhendem Auge list, l\u00e4sst sich durch die Versuche leider nicht ermitteln.\nWenn die Augenbewegungsempfindungen das Entscheidende sind, so m\u00fcssen sie das auch isolirt beweisen. Dies geschieht durch den 2. Versuch, den reinen Augenbewegungsversuch, bei dem ein Netzhautbild der Umrisslinien objectiv nicht gegeben ist, sondern das fixirende Auge einem bewegten Punkte im indifferenten Baume folgen soll. Diesem Versuche steht von vornherein der Einwand entgegen, ob nicht doch bei der Bewegung des Eixationspunktes ein Nachbild auf der Netzhaut entstehe, das der Umrisslinie der Figur entspricht. Bei unge\u00fcbten Personen ist dies gewiss nicht, bei ge\u00fcbten nicht v\u00f6llig zu vermeiden.\nDie absoluten Fehlersummen sind folgende:\n2. Versuch: blo\u00dfe Augenbewegung\nAl\t274\nBro\t292\nCha\t348\nDro\t376\nEm\t418\nFri\t396\nGab\t400\nHu\t582\nlg\t762\nMittel:\t428\nDie unge\u00fcbten Personen stehen weit hinter den ge\u00fcbten zur\u00fcck, weiter als sonst der Durchschnitt der Ergebnisse besagt. Wollte man also bei den ersteren ein st\u00e4rkeres Mitwirken des Netzhautnachbildes annehmen, so w\u00e4re diese Mitwirkung f\u00fcr die Genauigkeit der Perception nicht als g\u00fcnstig anzusehen. Dagegen stehen die Zahlen der ge\u00fcbten Personen \u00fcber dem Durchschnitt, der f\u00fcr sie aus allen Versuchen gewonnen wird. Dieser g\u00fcnstige Ausfall kann kaum in etwas anderem als in der intensiveren Bewegungsempfindung des","page":560},{"file":"p0561.txt","language":"de","ocr_de":"561\nGeber die Auffassung einfachster Raumformen.\nAuges begr\u00fcndet sein; man m\u00fcsste denn annehmen, dass der Vortheil darin l\u00e4ge, dass das Nachbild auf einen kleinen Bezirk um den gelben Fleck des Auges beschr\u00e4nkt bleibt.\nDie absoluten Zahlen r\u00fccken durch Vergleichung mit denen des 1. Versuches in noch helleres Licht. Sie gestaltet sich so:\n\tabsolute Werthe\t\trelativ\t\n\t1. Versuch Augen fest\t2. Versuch Augen bewegt\t1. Vers.\t2. Vers.\nAl\t374\t274\t100\t73,53\nBro\t436\t292\t100\t66,98\nCha\t458\t348\t100\t75,10\nDro\t490\t376\t100\t76,55\nFri\t404\t396\t100\t98,02\nMittel: 100\t:\t78,03\nUnter dem Mittel steht demnach nur die im Fixiren weniger ge\u00fcbte Person Fri, bei deren relativ g\u00fcnstigem Ausfall des 1. Versuches ohne Zweifel Bewegungsempfindungen mitgewirkt haben, und bei der in Folge der geringeren F\u00e4higkeit, den Fixationspunkt festzuhalten, die Augenbewegsempfindungen im 2. Versuche weniger intensiv aus-fallen m\u00fcssen. L\u00e4sst man diese Person au\u00dfer Berechnung, achtet man nur auf die sehr gut ge\u00fcbten, so erhebt sich das Verh\u00e4ltniss der Fehlermittel auf\n100 : 73,4,\nvon welchem Mittel die wirklichen Werthe nur ganz wenig abweichen.\nHieraus folgt also: Die Auffassung einfachster Figuren (ohne besondere Helligkeits- und Farbenqualit\u00e4ten) durch die blo\u00dfe Augenbewegung ist exacter als die Auffassung derselben bei ruhendem Auge oder: F\u00fcr die Auffassung einfacher Formen ist die Augenbewegungsempfindung wesentlicher als das Netzhautbild. (Der oben auf S. 558 ausgesprochene allgemeine Satz unter 2. ist demnach zu berichtigen.)\nDer ohen ausgef\u00fchrte Vergleich zwischen dem 1. und dem 4. Versuche ergab die Thatsache, dass die Fehlersumme um fast 1/3 f\u00e4llt, wenn man das vorher ruhende Auge den Umrisslinien gem\u00e4\u00df sich","page":561},{"file":"p0562.txt","language":"de","ocr_de":"562\nRichard Seyfert.\nbewegen l\u00e4sst, dass also die Augenbewegungsempfindung den Gesichtseindruck versch\u00e4rft. Es fragt sich nun, wie das zur reinen Augenbewegungsempfindung hinzutretende Netzhautbild die Auffassung beeinflu\u00dft. Dies verdeutlicht ein Vergleich zwischen dem 2. und dem 4. Versuche, die beide Augenbewegungsversuche sind, sich aber dadurch von einander unterscheiden, dass beim 2. Versuche die Bewegungsempfindungen isolirt, beim 4. aber mit dem Netzhautbilde verbunden sind, dass also der 2. Versuch ohne die objectiv gegebenen Umrisslinien, der 4. mit ihnen erfolgt.\nEs ergeben sich folgende Werthe:\n2.\tVersuch\tmit 4. Versuch, Umrisslinien\tohne\t2. Vers.\t4. Vers.\nAl\t274\t280\t100\t102,19\nBro\t292\t294\t100\t100,68\nCha\t348\t412\t100\t118,39\nDro\t376\t260\t100\t69,15\nEm\t418\t300\t100\t71,77\nFri\t396\t364\t100\t91,91\nGab\t400\t362\t100\t90,50\nHu\t582\t340\t100\t58,42\nlg\t762\t604\t100\t79,29\n\t\tMittel: 100\t:\t86,70\t\nDie Mittelzahl\t\tsagt, dass das\tHinzukommen\tdes objectiv ge\ngebenen Umrisses zur Bewegungsempfindung des Auges die Perception verbessert, freilich weitaus nicht in dem Ma\u00dfe, als umgekehrt die hinzutretende Bewegungsempfindung das blo\u00dfe Netzhautbild g\u00fcnstig beeinflusst. Scheidet man den extremsten Fall Hu aus, der laut Protocoll beim 2. Versuch unter sehr ung\u00fcnstiger Disposition des Beagenten zu leiden hatte, so ver\u00e4ndert sich das Verh\u00e4ltnis in\n100 : 90,49.\nAuff\u00e4llig und ungemein bezeichnend ist die Thatsache, dass der g\u00fcnstige Einfluss der objectiv gegebenen Umrisslinie nur bei einer (bei Dro) der vier ge\u00fcbten Personen erkennbar ist, w\u00e4hrend er bei den \u00fcbrigen (Al, Bro und Oha) nicht nur nicht vorhanden, sondern eher etwas in sein Gegentheil umgeschlagen erscheint. Eine wirk-","page":562},{"file":"p0563.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die Auffassung einfachster Raumformen.\n563\nliehe St\u00f6rung der Auffassung durch die objectiv gegebene Umrisslinie kann nat\u00fcrlich nicht angenommen, sie muss auf andere in der Ausf\u00fchrung des Versuches oder in der zeitlichen Disposition der Person hegende Gr\u00fcnde zur\u00fcckgef\u00fchrt werden. Aber die Zahlen weisen f\u00fcr diese Personen nach, dass f\u00fcr die relativ exacteste Auffassung einfachster Figuren die Augenbewegungsempfindungen ausreichen, und dass die Umrisslinie nur die Aufgabe hat, diese Bewegungen zu leiten.\nKann man diese Verallgemeinerung auch nicht auf alle Personen anwenden, so ist doch durch alle Versuche die gro\u00dfe Bedeutung der Augenbewegungsempfindungen f\u00fcr die Formvorstellungen erwiesen.\nDie Reproduction der Dreiecke erfordert eine Umsetzung von Augenempfindungen in Bewegungen des Armes und der Hand. Es1' lag nun nahe zu untersuchen, wie weit die isolirten Hand- und Armbewegungen die Auffassung und Reproduction sicherten. Zu diesem Zwecke wurde der auf S. 554 beschriebene Tastversuch angestellt. Er zeigte das zu erwartende Ergebniss, dass wir Fl\u00e4chenformen durch blo\u00dfes Tastbewegen sehr ungenau auf fassen, wenigstens im Vergleich zu den Gesichtsvorstellungen.\nDie Fehlerzahlen sind folgende:\nAl\t410\nBro\t620\nCha\t620\nDro\t536\nEm\t776\nFri\t602\nGab\t930\nHu\t848\nlg\t602\nDas Ergebniss bei der letzten Person ist nicht zweifellos; ich muss es deshalb unbeachtet lassen.\nVergleicht man diese Zahlen etwa mit den im 4. Versuche (dem g\u00fcnstigsten) gewonnenen, so ergibt sich folgende Gegen\u00fcberstellung :","page":563},{"file":"p0564.txt","language":"de","ocr_de":"564\nRichard Seyfert.\nabsolute Werthe\trelative Werthe (abgerundet)\n4. Versuch\t3\tVersuch\t4. Vers.\t3. Vers.\nAugen bewegt und Netzhautbild\tTasten\t\t\nAl\t280\t410\t100\t147\nBro\t294\t620\t100\t212\nCha\t412\t620\t100\t150\nDro\t260\t536\t100\t206\nEni\t300\t776\t100\t259\nEri\t364\t602\t100\t165\nGab\t362\t930\t100\t257\nHu\t340\t848\t100\t249\nMittel\t100 : 206.\t\t\nDiese Zahlen sprechen relativ ung\u00fcnstig f\u00fcr die blo\u00dfen Muskelempfindungen. Bedenkt man aber, dass hier eine Auffassungsart vorliegt, die dem Sehenden ganz und gar ungewohnt ist, so muss man immerhin die gro\u00dfe Ann\u00e4herung an das Richtige bewundern.\nDie \u00fcberaus wichtige Frage, oh die Versuchspersonen w\u00e4hrend des Tastens die Armbewegungsempfindungen in Gesichtsvorstellungen umsetzen, l\u00e4sst sich nur auf Grund der Selbstbeobachtung beantworten. Darin aber waren nur die vier ersten Personen ge\u00fcbt. Von diesen beantworten Al und Bro die Frage bestimmt mit Ja, Dro mit Nein; Oha vermag keine bestimmte Antwort zu geben.\nWichtig ist die Entscheidung der Frage, ob die Handbewegungsempfindungen die Auffassung beg\u00fcnstigen, wenn sie in eine Combination aufgenommen werden. Dies ist beim 5. Versuche geschehen, der in sich den 2., die blo\u00dfe Augenbewegung, und eben die Handbewegung enth\u00e4lt. Seine Ergebnisse m\u00f6gen gleich mit denen des 2. Versuchs zusammengestellt werden:\nabsolute Werthe\trelative Werthe (abgerundet);\n2. Versuch blo\u00dfe Augenbewegung\t\t5. Versuch Augen- und Handbewegung\t2. Vers.\t5. Vers.\nAl\t274\t446\t100\t163\nBro\t292\t342\t100\t117\nCha\t348\t324\t100\t93\nDro\t376\t478\t100\t125\nEm\t418\t404\t100\t97\nEri\t396\t490\t100\t124\nGab\t400\t670\t100\t163\nHu\t582\t734\t100\t126\nI\t762\t806 Mittel 100 : 124.\t100\t106","page":564},{"file":"p0565.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die Auffassung einfachster Raumformen.\n565\nDemselben Zwecke diene ein Vergleich zwischen dem 4. und dem 6. Versuche; der 4. ist die Verbindung von Augenbewegung und Netzhautbild, hierzu tritt beim 6. noch die Handbewegung.\nDas Ergebniss ist dieses:\nabsolute Werthe\trelative AVer the (abgerundet)\n\t4. Versuch\t6. Versuch\t4. Vers.\t6. Vers.\nAugenbewegung und Netzhautbild\t\tAugenbewegung, Netzhautbild und Handbewegung\t\t\nAl\t280\t290\t100\t104\nBro\t294\t440\t100\t150\nCha\t412\t320\t100\t78\nDro\t260\t416\t100\t160\nEm\t300\t268\t100\t89\nEri\t364\t436\t100\t120\nGab\t362\t438\t100\t121\nHu\t340\t592\t100\t174\nlg\t604\t736\t100\t122\nMittel 100 :\t124.\nDer Mittelwerth sagt: Die mit der Gesichts- und Augenbewegungsempfindung simultan verbundene Handbewegung verringert die Genauigkeit der Auffassung. Diese Thatsache hat gewiss in der Theilung der Aufmerksamkeit ihren Grund. Es ist wichtig, sie zu betonen, der Meinung gegen\u00fcber, die den Armmuskelempfindungen (und Mitbewegungen) bei der Perception von Formenumrissen eine entscheidende Polle zuweisen will. Allerdings bilden zwei Personen charakteristische Ausnahmen, Cha und Em, insofern, als bei ihnen die Auffassung \u2022 durch die gleichzeitigen Handbewegungen verbessert wird. Da dies in beiden Reihen der Fall ist, so muss die Erscheinung entweder in charakteristischer Anlage oder individueller Gew\u00f6hnung liegen; die letztere Vermuthung liegt sehr nahe, weil beide Herren Zeichenlehrer sind. Es tr\u00e4te dann hier der Fall ein, der auch sonst vorkommt, dass Oomplicationen, die einander zun\u00e4chst hindern, in Folge der Uehung einander f\u00f6rdern.\nAus allen diesen Er\u00f6rterungen lassen sich folgende allgemeine S\u00e4tze ableiten:\n1. D as Ausschlaggebende f\u00fcr die Exactheit der Auf-","page":565},{"file":"p0566.txt","language":"de","ocr_de":"566\nRichard Seyfert. (Jeher die Auffassung einfachster Raumformen.\nfassung einfachster Formen ist nicht das Netzhautbild, sondern die Augenbewegungsempfindung.\n2.\tDie exacteste Auf fassung solcher Formen erfolgt so, dass das Auge die Figur im Ganzen vor sich sieht und sich auf den Umrisslinien hinbewegt.\n3.\tDi eser Perceptionsart am n\u00e4chsten kommt diejenige, hei der die blo\u00dfe Augenbewegung ohne Gesichtseindruck vorhanden ist. Bei ge\u00fcbten Personen steht diese Auffassungsart der ersten an Exactheit nicht nach.\n3.\tDie Auffassung mit fixirtem Auge ist sehr schwierig und gelingt nur ge\u00fcbten Personen. Bei diesen aber ist die Auffassung viel weniger genau als unter 1) und 2). Bei unge\u00fcbten Personen folgt das Auge unwillk\u00fcrlich den Umrisslinien.\n4.\tSimultane Bewegungen der Hand und des Armes vermindern in der Regel die Genauigkeit der Auffassung. Gro\u00dfe Uebung der Muskeln kann aber die Genauigkeit f\u00f6rdern.\n5.\tDie ungenaueste, aber immerhin auch dem Sehenden m\u00f6gliche Auffassung ist die auf Grund der blo\u00dfen Hand- und Armbewegungen erfolgende.","page":566}],"identifier":"lit4517","issued":"1898","language":"de","pages":"550-566","startpages":"550","title":"Ueber die Auffassung einfachster Raumformen","type":"Journal Article","volume":"14"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:25:19.213498+00:00"}