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{"created":"2022-01-31T14:19:16.646734+00:00","id":"lit4530","links":{},"metadata":{"alternative":"Philosophische Studien","contributors":[{"name":"Lipps, Gottlieb Friedrich","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Philosophische Studien 11: 254-306","fulltext":[{"file":"p0254.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen Uber die Grundlagen der Mathematik.\n,\tVon\nGottl. Friedr. Lipps.\n(Fortsetzung zu Band X S. 202.)\nIV.\nDie logische Entwicklung des Zahlbegriffs.\n\u00a7 1.\nDie Untersuchung \u00fcber \u00bbdie logische Ordnung und die Zahl\u00ab schloss mit dem Hinweis darauf, dass die Einsicht in das Wesen der logischen Ordnung eine umfassende Begr\u00fcndung des Zahlbegriffs m\u00f6glich mache. Dabei musste die Evidenz des Denkens als St\u00fctze dienen, und es mussten die verschiedenen Entwicklungsstufen des Zahlbegriffs als bekannt vorausgesetzt werden. Denn nur so war es m\u00f6glich, einestheils in der Normalreihe von Bewusstseinsinhalten die Zahlenreihe, anderentheils in der logischen Beziehung des Grundes zur Folge die Quelle der Beziehungen zwischen den Zahleinheiten unmittelbar zu erkennen.\nDieser Hinweis bildete den naturgem\u00e4\u00dfen Abschluss der Er\u00f6rterungen \u00fcber die logische Ordnung. Denn ohne ihn w\u00e4re man in Ungewissheit geblieben, ob der eingeschlagene Weg wirklich zu dem erstrebten Ziele f\u00fchre. Es ist jedoch selbstverst\u00e4ndlich, dass die Erkenntniss der evidenten Richtigkeit des betretenen Weges zwar die Gewissheit verleiht, den Zahlbegriff thats\u00e4chlich zu erreichen, nicht aber der Verpflichtung enthebt, den \\Yreg, auch soweit er unmittelbar vor Augen liegt, wirklich zu durchmessen.","page":254},{"file":"p0255.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber die Grundlagen der Mathematik.\t255\nAuch bedarf es kaum der Erw\u00e4hnung, dass hierbei f\u00fcr eine bereits vorhandene Kenntniss des Zahlbegriffs keine Verwendung sich bietet. Denn mit der Einsicht in das Wesen der logischen Ordnung ist alles gegeben, dessen man zur Entwicklung des Zahl-begriffs bedarf, und \u00fcberdies w\u00e4re eine R\u00fccksichtnahme auf die in den mathematischen Disciplinen vorliegende Entwicklungsstufe desselben nur geeignet, die formale mathematische Auffassungsweise in den Vordergrund zu stellen und eine Entscheidung dar\u00fcber zu verhindern, ob der mathematische Zahlbegriff ein organisches Ganzes darstellt und wie seine verschiedenen Entwicklungsstufen logisch begr\u00fcndet sind.\nDie weiterschreitende Untersuchung hat daher die Aufgabe, an die betreffs der logischen Ordnung gewonnenen Resultate anzukn\u00fcpfen und die in ihnen ruhenden Keime zur Entfaltung zu bringen.\nDer Ausgangspunkt der Untersuchung muss demgem\u00e4\u00df zun\u00e4chst charakterisirt werden. Er wurde durch eine Beschreibung des Zustandekommens der logischen Ordnung gewonnen. Die Idee der logischen Ordnung aber war entstanden, indem man die That-sache beachtete, dass die Bewusstseinsinhalte im Bewusstsein als ihrem Tr\u00e4ger zusammengefasst werden, und dabei nicht ihre Abgrenzung vom Gesammtinhalt, worauf die anschauliche Ordnung sich gr\u00fcndet, sondern ihr Vorhandensein als f\u00fcr sich erfassbare, durch die Apperception hervorgehobene Qualit\u00e4ten ins Auge fasste.\nAls Quelle der logischen Ordnung war folglich das Zusammensein appercipirter Bewusstseinsinhalte, wie es als ein thats\u00e4chliches Erlehniss im Bewusstsein vorhanden ist, zu betrachten.\nEiner nat\u00fcrlichen Neigung folgend, h\u00e4tte man versucht sein k\u00f6nnen, in den Objecten des Denkens allein die Motive zu suchen, die das Denken zur logischen Ordnung f\u00fchren. Man w\u00e4re dann ohne Zweifel dazu gelangt, die zusammengesetzte Beschaffenheit der Denkobjecte zu erkennen und in dem Beachten gemeinsamer Elemente den Anlass zu einem Zusammenfassen verschiedener Bewusstseinsinhalte durch das Denken zu finden. So h\u00e4tte sich das logisch_begr\u00fcndete Zusammensein von Bewusstseinsinhalten, wie es in dem beispielsweise angef\u00fchrten Zusammenfassen der Thiere oder der Pflanzen, der physikalischen oder der chemischen Erscheinungen","page":255},{"file":"p0256.txt","language":"de","ocr_de":"256\nGotti. Friedr. Lipps.\nvorliegt, in klar hervortretendem Gegensatz zu dem anf\u00e4nglich zu Grunde gelegten erbeten Zusammensein ergeben. Die erw\u00e4hnten Eeispiele h\u00e4tten dann auch die Erkenntniss erm\u00f6glicht, dass die logisch zusammengeh\u00f6rigen Objecte nicht nur mit R\u00fccksicht auf ihre gemeinsamen Elemente als gleichwerthig betrachtet, sondern auch auf Grund ihrer Verschiedenheit in untergeordnete Gruppen geschieden und zu einem zusammenh\u00e4ngenden Gef\u00fcge verarbeitet werden k\u00f6nnen. Die Frage nach der Beschaffenheit eines solchen Gef\u00fcges h\u00e4tte dann aber nur durch den Hinweis auf die Beschaffenheit der zusammengefassten Objecte ihre Erledigung finden k\u00f6nnen. Man h\u00e4tte somit, da die Objecte im Gegebenen wurzeln und folglich ihre Kenntniss nur der Erfahrung entspringt, nichts weiter als eine empirische Kenntniss der logischen Ordnung erworben.\n\u00a7 2.\nDie Folgen, die ein solches Vorgehen f\u00fcr die hier beabsichtigte Ableitung des Zahlbegriffs mit sich f\u00fchren w\u00fcrde, lassen sich leicht \u00fcbersehen. Ausgehend von dem logisch begr\u00fcndeten Zusammensein von Denkobjecten l\u00e4ge die M\u00f6glichkeit vor, die letzteren einerseits als gleichwerthig aufzufassen, andererseits in ihrer Verschiedenheit zu beachten. Im ersteren Falle k\u00f6nnte blo\u00df das Zusammensein als solches zur Begr\u00fcndung der Zahl herangezogen werden; denn das den Objecten zugewendete Interesse w\u00fcrde keine Gelegenheit finden, auf die Beth\u00e4tigung des Denkens zu achten, die sich im reihenf\u00f6rmigen Erfassen jenes Zusammenseins kundgibt. Es bliebe daher nur der Ausweg offen, die Zahl als ein Merkmal eines solchen Zusammenseins, als eine m\u00f6gliche Aussage von einem solchen, mithin als Aiyjahl, zu definiren, ohne dass der Process des Z\u00e4hleng, ber\u00fccksichtigt w\u00fcrde. Die Anzahlen m\u00fcssten somit als Cardinalzahlen der ferneren Entwicklung zu Grunde gelegt werden. \u2014 Im letzteren Falle k\u00f6nnte blo\u00df in den thats\u00e4chlich constatirten Abh\u00e4ngigkeiten zusammengeh\u00f6riger Denkobjecte eine Unterlage gesucht werden, auf welcher die durch mathematische Operationen darstellbaren Beziehungen zwischen Zahleinheiten festen Halt gew\u00f6nnen. Man k\u00f6nnte jedoch lediglich das Vorhandensein geeigneter Abh\u00e4ngig-","page":256},{"file":"p0257.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber die Grundlagen der Mathematik.\n257\nkeiten constatiren und darin einen gl\u00fccklichen Zufall bez\u00fcglich des Zahlbegriffs erblicken. Denn so lange die Aufmerksamkeit den Objecten allein zugewendet ist, w\u00fcrde man nicht darauf achten, dass dieselben an und f\u00fcr sich in gar keiner Abh\u00e4ngigkeit stehen und dass sie blo\u00df die empirischen Bedingungen f\u00fcr eine Beth\u00e4tigung des Denkens darstellen, w\u00e4hrend es das Denken ist, das seiner Natur gem\u00e4\u00df vom Grunde zur Folge fortschreitend jene Abh\u00e4ngigkeiten erst schafft. \u2014 In beiden F\u00e4llen w\u00fcrde man nur in soweit eine Begr\u00fcndung des Zahlbegriffs gewinnen, als das Getriebe des * Denkens einerseits wohl definirte Mengen gleichwerthiger Objecte, andererseits Abh\u00e4ngigkeiten von Denkobjecten, die den mathematischen Operationen als Grundlage dienen k\u00f6nnen, zu Tage \u2022 f\u00f6rdert.\nDies h\u00e4tte zur Folge, dass eine KJjjft, entstehen w\u00fcrde zwischen der Zahl, insoweit sie als ein mathematisches Begriffsgebilde blo\u00df formal existirt, und der Zahl, insofern sie in dem realen Leben des Denkens eine reale Gestalt gewinnt. Diese Kluft k\u00f6nnte sich verengern in dem Ma\u00dfe, als die Erfahrung mehr und mehr Gelegenheit gibt, die leeren mathematischen Schemata mit einem Inhalt zu f\u00fcllen. So lange jedoch die Kluft besteht, k\u00f6nnte man versucht sein, die Erf\u00fcllbarkeit der formalen Schemata mit einem realen Inhalt als ein Postulat des Denkens hinzustellen, so dass die M\u00f6glichkeit ihrer v\u00f6lligen Beseitigung au\u00dfer Zweifel st\u00fcnde. Die Aufstellung eines Postulats enthielte aber schon das Zugest\u00e4ndniss, dass die Erfahrung allein zur Begr\u00fcndung des Zahlbegriffs nicht ausreiche, und dass die Natur des Denkens in Rechnung gezogen werden m\u00fcsse; denn nur auf diese Weise kann ein Postulat als berechtigt erwiesen werden. Es w\u00e4re daher consequenter, wenn man jene Kluft einfach ignoriren und, unbek\u00fcmmert um die mathematischen Begriffsgebilde, die Zahl nur insoweit anerkennen w\u00fcrde, als sie eine thats\u00e4chliche reale Grundlage besitzt und ihre Operationsgesetze erfahrungsgem\u00e4\u00df best\u00e4tigt werden. Dann m\u00fcsste z. B. selbst f\u00fcr die sogenannten positiven ganzen Zahlen, die der elementaren Arithmetik zu Grunde liegen, ein Bereich abgegrenzt werden, a innerhalb dessen sowohl die Existenz der Zahlen als auch die Richtigkeit ihrer Operationsgesetze thats\u00e4chlich durch die Erfahrung verb\u00fcrgt w\u00e4ren, und \"es bliebe dahingestellt, ob au\u00dferhalb","page":257},{"file":"p0258.txt","language":"de","ocr_de":"258\tGotti. Friedr. Lipps.\ndieses Bereiches Zahlen \u00fcberhaupt existiren und welchen Gesetzen sie gehorchen1).\nW\u00fcrde man also blo\u00df in den Objpcten des Denkens die Quelle der logischen Ordnung suchen und w\u00fcrde demzufolge blo\u00df eine empirische Kenntniss der logischen Ordnung erworben, so k\u00f6nnte, wenn anders Inconsequenzen vermieden werden sollen, auch die Zahl und mit ihr die Wissenschaft von der Zahl nur auf die Erfahrung sich gr\u00fcnden.\nEine solche Begr\u00fcndungsweise w\u00fcrde, wie nebenbei bemerkt werden mag, ein interessantes Seitenst\u00fcck zu der analogen Begr\u00fcndungsweise der Geometrie bilden, so dass keineswegs ohne weiteres, wie es vielfach geschieht, die Geometrie als \u00bbErfahrungsWissenschaft\u00ab in einen Gegensatz zu der \u00bbreinen Mathematik\u00ab der Zahl gesetzt werden darf. Es kann jedoch erst die Untersuchung der anschaulichen Ordnung entscheiden, ob die Auffassung der Geometrie als einer Erfahrungswissenschaft in \u00e4hnlicher Weise aus einer Beschr\u00e4nkung auf die empirischen Elemente der anschaulichen Ordnung folgt, wie dies soeben betreffs der arithmetischen Disciplinen und der logischen Ordnung sich ergab. Auch liegt die Hervorhebung einer derartigen Parallele zwischen den geometrischen und arithmetischen Disciplinen nicht im Plane der gegenw\u00e4rtigen Untersuchung, in deren Interesse hier blo\u00df eine Charakterisirung des in der logischen Ordnung gewonnenen Ausgangspunktes f\u00fcr die Untersuchung des Zahlbegriffs gegeben werden soll.\n\u00a7 3.\nZu diesem Zweck wurde hervorgehoben, dass man geneigt ist, zun\u00e4chst in der Beschaffenheit der Denkqbjecte die eigentliche Quelle der logischen Ordnung zu suchen. Diese Neigung ist darin begr\u00fcndet, dass es ein Denken ohne Objecte und dementsprechend ein logisches Ordnen ohne ein im Gegebenen wurzelndes, von der\n1) Es l\u00e4ge dann der Fall vor, dass nicht blo\u00df die indirecten Operationen der Subtraction und Division, sondern auch die directen Operationen der Addition und Multiplication blo\u00df bedingter Weise ausf\u00fchrbar w\u00e4ren, n\u00e4mlich nur dann, wenn durch die Ergebnisse der Operationen Glieder des abgegrenzten Zahlenbereichs dargestellt w\u00fcrden.","page":258},{"file":"p0259.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber die Grundlagen der Mathematik.\n259\nErfahrung dargebotenes Material nicht gibt. Darum stellt auch die so resultirende Erkenntniss, trotz ihrer empirischen Natur, einen unentbehrlichen Bestandteil der Untersuchung des Zahlbegriffs dar, eben weil sie dessen empirische Unterlage klarlegt. Auch w\u00e4re es unm\u00f6glich, dar\u00fcber hinaus zu gehen, und es m\u00fcsste thats\u00e4chlich jede Begriffsbildung, die einer solchen Eundamentirung nicht theil-haftig werden kann, als ein leeres Phantasiegebilde verworfen werden, wenn wirklich die Beschaffenheit der Denkobjecte allein bei der Erzeugung der logischen Ordnung in Betracht k\u00e4me. Dem ist aber nicht so. Denn es ist nicht nur Thatsache, dass es ein Denken ohne Objecte nicht gibt; es ist in gleicher Weise Thatsache, dass die Objecte nur existiren, insofern sie gedacht werden.\nDamit soll nicht gesagt sein, dass es \u00fcberhaupt nicht thunlich sei, die Denkobjecte und die Denkth\u00e4tigkeiten von einander zu trennen und zu verselbst\u00e4ndigen. Es geschieht dies ja thats\u00e4chlich. Beispielsweise beruhte die fr\u00fchere Feststellung des Gegebenen auf der M\u00f6glichkeit dies zu thun. Dort wurde jedoch zugleich bemerkt, dass die Th\u00e4tigkeiten und die Objecte des Denkens nichts als Abstractionen sind, so dass es nicht gestattet ist, die factische Abh\u00e4ngigkeit der einen von den andern zu ignoriren. Das Bestehen einer solchen Abh\u00e4ngigkeit hat aber zur Folge, dass die logische Ordnung wesentlich durch die Natur des Denkens bedingt ist.\nAus diesem Grunde musste die Reflexion als Begleiterin des zur logischen Ordnung f\u00fchrenden Denkprocesses die Art und Weise der Beth\u00e4tigung des Denkens beachten. Dadurch wurde der Denk-process selbst und dessen Ergebniss in keiner Weise ver\u00e4ndert; nur die Formen, an die das Denken gebunden ist, werden hervorgehoben. Sie ergaben sich als Beth\u00e4tigungen des Denkens, durch welche emestheils das Zusanppensein von Bewusstseinsinhalten im Bewusstsein in Form einer Reihe, anderntheils die Verschiedenheit zusammengefasster Bewusstseinsinhalte in Form von Beziehungen des Grundes zur Folge erfasst wird.\nDiese Denkformen wurden nun aber nicht deshalb aufgesucht, um in ihnen neue, selbst\u00e4ndige Untersuchungsobjecte zu gewinnen. Sie k\u00f6nnen zwar mit dem n\u00e4mlichen Rechte wie das Gegebene verselbst\u00e4ndigt und als Objecte des \u00fcber die m\u00f6glichen Formen seiner Th\u00e4tigkeit reflectirenden Denkens untersucht werden. Es kann\nWundt, Philos. Studien. XI.\n18","page":259},{"file":"p0260.txt","language":"de","ocr_de":"260\nGotti. Friedr. Lipps.\nauch ein Bed\u00fcrfniss nach einer solchen Untersuchung thats\u00e4chlich entstehen, da die Bewegung des Denkens an und f\u00fcr sich, ohne R\u00fccksicht auf die verarbeiteten Objecte und die resultirenden Pro-ducte, ein unabweisbares Interesse erregt. Und wollte man hier diesem Bed\u00fcrfnisse entsprechen, so m\u00fcsste ohne Zweifel die Er-kenntniss, dass das Denken seiner Natur nach reihenf\u00f6rmig ein Zusammensein erfasst und das Zusammengefasste nach Grund und Folge verkettet, als Ausgangspunkt gew\u00e4hlt werden1).\nIndessen wird im vorliegenden Falle ein solches Bed\u00fcrfniss nicht empfunden. Es war ja die Reflexion nicht um ihrer selbst willen, sondern blo\u00df als Mittel, das Begreifen der logischen Ordnung zu erm\u00f6glichen, n\u00f6thig geworden. Auch konnte man gar nicht versucht sein den Denkformen als solchen eine selbst\u00e4ndige Bedeutung beizumessen, da man von vornherein darauf angewiesen war, die der Reflexion entspringende Einsicht zu benutzen, um den Einfluss der Formen des Denkens auf den Charakter der logischen Ordnung festzustellen.\nHierzu bedurfte man der Erkenntniss, dass die Denkformen eine Quelle f\u00fcr Merkmale und Beziehungen sind, die an den Denkobjecten zu Tage treten, ohne durch deren Beschaffenheit bedingt zu sein. In Uebereinstimmung damit beachtete man, dass das reihenf\u00f6rmige Erfassen eines Zusammenseins von Bewusstseinsinhalten den zusammengefassten Objecten Merkmale aufpr\u00e4gt, die nicht den Objecten an sich zugeh\u00f6ren, sondern der zusammenfassenden Th\u00e4tigkeit des Denkens als Merkmale der Reihenform entspringen. In gleicher Weise bemerkte man, dass das Erfassen der Verschiedenheit zusammengefasster Bewusstseinsinhalte den letzteren Beziehungen anheftet, die weder dem einen noch dem anderen Object an sich zugeh\u00f6ren, sondern durch das Denken als Beziehungen des Grundes zur Folge geschaffen werden.\nEs erweiterte sich so der anf\u00e4nglich auf die Betrachtung des bearbeiteten Materials eingeschr\u00e4nkte Gesichtskreis, und man konnte\n1) Da eine solche Untersuchung dem Gebiet der formalen Logik angeh\u00f6rt, als deren Untersuehungsgegenstand die als Begritf, Urtheil und Schluss unterschiedenen Denkformen bezeichnet zu werden pflegen, so m\u00fcsste alsdann auch er\u00f6rtert werden, in welchem Zusammenh\u00e4nge die letzteren mit den hier hervorgehobenen Denkformen stehen.","page":260},{"file":"p0261.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen fiber die Grundlagen der Mathematik.\n261\ndie auf der empirischen Beschaffenheit des Geordneten beruhenden Elemente von den in der Natur des Denkens begr\u00fcndeten Elementen scheiden und in den letzteren das Wesen der logischen Ordnung erkennen, die der ersteren nur bedarf, um in die Erscheinung zu treten.\nDie Bedeutung der hervorgehobenen'Denkformen besteht demnach darin, dass sie Principien des logischen Ordnens sind. Dabei ist die in Mathematik und Philosophie mannigfachen Schwankungen unterworfene Bezeichnung als Princip in dem Sinne zu verstehen, dass die treibende Kraft f\u00fcr die Erzeugung der logischen Ordnung in den als Beth\u00e4tigungsweisen des Denkens aufzufassenden Denkformen ruht. Diese Formen sind somit thats\u00e4chlich \u00bbAnf\u00e4nge\u00ab des logischen Ordnens, und man kann sagen, dass sie die logische Ordnung in virtueller Form darstellen und den actuellen Ausgestaltungen derselben das charakteristische Gepr\u00e4ge aufdr\u00fccken.\nSo ist denn f\u00fcr die logische Ordnung sowohl das im Gegebenen wurzelnde Material des Denkens als auch die an bestimmte Formen gebundene Th\u00e4tigkeit des Denkens unentbehrlich. Indem aber in den Merkmalen der Reihenform und in den Beziehungen des Grundes zur Folge der Kern der logischen Ordnung gefunden wird, tritt naturgem\u00e4\u00df das Interesse an der Wirkungsweise der Denkformen in den Vordergrund, und man empfindet die Beschaffenheit der geordneten Objecte, welche zwar eine Beth\u00e4tigung des Denkens erst erm\u00f6glicht, dieselbe aber zugleich in jedes Mal individuell bestimmter, von Fall zu Fall wechselnder Weise beeinflusst, als eine Zuf\u00e4lligkeit und Beschr\u00e4nkung.\n\u00a7 4-\nDarin liegt der Grund daf\u00fcr, dass im Anschluss an die aus der Untersuchung \u00fcber \u00bbdie logische Ordnung und die Zahl\u00ab resultirende Charakterisirung der logischen Ordnung das Bed\u00fcrfniss sich regte, die in den Denkformen erkannten Principien des logischen Ordnens zu einer vollendeten Entwicklung zu bringen. Dies hatte weiterhin zur Folge, dass die beiden Probleme erstanden, durch welche die aller Zuf\u00e4lligkeit und Beschr\u00e4nkung entkleideten Producte der Denkformen, die in der mit den Merkmalen der Reihenform behafteten\n18*","page":261},{"file":"p0262.txt","language":"de","ocr_de":"262\nGotti. Friedr. Lipps.\nNormalreihe und in den Beziehungen des Grundes zur Folge vorliegen, zum Gegenst\u00e4nde besonderer Untersuchung gemacht werden sollen.\nDie Erkenntniss, dass die Denkformen Principien des logischen Ordnens sind, erm\u00f6glicht somit nicht nur das Begreifen der logischen Ordnung, sie f\u00fchrt vielmehr \u00fcber dieses anf\u00e4nglich gesetzte Ziel hinaus und er\u00f6ffnet ein neues Forschungsgebiet, dessen Eigenart nunmehr klargestellt werden soll.\nDa die durch die Denkformen erzeugten Merkmale und Beziehungen den Gegenstand der Untersuchung bilden sollen, so ist es selbstverst\u00e4ndlich, dass ein Erforschen der Denkformen als solcher, wie sie als Aufgabe der formalen Logik bezeichnet wird, nicht zum Ziele f\u00fchrt. Es scheidet sich folglich das in Frage stehende Untersuchungsgebiet von demjenigen der formalen Logik.\nWenn nun aber die Objecte unentbehrlich sind, da nur an ihnen das Denken jene Merkmale und Beziehungen erzeugen kann, so ist zu beachten, dass die Objecte auch die Schranken setzen, die beseitigt werden sollen. Die hieraus erwachsende Schwierigkeit k\u00f6nnte dazu verleiten, in abgeblassten Schattenbildern, denen eine bestimmte, das Denken beeinflussende Qualit\u00e4t abgeht, das zur Aufnahme der Spuren des Denkens geeignete Material zu suchen. Man w\u00fcrde jedoch in derartigen Denkobjecten, die existiren sollen, ohne doch in bestimmter Weise zu existiren, nur die Ebenbilder der fr\u00fcher \u00fcblichen abstracten Begriffsvorstellungen oder abstracten Ideen finden, deren haltlose Scheinexistenz schon Berkeley1) zur Gen\u00fcge aufgedeckt hat.\nEs k\u00f6nnen daher die Objecte nur so, wie sie wirklich im Bewusstsein vorhanden sind, der Beth\u00e4tigung des Denkens zu Grunde gelegt werden. Daraus folgt, dass die hier beabsichtigten Untersuchungen nicht auf die individuelle^Beschaffenheit der Denkobjecte sich st\u00fctzen d\u00fcrfen. Denn sobald dieselbe in Betracht gezogen wird, setzt sie auch der Th\u00e4tigkeit des Denkens Ziel und Grenzen, und eine Beseitigung der empfundenen Schranken ist unm\u00f6glich. Man w\u00fcrde daher das hier verfolgte Ziel nicht erreichen, wollte man erforschen, wie das Denken dies oder jenes irgendwie bestimmte\n1) Ueber die Principien der menschlichen Erkenntnis : Einleitung.","page":262},{"file":"p0263.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber die Grundlagen der Mathematik.\n263\nZusammensein von Objecten und die so oder anders gestalteten Verschiedenheiten zusammengefasster Objecte bearbeitet, um eine in der Beschaffenheit der Objecte begr\u00fcndete Erkenntniss zu gewinnen. Demzufolge scheidet sich das fragliche Forschungsgebiet auch von den auf die Erkenntniss der Objecte selbst abzielenden Untersuchungen, die gem\u00e4\u00df der hier zu Grunde liegenden Auffassungsweise des Gegebenen als wesentlich psychologische Untersuchungen zu bezeichnen w\u00e4ren.\nWenn nun somit die Objecte einestheils unentbehrlich sind, anderntheils ihre individuelle Beschaffenheit nicht verleugnen k\u00f6nnen und trotzdem der Denkth\u00e4tigkeit keine einschr\u00e4nkenden Bedingungen auferlegen d\u00fcrfen, so bleibt blo\u00df \u00fcbrig, das Vorhandensein der Objecte im Bewusstsein als Unterlage f\u00fcr die Be-th\u00e4tigung des Denkens vorauszusetzen. Man verlangt damit nichts Unm\u00f6gliches. Denn die lebensvolle Wirklichkeit soll den Objecten nicht verloren gehen, sie soll nur nicht beachtet werden. So haben ja die Objecte au\u00dfer der durch die Apperception hervorgehobenen Qualit\u00e4t noch unaufhebbare Beziehungen zum Gesammtinhalt des Bewusstseins, auf welche die anschauliche Ordnung im Baume und in der Zeit sich gr\u00fcndet ; dennoch ist es m\u00f6glich, die stets vorhandene anschauliche Ordnung uner\u00f6rtert zu lassen und, blo\u00df auf die Qualit\u00e4t der Bewusstseinsinhalte als appercipirter Denkobjecte gest\u00fctzt, das Entstehen der logischen Ordnung zu betrachten. Mit dem n\u00e4mlichen Becht kann man auch die stets vorhandene individuelle Beschaffenheit der Objecte unbeachtet lassen und lediglich den durch das Vorhandensein der Objecte ausgel\u00f6sten Denkprocess verfolgen.\nDamit betritt man das in Er\u00f6rterung stehende Untersuchungsgebiet, das nun auch in positiver Weise charakterisirt werden kann, nachdem es bereits negativ bestimmt und als nicht zur formalen Logik und Psychologie geh\u00f6rig erkannt worden.\nDa man es dahingestellt sein l\u00e4sst, welcher Art die Objecte sind und wie ihre Besonderheiten das Denken anzuregen und zu leiten verm\u00f6gen, so kann die hier zum Gegenst\u00e4nde der Untersuchung gemachte Beth\u00e4tigung des Denkens, ohne durch die Objecte gehemmt zu werden, in den ihm eigenth\u00fcmlichen Formen sich vollziehen. Es haben ja die Objecte von vornherein noch gar keine bestimmte Bedeutung und gewinnen eine solche erst dadurch, dass sie mit den","page":263},{"file":"p0264.txt","language":"de","ocr_de":"264\tGotti. Friedr. Lipps.\ndurch das Denken erzeugten Merkmalen und Beziehungen behaftet werden.\nAn Stelle der Beschaffenheit der Objecte tritt jedoch das Vorhandensein der Objecte im Bewusstsein als Unterlage der Denk-th\u00e4tigkeit. Die der Untersuchung zu Grunde liegenden Thatsachen bestehen sonach einestheils darin, dass Bewusstseinsinhalte im Bewusstsein vorhanden sind und, da sie anders nicht vorhanden sein k\u00f6nnen, von einander verschieden sind; anderntheils darin, dass das Denken in dem Erfassen des Vorhandenseins und in dem Erfassen der Verschiedenheiten der Objecte sich beth\u00e4tigt, und zwar im ersteren Fall in Folge des reihenf\u00f6rmigen Fortschreitens von einem Apperceptionsakt zum anderen die Merkmale der Reihen-form, im letzteren Fall in Folge des logisch begr\u00fcndenden Fortschreitens die Beziehungen des Grundes zur Folge erzeugt.\nDaraus erw\u00e4chst nun die Aufgabe, das in solcher Weise sich beth\u00e4tigende Denken zum Gegenstand der Reflexion zu machen, und man gelangt so zur Stellung der beiden bereits erw\u00e4hnten Probleme, welche von den Merkmalen der Reihenform und von den Beziehungen des Grundes zur Folge^ zu handeln haben. Ihre Charakterisirung erhalten sie aber in gemeinsamer Weise dadurch, dass sie die Art und Weise, in welcher ein Vorhandensein von Bewusstseinsinhalten im Bewusstsein der Reflexion als m\u00f6glich sich darstellt, zu er\u00f6rtern haben. Denn daraus erhellt, dass die Beschaffenheit des Bewusstseins als des Tr\u00e4gers seiner Inhalte die Beth\u00e4tigung des Denkens Bedingungen unterwirft, die unaufhebbar und noth-wendig sind, eben weil sie von der Natur des Bewusstseins ab-h\u00e4ngen.\nDie auf dem hervorgehobenen Thatsachenmaterial beruhende Untersuchung kann somit als eine Untersuchung der Natur des Bewusstseins, und zwar, da die anschauliche Ordnung unbeachtet bleibt und die Bewusstseinsinhalte lediglich als appercipirte Denkobjecte, behaftet mit den durch dasDenken geschaffenenMerkmalen undBeziehungen in Betracht kommen, als eine Untersuchung der logischen Natur des Bewusstseins bezeichnet werden.\nDas so charakterisirte Untersuchungsgebiet ist ein integrirender Bestandtheil der Erkenntnisstheorie. Denn es ist nicht zu umgehen,","page":264},{"file":"p0265.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber die Grundlagen der Mathematik.\n265\nden Antheil der Denkformen an der Gestalt unserer Erkenntnisse hervorzuheben und weiterhin die durch die Natur des Bewusstseins bedingte Beth\u00e4tigung des Denkens zu untersuchen, wenn es sich um die Er\u00f6rterung der Grundlagen, des Werdens und der Ziele des Erkennens handelt. Im Zusammenhang mit den umfassenden-' Problemen der Erkenntnissth\u00e8orie dienen jedoch solche Untersuchungen blo\u00df als H\u00fclfsmittel, w\u00e4hrend die in den Natur- und Geisteswissenschaften gebotene Erkenntniss das wesentliche Interesse beansprucht. Die letztere ist jedoch im vorliegenden Fall ohne, Interesse; denn das Gegebene wurde als blo\u00dfes Erlebniss ohne Beurtheilung seiner Herkunft zu Grunde gelegt, und das Denken soll sich in der Bearbeitung der Bewusstseinsinhalte beth\u00e4tigen, ohne durch hypothetische Erg\u00e4nzungen eine wahre oder vermeintliche Erkenntniss des Ichs und der Welt erreichen zu wollen.\nIn Folge dessen stellt sich das hier in seiner Eigenart er\u00f6rterte Forschungsgebiet als ein wohl umgrenztes, selbst\u00e4ndiges Gebiet der Erkenntnisstheorie dar. Es verlangt daher eine besondere Bearbeitung, die um ihrer selbst willen und nicht wegen ihrer Bedeutung f\u00fcr andere Gebiete zu leisten ist. Eine solche soll nun im Folgenden versucht werden.\n\u00a7 5.\nDas Denken, wie es sich auf Grund des Vorhandenseins von Bewusstseinsinhalten im Bewusstsein als reihejjformiges Fortschreiten von einem Apperceptionsakt zum anderen beth\u00e4tigt, soll zun\u00e4chst den Gegenstand der Beflexion bilden.\nMan muss daher vor allem ein deutliches Bewusstsein von diesem Denkprocess zu erlangen suchen. Dies erreicht man, wenn man jedes einzelnen Apperceptionsaktes, unterschieden von jedem anderen, und damit auch jedes Uelnygangs von dem einen zum anderen, unterschieden von jedem anderen, bewusst wird.\nEs bestehen nun die Apperceptionsakte, an und f\u00fcr sich betrachtet, in der Wiederholung eines und desselben Processes. Hinsichtlich der Denkth\u00e4tigkeit, auf der sie beruhen, sind sie daher nicht unterscheidbar, sondern v\u00f6llig gleichwerthig. Es kann jedoch jeder einzelne Apperceptionsakt durch die individuelle Beschalfenheit","page":265},{"file":"p0266.txt","language":"de","ocr_de":"266\nGotti. Friedr. Lipps.\ndes appercipirten Objects ein Erkennungszeichen erhalten. Alsdann wird das Appercipiren des Objects a als Apperceptionsakt a und das Appercipiren des Objects b als Apperceptionsakt b, und so weiter zu bezeichnen sein, so dass auch der Uebergang von einem Apperceptionsakt zum anderen durch den Wechsel der appercipirten Objecte gekennzeichnet wird.\nEs kann sich jedoch das Bedenken regen, ob wirklich jeder beliebige Apperceptionsakt durch das appercipirteJlibject bestimmt werden kann. Man kann ja ein und dasselbe Object in mehrfacher Auflage im Bewusstsein voraussetzen oder zu wiederholten Malen als Gegenstand der Apperception annehmen. Dann w\u00fcrden verschiedenen Apperceptionsakten Objecte mit der n\u00e4mlichen Qualit\u00e4t zu Grunde liegen, so dass sie keine unterscheidende Merkmale liefern zu k\u00f6nnen scheinen. Wenn aber auch die Qualit\u00e4t die n\u00e4mliche ist, so m\u00fcssen sich die Objecte immerhin in verschiedener r\u00e4umlicher Lage befinden, oder es muss ein und dasselbe Object zu verschiedenen Zeiten existirend vorausgesetzt werden. Man hat daher nur n\u00f6thig, auch die r\u00e4umliche Lage und die Zeit des Existirens als zur Individualit\u00e4t der Objecte geh\u00f6rig anzusehen, um selbst bei sonst gleicher Qualit\u00e4t die Objecte selbst zu Merkzeichen der Apperceptionsakte machen zu k\u00f6nnen.\nWenn also die appercipirten Objecte mindestens bez\u00fcglich ihrer r\u00e4umlichen Lage oder der Zeit ihres Existirens verschieden sein m\u00fcssen, falls sie sonst in jeder Hinsicht \u00fcbereinstimmen, so zeigt sich mit voller Deutlichkeit, dass sie thats\u00e4chlich verschieden sein m\u00fcssen, wenn sie \u00fcberhaupt im Bewusstsein vorhanden sein sollen. Verschiedene Apperceptionsakte beziehen sich daher stets auf verschiedene Objecte und k\u00f6nnen durch die letzteren charakterisirt werden.\nDabei kommt lediglich die Thatsache, dass Verschiedenheiten vorhanden sind, in Betracht, nicht aber die Art der Verschieden-heit. Man w\u00fcrde daher gar nichts gewinnen, sondern blo\u00df Zu-f\u00e4lligkeiten in den Vordergrund stellen, wollte man insbesondere in r\u00e4umlichen oder zeitlichen Verschiedenheiten der Objecte die Merkzeichen der Apperceptionsakte suchen. Anderseits ist es keine Beschr\u00e4nkung der Allgemeinheit, wenn die Umst\u00e4nde des Raumes und der Zeit ganz bei Seite gelassen werden, da principiell","page":266},{"file":"p0267.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber die Grundlagen der Mathematik.\t267\ndie anschauliche Ordnung der Objecte nicht in Betracht kommen soll, und wenn der Einfachheit wegen die Objecte mit specifisch psychologischen Qualit\u00e4ten behaftet vorausgesetzt werden.\nWerden nun in dieser Weise die einzelnen Apperceptionsakte kenntlich gemacht, so kann auch ihre Aneinanderreihung bewusster Weise erfasst werden. Zwar ist \u2014 was nicht au\u00dfer Acht gelassen werden darf \u2014 bez\u00fcglich der Denkth\u00e4tigkeit sowohl jedes Glied der Reihe als auch jedes Fortschreiten von einem Gliede zum folgenden gleicjjiwerthig mit jedem anderen. Aber mit R\u00fccksicht auf die appercipirten Objecte ist jedes Glied und ebenso jedes Fortschreiten ein individuelles Glied und ein individuelles Fortschreiten, das dem Ged\u00e4chtniss eingepr\u00e4gt und so festgehalten werden kann. In Folge dessen kann nunmehr jedem einzelnen Gliede die Bedeutung zuertheilt werden, den Uebergang von einem vorhergehenden zu einem nachfolgenden zu vermitteln. Die appercipirten Objecte dienen dann als Tr\u00e4ger der Merkmale der Reihenform und ordnen sich zu einer ged\u00e4chtnissm\u00e4\u00dfig fixirten Reihe im Bewusstsein zusammen, in welcher der Zusammenhang der Denkakte erfasst und festgehalten wird.\nDiese Reihe wurde schon im Anschluss an die Charakterisirung der logischen Ordnung gewonnen, als es sich darum handelte, an den Producten der logisch ordnenden Denkth\u00e4tigkeit blo\u00df die im reihenf\u00f6rmig fortschreitenden Denken begr\u00fcndeten Merkmale hervortreten zu lassen. Sie ist daher, im Einklang mit den an jener Stelle gemachten Festsetzungen, als Normalreihe zu bezeichnen. Dort ergab sie sich jedoch durch einen Abstractionsprocess, der auf Grund wiederholter Beth\u00e4tigung des Denkens im Aneinanderreihen zusammengeh\u00f6riger Objecte zu einer Verselbst\u00e4ndigung der Merkmale der Reihenform in der Normalreihe f\u00fchrte. Hier gelangt man dagegen unmittelbar zu ihr, da der Denkprocess selbst zum directen Gegenstand der Reflexion gemacht wird und die Normalreihe als objectives Bild des reihenf\u00f6rmig fortschreitenden Denkens sich darstellt, das nur den Zweck hat, eine erfassbare und fixirbare Dar-, Stellung des im Entstehen sofort wieder sich verfl\u00fcchtigenden Denkprocesses zu liefern. Es zeigt sich so, dass die Reflexion \u00fcber die Reihenform des Denkens mit Nothwendigkeit zur Normalreihe f\u00fchrt.","page":267},{"file":"p0268.txt","language":"de","ocr_de":"268\nGotti. Friedr. Lipps.\nEs ergibt sich aber auch zugleich, dass die Bedeutung und das Wesen der Normalreihe lediglich auf dem Denkprocess beruht, der auf diese Weise eine objective Darstellung findet. Daraus folgt, dass die wesentlichen Eigenschaften der Normalreihe durch die Natur des Degkens bedingt sind, und dass die Normalreihe alle Eigenschaften besitzen muss, welche die Reihenform des Denkens als Gegenstand der Reflexion auszeichnen. Man muss daher zun\u00e4chst jene Eigenschaften angeben, um so eine Kenntniss der Forderungen oder Axiome zu gewinnen, die von der Normalreihe erf\u00fcllt werden m\u00fcssen, falls sie ein vollkommenes Ebenbild der Reihenform -des Denkens darstellen soll. Dann erst kann es entschieden werden, ob und in welcher Weise die Normalreihe auf Grund des Vorhandenseins von Bewusstseinsinhalten im Bewusstsein in der erforderlichen Ausgestaltung thats\u00e4chlich erzeugt und festgehalten werden kann.\n\u00a7 6-\nDie Eigenschaften der Normalreihe beruhen nun einegjheils darauf, dass es \u00fcberhaupt eine Form des Denkens ist, die ihre objective Darstellung finden soll, andejntheils darauf, dass es insbesondere um das reihenf\u00f6rmig fortschreitende Denken sich handelt.\nWeil die Normalreihe in einer Denkform ihre Quelle hat, so ist sie kein Phantasiegebilde, das einer Laune oder einem zuf\u00e4llig vorhandenen praktischen Bed\u00fcrfnisse seine Entstehung verdankt. Sie ist vielmehr in der Natur des Denkens begr\u00fcndet und muss sich folglich in jedgm Bewusstsein entwickeln, sobald die Denkform zum Gegenst\u00e4nde der Reflexion gemacht wird. Sie tr\u00e4gt daher den Charakter der NothWendigkeit und allgemeinen G\u00fcltigkeit. Da \u00fcberdies jene Denkform nicht als eine Specialisirung allgemeinerer Formen sich ergab, sondern in ihr ein elementares und fundamentales Princip des logischen OrdnensJ) erkannt wurde, so kann auch die Normalreihe nicht als eine Specialisirung allgemeinerer Reihen, sondern nur als Objectivirung der Reihenbildung \u00fcberhaupt gewonnen werden. Sie ist daher einzig in ihrer\n1) Vergl. die vorhergehende Untersuchung: \u00bbDie logische Ordnung und die Zahl\u00ab \u00a7 5.","page":268},{"file":"p0269.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber die Grundlagen der Mathematik.\t269\nArt und das unaufhebbare Fundament jeglicher Reihenbildung.\nAuf Grund der angegebenen Eigenschaften erhellt jedoch blo\u00df 'der wissenschaftliche Charakter der Normalreihe im allgemeinen, w\u00e4hrend ihre besonderen Eigenschaften, durch welche sie von den Ausgestaltungen anderer Denkformen unterscheidbar wird, naturgem\u00e4\u00df nur auf den Besonderheiten, die das reihenformige Fortschreiten von einem Apperceptionsakt zum anderen bedingt, beruhen k\u00f6nnen.\nDiese Besonderheiten bestehen wesentlich darin, dass in dem Aneinanderreihen von Apperceptionsakten eine und dieselbe Denk-th\u00e4tigkeit sich wiederholt, die durch das Vorhandensein von Bewusstseinsinhalten im Bewusstsein geweckt wird.\nDa die Denkth\u00e4tigkeit gedeckt wird, so kann sie nicht als schlechthin existirend gedacht werden, sie muss vielmehr einen Anfang haben. Die Normalreihe muss daher mit einem Gliede \u2014 dem Anfangsgliede \u2014 beginnen.\nZu einem Aufh\u00f6ren der einmal begonnenen Denkth\u00e4tigkeit liegt jedoch kein Grund vor. Ein solcher w\u00e4re nur dann vorhanden, wenn es sich um das Erfassen eines irgendwie bestimmten und darum auch begrenzten Systems von Bewusstseinsinhalten handeln w\u00fcrde. Es wird jedoch nicht die eine oder die andere Art von Bewusstseinsinhalten, sondern das Vorhandensein von Bewusstseinsinhalten als solches zu Grunde gelegt, und dies erweist sich der Reflexion als ebenso unbegrenzt und unendlich wie das Bewusstsein selbst. Die Normalreihe muss daher ohne Ende fortsetzbar gedacht werden.\nDa ferner die Wiederholung ein und derselben Denkth\u00e4tigkeit die ganze Reihe erzeugt, so sind alle Glieder gleichwerthig, insofern ein jedes derselben einem Apperceptionsakt sein Dasein verdankt. Es ist auch der Zusammenhang der Glieder allenthalben von gleicher Art, insofern jedes Glied in gleicher Weise wie jedes andere die Voraussetzung f\u00fcr das Fortschreiten zum folgenden bildet und \u2014 mit alleiniger Ausnahme des Anfangsgliedes \u2014 die Folge des vorhergehenden ist. Die Normalreihe muss daher als gleichartig oder homogen gedacht werden, so dass sie au\u00dfer dem Anfangsglied kein ausgezeichnetes Glied besitzt.","page":269},{"file":"p0270.txt","language":"de","ocr_de":"270\nGotti. Friedr. Lipps.\nDie Ausnahmestellung des Anfangsgliedes besteht jedoch nur darin, dass es den Ausgangspunkt f\u00fcr die thats\u00e4cjiliche Erzeugung der Normalreihe bildet. Wird aber die Reihe als bereits erzeugt gedacht, so kann an Stelle des Anfangsgliedes jedes andere Glied den Ausgangspunkt zur Reproduction der Normalreihe bilden. Denn in Folge des Zusammenhangs der unmittelbar verbundenen Glieder stehen auch die getrennten Glieder in einem durch die trennenden Glieder vermittelten Zusammenhang. Es ist folglich m\u00f6glich, von jedem beliebigen Gliede zu jedem anderen vorhergehenden oder nachfolgenden Gliede entweder unmittelbar oder mittelbar \u00fcberzugehen, so dass das Erfassen eines beliebigen Gliedes der Reihe das Erfassen aller Glieder nach sich zu ziehen vermag. Jedes einzelne Glied der Normalreihe involvirt daher die ganze Normalreihe.\nDie Normalreihe in ihrer vollendeten Form muss somit eine vom Anfangsgliede aus ohne Ende fortlaufende, von jedem einzelnen Gliede aus reproducirbare, homogene Reihe von Bewusstseinsinhalten sein, die nicht eine Reihe neben anderen Reihen, sondern die einzigartige Grundreihe als die nothwendige und allgemeing\u00fcltige Objecti-virung der Reihenform des Denkens darstellt.\n\u00a7 7.\nFragt man nunmehr, ob und in welcher Weise die mit diesen Eigenschaften ausgestattete Normalreihe eine wirkliche^fiestalt gewinnen kann, so muss die M\u00f6glichkeit ihrer Ausgestaltung von vornherein zugestanden werden. Denn man kann jedem einzelnen Apperceptionsakt das appercipirte Object als Merkzeichen zuordnen und so die Apperceptionsakte und das Fortschreiten von jedem einzelnen zum folgenden individualisiren.\nDie Beschaffenheit der Objecte ist dabei ohne Einfluss. Sie dient ja nur zur Bezeichnung der Stelle innerhalb der Reihe, so dass es nur darauf ankommt, dass die Objecte in Folge ihrer Beschaffenheit unterscheidbar sind, nicht aber darauf, wie sie beschaffen sind. An und f\u00fcr sich kann daher jedes individuelle Object so gut wie jedes andere eine Stelle in der Reihe markiren, und wenn zu diesem Zweck insbesondere W\u00f6rter oder Schriftzeichen gew\u00e4hlt","page":270},{"file":"p0271.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber die Grundlagen der Mathematik.\t'271\nwerden, so veranlassen dies blo\u00df praktische R\u00fccksichten, die durch den auf Sprache und Schrift gegr\u00fcndeten Verkehr innerhalb der menschlichen Gesellschaft geboten sind. Es beeintr\u00e4chtigt ferner das Zuf\u00e4llige in der Beschaffenheit der Reihenglieder nicht den fundamentalen Charakter der Reihe. Denn wenn auch eine Stelle in der Reihe ebensowohl durch diesen wie durch jenen Bewusstseinsinhalt markirt werden kann, so ist es doch immer die n\u00e4mliche Stelle, die nur auf verschiedene Art markirt wird, und es entsteht daher auch immer die n\u00e4mliche Reihe, wie auch die Bewusstseinsinhalte beschaffen sein m\u00f6gen, die zur Bezeichnung der Reihenglieder verwendet werden. Es ist ja immer und \u00fcberall die n\u00e4mliche Form des Denkens, die ihr objectives Bild erh\u00e4lt.\nDie Beschaffenheit des vorhandenen Materials kann somit die Erzeugung der Normalreihe nicht hindern, aber ebenso wenig kann ein Mangel an Material dem Aufbau der Reihe Schranken setzen. Es ist zwar jedes erlebte oder durch das Denken producirte Vorhandensein von Bewusstseinsinhalten naturgem\u00e4\u00df endlich und begrenzt, so dass man beim Erfassen desselben nothwendig zu Ende kommt. Demzufolge ist allerdings auch jede thats\u00e4chlich, Glied f\u00fcr Glied erzeugte Reihe von Bewusstseinsinhalten nicht blo\u00df durch ein Anfangsglied, sondern auch durch ein Endglied ausgezeichnet. Dies ist aber selbstverst\u00e4ndlich. Ist doch auch jedes thats\u00e4chlich vollf\u00fchrte Aneinanderreihen von Denkakten durch Anfang und Ende begrenzt. Hier handelt es sich jedoch nicht um die Betrachtung eines zu Ende gef\u00fchrten Denkprocesses, sondern um die Reflexion \u00fcber die Ausf\u00fchrung desselben. Da es nun unm\u00f6glich ist, einen letzten Denkakt anzunehmen, auf den keiner mehr folgen kann, so ist es auch unm\u00f6glich, die Normalreihe, als das Bild des Denkprocesses, mit einem Endgliede zu denken, dem kein weiteres Glied sich anschlie\u00dfen kann. Dies hat jedoch nur zur Folge, dass die Normalreihe als eine in\u2019s Endlose fortsetzbare, nicht aher als eine in\u2019s Endlose fortgesetzte Reihe gedacht werden muss. Man bedarf daher nur der M\u00f6glichkeit, stets andere und andere Objecte in unersch\u00f6pflicher Folge zu Tr\u00e4gern der Merkmale der Reihenform machen zu k\u00f6nnen. Daran kann man aber nicht gehindert werden, da in Folge der Erfahrung und des Denkens ein stets neuer Vorrath von Bewusstseinsinhalten im Bewusstsein zur","page":271},{"file":"p0272.txt","language":"de","ocr_de":"272\nGotti. Friedr. Lipps.\nVerf\u00fcgung steht. So ist z. B. schon die M\u00f6glichkeit der Zusammensetzung von Lauten zu W\u00f6rtern und die Herstellung von Schriftzeichen eine unbegrenzte.\nWenn somit die Ausgestaltbarkeit der Normalreihe nicht bezweifelt werden kann, so scheint dagegen das Festhalten derselben schlechterdings unm\u00f6glich zu sein. Denn man kann die Reihe doch nur ged\u00e4chtnissm\u00e4\u00dfig festhalten, da der Zusammenhang zwischen der Beschaffenheit der Reihenglieder und der durch dieselben mar-kirten Stellen in der Reihe nicht durch das Denken begr\u00fcndet, sondern an und f\u00fcr sich willk\u00fcrlich ist. Das Ged\u00e4chtniss kann aber die Reihe nur, soweit sie thats\u00e4chlich Glied f\u00fcr Glied erzeugt ist, festhalten und ist dabei \u00fcberdies Schranken unterworfen, die es hindern, mit der Erzeugung der Reihe Schritt zu halten. Man ist daher nicht einmal im Stande, die Folge der Reihenglieder, soweit sie als thats\u00e4chlich im Bewusstsein vorliegend gedacht werden kann, zu fixiren; noch weniger vermag man dies bez\u00fcglich der unbegrenzten Reihe, da dies die doppelte Unm\u00f6glichkeit bedingen w\u00fcrde: einmal die Fortsetzung der Reihe ins Unbegrenzte als eine vollendete Thatsache anzunehmen, sodann die endlose Folge der Reihenglieder im Ged\u00e4chtniss aufzubewahren.\nEs ist folglich unm\u00f6glich, die Normalreihe dadurch herzustellen, dass jedem Gliede willk\u00fcrlich ein irgendwie bestimmter individueller Bewusstseinsinhalt zugeordnet und diese Zuordnung durch das Ged\u00e4chtniss fixirt wird. Vielmehr muss betont werden, dass auf diese Weise nur ein Anfang der Normalreihe gewonnen wird, der zwar je nach der vorhandenen St\u00e4rke des Ged\u00e4chtnisses mehr oder minder weit sich erstrecken kann, der aber jedenfalls mit irgend einem Gliede abbrechen muss.\nDaraus folgt jedoch nicht, dass die Herstellung der Normalreihe \u00fcberhaupt unm\u00f6glich ist. Es zeigt sich nur, dass dieselbe ein noch ungel\u00f6stes Problem darstellt, zu dessen L\u00f6sung ein Mittel gefunden werden muss, um die durch die Natur des Ged\u00e4chtnisses gezogenen Schranken zu \u00fcberwinden.\n\u00a7 8.\nZu diesem Zweck muss eine ged\u00e4chtnissm\u00e4\u00dfig fixirte Folge von Bewusstseinsinhalten zu Grunde gelegt werden. Denn es k\u00f6nnen","page":272},{"file":"p0273.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen fiber die Grundlagen der Mathematik.\n273\nnun einmal die an sich nicht unterscheidbaren Apperceptionsakte nur durch die Zuordnung von willk\u00fcrlich, aber bestimmt gew\u00e4hlten Bewusstseinsinhalten unterscheidbar gemacht und in ihrer Aufeinanderfolge nur durch das Ged\u00e4chtniss festgehalten werden. Man w\u00fcrde nichts gewinnen, wollte man neben der einen noch andere Reihen voraussetzen; denn sie alle w\u00fcrden sich zu einer einzigen Reihe zusammenschlie\u00dfen, die nur von vornherein in bestimmte Abtheilungen zerlegt w\u00e4re. Es w\u00e4re daher auch zwecklos, die Reihe erweitern zu wollen, sobald man mit ihr zu Ende gekommen ist; denn eine in\u2019s Endlose gehende Erweiterung ist unm\u00f6glich, es muss vielmehr auch die erweiterte Reihe ein Endglied haben. Demgem\u00e4\u00df kann nur eine, \u00fcbrigens ganz beliebige Reihe von Bewusstseinsinhalten zu Grunde gelegt werden, deren Bedeutung sich darin ersch\u00f6pft, dass man von einem Anfangsgliede a zu einem Gliede b und von diesem zu einem Gliede c u. s. w. \u00fcbergehen kann, um schlie\u00dflich bei einem Endgliede d anzulangen. Die Allgemeinheit der Untersuchung wird daher in keiner Weise beeintr\u00e4chtigt, wenn man der Einfachheit wegen auf die Buchstabenfolge a, b, c, d sich beschr\u00e4nkt. Sie muss gen\u00fcgen, um jede Stelle der Normalreihe in ganz bestimmter Weise zu markiren, soll anders das Problem der Normalreihe l\u00f6sbar sein.\nIst nun diese Folge von Buchstaben zur Kennzeichnung von Stellen der Normalreihe aufgebraucht, so kann sie nur von neuem, und zwar in der n\u00e4mlichen Weise durchlaufen werden. Denn das Hinzuf\u00fcgen anderer Buchstaben in bestimmter Folge oder das Wiederholen der n\u00e4mlichen Buchstaben in ver\u00e4nderter Folge w\u00e4re gleichbedeutend mit der Voraussetzung einer anderen Reihe, die in gleicher Weise ein Anfangs- und Endglied haben m\u00fcsste. Es resultirt somit zun\u00e4chst, dass die Reihe a, b, c, d in fortgesetzter Wiederholung zum Markiren der Stellen der Normalreihe benutzt werden muss.\nDamit ist indessen das erstrebte Ziel noch nicht erreicht. Denn das wiederholte Durchlaufen der zu Grunde gelegten Buchstabenfolge f\u00fchrt dazu, einen und denselben Buchstaben immer wieder zur Kennzeichnung von Stellen der Normalreihe zu verwenden, w\u00e4hrend doch ein Mittel gesucht wird, um jedesjGlied der Normalreihe in eindeutig bestimmter Weise zu charakterisiren. Man findet","page":273},{"file":"p0274.txt","language":"de","ocr_de":"274\nGotti. Friedr. Lipps.\ndasselbe, wenn man in Erw\u00e4gung zieht, dass mit R\u00fccksicht auf die homogene Natur der Normalreihe jeder wiederkehrende Buchstabe a oder b oder c oder d stets die n\u00e4mliche Bedeutung hat, und dass demzufolge die ins Endlose gehende Aneinanderreihung der Buchstahenfolgen a, b, c, d ganz ebenso wie das Aneinanderreihen der Apperceptionsakte selbst der Wiederholung ein und desselben Denkprocesses entspringt. Das gesuchte Mittel besteht demgem\u00e4\u00df darin, dass man die aneinander gereihten Buchstabenfolgen in eben derselben Weise zum Gegenstand der Reflexion macht, wie es betreffs der aneinander gereihten Apperceptionsakte bereits geschehen ist.\nDie n\u00e4mlichen Ueberlegungen, die f\u00fcr die letzteren Geltung haben, treten alsdann auch f\u00fcr die ersteren in Kraft. Die Buchstabenfolgen erweisen sich bez\u00fcglich der Denkth\u00e4tigkeit, der sie ihr Dasein im Bewusstsein verdanken, als gleichwerthig und sind an und f\u00fcr sich nicht unterscheidbar; sie k\u00f6nnen jedoch ebenso wie die Apperceptionsakte, durch Zuordnung von willk\u00fcrlich aber bestimmt gew\u00e4hlten Bewusstseinsinhalten individualis\u00e2t und in ihrer Aufeinanderfolge durch das Ged\u00e4chtniss festgehalten werden. Es muss daher wiederum eine ged\u00e4chtnissm\u00e4\u00dfig fixirte Folge von Bewusstseinsinhalten zu Grunde gelegt werden, um die einzelnen Buchstabenfolgen in ihrer Aneinanderreihung zu charakterisiren. Da dieselbe den n\u00e4mlichen Bedingungen unterworfen ist wie die bereits benutzte Reihe der Buchstaben a, b, c, d, so ist es das Einfachste, eben diese Reihe zur Charakterisirung der Buchstabenfolgen zu verwenden.\nMan erh\u00e4lt somit vorerst folgendes Schema zum Mar-kiren der Stellen der Normalreihe:\na, b,c,d',a,b,c,d',a,biC,d',a, b,c,d]a,b,e,d'a, b,c,d\u2018,a, b,c,d',a,b,c,d]a,b,c,d].. a , b , c , d ; a , b\tc , d ; a\nDa die Reihe der Buchstabenfolgen ebenso wie die urspr\u00fcngliche Reihe nur in dem Anfangsgliede ein ausgezeichnetes Glied besitzt, so kann man die Ausnahmestellung desselben dadurch hervortreten lassen, dass es ohne besondere Bezeichnung bleibt. Alsdann \u00e4ndert sich das erhaltene Schema in folgender Weise ab:","page":274},{"file":"p0275.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber die Grundlagen der Mathematik.\n275 .\na, b, c, d; a, b, c, d\\ a, b, c, d; a, b, c, d\\ a, b, c, d\\ a, b,c,d;...\na i b , c , d ; a ....\nWie man sieht, kehrt auch in der zur Bezeichnung der Buchstabenfolgen dienenden Reihe ein und derselbe Buchstabe in unbegrenzter Folge immer wieder. Die bereits empfundene Schwierigkeit macht sich daher von neuem geltend. Sie kann jedoch keine Verlegenheit bereiten, da das gefundene Mittel auf die neue Reihe ebenso wie auf die alte anwendbar ist. Auch erhellt unmittelbar, dass die alsdann entstehende Reihe ihrerseits der n\u00e4mlichen Behandlung unterworfen werden und so in der begonnenen Art ohne Ende fortgefahren werden kann.\nEs resultirt daher auf diesem Wege ein ausreichendes Schema zur Markirung der Stellen der Normalreihe, das aus folgender Andeutung ersichtlich ist:\na, b,c,d',a, b,c,d\\a, b, c,d;a, b, c,d,a,b,c,d',a, b,c,d]a, b,c,d',a, b,c,d\\a, b,c,... \u00ab\t> b , c , d ; a , b , c , d ; a ...\noder aus:\nII*\na,b,c,d',a,b,c,d-,a,b,c,d-,a,b,c,d;a,b,c,d]a,b,c,d)a,b,c,d',a,b,c,d\\a,b,c,d;a,b,c,d:a,. . a,b,c,d\\ a,b,c,d: a...\nWenn man, wie es hier geschehen ist, von vornherein eine und dieselbe Buchstabenfolge immer wieder verwendet, so tritt das Bildungsgesetz des gefundenen Schema in gr\u00f6\u00dfter Einfachheit und Deutlichkeit hervor. Indessen ist es selbstverst\u00e4ndlicher Weise gestattet, neben der zuerst benutzten Buchstabenfolge a, b, c, d andere Reihen, die auch ged\u00e4chtnissm\u00e4\u00dfig fixir,t sind, zu Grunde zu legen. Es ist jedoch nicht m\u00f6glich, stets neue Reihen vorauszusetzen. Denn dies w\u00fcrde an den durch die Natur des Ged\u00e4chtnisses gesetzten Schranken scheitern. M\u00fcssen sich doch alle diese im Ged\u00e4chtniss festgehaltenen Reihen zu einer einzigen, durch Anfangs- und Endglied begrenzten Reihe zusammenfassen lassen, von welcher jene nur einzelne Theile darstellen, so dass schlie\u00dflich trotzdem wieder\nWundt, Philos, Studien. XI.\t19","page":275},{"file":"p0276.txt","language":"de","ocr_de":"276\nGotti. Friedr. Lipps.\ndie n\u00e4mliche Folge, nur in vergr\u00f6\u00dferten Intervallen, Verwendung finden m\u00fcsste. Hierdurch w\u00fcrde aber das gefundene Schema zwar an Einfachheit und Uehersichtlichkeit verlieren, jedoch nichts gewinnen.\nSchreitet man nunmehr dazu, auf Grund des Schema I* oder II* die einzelnen Stellen der Normalreihe zu bezeichnen, so bietet sich die M\u00f6glichkeit, den die Buchstabenfolge a, b, c, d markirenden Buchstaben a oder b oder c oder d entweder schon beim Durchlaufen der Folge in Kraft treten zu lassen, oder aber ihn als Merkzeichen daf\u00fcr, dass die Folge bereits durchlaufen ist, zu benutzen. Im ersteren Fall ist er jedem Gliede der Folge beizugesellen, so dass aus dem Schema:\n\u00f6, b, c, d\\ a, b, c, d\\ a, b, c, d\\\ndie Reihe:\nabcd-abcd-abcd-a a\nil i iiii.i i i i\naabbbbcccc\nsich ergibt. Im letzteren Fall kann der die Buchstabenfolge mar-kirende Buchstabe blo\u00df als Vertreter der Folge selbst, nicht als Beigabe ihrer einzelnen Glieder Verwendung finden. Er tritt daher in der Bezeichnung der Reihenglieder erst dann auf, wenn die Folge mit ihrem letzten Buchstaben ersch\u00f6pft ist. Dadurch wird aber dieser letzte Buchstabe \u00fcberfl\u00fcssig und seine Stelle bleibt unausgef\u00fcllt, bis mit dem Beginn der n\u00e4chsten Folge die Glieder der letzteren die leere Stelle ausf\u00fcllen. Es resultirt darum aus dem Schema :\n\u00ab, b, c, d\\ a, b, c, d\\ a, b, c, d\\ . . . . a , b , c , . . . .\ndie Reihe:\na, b, c, \u2014 a b c \u2014 a b c \u2014\t...\n\u2019\t>\t' i i i i^i- i.i.i i \u25a0 \u25a0 \u2022 \u2022\naaaabbbb c\nwo die leeren Stellen durch - angedeutet sind.\nDie an erster Stelle angegebene Methode ist indessen nur bei dem Schema II* anwendbar, weil daselbst das Anfangsglied jeder neuen Reihe von Buchstahenfolgen ohne besondere Bezeichnung bleibt. Beim Schema I* kann sie dagegen keine abgeschlossene Bezeichnung liefern, da jede einzelne der ins Endlose ineinander","page":276},{"file":"p0277.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber die Grundlagen der Mathematik.\n277\nverketteten Reihen von Buchstabenfolgen an der Bezeichnung der Stellen der Normalreihe sich betheiligen m\u00fcsste. Es k\u00f6nnte daher jede Stelle der Normalreihe nur mit dem Aufwand einer unbegrenzten Aneinanderreihung der Buchstaben a, b, c, d bezeichnet werden, was unm\u00f6glich ist.\nUmgekehrt ist die an zweiter Stelle entwickelte Methode nur bei- dem Schema I* durchf\u00fchrbar; denn nun tritt ja der das Anfangsglied einer Reihe von Buchstabenfolgen markirende Buchstabe stets erst als Stellvertreter der durchlaufenen Folge in Kraft. Beim Schema II* scheitert dagegen ihre Anwendbarkeit daran, dass nicht nur das Anfangsglied, sondern auch das unmittelbar sich anschlie\u00dfende Glied einer Aneinanderreihung von Buchstabenfolgen ohne unterscheidendes Merkzeichen bliebe.\nEs liefert somit sowohl das Schema I* als auch das Schema II* die Normalreihe in je einer ganz bestimmten Ausgestaltung. Im Interesse der bequemeren Schreibweise liegt es jedoch, die unmittelbar sich ergehende Form dahin abzu\u00e4ndern, dass die unter einander stehenden Buchstaben neben einander gestellt und die leeren Stellen durch 0 bezeichnet werden. Man erh\u00e4lt alsdann die Normalreihe auf Grund des Schema I* in der Form:\n1a, b, c, a0, aa, ab, ac, JO, la, bb, bc, cO, ca, cb, cc, \u00ab00,\naOa, a\u00f9b, aOc, aa0, aaa,.....acc, \u00d600, 50\u00ab, b\u00fcb,...., bcc,\ncOO,.....ccc, \u00ab000,........, cccc, aOOOO,................\nund auf Grund des Schema II* in der Form:\n!a, b, c, d, aa, ab, ac, ad, ba, bb, bc, bd, ca, cb, cc, cd,\nda, db, de, dd, aaa, aab,__, add, baa,__, bdd, caa,... edd,\ndaa, ____, ddd, aaaa, ..... dddd, aaaaa, ................\nZugleich ergibt sich ganz allgemein als Antwort auf die Frage, ob und inwiefern die Normalreihe hergestellt und festgehalten werden kann:\nDie Normalreihe kann im Bewusstsein eine dauernde Gestalt gewinnen, indem die von einem Anfangsgliede aus ohne Ende fortlaufende Reihe von Denkakten zun\u00e4chst durch eine ged\u00e4chtnissm\u00e4\u00dfig fixirte Folge von Bewusstseinsinhalten in fortgesetzter Wiederholung markirt, sodann die so resultirende Aneinanderreihung der zu Grunde\n19*","page":277},{"file":"p0278.txt","language":"de","ocr_de":"278\nGotti. Friedr. Lipps.\ngelegten Folge mittelst der n\u00e4mlichen oder anderer gleichfalls in bestimmter Folge festgehaltener Bewusstseinsinhalte in derselben Weise behandelt und weiterhin jede von neuem entstehende Aneinanderreihung eben dieser Behandlung unterworfen gedacht wird. Dabei sind die als Merkzeichen verwendeten Bewusstseinsinhalte ganz willk\u00fcrlich; sie m\u00fcssen jedoch in ihrer Gesammtheit zu einer durch Anfang und Ende begrenzten, durch das Ged\u00e4chtniss festgehaltenen Reihe sich zusammenschlie\u00dfen, die entweder bei jeder Verwendung ersch\u00f6pft oder abtheilungsweise herangezogen wird, in jedem Fall aber in unbegrenzter Wiederholung wiederkehrt.\nDies ist der Plan, nach welchem der Bau der Normalreihe hergestellt werden muss; er liegt auch den Reihen I und II zu Grunde, woselbst die benutzte Buchstabenfolge a, b, c, d bei der jedesmaligen Verwendung ersch\u00f6pft wird.\n\u00a7 9.\nJede so resultirende Ausgestaltung der Normalreihg erf\u00fcllt die fr\u00fcher (\u00a7 6) angegebenen Axiome; denn sie ist ja nichts anderes als eine objective Darstellung der Reihenform des Denkens. Ihre Glieder sind darum lediglich die Tr\u00e4ger der Merkmale der Reihenform, und sie k\u00f6nnen dies sein, weil das Schema zur Reihenbildung es gestattet, jedes Glied, mag es als thats\u00e4chlich im Gefolge der vorhergehenden Glieder erzeugt im Bewusstsein vorliegen oder nur als m\u00f6glicher Weise erzeugbar gedacht werden, in ganz bestimmter Individualit\u00e4t herzustellen.\nDie Erzeugung der Normalreihe macht es folglich m\u00f6glich, die anf\u00e4nglich gestellte Aufgabe einer Untersuchung der Reihenform des Denkens dadurch zu bew\u00e4ltigen, dass die Normalreihe in irgend einer Form vorausgesetzt und auf Grund der Axiome, die von ihr erf\u00fcllt werden m\u00fcssen, zum Gegenstand der Untersuchung gemacht wird. Da n\u00e4mlich die Eigenschaften des reihenf\u00f6rmig fortschreitenden Denkens, als die Axiome der Normalreihe, die Quelle der Untersuchung bilden, so betrifft dieselbe thats\u00e4chlich die Form des Denkens. Da jedoch diese Denkform ein Princip des logischen","page":278},{"file":"p0279.txt","language":"de","ocr_de":"Ontersuchungen \u00fcber die Grundlagen der Mathematik.\n279\nOrdnens ist, das nicht an und f\u00fcr sich, sondern nur in den Erzeugnissen der an die Reihenform gebundenen Denkth\u00e4tigkeit erfassbar ist, so kann lediglich die Normalreihe als directes Untersuchungs-object dienen, denn sie stellt den Zustand des Bewusstseins dar, der entsteht, wenn einzig und allein das reihenf\u00f6rmig fortschreitende Denken den vorhandenen Bewusstseinsinhalten gegen\u00fcber sich be-th\u00e4tigt, und wenn, damit dies m\u00f6glich ist, blo\u00df das \"Vorhandensein, nicht aber die Verschiedenheit der Bewusstseinsinhalte in Betracht gezogen wird.\nDie Normalreihe ist nun aber nichts anderes als die Zahlenreihe. Dies bedarf keines Beweises; es folgt vielmehr unmittelbar daraus, dass die Form I der Normalreihe die Zahlenreihe in der gebr\u00e4uchlichen Form darstellt, wenn an Stelle der Buchstabenfolge a,b,c,d die Zeichenfolge:\n1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, ?\nzu Grunde gelegt wird. Dabei wird das Zeichen ? blo\u00df vor\u00fcbergehend in dem Schema I* eingef\u00fchrt; in der Bezeichnung der Reihenglieder wird es durch das Zeichen 10 ersetzt, so dass that-s\u00e4chlich das System der Glieder der Normalreihe mit unserem von den Indern ausgebildeten Zahlensystem \u00fcbereinstimmt.\nMan k\u00f6nnte allerdings einwenden, dass so zwar das sogenannte indische und in \u00e4hnlicher Weise jedes andere auf die Position der Zahlzeichen gegr\u00fcndete Zahlensystem in voller Identit\u00e4t mit der Normalreihe sich ergibt, dass aber das System der Zahlw\u00f6rter und die nicht auf der Position beruhenden Zahlzeichensysteme davon auszuschlie\u00dfen seien. Dieser Einwand w\u00e4re jedoch nicht stichhaltig. Denn die zuletzt genannten Zahlenbezeichnungen kann man als Beispiele von unvollkommenen L\u00f6sungen des Problems der Normalreihe entwickeln.\nSie bieten sich ungesucht dar, wenn man nicht eine ins Endlose gehende, sondern nur eine den praktischen Bed\u00fcrfnissen entsprechende, hinreichend weit gehende Reihe zu construiren sucht. Zu diesem Zweck mit einer einzigen Folge von Bewusstseinsinhalten m der Weise sich zu begn\u00fcgen, dass die Glieder der Normalreihe nur so weit markirt werden, als jene Folge reicht, ist unthunlich, da sie entweder zu kurz w\u00e4re oder bei gen\u00fcgender Erstreckung an","page":279},{"file":"p0280.txt","language":"de","ocr_de":"280\nGotti. Friedr. Lipps.\ndas Ged\u00e4chtniss zu hohe und unbequeme Anforderungen stellen w\u00fcrde. Es existirt auch keine diesem Fall entsprechende Zahlenreihe, und w\u00fcrde eine solche, bei einem rohen Naturvolk etwa, existiren, so w\u00fcrde sie nur den Mangel an jeder Ausbildung des Problems der Zahlenreihe beweisen. Man ist daher darauf angewiesen, zun\u00e4chst irgend welche Folge von Bewusstseinsinhalten in fortgesetzter Wiederholung ganz ebenso zu verwenden, wie es oben bei der L\u00f6sung des Problems der Normalreihe dargelegt wurde. Die Unvollkommenheit der hier beabsichtigten Behandlung dieses Problems kann demgem\u00e4\u00df nur darin bestehen, dass die Nothwendig-keit der Wiederkehr der in ged\u00e4chtnissm\u00e4\u00dfiger Fixirung zu Grunde gelegten Bewusstseinsinhalte nicht erkannt wird, sondern immer neue Folgen verwendet werden, um die Aneinanderreihung der bereits benutzten Folgen zu markiren. Es resultirt somit, wenn der Einfachheit wegen der Reihe nach die Buchstabenfolgen a, b, c, d\\ e,f g, h] i,j, Je, l\\ . . . zu Grunde gelegt werden, das Schema:\nIII*\na, b, c, d; a, b, c, d\\ a, b, c, d\\ a, b, c, d\\ a, b, c, d\\ a,b,c, d\\ a, b, c, d\\ a, b,c,d\\a,b,c,d', e , f ,\t9 i h \\ e i f ,\t9\t> h\te ,\n*\t.\tJ\t\u00bb\nWird daselbst der Ausnahmestellung des Anfangsgliedes in jeder Aneinanderreihung von Buchstabenfolgen dadurch Rechnung getragen, dass eine besondere Bezeichnung unterbleibt, so folgt in gleicher Weise, wie oben aus dem Schema 1* das Schema II* sich ergab, aus dem hier gewonnenen Schema das folgende:\nia,b,c,d\\ a,b,e,d\\ a,b,c,d; a,b,c,d\\ a,b,c,d; a,b,c,d; a,b,c,d; a,b,c,d; a,b,c,d] a,b,c,d; a,b,c,d;\nJ\te,f,g,h;e,f,g,h;e,f,---------------\nDa nun betreffs der Bezeichnung des Reihengliedes die n\u00e4mlichen Ueberlegungen gelten, die oben im Anschluss an die Schemata I* und II* angestellt wurden, so erh\u00e4lt man auf Grund des Schema III* die Reihe:\nni ( \u00ab, b, e, e, ea, eb, ec,f,fa,fb, fc, g, ga, gb, go, i, ia, ib, ic, ie, iea, \\ ieb, iec, if, if a, ifb, ife, ig, iga, igb, igc,j,ja,....,\nin welcher die Buchstaben der verschiedenen Folgen einfach neben","page":280},{"file":"p0281.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber die Grundlagen der Mathematik.\n281\neinander gesetzt werden, ohne dass man (eben wegen der Verschiedenheit der Buchstaben der verschiedenen Folgen) n\u00f6thig h\u00e4tte, leer bleibende Stellen als solche zu markiren. Auf Grund des Schema IV* erh\u00e4lt man ferner die Reihe:\njy | ai c, d, ea, eh, ec, ed,fa,fb, fc, fd, . . . . hd, iea, ieb, iec, i Ufa, ifb,..............ihd,Jea,jel,...........,\ndie direct in die Reihe II \u00fcbergeht, wenn an Stelle der verschiedenen Buchstabenfolgen ein und dieselbe Folge benutzt wird.\nBeide Reihen III und IV m\u00fcssen schlie\u00dflich abbrechen, da es nicht m\u00f6glich ist, ohne Aufh\u00f6ren stets neue Folgen von Bewusstseinsinhalten im Ged\u00e4chtniss festzuhalten. Ihr Bau ist daf\u00fcr offenbar einfacher als derjenige der Reihen I und II, wenigstens insofern, als jeder Buchstabe oder, allgemeiner gesagt, jedes Merkzeichen unabh\u00e4ngig von jedem andern ist und seine Stellung keinen Einfluss auf seine Bedeutung hat. Man k\u00f6nnte daher die verschiedenen Gruppen angeh\u00f6rigen Merkzeichen in beliebiger Weise aneinanderreihen und z. B. das Glied iea der Reihe III oder IV auch durch eia oder eai oder aie bezeichnen, wenn nicht die praktische R\u00fccksicht auf die Uebersichtlichkeit der Bezeichnung ein Festhalten der Zeichenfolge, wie sie in der gegebenen Darstellung der Reihen hervortritt, gebieten w\u00fcrde. Immerhin wird ersichtlich, dass ein solches Festsetzen der Zeichenfolge, aus dem dann im Bereiche der Zahlbezeichnung das von H. Hankel1) zuerst hervorgehobene \u00bbGesetz der Zahlenfolge\u00ab wird, blo\u00df praktischen R\u00fccksichten entspringt und nicht in der Methode der Bezeichnung dieser Reihenglieder und der entsprechenden Zahlenbezeichnung begr\u00fcndet ist. Die der Reihenbildung zu Grunde liegende Methode besteht vielmehr nur darin, dass die einzelnen Zeichen neben einander gestellt werden und jedes Zeichen seine ihm eigenth\u00fcmliche Bedeutung hat. Es herrscht somit hier lediglich die Methode der Juxtaposition im Gegensatz zu den auf die Methode der Position gegr\u00fcndeten Reihen I und II und es tritt klar hervor, dass die letztere Methode dann und nur dann befolgt werden kann, wenn die n\u00e4mlichen Merkzeichen bei der Markirung der aneinander gereihten Zeichen-\n1) Zur Geschichte der Mathematik im Alterthum und Mittelalter. Leipzig 1874. S. 32.","page":281},{"file":"p0282.txt","language":"de","ocr_de":"282\nGotti. Friedr. Lipps.\nfolgen von neuem verwendet werden, und dass sie befolgt werden muss, wenn eine ins Endlose sich erstreckende Reihe construirt werden soll.\nUm nun zun\u00e4chst aus der gegebenen unvollkommenen L\u00f6sung des Problems der Normalreihe das System der Zahlw\u00f6rter abzuleiten, ist nichts weiter erforderlich, als die Buchstabenfolge a, b, c, d durch die Folge der Zahlw\u00f6rter von Eins bis Zehn, die Buchstabenfolge e,f, ff, h durch die Folge der Zahlw\u00f6rter Zehn, Zwanzig bis Hundert und die Buchstabenfolge i,j, k, l durch die Folge der Zahlw\u00f6rter Hundert, Zweihundert bis Tausend zu ersetzen, woraus die Fortsetzung bis zu der durch den Vorrath an Zahlw\u00f6rtern gesetzten Grenze erhellt. Es resultirt alsdann, von unwesentlichen Abweichungen abgesehen, auf Grund des Schema III* unmittelbar die bekannte Reihe der Zahlw\u00f6rter. Die Uebereinstimmung des letzten Gliedes jeder Folge mit dem Anfangsgliede der sich anschlie\u00dfenden Folge ist gestattet, weil das letzte Glied jeder Folge in der Bezeichnung der Reihenglieder nicht auftritt.\nUm sodann die M\u00f6glichkeit zu erweisen, jedes der historisch vorliegenden, nicht auf Position gegr\u00fcndeten Zahlzeichensysteme gleichfalls aus dem Schema III* zu gewinnen, st\u00fctze ich mich auf die Abhandlung Alexander von Humboldt\u2019s1): \u00bbUeber die bei verschiedenen V\u00f6lkern \u00fcblichen Systeme von Zahlzeichen und den Ursprung des Stellenwerthes in den indischen Zahlen\u00ab, in welcher eine bequeme Uebersicht \u00fcber die historisch vorhandenen Zahlzeichensysteme gegeben wird. Ihr zufolge wird, von der Positionsmethode abgesehen, die Zahlbezeichnung geleistet: \u00bbbald durch rohe Juxtaposition, wie bei den Tuskern, R\u00f6mern, Mexicanern und Aegyptern; bald durch nebenstehende Coefficient en, wie bei den Tamul sprechenden Bewohnern der s\u00fcdlichen indischen Halbinsel; bald durch gewisse, \u00fcber den Gruppenzeichen stehende Exponenten oder Indicatoren, wie bei den Chinesen, Japanesen und den Myriaden der Griechen, bald in der inversen Methode, durch eine Zahl von Nullen oder Punkten, welche neun Ziffern oben angeh\u00e4ngt werden, um den relativen oder Stellenwerth jeder Ziffer zu bezeichnen, gleichsam Gruppenzeichen, welche\n1) Grell e\u2019s Journal f\u00fcr die reine und angewandte Mathematik, 4. Bd. S. 213flgd.","page":282},{"file":"p0283.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber die Grundlagen der Mathematik.\n283\n\u00fcber die Einheiten gesetzt werden, wie in der arabischen Gobar-schrift und in einem vom M\u00f6nch Neophytos erl\u00e4uterten indischen Zahlensystem.\u00ab Es sind demnach blo\u00df vier Methoden zu unterscheiden, die sich thats\u00e4chlich als Modificationen der das Schema III* erzeugenden Methode ergeben, wenn an Stelle der Buchstabenfolgen:\na,\tb, c, d; e,f, g, h; i,j, k, l einmal die Folgen: a, aa, aaa, aaaa;\nb,\tbb, bbb, bbbb; e, cc, ccc, cccc, sodann die Folgen: a, b, c, d; aa, ba, ca, da; a\u00df, b\u00df, c\u00df, d\u00df, weiterhin die Folgen: a, b, c, d; aa, ab, a\u00b0, ad; \u00dfa, \u00dfb, \u00dfc, \u00dfd und schlie\u00dflich die Folgen: a, b, c, d;\naa,\tba, c\u201c, da; a\u00df, b\u00df, c\u00df, d\u00df zu Grunde gelegt werden. Zugleich erhellt, dass die drei letzten Methoden ihrem Wesen nach identisch sind, indem jede derselben darauf beruht, dass die anf\u00e4nglich benutzte Folge a, b, c, d immer wieder benutzt, jede wiederholte Benutzung aber durch ein Gruppenzeichen a, \u00df, ... markirt wird.\nEs gen\u00fcgt daher als Beispiel f\u00fcr die erste Methode das r\u00f6mische Ziffernsystem und zur \u00fclustrirung der drei letzten Methoden die Gobarschrift herbeizuziehen, bei welcher Punkte, die den Ziffern\nl,\t2, ... 9 oben angeh\u00e4ngt werden, die Bedeutung der Gruppenzeichen a, \u00df, ... \u00fcbernehmen, so dass 3' die Zahl Drei\u00dfig, 2\" die Zahl Zweihundert, 6\u2018 \u2022 die Zahl 6000 bezeichnet.\nEs ergibt sich nun das r\u00f6mische System, ohne die durch die Zahlzeichen V, L, D und durch die subtractive Verbindung der Zahlzeichen (z. B. IX, XC) bedingte Durchbrechung der urspr\u00fcnglichen Methode, aus dem Schema:\na,aa,aaa,aaaa;a,aa,aaa,aaaa;a,aa,aaa,aaaa',a,aa,aaa,aaaa;a,aa,aaa,aaaa;.. b , bb , bbb , bbbb ; b ,. .\nwenn a durch I, b durch X, c durch C und d durch M ersetzt und jedes dieser Zeichen zehn Mal in stets fortgesetzter Wiederholung benutzt wird. Es resultirt ferner die Gobarschrift aus dem Schema :\na,b,c,d; a,b,c,d; a,b,c,d; a,b,c,d; a,b,c,d; a,b,c,d-, a,b,c,d; a,b,c,d; a,b,c,d; . . . a' , fr , c , d' ; er , b' , c , d' a' ... a\"\t,\tfr-\t,\nwenn die Buchstabenfolge a, b, c, d von der Zeichenfolge 1,2, 3,... 9, ? abgel\u00f6st wird, wo alsdann das Zeichen ? durch 1', das Zeichen ?\u2022","page":283},{"file":"p0284.txt","language":"de","ocr_de":"284\nGotti. Friedr. Lipps.\ndurch 1\" u. s. w. in der Bezeichnung der Reihenglieder ersetzt wird.\nEs ergeben sich demgem\u00e4\u00df als die wesentlichsten Modificationen der Reihe III die Reihen:\na, aa, aaa, b,ba,baa,baaa,bb,bba,bbaa,bbaaa,bbb,bbba,bbbaa, bbbaaa, c, ca, caa,............cbbbaaa, cc, cca,.............\nund\na, b, c, aa, aaa,aab,aac,ba,baa, bab,bac,ca,caa,cab,cac a\u00dfc, a \u00dfaa, a\u00dfaaa,a\u00dfanb, a\u00df cac,b\u00df,b \u00dfa, b\u00dfcac,c\u00df,c\u00dfa,.\n,a\u00df,a\u00df a,a\u00df b, ,..c\u00dfcac,ay___,\nso dass man in der That die Quelle der nicht auf die Position gegr\u00fcndeten Systeme von Zahlbezeichnungen in der Reihe III findet.\nIn Folge dessen erh\u00e4lt man das Resultat:\nJede Zahlenreihe ist als eine L\u00f6sung des Problems der Normalreihe aufzufassen. Sie ist entweder eine vollkommene L\u00f6sung vom Typus I oder II und beruht alsdann auf der Methode der Position, so dass die verwendeten Merkzeichen eine von ihrer Stellung abh\u00e4ngende Bedeutung erhalten; oder sie ist eine unvollkommene L\u00f6sung vom Typus III oder IV, die sich auf die Methode der Juxtaposition st\u00fctzt, so dass jedes Zeichen seine unwandelbare, von der Stellung unabh\u00e4ngige Bedeutung von vornherein hat. \u2014 Die historisch vorliegenden Zahlenreihen sind entweder solche vom Typus I oder solche vom Typus III.\nBemerkenswerth ist, dass die Typen II und IV unter den historisch vorliegenden Zahlenreihen nicht vertreten sind. Dies erkl\u00e4rt sich daraus, dass die historische Entstehung der Zahlenreihe nicht wie die hier gegebene logische Entwicklung derselben die Stellung des Problems der Normalreihe zur Voraussetzung hat, sondern durch das Bed\u00fcrfniss, ein Zusammensein gleicher oder als gleich betrachteter Bewusstseinsinhalte im Bewusstsein zu erfassen, veranlasst wird. Wird n\u00e4mlich ein solches System (z. B. die Finger der Hand) durch eine ged\u00e4chtnissm\u00e4\u00dfig fixirte Folge von Zeichen erfasst oder gez\u00e4hlt, so liegt es zwar nahe, ein neues Zeichen (im beispielsweise angef\u00fchrten Fall die Hand) als Repr\u00e4sentanten der","page":284},{"file":"p0285.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber die Grundlagen der Mathematik.\n285\ndurchlaufenen Folge einzuf\u00fchren, man wird aber nicht darauf verfallen, ein neues Zeichen jedem Gliede der wiederholten Folge als Merkzeichen beizuf\u00fcgen, um die wiederholte Folge als solche zu kennzeichnen.\nEs ist ferner heachtenswerth, dass die Reihe II auf der Position der verwendeten Zeichen beruht, ohne jedoch, wie es bei der Reihe I der Fall ist, der Null zu bed\u00fcrfen, da keine leerhleibenden Stellen zu markiren sind. Dies zeigt unwiderleglich, dass die Positionsmethode nicht, wie vielfach angenommen wird, an die Erfindung des Nullzeichens gekn\u00fcpft ist, dass vielmehr ein Positionssystem ohne Null nach dem Typus II logisch gleichberechtigt mit den gebr\u00e4uchlichen Positionssystemen ist, wenn es auch den letzteren an praktischer Verwendbarkeit nachsteht.\n\u00a7 io.\nDie im Vorstehenden nachgewiesene Identit\u00e4t der Zahlenreihe mit der Normalreihe hat zur Folge, dass die Aufgabe einer Untersuchung der Reihenform des Denkens auf Grund der Normalreihe als eine mathematische Aufgabe erkannt wird, die nicht erst gel\u00f6st werden muss, sondern ihre L\u00f6sung in den Untersuchungen \u00fcber die Zahlenreihe bereits gefunden hat. Die Erkenntniss, dass die Reihenform des Denkens ein Princip des logischen jPrdnens ist, das in der Norm^lreihe seine Ausgestaltung findet, erschlie\u00dft somit nicht \u2014 wie anf\u00e4nglich angenommen werden musste \u2014 wirklich ein neues Untersuchungsgebiet ; sie er\u00f6ffnet vielmehr nur einen Zugang zur Zahlenreihe und zu den auf sie gegr\u00fcndeten mathematischen Untersuchungen.\nEs tritt so klar zu Tag, dass die Zahlenreihe in der Reihenform des Denkens ihre Begr\u00fcndung findet. Sie ist daher nicht eine willk\u00fcrliche Sch\u00f6pfung des menschlichen Geistes, die ebensowohl unterbleiben k\u00f6nnte, sondern ein Product des Denkens, das mit Nothwendigkeit in jedem Bewusstsein durch das reihenf\u00f6rmige Fortschreiten von einem Apperceptionsakt zum anderen entsteht. Es ist allerdings nicht nothwendig, zuvor in der Beschaffenheit des Denkens den Grund ihres Entstehens zu erkennen. Denn das Denken heth\u00e4tigt sich von seihst in den ihm eigenth\u00fcmlichen","page":285},{"file":"p0286.txt","language":"de","ocr_de":"286\nGotti. Friedrich Lippg.\nFormen. Eben deswegen ist es auch m\u00f6glich, die Zahlenreihe als gegeben hinzunehmen, ohne sich um ihren Ursprung zu k\u00fcmmern. Alsdann kann aber nur die praktische Bedeutung der Zahlenreihe eingesehen werden, die es erm\u00f6glicht, ein System gleicher Objecte zu erfassen und zu ordnen und dabei die Glieder der Zahlenreihe als Antworten auf die Frage: \u00bbwie viel\u00ab oder: \u00bbder wie vielte\u00ab zu verwenden.\nDie M\u00f6glichkeit, die Frage nach der Herkunft der Zahlenreihe unbeantwortet zu lassen, entbindet jedoch nicht der Verpflichtung, diese Frage zu beantworten, wenn man die logische Natur der Zahlenreihe erkennen will. Da sich nun die Zahlenreihe als das objective Bild der Reihenform des Denkens darstellt, so ersch\u00f6pft sich ihre Bedeutung darin, dass man von einem Anfangsgliede \u00bbEins\u00ab zu einem folgenden Gliede \u00bbZwei\u00ab und von diesem zu einem weiteren Gliede \u00bbDrei\u00ab u. s. w. \u00fcbergehen kann, ohne an ein letztes Glied zu gelangen. Die Zahlen: Eins, Zwei, Drei u. s. w. sind darum zun\u00e4chst weder Anzahlen noch Ordnungszahlen, sondern nichts weiter als Glieder der Zahlenreihe, die mit den Merkmalen der Reihenform behaftet sind.\nDaraus folgt, dass die Zahlen lediglich als Glieder der Zahlenreihe der Untersuchung zu Grunde gelegt werden k\u00f6nnen, und dass hierbei nur die Eigenschaften, -welche die Reihenform des Denkens auszeichnen und in den Axiomen der Normalreihe (\u00a7 5) ihren Ausdruck bereits gefunden haben, von ma\u00dfgebendem Einfluss zu sein verm\u00f6gen. Bezeichnet man nun die Th\u00e4tigkeit des Denkens, durch welche die Zahlenreihe zum Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchung wird, als Zahlenoperation, so sind demgem\u00e4\u00df auf Grund der fr\u00fcher entwickelten Axiome die Operationsarten und Operationsgesetze zu bestimmen, wenn zuvor festgestellt ist, wie \u00fcberhaupt eine Beth\u00e4tigung des Denkens an den Zahlen oder ein Operiren mit den Zahlen m\u00f6glich ist.\nDa die Zahlenreihe das im Bewusstsein objectivirte, gleichsam erstarrte Bild des in lebendigem Flusse von einem Apperceptions-akt zum anderen fortschreitenden Denkens ist, so kann das Denken an der Zahlenreihe auch nur im der Form sich beth\u00e4tigen, welche in dieser Reihe ihre Darstellung finden soll: man kann nur von einem Gliede der Reihe zu einem anderen \u00fcbergehen und dabei","page":286},{"file":"p0287.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber die Grundlagen der Mathematik.\n287\nsich der Zwischenglieder bedienen, wenn das andere nicht ein unmittelbar benachbartes Glied ist. Bezeichnet man dieses successive Erfassen aufeinander folgender Glieder als Z\u00e4hlen, so besteht demnach die Grundoperation im Z\u00e4hlen. Die Arten des Z\u00e4hlens aber und die Gesetzm\u00e4\u00dfigkeiten, die hierbei auftreten, sind nun aus den Axiomen der Zahlenreihe abzuleiten.\nVon diesen Axiojpen gr\u00fcnden sich die einen darauf, dass es eine Form des Denkens ist, auf welcher die Zahlenreihe beruht. Ihnen zufolge muss die Zahlenreihe den Charakter der Noth-wendigkeit und allgemeinen G\u00fcltigkeit besitzen und, da in der Denkform ein elementares und fundamentales Princip des logischen Ordnens gefunden wurde, als einzigartiges Fundament jeglicher Reihenbildung anerkannt werden. Hierdurch wird jedoch nur der wissenschaftliche Charakter der Zahlenreihe im allgemeinen bestimmt, ohne dass Bedingungen f\u00fcr die Untersuchung derselben sich ergeben w\u00fcrden. Es k\u00f6nnen daher blo\u00df diejenigen Axiome in Betracht kommen, die auf die Reihenform des Denkens sich gr\u00fcnden. Es sind dies folgende:\n1) Die Zahlenreihe muss ein Anfangsglied haben. 2) Sie muss ohne Ende fortsetzbar sein. 3) Sie muss eine homogene Reihe sein, insofern jedes Glied der Wiederholung des n\u00e4mlichen Denkaktes sein Dasein verdankt und jeder Fortgang von einem Gliede zum folgenden auf der Wiederholung der n\u00e4mlichen Th\u00e4tig-keit beruht. 4) Sie muss durch jedes einzelne ihrer Glieder best immt werden k\u00f6nnen, so dass ein einziges Glied die ganze Reihe wie im Keime in sich tr\u00e4gt.\nDem zuletzt^genannten Axiom zufolge muss das Erfassen einer Zahl a gen\u00fcgen, um jede andere Zahl b in eindeutig bestimmter Beziehung zu a zu erhalten. Diese Beziehungen, die von vornherein, und zwar auf Grund der Erzeugung der Zahlenreihe vom Anfangsgliede aus feststehen, bedingen es, dass der Uebergang von a zu b, der an und f\u00fcr sich an der objectiv vorliegenden Zahlenreihe ganz in gleicher Weise wie der Uebergang von b zu a durch successives Erfassen der Zwischenglieder (wenn solche vorhanden sind) erfolgen kann, als specifischjrerschieden von dem Uebergange von b zu a angesehen werden muss. Denn gelegentlich der Erzeugung der","page":287},{"file":"p0288.txt","language":"de","ocr_de":"288\nGotti. Friedr. Lipps.\nZahlenreihe musste einer dieser Ueberg\u00e4nge \u2014 es sei dies der von a zu b f\u00fchrende \u2014 schon einmal bewerkstelligt werden, so dass er durch directes Weiterz\u00e4hlen in der Zahlenreihe, vom Anfangs-gliede aus, erfolgt, Den von b zu a f\u00fchrenden Uehergang kann man dagegen erst dann ausf\u00fchren, wenn die Zahlenreihe ein objectiv im Bewusstsein vorliegender Untersuchungsgegenstand geworden ist. Er beruht somit zwar in gleicher Weise wie der erstere auf dem Process des Z\u00e4hlens, er hat diesen ersteren aber zur Voraussetzung und besteht in der Umkehrung desselben, so dass er durch R\u00fcckw\u00e4rtsz\u00e4hlen in der Zahlenreihe, dem Anfangsgliede zu, erfolgt. Die Grundoperation des Z\u00e4hlens ist somit entweder ein vom * Anfangsglied fortf\u00fchrendes Vorw\u00e4rts- oder Weiterz\u00e4hlen oder ein dem Anfangsglied zuf\u00fchrendes R\u00fcckw\u00e4rtsz\u00e4hlen.\nDa nun dem an dritterstelle genannten Axiom zufolge die Zahlenreihe eine homogene Reihe ist, so besteht der Process des Z\u00e4hlens in der ganzen Erstreckung der Zahlenreihe in der n\u00e4mlichen Th\u00e4tigkeit: der Uebergang von Eins zu Zwei ist der n\u00e4mliche wie der Uebergang von a zu dem ihm folgenden oder zu dem f ihm vorhergehenden Glied. Man kann somit die vom Anfangsglied aus durchlaufenen Successionen von Zahlen mit den von einem beliebigen Glied a aus vorw\u00e4rts oder r\u00fcckw\u00e4rts durchlaufenen Successionen vergleichen und die succedirenden Zahlen auf einander 4 beziehen und einander zuordnen. Dadurch wird die Operation des Z\u00e4hlens auf die Zahlenreihe selbst von irgend einem Glied a aus angewendet, indem die an a nach vorw\u00e4rts oder nach r\u00fcckw\u00e4rts sich anschlie\u00dfenden Glieder mittelst der Reihe der Zahlen: Eins, Zwei, Drei u. s. w. abgez\u00e4hlt werden. Auf diese Weise kann man die Anzahl der Glieder eines durch die Zahlen a und b begrenzten Intervalls (\u00ab, b) der Zahlenreihe bestimmen ; und zwar ist (a, b) \u2014 a zu setzen, wenn die Reihe der Zahlen 1, 2, ... a der Reihe der Zahlen von a bis b Glied f\u00fcr Glied zugeordnet werden kann. Es resultirt demgem\u00e4\u00df aus der homogenen Beschaffenheit der Zahlenreihe die Bestimmbarkeit der Gliederanzahl von Intervallen der Zahlenreihe und die Gleichheit solcher Intervalle, wenn sie durch die n\u00e4nlliche Reihe 1, 2, ... \u00ab abzahlbar sind. Insbesondere ist das Intervall (a, b) gleich zu setzen dem Intervall (b, a) und (1, a) = (a, 1) = a.","page":288},{"file":"p0289.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber die Grundlagen der Mathematik.\n289\nDa nunmehr eine Zahl a nicht blo\u00df die Stelle in der Zahlenreihe, sondern auch die Anzahl der Glieder des Intervalls (1, a), sowie jedes anderen durch die Reihe 1, 2, ... a abzahlbaren Intervalls (c, d) bezeichnet, so kann das Z\u00e4hlen zur Bestimmung eines Intervalls dienen,. dessen Gliederzahl durch Weiterz\u00e4hlen vermehrt, durch R\u00fcckw\u00e4rtsz\u00e4hlen vermindert wird. Auf Grund dieser Interpretation ist das Weiterz\u00e4hlen als Addiren, das R\u00fcckw\u00e4rtsz\u00e4hlen als Subtrahiren zu bezeichnen. Man erh\u00e4lt so die Definitionen:\nMan addirt zu der Zahl a die Zahl b oder man bildet die Summe a + 5, indem man von a aus um b Stellen der Zahlenreihe weiterz\u00e4hlt und so das Intervall (1, a) durch Hinzuf\u00fcgen des Intervalls (a + 1, a + b) zu dem Intervall (1, a + b) erweitert; die Zahlen a und b hei\u00dfen die Summanden.\nMan subtrahirt von der Zahl a die Zahl b oder man bildet die Differenz a \u2014 b, indem man von a aus um b Stellen der Zahlenreihe r\u00fcckw\u00e4rts z\u00e4hlt und so das Intervall (a, 1) durch Absonderung des Intervalls (a, a \u2014 5+1) auf das Intervall (a \u2014 b, 1) beschr\u00e4nkt; a hei\u00dft der Minuend, b der Subtrahend.\nDabei sollen die b auf das Glied a folgenden Reihenglieder durch \u00ab+ 1, . . . , a + b und die b unmittelbar vorhergehenden Glieder durch a, a \u2014 1,...,\u00ab \u2014 5+1 bezeichnet gedacht werden.\nWird nun in der angegebenen Weise durch Addition der Zahlen a, b und c die Summe a + b + c oder das Intervall (1, o + 5 + c) erzeugt, so folgt aus der homogenen Beschaffenheit der Zahlenreihe, dass:\n(1, a + b + c) = (1, a) + [a + 1, \u00ab + b) + (a + b + 1, \u00ab + b + c), oder, da Intervalle mit gleicher Gliederzahl einander gleich zu setzen sind und somit (a+l,a + 5) = (l,5), (a+\u00f6 + l,a+5 + c) = (l,c):\n(1, a + b + c) = (1, a) + (1, b) + (1, c).\nIn eben derselben Weise kann jedoch auch gesetzt werden:\n(1, \u00ab+ b + c) = (1, a) + [a + 1, a + b + c) = (1, a) + (1, 5 + c), oder:\n(1, a + 5 + c) = (1, a+5) + (\u00ab+ 5+ 1, a+ \u00f6 + c) = (1, a+5) + (l,c).","page":289},{"file":"p0290.txt","language":"de","ocr_de":"290\nGotti. Friedr. Lipps.\nEs ist daher:\nla) (1, a b + c) \u2014 (1, a) + (1, b) + (1, c) = (1, a) -f- (1, b -f- c)\n= (1, a + b) + (1, c).\nDies ist aber nichts anderes als das Associationsgesetz f\u00fcr die Addition der Zahlen, das nun auch in der Form:\n1)\t(a + \u00f6-(-c) \u2014 \u00ab-|-J-fc = a-f-(5 + c) = (\u00ab + ^) + c\ngeschrieben werden kann. Es beruht folglich das Associations-^ gesetz f\u00fcr die Addition auf der homogenen Beschaffenheit der Zahlenreihe.\nWird ferner durch Addition der Zahlen a und b sowohl die Summe a -f- b oder das Intervall (1, a) -f- [a + 1, a + b) \u2014 (1, a + b) als auch die Summe b + a oder das Intervall (1, b) + (\u00e8 + 1, b + a) \u2014 (1, ft + \u00ab) erzeugt, so folgt durch Gleichsetzen der Intervalle mit gleicher Gliederzahl zun\u00e4chst:\n(1, a + b) \u2014 (1, a) + [a + 1, a + b) = (1, a) + (1, b),\n(a + b, 1) = (a + b, a + 1) + {a, 1) = {b, 1) + (a, 1) = (1, b) + (1, a),\nund daraus, da (1, a + b) = (a + b, 1):\n2)\t(1, a) + (1, b) = (1, b) + (1, a) oder a + b = b + a,\nwodurch das Commutationsgesetz f\u00fcr die Addition erwiesen ist. Es beruht somit das Commutationsgesetz in gleicher Weise wie das Associationsgesetz darauf, dass die Zahlenreihe dem dritten Axiom zufolge als homogen vorausgesetzt werden muss, und es ergibt sich demgem\u00e4\u00df der Begriff der aus vertauschbaren Summanden bestehenden Summe als eine Folge dieses Axioms.\nDer hier gegebene Beweis der beiden Operationsgesetze f\u00fcr die Addition unterscheidet sich von den Beweisen mittelst der sogenannten vollst\u00e4ndigen Induction (oder des Schlusses von n auf w + 1), wie sie beispielsweise H. Hankel1) und v. Helmholtz2) geben, dadurch, dass hier das Axiom der Homogeneit\u00e4t der Zahlen-\n1)\tVorlesungen \u00fcber die complexen Zahlen und ihre Functionen. Leipzig 1867, S. 37, 38.\n2)\tZ\u00e4hlen und Messen. In den Philosophischen Aufs\u00e4tzen, Ed. Zeller gewidmet. Leipzig 1887, S. 26, 28.","page":290},{"file":"p0291.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber die Grundlagen der Mathematik.\t291\nreihe bewusster Weise die Grundlage der Beweisf\u00fchrung ist, w\u00e4hrend es dort unausgesprochen und wohl auch unbewusst das inductive oder nach exacter Analogie erfolgende (von/i zu\u00bb+l weiterf\u00fchrende) Beweisverfahren erm\u00f6glicht.\nBestimmen demzufolge einerseits das vierte und das dritte Axiom die beiden Operationsarten des Vorw\u00e4rts- und R\u00fcckw\u00e4rtsz\u00e4hlens und die Gesetze der Association und Commutation f\u00fcr das in Intervalle abgetheilte Z\u00e4hlen, so bedingen anderseits das zweite und das erste Axiom die Ausf\u00fchrbarkeit der angegebenen Operationen. Da n\u00e4mlich die Zahlenreihe ins Endlose fortsetzbar gedacht werden muss, so kann es zur Ausf\u00fchrung des Weiterz\u00e4hlens oder Addirens nie an Reihengliedern fehlen: es gibt zu jeder Zahl, auf Grund des zweiten Axioms, eine folgende Zahl. Da aber die Zahlenreihe ein Anfangsglied besitzt, so kann das R\u00fcckw\u00e4rtsz\u00e4hlen oder Subtrahiren nur bis zu diesem Glied zur\u00fcck, nicht aber dar\u00fcber hinaus f\u00fchren. Das Anfangsglied bedeutet ja, dass die Zahlenreihe anf\u00e4ngt und nicht als ohne Anfang bestehend aufgefasst werden kann. Die Subtraction ist daher dann und nur dann ausf\u00fchrbar, wenn der Subtrahend in der Reihe der Zahlen vor dem Minuenden steht: es gibt dem ersten Axiom zufolge kein dem Anfangsglied vorangehendes Glied der Zahlenreihe.\nDie Subtraction a \u2014 a kann folglich nicht in der Weise ausgef\u00fchrt werden, dass man von der durch a bezeichneten Stelle der Zahlenreihe aus um a Stellen r\u00fcckw\u00e4rts z\u00e4hlt; denn man kann von a aus zwar um a \u2014 1 Stellen bis zum Anfangsglied 1 r\u00fcckw\u00e4rts z\u00e4hlen, man kann aber nicht \u00fcber 1 hinausgehen, eben weil es keine Stelle mehr gibt, zu der man \u00fcbergehen k\u00f6nnte. Dies hindert jedoch nicht, das bei der Construction der Normalreihe bereits zur Ausf\u00fcllung leerer Stellen verwendete Zeichen 0 auch zur Bezeichnung nicht vorhandener Anzahlen oder nicht vorhandener Intervalle der Zahlenreihe zu benutzen und dann auch \u00ab \u2014 a \u2014 0 zu setzen. Alsdann bezeichnet aber 0 nicht eine dem Anfangsglied vorangehende Stelle der Zahlenreihe, sondern es sagt nur aus, dass das \u00bbIntervall\u00ab a \u2014 a, das von jeder Stelle b der Zahlenreihe aus abz\u00e4hlbar ist, keine Glieder oder 0 Glieder besitzt. Es ist somit a \u2014 a \u2014 0 blo\u00df eine Folgerung daraus, dass b a \u2014 a ~ b + 0 = b zu setzen ist. Die Null kann also zwar als\nWundt, Philos. Studien. XI.\n20","page":291},{"file":"p0292.txt","language":"de","ocr_de":"292\nGotti. Friedr. Lipps.\n\u00bbuneigentliche Anzahl\u00ab und als \u00bbH\u00fclfszeichen\u00ab bei der Zahlbezeichnung nach dem Typus I, nicht aber als \u00bbStelle der Zahlenreihe\u00ab auftreten1).\n\u00a7 H-\nDie Charakterisirung der Zahlenoperationen w\u00e4re damit beendigt, wenn der Process des Z\u00e4hlens nur in der Weise ausgef\u00fchrt werden k\u00f6nnte, dass die Zahlenreihe Glied f\u00fcr Glied abgez\u00e4hlt wird. Die M\u00f6glichkeit, Intervalle von bestimmter Gliederanzahl in der Zahlenreihe abzugrenzen, gestattet jedoch, die Zahlenreihe als eine Reihe von Intervallen aufzufassen und den Z\u00e4hlprocess in der Weise zu vereinfachen, dass nicht Glied f\u00fcr Glied, sondern Intervall f\u00fcr Inter-ivall gez\u00e4hlt wird. Die Gliederanzahl der auf einander folgenden Intervalle ist dabei an und f\u00fcr sich gleichg\u00fcltig, falls sie nur f\u00fcr jedes Intervall eine fest bestimmte ist. Soll jedoch das Abz\u00e4hlen der succedirenden Intervalle ins Endlose fortsetzbar sein, so m\u00fcssen die Gliederanzahlen in gesetzm\u00e4\u00dfiger Weise bestimmt werden k\u00f6nnen, so dass auf Grund der willk\u00fcrlich angenommenen Anzahl a der Glieder des ersten Intervalls (1, as) die Anzahl ay der Glieder des n\u00e4chsten Intervalls [a + 1, a + at) = (1, \u00abj), sodann die Anzahl \u00ab2 der Glieder des nun folgenden Intervalls und weiterhin die Gliederanzahl a3,\t... . der nunmehr sich anschlie\u00dfenden Intervalle in\nunbegrenzter Folge unmittelbar angebbar ist. Da zu einer solchen gesetzm\u00e4\u00dfigen Bestimmung der Gliederanzahlen blo\u00df die Grundoperation des Addirens oder Weiterz\u00e4hlens zur Verf\u00fcgung steht, so erhellt, dass die Gliederanzahlen a, al: \u00ab2> \u2022 \u2022 \u2022 entweder alle einander gleich sein oder eine arithmetische Reihe erster, zweiter, dritter Ordnung u. s. w. bilden m\u00fcssen. Ist aber das Gesetz, das die Reihe a,\t, . . . erzeugen soll, bestimmt, so gen\u00fcgt in der\nThat das Abz\u00e4hlen der aneinander gereihten Intervalle, um mit\n1) Als ein Uebersehen der durch das erste Axiom begr\u00fcndeten Bedeutung des Anfangsgliedes der Zahlenreihe muss es daher bezeichnet werden, wenn v. Helmholtz in der citirten Abhandlung (S. 34) sagt: \u00bbIn Bezug auf die Subtraction ist nur zu bemerken, dass man die Zahlen als Zeichen einer Reihenfolge auch in absteigender Richtung in das Unbegrenzte fortsetzen kann, indem man von der 1 r\u00fcckw\u00e4rts zur 0, von da zu (\u2014 1), (\u2014 2) u. s. w. \u00fcbergeht, und diese neuen Zeichen ebenso wie die fr\u00fcher allein gebrauchten positiven ganzen Zahlen behandelt.\u00ab","page":292},{"file":"p0293.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber die Grundlagen der Mathematik.\t293\nder Anzahl dieser Intervalle die schlie\u00dflich erreichte Stelle der Zahlenreihe und damit auch das durch diese Stelle markirte Ge-sammtintervall in eindeutig bestimmter Weise zu erhalten. Alsdann gelangt man durch das Abz\u00e4hlen von n auf einander folgenden Intervallen a, at, a2, . . . an_y zu der Zahl:\n3) n \u2022 [a] = a +\t+ a? + . . . an_t ; (\u00ab=1,2,3,.....).\nDas durch diese Gleichung definirte Z\u00e4hlen von auf einander folgenden Intervallen mit gesetzm\u00e4\u00dfig bestimmter Gliederanzahl stellt nun eine neue Operationsart dar. Ist dieses Z\u00e4hlen ein Weiterz\u00e4hlen, so ist es als erweitertes Multipliciren, ist es aber ein R\u00fcckw\u00e4rtsz\u00e4hlen, so ist es als erweitertes Dividiren zu bezeichnen, und man erh\u00e4lt somit die Definitionen:\nEine Zahl a wird mit einer Zahl n multiplicirt (in erweitertem Sinne), oder es wird das Product \u00ab\u2022[\u00ab] gebildet, wenn man vom Anfangsglied der Zahlenreihe aus n Intervalle mit der Gliederanzahl a, alt a2,... \u00abn_i abz\u00e4hlt und so durch Aneinanderreihen der n Intervalle (1, a), (1, \u00f6j), . . . (1, an_i) das Gesammtintervall (1 .,\u00bb\u2022[\u00ab]) erzeugt; a hei\u00dft der Multiplicand, n der Multiplicator; der Multiplicand bezeichnet das Ausgangsintervall, der Multiplicator dagegen die Anzahl der Intervalle, ohne f\u00fcr sich allein zur Bezeichnung eines Intervalls dienen zu k\u00f6nnen.\nEine Zahl b wird durch eine Zahl a dividirt (in erweitertem Sinne), oder es wird der Quotient b : [a] gebildet, wenn man von b aus, in der Zahlenreihe r\u00fcckw\u00e4rts, soweit es m\u00f6glich ist, die Intervalle a, ay, a2, . . . markirt und die Reihe dieser Intervalle abz\u00e4hlt. Gibt es n Intervalle und erreicht man mit dem letzten Intervall, das an-1 Glieder hat, das Anfangsglied, so ist b\\[a] = n und (1, b) \u2014 (l, \u00ab[\u00ab]); erreicht man dagegen das Anfangsglied nicht, bleibt vielmehr ein Intervall (t,c) \u2014 c \u00fcbrig, so ist b :[\u00ab] = \u00ab, Rest c, und (1, b) = (1, \u00ab[\u00ab]) + (1, c); b hei\u00dft der Dividend, a der Divisor, c der Rest, und alle diese Zahlen k\u00f6nnen als Stellvertreter von Intervallen der Zahlenreihe dienen1).\n1) Man k\u00f6nnte einwenden, dass durch diese Definition blo\u00df eine Art der Division definirt wird, diejenige n\u00e4mlich, durch welche bei gegebenem Product\n20*","page":293},{"file":"p0294.txt","language":"de","ocr_de":"294\nGotti. Friedr. Lipps.\nDiese Definitionen haben Geltung ohne R\u00fccksicht auf das Gesetz, das die Reihe der Anzahlen a, \u00f6j , a2, . . . erzeugt. Sie gelten daher auch, wenn a =\t= a2 \u2014 \u2022 \u2022 \u2022, wenn also an Stelle\nder Gleichung 3) die Gleichung\n3a)\tw*a=a + a+--- + \u00ab\nden einfachsten Fall des Z\u00e4hlens von n Intervallen mit einer und derselben Gliederanzahl a definirt. Man erh\u00e4lt alsdann als Spe-cialisirung des erweiterten Multiplicirens und Dividirens das gew\u00f6hnliche Multipliciren und Dividiren oder das Multipliciren und Dividiren schlechthin.\nDie Ausf\u00fchrbarkeit dieser Operationen wird in der n\u00e4mlichen Weise wie beim Addiren und Subtrahiren durch das erste und zweite Axiom bestimmt; die Multiplication (im gew\u00f6hnlichen und erweiterten Sinn) ist stets durchf\u00fchrber; die Division (im gew\u00f6hnlichen und erweiterten Sinn) dann und nur dann, wenn der Divisor in der Reihe der Zahlen dem Dividenden nicht nachfolgt; er darf jedoch mit letzterem zusammenfallen und es ist alsdann a : a = 1 resp. a : [a] \u2014 1.\nDie Operationsgesetze ferner ergeben sich f\u00fcr die erweiterte und gew\u00f6hnliche Multiplication ebenso wie f\u00fcr die Addition auf Grund der durch das dritte Axiom bedingten homogenen Beschaffenheit der Zahlenreihe.\nIch beweise sie f\u00fcr die gew\u00f6hnliche Multiplication in folgender Weise.\nBildet man das Product (a -f- b) \u25a0 c, so ist das hierdurch dargestellte Gesammtintervall :\nund gegebenem Multiplicand der Multiplicator gesucht wird, und dass somit noch zu definiren sei, wie bei gegebenem Product und gegebenem Multiplicator der Multiplicand zu suchen sei. Es zeigt sich jedoch unmittelbar, dass die Frage, welche Intervallreihe a, \u00abi, 02,.... a\u201e_i mit der vorgegebenen Anzahl von n Theilintervallen ein gegebenes Gesammtintervall erf\u00fcllt, nur dann beantwortet werden kann, wenn man alle m\u00f6glichen, das gegebene Gesammtintervall erf\u00fcllenden Intervallreihen erst bestimmt und sodann nachsieht, ob sich unter ihnen eine Intervallreihe mit der vorgegebenen Anzahl von n Gliedern befindet.","page":294},{"file":"p0295.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber die Grundlagen der Mathematik.\n295\n(l,(\u00df + b)c)\u2014 (l,c)\t1, 2c)-f-(2 e+ 1, 3e)-f- \u2022 \u2022 \u2022 \u2022 ((a-f-5\u2014l)c+l, (a+ b) e)\n=(1,C) + (1,C)\t+(1 ,c)\t+ \u2022\u2022\u2022\u2022\t(1 ,c)\n\u2014(*)c) + (c+ 4 2c)H\u2014 \u2022 ((\u00ab\u2014i)c+l,ae) +\n+ (l,c) + (c+l, 2c) \u2014f\u2014 \u2022 \u2022 \u2022 ((6\u2014l)c+l, Je)\n== (1, \u00abe)\u2014j\u2014 (1, bc),\nindem zun\u00e4chst die a ersten, sodann die b folgenden Intervalle zusammengeschlossen werden. Es ist daher:\n4a)\t(a -\\-b)\u2018C = a- c-\\-b-c\nzu setzen.\nBildet man ferner das Product c \u25a0 [a + b), so ist das erzeugte Gesammtintervall :\n(l,c(a+4))=(l, a + b) +(a+4+l,2 (o+4))+(2 (a+4)+l,3 (a+4))H ((c\u20141 ) (a+4)+l,c (a+4))\n=(l,o + 6)\t+\t(l,a + 4)\t+\t(l,a + 6)\t+\u2022\u2022\u2022\u25a0\t\u25a0\t(l,a + 6)\n=(l,o)+(l,6)+\t\t(l,a)+ (1,4)\t+\t(1, a) + (1, 4)\t+...\t\u2022 (!,\u201c) +(1,6)\n-\t(.l,a)\t+\t(1,0)\t+\t(l,a)\t+...\t\u2022\t'\t(l,o)\n+ (1,6)\t+\t(1,6)\t+\t(1, 6)\t+...\t(1,6)\n= (1,\u00ab)\t+\t(o + 1, 2a)\t+\t(2 a + 1, 3 a)\t+...\t\u2022 ((\u00ab \u2014 l)o + l, ca)\n+ (1, 6)\t+\t(6 + 1,24)\t+\t(26 + 1,34)\t+...\t\u2022 ((c\u20141)4 + 1, c4)\n= (1, * \u00ab)\t+\t(1, c 6)\t\t\t\t\nEs ist daher auch:\n4h)\tC'[a-\\-b) = c~a-\\-C'b.\nDie beiden Formeln 4a und 4b stellen aber das distributive Gesetz f\u00fcr die Multiplication dar.\nMultiplicirt man nunmehr erst b mit a, um sodann durch Multiplication des Products b \u2022 a mit c das Product c \u2022 [b \u2022 a) oder das Intervall (1 ,c(baj) zu erzeugen, so ist:\n(l,c(4o)) = (1, 6a) + (4 a + 1, 2 (4 a)) + (2(6a) + 1, 3 (6\u00ab)) + \u2022 \u2022 \u2022 ((c \u2014 l)(4a) + 1, c(4a))\n= (1, ba) +\t(1,4 a)\t+\t(1,4 a) + \u2022\u2022\u2022\t(1,4 a);\nEs ist aber:\n(1, b \u00e0) = (t, a) -(- [a -)- 1, 2 a) -(- (2 a -|- 1,3 \u00e9\u00ef) \u2014f\u2014 - \u2022 \u2022 ((J \u2014 1) a -f- 1, b a) ==(1>\u00b0) +\t(*!\u00ab)\t+\t(!)\u00ab)\t+\u2022\u2022\u2022\t(l,\u00ab),\nso dass (1, c (J \u00ab)) einer Summe von c \u25a0 b Intervallen (1,\u00ab) gleichzusetzen ist, die sich zu dem Gesammtintervall:\n(1, \u00ab) + (\u00ab + l, 2a) + (2o + 1, 3\u00abH---(M - 1) \u00ab + 1, (c b) a) = (1, (c b) a)\nzusammenschlie\u00dfen lassen. Daraus folgt:","page":295},{"file":"p0296.txt","language":"de","ocr_de":"296\nGotti. Friedr. Lipps.\n5)\t(1, c (b a)) = (1, (c b) a) oder c \u25a0 (b \u25a0 a) = (c \u2022 b) \u2022 a,\nwodurch das associative Gesetz f\u00fcr die Multiplication ausgedr\u00fcckt wird.\nUm schlie\u00dflich noch das commutative Gesetz f\u00fcr die Multiplication abzuleiten, bilde man das Product b-a, durch welches das Intervall\n(1, b \u25a0 d'j = (1, \u00f6) -|- (d -j\u2014 1, 2d) \u2014j- (2 a + 1,3 di) \u2014j\u2014 \u2022 \u25a0 * ((^ \u2014 l) d \u2014b* 1) b \u2022 d)\ndefinirt wird. Man beachte sodann, dass die homogene Beschaffenheit der Zahlenreihe es gestattet, dieses Gesammtintervall auch in der Weise abzuz\u00e4hlen, dass zuerst die Anfangsglieder der a-gliedrigen Theilintervalle, sodann ihre zweiten, dritten Glieder u. s. w. zu neuen Theilintervallen zusammengefasst werden. Es kann daher jede der aus b Gliedern bestehenden Reihen:\n1,\td \u2014J\u2014 1,2 d \u2014j\u2014 1,...., [b \u2014 1) d -j- 1\n2,\td +2, 2d +2,____, (i\u2014l)a+2\n3,\td -j- 3,2d \u2014j- 3, . . . . , [b \u2014 1) d \u2014(- 3\na, 2 a, 3 a, ....\tb a\ndem Intervall ( 1, b) gleichgesetzt und die Summe dieser a neuen Intervalle zu dem Gesammtintervall:\n(1)\t+ (b + 1) 2S) + (2b + 1, 3J) -f- \u2022 \u2022 \u2022 ((a \u2014 1) b + 1, a- J) = (1, a-b)\nzusammen gef\u00fcgt werden. Alsdann ist:\n6)\t(1, l \u25a0 a) = (1, a \u2022 b) oder b \u25a0 a = a \u25a0 b ,\nwodurch das Commutationsgesetz erwiesen wird.\nAuf Grund dieser Operationsgesetze kann nun Multiplicand und Multiplicator vertauscht und die Multiplication mehrerer Zahlen in beliebiger Aufeinanderfolge vorgenommen werden. Die multi-plicirten Zahlen k\u00f6nnen daher in gemeinsamerWeise als Factoren bezeichnet werden, so dass f\u00fcr die gew\u00f6hnliche Multiplication der Begriff des aus beliebig vertauschbaren Factoren bestehenden Products ebenso wie f\u00fcr die Addition der Begriff der aus beliebig vertauschbaren Summanden bestehenden Summe aus der homogenen Beschaffenheit der Zahlenreihe folgt.","page":296},{"file":"p0297.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen Aber die Grundlagen der Mathematik.\t297\nMit der gew\u00f6hnlichen und erweiterten Multiplication und Division wird indessen die gr\u00f6\u00dftm\u00f6gliche Abk\u00fcrzung des Z\u00e4hlprocesses keineswegs erreicht; sie besteht ja nur darin, dass Intervalle mit vorbestimmter Gliederanzahl statt der Glieder selbst gez\u00e4hlt werden. Eine weitergehende Abk\u00fcrzung kann dadurch gewonnen werden, dass in \u00e4hnlicher Weise, wie die urspr\u00fcngliche Reihe der Zahlenglieder durch eine Reihe von Intervallen mit vorbestimmter Gliederanzahl ersetzt wurde, so auch die nun vorhandene Intervallenfolge von neuem in umfassendere Intervalle von gleichfalls vorbestimmter Gliederanzahl abgetheilt, sodann mit der neu entstehenden Intervallenfolge in der n\u00e4mlichen Weise verfahren und dieses Verfahren ohne Ende fortgesetzt gedacht wird. Es entsteht so ein System von einander umfassenden Intervallenfolgen, und es besteht der Z\u00e4hlprocess nun nicht mehr im Z\u00e4hlen der aneinander gereihten Intervalle, sondern im Z\u00e4hlen der Ueberg\u00e4nge von einer Intervallenfolge zu der dieselbe umfassenden Intervallenfolge.\nL\u00e4sst man jede einzelne der so d\u00e9finir ten Intervallenfolgen aus Intervallen mit gleicher Gliederanzahl bestehen, so wird zun\u00e4chst durch directes Abz\u00e4hlen von a Gliedern der Zahlenreihe ein Intervall 7| erzeugt, sodann durch Abz\u00e4hlen von Intervallen /, ein Intervall /2 gewonnen, weiterhin durch Abz\u00e4hlen von a2 Intervallen /2 zu einem Intervall /3 u. s. w. fortgeschritten. Soll dieser Uebergang von einem Intervall zu dem dasselbe umfassenden Intervall in unbegrenzter Wiederholung m\u00f6glich sein, so muss nur noch ein Gesetz vorhanden sein, durch das die Folge der Anzahlen a,\u00abi,\u00ab2,-. - f\u00fcr ein beliebig angenommenes a erzeugt werden kann, um in ungehinderter Weise durch das Abz\u00e4hlen der Ueberg\u00e4nge von einem Intervall zu dem aus ihm erzeugten, umfassenderen Intervall die schlie\u00dflich erreichte Stelle der Zahlenreihe und das durch diese Stelle definirte Gesammtintervall in eindeutig bestimmter Weise zu erhalten. Es kann alsdann gesetzt werden:\n7)\t/\u201e = [of = \u00ab\u201e_!\u2022 \u00ab\u201e_2------\u00ab2 \u2022\u00ab!\u2022\u00ab;\t(\u00ab=1,2,3,...),\nfalls die Anzahl der in der angegebenen Weise einander umfassenden Intervalle n betr\u00e4gt.\nDie durch diese Gleichung definirte, im Abz\u00e4hlen der Ueberg\u00e4nge von einer Intervallenfolge zu einer dieselbe umfassenden","page":297},{"file":"p0298.txt","language":"de","ocr_de":"298\nGotti. Friedr. Lipps.\nIntervallenfolge bestehende neue Operationsart ist als erweitertes Potenziren zu bezeichnen; aus ihr erh\u00e4lt man als Specialfall das gew\u00f6hnliche Potenziren oder das Potenziren schlechthin, wenn die jeweilige Gliederanzahl der in Betracht kommenden Intervalle immer die n\u00e4mliche, wenn also a = ax = a2 =... ist. Es ist alsdann mit Benutzung dej \u00fcblichen Schreibweise:\n7a)\tI\u201e \u2014 an\\ (\u00bb= 1,2,3,...).\nSetzt man dagegen fest, dass jedes folgende Intervall eine um 1 vermehrte Gliederanzahl haben soll, dass also:\na\\ = a -(- 1, \u00d62 == \u00aei -J- 1, % \u2014 a2 \u201ch 1, \u2022 \u25a0 \u25a0 so erh\u00e4lt man die schon von Vandermonde1) in seinem \u00bbM\u00e9moire sur des irrationnelles de diff\u00e9rents ordres\u00ab angegebene Verallgemeinerung des Potenzirens:\n7b) In = [a]n\u2014[a + n\u2014 l)(a + n\u20142)...(\u00ab+1) \u2022 a; (\u00bb=1,2,3,...).\nAber auch diese Operationsart stellt die gr\u00f6\u00dftm\u00f6gliche Abk\u00fcrzung des Z\u00e4hlprocesses noch nicht dar; denn man kann wiederum eine weitergehende Abk\u00fcrzung erreichen, wenn man das Abz\u00e4hlen der einander umfassenden Intervallfolgen nicht direct, sondern selbst wieder in Intervallen vornimmt. Alsdann tritt z. B., wenn man die einfachsten Verh\u00e4ltnisse voraussetzt und alle vorkommenden Intervalle \u00ab-gliedrig annimmt, an Stelle der Potenz an die Potenz von dieser Potenz, n\u00e4mlich aa , die in gleicher Weise wie an nur den\n1) Histoire de l\u2019acad\u00e9mie royale des sciences; ann\u00e9e 1772, p.489. \u2014 Indessen gewinnt Vandermonde diese Verallgemeinerung des Potenzirens nicht auf dem im Text befolgten Wege. Es handelt sich vielmehr f\u00fcr ihn darum, zum Zweck der Aufl\u00f6sung der Gleichungen eine Verallgemeinerung der durch Wurzelausziehen definirten Irrationalit\u00e4ten zu erhalten, zu der er in folgender Weise gelangt: Nachdem er bemerkt hat, dass das Product von n Zahlen p,p,...p, die eine arithmetische Reihe nullter Ordnung bilden, durch pn bezeichnet wird, und nun die Annahme gebrochener Exponenten n die bekannte Classe von Irrationalit\u00e4ten erzeugt, bezeichnet er ein Product von n Zahlen p,p \u2014 1, p \u2014 2, ... p \u2014 \u00bb + 1, die eine arithmetische Reihe erster Ordnung bilden, durch [p]n, um nun f\u00fcr diese symbolische Schreibweise durch Annahme negativer und gebrochener Exponenten n \u00e4hnliche Definitionen zu gewinnen wie f\u00fcr/\u00bb\u201c. Auch gibt er an, dass die Producte der Glieder h\u00f6herer arithmetischer Reihen zu noch allgemeineren Irrationalit\u00e4ten f\u00fchren. Es hat somit Vandermonde nur die Verwendung dieser Operationsart zur Definition von Irrationalit\u00e4ten, nicht aber ihre logische Begr\u00fcndung im Auge.","page":298},{"file":"p0299.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber die Grundlagen der Mathematik.\n299\neinfachsten Fall einer neuen Operationsart darstellt. Es zeigt sich so, dass immer wieder auf Grund einer bereits definirten Operationsart die Definition einer neuen Operationsart gewonnen werden kann, so dass die M\u00f6glichkeit, Operationsarten aufzustellen, eine unbegrenzte ist.\nEs ist \u00fcbrigens eine weitergehende Entwicklung derselben gar nicht n\u00f6thig, da aus den bisherigen Darlegungen das principiell Wichtige, auf das allein es hier ankommt, zur Gen\u00fcge hervortritt. Dies besteht in der Erkenntniss, dass alle in der Weise resultirenden Operationsarten abk\u00fcrzende Z\u00e4hlmethoden sind, die in letzter Linie auf der Grundoperation des Glied f\u00fcr Glied erfolgenden Weiterz\u00e4hlens beruhen; dass die Gesetze dieser Operationen ebenso wie diejenigen der Addition und Multiplication Folgerungen aus dem Axiom von der homogenen Beschaffenheit der Zahlenreihe sind; dass ferner dem Weiterz\u00e4hlen das R\u00fcckw\u00e4rtsz\u00e4hlen und darum auch jeder Art des abk\u00fcrzenden Weiterz\u00e4hlens Arten des abk\u00fcrzenden R\u00fcckw\u00e4rtsz\u00e4hlens zur Seite stehen, und dass zwar jede Art des Weiterz\u00e4hlens in unbeschr\u00e4nkter Weise durchf\u00fchrbar ist, die Arten des B\u00fcckw\u00e4rtsz\u00e4hlens aber nur in beschr\u00e4nkter Weise ausgef\u00fchrt werden k\u00f6nnen, da im Anfangsglied der Zahlenreihe eine un\u00fcberwindliche Schranke gesetzt ist.\nAuf Grund dieser Erkenntniss erhellt, dass in der That die Axiome der Normalreihe gen\u00fcgen, um die Operationsarten und die Operationsgesetze f\u00fcr die Zahlen als Glieder der Zahlenreihe abzuleiten und so die \u00bbMathematik der Zahlenreihe\u00ab zu begr\u00fcnden, wobei durch diesen Namen die zahlentheoretischen und arithmetischalgebraischen Untersuchungen, insofern sie einzig und allein die s\u00f6ge nannten absoluten ganzen Zahlen be treffen, zusammenfassend bezeichnet werden sollen.\nMit diesem Ergebniss m\u00fcndet die aus der Einsicht in die Bedeutung der Reihenform des Denkens resultirende Denkbewegung direct in mathematische Untersuchungsgebiete. Sie erf\u00fcllt so den Zweck, zu dem sie dienen soll, indem sie die Ueberleitung von dem in der Reihenform des Denkens erkannten Princip des logischen Ordnens zu der Mathematik der Zahlenreihe darstellt und dadurch das logische Fundament, auf dem die Mathematik der","page":299},{"file":"p0300.txt","language":"de","ocr_de":"300\nGotti. Friedr. Lipps.\nZahlenreihe ruht, blo\u00dflegt. Dasselbe tritt offen zu Tage, wenn man r\u00fcckw\u00e4rtsschauend beachtet, dass die Zahlenreihe nichts anderes als die Normalreihe ist, durch welche die Aufgabe gel\u00f6st wird, die Reihenfoim des Denkens in erfassbarer und fixirbarer Weise objectiv darzustellen, und dass die Axiome der Zahlenreihe Folgerungen aus der Beschaffenheit des reihenf\u00f6rmig fortschreitenden Denkens sind, welche die Forderungen ausdr\u00fccken, die nothwendig erf\u00fcllt werden m\u00fcssen, falls die Zahlenreihe ein vollkommenes Bild des Bewusstseinszustandes sein soll, der durch das reihenf\u00f6rmig sich beth\u00e4tigende Denken erzeugt wird.\n\u00a7 12.\nWenn nun so die durch die Einsicht in das Wesen der Reihen-form des Denkens geweckten, specifisch logischen Bed\u00fcrfnisse durch die Construction der Zahlenreihe und durch die Aufstellung der die Zahlenoperationen und ihre Gesetze begr\u00fcndenden Axiome ihre Befriedigung erlangen, so sind sie offenbar nicht im Stande, eine Weiterf\u00fchrung des Zahlbegriffs zu motiviren. Es scheint vielmehr das Hervorheben des logischen Fundaments der sogenannten ganzen absoluten Zahlen jede weitergehende Entwicklung des Zahlbegriffs unm\u00f6glich zu machen. Denn man kann zwar beispielsweise die Aufgabe stellen, es soll b von a subtrahirt oder b in a dividirt werden, auch wenn a in der Zahlenreihe vor b steht; man kann aber die Aufgabe nicht l\u00f6sen, weil nun einmal die Zahlenreihe eine mit einem Anfangsglied beginnende Reihe von unmittelbar aneinander sich schlie\u00dfenden Gliedern ist, so dass weder Zwischenglieder als Bruchzahlen eingeschoben, noch auch Glieder als negative Zahlen dem Anfangsglied vorgesetzt werden k\u00f6nnen. Es findet eben in der Reihenform des Denkens lediglich die Mathematik der Zahlenreihe ihre Begr\u00fcndung.\nDer Hinweis auf die Gerade, an der die negativen und gebrochenen Zahlen ebenso wie die ganzen positiven Zahlen ihre anschauliche Deutung finden, kann nichts n\u00fctzen. Denn eine von einem Nullpunkt ausgehende \u00e4quidistante Punktreihe ist kein \u00e4quivalentes Bild der Zahlenreihe; die Zahlenreihe ist n\u00e4mlich durch jedes ihrer Elemente (dem vierten Axiom zufolge) vollst\u00e4ndig bestimmt, eine solche Punktreihe aber erst durch, Festlegen des","page":300},{"file":"p0301.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber die Grundlagen der Mathematik.\n301\nNullpunktes und des auf ihn folgenden Punktes, oder durch irgend zwei andere fest markirte Punkte, und \u00fcberdies besitzt die Zahlenreihe (dem ersten Axiom zufolge) kein Nullglied, das dem Anfangsglied Eins vorangehen k\u00f6nnte.\nDies beweist jedoch nicht, dass man \u00fcberhaupt kein Recht habe, negative, gebrochene, irrationale und imagin\u00e4re Zahlen einzuf\u00fchren ; sie werden ja durch mathematische Bed\u00fcrfnisse gefordert und finden auch thats\u00e4chlich praktische Yerwerthung. Es folgt daraus vielmehr nur, dass die im Vorhergehenden dargelegten logischen Grundlagen der absoluten ganzen Zahlen die Keime zu der Weiterentwicklung des Zahlbegriffs nicht enthalten. Man scheint somit darauf angewiesen zu sein, ohne R\u00fccksicht auf die logische Bedeutung der Zahlen lediglich in der mathematischen Bedeutung derselben die Motive zu suchen, die von der ganzen absoluten Zahl zu der allgemeinen, reellen und imagin\u00e4ren oder complexen Zahl f\u00fchren.\nAlsdann kann von einer logisch motivirten Entwicklung des Begriffs der allgemeinen Zahl allerdings nicht die Rede sein. Man kann jedoch eine nachtr\u00e4glichejlechtfertigung der weitergehenden Begriflfsbildungen in der Weise versuchen, dass man die specifisch mathematischen Merkmale des Begriffs der absoluten ganzen Zahl hervorhebt und angibt, welche Merkmale unter Festhalten der \u00fcbrigen fallen gelassen werden k\u00f6nnen, um so von dem urspr\u00fcnglich vorhandenen speciellen Begriff zu den allgemeineren Begriffsgebilden zu gelangen.\nEs beruht nun die mathematische Bedeutung der absoluten ganzen Zahlen offenbar auf den im Vorstehenden abgeleiteten Operationen, welchen diese Zahlen unterworfen werden und durch welche wiederum solche Zahlen erzeugt werden k\u00f6nnen. Es ist daher zu beachten, dass es Zahlen sind, von denen man ausgeht, dass es ferner Zahlenoperationen sind, die an denselben ausgef\u00fchrt werden, und dass es schlie\u00dflich wiederum Zahlen sind, die als Resultate jener Operationen sich ergeben. H\u00e4lt man von diesen drei Merkmalen nur das an zweiter Stelle genannte als das mathematisch wesentlichste unter allen Umst\u00e4nden fest, so ist die M\u00f6glichkeit vorhanden, entweder blo\u00df das dritte odgr blo\u00df das erste od^r sowohl das dritte als auch das erste Merkmal fallen zu lassen und so","page":301},{"file":"p0302.txt","language":"de","ocr_de":"302\nGotti. Friedr. Lipps.\nauf drei verschiedene Arten an Stelle des urspr\u00fcnglich vorhandenen engeren Zahlbegriffs einen erweiterten Zahlbegriff zu definiren. In allen drei F\u00e4llen treten Symbole an Stelle der die Glieder der Zahlenreihe darstellenden absoluten ganzen Zahlen, und eben diese Symbole sind als die allgemeinen Zahlen zu betrachten.\nIm ersten Fall bleiben als Merkmale des verallgemeinerten Zahlbegriffs blo\u00df die beiden folgenden: dass es absolute ganze Zahlen sind, die als Material zu Operationen bereit liegen, und dass es die Zahlenoperationen sind, die an ihnen ausgef\u00fchrt werden sollen. Aus der Verkn\u00fcpfung jener Zahlen durch diese Operationen ergeben sich nun Ausdr\u00fccke oder Formen, die, auch wenn die Operationen thats\u00e4chlich nicht ausf\u00fchrbar sind, durch Symbole zusammenfassend bezeichnet und als \u00bballgemeine Zahlen\u00ab ebenso wie die absoluten ganzen Zahlen den Operationen unterworfen werden. Es ergeben sich so die negativen, gebrochenen und irrationalen Zahlen in gleichberechtigter Weise als Formen, die aus der Verkn\u00fcpfung der ganzen absoluten Zahlen durch die Zahlenoperationen des Addirens, Subtrahirens, Multiplicirens und Divi-direns resultiren. Sie unterscheiden sich von einander blo\u00df durch die Normalform, auf die sie gebracht werden k\u00f6nnen. Diese Normalform ist f\u00fcr die negativen Zahlen : 0 \u2014 a oder mit Unterdr\u00fcckung\nder Null: \u2014a, f\u00fcr die gebrochenen Zahlen: % an Stelle von a :b.\n0 1\nw\u00e4hrend die irrationalen Zahlen durch unendlich oftmalige Wiederholung der genannten Operationen aus den absoluten ganzen Zahlen herstellbar sind, also durch unendliche Formen sich darstellen lassen.\nIm zweiten. Fall l\u00e4sst man die Bedingung fallen, dass wirklich absolute ganze Zahlen oder auch aus solchen Zahlen gebildete Formen den Zahlenoperationen zu Grunde liegen sollen. Man erh\u00e4lt daher in diesem Fall folgende Merkjpale des verallgemeinerten Zahlbegriffs: es sind absolute ganze Zahlen oder aus solchen Zahlen gebildete Formen, die als Operationsresultate sich ergeben, und es sind Zahlenoperationen, die vorgenommen werden und aus denen jene Zahlen oder Formen auch dann resultiren sollen, wenn es unm\u00f6glich ist, eine absolute ganze Zahl anzugeben oder eine aus solchen Zahlen bestehende Form \u00bbrealiter\u00ab herzustellen, die den","page":302},{"file":"p0303.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber die Grundlagen der Mathematik.\n303\nOperationen unterworfen jene Zahlen oder Formen thats\u00e4chlich erzeugt. Man gelangt so zur Forderung von \u00bbidealen Formen\u00ab, die, durch Symbole bezeichnet und als imagin\u00e4re Zahlen definirt, den Charakter einer Zahl dadurch erhalten, dass aus ihnen durch Vornahme bestimmter Operationen bestimmte absolute ganze Zahlen oder aus solchen Zahlen gebildete Formen resultiren sollen. \u2014 So gibt es z. B., wenn\tstets eine wirklich herstellbare Form, die\nins Quadrat erhoben die Zahl a \u2014 b erzeugt und symbolisch durch das Zeichen y a\u2014 b dargestellt wird. Ist aber a<^b, so wird die wirkliche Darstellung einer solchen Form unm\u00f6glich. Es gibt eben keine thats\u00e4chlich herstellbare Form, deren Quadrat ein\u00e9r negativen Zahl gleich w\u00e4re. Trotzdem fordert das Streben nach Allgemeinheit eine Herstellung der Zahl (a\u2014b) als Quadrat einer anderen Zahl auch dann, wenn a<^b, und dieser Forderung wird durch Annahme einer idealen Form Gen\u00fcge geleistet, die ins Quadrat erhoben a \u2014 b ergeben soll und in der n\u00e4mlichen eindeutigen Weise den Zahlen Operationen unterliegt, wie eine reelle Form oder eine absolute ganze Zahl. \u2014 Auch die in solcher Weise definirten \u00bbidealen Formen\u00ab k\u00f6nnen in eine Normalform gebracht werden. Sie lassen sich n\u00e4mlich durch x -f- * \u2022 y darstellen, wo x und y absolute ganze Zahlen oder wenigstens reelle Formen vorstellen, w\u00e4hrend i eine ideale Form darstellt, die durch die Bedingung i2 = \u2014 1 definirt ist. Es ergibt sich somit der Begriff der sogenannten com-plexen Zahl z-\\-iy als Resultat der durch den ersten und den zweiten Fall bedingten Erweiterung des Begriffs der absoluten ganzen Zahl.\nIm dritten Fall endlich bleibt als einziges Merkmal bestehen, dass es Zahlenoperationen sind, die ausgef\u00fchrt werden sollen. Da weder das Material, an welchem operirt werden soll, noch auch die Operationsresultate, die gewonnen werden sollen, irgend welchen Bedingungen unterworfen werden, so k\u00f6nnen blo\u00df Synjbole als Unterlage f\u00fcr die Ausf\u00fchrung der Operationen und als Ergebnisse der ausgef\u00fchrten Operationen figuriren, und diese Symbole k\u00f6nnen nur insofern als Zahlen definirt werden, als es Zahlenoperationen sind, denen sie zu Grunde liegen und als deren Resultate sie sich ergeben sollen. Die so in allgemeinster Weise definirten complexen Zahlen sind aber nichts anderes als die gew\u00f6hnlichen in der Form","page":303},{"file":"p0304.txt","language":"de","ocr_de":"304\nGotti. Friedr. Lipps.\nx + iy darstellbaren complexen Zahlen, so lange die f\u00fcr die absoluten ganzen Zahlen und f\u00fcr die aus ihnen hergestellten oder als herstellbar vorausgesetzten reellen oder idealen Formen g\u00fcltigen Operationsgesetze in Kraft bleiben. Zu den sogenannten h\u00f6heren complexen Zahlen, wie sie beispielsweise in Hamilton\u2019s Qua-ternionen und in Grassmann\u2019s altemirendem Zahlensystem vorliegen1), gelangt man erst dann, wenn man jene aus der homogenen Natur der Zahlenreihe gefolgerten Operationsgesetze zum Theil fallen l\u00e4sst. Da aber von vornherein gar nichts dar\u00fcber ausgemacht ist, welche Operationsgesetze in Kraft bleiben und welche ihre Geltung verlieren sollen, so herrscht offenbar schrankenlose Willk\u00fcr, und es ist schlie\u00dflich jedes System von Operationen gestattet, wenn es nur wirklich ein System ist, dessen Zusammenhang nicht durch Widerspr\u00fcche gel\u00f6st wird. Diese Willk\u00fcr wird nur dadurch einigerma\u00dfen ged\u00e4mmt, dass man mit H. Hankel2) das Princip der Permanenz der formalen Gesetze zum hodegetischen Grundsatz macht und die Operationen mit den Symbolen \u00bbsolchen formalen Regeln\u00ab unterwirft, \u00bbdass sie die actuellen Operationen an anschaulichen Objecten und den deren Verh\u00e4ltnisse ausdr\u00fcckenden Zahlen als untergeordnete in sich enthalten k\u00f6nnen.\u00ab Die Zahlenoperationen mit den ihnen von Haus aus eigenth\u00fcmlichen Gesetzm\u00e4\u00dfigkeiten werden so zu Specialisirungen allgemeinerer Operationen. Diese allgemeinen Operationen aber bilden das Untersuchungsobject der allgemeinen Operationenlehre, in welcher der Bau der auf die absolute ganze Zahl gegr\u00fcndeten Disciplinen sich zu vollenden scheint.\nDurch eine successive Begriffserweiterung kann man somit zum Begriff der allgemeinen Zahl gelangen, wenn man, von der logischen Begr\u00fcndung der absoluten ganzen Zahlen absehend, blo\u00df die specifisch mathematischen Merkmale derselben ins Auge fasst. Fragt man nun aber, was man sich bei diesen allgemeinen Zahlen eigentlich denken soll, so muss man zugestehen, dass sie inhaltsleere Symbole sind. Man kann zwar auf die Anwen-\n1)\tVergl. die Darstellung dieser Zahlensysteme bei Hankel, Vorlesungen \u00fcber die complexen Zahlen und ihre Functionen, VII. und VIII. Abschnitt.\n2)\tVorlesungen \u00fcber die complexen Zahlen, S. 11.","page":304},{"file":"p0305.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber die Grundlagen der Mathematik.\n305\nd\u00fcngenx) hinweisen, die sie bei der L\u00f6sung von Problemen der Geometrie und Mechanik oder auch der Analysis finden k\u00f6nnen. Solche Anwendungen begr\u00fcnden jedoch blo\u00df den praktischen Werth jener Symbole, nicht aber den logischen, der somit nach wie vor fraglich bleibt.\nEs hat sonach den Anschein, als ob eine logische Begr\u00fcndung\u00ab der \u00fcber die absolute ganze Zahl hinausgehenden Begriffsbildungen ; unm\u00f6glich sei. Dann w\u00e4re es geboten, die arithmetischen Disciplinen, | wie Kronecker1 2) es in Aussicht stellt, \u00bbzu arithmetisiren, d. h. einzig und allein auf den im engsten Sinne genommenen Zahlbegriff zu gr\u00fcnden, also die Modificationen und Erweiterungen dieses Begriffs wieder abzustreifen, welche zumeist durch die Anwendungen auf die Geometrie und Mechanik veranlasst worden sind\u00ab.\nDies w\u00e4re in der That das allein Sachgem\u00e4\u00dfe, wenn die Reihen-form des Denkens das einzige Princip des logischen Ordnens und somit das einzige Fundament des Zahlbegriffs und der arithmetischen Disciplinen w\u00e4re. Es heth\u00e4tigt sich nun aber das Denken nicht nur auf Grund des Vorhandenseins von Bewusstseinsinhalten im Bewusstsein durch das Fortschreiten von einem Apperceptionsakt zum anderen, sondern auch auf Grund der Verschiedenheit der vorhandenen Bewusstseinsinhalte durch das Verkn\u00fcpfen nach Grund -> und Folge. Durch die Reflexion \u00fcber die Reihenform des Denkens, die zu einer Begr\u00fcndung der Mathematik der Zahlenreihe f\u00fchrte, wird darum blo\u00df das eine der beiden Probleme erledigt, deren Stellung als Frucht der Einsicht in die Bedeutung der Denkformen\n1)\tDie reellen Zahlen finden als Punkte einer Geraden, die complexen Zahlen x + iy als Punkte einer Ebene eine Deutung, welche ihre geometrische Verwendung erm\u00f6glicht. \u2014 Betreffs der h\u00f6heren complexen Zahlen erw\u00e4hne ich beispielsweise, dass Hamilton zu seinen Quaternionen durch das Streben gef\u00fchrt wurde, Operationsarten zu erfinden, die in \u00e4hnlicher Weise die Geometrie des Raumes beherrschen, wie die gew\u00f6hnlichen complexen Zahlen die Geometrie der Ebene; dass ferner Lipschitz (Untersuchungen \u00fcber die Summen von Quadraten, 1886, S. 12, 26, 71\u201474) durch die allgemeine L\u00f6sung des Problems, eine Summe von n Quadraten in sich selbst zu transformiren, zur Aufstellung von symbolischen Operationsregeln gelangte, die als specielle F\u00e4lle diejenigen der gew\u00f6hnlichen complexen Zahlen und der Quaternionen enthalten.\n2)\tUeber den Zahlbegriff. Philosophische Aufs\u00e4tze zu Zeller\u2019s Jubil\u00e4um, 8. 265; oder Cr eile\u2019s Journal, Bd. 103, S. 337.","page":305},{"file":"p0306.txt","language":"de","ocr_de":"306 Gotti. Friedr. Lipps. Untersuchungen \u00fcber die Grundlagen der Mathematik.\nf\u00fcr das Zustandekommen der logischen Ordnung sich ergab. Das andere Problem harrt noch seiner Behandlung.\nEs beruht darauf, dass die im Bewusstsein vorhandenen Bewusstseinsobjecte nothwendig von einander verschieden sein m\u00fcssen, und dass das Denken diese Verschiedenheiten erfasst, indem es Beziehungen des Grundes zur Folge zwischen den Objecten erzeugt. Es besteht demgem\u00e4\u00df darin, dass das nach Grund und Folge verkn\u00fcpfende Denken in \u00e4hnlicher Weise zum Gegenstand der Reflexion gemacht wird, wie es betreffs des reihenf\u00f6rmig fortschreitenden Denkens bereits geschehen ist. Seine L\u00f6sung wird das logische Fundament der nur scheinbar als Modificationen und Erweiterungen des Begriffs der absoluten ganzen Zahl sich darstellenden Begriffsgebilde aufdecken und so zur Evidenz bringen, dass diese angeblichen Modificationen und Erweiterungen nicht abgestreift werden k\u00f6nnen, sondern in \u00e4hnlicher Weise wie die Zahlenreihe und ihre Glieder, die absoluten ganzen Zahlen, in der Natur des Denkens begr\u00fcndet sind.\n(Fortsetzung folgt.)","page":306}],"identifier":"lit4530","issued":"1895","language":"de","pages":"254-306","startpages":"254","title":"Untersuchungen \u00fcber die Grundlagen der Mathematik, Fortsetzung zu Band X, S. 202","type":"Journal Article","volume":"11"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:19:16.646739+00:00"}