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{"created":"2022-01-31T14:24:38.575058+00:00","id":"lit4523","links":{},"metadata":{"alternative":"Philosophische Studien","contributors":[{"name":"Kiesow, Friedrich","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Philosophische Studien 11: 41-60","fulltext":[{"file":"p0041.txt","language":"de","ocr_de":"Versuche mit Mosso\u2019s Sphygmomanometer \u00fcber die durch psychische Erregungen hervorgerufenen Ver\u00e4nderungen des Blutdrucks beim Menschen.\nVon\nFriedrich Kiesow.\nMit 10 Figuren im Text.\nWahrend eines Aufenthaltes im physiologischen Institute zu Turin im M\u00e4rz und April des verflossenen Jahres wurde ich gemeinsam mit meinem Freunde Dr. med. August Hoch aus Boston von Herrn Prof. Dr. Angelo Mosso aufgefordert, mittelst des von ihm neu erfundenen und als Sphygmomanometer bezeichneten Apparates die Ver\u00e4nderungen zu bestimmen, die der Blutdruck am Menschen bei psychischen Erregungen erleide, sowie die gewonnenen Resultate mit den von Mosso am Plethysmographen erhaltenen zu vergleichen. Wir unterzogen uns dieser Aufgabe um so lieber, als uns im Turiner Institute in der immerhin mit einigen Schwierigkeiten verbundenen Versuchsanordnung mit dankenswerth er Freundlichkeit die bereitwilligste H\u00fclfe zu theil ward. Soweit die Versuche in Turin angestellt sind, geb\u00fchrt Herrn Dr. Hoch in der Ausf\u00fchrung derselben der gleiche Antheil wie mir. Nach Leipzig zur\u00fcckgekehrt, habe ich die Untersuchung im hiesigen psychologischen Laboratorium w\u00e4hrend des Sommersemesters und eines Theiles der gro\u00dfen Ferien unter etwas ver\u00e4nderten Versuchsbedingungen fortgesetzt. Die zu beantwortende Frage pr\u00e4cisirt sich folgenderma\u00dfen: Werden die aus den Versuchen resultirenden Ver\u00e4nderungen des Blutdrucks durch eine rein intellectuelle Th\u00e4tigkeit oder durch die aus Sinnes-","page":41},{"file":"p0042.txt","language":"de","ocr_de":"42\nFriedrich Kiesow.\nerregungen hervorgehenden Empfindungen als solche verursacht, oder sind diese Ver\u00e4nderungen lediglich als Wirkungen der Affecte und des die Empfindungen begleitenden Gef\u00fchlstones aufzufassen? Ich schicke im allgemeinen voraus, dass ich die aufgeworfene Frage nach dem mir zu Gebote stehenden Versuchsmaterial in letzterem Sinne beantworten zu m\u00fcssen glaube.\nNach dem Vorstehenden braucht kaum noch hervorgehoben zu werden, dass die in Rede stehende Untersuchung psychologischer Natur ist und dass dieselbe auf das physiologische Gebiet \u00fcbertragen einen wesentlich anderen Charakter annehmen w\u00fcrde.\nFig. l.\nDa der erw\u00e4hnte Apparat bisher nur eine sehr kurze Beschreibung erfuhr'), so benutze ich gleichzeitig die Gelegenheit, einem von Herrn Prof. Dr. Mosso an mich ergangenen Wunsche zu gen\u00fcgen, indem ich eine solche an der Hand des beigegebenen Holzschnittes (Fig. 1) der nachfolgenden Darstellung voranstelle.\n.) A. Mosso, Appareil pour mesurer la pression du sang chez l\u2019homme. Ber. des X. intern, med. Congr. Bd. II, S. 53. Berlin 1893,","page":42},{"file":"p0043.txt","language":"de","ocr_de":"Versuche mit Mosso's Sphygmomanometer etc.\n43\nIn jeder der beiden Metallr\u00f6hren A und B, welche eine L\u00e4nge von etwa 16 cm und einen Durchmesser von 2y2 cm besitzen, befinden sich zwei aus Gummi gefertigte Fingerlinge. Dieselben sind zur Aufnahme der beiden Mittelfinger jeder Hand den Enden der R\u00f6hren a b c d von au\u00dfen aufgebunden und dann in das Innere derselben umgest\u00fclpt. Die obere R\u00f6hre ist etwas nach oben ausgebogen, um den betreffenden Fingern eine bequemere Lage zu geben. Diese R\u00f6hren sind an eine h\u00f6lzerne R\u00fcckwand C von 14 cm H\u00f6he und 21 cm L\u00e4nge durch Schrauben befestigt. Auf der entgegengesetzten Seite dieser R\u00fcckwand befindet sich auf einem ebenfalls an dieselbe befestigten Stativ eine kleine Glasflasche D, welche von zwei nach oben gebogenen rechteckigen Zapfen von etwa 1 cm H\u00f6he und '/2 cm Breite gehalten wird. Um dieselbe bequem herausnehmen zu k\u00f6nnen, kann das durch eine Schraube fixirbare Stativ in einer Schiene nach hinten verschoben werden. An der dem Apparat zugekehrten Seite dieser im Sinne eines Irrigators wirkenden Flasche befindet sich unten eine \u00d6ffnung e, in welche ein mittelst des Hahnes y verschlie\u00dfbares wagerechtes Rohr von 6 cm L\u00e4nge wasserdicht hineingeschoben werden kann. Durch dieses Rohr ergie\u00dft die Flasche bei ge\u00f6ffnetem Hahne ihren Inhalt in die erw\u00e4hnten Metallr\u00f6hren A und B so, dass die Fingerlinge, welche die Mittelfinger eingeschlossen halten, von demselben umsp\u00fclt werden. Gleichzeitig ergie\u00dft sich das Wasser aus der Flasche weiter in das mit der Druckpumpe E communicirende Rohr g h i k. Um die Auseinandernahme des Apparates zu erleichtern, ist das Rohr durch ein St\u00fcckchen dickwandigen Gummischlauches l unterbrochen. Sind die Finger in den Apparat eingef\u00fchrt, so werden die beiden Handr\u00fccken mittelst zweier Metallplatten von 7 >/2 cm L\u00e4nge und 4 Va cm Breite, F und Cr, welche durch die Metallstiele m und v in den Stativen H und I verschiebbar sind und mittelst einer Schraube n in denselben fixirt werden k\u00f6nnen, an den Apparat gedr\u00fcckt, damit die H\u00e4nde w\u00e4hrend des Versuches nicht aus demselben entweichen k\u00f6nnen. In Figur 1 ist dies an der rechten Hand anschaulich dargestellt, die linke Hand ist der besseren Uebersicht wegen nicht in den Apparat gezeichnet worden. Die beiden Metallplatten sind au\u00dferdem in der Richtung von oben nach unten gekr\u00fcmmt und an der Innenseite gepolstert. Vor jedem Versuche ist die Schraube K der Druckpumpe wie in der Zeichnung bis zum obersten Ende","page":43},{"file":"p0044.txt","language":"de","ocr_de":"44\nFriedrich Kiesow.\nemporzuwinden, so dass sich diese v\u00f6llig mit Wasser f\u00fcllen kann. Setzt man dieselbe nach vorherigem Verschluss des Hahnes y sodann in Function, so wird das in dem Apparate befindliche Wasser in das gebogene Rohr o und von hier in das mit demselben durch, einen etwa 5 cm langen ebenfalls dickwandigen Gummischlauch p verbundene Quecksilbermanometer L bis zur Oberfl\u00e4che der Quecksilbers\u00e4ule getrieben. Das Manometer besitzt an seinem rechten Schenkel die Ampulle q zur Aufnahme gr\u00f6\u00dferer Fl\u00fcssigkeitsmengen. An der Seite des linken Manometerschenkels, der den Schwimmer r mit dem Schreibhebel tr\u00e4gt, wird die jedesmalige H\u00f6he des Quecksilberstandes an einer nach mm eingetheilten Scala s abgelesen. Dieselbe ist in einen Metallstreifen eingeschliffen, der an der Holzwand des Manometerrohres befestigt ist. Die Scala umfasst die Reihe von \u20140,2 bis 19 cm. Befindet sich Luft zwischen dem Wasserstande des Rohres o und dem rechten Manometerschenkel, so kann man diese durch Oeffnen der Schraube t zum Entweichen bringen. Das Manometer, die Druckpumpe und die beiden Stative H und J sind wie die R\u00fcckwand durch Schrauben auf einer wagerechten gusseisernen Platte M von 38 cm L\u00e4nge befestigt. Zur Haltung der beiden Vorderarme bis zum Ellenbogengelenk l\u00e4uft dieselbe nach hinten jederseits in einen 10,5 cm breiten Schenkel aus. Der ganze Apparat ruht auf drei 6y2 cm hohen F\u00fc\u00dfen, von denen auf der Zeichnung nur die beiden N und 0 sichtbar sind. F\u00fcr H\u00e4nde mit st\u00e4rkeren Fingern k\u00f6nnen die beiden R\u00f6hren A und B durch solche von gr\u00f6sserem Umfang ersetzt werden.\nSind beide H\u00e4nde fest in den Apparat geschlossen, so steht die Quecksilbers\u00e4ule beiderseits auf dem Punkt 0. Durch den Druck der Schraube wird der linke Schenkel gehoben. Auf einen gewissen Punkt angelangt, sp\u00fcrt man die Pulsation des Blutes in den Fingern, aber die Excursionen sind noch minimaler Art. Bei steter Zunahme des \u00e4u\u00dferen Drucks der Schraube und des Wassers vermehrt sich der innere, die Pulsamplituden werden mit jeder Stufe h\u00f6her. Von einem gewissen Punkte an nimmt die Pulsh\u00f6he in umgekehrter Folge wieder ab, der \u00e4u\u00dfere Druck \u00fcberwindet den innern. Auf einem letzten Punkte sind die Ausschl\u00e4ge wiederum gleich 0. Man kann in dieser Weise in Stufen von 2 zu 2 oder von 5 zu 5 mm aufw\u00e4rts und ebenso wieder abw\u00e4rts gehen. Verweilt man auf jeder","page":44},{"file":"p0045.txt","language":"de","ocr_de":"Versuche mit Mosso\u2019s Sphygmomanometer etc.\n45\nStufe etwa mit zehn Pulsschl\u00e4gen, so gewahrt man am Ende auf der neben dem Schreiber rotirenden Kymographiontrominel das Bild einer Treppe, in welcher man in aufsteigender wie in absteigender Folge ein Maximum der Pulsausschl\u00e4ge bemerkt. Auf diesem Punkte der gr\u00f6\u00dften Pulsamplituden ist nach Mosso der innere Druck dem \u00e4u\u00dferen gleich und der so gefundene Werth wird von ihm f\u00fcr den des Blutdrucks eingesetzt. Wegen der Schwere des Quecksilbers zeigt die Pulswelle nur zwei geradlinige Schenkel, die secund\u00e4ien Erhebungen des Pulsbildes gehen in Folge dessen verloren.\nF\u00fcr die in Turin angestellten Versuche war die Anordnung die folgende. In einem ruhig gelegenen Zimmer des Institutes war auf einem hinreichend langen Tische mittelst einer Matratze ein Ruhebett hergerichtet. Auf diesem lag die Versuchsperson bei allen Versuchen bequem ausgestreckt. Das Kopfende des Bettes konnte je nach Wunsch erh\u00f6ht oder erniedrigt werden. Auf dem Ruhebette war ein verschiebbares Tischchen von der H\u00f6he der Armlage angebracht, auf welchem sich das Sphygmomanometer und ein mit demselben verbundenes Baitzar\u2019sches Kymographion befanden. Auf diese Weise konnte der gesammte Apparat dem oberen K\u00f6rperende der Versuchsperson so nahe ger\u00fcckt werden, dass die beiden Arme derselben vom Ellenbogengelenke ab bequem auf dem Tischchen ruhen und die betreffenden Finger leicht in die H\u00fclsen des Apparates gef\u00fchrt werden konnten. W\u00e4hrend der Versuche hing zwischen dem Apparate und dem Gesichte der Versuchsperson ein Vorhang aus schwarzem Tuche, damit die letztere nicht durch einen Blick auf den Apparat und die rotirende Trommel gest\u00f6rt werden konnte. Vor jedem Versuche wurde au\u00dferdem das Zimmer verdunkelt, ein schwaches Kerzenlicht auf der dem Experimentator zugekehrten Seite des Vorhangs gen\u00fcgte diesem zur Bedienung des Apparates und zum Ablesen der auf der Trommel entstehenden Curven. Durch diese Versuchsanordnung war es m\u00f6glich gemacht, dass die Versuchsperson w\u00e4hrend des Experimentes einschlafen und die psychische Erregung dementsprechend sogleich nach dem Erwecken aus der tiefsten Ruhe geschehen konnte. Das durch die Rotation der Kymographiontrommel verursachte monotone Ger\u00e4usch war dem Einschlafen nicht hinderlich. Die Trommel rotirte mit der langsamsten Geschwindigkeit. In Folge dessen wurden die Pulsausschl\u00e4ge eng aneinander gereiht.","page":45},{"file":"p0046.txt","language":"de","ocr_de":"46\nFriedrich Kiesow.\nZur Feststellung des Blutdrucks lie\u00dfen wir das Manometer in der bereits angegebenen Weise eine Treppe schreiben, die Stufen folgten in jeder Reihe anfangs in Abst\u00e4nden von 5 zu 5, sp\u00e4ter in in solchen von 2 zu 2 mm aufeinander. Hierbei ergab sich, dass bei fast allen aufgenommenen Curven der Druckwerth der aufsteigenden Treppe von dem der absteigenden um weniges differirte. Lag beispielsweise der erste Werth bei einem Manometerstande von 40 mm, so fand sich der zweite oft bei einem solchen von 45. Diese Abweichung wird sich aus den f\u00fcr beide Reihen verschiedenen Bedingungen erkl\u00e4ren. In der aufsteigenden Reihe nimmt n\u00e4mlich der \u00e4u\u00dfere Druck allm\u00e4hlich zu und \u00fcberwindet auf diese Weise nach und nach den inneren, bei der absteigenden dagegen ist der erstere anfangs maximal und wird in der Folge bei stufenm\u00e4\u00dfiger Verringerung von dem letzteren \u00fcberholt. Es ist anzunehmen, dass sich die durch den anwachsenden \u00e4u\u00dferen Druck comprimirten Gewebe nicht wieder proportional der Abnahme desselben lockern, sondern dass die Wiederherstellung des normalen Zustandes derselben langsamer erfolgt. Hieraus w\u00fcrde dann der scheinbar erh\u00f6hte Druckwerth im zweiten Falle resultiren. Bei der Berechnung der betreffenden Druckwerthe habe ich aus diesem Grunde ausschlie\u00dflich den ersten Werth, also den der ansteigenden Treppencurve, benutzt.\nAu\u00dfer diesem oben hervorgehobenen Momente ist noch die plethysmographische Wirkung des neuen Apparates in Betracht zu ziehen. Bleibt dieselbe unber\u00fccksichtigt, so kann dieser Umstand leicht der Anlass zu weiteren Fehlerquellen werden. Das Plethysmogramm zeigt bekanntlich eine Aenderung in dem Volumen des Vorderarmes, bez. des Fu\u00dfes oder irgend eines Extremit\u00e4tengliedes, sobald die betreffende Versuchsperson psychisch beeinflusst wird. Dieselbe Erscheinung \u00e4u\u00dfert sich der Natur des Apparates zufolge auch am Sphygmomanometrogramm in der Gr\u00f6\u00dfe der Pulsamplitude. Hieraus aber kann f\u00fcr die Bestimmung des Blutdrucks noch keine Folgerung gezogen werden. Der Druckwerth ergiebt sich eben, wie bereits bemerkt, stets aus dem relativ gr\u00f6\u00dften Ausschlage innerhalb einer Treppencurve. Doch wirken hier beide Momente fast immer zusammen. Man kann den Plethysmographen in verschiedenen Formen verwenden. Ist der mit Wasser gef\u00fcllte Cylinder, in dem das zu untersuchende K\u00f6rperglied eingeschlossen ist, durch ein","page":46},{"file":"p0047.txt","language":"de","ocr_de":"Versuche mit Mosso\u2019s Sphygmomanometer etc.\n47\nR\u00f6hrensystem mit einer in Alkohol schwimmenden Eprouvette verbunden, welche mittelst einer \u00fcber einer sehr empfindlichen Rolle laufenden Schnur die Schreibvorrichtung in Bewegung setzt, so erh\u00e4lt man in einer fortlaufenden Linie direct und nur die Volumschwankungen des betreffenden Gliedes. Nach einer anderen Anordnung kann der genannte Cylinder mit einer manometrischen Vorrichtung, die einen Schwimmer als Schreibapparat enth\u00e4lt, oder wenn man Luft\u00fcbertragung vorzieht, mit einer Marey\u2019schen Trommel in Verbindung gesetzt werden. In diesem Falle kommt die Volum\u00e4nderung an wirklichen Pulsbildern zum Vorscheine. Die erste Art dieser zweiten Form ist das Princip, welches dem neuen Mosso\u2019schen Apparate zu Grunde liegt. Will man nun den plethysmographischen Antheil an dem jedesmaligen Sphygmomanometrogramm genauer bestimmen, so kann man eine dritte, ebenfalls von Mosso angegebene Form des Plethysmographen verwenden, indem man den entbl\u00f6\u00dften Fu\u00df in eine diesem angepasste Guttaperchah\u00fclle schlie\u00dft und diese durch Luft\u00fcbertragung mit einem in Petroleum schwimmenden leichten Messingcylinder verbindet, der wie in der ersten Form mittelst einer \u00fcber einer Rolle laufenden Schnur mit dem Schreibhebel in Verbindung steht1). Die von uns angestellten Versuche wurden ohne diese Correctur angestellt. Da nun bei den Treppenversuchen die plethysmographischen Wirkungen des Apparates sich oft in gro\u00dfen St\u00f6rungen kund thaten, so dass in Folge einer pl\u00f6tzlich auftretenden vasomotorischen Zusammenziehung der Gef\u00e4\u00dfe unerwartete Ver\u00e4nderungen herbeigef\u00fchrt werden konnten, so erwies sich als die beste Methode bei unserer Arbeit die, beide Arten von Curven zu vereinigen. Wir suchten aus vielen Einzelversuchen jedesmal durch stufenm\u00e4\u00dfiges Ansteigen zun\u00e4chst den normalen Druckwerth zu ermitteln und erhielten das Manometer sodann auf dieser H\u00f6he, indem wir dasselbe eine fortlaufende Reihe eng aneinander gereihter Pulswellen schreiben lie\u00dfen. Auf diese Weise mussten sich die durch den Wechsel des Gem\u00fcthszustandes herbeigef\u00fchrten Ver\u00e4nderungen am besten zeigen. Diese Reihen zeigen au\u00dferdem deutlich die einzelnen Athmungsperioden. Es muss noch auf ein weiteres Moment\n1) N\u00e4her denke ich diese und andere in der psychologischen Graphik gegenw\u00e4rtig benutzte Instrumente in absehbarer Zeit au anderem Orte zu beschreiben.","page":47},{"file":"p0048.txt","language":"de","ocr_de":"48\nFriedrich Kiesow.\naufmerksam gemacht werden, das bei der Verwendung des Apparates leicht zu T\u00e4uschungen Anlass geben kann. Stellt man den Apparat auf irgend einen Druckwerth ein und l\u00e4sst dann den Schreiber des Schwimmers eine fortlaufende Reihe von Pulswellen schreiben, so bemerkt man ein stetiges Sinken der Curve. Ich habe ein solches bei einem Manometerstande von 45 bis auf schlie\u00dflich 38 mm beobachten k\u00f6nnen. Was die eigentliche Ursache dieser Erscheinung sein mag, habe ich nicht genau ermitteln k\u00f6nnen. Am wahrscheinlichsten d\u00fcrfte die Annahme sein, dass die austretende Lymphe dieses allm\u00e4hliche Fallen der Curve hervorruft. Bei den Treppencurven l\u00e4sst sich dieses Sinken noch verhindern, wenn man mittelst der rechten Hand die Manometerh\u00f6he durch die Schraube der Druckpumpe regulirt und so dem Drucke Constanz verleiht, bei den Reihenversuchen habe ich sp\u00e4ter diesem abzuhelfen versucht, indem ich vor jedem Einzel versuche den gesunkenen Manometerstand so lange erh\u00f6hte, bis das erw\u00e4hnte Sinken der Curve ausblieb oder wenigstens minimal geworden war. Endlich ist darauf hinzuweisen, dass die Versuchsperson sich vollkommen ruhig verhalten muss, jede kleinste Bewegung \u00e4u\u00dfert sich st\u00f6rend in der aufgenommenen Curve.\nBei unsern Versuchen ergab sich zun\u00e4chst, dass wir nicht bei allen Versuchpersonen zu jeder Tageszeit Curven aufnehmen konnten, da zu manchen Stunden absolut keine Pulsausschl\u00e4ge zu erhalten waren. Bei mir selber z. B. zeigen sich an den fr\u00fchen Vormittagsstunden keine Pulserhebungen, w\u00e4hrend bei einer anderen Versuchsperson gerade zu dieser Zeit sehr deutliche Excursionen auftraten, daf\u00fcr aber am Nachmittage ausblieben. Bei andern Personen erhielt ich die besten Pulse in den Nachmittagsstunden, w\u00e4hrend dieselben bei wieder anderen am Abend am gr\u00f6\u00dften waren. Ferner ist es mir bei einigen Personen \u00fcberhaupt nicht gelungen, brauchbare Curven zu erhalten, weil bei diesen die Pulsausschl\u00e4ge fast ganz fehlten, oder, wenn dieselben \u00fcberhaupt auftraten, so minimal waren, dass sie nicht benutzt werden konnten. Hier liegen neben andern individuellen Differenzen jedenfalls auch individuell verschiedene periodische Schwankungen vor, die von Seiten der Physiologie noch genauer festgestellt und in ihrer Abh\u00e4ngigkeit vom Gesammt-kreislauf n\u00e4her bestimmt werden m\u00f6gen.\nAls ein Haupthinderniss f\u00fcr die Gewinnung guter Excursionen","page":48},{"file":"p0049.txt","language":"de","ocr_de":"Versuche mit Mosso\u2019s Sphygmomanometer etc.\n49\nerwies sich oft die Erkaltung der H\u00e4nde und der Finger, ein Umstand, der sich in diesem Falle in der Zusammenziehung der kleinen Gef\u00e4\u00dfe in den Fingern \u00e4u\u00dfert. Zuweilen konnte diesem durch zeitweiliges Eintauchen der H\u00e4nde in erw\u00e4rmtes Wasser abgeholfen werden, doch trat diese Wirkung nicht immer und regelm\u00e4\u00dfig ein. Unangenehm wurde es von manchen Personen empfunden, wenn kaltes Wasser im Apparate benutzt wurde. Da in diesem Falle zweifellos eine st\u00f6rende Wirkung in den Pulserhebungen nicht zu verkennen war, so wurde das die Fingerh\u00fclsen umsp\u00fclende Wasser durch Hinzuthun von etwas erw\u00e4rmtem in den Glasbeh\u00e4lter des Apparates auf die Eigentemperatur der Haut erh\u00f6ht. In Turin arbeiteten, wir bei ziemlich hoher und m\u00f6glichst gleichm\u00e4\u00dfiger Zimmertemperatur von 22,5\u201425\u00b0 C., bei meinen Versuchen im Leipziger Laboratorium gen\u00fcgte wegen der w\u00e4rmeren Jahreszeit die gew\u00f6hnliche Zimmertemperatur.\nBei fast allen Versuchen zeigte sich ferner, dass, wenn man die Curven, sowohl Treppen als Reihen, unmittelbar nach dem ersten Versuche wiederholte, die Ausschl\u00e4ge im zweiten Falle sich vergr\u00f6\u00dferten, seltener war das Umgekehrte der Fall. Ist das Wasser in den H\u00fclsen des Apparates anfangs zu kalt, so k\u00f6nnte diese Wirkung auf die allm\u00e4hliche Erw\u00e4rmung desselben zur\u00fcckgef\u00fchrt werden. Da diese Erscheinung aber auch auftritt, wenn das Wasser im Apparate in der bereits angegebenen Weise auf die Hauttemperatur erh\u00f6ht wird, so wird dieselbe sich in diesem Falle aus einer Reaction des bei der ersten Drucksteigerung zur\u00fcckgedr\u00e4ngten Blutes erkl\u00e4ren.\nUm zu erfahren, ob die H\u00f6he des Blutdruckes w\u00e4hrend des Tages gewissen Schwankungen unterworfen ist, ohne dass die Versuchsperson irgend wie erregt ward, nahmen wir vom 27. bis zum 30. M\u00e4rz an einer und derselben Person zu verschiedenen Tagesstunden Treppencurven auf. Der Blutdruck zeigte unter sonst gleichen Bedingungen die nachstehenden Werthe.\nWandt, Philos. Studien. XI.\n4","page":49},{"file":"p0050.txt","language":"de","ocr_de":"50\nFriedrich Kiesow.\nAm 30. M\u00e4rz 9 Uhr 30 Min. Yorm. Manometerstand 40\n\u00bb\t29.\t\u00bb\t10\t\u00bb\t30\t\u00bb\t\u00bb\t\u00bb\t40\n\u00bb\t30.\t\u00bb\t10\t\u00bb\t30\t\u00bb\t\u00bb\t\u00bb\t40\n\u00bb\t29.\t\u00bb\t11\t\u00bb\t30\t\u00bb\t\u00bb -\t\u00bb\t40 oder 45\n*\t30.\t\u00bb\t12\t\u00bb\t\u2014\t\u00bb\t\u00bb\t\u00bb\t40 oder 45\n\u00bb\t27.\t\u00bb\t3\t\u00bb\t\u2014\t\u00bb\tNachm.\t\u00bb\t45\n\u00bb\t27.\t\u00bb\t4\t\u00bb\t\u2014.\t\u00bb\t\u00bb\t\u00bb\t40\n\u00bb\t27.\t\u00bb\t5\t\u00bb\t50\t\u00bb\t\u00bb\t\u00bb\t45\n\u00bb\t29.\t\u00bb\t6\t\u00bb\t\u2014\t\u00bb\t\u00bb.\t\u00bb\t45\n5>\t27.\t\u00bb\t6\t\u00bb\t30\t\u00bb\t\u00bb\t\u00bb\t45\nNach dieser Zusammenstellung scheint eine Steigerung des Blutdrucks mit zunehmender Tagesl\u00e4nge vorhanden zu sein. Dieses Ergebniss kann nat\u00fcrlich als nur auf einen einzigen Fall bez\u00fcglich keine absolute G\u00fcltigkeit beanspruchen und bed\u00fcrfte der weiteren Best\u00e4tigung. Es w\u00e4re von Interesse, wenn diese Verh\u00e4ltnisse an einer gr\u00f6\u00dferen Anzahl von Personen untersucht w\u00fcrden. Es darf hier daran erinnert werden, dass die Zunahme der obigen Werthe, als nur auf einen Schenkel des Manometers sich beziehend, doppelt zu nehmen sind. Die H\u00f6he des Blutdrucks fand sich bei verschiedenen Personen sehr verschieden, dieselbe differirte in den Manometerst\u00e4nden zwischen 33 bis 53 mm. Ebenso blieb die Druckh\u00f6he auch bei einer und derselben Versuchsperson nicht durchgeh ends absolut constant.\nDie nachfolgend beschriebenen Versuche sind in Turin mit der Versuchsperson X. angestellt. Dieselbe war von leicht erregter Gem\u00fcthsart.\n1. Versuch, 7 Uhr Nachm. \u2014 Nachdem der normale Druckwerth bei 40 mm Manometerh\u00f6he bestimmt worden war, war die Versuchsperson eingeschlafen. Eine Treppen curve w\u00e4hrend des Schlafes zeigte ein schwaches Sinken der Druckh\u00f6he. Ich erwecke die Versuchsperson und nehme, w\u00e4hrend dieselbe eine Rechenaufgabe l\u00f6st (49 + 49 ....), eine dritte Treppencurve auf. Der Uebergang aus der tiefsten Stufe in den der geistigen Th\u00e4tigkeit war von einer starken vasomotorischen Verengung der Gef\u00e4\u00dfe begleitet, welche auf die ganze Curve derartig st\u00f6rend einwirkte, dass der Druckwerth nicht zu ermitteln war. Ich warte kurze Zeit und stelle das Manometer auf den erstgefundenen Druckwerth von 40 mm ein und lasse sodann eine Reihe schreiben. Die Versuchsperson hat","page":50},{"file":"p0051.txt","language":"de","ocr_de":"Yersuche mit Mosso\u2019s Sphygmomanometer etc.\n51\nsich beruhigt, die Pulsausschl\u00e4ge sind normal. Bei 39 (Fig. 2) sank der Druck pl\u00f6tzlich, wohl in Folge einer unbekannten Gem\u00fcths-bewegung. Beim ersten Pfeil I rufe ich: Rechnen Sie 26 X 17. Die Curve erhebt sich ebenso pl\u00f6tzlich. Beim Pfeil I wird das Resultat genannt. Die Druckh\u00f6he sinkt auf 38. Die zweite Rechnung (29 X 19) l\u00e4sst wieder eine deutliche Erhebung der Reihe erkennen. In beiden Erh\u00f6hungen sind zugleich plethysmographische Wirkungen sichtbar. Sp\u00e4ter fiel die Druckh\u00f6he leider in der oben beschriebenen Weise.\n1\t\t\t\t\tH\nI\t\t\tHHv11.\t\t\nHl\t\t\tIE31HI\tHHBHHM\t|\nFig. 2.\n2. Versuch (Fig. 3), 3 Uhr Nachm. \u2014 Wie bei dem vorigen Versuche wurde die Versuchsperson aus tiefem Schlafe erweckt, nachdem der normale Druckwerth bei 47 mm Manometerh\u00f6he erreicht war. Es zeigt sich in dieser Reihe noch deutlich die gef\u00e4\u00dfverengende Wirkung der Vasomotoren. Die auf- und abstrebenden Pfeile schlie\u00dfen die Zeit ein, w\u00e4hrend welcher die Versuchsperson\n\t\t\t\t\t\t\n\t\t\t\t\t\t\nFig. 3.\nintellectuell th\u00e4tig war. Dieselbe ist deutlich an einer Erhebung der Curve zu erkennen. Die Senkung der Reihe war in diesem Falle nur eine geringe.\n3. Versuch (Fig. 4, 5, 6), 4 Uhr Nachm. \u2014 Normale Druckh\u00f6he 4 5 mm Manometerstand. In dieser unter \u00e4hnlichen Voraussetzungen\n4*","page":51},{"file":"p0052.txt","language":"de","ocr_de":"52\nFriedrich Kiesovv.\naufgenommenen Reihe zeigen sich gleichfalls die beiden Momente der Druck- und plethysmographischen Ver\u00e4nderung. Die einzelnen Pfeile markiren die Rechnungsphasen. Eine bedeutende Erhebung der Reihe zeigt sich bei den kleinen Divisionsaufgaben. Nach der Aussage der Versuchsperson waren dieselben von einem entschieden st\u00e4rker betonten Unlustgef\u00fchl begleitet. Die Versuchsperson behauptete, jedesmal in einen geringen Schreck versetzt worden zu sein. Das Ende der Reihe, Fig. 6, verr\u00e4th bei der Rechnung 17 + 17 .... einen gleichm\u00e4\u00dfigeren Gem\u00fcthszustand. Es trat hier offenbar in der Spannung der Aufmerksamkeit eine Erleichterung ein, der die Rechnung begleitende Gef\u00fchlscharakter ist demnach als ein mehr indifferenter anzusehen.","page":52},{"file":"p0053.txt","language":"de","ocr_de":"Versuche mit Mosso\u2019s Sphygmomanometer etc.\n53\n4. Versuch (Figur 7), 7 Uhr Nachm. \u2014 Druckh\u00f6he 40 mm. Wir hatten den ganzen Tag hindurch angestrengt gearbeitet und einige Misserfolge erlebt. Bei der Senkung der Reihe rufe ich in \u00e4rgerlichem Tone: die Curve gelingt nicht. Man sieht dieselbe unter das Niveau der Normalh\u00f6he fallen. Beim aufstrebenden Pfeile rufe ich: Rechnen Sie 19X29. Mit einer vasomotorischen Verkleinerung erheben sieh die Pulsamplituden \u00fcber die Normalh\u00f6he\n\u25a0\t\t\t\n\t\t\t\nFig. 7.\ndes Blutdrucks, um bald nach Beendigung der Rechnung beim abstrebenden Pfeile wieder auf den anf\u00e4nglichen Werth zur\u00fcckzukehren. Der genaue Verlauf der Gem\u00fcthsbewegung w\u00e4hrend der intellectuellen Th\u00e4tigkeit des Rechnens ist nach der vorliegenden graphischen Aufnahme schwer zu deuten, doch muss schon, bevor das Resultat genannt ist, eine gr\u00f6\u00dfere Gleichm\u00e4\u00dfigkeit in demselben, wohl auch mehr Indifferenz im Gef\u00fchlscharakter eingetreten sein. Die Senkung der Reihe bis zum ersten Pfeil erinnert an die auf S. 51 bei 39 mitgetheilte. Beide Ver\u00e4nderungen sind in diesem Versuche durch Unlustgef\u00fchle hervorgerufen.\tj\n5. Versuch, 6 Uhr Nachm. \u2014 Druckh\u00f6he 40 mm. Statt durch intellectuelle Th\u00e4tigkeit wird die Versuchsperson diesmal durch Lichtreize erregt, die mit H\u00fclfe eines Assistenten mittelst der LinnemannJschen Lampe hergestellt wurden. Die Wirkung zeigte sich beim ersten Eindr\u00fccke in einer auffallend steilen Erhebung und ebenso schnellen Senkung der Curve. Schon der zweite Eindruck rief eine weit geringere Wirkung hervor, dieselbe wurde mit jedem folgenden Lichtreiz schw\u00e4cher und blieb endlich ganz aus. Dementsprechend war nach der Aussage der Versuchsperson der die jedesmalige Empfindung begleitende Gef\u00fchlston gewesen. Am Ende dieser Reihe \u00fcberraschte ich pl\u00f6tzlich die Versuchsperson durch einen Zuruf, der dieselbe in h\u00f6chste Aufregung versetzen musste. Die","page":53},{"file":"p0054.txt","language":"de","ocr_de":"54\nFriedrich Kiesovv.\nWirkung zeigte sich in der in Fig. 8 dargestellteu Weise, zugleich in einer auffallenden vasomotorischen Verengung der Gef\u00e4\u00dfe.\n\nDiese mittelst Circoniumlicht angestellten Versuche wurden an einem der folgenden Tage dahin abge\u00e4ndert, dass zun\u00e4chst Magnesiumlicht und sodann durch pl\u00f6tzliches Oeffnen aller Vorh\u00e4nge Tageslicht in das Auge hier Versuchsperson fiel. Letzteres rief einen starken Affect hervor, der sich in der Reihe auffallend deutlich in einer ruckweisen Hebung und sofortigen Senkung der Curve \u00e4u\u00dferte. Wiederholungen dieser Reize wirkten im selben Sinne wie beim vorigen Versuch das Licht der Linnemann\u2019schen Lampe: Gew\u00f6hnung an den Eindruck schw\u00e4chte die Wirkung ab.\nAus weiteren an X. angestellten Versuchen will ich nur noch hervorheben, dass andauernde Metronomschl\u00e4ge, durch welche wir Unlust zu erwecken suchten, au\u00dfer einer schwachen vasomotorischen Verengerung der Gef\u00e4\u00dfe nur eine h\u00f6chst minimale Senkung der Curve des Blutdrucks hervorriefen. Die Versuchsperson hatte den Eindruck ein wenig unangenehm empfunden. Ich will sogleich hinzufiigen, dass ich diesen letzten Versuch auch im Leipziger Laboratorium mehrfach wiederholt habe. Eine meiner Versuchspersonen suchte sogar f\u00fcr sich die Metronomschl\u00e4ge als Taktreihen aufzufassen, wodurch der Versuch in einen solchen mit intellectueller Th\u00e4tigkeit umgewandelt war, doch trat in keinem der letzten F\u00e4lle eine wahrnehmbare Aenderung in der graphischen Uebertragung hervor. Die Versuchspersonen behaupteten, keinen ausgesprochenen Gef\u00fchlscharakter bemerkt zu haben.\nUnter den gleichen oben erw\u00e4hnten Bedingungen wurden die Versuche in Turin noch an einer zweiten Versuchsperson angestellt. Das Ergebniss war insofern ein anderes, als Rechnungsaufgaben im allgemeinen den Blutdruck wie die Pulsamplitude nicht alterirten.","page":54},{"file":"p0055.txt","language":"de","ocr_de":"Versuche mit Mosso\u2019u Sphygmomanometer etc.\n55\nNimmt man jedoch hinzu, dass die Versuchsperson schon durch dieselben nicht im mindesten emotionell erregt ward und der Ge-m\u00fcthszustand derselben im ganzen ein gleichm\u00e4\u00dfigerer und ruhiger zu sein schien, als dies bei X. der Fall war, so wird dadurch schon das im Eingang ausgesprochene Urtheil best\u00e4tigt. Bei starken Lichtreizen jedoch erzielten wir in Folge des die Empfindung begleitenden maximalen Unlustcharakters auch bei dieser Versuchsperson \u00e4hnliche Wirkungen.\nIn Leipzig habe ich die Versuchsanordnung dahin vereinfacht, dass ich die Versuche in sitzender Stellung der betreffenden Personen anstellte. Ich konnte auf diese Weise den leicht transportablen Apparat in verschiedenen Zimmern verwenden. Als Untersuchungszeit benutzte ich der absoluten Ruhe wegen die fr\u00fchen Morgen- und die sp\u00e4ten Abendstunden, w\u00e4hrend der Ferien auch die Vor- und Nachmittage. Damit die Aufmerksamkeit durch \u00e4u\u00dfere Reize nicht abgelenkt wurde, lie\u00df ich w\u00e4hrend der Versuche die Augen schlie\u00dfen. Einen gleichm\u00e4\u00dfigen Gem\u00fcthszustand suchte ich herzustellen, indem ich die betreffenden Personen still f\u00fcr sich z\u00e4hlen lie\u00df. Manche benutzten f\u00fcr diesen Zweck die Pulsintervalle. Durch Zuruf wurde dann diese Gleichf\u00f6rmigkeit unterbrochen. Als Kymographion benutzte ich anfangs ein \u00e4lteres, ger\u00e4uschlos gehendes, sp\u00e4ter ein neues, durch Gewichte in Betrieb gesetztes und vom hiesigen Mechaniker Zimmermann nach Baltzar\u2019schem Muster f\u00fcr die Zwecke des psychologischen Instituts gefertigtes. Dasselbe hat vor den Baltzar\u2019schen durch Federspannung getriebenen Instrumenten den Vorzug, dass die Trommel desselben fast ger\u00e4uschlos rotirt.\nZun\u00e4chst habe ich die in Turin \u00e4ngestellten Versuche mit in-tellectueller Th\u00e4tigkeit an f\u00fcnf Herren, die sich denselben unterworfen, wiederholt. Ich habe nochmals versucht, aus den Treppen-curven die Ver\u00e4nderung der Druckh\u00f6he bei geistiger Anstrengung zu studiren. Doch habe ich mich noch einmal \u00fcberzeugen m\u00fcssen, dass die Feststellung derselben ohne gleichzeitige genaue Fixirung der plethysmographischen Alterationen unm\u00f6glich ist. Ich bin daher zu den Reihenversuchen zur\u00fcckgekehrt. Vor jeder Reihe stellte ich in jedem Einzelfalle die normale Druckh\u00f6he f\u00fcr die betreffenden Tagesstunden fest und pr\u00fcfte dieselbe vor jedem Einzelversuche","page":55},{"file":"p0056.txt","language":"de","ocr_de":"56\nFriedrich Kiesow.\nnochmals. Bemerken will ich nur, dass ich in einigen wenigen F\u00e4llen mit H\u00fclfe der Treppencurven constatiren konnte, dass bei einem Docenten die Druckh\u00f6he, welche ich kurz vor seiner Vorlesung ermittelt hatte, unmittelbar nach derselben gestiegen war, einmal um 4 mm. Diese Ver\u00e4nderung ist wohl auf eine beschleunigte Herzth\u00e4tigkeit zur\u00fcckzuf\u00fchren. Die geistige Anstrengung suchte ich zun\u00e4chst wieder durch Rechnungsaufgaben herbeizuf\u00fchren, die ich leichter oder schwerer stellte, je nach Beruf und Fertigkeit der betreffenden Personen. Einem Mathematiker schrieb ich auf ein St\u00fcck Papier Formeln aus der Differenzialrechnung. Auf einen Zuruf \u00f6ffnete er die Augen und begann im Kopfe die Aufl\u00f6sung. Sodann Tief ich Andern zu, im Kopfe den pythagoreischen Lehrsatz zu beweisen, Wundt's Associationslehre zu recapituliren und dgl. Indem ich auf diese Weise die Versuche mannigfach abzu\u00e4ndern bestrebt war, kam ich doch immer wieder zu den in Turin beobachteten Resultaten. Ich unterlasse daher die Wiedergabe einzelner Versuche und beschr\u00e4nke mich auf die Mittheilung des Ge-sammtresultates.\nMan hat zweifelsohne verschiedene Typen von Personen zu unterscheiden. Bei leicht erregbaren Gem\u00fcthern zeigen sich die hervorgehobenen Ver\u00e4nderungen am deutlichsten, sie bleiben aus bei Personen von gro\u00dfer Ruhe. Gew\u00f6hnung schw\u00e4cht im ersteren Falle die Wirkung ab. Individuelle Differenzen werden au\u00dfer aus der Anlage auch aus den verschiedenfachen Besch\u00e4ftigungen der Einzelnen zu erkl\u00e4ren sein. Der ge\u00fcbte Rechner wird weniger durch Kopfrechenaufgaben erregt werden, als derjenige, bei dem der Beruf diese Kunst nicht zur Ausbildung gelangen lie\u00df. Die Herren, welche sich mir so freundlich zur Verf\u00fcgung stellten und denen ich auch an dieser Stelle herzlichen Dank sage, waren allesammt an ernste geistige Th\u00e4tigkeit von Jugend an gew\u00f6hnt. Es steht zu erwarten, dass sich bei Leuten aus dem niederen Volke, deren geistige Kraft niemals in gleicher Weise angespannt war, die Wirkung in ungleich h\u00f6herem Ma\u00dfe offenbaren wird. In der That durfte ich in Turin bei Versuchen, die an einem Maurer, Cane Luigi, der, mit einem Sch\u00e4delbruch behaftet, Prof. Mosso lange Zeit bei seinen Untersuchungen \u00fcber die Temperatur des Gehirns diente1) und an dem\n1) A. Mosso, Temperatur des Gehirns. 1894. S. 144.","page":56},{"file":"p0057.txt","language":"de","ocr_de":"Versuche mit Mosso's Sphygmomanometer etc.\n57\ndie Blutdruckcurve zugleich mit dem Hirnpulse aufgenommen ward, beobachten, dass schon ganz leichte Kopfrechenaufgaben die Druckh\u00f6he betr\u00e4chtlich variirten. Auch hier werden gewiss je nach der Anlage oder nachdem lange Selbstzucht auf den Einzelnen einwirkten, individuelle Differenzen vorhanden sein, immerhin aber d\u00fcrften die Versuche in manchem Falle einen Blick in das Seelenleben des Einzelnen gew\u00e4hren. Ich gelangte bei allen diesen Versuchen zu der Ueberzeugung, dass nicht die intellectuelle Th\u00e4tig-keit und die damit verbundene Spannung der Aufmerksamkeit als solche, sondern nur die gem\u00fcthliche Erregung die Ursache der Druckver\u00e4nderungen abgeben.\nDie folgenden Untersuchungen sind mit der Versuchsperson P. angestellt worden. Dieselbe ist von maximaler Gem\u00fcthsruhe. Die Pulsamplituden erfolgen in einer H\u00f6he, wie ich dieselbe an keinem der \u00fcbrigen Herren erhalten konnte. An P. habe ich die einzelnen Sinnesgebiete nacheinander auf die Druckver\u00e4nderungen durchpr\u00fcfen k\u00f6nnen. Die normale. Druckh\u00f6he lag meistens bei 34 oder 35 mm Manometerstand. Im Gebiete des Tastsinnes suchte ich unwissentlich f\u00fcr die Versuchsperson durch Kneifen der Hand Schmerz zu erzeugen, ohne dass in der Curve eine wesentliche Ver\u00e4nderung eintrat (Figur 9). Die Pfeile der beigegebenen Aufnahme markiren\n\t\t\u25a0\u25a0\u25a0\n\t\t1110\nFig. 9.\ndie Zeit der Einwirkung. Ebensowenig wurde die Curve durch fl\u00fcssiges Wachs, welches ich auf die Hand tr\u00e4ufelte, ver\u00e4ndert. Der Reagent behauptete, eine sehr unangenehme Wirkung nicht versp\u00fcrt zu haben. Im Gebiete des Geruchssinns wirkte Ammoniak nur in geringem Ma\u00dfe auf die Druckh\u00f6he ein. Aether wirkte nur auf die Athmung. Anders zeigten sich die Wirkungen beim Geschmackssinn. Ich verwandte als Geschmacksstoffe L\u00f6sungen von","page":57},{"file":"p0058.txt","language":"de","ocr_de":"58\nFriedrich Kiesovv.\nSaccharin, Rohrzucker, Kochsalz, Salzs\u00e4ure und schwefelsaurem Chinin, welche ich mittelst eines Tropfglases in kleineren Dosen auf die Zunge applicirte. Die Gef\u00fchle der Lust bei S\u00fc\u00df blieben auf die graphische Wiedergabe ohne Einfluss, um so st\u00e4rker offenbarten sich bei allen Schmeckstoffen in concentrirteren L\u00f6sungen die Gef\u00fchle der Unlust. Der widerlich s\u00fc\u00dfbitterliche Geschmack einer Saccharinl\u00f6sung von 1 : 15 rief neben einer plethysmographischen \\ erkleinerung der Pulsamplituden eine Steigerung der Druckh\u00f6he und sodann einen deutlichen Einfluss auf die Athmung hervor. Letztere wirkt bekanntlich auch schon im Sinne einer Druckerh\u00f6hung. Nachdem schon der normale Zustand zur\u00fcckgekehrt war, zeigten sich pl\u00f6tzlich in der Curve wiederum die langen Athem-phasen. Die Versuchsperson gab nach dem Versuche an, an dieser Stelle Angst auf Wiederholung der unangenehmen Empfindung versp\u00fcrt zu haben.\nAuf den Geh\u00f6rsinn suchte ich durch pl\u00f6tzliches Fallenlassen eines Gewichtes aus ziemlicher H\u00f6he einzuwirken. Die beigegebene Aufnahme (tig. 10) zeigt den Effect des Schrecks. Bei der zweiten\nFig. 10.\nErhebung war wiederum eine leise Angst vor der Wiederholung des Reizes die Ursache der Erhebung. Ich lie\u00df in einigen F\u00e4llen von einem zweiten Schreibhebel wie im vorliegenden Falle eine gerade Linie ziehen, um die Ver\u00e4nderungen m\u00f6glichst deutlich erkennen zu k\u00f6nnen. Wiederholungen, auch nach Tagen, schw\u00e4chten auch diese Wirkung ab. Ein unangenehmes Raspelger\u00e4usch bewirkte pl\u00f6tzlich eine vasomotorische Erweiterung der Gef\u00e4\u00dfe, die sich in gro\u00dfen Puls-excursionen kund that, zugleich sank die Druckh\u00f6he um etwa 4 mm. Schrillende Dissonanzen, die ich auf einem neben mir stehenden Harmonium hervorbrachte, wirkten vasomotorisch verengend auf die Gef\u00e4\u00dfe ohne Ver\u00e4nderung der Druckh\u00f6he ein, ein pl\u00f6tzliches elek-","page":58},{"file":"p0059.txt","language":"de","ocr_de":"Versuche mit Mosso's Sphygmomanometer etc.\n59\ntrisches Klingelger\u00e4usch hatte keine Wirkung. Ich suchte ferner die Aufmerksamkeit auf das h\u00f6chste zu spannen, indem ich untermerkliche Reize allm\u00e4hlich anwachsen lie\u00df, bis sie auf der Schwelle per-cipirt wurden, und beobachtete dabei die graphischen Ver\u00e4nderungen. Bei geschlossenen Augen der Versuchsperson entfernte ich mich auf Socken eine Strecke ins Zimmer hinein. Indem ich nun meine Taschenuhr hervorzog und mich dem Apparate wieder n\u00e4herte, lie\u00df ich den Moment bestimmen, wo der Eindruck empfunden wurde, und fixirte denselben dann schnell auf der langsam rotirenden Trommel. Im Ganzen wirkte die Spannung der Aufmerksamkeit gef\u00e4\u00dferregend, doch zeigten sich auch deutlich schwache Druckerh\u00f6hungen. Letztere traten kurz vor dem percipirten Eindr\u00fccke auf, also im Momente der h\u00f6chsten Erwartung. Die letztere ist aber immer mit einer gem\u00fcthlichen Erregung verbunden.\nDieselbe Methode der Perception eben merklicher Reize habe ich auch noch auf den Gesichtssinn angewandt. Auf einem l\u00e4ngeren Tische hatte ich in der Richtung der Gesichtslinien der Versuchsperson zwei Schienen angebracht, zwischen denen ich einen Kasten an einem Band ger\u00e4uschlos dem Auge des Beobachters n\u00e4hern konnte. Auf der dem letzteren zugekehrten Seite des Kastens konnte ich leicht einen Carton anbringen, auf dem ich einfache wie doppelte Punkte, Linien und Kreise gezeichnet hatte. Die Versuchsperson hatte bei der Ann\u00e4herung den Moment4p bestimmen, wo die Figuren erkannt wurden. Auch diese Versuche konnten nur mit der gr\u00f6\u00dften Aufmerksamkeitsspannung von seiten des Beobachters ausgef\u00fch\u00eft werden. Alle diese Versuche zeigten die gleiche Wirkung wie der vorige bei ebenmerklichen Geh\u00f6rseindr\u00fccken. W\u00e4re die Aufmerk-keit die Ursache einer Druckver\u00e4nderung, so m\u00fcsste sich dieselbe in diesen F\u00e4llen h\u00f6chster Anspannung in auffallend deutlicher Weise zeigen.\nIch begn\u00fcge mich mit diesen Mittheilungen, die mich die anfangs gestellte Frage nur in dem schon mehrfach erw\u00e4hnten Sinne beantworten lassen: Nicht die geistige Anstrengung oder die Spannung der Aufmerksamkeit oder die Empfindung als solche, sondern die Gef\u00fchle und Affecte sind die Ursachen der Ver\u00e4nderungen des Blutdrucks am Mfenschen. Warum die Druckh\u00f6he in einigen F\u00e4llen eine Senkung, in anderen und in den meisten eine Hebung erf\u00e4hrt, oder","page":59},{"file":"p0060.txt","language":"de","ocr_de":"60\nFriedrich Kiesow. Versuche mit Mosso's Sphygmomanometer.\nwarum eigentlich stets nur die Unlust, nicht auch das Gef\u00fchl der Lust in der Druckcurve zum Ausdrucke kommt, erlaube ich mir nicht zu entscheiden. Die Psychologie hat ohnehin nur mit der \u00e4u\u00dfersten Vorsicht an die genaueste Deutung derartiger Bilder heranzutreten. Wenn irgendwo, so bietet die Ausbeutung der Pulsbilder ein Gebiet, auf dem sich die Psychologie und die Physiologie die Hand zum Bunde reichen m\u00fcssen.\nDer sinnreiche Apparat gestattet noch mancherlei andere Verwendung. Die Ver\u00e4nderungen der Pulsfrequenz, die Wirkungen der Athmung, der Dipnoe und der Apnoe, sowie der Valsalva\u2019sche *) und der von Frey\u2019sche Versuch1 2) treten mit \u00fcberraschender Deutlichkeit an demselben hervor. F\u00fcr die psychologische Forschung w\u00e4re es sicher ein Gewinn, wenn der Apparat mittelst Luft\u00fcbertragung dahin eine Ab\u00e4nderung erfahren w\u00fcrde, dass Experimentator und Versuchsperson in getrennten Zimmern sein k\u00f6nnten. Umfangreiche fr\u00fcher begonnene Arbeiten gestatten mir vorl\u00e4ufig nicht, die Frage weiter zu verfolgen, doch w\u00fcrde ich mich freuen, wenn die vorliegende Arbeit zu weiteren Untersuchungen Anlass bieten w\u00fcrde3).\n1)\tv. Frey, Die Untersuchung des Pulses. 1892. S. 38.\n2)\tEbenda, S. 37.\n3)\tUeber die Theorie dieser Methode sowie \u00fcber die Verwendung derselben zu physiologischen Zwecken wird Herr Prof. Mos so in Verbindung mit Dr. Colombo in K\u00fcrze selber eine Arbeit ver\u00f6ffentlichen.","page":60}],"identifier":"lit4523","issued":"1895","language":"de","pages":"41-60","startpages":"41","title":"Versuche mit Mosso\u2018s Sphygmomanometer \u00fcber die durch psychische Erregungen hervorgerufenen Ver\u00e4nderungen des Blutdrucks beim Menschen","type":"Journal Article","volume":"11"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:24:38.575063+00:00"}