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{"created":"2022-01-31T14:21:57.953552+00:00","id":"lit4552","links":{},"metadata":{"alternative":"Philosophische Studien","contributors":[{"name":"K\u00f6hler, Alfred","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Philosophische Studien 3: 572-642","fulltext":[{"file":"p0572.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die haupts\u00e4chlichsten Versuche einer mathematischen Formulirung des psychophysischen Gesetzes von Weber.\nVon\nAlfred K\u00f6hler.\nMit 2 Holzschnitten.\nDas wissenschaftliche Geb\u00e4ude der Psychophysik, wie es durch die sinnes-physiologischen Arbeiten E. H. Weber\u2019s begr\u00fcndet und durch die werthvollen Untersuchungen G. Th. Fechner\u2019s einer gewissen Vollendung entgegengef\u00fchrt dasteht, besch\u00e4ftigt seitdem vielfach die Psychologen und Physiologen. Von den verschiedensten Autorit\u00e4ten auf dem genannten Gebiete ist das summarische Resultat jener Arbeiten, n\u00e4mlich das psychophysische Gesetz, welches Fech-ner auf Grund des W eher\u2019sehen Gesetzes als Beziehung zwischen Reiz und Empfindung aufgestellt hat, der Discussion unterworfen und sind gegen dasselbe nicht zu untersch\u00e4tzende Einw\u00e4nde erhoben worden; sei es nun, dass man \u00fcberhaupt die Uebereinstimmung des Gesetzes mit den empirischen Thatsachen bestritt; sei es, dass man von rein theoretischen, apriorischen Gesichtspunkten aus dem Gesetz keine Geltung zugestehen wollte. Aus diesen oder jenen Gr\u00fcnden hat man daher geglaubt, an der mathematischen Formulirung\ndes Gesetzes Modificationen anbringen zu m\u00fcssen, oder man hat wenigstens das Fechner\u2019sche Gesetz insofern ver\u00e4ndert, als man ihm eine von der Fechner\u2019schen wesentlich verschiedene Deutung beilegte. So kommt es, dass f\u00fcr die Beziehung zwischen Reiz und Empfindung eine ganze Reihe mathematischer Formuliruligen aufgestellt worden sind, die um den Vorzug wetteifern. Diesen festzustellen, wir<l","page":572},{"file":"p0573.txt","language":"de","ocr_de":"\u00fceber die haupts\u00e4chlichsten Versuche einer mathematischen Formulirung etc. 573\nBur zum geringeren Theil durcli rein theoretische Er\u00f6rterungen m\u00f6glich sein ; vielmehr wird die gr\u00f6\u00dfere oder geringere Wahrscheinlichkeit dieser Gesetze in erster Linie auf experimentellen Resultaten zu basiren haben. Andererseits kann man indess auch die theoretische piscussion nicht als nutzlos zur\u00fcckweisen ; wenn man einmal die auf empirischem Wege gefundenen Resultate in eine exacte Formel kleidet, so ist es dann nicht ohne Werth, umgekehrt zu erw\u00e4gen, inwieweit solche mathematische Formulirungen die empirischen That-sachen darstellen.\nSo hat besonders Delhoeuf neuerdings wiederholt rein mathematische Kritiken der Fechner\u2019schen Formulirung des psychophysischen Web er\u2019sehen Gesetzes gegeben und in der That Einw\u00e4nde erhoben, die jedenfalls nicht ohne Weiteres zur\u00fcckzuweisen sind. Es d\u00fcrfte daher die Aufgabe, die wichtigsten der bis jetzt vorliegenden mathematischen Formulirungen des Weher\u2019schen Gesetzes einer \u00e4hnlichen Betrachtung zu unterwerfen, nicht ohne Interesse und Werth sein.\nEhe ich jedoch an diese meine eigentliche Aufgabe herantrete, scheint es mir nicht unwichtig, eine Er\u00f6rterung voranzuschicken, welche derselben in gewisser Beziehung als Fundament dient. Diese Er\u00f6rterung erstreckt sich auf die Messbarkeit der Empfindung. Da n\u00e4mlich die Aufstellung einer Beziehung zwischen Reiz und Empfindung aus dem Bed\u00fcrfniss hervorgegangen ist, die Empfindung zu messen, so ist die Frage nach der Messbarkeit der Empfindung eine Grundfrage, mit deren Beantwortung in verneinendem Sinn zugleich meine Aufgabe fallen w\u00fcrde.\nUeber die Messbarkeit der Empfindung.\nDass die Empfindungen an Intensit\u00e4t verschieden sind, ist eine Thatsache, \u00fcber die kein Zweifel besteht. Anders dagegen verh\u00e4lt es sich mit der Frage, ob diese verschiedenen Intensit\u00e4ten einer exacten Vergleichung, der Messung zug\u00e4nglich sind.\nDie Art, wie das Messen von Raumgr\u00f6\u00dfen geschieht, ist sehr ein-fach; sie ist durch die reine Anschauung geboten. Das Messen von kaum gro\u00df en geschieht n\u00e4mlich durch Anlegen einer als Einheit zu Grunde gelegten Gr\u00f6\u00dfe an die zu messende Gr\u00f6\u00dfe, und da","page":573},{"file":"p0574.txt","language":"de","ocr_de":"574\nAlfred K\u00f6hler.\neben diese Art zu messen lediglich auf unsrer Anschauung beruht, so ist vollst\u00e4ndig klar, was es hei\u00dft, wenn man sagt, diese Gr\u00f6\u00dfe ist z. B. 3mal so gro\u00df als eine andere.\nWie verh\u00e4lt es sich nun mit der Messung von Empfindungsinten-sit\u00e4ten? Offenbar ist auch hier vor allen Dingen n\u00f6thig, f\u00fcr die Empfindungsintensit\u00e4ten einen Ma\u00dfstab, eine Ma\u00dfeinheit festzusetzen. Man hat nun aber bezweifelt, ob die Festsetzung einer solchen Ma\u00dfeinheit m\u00f6glich sei. Joh. v. Kries sagt,1) man k\u00f6nne sich gar nicht vorstellen, was es hei\u00dfen solle, eine Empfindung sei z. B. 3mal so gro\u00df als eine andere, w\u00e4hrend f\u00fcr die Raumgr\u00f6\u00dfen die entsprechende Behauptung einen klaren Sinn habe. Den Grund hierf\u00fcr sucht er darin, dass die Gleichartigkeit, welche unsere Raumvorstellungen auszeichnet, den intensiven Empfindungsreihen fehlt, und kommt so zu dem Schluss, dass die Empfindung \u00fcberhaupt nicht messbar sei. Auch Andere sind von anderer Seite her zu demselben Schluss gekommen.\nMerkw\u00fcrdiger Weise ist, wenigstens so viel mir bekannt, dieser Punkt betreffs der Messbarkeit der Empfindung erst zu einem solchen des Zweifels und der Er\u00f6rterung geworden, nachdem Fechner schon sein Gesetz aufgestellt hatte, w\u00e4hrend er doch die Grundlage eines solchen zu bilden hat. Fechner hat allerdings sein Ma\u00dfprincip auseinandergesetzt; entweder aber tritt bei ihm nicht klar hervor, worauf es ankommt, oder er glaubt der eigentlichen Frage durch sein Ma\u00dfprincip entgangen zu sein. Er sagt n\u00e4mlich \u00bbIn Sachen der Psycho-physik\u00ab S. 1: \u00bbWenn schon es unm\u00f6glich ist, ein psychisches Ma\u00df durch innere Superposition von Empfindungen auf \u00e4hnliche Weise zu gewinnen, als man \u00e4u\u00dferlich die L\u00e4nge eines St\u00fcckes Zeug durch die Elle misst, so kann doch ein solches auf das Abh\u00e4ngigkeitsver-h\u00e4ltniss der St\u00e4rke der Empfindung von der St\u00e4rke des Reizes, der die Empfindung ausl\u00f6st, gegr\u00fcndet und solchergestalt die innere Empfindung durch eine \u00e4u\u00dfere Elle gemessen werden.\u00ab\nHiermit scheint mir Fechner zuzugeben, dass die Empfindung nicht an sich selbst, sondern nur an einem \u00e4u\u00dferen Ma\u00dfstabe ge-\n1) J. v. Kries, Ueber die Messung intensiver Gr\u00f6\u00dfen und \u00fcber das sogenannte psycho-physische Gesetz. Viertelj ahrschr. f\u00fcr Wissenschaft!. Philosophie-\nVI, S. 258.","page":574},{"file":"p0575.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die haupts\u00e4chlichsten Versuche einer mathematischen Formulirung etc. 575\nmessen werden k\u00f6nne. Er stellt demgem\u00e4\u00df erst seine Beziehung zwischen Reiz und Empfindung auf und misst dann verm\u00f6ge dieser Beziehung die Empfindung am Reiz. Auf diese Weise ist aber Fechner der obigen Frage nur scheinbar entgangen ; denn um eine Beziehung zwischen Reiz und Empfindung aufstellen zu k\u00f6nnen, ist eben schon n\u00f6thig, dass man die Empfindung an sich selbst messen k\u00f6nne. Dies hat neuerdings Delboeuf recht klar auseinandergesetzt in seiner Abhandlung \u00bbExamen critique de la loi psychophysique, sa base et sa signification\u00ab. Paris 1883. S. 119. Er beruft sich darin wohl ganz mit Recht auf die Art und Weise , wie man in der Physik eine Gr\u00f6\u00dfe an einer anderen misst, so z. B. die W\u00e4rme an der Ausdehnung des Quecksilbers durch das Thermometer. Wie hat man denn das Thermometer erhalten? Hat man etwa von vorn herein das Intervall zwischen Gefrier- und Siedepunkt in eine bestimmte Anzahl gleicher Theile getheilt und festgesetzt, diejenige W\u00e4rmemenge, welche n\u00f6thig ist, um eine Ausdehnung des Quecksilbers um einen jener Theile hervorzubringen, soll unsere W\u00e4rmeeinheit sein? \u2014Gewiss nicht; ein solches Verfahren w\u00fcrde im Allgemeinen falsch und nur dann zuf\u00e4llig richtig sein, wenn die an einander zu messenden Gr\u00f6\u00dfen im Verh\u00e4ltniss der Proportionalit\u00e4t zu einander stehen. Die Construction des Thermometers hat man sich vielmehr auf folgende Weise zu denken :\nMan messe einerseits die W\u00e4rme an einer Einheit ihrer Art, also an einer W\u00e4rmeeinheit; desgleichen das Volumen des Quecksilbers an der Volumeneinheit. Ferner construire man neben einander zwei Scalen, auf deren eine man die Quantit\u00e4t der W\u00e4rme in ihrer Ma\u00dfeinheit, auf deren andere man die zugeh\u00f6rige Gr\u00f6\u00dfe des Volumens des Quecksilbers ebenfalls in seiner Ma\u00dfeinheit ausgedr\u00fcckt auftr\u00e4gt. Nun suche man, ob sich eine constante Beziehung aufstellen l\u00e4sst zwischen den Zahlen, welche die W\u00e4rmemenge angeben, und denen, welche das entsprechende Volumen des Quecksilbers angeben. In der That hat man auf diese Weise gefunden, dass zwischen der W\u00e4rmemenge und der entsprechenden Ausdehnung des Quecksilbers eine constante Beziehung besteht, n\u00e4mlich die der Proportionalit\u00e4t, und nun wird klar, wie die Ausdehnung des Quecksilbers uns ein Ma\u00df abgibt f\u00fcr die W\u00e4rme.\nAls ein weiteres Beispiel aus der Physik gebe ich diejenige For-","page":575},{"file":"p0576.txt","language":"de","ocr_de":"576\nAlfred K\u00f6hler.\nmel, verm\u00f6ge deren man die H\u00f6he am Barometerstand misst. Be_ kanntlich nimmt der Barometerstand mit wachsender H\u00f6he ab. yer_ stehen wir deshalb unter b den der H\u00f6he H, unter B den der H\u00f6he h entsprechenden Barometerstand, so besteht die Beziehung:\nH\u2014 h = k . log\nAuch bei Aufstellung dieser Beziehung, die nicht wie im vorigen Fall einfache Proportionalit\u00e4t ausdr\u00fcckt, ist man offenbar so verfahren, dass man zuvor die entsprechenden H\u00f6hen und Barometerst\u00e4nde jede in Einheiten ihrer Art gemessen hat, worauf man dann zwischen den beiderseitigen entsprechenden Gr\u00f6\u00dfenangahen die obige constante Beziehung entdeckte. Nachtr\u00e4glich dient uns nun obige Formel als ein bequemes Mittel zur Messung der H\u00f6hen. Von vorn herein aber m\u00fcssen die H\u00f6hen an einem Ma\u00dfstab ihrer Art messbar sein. \u2014 Man \u00fcberzeugt sich leicht, dass alle physikalischen Gesetze in der angegebenen Weise hergeleitet sind.\nUebertragen wir dieses Resultat auf das psychophysische Gebiet, so wird sofort klar, dass Fechner sich in den S. 574 angef\u00fchrten Worten zum Mindesten ungenau ausdr\u00fcckt, selbst wenn man zugeben will, dass er das Richtige gemeint hat. Fechner sagt, man k\u00f6nne freilich kein psychisches Ma\u00df durch innere Superposition von Empfindungen erhalten ; sondern man k\u00f6nne die Empfindung nur an dem sie ausl\u00f6senden Reiz messen. Er stellt daher eine Beziehung zwischen Reiz und Empfindung auf, ohne die Empfindung vorher an einer Einheit ihrer Art zu messen. Nach Obigem dagegen meine ich, dass eine solche Beziehung \u00fcberhaupt erst dann festgestellt werden kann, wenn jede der in Beziehung zu setzenden Gr\u00f6\u00dfen, in diesem Fall also Reiz sowohl wie Empfindung, zuvor an einer Einheit ihrer Art gemessen werden kann. Demnach ist Fechner der Frage nach der Messbarkeit der Empfindung nicht entgangen, und wir kommen so von Neuem auf dieselbe zur\u00fcck.\nEs fragt sich demnach, gibt es eine Ma\u00dfeinheit der Empfindung ? \u2014 In der Praxis, hei den experimentellen Untersuchungen \u00fcber die gesetzm\u00e4\u00dfige Beziehung zwischen Reiz und Empfindung hat man that-s\u00e4chlich eine solche Ma\u00dfeinheit benutzt, ohne dass man sich dessen wohl immer bewusst geworden ist; wenigstens wird es selten ausdr\u00fccklich hervorgehoben oder tritt es durch die Darstellung deutlich","page":576},{"file":"p0577.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die haupts\u00e4chlichsten Versuche einer mathematischen Formulirung etc. 57 7\nhervor, und das scheint mir theilweise der Grund zu sein, weshalb man F echn er in diesem Punkte angegriffen hat. Jene Ma\u00dfeinheit ist nichts Anderes, als der eben merkliche Empfindungsunterschied bei der Methode der Minimal\u00e4nderungen der Empfindung; oder der gleich merkliche Empfiudringsunterschied bei der Methode der mittleren Abstufungen. Bei den anderen Ma\u00dfmethoden legt man andere Ma\u00dfeinheiten zu Grunde, so den \u00fcbermerklichen, den untermerklichen Empfindungsunterschied etc.\nBei Aufstellung der Beziehung zwischen Reiz und Empfindung verf\u00e4hrt man nun thats\u00e4chlich so, wie es oben im Gebiet der Physik als erforderlich hingestellt wurde. Man construirt zwei Scalen, eine f\u00fcr die Empfindung, eine f\u00fcr den Reiz. Auf der Empfindungsscala geht man immer um einen eben merklichen Empfindungsunterschied, also die zu Grunde gelegte Ma\u00dfeinheit weiter, und markirt auf der Reizscala den zugeh\u00f6rigen Reizwerth. Ist man also auf der Empfindungsscala 6mal um einen eben merklichen Empfindungsunterschied fortgeschritten, so hat man eben die Empfindung um 6 Einheiten vergr\u00f6\u00dfert. Hat man auf diese Weise die Tabelle f\u00fcr die Empfindungs-werthe und die zugeh\u00f6rigen Reizwerthe gefunden, beide ausgedr\u00fcckt in Einheiten ihrer Art, so ist nun die Aufgabe die, aus den beiderseitigen entsprechenden Angaben eine gesetzm\u00e4\u00dfige Beziehung abzuleiten.\nBei dieser Art und Weise, wie man den eben merklichen Empfindungsunterschied als Ma\u00dfeinheit der Empfindung benutzt, ist jedoch wesentliche Voraussetzung, dass die eben merklichen Empfindungsunterschiede auch gleich sind, d. h. dass eben merklichen Empfindungsunterschieden auch gleich merkliche Empfindungsunterschiede entsprechen, was vielfach bestritten wird. Es ist schwer, diesen Streit theoretisch zu entscheiden. Gl\u00fccklicher Weise ist ja aber die Methode der eben merklichen Unterschiede nicht die einzige, die uns zur Verf\u00fcgung steht; im Gegentheil haben wir deren noch mehrere, von denen die der mittleren Abstufungen deshalb hervorgehoben sei, weil wir bei ihr direct nach unserer Sch\u00e4tzung die verschiedenen Empfindungen in einer Reihe so abstufen, dass die Unterschiede zweier benachbarten Empfindungen als gleich erscheinen, so dass also dieser gleiche Unterschied als Ma\u00dfeinheit zu betrachten ist. Da man nun\nWunat, Philos. Studien. III.\n38","page":577},{"file":"p0578.txt","language":"de","ocr_de":"578\nAlfred K\u00f6hler.\nbei der zuletzt genannten Methode so wie auch bei den \u00fcbrigen Ma\u00dfmethoden zu denselben Resultaten kommt, welche auch die oben genannte liefert, so scheint hierin doch ein Beweis daf\u00fcr zu liegen, dass die eben merklichen Empfindungsunterschiede auch als gleich merklich zu betrachten sind und daher als Ma\u00dfeinheit benutzt werden k\u00f6nnen.\nEine andere Frage, die ich hier noch kurz ber\u00fchren will, ist die, ob den gleich merklichen Empfindungsunterschieden auch wirklich gleiche Empfindungsunterschiede entsprechen. In der That sind ja nicht die Empfindungen selbst, sondern nur die Merklichkeitsgrade derselben der Messung zug\u00e4nglich. Unsere Empfindungen existiren f\u00fcr uns nur nach der Quantit\u00e4t und Qualit\u00e4t, wie wir sie auffassen ; wie sie sich abgesehen von unserer Apperception verhalten, bleibt an sich v\u00f6llig unbekannt. Daraus folgt, dass man zun\u00e4chst nur eine Beziehung aufstellen kann zwischen Reiz und Empfindungssch\u00e4tzung, nicht aber zwischen Reiz und Empfindung selbst. Auf eine Beziehung der letzteren Art kann man erst mittelst Hypothesen aus der ersteren schlie\u00dfen. Das Gesetz zwischen Reiz und Empfindungssch\u00e4tzung bietet \u00fcbrigens so viel Interesse und seine endg\u00fcltige Feststellung nimmt die wissenschaftlichen Bem\u00fchungen noch so sehr in Anspruch, dass man zun\u00e4chst von der n\u00e4heren Betrachtung eines eigentlichen Empfindungsgesetzes ganz wohl absehen k\u00f6nnte; in den Vordergrund der Betrachtung sollte man vielmehr die Beziehung zwischen Reiz und Empfindungssch\u00e4tzung stellen, welche Herr Prof. W. Wundt ganz treffend als ein Apperceptionsgesetz bezeichnet.\nDie mathematischen Formulirungen des W eher\u2019sehen Gesetzes, welche ich im Folgenden in den Bereich der Er\u00f6rterung zu ziehen gedenke, sind die von Fechner, Wundt, Bernstein, Delboeuf, Brentano, Plateau, Helmholtz, Langer, G. E. M\u00fcller aufgestellten. Da es sich um den Werth dieser Formeln in mathematisch-psychophysischer Hinsicht handelt, so scheint es mir angemessen, diesen Gesichtspunkt gleich von vorn herein zu wahren, indem ich nach ihm den zu behandelnden Stoff ordne. Demgem\u00e4\u00df theile ich die genannten Formeln in zwei Gruppen, von denen die eine diejenigen","page":578},{"file":"p0579.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die haupts\u00e4chlichsten Versuche einer mathematischen Formulirung etc. 579\nFormulirungen in sich begreift, welchen ich fundamentale Bedeu-tund beimesse, w\u00e4hrend die andere diejenigen Formulirungen enth\u00e4lt, welchen ich blo\u00df eine experimentale Bedeutung beilege.\nAls fundamentale Formeln bezeichneich diejenigen, deren Urheber davon ausgegangen sind, aus den empirischen Daten eine m\u00f6glichst einfache Beziehung zwischen Reiz und Empfindung abzuleiten, von dem Gesichtspunkte ausgehend, dass zwischen Leib und Seele, die doch in so inniger Wechselwirkung stehen, auch eine einfache Abh\u00e4ngigkeit bestehen m\u00fcsse. Diese Urheber sehen also ab von that-s\u00e4chlichen Schwankungen und Abweichungen von ihrer mathematischen Formulirung und schreiben dieselben vielmehr st\u00f6renden Einfl\u00fcssen zu. Die Urheber derjenigen Formeln dagegen, welche ich als experimentale den ersteren gegen\u00fcbergestellt habe, nehmen keine st\u00f6renden Einfl\u00fcsse an, oder sie ber\u00fccksichtigen dieselben nicht als solche; sie sind vielmehr bestrebt, exacte Beziehungen aufzustellen, welche in m\u00f6glichster Uebereinstimmung mit den empirischen Daten stehen. Daneben werden sie freilich zum Theil auch von anderen Erw\u00e4gungen geleitet.\nZur Klarstellung der Sachlage bemerke ich noch, dass die eben gegebene Eintheilung nicht zu verwechseln ist mit der wesentlich verschiedenen F e c h n e r\u2019sehen Eintheilung der Formeln in fundamentale und experimentale1); Fechner versteht n\u00e4mlich unter letzteren allgemein die im Gebiet der \u00e4u\u00dferen Psychophysik bew\u00e4hrbaren Formeln , w\u00e4hrend er die ersteren lediglich auf die innere Psychophysik bezieht. Die experimentalen Formulirungen decken sich hiernach bei ihm mit den Apperceptionsgesetzen, die fundamentalen mit den eigentlichen Empfindungsgesetzen. Meine oben gegebene Eintheilung bezieht sich dagegen \u00fcberhaupt nur auf die Apperceptionsgesetze, die . ich ja in den Vordergrund der Betrachtung zu stellen gedenke. Unter denselben halte ich nur die fundamentalen Formulirungen f\u00fcr geeignet , entweder direct in die innere Psychophysik \u00fcbertragen zu werden , oder als Basis zur Gewinnung eines eigentlichen Empfindungsgesetzes zu dienen.\nDa meist nicht streng zwischen Apperceptions- und Empfindungsgesetz unterschieden wird, dergestalt dass man nicht immer wei\u00df, ob\n1) Vgl. Fechner, In Sachen der Psychophysik S. 13.\n38*","page":579},{"file":"p0580.txt","language":"de","ocr_de":"580\nAlfred K\u00f6hler.\nein Autor von einer Beziehung zwischen Reiz und Empfindungssch\u00e4tzung oder von einer solchen zwischen Reiz und Empfindung redet, so hebe ich ausdr\u00fccklich f\u00fcr das Folgende hervor, dass ich der K\u00fcrze halber in der Regel den Ausdruck \u00bbEmpfindung\u00ab statt \u00bbEmpfindungssch\u00e4tzung\u00ab gebrauchen werde, ausgenommen da nat\u00fcrlich, wo diese Ausdr\u00fccke als Gegens\u00e4tze Vorkommen.\nI. Die fundamentalen psychophysischen Gesetze.\nHierher rechne ich die Formulirungen von Fechner, Wundt, Delboeuf, Bernstein, Brentano und Plateau. Ehe ich zu den einzelnen Gesetzen \u00fcbergehe, wird es zweckm\u00e4\u00dfig sein, die gemeinschaftliche Grundlage derselben einer summarischen Betrachtung zu unterwerfen, soweit dies im Allgemeinen m\u00f6glich ist ; wir werden dann bei den einzelnen Gesetzen mehr oder weniger darauf zur\u00fcckzukommen haben.\nIn der genannten Hinsicht sind es besonders zwei Punkte, die eine Rolle spielen, einmal n\u00e4mlich, wie es in der Natur meiner ganzen Aufgabe liegt, das Weh er\u2019sehe Gesetz, und ferner das sogenannte Gesetz der Schwelle.\nWenden wir uns zun\u00e4chst zu dem Weher\u2019sehen Gesetz. Dasselbe l\u00e4sst sich in folgender Form aussprechen:\nDer Unterschied zweier Reize muss proportional den Reizgr\u00f6\u00dfen wachsen, wenn gleich merkliche Unterschiede der Empfindung entstehen sollen. Bezeichnet man die Gr\u00f6\u00dfe des Reizes, welcher eine Empfindung von der St\u00e4rke s ausl\u00f6st, durch r ; den Zuwachs zum Reiz, der n\u00f6thig ist, um eine eben merkbare oder \u00fcberhaupt eine gleich merkliche Aenderung Js der Empfindung hervorzurufen, durch Jr, so dr\u00fcckt sich das Weher sehe Gesetz mathematisch so aus :\n= Const., Js \u2014 const.,\nwo nat\u00fcrlich Const, und const, von einander verschiedene Constanten bedeuten.\nInwieweit das Gesetz mit den beobachteten Thatsachen im Einklang steht, ist Sache der Empirie. Die Autoren derjenigen psychophysischen Gesetze, welche ich als fundamentale bezeichnet habe, st\u00fctzen sich auf das Weher\u2019sche Gesetz in der vorstehenden mathe-","page":580},{"file":"p0581.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die haupts\u00e4chlichsten Versuche einer mathematischen Formulirung etc. 581\nmatischen Form, sehen also von seinen tats\u00e4chlichen Abweichungen ab ; die experimentalen Gesetze beruhen auf Modificationen des obigen Gesetzes.\nGestehen wir nun der obigen mathematischen Formulirung des Weber \u2019sehen Gesetzes fundamentale G\u00fcltigkeit in dem fr\u00fcher angegebenen Sinne zu, so fragt sich, ob dieselbe in mathematischer Beziehung vollkommen vorwurfsfrei ist. In der That hat Langer1) einen Ein wand erhoben.\nAus der Formel ~ = Const, oder Ar \u2014 r . Const, ergibt sich\nf\u00fcr jeden Werth von r der zugeh\u00f6rige Zuwachs Ar, dem eine constante Zunahme As von s entspricht. F\u00fcr r \u2014 0 ergibt sich nun aber Ar = 0, und das w\u00fcrde hei\u00dfen: zum Reiz r \u2014 0 muss der Zuwachs Ar \u2014 0 hinzukommen, damit die Empfindung um die constante Zunahme As wachse, was nat\u00fcrlich sinnlos ist. Man kann es nun einmal als einen Mangel des Gesetzes betrachten, dass es f\u00fcr r = 0 nicht mehr zu gelten scheint ; und man kann ferner in Bezug auf die Thatsachen einen anderen Verlauf des Gesetzes fordern; namentlich das letztere hat Langer betont.\nWas die erstgenannte Inconsequenz betrifft, so \u00fcberzeugt man sich leicht, dass sie nicht etwa auf einem Widerspruch mathematischer Folgerungen mit Thatsachen beruht, und dass sie \u00fcberhaupt nur eine scheinbare ist. Die Logarithmen der nat\u00fcrlichen Zahlen wachsen bekanntlich in arithmetischer Progression, w\u00e4hrend diese selbst in geometrischer Progression zunehmen. Bezeichnen wir also den zur Zahl z geh\u00f6rigen Logarithmus durch l, die beiderseitigen entsprechenden Zuw\u00fcchse durch Az und Al, so besteht hier das dem Web er\u2019sehen Gesetz ganz analoge Gesetz:\n= Const., Al \u2014 const.,\nZ\t7\t7\n\u25a0und es ist sofort klar, dass wir es hier im Gebiet der reinen Mathematik mit derselben Inconsequenz zu thun haben ; sie kann also nur mne scheinbare sein. Sie l\u00e4sst sich in der That sehr einfach dadurch erkl\u00e4ren, dass der Nullwerth von z absolut gefasst worden ist, w\u00e4hrend man ihn mathematisch nur relativ, also als etwas unendlich\n1) Langer, Die Grundlagen der Psychophysik. Jena 1876, S. 56 u. 58.","page":581},{"file":"p0582.txt","language":"de","ocr_de":"582\nAlfred K\u00f6hler.\nKleines aufzufassen hat. Nach dieser letzten Auffassung wird f\u00fcr 2 = 0 Jz unendlich klein, nicht aber absolut Null. Hiernach d\u00fcrfte die genannte Inconsequenz als eine nur scheinbare als beseitigt anzusehen sein.\nNicht so einfach d\u00fcrfte es sein, den Einwand Lan g er\u2019s zur\u00fcckzuweisen. Langer fordert n\u00e4mlich, dass f\u00fcr r = 0 Jr sich auf den Schwellenwerth reducire. Hierdurch werden wir zu dem Gesetz der Schwelle gef\u00fchrt ; mit diesem m\u00fcssen wir uns daher zun\u00e4chst n\u00e4her besch\u00e4ftigen.\nDas Schwellengesetz sagt aus, dass eine Empfindung, sowie ein Unterschied zwischen Empfindungen, nicht erst unmerklich f\u00fcr das Bewusstsein wird, wenn der Reiz oder Reizunterschied, von dem sie ahh\u00e4ngen, auf einen Nullwerth der Einwirkung herahgekommen ist, sondern schon hei einem endlichen Werth desselben f\u00fcr das Bewusstsein schwindet; diesen endlichen Werth des Reizes resp. des Reizunterschiedes, welcher \u00fcberstiegen werden muss, damit eine Empfindung resp. Unterscheidung von Empfindungen stattfindet, nennt man die Reizschwelle resp. Unterschiedsschwelle.\nMan hat dar\u00fcber gestritten und man streitet jetzt noch dar\u00fcber, ob es sich wirklich so verh\u00e4lt, wie es das Schwellengesetz behauptet; man hat es auf mehrfache Weise zu entkr\u00e4ften versucht, so z. B. durch die Beobachtung, dass ein schwacher Schall in seiner Fortleitung durch die Luft so geschw\u00e4cht wird, dass er gar nicht bis zum Ohr gelangt, so dass also f\u00fcr das Ohr gar kein physikalischer Reiz existirt. Nun l\u00e4sst sich aber nicht das Gesetz der Unterschiedsschwelle leugnen; denn es ist eine bekannte Thatsache, dass zwei ohjectiv verschiedene Reize, die stark genug sind, um einzeln wirkend deutliche Empfindungen auszul\u00f6sen, nur dann als verschieden erkannt werden, wenn sie um eine gewisse endliche Gr\u00f6\u00dfe von einander verschieden sind. Da nun eine gewisse Analogie zwischen Unterschieds- und einfacher Reizschwelle besteht, so liegt es nahe vom Bestehen der ersteren auf das der letzteren zu schlie\u00dfen. Dass dieser Schluss in der That viel f\u00fcr sich hat, geht noch klarer aus einer strengen Unterscheidung zwischen der Empfindung selbst und dem Merkliehkeits-grad derselben und aus einer Gegen\u00fcberstellung des wechselseitigen Verhaltens beider hervor.\nMan stimmt allgemein \u00fcberein in der Auffassung, dass jedem he-","page":582},{"file":"p0583.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die haupts\u00e4chlichsten Versuche einer mathematischen Formulating etc. 5\u00a73\nstimmten Reiz eine bestimmte Empfindung entspricht; auch wenn zwei Reize sich um weniger als die Unterschiedsschwelle unterschei-scheiden, sagt man, dass sie Empfindungen von verschiedener Intensit\u00e4t ausl\u00f6sen ; der Reihe unendlich vieler Reizintensit\u00e4ten zwischen den Reizen r und r + Jr theilt man eine eben solche Reihe unendlich vieler Empfindungsintensit\u00e4ten zu, die ihnen entsprechen. Mit anderen Worten: man sagt, die Empfindung wachse stetig mit dem Reiz. Nicht ebenso ist es mit dem Merklichkeitsgrad der Empfindung. So lange sich zwei Reize um weniger als die Unterschiedsschwelle von einander unterscheiden, l\u00f6sen sie Empfindungen aus, die f\u00fcr unser Bewusstsein dieselbe Merklichkeit besitzen ; daher unterscheiden wir sie nicht von einander. Entspricht einem Reiz r der Merklichkeitsgrad m, so bleibt dieser f\u00fcr die ganze Reihe der Reizintensit\u00e4ten zwischen r und r + dr derselbe, f\u00fcr den Reiz r + dr springt derselbe pl\u00f6tzlich von m auf m + dm. Man kann also von der Merklichkeit der Empfindung nicht ein eben solches stetiges Zunehmen mit wachsendem Reiz behaupten, wie wir es f\u00fcr die Empfindung selbst annehmen. Will man sich ein geometrisches Bild von der Abh\u00e4ngigkeit der Empfindung resp. der Merklichkeit derselben vom Reiz machen, so trage man auf einer Abscissenaxe von einem bestimmten Anfangspunkt aus die Reizintensit\u00e4ten ab und stelle die zugeh\u00f6rigen Empfindungen resp. deren Merklichkeitsgrade durch die entsprechenden Ordinaten dar. Die Endpunkte dieser Or-dinaten bilden dann im ersten Fall eine stetige Curve, im zweiten dagegen eine treppenf\u00f6rmige Figur, also eine unstetige Curve.\nMacht man sich von dem gegenseitigen Verhalten von Empfindung und Merklichkeit derselben ein derartiges Bild, so bietet sich von selbst als einfachste und nat\u00fcrlichste Annahme die, dass die Empfindung gleichzeitig mit dem Reiz gegen Null abnimmt, dass dagegen die Empfindung erst eine gewisse Gr\u00f6\u00dfe, die Empfindungsschwelle \u00fcbersteigen muss, bevor sie f\u00fcr unser Bewusstsein merkbar wird. Hiernach w\u00fcrde f\u00fcr die Empfindung selbst keine Reizschwelle anzunehmen sein, wohl aber f\u00fcr die Apperception der Empfindung. Mit dieser Ansicht w\u00fcrde freilich das Fechner\u2019sche Gesetz als Empfin-dungsgesetz nicht vereinbar sein, worauf ich gelegentlich zur\u00fcckkommen werde.\nWir wenden uns nun wieder zum obigen Einwand Langei's.","page":583},{"file":"p0584.txt","language":"de","ocr_de":"584\nAlfred K\u00f6hler.\nNimmt man keine Reizschwelle an, ein Fall, der sich wie bemerkt nur auf die Empfindung selbst beziehen l\u00e4sst, so f\u00e4llt offenbar der erw\u00e4hnte Einwand von selbst. Wie nun, wenn man eine Reizschwelle annimmt, ein Fall, der sich wahrscheinlich nur auf die Apperception der Empfindung bezieht? \u2014 Nehmen wir an, dass die Reizschwelle dem Reizwerthe r = q entspreche, so schwindet also f\u00fcr r = q die Merklich-keit der Empfindung ; f\u00fcr Reizwerthe r<^q besteht dann f\u00fcr unser Bewusstsein keine Empfindung mehr. Denken wir uns nun einen Reiz / <[ q von der Art, dass, wenn man ihn vergr\u00f6\u00dfert um den aus dem Weber\u2019schen Gesetz folgenden Zuwachs Jr' = r' . Const., auch r' -f- Jr noch kleiner als die Reizschwelle q bleibt, so wird der Reiz r -\\- Jr' ebenso wie r\u2019 keine f\u00fcr unser Bewusstsein merkbare Empfindung ausl\u00f6sen, w\u00e4hrend nach dem Weber\u2019schen Gesetz ein Zuwachs in der Merklichkeit der Empfindung eintreten sollte. Die Forderung Langer\u2019s, dass das Weber\u2019sche Gesetz eine solche Form haben m\u00fcsse, dass f\u00fcr r \u2014 0 Jr sich auf die Reizschwelle q reducirt, scheint demnach nicht ganz unbegr\u00fcndet.\nFechner entgegnet \u00bbIn Sachen der Psychophysik\u00ab S. 39 Langer mit folgenden Worten: \u00bbDie Forderung Langer\u2019s, dass f\u00fcr r = 0 der Werth Jr gleich der Reizschwelle werde, h\u00e4ngt damit zusammen, dass er einen Nullwerth der Empfindung nicht, wie von uns geschieht, bei einem endlichen Werthe von r, sondern heim Nullwerth von r annimmt\u00ab etc. In diesen Worten an und f\u00fcr sich kann man indess kaum eine Widerlegung der Langer\u2019schen Forderung finden; denn gerade in dem Falle, dass man annimmt, Reiz und Empfindung werden gleichzeitig Null, f\u00e4llt der Langer\u2019sche Einwand, wie oben bemerkt wurde. Im anderen Falle dagegen, wo man den Nullwerth der Empfindung resp. deren Merklichkeit einem endlichen Reizwerth entsprechen l\u00e4sst, gilt offenbar das Weber\u2019sche Gesetz an und f\u00fcr sich nicht, weil eben f\u00fcr r <[ q s \u2014 0 ist. Nun nehmen aber Fechner und Andere f\u00fcr r <[ q nicht Nullwerthe der Empfindung, sondern negative Empfindungen an. Hiermit ist die besprochene Schwierigkeit auf die negativen Empfindungswerthe \u00fcbertragen ; hierauf kann ich jedoch erst sp\u00e4ter n\u00e4her eingehen, weil ihr ganzes Wesen sich viel besser in Verbindung mit der Fechner\u2019schen Formel besprechen l\u00e4sst.","page":584},{"file":"p0585.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die haupts\u00e4chlichsten Versuche einer mathematischen Formulirung etc. 585\n1. Das Fechner\u2019sche Gesetz.1)\nDas Fechner\u2019sche psychophysische Gesetz ist bekanntlich das fr\u00fcheste dieser Art ; es dient der Psychophysik auch jetzt noch als ein Grundstein, auf den man sich bei weiteren Untersuchungen st\u00fctzt. Wenn man es auch immer wieder angegriffen hat, so ist man doch andererseits immer auf dasselbe zur\u00fcckgegangen, um von ihm aus wenn m\u00f6glich ein besseres Gesetz zu gewinnen. Schon der Umstand, dass es mehr als andere der aufgestellten Gesetze einer eingehenden Untersuchung f\u00fcr werth erachtet wird, ist ein Kennzeichen f\u00fcr seine Bedeutung. Wir haben daher Grund genug, es den anderen Gesetzen dieser Art voranzustellen. \u2014 Ich gehe zun\u00e4chst zur Ableitung des Gesetzes \u00fcber.\nDas Weher\u2019sche Gesetz lautete:\n\u2014 Const., Js = const.\nr\nAus diesen Beziehungen folgt, wenn man die erste derselben mit einer neuen Constanten k von der Art multiplicirt, dass\nk . Const. = const, wird, unmittelbar die Beziehung:\n1)\tJs = k .\t.\nEs ist sofort klar, dass die Constante k die Bedeutung einer Empfindung haben muss.\nUm von der Formel 1) zu einer Beziehung zwischen r und s zu gelangen, f\u00fchrt Fechner 1) zun\u00e4chst \u00fcber in die Differentialformel:\n2)\tds = k.-^r.\nGegen diese Ueberf\u00fchrung d\u00fcrfte kaum etwas einzuwenden sein; sie setzt ja blo\u00df eine stetige Abh\u00e4ngigkeit von s und r voraus, und da Fechner sein Gesetz als Empfindungsgesetz auffasst, so ist diese Bedingung erf\u00fcllt, wie fr\u00fcher bemerkt wurde.\n1) Das Fechner\u2019sche System der Psychophysik ist niedergelegt in den drei Werken: \u00bbElemente der Psychophysik\u00ab. Leipzig, 1860. \u00bbIn Sachen der Psychophysik\u00ab. Leipzig, 1877. \u00bbRevision der Hauptpunkte der Psychophysik\u00ab. Leipzig, 1882.","page":585},{"file":"p0586.txt","language":"de","ocr_de":"586\nAlfred K\u00f6hler.\nAus 2) ergibt sieb nun durch Integration unmittelbar die endliche Beziehung :\n3)\ts \u2014 k . log r + const.\nUm den Werth der Constanten zu bestimmen, ist es n\u00f6thig, dass man f\u00fcr einen bestimmten Reizwerth den Werth der zugeh\u00f6rigen Empfindung kenne. Nach dem Schwellengesetz, wie es oben ausgesprochen wurde, ist nun f\u00fcr r = q s = 0, so dass aus 3) folgt :\n0 = k . log Q + const., also\tconst. \u2014 \u2014 k . log q,\nund hierdurch geht nun schlie\u00dflich die Gleichung 3) \u00fcber in : s \u2014 k . log r \u2014 k . log q\noder 4)\ns = k . log\nr\n? \u2019\nDies ist die von Fechner aufgestellte mathematische Formuli-rung des psychophysischen Gesetzes.\nWill man sich ein geometrisches Bild machen von der Abh\u00e4ngigkeit zwischen s und r, die durch 4) dargestellt wird, so deute man s und r als Coordinaten in einem rechtwinkeligen Axensystem und zwar die Reizwerthe r als Abscissen x x\\ die Empfindungswerthe s als Or-dinaten y y', wie es die nachfolgende Figur zeigt :\nDie Curve, welche durch die Gleichung 4) dargestellt wird, ist eine logarithmische Linie. Wie wir schon wissen, verschwindet s f\u00fcr r = wenn a den Schwellenwerth bezeichnet ; f\u00fcr Reizwerthe r^>a ist auch","page":586},{"file":"p0587.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die haupts\u00e4chlichsten Versuche einer mathematischen Formulirung etc. 587\n0; f\u00fcr r <C. a dagegen nimmt s negative Werthe an. Aus dem Werthe des Differentialquotienten von s nach r :\nds k\ndr\tr \u2019\nder f\u00fcr positive Werthe von r stets positiv bleibt, folgt, dass die Empfindung s mit wachsendem r best\u00e4ndig zunimmt. Da f\u00fcr r = 0\n\u00e8i- = oo wird, so n\u00e4hert sich die Curve mit wachsendem r dem Pa-\ndr\t1\nrallelismus mit der r-Axe. F\u00fcr gro\u00dfe Reizwerthe w\u00e4chst also die Empfindung verh\u00e4ltnissm\u00e4\u00dfig langsam. Das Maximum der Empfindung tritt nach der Formel 4) ein f\u00fcr r = oo , das Minimum derselben f\u00fcr r = 0.\nNach dieser kurzen Orientirung \u00fcber den Charakter der Curve komme ich zur Kritik der F echn er\u2019sehen Formel 4) in mathematischpsychophysischer Hinsicht. Bez\u00fcglich der Ableitung von 4) ist schon bemerkt worden, dass sich gegen dieselbe im Allgemeinen nichts einwenden l\u00e4sst; nur bez\u00fcglich der Bestimmung der Integrationscon-stanten sei noch hinzugef\u00fcgt, dass dieselbe in der gegebenen Weise nur unter der Voraussetzung des Schwellengesetzes m\u00f6glich ist. Das Schwellengesetz in der Fechner\u2019schen Auffassung ist aber nach meiner fr\u00fcheren Darstellung etwas problematisch ; als wahrscheinlicher erscheint es, dass f\u00fcr die Empfindung selbst keine Schwelle besteht, wohl aber hinsichtlich der Apperception der Empfindung ; als wahrscheinlicher bietet sich mit anderen Worten die Annahme, dass die Empfindung selbst gleichzeitig mit dem Reiz Null wird. Hiernach w\u00fcrde die obige Constantenbestimmung nicht mehr m\u00f6glich sein, da sich f\u00fcr Const, der Werth unendlich ergeben w\u00fcrde. Auch eine andere brauchbare Art der Constantenbestimmung bietet sich nicht, und man kommt so zu dem schon fr\u00fcher angedeuteten Resultat, dass das Eech-n er \u2019sehe Empfindungsgesetz mit der oben als sehr wahrscheinlich hingestellten Ansicht \u00fcber das Schwellengesetz unvertr\u00e4glich ist, so dass entweder das erstere nicht bestehen kann, oder die letztere nicht richtig ist.\nIn der Formel nun, wie sie nach der Fechner\u2019schen Ableitung uns vorliegt, findet sich ein Punkt, in welchem sie immer wieder angegriffen worden ist ; derselbe besteht darin, dass 4) f\u00fcr Reizwerthe r, welche unter dem Schwellenwerthe \u00e7 liegen, negative Empfindungs-","page":587},{"file":"p0588.txt","language":"de","ocr_de":"588\nAlfred K\u00f6hler.\nwerthe, ja f\u00fcr r = 0 sogar s = \u2014 oo liefert. Diese Folgerungen F\u00e4ngen damit zusammen, dass nach dem Fechner\u2019schen Schwellengesetz die Empfindung f\u00fcr einen endlichen Werth q des Reizes Null wird. \u00dfje genannten Folgerungen kann man nicht ohne Weiteres als in inniger Uebereinstimmung mit den Thatsachen bezeichnen, und ist daher Grund vorhanden, sie zu einem Angriffspunkt zu machen. Dass \u00fcberhaupt ein solcher Punkt hier vorliegt, in dem die Formel nicht ganz befriedigt, kann uns nicht wundern; denn das Fechner\u2019sche Gesetz basirt ja auf dem Weber\u2019schen und dem Schwellengesetz. Die M\u00e4ngel, die ich an diesen schon fr\u00fcher besprochen habe, m\u00fcssen demnach in das Fechner\u2019sche Gesetz her\u00fcbergekommen sein; auch hatte ich schon fr\u00fcher daraufhingedeutet, dass sich jene M\u00e4ngel in den negativen Empfindungswerthen wiederfinden w\u00fcrden.\nDas Auftreten negativer Empfindungswerthe in der Fechner-schen Formel bietet offenbar urspr\u00fcnglich etwas Unbefriedigendes; von vorn herein, d. h. ohne durch die [Formel auf negative Werthe von s gef\u00fchrt zu sein, w\u00fcrde offenbar Niemand daran denken, von negativen Empfindungen und einer Bedeutung derselben zu reden, und so ist denn auch erst nachtr\u00e4glich, nachdem man rein mathematisch auf negative Empfindungen gef\u00fchrt worden war, von Fechner und Anderen versucht worden, dieselben zu deuten. Die Bedeutung dieser negativen Empfindungen soll nun darin bestehen, dass man in ihnen ein Ma\u00df f\u00fcr das zu sehen habe, was noch zum Zustandekommen der Empfindung fehle.\nSo befriedigend diese Deutung auf den ersten Anschein ist, so gibt sie doch zu Bedenken Anla\u00df, namentlich f\u00fcr den Specialfall t \u2014 0, in welchem nach der Formel s \u2014 \u2014 oo wird. Die obige Deutung, auf diesen Specialfall angewandt, w\u00fcrde n\u00e4mlich lauten: es fehlt unendlich viel, ehe eine Empfindung zu Stande kommt. Nach unsrer Anschauung scheint es aber richtiger, dass zum Zustandekommen einer kleinen Empfindung nicht unendlich viel, sondern nur wenig fehlt.\nAu\u00dfer diesem Bedenken, welches vielfach erhoben worden ist, haben sich in besonderer Weise namentlich Langer und Delboeuf gegen die negativen Empfindungswerthe gewandt. Langer1) begr\u00fcndet seine Ansicht auf folgende Weise: \u00bb Die negativen Empfiu'\n1) Langer, a. a. O. S. 51.","page":588},{"file":"p0589.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die haupts\u00e4chlichsten Versuche einer mathematischen Formulirung etc. 589\ndungswert^e m\u00fcssen unter allen Umst\u00e4nden solche sein, die mit gleich gro\u00dfen positiven verkn\u00fcpft den Werth Null gehen; dies allein entspricht dem Gegensatz des Positiven und Negativen. D\u00e4chte man sich einen endlichen Reiz, der die Empfindung s hervoriefe, und einen anderen Reiz, kleiner als der Schwellenwerth, der die Empfindung\n__s hervorriefe, so m\u00fcsste das gleichzeitige Wirken beider Reize die\nEmpfindung Null hervorrufen, wenn die Beziehung bestehen sollte. Bei allem und jedem Gegensatz kommt diese Betrachtungsweise zur Geltung, weil sie die Definition des Gegensatzes der positiven und negativen Gr\u00f6\u00dfen ausmacht.\u00ab\nDiese Kritik Lang er\u2019s w\u00fcrde f\u00fcr die negativen Empfindungs-werthe eine vernichtende sein, wenn sie richtig w\u00e4re. Es ist indessen in derselben nur der erste Satz betreffend die Definition der negativen Empfindungen richtig. Diese Definition ist in der That von der Art, wie man sie f\u00fcr die negativen Gr\u00f6\u00dfen in der Mathematik \u00fcberhaupt gibt. Aus derselben folgt aber umgekehrt ganz von selbst, dass die negative Empfindung mit der gleich gro\u00dfen positiven Empfindung verkn\u00fcpft Null gibt; es folgt das ganz ohne R\u00fccksicht darauf, was die negative Empfindung an sich ist; diese Folgerung ist eine rein logische, mathematische, auf die gegebene Definition gegr\u00fcndete. Ein Analogon hierzu ist folgendes : Man definirt gew\u00f6hnlich die Division als diejenige Operation, bei welcher diejenige Zahl (Quotient) gesucht wird, welche mit dem Divisor multiplicirt den Dividendus gibt. Aus dieser Definition folgt aber rein formal, ohne R\u00fccksicht auf das, was die in Rechnung gezogenen Gr\u00f6\u00dfen bedeuten, dass das Product aus dem Quotienten in den Divisor gleich dem Dividendus ist.\nLanger verwendet seine Definition das Negativen anders, als es nach dem Gesagten zu geschehen hat, wodurch er freilich die negativen Empfindungswerthe scheinbar sehr schlagend, aber eben f\u00e4lschlicher Weise beseitigt. Er verlangt n\u00e4mlich dem oben angef\u00fchrten Wortlaut gem\u00e4\u00df, dass das Zusammenwirken der beiden Reize , welche einzeln wirkend gleiche, aber entgegengesetzte Empfindungen ausl\u00f6-sen, die Empfindung Null hervorrufe. Das ist aber etwas ganz anderes , als wenn eine positive mit der gleich gro\u00dfen negativen Empfindung verkn\u00fcpft Null geben soll. Beide Auffassungen w\u00fcrden sich nur dann decken, wenn Reiz und Empfindung im Yerh\u00e4ltniss der Proportionalit\u00e4t zu einander st\u00e4nden. Dies wird noch klarer hervortreten,","page":589},{"file":"p0590.txt","language":"de","ocr_de":"590\nAlfred K\u00f6hler.\nwenn wir ein analoges Beispiel aus der Physik betrachten. Hierz eignet sich besonders das schon fr\u00fcher angef\u00fchrte Beispiel der pro portionalit\u00e4t zwischen den H\u00f6hendifferenzen und den Logarithmen der Verh\u00e4ltnisse der entsprechenden Barometerst\u00e4nde:\nH\u2014 h = k . log p\neine Formel, welche der Fechner\u2019sehen in ihrer \u00e4u\u00dferen Form vollst\u00e4ndig entspricht. Rechnen wir die H\u00f6he von einem Punkte an, welchem der Barometerstand B zugeh\u00f6rt, so haben wir h = 0 zu setzen und wir bekommen dann die auf diesen Nullpunkt bezogene absolute Formel :\nH\u2014 k . log ~\nF\u00fcr b \u2014 B wird hiernach H= 0; f\u00fcr einen gewissen Werth b = b' B wird II einen bestimmten positiven Werth annehmen, H\u2014 H'. Diesem entsprechend wird es weiter einen Werth b = b\" <^B geben, f\u00fcr welchen H \u2014 \u2014 II' wird. Es m\u00fcssen also einzeln die Beziehungen bestehen :\nH' = k . log p = k . log B \u2014 Je . log b'\n\u2014 H' = h . log - = Je . log B \u2014 Je. log b\" .\nDurch Addition folgt :\n2 k . log B = k . log V . b\", und hiernach muss die Beziehung\nBi \u2014 b' . b\"\nbestehen, wenn die den Barometerst\u00e4nden b' und b\" zugeh\u00f6rigen H\u00f6hen gleich, aber entgegengesetzt sind. Nach Danger\u2019s Auffassung dagegen m\u00fcsste sein :\noS2r-ir = *.]og^.\nDas ist nur m\u00f6glich, wenn B = b' -j- b\" ist, d. h. wenn ebenso, wie Null das arithmetische Mittel zwischen H' und \u2014 II' ist, B das doppelte arithmetische Mittel zwischen b' und b\" w\u00e4re, was eben nicht der Fall ist; es w\u00fcrde dies nur dann zutreffen, wenn Proportionalit\u00e4t","page":590},{"file":"p0591.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die haupts\u00e4chlichsten Versuche einer mathematischen Formulirung etc. 591\nbest\u00e4nde zwischen den H\u00f6hen und den entsprechenden Barometerst\u00e4nden. Nur f\u00fcr eine solche specielle Abh\u00e4ngigkeit w\u00fcrde L anger\u2019s Auffassung sich mit der richtigen Auffassung decken ; im Allgemeinen aber ist dieselbe falsch, und damit d\u00fcrfte der besprochene Einwand als beseitigt anzusehen sein.\nDelboeuf schlie\u00dft sich einerseits der Ansicht Langer\u2019s an, dass die Einf\u00fchrung negativer Empfindungen dem berechtigten Gebrauch positiver und negativer Zahlen \u00fcberhaupt nicht entspreche; in dieser Hinsicht trifft die eben gegebene Widerlegung auch ihn. Andrerseits aber wendet Delboeuf ein: \u00bbWir k\u00f6nnen negative Empfindungen a priori verwerfen, weil die Empfindungen nothwendig etwas sind und weil der Ausdruck \u00bb\u00bbnegative Empfindung\u00ab\u00ab ein Unsinn ist.\u00ab Hiergegen verwahrt sich Fe chner, indem er sagt, die negativen Empfindungen seien freilich ein Unsinn, wenn man einen solchen darunter verstehen wolle ; sie haben aber eine Bedeutung, wenn man sie nur richtig auslege.\nEs fragt sich nun, ob es eine brauchbare Auslegung der negativen Empfindungen gibt und ob die Fe chner\u2019sehe die richtige ist.\nUm diese in der Psychophysik eine so wichtige Rolle spielende Frage von einem allgemeineren Gesichtspunkt zu beleuchten, lege ich eine Auseinandersetzung zu Grunde, die sich in Hankel, \u00bbComplexe Zahlen\u00ab pag. 6 findet. Es hei\u00dft dort : \u00bbWill man die h\u00e4ufig gestellte Frage beantworten, ob eine gewisse Zahl m\u00f6glich oder unm\u00f6glich sei, so muss man sich zun\u00e4chst \u00fcber den eigentlichen Sinn dieser Frage klar werden etc. Als unm\u00f6glich gilt dem Mathematiker streng genommen nur das, was logisch unm\u00f6glich ist, d. h. sich selbst widerspricht. Dass in diesem Sinn unm\u00f6gliche Zahlen nicht zugelassen werden k\u00f6nnen, bedarf keines Beweises. Sind aber die betreffenden Zahlen logisch m\u00f6glich, ihr Begriff klar und bestimmt definirt und ohne Widerspruch, so kann jene Frage nur darauf hinauskommen, ob es im Gebiet des Realen oder des in der Anschauung Wirklichen, des Actuellen ein Substrat derselben, ob es ein Object gebe, an welchem die Zahl, also die intellectuelle Beziehung der bestimmten Art zur Erscheinung komme. In diesem Sinne konnte man die aus Y\u2014 1 zusammengesetzten Zahlen so lange unm\u00f6glich nennen, als man keinerlei anschauliche Darstellung derselben kannte. Nachdem aber die Zahlen a -J- b ]/\u20141 eine geometrische Darstellung gefunden haben,","page":591},{"file":"p0592.txt","language":"de","ocr_de":"592\nAlfred K\u00f6hler.\nund ihre Operationen geometrisch gedeutet worden sind, kann man in keiner Weise dieselben als unm\u00f6glich bezeichnen.\u00ab\nIn diesen Worten ist klar ausgedr\u00fcckt, worauf es ankommt; eg handelt sich n\u00e4mlich um die rein formale., logische G\u00fcltigkeit einer Gr\u00f6\u00dfe, einer Zahl einerseits, und um ihre reale Existenz andrerseits Rein logisch, rein mathematisch betrachtet ist nun offenbar das Negative, die negative Gr\u00f6\u00dfe nicht unm\u00f6glich, also auch nicht die negative Empfindung, und hiernach f\u00e4llt sehr einfach der fr\u00fcher erw\u00e4hnte, rein theoretische Einwand Langer\u2019s, dessen Unhaltbarkeit ich schon auf anderem Wege dargelegt habe. Es fragt sich nun aber, ob der negativen Empfindung in diesem rein logischen Sinn ein Substrat im Gebiet des Realen oder des in der Anschauung Wirklichen entspricht. Fechner w\u00fcrde mit \u00bbja\u00ab antworten; denn er hat ja seinen negativen Empfindungen eine Bedeutung untergelegt. Ich finde indess eine so unbedingt bejahende Antwort bedenklich; denn die von Fechner den negativen Empfindungen beigelegte Bedeutung ist eben nur eine Auslegung im wahren Sinn des Wortes; ihr selbst entspricht nichts Reales, weil, wie Delboeuf ganz richtig bemerkt, die negative Empfindung a priori nichts Reales ist.\nH\u00f6ren wir noch, was Harnack im seiner \u00bbDifferential- und Integralrechnung\u00ab (Leipzig, 1881) S. 4. \u00fcber diesen Gegenstand sagt: \u00bbIn der Natur existiren f\u00fcr sich betrachtet weder positive noch negative Zahlen ; es existiren nur z\u00e4hlbare Dinge. Die Unterscheidung von positiven und negativen Zahlen \u2014 Bezeichnungen, die nur im Gegensatz zu einander verstanden werden k\u00f6nnen \u2014 hat auch nur f\u00fcr die Operationen des Addirens und damit f\u00fcr alle anderen Rechnungsoperationen eine Bedeutung. Bei Anwendung der Rechnung auf physikalische Probleme ist es aber h\u00e4ufig sehr zweckm\u00e4\u00dfig, Gr\u00f6\u00dfen, mit denen gerechnet wird, im Sinne der positiven und negativen Einheit zu unterscheiden.\u00ab Daraus geht hervor, dass das Negative sowohl wie das Positive wirkliche Gr\u00f6\u00dfen bezeichnen, die sich in ihrer Art durchaus nicht unterscheiden, die vielmehr nur durch einen der Zweckm\u00e4\u00dfigkeit entsprechenden Punkt getrennt sind. Die positive Lime ist eine Linie, und die negative Linie ist ebenfalls eine Linie, ohne dass ihr erst diese Bedeutung beigelegt wird. Nicht ebenso ist die negative Empfindung mit der positiven etwas Gleichartiges.\nDa nach Obigem das Positive und Negative immer nur einen","page":592},{"file":"p0593.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die haupts\u00e4chlichsten Versuche einer mathematischen Formulirung etc. 593\nGegensatz ausdr\u00fcckt, denman, wie Harnack bemerkt, nurderZweck-m\u00e4\u00dfigkeit halber in die Mathematik einf\u00fchrt, w\u00e4hrend er in der Natur eigentlich gar nicht existirt, so muss stets eine Verschiebung des Punktes, von welchem aus der Gegensatz gerechnet wird, also des sogenannten Anfangspunktes m\u00f6glich sein. Eine solche Verschiebung ist in der Geometrie thats\u00e4chlich m\u00f6glich, und sie wird sogar vielfach verwandt. Die Folge ist, dass eine Linie, die in Bezug auf einen ihrer Endpunkte als Anfangspunkt als positiv aufzufassen ist, negativ genommen werden muss, wenn man den Anfangspunkt nach dem anderen Endpunkt der Linie verschiebt. Verlegte man entsprechend den Nullpunkt der Empfindungen, welcher der Reizschwelle entspricht, um die Gr\u00f6\u00dfe \u2014 s, so w\u00fcrde die vorher negative Empfindung von der Gr\u00f6\u00dfe $ nun als positiv aufzufassen sein; das ist aber ganz unvertr\u00e4glich mit der Ungleichartigkeit dieser letzteren Art positiver (d. h. der un-spr\u00fcnglich negativen) Empfindungen und der eigentlich positiven Empfindungen. Eine Verschiebung des Nullpunktes der Empfindungen hat nur dann eine Berechtigung, wenn man denselben nach einem Punkte innerhalb der Empfindungsscala oberhalb der Reizschwelle verlegt; die Empfindungen unterhalb eines solchen Nullpunktes w\u00fcrden dann als negative zu bezeichnen sein. So z. B. stehen die W\u00e4rme- und K\u00e4lteempfindungen in einem nat\u00fcrlichen Gegensatz; zwischen ihnen gibt es einen gewissen Indifferenzzustand. Setzt man diesen als Nullpunkt fest, so sind dann in der That positive und negative Empfindungen zu unterscheiden; beide sind hier etwas Reales, wirkliche Empfindungen.\nSchlie\u00dflich sei noch darauf hingewiesen, dass in der Fechnersehen Deutung der negativen Empfindung schon die Voraussetzung enthalten ist, dass die negative Empfindung nicht eigentlich etwas Reales sei. Jene Deutung bestand darin, dass man in der negativen Empfindung ein Ma\u00df f\u00fcr das sehe, was noch zum Zustandekommen der Empfindung fehle. Hier ist der Ausdruck \u00bbdas, was\u00ab zu allgemein gehalten ; man k\u00f6nnte zweifeln, ob das hinweisende \u00bbdas\u00ab eine Empfindung oder etwas Anderes bezeichnen soll; jedenfalls ist das erstere anzunehmen, und jene Deutung w\u00fcrde dann etwas pr\u00e4ciser so lauten, dass die negative Empfindung ein Ausdruck f\u00fcr die Empfindung sei, die an dem Zustandekommen der eigentlichen Empfindung noch fehle. Hierin liegt aber eben, dass die negative Empfindung nur eine imagi-Wundt, Philos. Studien. III.\t39","page":593},{"file":"p0594.txt","language":"de","ocr_de":"594\nAlfred K\u00f6hler.\nn\u00e4re Fortsetzung der Empfindungsscala unterhalb des Nullpunktes bezeichnet, dass sie aber nicht selbst etwas Reales ist, und man wird immer wieder zu demselben Resultat gelangen, wie man auch die Fechner\u2019sche Deutung drehen und wenden m\u00f6ge.\nMan hat zur Vertheidigung der negativen Empfindung angef\u00fchrt, dass auch die Schuld dem Verm\u00f6gen gegen\u00fcber als negativ in Rechnung gezogen wird, und doch bezeichne die Schuld den Werth einer Summe Geldes, die der Schuldner nicht hat; sie sei also f\u00fcr ihn nichts Reales. Die Sache liegt aber doch anders. Es kann sich nicht darum handeln, ob die Schuld nur f\u00fcr den Schuldner etwas Reales ist; es kommt vielmehr in Betracht, dass sie \u00fcberhaupt etwas Reales, n\u00e4mlich einen Geldwerth bezeichnet; sonst k\u00f6nnte auch das Verm\u00f6gen nicht als positiv in die Rechnung eingef\u00fchrt werden, da es f\u00fcr den, der kein Verm\u00f6gen hat, ebenfalls nichts Reales ist.\nNach allem diesem scheint es doch, dass man, so lange man das Fechner\u2019sche Gesetz als ein Empfindungsgesetz betrachtet, mit den negativen Empfindungen keine exacte Deutung verbinden kann, welche mit den sonstigen logischen Anwendungen des Gegensatzes positiver und negativer Gr\u00f6\u00dfen im Einkl\u00e4nge ist.\nEs fragt sich nun, wie sich die Sache gestaltet, wenn man das Fechner\u2019sche Gesetz nicht als Empfindungsgesetz, sondern als A p-perceptionsgesetz betrachtet, eine Auffassung, die besonders von Herrn Prof. Wundt vertreten wird *). Diese Auffassung besteht darin, dass das Gesetz nicht die Beziehung zwischen Reiz und Empfindung selbst, sondern zwischen Reiz und Apperception der Empfindung darstellen soll. Wesentlich ist, dass hier auch das Schwellengesetz anders aufgefasst wird. W\u00e4hrend Fechner annimmt, dass die Empfindung selbst mit dem Schwellenwerth \u00e7 schwindet, nimmt Wundt an, dass die Empfindung gleichzeitig mit dem Reiz Null wird, dass dagegen die Empfindungen, welche Reizen r < q entsprechen, nicht appercipirt werden. Hiernach also entsprechen den aus der Fechner\u2019schen Formel folgenden negativen Empfindungen ebensowohl wirkliche, reale Empfindungen wie den positiven ; der Unterschied ist nur der, dass letztere appercipirt, erstere nicht appercipirt werden. Dem theoretischen Gegensatz zwischen positiven und nega-\n1) Philos. Stud. II, S. Iff.","page":594},{"file":"p0595.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die haupts\u00e4chlichsten Versuche einer mathematischen Formulirung etc. 595\ntiven Empfindungen entspricht demnach der sachliche Gegensatz zwischen appercipirten und nicht appercipirten Empfindungen, und dieser Gegensatz ist als ein realer zu betrachten.\n' Man beachte ferner Folgendes: Die St\u00e4rke der Apperception h\u00e4ngt von der Gr\u00f6\u00dfe der Empfindung ab; eine st\u00e4rkere Empfindung wird mehr appercipirt. Ebenso werden auch bei den negativen Empfindungen, obgleich sie alle nicht appercipirt sind, verschiedene Grade der Nichtapperception zu unterscheiden sein, ebenso wie die Werthe 0 und oo keine absoluten, sondern je nach Umst\u00e4nden als sehr verschie-denwerthig aufzufassen sind. Hiernach k\u00f6nnen wir sagen, dass die jeweiligen Werthe \u2014 s die Grade der Nichtapperception darstellen ; dem Werthe s \u2014 \u2014 oo f\u00fcr r = 0 w\u00fcrde dann die absolute Nichtapperception beizumessen sein, was sich mit den Thatsachen sehr wohl vertr\u00e4gt. Denn wo kein Reiz ist, kann keine Empfindung und also durchaus keine Apperception derselben eintreten.\nOhne den Anspruch zu erheben, dass diese hier vorgef\u00fchrte Auffassung die allein richtige, dass sie unantastbar und dass das Problem eines psychologischen Gesetzes nun gel\u00f6st sei, wird man doch zugeben m\u00fcssen, dass dieselbe im Allgemeinen befriedigt, dass sie jedenfalls bei weitem den Vorzug vor der Fechner\u2019schen Deutung verdient.\n2. Das Wundt\u2019sche Gesetz.\nHerr Prof. Wundt steht in seinen Ansichten zum gro\u00dfen Theil auf Seiten Fechner\u2019s, trennt sich aber in einem Hauptpunkte, n\u00e4mlich in der Auffassung der Bedeutung des Gesetzes von ihm. Auch seine Ableitung des Gesetzes ist eine von der Fechner\u2019schen wesentlich verschiedene, die wegen besonderer Vorz\u00fcge beachtens-werth ist.\nWundt l) denkt sich die Empfindung, oder besser den Merklich-keitsgrad einer Empfindung s aus einer Reihe von Merklichkeitszuw\u00fcch-sen Js bestehend und setzt dem entsprechend die Beziehung s = n.Js an, wo Js den gleich merklichen Empfindungsunterschied und n die\n1) Wundt, Grundz\u00fcge der physiolog. Psychologie. 2. Aufl. Leipzig, 1880 Bd. I. S. 355.\n39'","page":595},{"file":"p0596.txt","language":"de","ocr_de":"596\nAlfred K\u00f6hler.\nAnzahl derselben bedeutet, welche man successive an einander zu reihen h\u00e4tte, damit die Empfindung von der Merklichkeit s entstehe. Bezeichnen wir wie fr\u00fcher die Reizschwelle durch q , ferner durch r* r2 ... rn die Reize, welchen successive die Merklichkeitsgrade 4s, 2 4s, ..... n . 4 s * entsprechen, so ist nach dem Weber-schen Gesetz :\nr(3 ?2 '\nrin\nQ \u00bb-1 '\nHier setzen wir nun f\u00fcr rn allgemein r und n . 4 s = s, so dass dem Reiz r die Empfindung s \u2014 n . J s zugeh\u00f6rt. Setzen wir dann\naus s \u2014 n . s den Werth n \u2014 -J\u2014 in die Gleichung:\nso folgt :\nfri\\J s\nr==?U\noder:\n(r\\ 4 s /:rAs\n\\e/\t~ \\Q/ '\nHieraus erh\u00e4lt man weiter :\nalso\n4s. log ~ ==r s . log ~,\ns\n4 s\nlog \u2014 6 Q\n4s bedeutet den constanten Merklichkeitszuwuchs ; rx und q sind\nebenfalls Constanten; man kann also den Factor\n4 s n\nlog\nin eine Con-\nstante h zusamenfassen und hat dann als Beziehung zwischen Reiz und Empfindung\ns \u2014 k. log ^,\nwelche mit der E echner\u2019schen Beziehung formal ganz \u00fcbereinstimmt.\nUeber den Verlauf der durch die vorstehende Gleichung darge-stellten Curve gilt ganz dasselbe, wie beim F echner\u2019schen Gesetz.","page":596},{"file":"p0597.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die haupts\u00e4chlichsten Versuche einer mathematischen Formulirung etc. 597\nDie eben vorgef\u00fchrte Ableitung der Wundt\u2019schen Formel weist ganz entschiedene Vorz\u00fcge anderen Ableitungen gegen\u00fcber auf. In dieser Beziehung sei an erster Stelle erw\u00e4hnt, dass einer im Eingang \u00fcber die Messbarkeit der Empfindung betonten Forderung in klarer Weise entsprochen ist. Ich bemerkte dort, dass es m\u00f6glich sein muss, die Empfindung durch eine Einheit ihrer Art zu messen, bevor man \u00fcberhaupt eine Beziehung zwischen Reiz und Empfindung aufstellen k\u00f6nne, und dass man thats\u00e4chlich in der Praxis eine Ma\u00dfeinheit der Empfindung zu Grunde lege, ohne dass man sich dessen immer bewusst sei. Hier bei der AVundt\u2019schen Ableitung tritt dies klar zu Tage; es wird ausdr\u00fccklich die Empfindung s aus n gleichen Merklichkeitsstu-fen Js zusammengesetzt gedacht, so dass also Js die Einheit ist, in welcher die Empfindung s gemessen wird.\nNeben diesem Vorzug der Wundt\u2019schen Ableitung', der viel zur Klarheit der ganzen Sachlage beitr\u00e4gt, ist noch ein anderer bemer-kenswerth. In die Fechner\u2019sche Formel ist die Constante Je eingef\u00fchrt worden, ohne dass man von vorn herein ihre Bedeutung kennt ; man wei\u00df nur, dass sie ein sogenannter Proportionalit\u00e4tsfactor ist, und man erkennt dann aus der Beziehung, in welcher sie vorkommt, dass sie eine gewisse Empfindung ausdr\u00fccken muss ; welche, bleibt zun\u00e4chst noch unbekannt. Es ist dies nicht gerade als ein Mangel der Fe ohne r\u2019schen Ableitung zu betrachten und ist daher auch gelegentlich der Kritik des F e chn er\u2019schen Gesetzes hierauf gar nicht eingegangen worden. Auch in der Physik f\u00fchrt man ja Proportionalit\u00e4tsfactoren ein, deren Bedeutung man erst nachtr\u00e4glich erkl\u00e4rt. So sagt man bei der gleichf\u00f6rmigen Bewegung eines Punktes, der Weg sei proportional der Zeit, in welcher der Weg zur\u00fcckgelegt wird, also\ns = const. t = c . t\nund nachtr\u00e4glich folgert man hieraus, da f\u00fcr t = 1 s \u2014 c hervorgeht: c ist der in der Zeiteinheit zur\u00fcckgelegte Weg.\nGanz ebenso folgert man aus der Fe chn er\u2019schen Formel\ns = \u00c6.log-^,\ndass Je diejenige Intensit\u00e4t der Empfindung bedeutet, f\u00fcr welche\n~ = 1, also ^ =e ist, welche also durch einen Reiz r = q . e ausge-","page":597},{"file":"p0598.txt","language":"de","ocr_de":"598\nAlfred K\u00f6hler.\nl\u00f6st wird. Diese Erkl\u00e4rung der Constanten k ist vollkommen correct W\u00e4hrend man aber im Gebiet der Physik sich ein klares Bild von dem rein theoretisch gefolgerten Werth des Proportionalit\u00e4tsfactors machen kann, w\u00e4hrend man also im obigen Beispiel ein auschauliches Bild des Werthes von c hat, ist man hier im Gebiet der Psychophysik nicht ebenso im Stande, sich eine anschauliche Vorstellung zu bilden \u00fcber die Intensit\u00e4t der Empfindung, welche durch die Fechner\u2019sche Constante k dargestellt wird. Mit der Wundt\u2019schen Constanten\n/j \u00df #\t*\nk = -------hegt die Sache wesentlich anders. In dem Werthe von k\nlosj\nhat jede Gr\u00f6\u00dfe von vorn herein eine bestimmte Bedeutung; man erkennt klar die Entstehung des Werthes k und kann sich schlie\u00dflich auch ein anschauliches Bild von demselben machen. Denn aus\nk =\n4s\nlog \u2014 8 e\n\n\u2022 J s\nerkennt man unmittelbar, dass die Empfindung k ein bestimmtes Vielfaches der Empfindung Js ist. Von ii, der urspr\u00fcnglichen in der Praxis angewandten Ma\u00dfeinheit, hat man eine klare Vorstellung.\nDer Werth des Factors \u2014-\u2014 h\u00e4ngt von der Gr\u00f6\u00dfe des Schwellen-\nlo^\nwerthes q und des darauf folgenden Werthes r ab ; er l\u00e4sst sich also in jedem einzelnen Fall berechnen ; und nun wei\u00df man und kann sich eine klare Vorstellung davon machen, wieviel gleichmerkliche Em-pfindungszuw\u00fcchse J s man aneinander zu reihen hat, um den Merk-lichkeitsgrad der Empfindung zu bekommen, welcher durch k dargestellt wird.\nDie Anschaulichkeit in solchen Einzelheiten tr\u00e4gt offenbar zur allgemeinen Klarheit wesentlich bei, und es ist daher in dem erw\u00e4hnten Umstand ein nicht zu untersch\u00e4tzender Vorzug der Wundt\u2019schen Formel zu erblicken. Bedenken wir zum Schluss, dass nach der W un dt\u2019sehen Auffassung des psychophysischen Gesetzes als eines Ap-perceptionsgesetzes die negativen Empfindungswerthe, die aus der Formel resultiren, einer exacteren und befriedigenderen Erkl\u00e4rung f\u00e4hig sind , als dies nach der Fechner\u2019schen Auffassung m\u00f6glich, so ist unzweifelhaft, dass diese W un dt\u2019sehe Formel und Auffassung der Fechner\u2019schen vorzuziehen ist.","page":598},{"file":"p0599.txt","language":"de","ocr_de":"\u00fceber die haupts\u00e4chlichsten Versuche einer mathematischen Formulirung etc. 599\n3. Bernstein\u2019s Gesetz.1)\nDas Bernstein\u2019sehe Gesetz schlie\u00dfen wir den beiden vorigen hier am besten an, weil es mit denselben formal noch ganz \u00fcbereinstimmt, im Gegensatz zu jenen aber am ausgepr\u00e4gtesten die dritte der \u00fcberhaupt aufgetretenen Auffassungen des Weber\u2019schen Gesetzes re-pr\u00e4sentirt. Bei Fechner war das Gesetz ein psychophysisches , ein Empfindungsgesetz ; er bezog es auf die Abh\u00e4ngigkeit zwischen der Empfindung und dem Reiz, und zwar dem inneren Reiz. Wundt betrachtet das Gesetz, wie wir gesehen haben, als ein reines Appercep-tionsgesetz, als ein psychologisches Gesetz, welches ein exacter Ausdruck f\u00fcr unsre Auffassung der Au\u00dfenwelt ist. Bei Bernstein nun ist das Gesetz ein physiologisches, wie sich im Verlauf der Ableitung desselben deutlich zeigen wird ; es stellt dar das Verh\u00e4ltniss der Schw\u00e4chung des \u00e4u\u00dferen Reizes in der Fortleitung zum Sensorium.\nDer allgemeine Gang der Ableitung des B ernst ein\u2019sehen Gesetzes ist folgender :\nVon der empfindenden peripherischen Oberfl\u00e4che werden die Erregungen der \u00e4u\u00dferen Reize durch isolirte Bahnen nach dem Centrum fortgeleitet. Die Erregung in einer Ganglienzelle des Centrums breitet sich auf die umliegenden Ganglienzellen aus. Bei dieser Ausbreitung hat die Erregung einen Widerstand zu \u00fcberwinden und erleidet dadurch einen Verlust an Intensit\u00e4t, so dass die Ausbreitung der Erregung im Centrum eine Grenze erreichen wird. Den Umfang, bis zu dem sich diese Ausbreitung erstreckt, bezeichnet Bernstein als Irradiationskreis; da aber jene Ausbreitung jedenfalls nach drei Dimensionen stattfindet, bezeichnen wir diesen r\u00e4umlichen Umfang mit Fechner als \u00bbIrradiationsraum\u00ab. Bernstein nimmt nun an, dass die Empfindung der Gr\u00f6\u00dfe dieses Irradiationsraumes proportional sei. Ferner soll die Gr\u00f6\u00dfe des Verlustes, den die Erregung bei ihrer Ausbreitung erleidet, proportional der Intensit\u00e4t der Erregung sein. Als Schwellenwerth schlie\u00dflich betrachtet Bernstein diejenige Intensit\u00e4t der Erregung,\n1) Bernstein, Untersuchungen'\u00fcber den Erregungsvorgang im Nerven-und\nMuskelsystem. 1871. S. 178.","page":599},{"file":"p0600.txt","language":"de","ocr_de":"600\nAlfred K\u00f6hler.\ndie nicht mehr im Stande ist, sich in der Centralmasse weiter fortzu pflanzen.\nBezeichnen wir nun die Intensit\u00e4t der Empfindung durch s, dje Gr\u00f6\u00dfe des Irradiationsraumes durch Sund denken uns denselben ausgef\u00fcllt mit sehr nahe liegenden Centralelementen, so ist nach der Annahme der Proportionalit\u00e4t zwischen der Intensit\u00e4t der Empfindung und der Gr\u00f6\u00dfe des Irradiationsraumes :\ns \u2014 a . S,\nwo a die Dichtigkeit der Centralmasse, d. h. die Anzahl der Centralelemente in der Einheit des Centralraumes bedeutet. Versteht man weiter unter y die variable Intensit\u00e4t der Erregung in jedem Punkt innerhalb des Irradiationsraumes und unter x die Entfernung jenes Punktes vom Mittelpunkt der Erregung, so wird die Gesammtinten-sit\u00e4t an der Kugeloberfl\u00e4che vom Radius x y. O, wenn 0 die Gr\u00f6\u00dfe dieser Kugeloberfl\u00e4che bedeutet. Der Verlust an Intensit\u00e4t innerhalb einer Kugelschale von der Dicke dx ist also O . dy. Derselbe soll proportional sein der Intensit\u00e4t der Erregung O . y und der Masse der durchstr\u00f6mten Centralelemente a . dS. Verstehen wir also unter k eine Constante, so erhalten wir, wenn wir ber\u00fccksichtigen, dass der Verlust mathematisch durch das Minus - Zeichen zum Ausdruck kommt :\nO.dy \u2014 \u2014 Jc.yO.a.dS\noder\nDie Constante k bedeutet hier offenbar den specifischen Widerstand, den die Centralelemente der Erregung entgegensetzen ; sie ist gleich dem Verlust an Intensit\u00e4t, den die Einheit der Erregung in der Einheit des Raumes erleidet.\nUm diese Differentialformel zu integriren, m\u00fcssen wir f\u00fcr die ver\u00e4nderlichen Gr\u00f6\u00dfen die entsprechenden Grenzen einf\u00fchren. Setzen wir den Anfangswerth der Erregung r. den Schwellenwerth q , so ist y \u2014 r S = 0, y = qS \u2014 S. Also haben wir :\nr\no\nfll_ = _ ka JdS\ne\ns\noder integrirt :","page":600},{"file":"p0601.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die haupts\u00e4chlichsten Versuche einer mathematischen Formulirung etc. 601\nlog \u2014 = k . aS,\n\u00b0 Q\t\u2019\nund wenn wir noch aS = s einfiihren und einer neuen Constanten k' gleich setzen :\neine Formel, die mit der Fechner\u2019schen und Wundt\u2019schen formal vollst\u00e4ndig \u00fcbereinstimmt.\nMan kann nicht verkennen, dass die gegebene Ableitung eine sehr eigenartige und sinnreiche ist ; aber sie basirt auf mehreren Hypothesen, deren Richtigkeit in Frage gestellt werden muss. W\u00e4hrend alle anderen mathematischen Formulirungen des W e b e r\u2019sehen Gesetzes sich mehr oder weniger auf dieses st\u00fctzen, von diesem ausgehen, also auch mehr den Thatsachen gem\u00e4\u00df sind, geschieht die Bernstein\u2019sche Ableitung auf rein speculativem Wege, wobei Hypothesen \u00fcberhaupt kaum zu vermeiden sind. Zur Aufstellung einiger seiner Hypothesen ist Bernstein durch physiologische Untersuchungen gef\u00fchrt worden ; er sagt aber seihst, dass dieselben ihm erst durch den Umstand gr\u00f6\u00dfere Wahrscheinlichkeit erlangt haben, dass auf Grund derselben das Fechner\u2019sche Gesetz sich ableiten l\u00e4sst, so dass man wohl annehmen kann, jene Hypothesen verdankten ihre Aufstellung zum Theil dem Bestreben, mittelst derselben zum Fechner\u2019schen Gesetz zu gelangen. In der That dr\u00fcckt sich Bernstein gelegentlich einmal so aus : \u00bbDiese Vorstellung, an sich nicht unwahrscheinlich, rechtfertigt sich durch das Resultat, zu dem sie f\u00fchrt\u00ab. Hiernach aber tragen sich hei Bernstein das psychophysische Gesetz und die Hypothesen, auf denen seine Ableitung basirt, gegenseitig, w\u00e4hrend man doch darauf ausgehen muss, durch Zuh\u00fclfenahme von Thatsachen oder \u00fcberhaupt unbestreitbarer Momente zu einer endg\u00fcltigen Beziehung zwischen Reiz und Empfindung zu gelangen.\nNeben der allgemeinen hypothetischen Vorstellung \u00fcber die Art und Weise, wie die Empfindung zu Stande kommen und wie ihre Intensit\u00e4t vom Reize ahh\u00e4ngen soll, bedient sich Bernstein folgender vier besonderen Hypothesen :\n1) Der Verlust an Intensit\u00e4t bei der Ausbreitung der Erregung in den Ganglienzellen soll proportional der Intensit\u00e4t der Erregung sein. .","page":601},{"file":"p0602.txt","language":"de","ocr_de":"602\nAlfred K\u00f6hler.\n2)\tDie Anzahl der Ganglienzellen, die von der Erregung ergrif. fen werden, soll dieser proportional sein.\n3)\tWenn die Erregung auf eine gewisse Intensit\u00e4t, die Schwelle, herahgesunken ist, soll sie sich nicht weiter aushreiten k\u00f6nnen.\n4)\tDie Empfindung soll proportional sein der Gr\u00f6\u00dfe des Irradiationsraumes.\nInwieweit man diesen Hypothesen Berechtigung zugestehen kann, dies zu entscheiden ist Sache der Physiologie. Nur in zwei Punkten seien in mathematischer Hinsicht folgende Bemerkungen gemacht. Die Proportionalit\u00e4t der Empfindung mit dem Irradiationsraum begr\u00fcndet Bernstein in folgenden Worten:1) \u00bbDasjenige Ma\u00df, mit dem wir die Intensit\u00e4t irgend einer Kraft messen, ist der Raum. Die Anziehungskraft messen wir durch den Fallraum in einer Secunde\u00ab etc. In dem Wortlaut des eben angef\u00fchrten Beispiels liegt aber schon, dass wir die Kraft nicht allein nach dem Weg bemessen, den ein K\u00f6rper durchl\u00e4uft unter Einwirkung der Kraft, sondern auch nach der zum Durchlaufen des Weges verwandten Zeit. Fechner weist daher ganz mit Recht daraufhin, dass hier Bernstein eine Unrichtigkeit, eine Inconsequenz begeht ; wenn man einmal auf die Analogie in der Physik sich st\u00fctzen will, so ist doch im vorliegenden Fall kein Grund vorhanden, diese Analogie nur halb anzuwenden, indem auf die Zeit keine R\u00fccksicht genommen wird. Im Gegentheil : wenn man annimmt, dass die Empfindung in der von B ernstein vorgef\u00fchrten Weise vom Reiz ahh\u00e4nge, so ist sehr wahrscheinlich, dass auch die Zeit in Betracht kommt, in welcher die Erregung sich \u00fcber den Irradiationsraum verbreitet. Wahrscheinlich ist nun, dass eine starke Erregung sich schneller fortpflanzt als eine schwache, und dann w\u00e4re es wohl m\u00f6glich, dass eine starke Erregung zur Ausbreitung \u00fcber den ihr entsprechenden Irradiationsraum eben dieselbe Zeit braucht, wie eine schwache Erregung zur Verbreitung \u00fcber den ihr entsprechenden Irradiationsraum; in diesem Sinne w\u00fcrde es dann nicht ungerechtfertigt erscheinen, dass man die Zeit nicht in Betracht zieht.\nEinen Hauptangriffspunkt des Bernstein\u2019schen Gesetzes erblickt nun Fechner darin, dass die dritte der oben angef\u00fchrten Hy-\n1) Ygl. Reichert-Dubois\u2019sches Archiv 1868, S. 391.","page":602},{"file":"p0603.txt","language":"de","ocr_de":"(Jeber die haupts\u00e4chlichsten Versuche einer mathematischen Formulirung etc. 603\npothesen der zweiten widerspricht. Nach jener zweiten Hypothese sollte der Process der Ausbreitung der Erregung in den Ganglienzellen bis in\u2019s Unendliche fortschreiten, und um dem zu begegnen, stellt eben Bernstein eine neue Hypothese \u00fcber die Schwelle auf, indem er sich dabei auf die Erfahrungsthatsache der Schwelle st\u00fctzt. Ich lasse es dahingestellt, ob die Beschr\u00e4nkung der zweiten obigen Hypothese durch die dritte als ein so einschneidender Widerspruch aufzufassen ist, wie es Fechner thut. Soviel ist gewiss, dass Bernstein ebenso wie Fechner das Schwellengesetz nicht entbehren kann, um eine brauchbare Formel aufstellen zu k\u00f6nnen; und das Bernstein\u2019sche Schwellengesetz hat eben dieselben Unzutr\u00e4glichkeiten zur Folge, wie das Fechner\u2019sehe. Bei Fechner war das Schwellengesetz entsprechend seiner ganzen Auffassung der psychophysischen Beziehung ein psychophysisches ; nach ihm muss der Reiz eine gewisse Minimalgr\u00f6\u00dfe haben, um eine Empfindung ausl\u00f6sen zu k\u00f6nnen. Die Reize kleiner als q l\u00f6sen \u00fcberhaupt keine Empfindung aus. Nach der Auffassung Wundt\u2019s l\u00f6st jeder Reiz, sofern er \u00fcberhaupt das Sensorium erreicht, eine Empfindung aus ; diese letztere muss aber erst eine gewisse Minimalgr\u00f6\u00dfe \u00fcbersteigen, bevor sie appercipirt werden kann. Man k\u00f6nnte die Schwelle hier entsprechend der Auffassung des Gesetzes als eine psychologische bezeichnen. Der physiologischen Deutung des Gesetzes bei Bernstein entsprechend ist nun auch die Schwelle von ihm physiologisch aufgefasst. Nach Bernstein muss der Reiz, die Erregungeine gewisse Gr\u00f6\u00dfe erreichen, um sich weiter auszubreiten, resp. \u00fcberhaupt ausbreiten zu k\u00f6nnen. Einem inneren Reiz kleiner als \u00e7 entspricht also nicht mehr der letzte physiologische Vorgang, von dem die Empfindung direct abh\u00e4ngt, also entspricht ihm noch weniger eine Empfindung seihst. Hiernach sind die sich auch aus der Bernst ein\u2019sehen Formel ergebenden negativen Empfindungen ebenso wenig einer exacten Erkl\u00e4rung f\u00e4hig, wie es beim F ec hn er\u2019sehen Gesetz der Fall war. Man kann sagen, diese negativen Empfindungen correspondiren den physiologisch verloren gegangenen Reizen, welche kleiner als \u00e7 sind; aber sie sind nicht selbst wirkliche Empfindungen, und es gilt daher dasselbe wie fr\u00fcher.","page":603},{"file":"p0604.txt","language":"de","ocr_de":"604\nAlfred K\u00f6hler.\n4. Delboeuf\u2019s Gesetz.\nDelboeuf hat nicht blo\u00df eine mathematische Formulirung des Weber\u2019schen Gesetzes gegeben; er verbindet vielmehr mit dem Gesetz eine so eigenartige Auffassung, dass man sagen kann, er hat eine selbst\u00e4ndige Theorie der Psychophysik entwickelt. Dabei haben sich im Laufe der Zeit die Ansichten Delboeuf\u2019s zum Theil ge\u00e4ndert; seine Lehre hat einige Modificationen erfahren und an Stelle der urspr\u00fcnglichen mathematischen Formulirung des Gesetzes ist neuerdings eine etwas andere getreten. Es wird daher gut sein, den Entwickelungsgang der Theorie zu verfolgen. Die in Betracht kommenden Werke Delboeuf\u2019s sind besonders folgende:\n1)\tEtude psychophysique. Bruxelles, 1873.\n2)\tTh\u00e9orie g\u00e9n\u00e9rale de la sensibilit\u00e9. Bruxelles, 1876.\n3)\tExamen critique de la loi psychophysique. Paris, 1883.\nDiese Werke m\u00f6gen im Folgenden der K\u00fcrze halber einfach\ndurch die vorstehenden Nummern bezeichnet -werden.\nDelboeuf beginnt in (1) damit, das Weber\u2019sche und F ech-ner\u2019sche Gesetz einer Kritik zu unterziehen; er bespricht dabei die M\u00e4ngel und Schwierigkeiten, die das Gesetz namentlich bez\u00fcglich der Schwelle und der damit zusammenh\u00e4ngenden negativen Empfindungen aufweist. Die Vermeidung dieser Schwierigkeiten bildet f\u00fcr Delboeuf bei der Aufstellung seiner Formulirung des Gesetzes einen ma\u00dfgebenden Gesichtspunkt. Als Ausgangspunkt f\u00fcr sein Gesetz dienen ihm folgende beiden Hauptbemerkungen (1. S. 27):\n1)\tDie Intensit\u00e4t der Empfindung h\u00e4ngt nicht allein ab von der Intensit\u00e4t des Reizes, sondern auch von der Menge (masse) der Empfindlichkeit (sensibilit\u00e9) oder der Kraft (force), welche die bez\u00fcglichen Organe in dem Augenblick besitzen; der Vorrath an Empfindungsverm\u00f6gen wird durch die Einwirkung eines Reizes ersch\u00f6pft, so dass f\u00fcr einen nachfolgenden Reiz das empfindliche Wesen eigentlich sich in anderen Bedingungen befindet. So ist z. B. die Empfindung der K\u00e4lte oder W\u00e4rme beim Beginn der Einwirkung des Reizes viel lebhafter als nach einiger Zeit.\n2)\tEs existirt eine gewisse Quantit\u00e4t Kraft oder Empfindlichkeit, welche nicht verbraucht werden darf, weil sie von vom herein n\u00f6thig","page":604},{"file":"p0605.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die haupts\u00e4chlichsten Versuche einer mathematischen Formulirung etc. 605\nist f\u00fcr das Leben und die Empfindlichkeit des Individuums; man kann z. B. marschiren so lange, bis man unf\u00e4hig ist einen weiteren Schritt zu thun ; dennoch bleibt aber Leben und Empfindlichkeit. Die disponible Empfindlichkeit ist gleich der absolut vorhandenen, vermindert um diese unerl\u00e4ssliche Empfindlichkeit. Sei die absolute Empfindlichkeit M, die f\u00fcr das Leben unerl\u00e4ssliche Empfindlichkeit v, und die f\u00fcr die Empfindung unerl\u00e4ssliche Empfindlichkeit c, so ist die in Wirklichkeit disponible Empfindlichkeit M \u2014 v \u2014 c.\nBez\u00fcglich der Gr\u00f6\u00dfe c wird weiter ausgef\u00fchrt, dass die Organe sich nicht in absoluter Buhe befinden, dass vielmehr in denselben eine Beizursache besteht, welche das Leben und die Empfindlichkeit unterh\u00e4lt. In Verbindung mit diesem subjectiven Beiz bringt ein \u00e4u\u00dferer Beiz eine Empfindung hervor. So verbindet sich die \u00e4u\u00dfere auf uns einwirkende W\u00e4rme mit unserer eigenen W\u00e4rme.\nDieser subjective Beiz, sagt Delboeuf weiter, soll durch c dargestellt werden ; ihm selbst soll keine Empfindung entsprechen ; diese beginnt erst mit dem Einwirken eines \u00e4u\u00dferen Beizes.\nIn dieser Darstellung, welche im Wesentlichen nur eine Wiedergabe der franz\u00f6sischen Darstellung Delboeuf\u2019s ist, kommen Ungenauigkeiten vor, \u00fcber die man sich, namentlich auch f\u00fcr das Folgende, zuvor klar werden muss. Was soll nach der gegebenen Darstellung die Gr\u00f6\u00dfe c bedeuten ? Oben wird gesagt, c solle die f\u00fcr die Empfindung unerl\u00e4ssliche Empfindlichkeit bedeuten; und dann wird auseinandergesetzt, dass c den subjectiven Beiz darstellen solle. Andererseits scheint Delboeuf die Worte Kraft und Empfindlichkeit zu identificiren.\nWenn ich Delboeuf recht verstehe, so ist seine Auffassung kurz folgende :\nIn den Organen existirt eine gewisse Quantit\u00e4t Kraft; von der Gr\u00f6\u00dfe dieser Kraft h\u00e4ngt die Empfindlichkeit ab; ist die Kraft ersch\u00f6pft, so schwindet die Empfindlichkeit. Wirkt ein \u00e4u\u00dferer Beiz auf das Organ, so sucht dieses sich demselben zu accommodiren; hierzu ist eine Ausgabe an Kraft aus dem Kraftvorrath erforderlich ; je gr\u00f6\u00dfer der \u00e4u\u00dfere Beiz ist, um so gr\u00f6\u00dfer muss auch diese Kraftausgabe sein. Delboeuf bemerkt gelegentlich, dass die Ausgabe an Kraft jedenfalls proportional sei dem \u00e4u\u00dferen Beiz. Dem oben erw\u00e4hnten subjectiven Beiz entspricht nun ebenfalls eine Ausgabe an","page":605},{"file":"p0606.txt","language":"de","ocr_de":"606\nAlfred K\u00f6hler.\nKraft, und diese fur Leben und Empfindlichkeit unerl\u00e4ssliche Kraft ist es wohl, welche mit c bezeichnet werden soll.\nWie schon angedeutet, hat Delboeuf die Vorstellung, dass, wenn auf ein Organ ein Heiz wirkt, das Organ sich dem Reiz zu accom-modiren strebt ; es sucht sich mit dem Reiz in eine Art Gleichgewicht zu setzen. So z. B. accommodirt sich die Haut der sie umgebenden Temperatur. Gleichzeitig ersch\u00f6pft sich hierdurch die Kraft des betreffenden Organes. Dem entsprechend stellt Delboeuf zwei Gesetze nebeneinander auf: 1) das Gesetz der Ersch\u00f6pfung (la loi de l\u2019\u00e9puisement), 2) das Gesetz der Empfindung (la loi de la sensation).\n1) Das Gesetz der Ersch\u00f6pfung.\nEs sei M der Kraftvorrath des Individuums, v die f\u00fcr das Leben unentbehrliche Menge derselben; dann stellt M \u2014 v \u2014 m nach Delboeuf\u2019s Darstellung die Kraftmasse dar, welche disponibel ist f\u00fcr die Arbeit. Ferner sei \u00e2 eine Ausgabe an Kraft, welche proportional sein soll der bewirkten Arbeit oder dem \u00e4u\u00dferen Reiz, und f stelle dar das Gef\u00fchl der Ersch\u00f6pfung oder der ihr entsprechenden Erm\u00fcdung. Delboeuf meint nun: es sei eine Sache der Erfahrung und t\u00e4glicher Beobachtung, dass das Gef\u00fchl der Ersch\u00f6pfung oder Erm\u00fcdung um so gr\u00f6\u00dfer, je gr\u00f6\u00dfer die bewirkte Arbeit und je kleiner die verbleibende Kraft ist, und setzt daher hypothetisch den Zuwachs an Erm\u00fcdung proportional dem Zuwachs an Kraftaufwand und umgekehrt proportional der Menge der Kraft M \u2014 v \u2014 <5 ; so bekommt er die Differentialformel:\ndf=k\ndd\nm \u2014 <f \u2019\nworaus folgt:\nf= \u2014 k . log (m \u2014 d) + const.\nDie Erm\u00fcdung ist gleich Null, wenn noch kein Kraftverb rauch 6 stattgefunden hat; daher folgt:\nconst = k . log m\nm\nund somit wird:\na)\nf=k. log\nm \u2014 <$","page":606},{"file":"p0607.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die haupts\u00e4chlichsten Versuche einer mathematischen Formulirung etc. 607\n2) Das Gesetz der Empfindung.\nBedeute s die Empfindung, welche mit dem Kraftaufwand \u00f4 verbunden ist. Nach Delboeuf\u2019s Ansicht ist es h\u00f6chst nat\u00fcrlich, dass die Empfindung um so gr\u00f6\u00dfer, je gr\u00f6\u00dfer \u00f4 und je kleiner c -f- \u00f4 ist, und so setzt er hypothetisch den Zuwachs an Empfindung proportional dem Zuwachs an Reiz und umgekehrt proportional dem Reiz (richtiger Ausgabe an Kraft) c + d. Die hieraus folgende Differentialformel lautet :\nds\nd\u00e4\nc + f\nIndem man integrirt und die Integrationsconstante dadurch bestimmt, dass man 5 = 0 setzt, bekommt man :\nb)\ns = k' . log\nc -{- tf c\nAus den Formeln a) und h) zieht Delboeuf folgende Schl\u00fcsse :\nIn a) hat \u00f4 den Werth m = M\u2014 \u00bb als Maximum, weil f\u00fcr \u00f4 )> m f imagin\u00e4r wird ; die Ersch\u00f6pfung f wird f\u00fcr \u00f4 \u2014 m unendlich, und man verliert jegliche Empfindlichkeit, da die f\u00fcr die Empfindlichkeit unerl\u00e4ssliche Kraft c verausgabt wird ; in b) hat \u00f4 den Werth \u00e2 = M\u2014 e als Maximum ; die Empfindung bleibt endlich, aber man verliert das Leben des Organes, da die f\u00fcr dieses unerl\u00e4ssliche Kraft v verausgabt ist. Da nun v und c f\u00fcr Lehen und Empfindlichkeit unentbehrliche Kraftmengen sind, so folgert Delboeuf, dass \u00f4 den Werth M \u2014 v \u2014 c nicht \u00fcbersteigen darf.\nAngenommen nun, dass die ganze Delboeuf\u2019sehe Auffassung aufrechtzuerhalten sei, insbesondere dass es gerechtfertigt sei, f\u00fcr Leben und Empfindlichkeit einzeln Kraftvorr\u00e4the v und c als unerl\u00e4sslich aufzustellen, so erscheint die aus b) hervorgehende Folgerung, dass f\u00fcr \u00f6 = M \u2014 c die Empfindung endlich bleibt, das Organ aber das Leben verliert, absurd; wie kann man sich vorstellen, dass ein Organ zerst\u00f6rt sei und doch noch eine Empfindung haben k\u00f6nne ! Diese den Thatsachen widersprechende Folgerung w\u00fcrde vermieden werden, wenn an Stelle von c in b) c -j- v st\u00e4nde; mit andern Worten, man sollte nicht Leben und Empfindlichkeit trennen, sondern als zusammengeh\u00f6rig betrachten und f\u00fcr sie gemeinsam einen einzigen Kraft-","page":607},{"file":"p0608.txt","language":"de","ocr_de":"608\nAlfred K\u00f6hler.\nvorrath c als unerl\u00e4sslich aufstellen. Zu diesem Schluss f\u00fchren noch andre Ueberlegungen ; so sieht man gar nicht ein, weshalb die disponible Kraftmenge f\u00fcr das Gesetz der Ersch\u00f6pfung M \u2014 c, f\u00fcr das Gesetz der Empfindung dagegen M \u2014 c sein soll. Im Gegentheil es ist S. 605 bemerkt worden, dass die in Wirklichkeit disponible Kraftmenge M \u2014 v \u2014 c ist, und das muss f\u00fcr das eine wie f\u00fcr das andre Gesetz gelten. Daraus folgt aber wieder, dass nur v + c, nicht aber einzeln v und c in Betracht kommen.\nDie Ableitungen der Gesetze a) und b) sind, wie man leicht bemerkt, ganz analog; es wird daher gen\u00fcgen , wenn ich im Folgenden haupts\u00e4chlich die Ableitung des Gesetzes der Empfindung in\u2019s Auge fasse. Es muss darauf hingewiesen werden, dass sich Delboeuf auch hier sehr uncorrect ausdr\u00fcckt. Nach den Worten (vergl. 1. S. 34): Es ist h\u00f6chst nat\u00fcrlich, dass die Empfindung um so gr\u00f6\u00dfer ist, je gr\u00f6\u00dfer \u00e2 und je kleiner c \u00f6 ist etc., w\u00fcrde man erwarten, dass als Beziehung aufgestellt wird :\nDer Sinn obiger Ausdrucksweise soll dagegen folgender sein : Man denke sich, dass ein Reiz \u00f6 gewirkt hat ; ihm entspricht eine Empfindung s ; wirkt nun ein neuer Reiz d\u00f6, so wird der ihm entsprechende Zuwachs an Empfindung ds um so gr\u00f6\u00dfer sein, je gr\u00f6\u00dfer d\u00f6 und je kleiner c + <5 ist. Das Erstere ist offenbar richtig; auch das Zweite kann man wohl zugehen. Dagegen ist die als einfachste Abh\u00e4ngigkeit angenommene Beziehung der Proportionalit\u00e4t resp. umgekehrten Proportionalit\u00e4t eine Hypothese. Mittelst derselben gelangt man zu Resultaten, die mit dem Weber\u2019sehen Gesetz in Einklang stehen, und es liegt daher die Vermuthung nahe, dass jene Hypothesen erst aus dem Weber\u2019schen Gesetz abgeleitet sind; sollte dies aber nicht der Fall sein, so w\u00fcrde die Ableitung eines psychophysischen Gesetzes aus dem Webe r\u2019schen als einem auf Thatsachen beruhenden Gesetze vorzuziehen sein einer so hypothetischen Ableitung. Jene Hypothesen sind nur als eine vielleicht ganz angemessene Erkl\u00e4rung f\u00fcr die Thatsachen aufzufassen, welche das Wehe r\u2019sche Gesetz darstellt.\nEs ist nicht zu verkennen, dass sich in rein mathematischer Hinsicht kaum ein erheblicher Mangel an den Delboeuf\u2019sehen Formeln","page":608},{"file":"p0609.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die haupts\u00e4chlichsten Versuche einer mathematischen Formulirung etc. 609\nfindet. Durch Vermeidung des Schwellengesetzes und durch Einf\u00fchrung der Gr\u00f6\u00dfe c ist der in der Fechner\u2019schen Formel so schwierige Punkt bez\u00fcglich der negativen Empfindungen beseitigt; denn nach b) wird s gleichzeitig mit 8 gleich Null. Dagegen erscheint es sehr fraglich, ob die Rolle, welche die Gr\u00f6\u00dfe c spielen soll, eine gerechtfertigte ist. Auch w\u00fcrde sich noch fragen, ob die Formel b) ebenso gut oder wom\u00f6glich noch besser mit den Thatsachen \u00fcbereinstimmt, als die Fechner\u2019sche Formel.\nDelboeuf sieht sich in dem zweiten der oben genannten Werke veranlasst, seine Theorie einigen Modificationen zu unterwerfen, infolge deren er die Formel b) in eine andre \u00fcberf\u00fchrt. Der Grund f\u00fcr diese Modificationen ist folgender. Urspr\u00fcnglich hatte Delboeuf die Gr\u00f6\u00dfe c als constant betrachtet, zwar nicht als absolut constant, doch als zwischen gewissen Grenzen beschr\u00e4nkt, und jedenfalls als unabh\u00e4ngig vom \u00e4u\u00dferen Reiz. Die Erfahrung hat ihm indess gelehrt, dass c nicht zwischen engen Grenzen beschr\u00e4nkt, sondern mit dem \u00e4u\u00dferen Reiz in hohem Grade ver\u00e4nderlich ist; so z. B. soll f\u00fcr Temperaturempfindungen c = 18\u00b0 C. sein , soll aber variiren k\u00f6nnen zwischen 10\u00b0 und 30\u00b0. Darum modificirt Delboeuf seine Theorie in folgender Weise:\nSei/\u00bb die Kraft des empfindlichen Wesens, /?' die Intensit\u00e4t des \u00e4u\u00dferen Reizes. Bei Einwirkung des Reizes/?' sucht sich der Zustand des Organes mit dem \u00e4u\u00dferen Reiz in eine Art Gleichgewicht zu setzen; das/? strebt gleich dem/?' zu werden. Sobald/? =/?' geworden ist, sobald also das Organ sich dem Reiz accommodirt hat, findet keine Empfindung mehr statt. In 2. S. 17. sagt Delboeuf weiter: \u00bbL\u2019\u00eatre est impressionn\u00e9 du moment, qu\u2019il y a in\u00e9galit\u00e9 entre/? et/?'. L\u2019impression dure tant que cette in\u00e9galit\u00e9 subsiste. L\u2019in\u00e9galit\u00e9 de P et/?', voil\u00e0 l\u2019excitation, d\u2019o\u00f9 d\u00e9pend l\u2019impression etc.\u00ab. Hiernach wandelt er seine Formel\nh)\ts = k . log \u2014-\u2014\ndadurch um, dass er c durch p und \u00f6 durch/?' \u2014p ersetzt, und so erh\u00e4lt er :\nc)\ts = k\u2019Aog^-\nBez\u00fcglich dieses Resultates sagt Delboeuf in 2. S. 26: JiCette\nWundt, Philos. Studien. III.\t4Q","page":609},{"file":"p0610.txt","language":"de","ocr_de":"610\nAlfred K\u00f6hler.\nformule, qui me parait destin\u00e9e \u00e0 remplacer celle de Weber, constate que la sensation n\u2019existe que pour autant qu\u2019il y ait diff\u00e9rence entrer et p' et qu\u2019ainsi elle est due \u00e0 un ph\u00e9nom\u00e8ne analogue \u00e0 une rupture d\u2019\u00e9quilibre; ensuite que l\u2019excitation ne doit plus \u00eatre repr\u00e9sent\u00e9e par p\u2014p, mais par log y, ce qui fait que la sensation est\nproportionelle \u00e0 la cause qui la provoque.\u00ab\nHierin widerspricht Delboenf offenbar seinen oben angef\u00fchrten Worten ; oben sagt er, als Reiz sei anzusehen die Ungleichheit zwischen p und p', und zwar meint er mit der Ungleichheit die Differenz zwischen p und p'\\ denn er ersetzt in b) \u00f4 durch p \u2014p. Aus c) dagegen wird gefolgert, dass nicht mehr p' \u2014p, sondern log als Reizgr\u00f6\u00dfe zu betrachten sei. Auf ganz analoge Weise k\u00f6nnte man aus der fr\u00fcher erw\u00e4hnten Formel\nH \u2014 h \u2014 h. log\nJ3\nfolgern, dass die H\u00f6he proportional dem Barometerstand sei; man m\u00fcsste nur dazu bemerken, dass unter H\u00f6he die Differenz H\u2014 h, und\ndass unter Barometerstand der Ausdruck log j zu verstehen ist.\nDie Ueberf\u00fchrung der Formel b) in c) scheint mir \u00fcberhaupt unm\u00f6glich zu sein, da die Bedeutung der beiden Formeln eine ganz verschiedene ist. Mit der letzten Formel ist die Auffassung verbunden, dass der innere Zustand des Organes sich dem \u00e4u\u00dferen Reiz accommo-dirt, dass also p = p' zu werden strebt. Wenn p \u2014 p' geworden ist, h\u00f6rt die Empfindung auf, und es tritt erst dann wieder eine Empfindung ein, wenn sich p' \u00e4ndert; es wird also die Empfindung gemessen, die einer Reiz\u00e4nderung entspricht. Verm\u00f6ge der ersten Formel wird dagegen die Empfindung gemessen, die \u00fcberhaupt einem gewissen Reiz entspricht. Es ist m\u00f6glich, dass Delboeuf seine erste Formel in demselben Sinn aufgefasst wissen will, wie die zweite; doch scheint mir das eben nicht richtig. Behufs Ableitung der Formel b) war zun\u00e4chst die Differentialformel\ndS\nds =\nc + \u00e4\naufgestellt worden auf Grund der Hypothese, dass der Zuwachs ds der Empfindung proportional sei dem Zuwachs d \u00f4 des Reizes und umge-","page":610},{"file":"p0611.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die haupts\u00e4chlichsten Versuche einer mathematischen Formulirung etc. 611\nkehrt der- Gr\u00f6\u00dfe c -f- \u00f6. Man k\u00f6nnte hiernach glauben, dass auch hier nur die Ver\u00e4nderung der Empfindung von einem Reiz zum andern gemessen werde ; das trifft aber nur f\u00fcr die Differentialformel zu: in der endlichen Formel h) sind alle diese Zuwachse der Empfindung von Null an summirt, so dass die Gesammtempfindung f\u00fcr einen Reiz \u00f6 gemessen wird, gerechnet vom Anfangspunkt s \u2014 0 f\u00fcr d = 0.\nIn der That stehen die Formeln b) und c) in einem gewissen Widerspruch. Delboeuf verbindet mit der Formel c) die Auffassung, dassp \u2014 p zu werden strebe und dass wirklichp = p' werde. Nun istp in der Formel b) nichts Anderes als e, und p' nichts Anderes als c -f- \u00f4 ; es m\u00fcsste also entsprechend c gleich c -f- \u00f4 werden, was nie m\u00f6glich ist, wenn nicht zuf\u00e4llig d = 0 ist.\nHiernach kommt man zu dem Schluss, dass die neuere Formel und Auffassung nicht einfach als Umwandlung der alten Theorie aufzufassen ist. Die neue Formel ist hinsichtlich ihrer Bedeutung so verschieden von der alten, dass ihre Herleitung aus jener als nicht gerechtfertigt zu betrachten ist.\nIn dem dritten der oben genannten Werke S. 140 gibt Delboeuf eine andre Ableitung der Formel c), indem er von den Thatsachen ausgeht.\nWir verstehen unter s diejenige Empfindung, welche einem Reiz p entspricht. Damit diese Empfindung auf s + u steige, muss der Reiz p auf p (1 + d) erh\u00f6ht werden, wo d im Allgemeinen ein Bruch sein wird, dessen Gr\u00f6\u00dfe von u abh\u00e4ngt. Die Erfahrung zeigt nun, dass, wenn die Empfindung wachsen soll bis s + 2 \u00ab, s + 3 u etc., der correspondirende Reiz erh\u00f6ht werden muss auf\nP (1 + d) (1 + d) \u2014 p (1 + d)2, p (1 + d)s etc., so dass zur Ausl\u00f6sung der Empfindung s + nu der Reiz p (1 -j- d)n erforderlich ist. Setzen wir nun allgemein :\ns + nu = S, p (1 + d)n \u2014 p',\nso folgt durch Elimination von n :\nS \u2014 s\np' \u2014 p (1 + d) \u00ab\n\u00b0der\tPL = (1 + d)~^~ ,\nalso:\tlog j =\t\u25a0 log (1 + d).\n40*","page":611},{"file":"p0612.txt","language":"de","ocr_de":"612\nAlfred K\u00f6hler.\nNimmt man nun u als Einheit der Empfindung, so wird S \u2014 s <jag Ma\u00df des Unterschiedes der Empfindungen S und s, die den Reizen p' und p entsprechen, ausgedr\u00fcckt in u als Einheit. Setzt man weiter die Constante log (1 -j- d), deren Werth nach Obigem v\u00f6n u abh\u00e4ngt,\ngleich ~, so geht die obige Beziehung \u00fcber in die folgende :\nS \u2014 s \u2014 k . log ~,\nwelche mit der Fechner\u2019schen Unterschiedsformel der Form nach vollst\u00e4ndig \u00fcbereinstimmt.\nWas diese Ableitung der Delboeuf\u2019schen Formel betrifft, so bemerkt man leicht eine gro\u00dfe Aehnlichkeit mit derjenigen, welche Wundt gegeben hat. Delboeuf hat insofern seine Ableitung allgemeiner gehalten, als er zun\u00e4chst zwei beliebige Reize resp. von diesen ausgel\u00f6ste Empfindungen innerhalb der Reiz- resp. Empfindungsscala vergleicht und so zun\u00e4chst zu der allgemeineren Unterschiedsformel gelangt. Nachtr\u00e4glich k\u00f6nnte man nun aus derselben die fr\u00fchere absolute Ma\u00dfformel ableiten, indem man f\u00fcr p gleich der Reizschwelle s = 0 setzt. Doch tr\u00e4gt, wie wir schon gesehen haben, die Delboeuf-sche Formel \u00fcberhaupt einen ganz anderen Charakter.\nDer Aehnlichkeit zwischen der Wundt\u2019schen und Delboeuf-schen Ableitung der Formel entsprechend finden wir hier auch dieselben Vorz\u00fcge wie dort. Sie ist einfach und klar wie jene. Wie dort, so tritt auch hier hervor, dass die Empfindung durch eine Einheit ihrer Art messbar sein muss ; es wird thats\u00e4chlich eine solche Einheit, n\u00e4mlich u benutzt. Delboeuf geht sogar noch weiter. W\u00e4hrend Wundt seine Empfindungseinheit Js schlie\u00dflich nicht als solche bei-\nbeh\u00e4lt , sondern dieselbe als Constante mit dem Factor\nin die\neine Constante k zusammenfasst, beh\u00e4lt Delboeuf seine anfangs zu Grunde gelegte Empfindungseinheit u consequent bei. Bei ihm ist zweifellos 8 \u2014 s eine Verh\u00e4ltnisszahl; sie gibt das Wieviel der Unterschiedsempfindungen u an und diese Auffassung ist entschieden mathematisch sehr richtig. \u2014 In der Fe chner\u2019schen wie in der Wundt-schen Formel bedeutet k eine gewisse Empfindung ; von der F e'cliner\u2019sehen Constanten k konnten wir uns kein anschauliches Bild machen; bei der Wundt\u2019schen Constanten k war uns dies m\u00f6glich,","page":612},{"file":"p0613.txt","language":"de","ocr_de":"lieber die haupts\u00e4chlichsten Versuche einer mathematischen Formulirung etc. 613\nweil wir Heren Entstellung verfolgen konnten. Am klarsten und anr schaulichsten scheint mir nun das Delboeuf\u2019sche Verfahren, direct die urspr\u00fcngliche Empfindungseinheit u beizubehalten.\nDer Factor k in der Delb oeuf\u2019sehen Formel hat von vorn herein\neine klare Bedeutung; es war ja k\u2014 i0g(i 4-\t^ ^e(^eutet den rela-\ntiven Reizunterschied; er h\u00e4ngt, wie schon fr\u00fcher bemerkt, von der Gr\u00f6\u00dfe des gleich merklichen Empfindungsunterschiedes u ab. Nehmen wir als solchen den eben merklichen Empfindungsunterschied, so bedeutet d den eben merklichen relativen Reizunterschied ; er ist experimentell bestimmbar, und somit kennen wir auch den \"VVerth von k. Beachtet man, dass die sogenannte Empfindlichkeit um so gr\u00f6\u00dfer ist, je kleiner der eben merkliche Reizunterschied d ist, und dass mit abnehmendem d der Werth von k w\u00e4chst, so sehen wir, dass k direct als ein Ausdruck f\u00fcr die Empfindlichkeit betrachtet werden kann.\nDas Schwellengesetz erkennt Delb oeuf, wie schon bemerkt wurde, nicht an, und so kann er auch nicht aus seiner Unterschiedsformel unsere fr\u00fchere absolute Ma\u00dfformel ableiten. Es ist schon darauf hingewiesen worden, dass Delb oeuf die Aufgabe, die Empfindung in ihrer Abh\u00e4ngigkeit vom Reiz zu messen, \u00fcberhaupt in ganz anderer Weise l\u00f6st, als es von anderen Autoren geschieht; seiner Formel kommt eine ganz andere Bedeutung zu, als wir sie bis jetzt kennen gelernt haben, eine andere Bedeutung selbst, als der erstenDelboeuf-schen Formel.\nDie als oscillatorischer Process vorgestellte Th\u00e4tigkeit, in welcher die Sinnesnerven begriffen sind und deren Gr\u00f6\u00dfe mit p bezeichnet worden ist, strebt sich nach Delb oeuf\u2019s Ansicht mit der von au\u00dfen anregenden Th\u00e4tigkeit, dem Reiz p, ins Gleichgewicht zu setzen. Es soll nun Empfindung stattfinden, so lange dieses Gleichgewicht noch nicht erreicht ist, und zwar positive Empfindung, wie z. B. W\u00e4rmeempfindung, wenn p ~>p, negative Empfindung, wie z. B. K\u00e4lteempfindung, wenn p' <C.P ist- In jedem Fall aber mindert sich nach Delboeuf\u2019s Ansicht die Empfindung durch die Wirkung jenes Strebens bei constant erhaltenem Reps, bis das Gleichgewicht erreicht ist, worauf dann so lange keine Empfindung vorhanden ist, als der Reiz sich nicht \u00e4ndert. Annehmend, dass das Gleichgewicht zwischen innerer und \u00e4u\u00dferer Th\u00e4tigkeit nach einiger Zeit erreicht wird,","page":613},{"file":"p0614.txt","language":"de","ocr_de":"614\nAlfred K\u00f6hler.\nsetzt also Del boeuf s \u2014 0 und gelangt so von seiner Unterschiedsformel\nS \u2014 s = Je . log \u2014\nb p\nzu einer Art absoluter Ma\u00dfformel\nS = Je . log \u2014 \u2022\nb p\nHierzu ist zun\u00e4chst zu bemerken, dass diese letzte Formel im Grunde genommen dennoch keine absolute Ma\u00dfformel der Empfindung ist; sie ist und bleibt eine Unterschiedsformel. Denn in beiden der vorstehenden Formeln wird die Ver\u00e4nderung von einer Empfindung , die dem Reiz p zugeh\u00f6rt, zu einer Empfindung, die durch den Reiz y ausgel\u00f6st wird, gemessen. Urspr\u00fcnglich entspricht aber dem Reiz p die Empfindung s ; erst nach einiger Zeit sinkt dieselbe, vorausgesetzt dass D elb oeufs Ansicht richtig ist, auf Null herunter. Hiermit wird aber gleichsam das Coordinatensystem hinsichtlich der Empfindungsachse um s verschoben; auch A wird um die Gr\u00f6\u00dfe s vermindert. Es ist also mit der Formel\nS \u2022\u2014 s = Je . log \u2014\nb p\nnur eine \u00e4u\u00dferliche Ver\u00e4nderung vorgenommen worden ; die Bedeutung der neuen Formel\n3 = Je . log J\u00ebL\nmuss die der vorhergehenden geblieben sein, d. h. sie ist ebenfalls eine Unterschiedsformel ; sie l\u00f6st demnach nicht die eigentliche, absolute Aufgabe, die Empfindung in ihrer Abh\u00e4ngigkeit vom Reiz zu messen. Dies gilt, gleichg\u00fcltig, ob die Ansicht D elb oeufs richtig ist, dass sich die innere Th\u00e4tigkeit mit dem \u00e4u\u00dferen Reiz ins Gleichgewicht zu setzen strebe. Ist nun diese Ansicht richtig, so resultiren aus der Formel\n3 = Ji \u2022 log y\nnegative Empfindungswerthe, aber solche anderer Art, als wir sie fr\u00fcher kennen gelernt haben. F\u00fcr Reizwerthe p' p erhalten wir n\u00e4mlich positive, f\u00fcr Reizwerthe p' <^p dagegen negative Empfindungen. Um zu beurtheilen, ob diese Art negativer Empfindungen","page":614},{"file":"p0615.txt","language":"de","ocr_de":"lieber die haupts\u00e4chlichsten Versuche einer mathematischen Formulirung etc. 615\nzul\u00e4ssig sei oder nicht, gehen wir auf das zur\u00fcck, was fr\u00fcher bez\u00fcglich der negativen Empfindungen gesagt wurde. Wir haben gesehen, dass rein logisch die negative Gr\u00f6\u00dfe, also auch die negative Empfindung zul\u00e4ssig ist. Es fragt sich aber, oh derselben in Wirklichkeit ein Substrat entspricht. Delboeuf bezieht seine Behauptungen in erster Linie auf die Temperaturempfindungen, und in der That scheinen dieselben in dieser Beziehung nicht unbegr\u00fcndet zu sein. Es ist ja eine bekannte Thatsache, dass wir uns der jeweiligen Temperatur accom-modiren, und dass der Uebergang von einer h\u00f6heren Temperatur zu einer niederen uns eine K\u00e4lteempfindung verursacht, w\u00e4hrend der entgegengesetzte Uebergang f\u00fcr uns mit einer W\u00e4rmeempfindung verbunden ist. Insofern nun auch im gew\u00f6hnlichen Sprachgebrauch und in der Physik K\u00e4lte und W\u00e4rme im Gegensatz des Positiven und Negativen unterschieden werden, scheint die Delboeuf\u2019sche Ansicht gerechtfertigt ; es entsprechen sowohl den Beizen p' p wie p' <C p wirkliche Empfindungen und zwischen beiden besteht thats\u00e4chlich ein Gegensatz; er wird durch den Indifferenzzustand als Nullpunkt hergestellt.\nWie schon bemerkt, bezieht sich die Delboeuf\u2019sche Formel in erster Linie auf die Temperaturempfindungen, dagegen scheint es sehr zweifelhaft, ob sich die ganze Vorstellungsweise auch auf die anderen Empfindungsgebiete anwenden l\u00e4sst ; im Gegentheil, es scheint dies recht unwahrscheinlich zu sein. Die ganze Delboeuf-sche neuere Auffassung und das neuere Gesetz sind interessant, vielleicht auch nicht ohne Werth; sie stehen \u00fcberdies nicht in directem Widerspruch mit der Art und Weise, wie man sonst die psychophysische Aufgabe aufzufassen pflegt und zu l\u00f6sen versucht hat. Aber sie l\u00f6sen nicht die Aufgabe, die Empfindung in ihrer Abh\u00e4ngigkeit vom Reiz dem absoluten Werth nach zu messen; die Delbo euf\u2019sche Formel ist, wie ich gezeigt habe, nur eine Unterschiedsformel, keine absolute Ma\u00dfformel.","page":615},{"file":"p0616.txt","language":"de","ocr_de":"616\nAlfred K\u00f6hler.\n5. Das Gesetz von Plateau1) und Brentano.2)\nEs wurde fr\u00fcher bei der Er\u00f6rterung \u00fcber die Messbarkeit der Empfindung bemerkt, dass man nicht die Empfindung selbst, sondern nur den Grad der Merklichkeit derselben messen, und dass man daher urspr\u00fcnglich nur eine Beziehung zwischen Reiz und Merklichkeits-grad der Empfindung aufstellen k\u00f6nne. Will man von dem so aufgestellten Apperceptionsgesetz zu einer Beziehung zwischen Reiz und Empfindung selbst \u00fcbergehen, so muss man wissen, in welcher Beziehung die Empfindung zu dem Merklichkeitsgrad derselben steht. In dieser Hinsicht lassen sich indess nur Hypothesen aufstellen. Fechner nimmt direct Proportionalit\u00e4t zwischen Empfindung und Merklichkeitsgrad derselben an, so dass sein urspr\u00fcnglich nur f\u00fcr die \u00e4u\u00dfere Psychophysik aufgestelltes Gesetz unmittelbar f\u00fcr die innere Psychophysik Geltung beh\u00e4lt.\nAuch Plateau und Brentano suchen vom Apperceptionsgesetz zum Empfindungsgesetz \u00fcberzugehen. W\u00e4hrend aber Fechner Proportionalit\u00e4t zwischen Empfindung und Merklichkeitsgrad derselben, oder was dasselbe ist, zwischen dem Unterschied zweier Empfindungen und dem gleich merklichen Unterschied derselben annimmt, behaupten Plateau und Brentano , dass die Gr\u00f6\u00dfe des Unterschiedes der Empfindungen diesen letzteren proportional zunehmen m\u00fcsse, wenn der Grad der Merklichkeit jener Unterschiede immer derselbe bleiben solle. Bezeichnen wir also zum Unterschied von der Empfindung selbst, welche durch s bezeichnet werde, den Grad der Merklichkeit derselben durch m, und den gleich merklichen Zuwachs derselben durch Jm, so hat man das Weber\u2019sche Gesetz, da es urspr\u00fcnglich nur ein Apperceptionsgesetz ist, in der Form\n1) Vgl. 1) Bulletin de l'Academie de Belgique, T. XXXIII. 1872. 2} Poggen-dorf\u2019s Annalen, CL. St. 3. 1873. p. 465.\n2) Brentano, Psychologie vom empirischen Standpunkt. Th. 1. 1874. p. 87ff. \u2014 Brentano hat sein Gesetz nicht mathematisch formulirt; Fechner hat es an seiner Stelle gethan und sich durch Correspondenz mit ihm vergewissert, dass er damit den Sinn, in welchem Brentano sein Gesetz verstanden haben will, richtig getroffen hat. Das Brentano\u2019sche Gesetz stimmt hiernach mit dem Plate au'sehen \u00fcberein.","page":616},{"file":"p0617.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die haupts\u00e4chlichsten Versuche einer mathematischen Formulirung etc. 617\n= const., Jm \u2014 const.\nr\t1\nRechner setzt nun\nJ s \u2014 Const. Jm,\nso dass sich das W eher\u2019sehe Gesetz formal nicht \u00e4ndert, wenn man es in das Empfindungsgesetz :\n\u2014y- = const., J s == const.\numwandelt. Plateau und Brentano setzen dagegen\nJr\t,\t.\tjs\n\u2014\u2014 == const., Jm \u2014 const., \u2014 = const.\nAus der ersten und dritten dieser Beziehungen resultirt:\nJs ___^ Jr\ns\tr \u2019\nwo k eine Constante ist. Durch Umwandlung dieser Formel in die entsprechende Differentialformel :\nund nachfolgende Integration erh\u00e4lt man die Eelation :\nlog s = k . log r + log Const.\nalso :\nS==(-<\u00c4 )k = c-rk,\nwenn man (^Co^st ^ \u2014 c setzt.\nDiese Formulirung des Weh er\u2019sehen Gesetzes ist wesentlich verschieden von denjenigen, die wir bis jetzt kennen gelernt haben. Nach derselben wird die Empfindung gleichzeitig mit dem Reiz gleich Null, was dem fr\u00fcher von mir vertretenen Standpunkt entspricht. Negative Empfindungswerthe treten hier nicht auf, und auch das Schwellengesetz kommt gar nicht in Betracht, so dass diejenigen 1 unkte hier ganz wegfallen, welche in der Psychophysik mit so gro\u00dfen Schwierigkeiten verbunden sind.","page":617},{"file":"p0618.txt","language":"de","ocr_de":"618\nAlfred K\u00f6hler.\nDie Constante c in der Formel s \u2014 crk bestimmt sich einfach als diejenige Empfindung, welche durch die Reizeinheit hervorgerufen wird, wobei zu bemerken ist, dass man wie bei der Fechner\u2019schen Formel auch hier sich kein anschauliches Bild \u00fcber die Gr\u00f6\u00dfe der Empfindung c machen kann. Die Constante k ist von Plateau und Br entano nicht n\u00e4her bestimmt worden. Plateau sagt nur, dass h wahrscheinlich kleiner als 1 angenommen werden m\u00fcsse, wenn erkl\u00e4rt werden solle, dass die Empfindung in langsamerem Verh\u00e4ltniss ansteigt, als der Reiz. Ueber die eigentliche Bedeutung von h wird indess gar nichts gesagt , und das ist ein Mangel. Denn so lange in einer mathematischen Formel nicht jede der auftretenden Gr\u00f6\u00dfen eine bestimmte Bedeutung hat, verliert die Formel an concretem Werth; sie bleibt eine abstracte und zugleich hypothetische Formel.\nEs fragt sich nun noch, inwieweit die Formel mit den Thatsachen in Einklang steht. Plateau und Brentano begr\u00fcnden ihre Auffassung auf verschiedene Weise. Plateau sagt im zweiten der oben genannten Aufs\u00e4tze S.471:\u00bbFechner\u2019s Formel f\u00fchrt zu der Folgerung, dass, wenn die gemeinschaftliche Beleuchtung variirt, die Differenzen der Empfindung constant bleiben. Es hat mir zur Erkl\u00e4rung der Con-stanz des allgemeinen Ausdrucks eines Kupferstiches nat\u00fcrlicher geschienen, a priori die Constanz dieser Verh\u00e4ltnisse und nicht der Differenzen zwischen den Empfindungen anzunehmen.\u00ab Helmholtz hat im Gegensatz hierzu die Thatsache des ziemlich gleich bleibenden Eindruckes eines Kupferstiches bei verschiedenen Beleuchtungsgraden vielmehr in dem Sinne gedeutet, dass man die Constanz der Differenzen zwischen den Empfindungen anzunehmen habe. \u2014 Um zwischen diesen Ansichten zu entscheiden, zieht Fechner die von Plateau selbst vorgeschlagene Methode der mittleren Abstufungen zu H\u00fclfe, meinend, dass in derselben ein objectives Mittel f\u00fcr die Entscheidung zu erblicken sei. Nach dieser Methode werden drei oder mehr Reize, z. B. drei an einander grenzende Lichtfl\u00e4chen, in ihrer physikalischen Helligkeit so gegen einander abgestuft, dass nach unserem Urtheil der Helligkeitsunterschied zwischen zwei aufeinanderfolgenden Reizen derselbe ist. Die Unterschiede zwischen zwei aufeinanderfolgenden Empfindungen erscheinen uns also dann gleich merklich und es fragt sich nun wieder, ob diesen gleich merklichen Unterschieden auch gleiche Empfindungsunterschiede entsprechen,","page":618},{"file":"p0619.txt","language":"de","ocr_de":"lieber die haupts\u00e4chlichsten Versuche einer mathematischen Formulirung etc. 619\ndiese Frage l\u00e4sst sich aber doch wohl nur hypothetisch beantworten ; denn wir k\u00f6nnen nur die Intensit\u00e4tssch\u00e4tzung der Empfindung einer Messung unterziehen, nicht aber die Empfindung seihst.\nSoll also das Gesetz von Plateau und Brentano als Empfindungsgesetz betrachtet werden, so ist es eben so hypothetisch, wie das Fechner\u2019sche Gesetz als Empfindungsgesetz. AlsApperceptionsgesetz aber kann das Gesetz keine G\u00fcltigkeit beanspruchen; Plateau selbst r\u00e4umt ja ein, dass es nicht in Uebereinstimmung steht mit den nach der Methode der mittleren Abstufungen gemachten Versuchen.\nII. Die experimentalen psychophysischen Gesetze.\nIm Gegensatz zu den Gesetzen von fundamentalem Charakter, bei denen von geringen Abweichungen abgesehen ist, und diese \u00e4u\u00dferen st\u00f6renden Einfl\u00fcssen zugeschrieben werden, besteht das Wesen der experimentalen Gesetze darin, dass man sich bei ihrer Aufstellung m\u00f6glichst an die beobachteten Daten gehalten und diese m\u00f6glichst genau durch eine exacte Formel darzustellen gesucht hat, wobei immerhin auch theoretische Erw\u00e4gungen von Einfluss gewesen sind. Aus dem so gekennzeichneten Wesen dieser experimentalen Gesetze erkl\u00e4rt sich von vorn herein, dass dieselben viel mehr auseinander-o-ehen m\u00fcssen, als dies bei den fundamentalen Gesetzen der Fall war. W\u00e4hrend alle Formeln der letzten Art mit einer einzigen Ausnahme in der Form ganz oder fast ganz \u00fcbereinstimmten, ohne ihrem Wesen nach dieselben zu sein, kann man hier beinahe die umgekehrte Bemerkung machen; die hier zu betrachtenden Formulirungen des Web ersehen Gesetzes gehen haupts\u00e4chlich in der \u00e4u\u00dferen Form auseinander; es findet sich wenig Gemeinsames in ihnen, und es d\u00fcrfte sich daher kaum lohnen, dieselben zuvor unter gemeinsamen Gesichtspunkten zu betrachten. Ich gehe daher sogleich zu den einzelnen Gesetzen \u00fcber. Die haupts\u00e4chlichsten derselben sind die von Helmholtz, Langer und G. E. M\u00fcller.\n1. Das Helmholtz\u2019sche Gesetz.1)\nHelmholtz, dessen Versuche sich vor Allem auf das Gebiet des Lichtsinnes erstrecken, kommt hier zu dem allgemeinen Resultat, dass\n1) Vgl. Helmholtz, Handbuch der physiol. Optik. 1. Aufl. S. 313.","page":619},{"file":"p0620.txt","language":"de","ocr_de":"620\nAlfred K\u00f6hler.\nder Fechner\u2019schen Formel eine approximative G\u00fcltigkeit zukommt; dagegen hat er beobachtet, \u2014 und man best\u00e4tigt es allgemein \u2014 dass sich bei geringen Helligkeiten der Einfluss des subjectiven Eigenlichtes des Auges geltend macht, und dass hierdurch eben die Abweichung vom Weber\u2019schen Gesetz an der unteren Grenze herbeigef\u00fchrt wird. Will man also eine Formel haben, die l\u00e4ngs der ganzen Scala der Reizwerthe g\u00fcltig ist, so muss man jenes Eigenlicht des Auges in Rechnung ziehen. Das kann in der Weise geschehen, dass man die Reizung durch innere Einfl\u00fcsse hinsichtlich ihrer quantitativen Gr\u00f6\u00dfe gleichsetzt der Reizung durch ein Licht von der entsprechenden Helligkeit. Bezeichnen wir die Gr\u00f6\u00dfe dieses Reizes durch r0, so hat man an Stelle der Fechner\u2019schen Differentialformel;\nds = Je-\nr\nzu setzen :\nHelmholtz bemerkt weiter, dass, welches auch die Einfl\u00fcsse seien, welche sich an der oberen und unteren Grenze geltend machen, dieselben jedenfalls auch in den mittleren Graden der Helligkeit hervortreten. In der That beobachtet man, dass die Unterschiedsempfindlichkeit nur innerhalb mittlerer Reizst\u00e4rken nahezu constant ist, w\u00e4hrend sich nach den beiden Grenzen hin eine Abnahme bemerklich macht. Da nun die Unterschiedsempfindlichkeit gemessen wird durch das Yerh\u00e4ltniss:\nds ___ r . ds\ndr dr \u2019 r\nso w\u00fcrde dieselbe beim urspr\u00fcnglichen Weber\u2019schen Gesetz als constant angenommen sein, da ja aus der Beziehung\nds = Je \u2014 r\nfolgt:\nr . ds j\n\u2014\u2014 = k, = const.\nAuch die hinsichtlich der unteren Grenze modificirte Formel :\ndr\nds \u2014 Je\nr0 + r","page":620},{"file":"p0621.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die haupts\u00e4chlichsten Versuche einer mathematischen Formulirung etc. 621\ngen\u00fcgt der genannten Thatsache noch nicht, da nach ihr die Unterschiedsempfindlichkeit\n\u2022 r ds________kr\ndr r0 + r\nmit r best\u00e4ndig wachsen m\u00fcsste. Man erkennt dies unmittelbar ; man kann sich aber auch in der Weise davon \u00fcberzeugen, dass man das Maximum resp. Minimum der Unterschiedsempfindlichkeit bestimmt. Zu dem Zweck bildet man bekanntlich den ersten Differentialquotienten von kr nach r, setzt ihn gleich Null und bestimmt aus dieser\nro r\nGleichung r. Nun ist :\n\u00c4 ( kr \\ \u2014 1- r0 + r \u2014 r = k r0 dr\\r0 + r)\t[r0 + rf (r0 + i-)2 '\nDer Gleichung:\nhr\u00b0.~.\n[r0 + r)2\nkauri wegen h =|= 0 und r0-|= 0 nur gen\u00fcgt werden durch r = oo. F\u00fcr den Reiz r = oo hat man also die gr\u00f6\u00dfte oder kleinste Unterschiedsempfindlichkeit, w\u00e4hrend dieselbe f\u00fcr mittlere Reize am gr\u00f6\u00dften sein und nach beiden Grenzen hin abnehmen soll.\nDieser Forderung gen\u00fcgt also die obige Formel noch nicht; es ist n\u00f6thig, die Unterschiedsempfindlichkeit als Function des Reizes anzunehmen und zwar in der Weise, dass die Function f\u00fcr m\u00e4\u00dfige Werthe von r nahezu constant bleibt, f\u00fcr r = oo dagegen gleich Null wird. Als einfachste Function, welche dieser Forderung gen\u00fcgt, setzt Helmholtz:\nk ~ 1t + r \u2019\nwo R sehr gro\u00df sein muss und c eine Constante ist. Hiernach bekommt nun Helmholtz als Differentialformel :\nj ___ c . dr\n~ [r0 + r)(c + X)-\nDie Unterschiedsempfindlichkeit wird jetzt :\nr . ds___\tc . r___\ndr (r0 + r) [R + r) '\nDann wird:","page":621},{"file":"p0622.txt","language":"de","ocr_de":"622\nAlfred K\u00f6hler.\nd_ rr . ds\\ n (r0 + r) [R + r) \u2014 r (r\u201e + r) \u2014r (r + R)\ndr \\ dr )\t(r0 + rf (?\u2022 + Ry\n\u2014 r T\" 11 \" r\u00b0~\n(r0 + ry (r + Rf*\nDie Bedingung ~ (~dr ) ~ 0 des Maximums resp. Minimums der Unterschiedsempfindlichkeit liefert hiernach f\u00fcr r die beiden Werthe : r = Yr0U und r = oo.\nDa nun der Werth des 2. Differentialquotienten:\n(P. r ds\ndr __ c \u2014 (r\u201e + r)2 (r + R^\u00eer \u2014 r* [r + R)* 2 r \u2014 r* (r0 + r. 2 \u00bb\u2022 d r2\t(r0 + r)\u00ab (r + \u00c6)\u00ab\n_ _ 2\t+ r>2\t+ -^i2 + *~2\t+ -E)2 + (r0 +\n{r\u201e + r)* (r + A'4\nf\u00fcr jeden positiven Werth von r negativwird, alsoauch f\u00fcr r \u2014 Yr0 \u25a0 -B, so tritt unter Zugrundelegung der obigen Differentialformel f\u00fcr mittlere Reizwerthe die gr\u00f6\u00dfte Unterschiedsempfindlichkeit ein ; gegen die obere und untere Grenze dagegen nimmt sie ab. Diese Differentialformel gen\u00fcgt also im Allgemeinen den Thatsachen.\nAus\nj ___ c dr\nS ~~ (r0 + r) (r -\\-~R)\nfolgt durch Integration :\ndr\nalso, da\nist :\n* = Cf~r + ri(r + R) + C(mSt>\n_______1_______= _J ( *\t, _J_\\\nir0 + r) (r + R) R \u2014 r0 \\r0 + r ~ r + RJ\ns \u2014 j|_r {log (r + r) \u2014 log [r -f- i\u00fc)} -f- Const.\n\u2022 log T^Tr + Const.\nEs ist nun noch die Integrationsconstante zu bestimmen. Zu dem Zweck kann man einmal so verfahren, dass man den Reiz r sehr gro\u00df annimmt, so dass r0 sowohl wie Ji gegen r verschwinden. Dann\nwird p'+R ann\u00e4hernd gleich 1, also log\t= 0. Bezeichnet man","page":622},{"file":"p0623.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die haupts\u00e4chlichsten Versuche einer mathematischen Formulirung etc. 623\ndaher die einem solchen Reizwerth r entsprechende Empfindung durch g so wird Const. == S, und S bedeutet hier offenbar das Maximum der Empfindung, welches der sogenannten Reizh\u00f6he entspricht. Durch Substitution dieses Werthes von Const, wird die obige Formel:\nS \u2014 s\n\u25a0 log\nR + r r\u201e + r\u2018\nNoch auf andre Weise kann man die Integrationsconstante bestimmen. Bezeichnet man n\u00e4mlich durch ff den Werth der Empfindung s, die ohne \u00e4u\u00dferen Reiz blo\u00df verm\u00f6ge der inneren Erregung r0 stattfindet, so wird :\nalso:\nConst, \u2014 a \u2014\t0\u2014 . log :\nR \u2014 r0 \u00b0 it]\nS\n*j> + r\\\nR + r)'\nAus dieser und der obigen Beziehung\nS \u2014 s =\n\u2022 log\nR + r r0+ r\nfolgt als Ausdruck f\u00fcr den Unterschied zwischen dem Maximum und dem Minimum der Empfindung\nS\u2014 ff =\nDie Curve, welche durch die Gleichung\n\u2022 log\n-R+ r r0 + r\ndargestellt wird, ist im Allgemeinen der fr\u00fcher dargestellten logarithmi-schen Linie \u00e4hnlich. F\u00fcr den Nullwerth des Reizes sinkt die Empfindung herab auf diejenige, welche nur durch die innere Erregung r0\nhervorgerufen wird. Da d\u00a3 = ^ + r)c[r f\u00fcr jedes positive r positiv bleibt, so w\u00e4chst die Empfindung best\u00e4ndig mit wachsendem r. F\u00fcr gro\u00dfe Werthe von r wird ann\u00e4hernd = 0, die Curve n\u00e4hert\nsich also dem Parallelismus mit der r-Achse, d. h. die Empfindung w\u00e4chst nicht mehr, sie erh\u00e4lt sich constant auf einem Maximal werthe.","page":623},{"file":"p0624.txt","language":"de","ocr_de":"624\nAlfred K\u00f6hler.\nZu bemerken ist, dass die negativen Empfindungen und das Schwellengesetz, die in anderen Formulirungen so wesentlichen und schwierigen Punkte, ganz vermieden sind, so dass sich in dieser Beziehung gegen die Formel nichts einwenden l\u00e4sst. Unser Augenmerk haben wir vielmehr auf die von Helmholtz eingefiihrten Modificationen zu richten. In der Einf\u00fchrung der subjectiven inneren Erregung, welche durch r0 in der Formel zum Ausdruck kommt, ber\u00fchrt sich Helmholtz mit Del boeuf, der ja in seiner fr\u00fcheren Formel ebenfalls diese innere Erregung in Betracht zieht. Es scheint \u00fcberhaupt mehrfach die Neigung zu bestehen, diese innere Erregung zu ber\u00fccksichtigen, und es l\u00e4sst sich dagegen auch nichts einwenden, insofern dieselbe wirklich vorhanden ist. Es fragt sich indess, ob man dieselbe nicht besser als blo\u00df st\u00f6renden Einfluss betrachtet, um die Einfachheit des psychophysischen Gesetzes durch Einf\u00fchrung derselben nicht zu beeintr\u00e4chtigen.\nGanz ebenso verh\u00e4lt es sich mit der weiteren Modification, die Helmholtz anbringt, und die ihren Grund darin hat, dass die Empfindlichkeit nicht l\u00e4ngs der ganzen Empfindungsscala dieselbe ist. Auch gegen diese Modification l\u00e4sst sich an und f\u00fcr sich nichts einwenden, wenn das Gesetz in m\u00f6glichste Uebereinstimmung mit den Thatsachen gebracht werden soll. Dagegen ist zu bemerken, dass\ndie Setzung k \u2014\tnur insofern begr\u00fcndet ist, als den gestellten\nForderungen dadurch im Allgemeinen gen\u00fcgt wird ; an und f\u00fcr sich ist dieselbe dagegen willk\u00fcrlich. Es kommt hinzu, dass \u00fcber die Gr\u00f6\u00dfe R nichts weiter gesagt wird, als dass sie sehr gro\u00df sein muss. Was aber R bedeutet, welche Rolle diese lediglich der Zweckm\u00e4\u00dfigkeit halber eingef\u00fchrte Gr\u00f6\u00dfe in Wirklichkeit spielt, wird in keiner Weise angegeben. Man kann soviel schlie\u00dfen, dass R jedenfalls einen Reiz bedeutet, weil sonst der Nenner R -f- r nicht homogen sein w\u00fcrde ; das ist aber nur eine mathematische Forderung, durch welche die Art von R bestimmt wird ; aber damit ist R selbst nioht bestimmt, und die Einf\u00fchrung dieser Constanten erscheint somit noch nicht gerechtfertigt.\nDie Constante c hat die Bedeutung einer Empfindung; es ergibt sieh das ganz in derselben Weise wie fr\u00fcher in-Bezug auf die Constante k.","page":624},{"file":"p0625.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die haupts\u00e4chlichsten Versuche einer mathematischen Formulirung etc. 625\nEine Hauptfrage ist schlie\u00dflich, ob denn thats\u00e4chlich die Cor-rectionen, welche Helmholtz am urspr\u00fcnglichen Weher\u2019sehen Gesetz angebracht hat, den Zweck erf\u00fcllen, aus dem sie entsprungen sind; mit anderen Worten: wird die modificirte Formel von Helmholtz den Thatsachen mehr gerecht, als die Fechner\u2019sche Formel? In dieser Hinsicht ist man allgemein der Ansicht, dass die Helm-holtz\u2019sche Formel die oberen Abweichungen ann\u00e4hernd deckt. Im Allgemeinen zeigt sich indess keine zureichende Uebereinstimmung derselben mit den Beobachtungen, und namentlich wird geltend gemacht, dass man den unteren Abweichungen vom Weber\u2019schen Gesetz durch blo\u00dfe Bezugnahme auf die best\u00e4ndige subjective Erregung des Sehorganes keineswegs ganz gerecht wird, so dass es nach dem Ausspruch G. E. M\u00fcll er\u2019s nach dieser Richtung hin wenigstens neuer Correctionen bedarf, um die Formel brauchbar zu machen. Durch solche weitere Correctionen w\u00fcrde sich die an und f\u00fcr sich schon nicht einfache Helm hol tz\u2019sche Formel noch complicirter gestalten und dadurch noch mehr an fundamentaler G\u00fcltigkeit verlieren.\nGesetzt nun, man k\u00f6nnte der Helmholtz\u2019schen Formel ann\u00e4hernde G\u00fcltigkeit zugestehen, so darf man nicht vergessen, dass sich dieses Zugest\u00e4ndniss nur auf das Gebiet des Lichtsinnes bezieht ; denn nur auf den Gesichtssinn beziehen sich die Helmholtz\u2019schen Beobachtungen , und nur f\u00fcr ihn hat Helmholtz zun\u00e4chst seine Formel aufgestellt; es ist sehr die Frage, ob sich dieselbe auch auf andre Sinnesgebiete anwenden l\u00e4sst. Sollte die Formel fundamentale G\u00fcltigkeit beanspruchen, so m\u00fcsste man verlangen, dass sie f\u00fcr alle Sinnesgebiete in gleicherweise gelte, wie f\u00fcr den Gesichtssinn. Da indess diese G\u00fcltigkeit f\u00fcr alle Sinnesgebiete noch nicht erwiesen ist, sich auch wahrscheinlich nie erweisen Avird, so haben wir keinen Grund, der Helmholtz\u2019schen Formel allgemeine G\u00fcltigkeit, fundamentalen Charakter zuzuschreiben.\n2. Langer\u2019s Formulirung des Weber\u2019schen Gesetzes.1)\nVon demselben Gesichtsspunkt ausgehend wie Helmholtz, n\u00e4mlich eine Formel aufzustellen, die in m\u00f6glichster Uebereinstim-\n1) Langer, Die Grundlagen der Psychophysik, S. 58. Wundt, Philos. Studien. III.\n41","page":625},{"file":"p0626.txt","language":"de","ocr_de":"626\nAlfred K\u00f6hler.\nmung mit den beobachteten Thatsachen steht, will Langer ebenso wie Helmholtz ber\u00fccksichtigt wissen, dass die Unterschiedsempfindlichkeit nicht l\u00e4ngs der ganzen Reizscala constant bleibt, sondern anfangs w\u00e4chst bis zu einem Maximum und von da an wieder gegen Null abnimmt. Zu einer Modification des urspr\u00fcnglichen Weber\u2019schen Gesetzes wird Langer noch durch einen weiteren Grund bestimmt den ich schon fr\u00fcher ber\u00fchrt habe. Nehmen wir n\u00e4mlich einmal an, die Unterschiedsempfindlichkeit sei constant, so ist im Weber\u2019schen Gesetz :\n\u2014 == Const, \u2014 c, J s = const, r\t7\nc eine wirkliche Constante, die einen bestimmten Werth hat. Aus der Gleichung\nJr = c .r\nbestimmt sich also f\u00fcr jeden Werth von r der Zuwachs Jr, der n\u00f6thig ist, um eine merkliche Aenderung oder eine gleichmerkliche Aende-rung der Empfindung hervorzurufen. In dem besonderen Fall r \u2014 0 folgt nun, dass Jr \u2014 0 wird, d. h. zum Reiz r \u2014 0 muss der Zuwachs Jr \u2014 0 hinzukommen, damit aus der Empfindung Null eine eben merkliche Empfindung werde, was nat\u00fcrlich falsch ist. Man sollte vielmehr erwarten, meint Langer, dass das Web er\u2019sehe Gesetz f\u00fcr r \u2014 0 Jr = q liefert, wenn man unter q die Reizschwelle versteht ; denn f\u00fcr r \u2014 0 hat man keine Empfindung, f\u00fcr r = q tritt der erste Merklichkeitsgrad Js der Empfindung ein; es ist also Jr \u2014 q der Zuwachs, der zur = 0 hinzukommen muss, um eben eine Empfindung hervorzurufen.\nEs ist schon fr\u00fcher ausgef\u00fchrt worden, dass die Forderung Langer\u2019s nicht ganz unbegr\u00fcndet erscheint, und dass sie eigentlich nur durch Einf\u00fchrung der negativen Empfindungswerthe umgangen wird, deren Werth selbst abgesehen von der Wundt\u2019sehen Auffassung ein zum Mindesten zweifelhafter ist.\nUm der Forderung zu gen\u00fcgen, dass f\u00fcr r = 0 Jr sich auf Q re-\nducirt, und um die Ver\u00e4nderlichkeit der Unterschiedsempfindlichkeit\nzu ber\u00fccksichtigen, ersetzt Langer das Weber\u2019sche Gesetz\n\u2014 = Const. = c r\ndurch das folgende als das n\u00e4chst einfachere :","page":626},{"file":"p0627.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die haupts\u00e4chlichsten Versuche einer mathematischen Formulirung etc. 627\noder:\ndr\nr\n\u2014 kr + \u2014\n1 r\nz/ t = 1z ~j\u2014 b.\nBei der Ableitung einer psychophysischen Beziehung aus dieser modificirten Formel verfolgt nun Langer einen Weg, den er auch benutzt hat, um das Fechner\u2019sche Gesetz selbst abzuleiten.\nEs sei/(r) die zu suchende unbekannte Function der Empfindung in ihrer Abh\u00e4ngigkeit vom Reiz ; dann ist\nund, indem man wieder integrirt :\nfl\n\u00abi \u2014 $ \u2014 Jfr . dr.\nr\nIst nun allgemein F[x) eine innerhalb des Intervalls a bis b stetige Function von x, und ist e ein positiver echter Bruch, so besteht nach einem bekannten Satze die Relation :\nb\njF(x)dx \u2014 (b \u2014 a) F [a + e {b \u2014 a)].\na\nDa die Empfindung stetig mit dem Reize w\u00e4chst, so l\u00e4sst sich dieser Satz nach Lang er\u2019s Darstellung auf die Function fr anwenden, und es besteht daher nach ihm die Relation\nn\nsi \u2014 s =ff'r = iri \u2014 r) \u2022/' [r + s (rt \u2014 r)]\nr\noder :\n1)\tJs = Jr .f\\r + e f \u2014 r)].\nHier liegt offenbar ein Irrthum vor; da die Empfindung stetig mit dem Reize w\u00e4chst, so ist s \u2014 f[r) die Function, auf welche sich der genannte Satz anwenden l\u00e4sst, nicht aber fr. Daraus, dass_/(r) eine stetige Function von r ist, folgt ferner nicht, dass fr von derselben\nA-rt sei; wenn daher ~ = fr unstetig sein sollte, so l\u00e4sst sich der\ngenannte Satz \u00fcberhaupt nicht anwenden, und somit wird die ganze Langer\u2019sehe Ableitung f\u00fcr diesen Fall hinf\u00e4llig. Verfolgen wir die-selbe indess weiter.\n41","page":627},{"file":"p0628.txt","language":"de","ocr_de":"628\nAlfred K\u00f6hler.\nAus der Beziehung 1) schlie\u00dft Langer, dass irund is nur Functionen sind von dem Ausdruck r + \u00ab (r, \u2014 r). Demgem\u00e4\u00df wandelt er nun sein modificirtes Weber\u2019sches Gesetz um in :\n2)\tAr \u2014 kx [r + s [rx \u2014 r)]2\nAuch der letzte Schluss ist nicht richtig; denn aus 1) folgt zun\u00e4chst nur, dass das Yerh\u00e4ltniss ^ eine Function des Ausdruckes\nr _|_ e \u2014 r) ist. Doch k\u00f6nnen wir hier\u00fcber hinwegsehen, da sp\u00e4ter nur dieses Yerh\u00e4ltniss in Betracht kommt und so diese Unrichtigkeit ohne Einfluss bleibt.\nBeil\u00e4ufig bemerkt w\u00fcrde das urspr\u00fcngliche Weber\u2019sche Gesetz dem Obigen entsprechend umzuwandeln sein in :\nAr = x \\r -f- e [rx \u2014 r)].\nIn 2) ist ausgedr\u00fcckt, dass der eben merkliche Reizunterschied nicht von einem der beiden das Reizintervall bildenden Reize allein, sondern von beiden abh\u00e4ngt. Ganz ebenso verh\u00e4lt es sich mit dem entsprechenden Empfindungsunterschied.\nEs ist nun weiter n\u00f6thig, Reiz und Empfindung in Beziehung zu setzen. Fechner machte, wie wir wissen, die Annahme, dass den eben merklichen Reizunterschieden gleiche Empfindungsunterschiede entsprechen. Diese Annahme weist Langer als unhaltbar zur\u00fcck; ihm scheint es wahrscheinlicher, dass die Empfindungsunterschiede mit der Gr\u00f6\u00dfe der Reize wachsen, und als einfachste Annahme macht er die des proportionalen Wachsthums. Es sei hervorgehoben, dass auch hier wieder eine Ungenauigkeit in der Langer\u2019sehen Darstellung besteht; nach derselben soll der Empfindungsunterschied proportional den beiden das entsprechende Reizintervall einschlie\u00dfenden Reizen gesetzt werden. Dies in eine Formel \u00fcbersetzt w\u00fcrde lauten:\nA s \u2014 const, r. rx.\nLanger aber meint, dass As in der oben angegebenen Weise vom Ausdruck r + e [rx \u2014 r) abh\u00e4ngen soll, und setzt also :\n3)\t4s \u2014 [r + e (rt \u2014 r)].\nSubstituirt man die Werthe 2) und 3) von Ar und As in die obige Beziehung 1), so folgt :","page":628},{"file":"p0629.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die haupts\u00e4chlichsten Versuche einer mathematischen Formulirung etc. 629\nf[r + e (rt \u2014 r)} =\nXy [r + e (n \u2014 r)] h [r + e (rt \u2014 r)]2 + by\n)\noder wenn man zur Abk\u00fcrzung\nr + s (rt \u2014 r) \u2014 R und f (R) = s\nsetzt :\nr K =\t__\nJ \u2014 dR h R<i + 5, '\nAus dieser Differentialgleichung erh\u00e4lt man durch Integration :\n4) f(R) = s = Ij- \u25a0 l\u00b0g (AiR2 + *i) + Const.\nJe nach der Annahme oder Nichtannahme resp. je nach der verschiedenen Auffassung des Schwellengesetzes leitet Langer aus 4) zwei verschiedene Beziehungen her. Er setzt einmal voraus, dass die Empfindung selbst gleichzeitig mit dem Beiz auf Null herabsinkt ; in diesem Fall nimmt er eine sogenannte Empfindungsschwelle an, d. h. er meint, die Empfindung m\u00fcsse erst eine gewisse Intensit\u00e4t erreicht haben, ehe sie appercipirt werden k\u00f6nne. Zur Bestimmung der Con-stanten hat man jetzt f\u00fcr s \u2014 0 r = 0 zu setzen und bekommt so:\nalso:\na)\n0 = ~~ \u25a0 log by + Const. Const. = \u2014\t\u2022 log by,\n*i R- + 5,\n*i\nDie Frage der Schwelle unentschieden lassend, leitet Langer noch ein anderes Gesetz her, indem er die Annahme macht, dass eine Reizschwelle bestehe, dass also die Empfindung bei einem endlichen Werth by Null werde. In diesem Fall hat man zur Bestimmung der Integrationsconstanten in obiger Gleichung f\u00fcr r = by s = 0 zu setzen und erh\u00e4lt so:\nConst. = \u2014\t\u2022 log (ky by2 + by).\nMan bekommt also dung :\nb)\njetzt als Beziehung zwischen Reiz und Empfin-\nJR'2 -j-\nWh\u2019","page":629},{"file":"p0630.txt","language":"de","ocr_de":"630\nAlfred K\u00f6hler.\nSetzen wir schlie\u00dflich noch r f\u00fcr 2i, b statt bl} k statt und fassen \u00fcberdies in eine einzige Constante K zusammen, so hat man f\u00fcr\n2 Aj\ndie Annahme einer Empfindungsschwelle, aber keiner Reizschwelle das Gesetz :\n,\t\u201e , kr2 + b\na)\ts = K. log------j----,\nund im Falle einer Reizschwelle hat man das Gesetz :\nb)\ns \u2014 K. log\nkr2 + b kb2 + b\nIm Gegensatz zu manchen der fr\u00fcheren Ableitungen ist die Herleitung der Formel 4) durchaus nicht einfach und klar ; man hat vielmehr M\u00fche, den allgemeinen Gang und die Gr\u00fcnde dieses Ganges zu verfolgen. Ich werde daher nochmals den allgemeinen Weg geben und es wird sich dann zeigen, dass die ganze Herleitung auch abgesehen von den schon oben bemerkten Versehen nicht richtig sein kann.\nLanger modifient zun\u00e4chst das Web er\u2019sehe Gesetz in folgendes :\nJr \u2014 kr2 -j- b\nworaus folgen w\u00fcrde:\n5)\nJ s \u2014 xr,\nJs ___ xr\nJr kr2 + b\nEs handelt sich nun darum, aus dieser Formel eine Differentialformel zu gewinnen. Das Einfachste w\u00fcrde sein, 5) unmittelbar in die Differentialformel\nR\\\tAl \u2014 xr\n'\tdr kr2 + b\numzuwandeln ; dann w\u00fcrde sich abgesehen von der Bezeichnung unmittelbar die Beziehung 4) ergeben haben.\nEine solche Umwandlung von 5) in 6) war im entsprechenden Fall der Fe chn er\u2019sehen Ableitung zul\u00e4ssig, nicht aber hier, wie man leicht einsieht. Dies ist wohl der Grund zu der eigenth\u00fcmlichen Art undWeise, wie Langer seine Differentialformel herleitet. DasEigen-th\u00fcmliche ist nun aber, dass er auf dem Umweg schlie\u00dflich zu der","page":630},{"file":"p0631.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die haupts\u00e4chlichsten Versuche einer mathematischen Formulirung etc. 631\nFormel 4) gelangt, die er einfacher, aber freilich falsch al,leiten konnte. Daraus folgt schon, dass der Langer\u2019sche Weg nicht richtig sein kann.\nDieUeberf\u00fchrung der Formel 5) in eine Differentialformel bewirkt nun Langer in der Weise, dass er zun\u00e4chst die Beziehung\n1)\tJs \u2014 /' [r -4- \u00ab (ri \u2014 r)]\nnachweist. Der Nachweis dieser Beziehung basirt allerdings, wie wir gesehen haben, auf einem Versehen; doch ist immerhin m\u00f6glich, dass die Richtigkeit von 1) gerechtfertigt werden kann. Aus 1) folgert Langer, dass Js und Jr blo\u00dfe Functionen des Ausdruckes r + \u00ab (r, - ,) sein m\u00fcssen, setzt diese Functionen ein und erh\u00e4lt dann durch Integration seine Formel 4), nachdem er zur Abk\u00fcrzung r -f- e [rl \u25a0\u2014 r) = R gesetzt hat. \u2014\t6\nLang er\u2019sehen Ableitung.\nEs ist nun fr\u00fcher schon erw\u00e4hnt worden, dass der Schluss, Jr und Js m\u00fcssten blo\u00dfe Functionen von R sein, falsch ist; nur das\nVerh\u00e4ltnis\u00ab 4* darf als blo\u00dfe Function von R aufgefasst werden, wenn der Langer\u2019,che Schluss \u00fcberhaupt anwendbar ist, aber selbst\ndieser Schluss scheint mir nicht richtig zu \u00abem; er w\u00fcrde, wie ich\n\u2122\tj f\twenn die Beziehung 1) eineiden-\nmeine, nur dann gerechtfertigt sein, \u00ab\t\u00f6 '\n.. ,\t.. T, r\tdie Consequenzen dieses Schlusses,\ntische ware. Verfolgen wir nun aie ^ u\nLanger wandelt seiner Folgerung gemtf. dass J, und Jr n\u201e von R ahh\u00e4ngen k\u00f6nnen, sein modiffeirtes Weber sches Gesetz:\njr = l\u00efr* -h b\num in: 2) 3)\nJ s \u2014 xr\nir = \u00c4,[r + <\t~ r)]\u00e4 +\nJs = *[r-i-e(rt~-rn\noder k\u00fcrzer :\n2)\tJr = R* +\n3)\tJs = *R \u25a0\n2) und 3) sagen aus, dass Js und Jr nacht Ton emem, sondern von den beiden de, das betreffende Intervall btldenden Hetze abhaagen. Setzen wir also r = r., so ist das Keizintervall Null; es musst, also\naus 2) und 3) folgen:","page":631},{"file":"p0632.txt","language":"de","ocr_de":"632\nAlfred K\u00f6hler.\nJr \u2014 0 , J s \u2014 0.\nStatt dessen folgt aber\nJr = !\\ r- + bl J s \u2014 xr.\nHieraus geht hervor, dass die Beziehungen 2) und 3) nicht richtig sein k\u00f6nnen. Wenn das Verh\u00e4ltniss wirklich eine blo\u00dfe Function\n<JS\nvon li sein sollte, so m\u00fcsste man weiter schlie\u00dfen, dass Jr und Js von der Form :\n(Jr = ipJR).(p{r)\n\\Js = ipt[R). cp(r)\nsind, wo die Function (p von der Art ist, dass cpWj \u2014 0 wird. Die Bedingungen 7) gestatten aber nicht mehr, dass das Web er\u2019sehe Gesetz die Form\nJr = kr* + b J s \u2014 ks\nhabe.\nEs sei noch auf einen Umstand hingewiesen, der befremdend ist. An Stelle der Reizschwelle b in der Langer\u2019schen Formulirung des Weber\u2019sehen Gesetzes :\nJr = kr* -j- b\nist in der umgewandelten Form 2) die Gr\u00f6\u00dfe bi getreten. Die Reizschwelle ist eine empirisch zu bestimmende Gr\u00f6\u00dfe ; w\u00e4hrend also sehr wohl der Proportionalit\u00e4tsfactor k eventuell in kl \u00fcbergehen kann, darf doch nicht die empirische Constante b durch bl ersetzt werden. Oder sollte bl nicht mehr die Reizschwelle bedeuten? \u2014 Bei der Bestimmung der Integrationsconstanten wird bl als Reizschwelle betrachtet, w\u00e4hrend urspr\u00fcnglich b als solche eingef\u00fchrt war. Ich meine also, es m\u00fcsste in 2) b an Stelle von*5, beibehalten werden.\nDurch den Nachweis dieser Bedenken und Widerspr\u00fcche, welche sich in der Langer\u2019schen Ableitung zeigen, d\u00fcrfte das Gesetz selbst hinf\u00e4llig werden. Wenn ich trotzdem in meiner Kritik fortfahre, so geschieht es, um zu zeigen, dass das Gesetz derselben fast in keinem Punkte Stand zu halten vermag.\nAus der Formel 4) leitet Langer zwei verschiedene Beziehungen ab je nach Annahme oder Nichtannahme einer Reizschwelle. Trotz-","page":632},{"file":"p0633.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die haupts\u00e4chlichsten Versuche einer mathematischen Formulirung etc. 633\ndem tritt aber in beiden Beziehungen a) und b) der urspr\u00fcngliche Schwellenwerth b auf. Dass auch in der Formel a), welche dem Fall entspricht, wo keine Reizschwelle, wohl aber eine Empfindungsschwelle besteht, der Schwellenwerth b auftritt, ist jedenfalls so zu erkl\u00e4ren, dass b in diesem Fall nicht eigentlich als Reizschwelle aufzufassen ist, sondern als die Gr\u00f6\u00dfe des Reizes, welchem die Empfindungsschwelle entspricht.\nEs ist nun befremdend, dass die Frage der Schwelle so zweifelhaft gelassen wird, dass sie erst ganz nachtr\u00e4glich dazu dient, um eventuell zwei verschiedene Gesetze zu bestimmen; es scheint wahrscheinlicher, dass dieser Punkt so fundamental f\u00fcr ein psychophysisches Gesetz ist, dass er von vorn herein bestimmend f\u00fcr ein solches wird. In der That ist ja auch dieser Punkt bei Langer der Anlass zu einer Modification des Web er\u2019sehen Gesetzes gewesen, und wenn wir nun n\u00e4her Zusehen, so findet sich, dass diese Modification nur begr\u00fcndet ist f\u00fcr den Fall, dass man keine Reizschwelle, sondern eine Empfindungsschwelle annimmt; denn in diesem Falle liegt die Sache so : die Empfindung beginnt gleichzeitig mit dem Reiz bei Null und w\u00e4chst stetig mit demselben ; die Merklichkeit der Empfindung w\u00e4chst indessen unstetig; der jeweilige eben merkliche Reizunterschied bestimmt sich nach dem Weber\u2019schen Gesetz; man kann also dasselbe von dem ersten eben merklichen Reizunterschied verlangen , dieser ist aber nichts Anderes als die Schwelle. F\u00fcr diesen Fall passt also die L an g er\u2019sehe Argumentation, nicht aber f\u00fcr den anderen Fall der Annahme einer Reizschwelle, in welchem s = 0 f\u00fcr r = b gesetzt wird. Denn bis zur Reizschwelle als unterster Grenze gilt auch das urspr\u00fcngliche We b er\u2019sehe Gesetz empirisch und unterhalb dieser Grenze kann man keine empirische Geltung mehr beanspruchen, sobald man f\u00fcr dieselbe die Empfindung gleich Null annimmt.\nLanger besch\u00e4ftigt sich nun n\u00e4her mit dem Gesetz :\n.\t-ry- 1\tk r2 + b\na)\ts = K. log------T----,\nwelches dem Fall entspricht, dass keine Reizschwelle, sondern eine Empfindungsschwelle besteht.\nNach a) ist der beziehungsweise Gang zwischen Reiz und Empfindung folgender : Reiz und Empfindung wachsen gemeinschaftlich","page":633},{"file":"p0634.txt","language":"de","ocr_de":"634\nAlfred K\u00f6hler.\nvom Werthe Null an. Die Formel gilt ebenso f\u00fcr positive wie f\u00fcr negative Reizwerthe, und zwar, so schlie\u00dft Langer weiter, tritt f\u00fcr gleiche aber entgegengesetzte Reize dieselbe Empfindung ein. Aus dem Werth des ersten Differentialquotienten:\nds 2kK.r\ndr\tkr2 + b\nist ersichtlich, dass die Empfindung mit wachsenden positiven Reizen von Null bis Unendlich stetig w\u00e4chst; und dasselbe soll gelten f\u00fcr absolut wachsende negative Reize. Da ferner der zweite Differentialquotient\nd2s\n== 2 hK\nb \u2014 kr2 (kr2 + b)2\nverschwindet f\u00fcr r = dr 1/ ~, so findet an diesen Punkten eine Inflexion der Curve statt; f\u00fcr absolut genommen kleinere Reize ist\nd2s\n>0, die Curve also convex nach unten; f\u00fcr Werthe, welche\nabsolut genommen gr\u00f6\u00dfer als j/j- sind, ist << 0, die Curve ist\nalso concav nach unten. Nach Lang er\u2019s Ansicht liegt also die durch a) dargestellte Curve vollst\u00e4ndig symmetrisch zur s-Achse; ihr geometrisches Bild w\u00fcrde etwa das folgende sein :\nHierzu ist Folgendes zu bemerken : Da in der Formel a) r quadratisch vorkommt, so schlie\u00dft Langer, dass die Formel ebenso f\u00fcr","page":634},{"file":"p0635.txt","language":"de","ocr_de":"\u00fceber die haupts\u00e4chlichsten Versuche einer mathematischen Formulirnng etc. 635\nnegative wie f\u00fcr positive Reize gelte. Nun finde ich hei Langer keine weiteren Auseinandersetzungen dar\u00fcber, was er unter negativen im Gegensatz zu den positiven Reizen versteht. Jedenfalls hat er den Gegensatz von W\u00e4rme und K\u00e4lte im Auge, fasst also die K\u00e4lte als einen negativen Reiz im Gegensatz zur W\u00e4rme als positivem Reiz auf. Mag man indess unter negativen Reizen verstehen, was man will, und mag deren Zulassung gerechtfertigt sein oder nicht, auf alle F\u00e4lle wird man leicht einsehen, dass die Langer\u2019sche Formel durchaus nicht in gleicher Weise f\u00fcr negative Reize gilt wie f\u00fcr positive, und dass die oben gezeichnete Curve unzutreffend ist. Die oben gegebene Auseinandersetzung \u00fcber den Verlauf der durch a) dargestellten Cur-ven gilt n\u00e4mlich nur unter der Voraussetzung, dass alle Constanten in der Formel wirklich constant dieselben Werthe beibehalten. F\u00fcr die Constante b ist aber diese Voraussetzung nicht erf\u00fcllt ; denn negativen Reizen entsprechend wird man auch eine negative Reizschwelle anzunehmen haben. F\u00fcr positive abnehmende Reize nimmt auch die Merklichkeit der Empfindung ab bis zu einem Schwellenwerth b, der positiv ist. Nimmt r weiter von b bis Null ab, so bleibt die Merklichkeit der Empfindung Null ; f\u00fcr negative, absolut genommen wachsende Reize bleibt dieselbe ebenfalls Null, bis ein gewisser negativer Reizwerth, die negative Reizschwelle, \u00fcberschritten wird. Nehmen wir an, dass diese negative Reizschwelle absolut genommen gleich der positiven ist, so haben wir in der Formel a), wenn wir sie f\u00fcr negative Reize anwenden wollen, \u2014b statt b einzuf\u00fchren; f\u00fcr negative Reize lautet demnach die Formel :\ns = K. log\nkr* \u2014 b \u2014 b\nSobald nun kr* ]> b ist, liefert diese Formel imagin\u00e4re Empfindungs-werthe. Die Formel a) ist also durchaus nicht f\u00fcr negative Reizwerthe\nanwendbar, au\u00dfer f\u00fcr r* \u2022<\t. Von der oben gezeichneten Curve\nbleibt demnach nur der auf der positiven r-Achse liegende Zweig bestehen; auf der anderen Seite verl\u00e4uft die Curve wesentlich anders, da f\u00fcr kr* \u2014 5 = 0 s \u2014 \u2014 oo wird.\nSollte es nach Langer\u2019s Ansicht ein besonderer Vorzug sein, dass seine Formel f\u00fcr negative Reizwerthe scheinbar Geltung hat, sollte ihn vielleicht gar dieser Gesichtspunkt bei Aufstellung seiner","page":635},{"file":"p0636.txt","language":"de","ocr_de":"636\nAlfred K\u00f6hler.\nFormel geleitet haben, so w\u00fcrde durch den gegebenen entgegengesetzten Nachweis der Formel eine bedeutende St\u00fctze entzogen sein selbst wenn ihre Herleitung unantastbar w\u00e4re.\nAuf die Formel b) n\u00e4her einzugehen unterlasse ich, da dies ganz werthlos sein w\u00fcrde. Langer selbst hat \u00fcbrigens wenig zu derselben bemerkt.\nEs sei nun noch darauf aufmerksam gemacht, dass das Lang ersehe Gesetz ebenso wie das F ec hn er\u2019sehe auf einer Hypothese beruht. Dass eine solche \u00fcberhaupt n\u00f6thig ist zur Aufstellung eines Empfindungsgesetzes, ist schon mehrfach hervorgehoben worden, und so ist denn Langer vorsichtig genug, nur von einem wahrscheinlichsten Gesetz zu reden. Seine wahrscheinlichste Hypothese ist nun die, dass die Empfindungsunterschiede proportional mit den Reizen wachsen. Langer gelangt zu dieser Hypothese nach eingehenden Auseinandersetzungen \u00fcber die Fechner\u2019sche Annahme, dass den eben merklichen Reizunterschieden gleiche Empfindungsunterschiede entsprechen sollen. Indem er die Art und Weise auseinandersetzt, wie wir \u00fcberhaupt bei der Beurtheilung der Empfindungen mittelst der Erinnerung verfahren, gelangt er zu dem Schluss, dass die Fechner\u2019sche Annahme nicht haltbar sei, und stellt dagegen die genannte Hypothese auf.\nBez\u00fcglich der Uebereinstimmung der Formel mit den Thatsachen bemerkt Langer, dass die aus\nz/r = kr* -f- b\nberechneten Werthe von Jr sich unter gewissen Voraussetzungen in einige Uebereinstimmung mit den von Aubert gefundenen Zahlen bringen lassen. Diese Ausdrucksweise bietet keine gro\u00dfe B\u00fcrgschaft daf\u00fcr, dass sich die vorstehende modificirte Web er\u2019sehe Formel experimentell rechtfertigen werde. Von anderer Seite ist wohl noch kein Versuch zu einer solchen Rechtfertigung gemacht worden. Rechnet man hierzu noch die Behauptung G. E. M\u00fcller\u2019s, dass die Modification des Weber\u2019schen Gesetzes\n/Ir = kr2 + b\nder Thatsache nicht hinl\u00e4nglich gerecht werde, dass innerhalb eines gewissen Gebietes mittlerer Reizintensit\u00e4ten die Unterschiedsempfindlichkeit ann\u00e4hernd constant bleibe, so kommt man zu dem Schluss,","page":636},{"file":"p0637.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die haupts\u00e4chlichsten Versuche einer mathematischen Formulirnng etc. 637\ndass die Langer\u2019sche Modification des W eh er\u2019sehen Gesetzes ein misslungener Versuch einer Verbesserung ist. Die aus derselben abgeleitete psychophysische Beziehung aber ist \u00fcberhaupt in keiner Weise haltbar, da sie die mannigfachsten Bedenken aufweist.\n3. G. E. M\u00fcller\u2019s psychophysisches Gesetz.1)\nAuch G. E. M\u00fcller nimmt wie Helmholtz und Langer eine Umgestaltung der Fechner\u2019schen resp. Weber\u2019schen Fundamentalformel in der Weise vor, dass er R\u00fccksicht nimmt auf die oberen und unteren Abweichungen. Zu dem Zweck ersetzt er die Fe diner\u2019sehe Formel:\ns = k . log -\nzun\u00e4chst durch die ganz allgemeine, unbestimmte Formel:\ns = k . log [cpr).\nDen Charakter der Function cp bestimmt er nun n\u00e4her r\u00fccksichtlich der Erfarungsthatsachen, wie folgt :\nInnerhalb mittlerer Reizintensit\u00e4ten muss die Formel\ns = k. log cp (r)\nmit der Fundamentalformel \u00fcbereinstimmen; hier muss also die Function cp(r) den Werthen rann\u00e4hernd proportional sein.' In den niederen und h\u00f6heren Theilen der Reizscala dagegen muss erfahrungsgem\u00e4\u00df das Verh\u00e4ltniss zweier Reize r' und r\" < r' gr\u00f6\u00dfer genommen werden, als f\u00fcr mittlere Reizintensit\u00e4ten, wenn immer noch ein eben merklicher Empfindungsunterschied erhalten werden soll; mit anderen Worten, die Empfindlichkeit nimmt in den h\u00f6heren und niederen Theilen der Scala ab. In der corrigirten Formel muss also f\u00fcr niedere\nund h\u00f6here Reizintensit\u00e4ten das Verh\u00e4ltniss ^ y ! gr\u00f6\u00dfere Werthe annehmen als f\u00fcr mittlere Reizintensit\u00e4ten. Soll also trotzdem derselbe Empfindungsunterschied\ns'\n= k . log\nCp {r') <p(r\"j\n1) G. E. M\u00fcller, Zur Grundlegung der Psychophysik. Berlin 1878. S. 229.","page":637},{"file":"p0638.txt","language":"de","ocr_de":"638\nAlfred K\u00f6hler.\neintreten, so muss f\u00fcr niedere und h\u00f6here Reizintensit\u00e4ten die Function cp (r) langsamer wachsen. Ob die Function cp von der Art ist, dass jeder endliche Reizwerth einen positiven endlichen Empfindungswerth zur Folge hat, l\u00e4sst M\u00fcller noch unentschieden, da bis jetzt noch nicht mit Sicherheit zu entscheiden sei, oh die Thatsache der Reizschwelle wirklich bestehe. Jedenfalls aber soll cp so beschaffen sein, dass bereits hei einem bestimmten endlichen Werth von r die Empfindungsintensit\u00e4t ihr Maximum erreicht. N\u00e4heres \u00fcber die Function cp auszusagen erkl\u00e4rt M\u00fcller nach dem bis jetzt vorliegenden Material als verfehlt.\nGegen die allgemeine Charakteristik der Function cp, wie sie M\u00fcller gegeben hat, l\u00e4sst sich nichts einwenden; denn sie entspricht den Erfahrungsthatsachen. Aber was fangen wir mit der allgemeinen unbestimmten Formel M\u00fcller\u2019s an\"? Jeder Versuch, eine bestimmte Formel aufzustellen, ist anerkennenswerth. Zeigt sich auch, dass die aufgestellte Formel nicht den gestellten Anforderungen gen\u00fcgt, so kann sie doch insofern von Nutzen sein, als sie die ganze Sachlage von einer neuen Seite beleuchtet und so zu neuen Gesichtspunkten Anlass gibt. In diesem Sinne sind auch die verschiedenen Formulirungen des Web er\u2019sehen Gesetzes, die wir kennen gelernt haben, m\u00f6ge man ihnen nun mehr oder weniger Anerkennung zusprechen, nicht als werthlos zu erachten.\nHat sich demnach M\u00fcller in seiner mathematischen Formuli-rung des Web er\u2019sehen Gesetzes so allgemein gehalten, so muss ich mich auch mit diesen allgemeinen Bemerkungen begn\u00fcgen. Nur von einem Vorwurf m\u00f6chte ich die Formel noch befreien, der ihr von Fechner gemacht wird. M\u00fcller l\u00e4sst n\u00e4mlich keine negativen Empfindungswerthe zu. In dieser Beziehung h\u00e4lt ihm Fechner entgegen !), er t\u00e4usche sich, wenn er meine, in der corrigirten Ma\u00dfformel von den negativen Empfindungswerthen frei zu sein ; denn er m\u00fcsse die Empfindung bei einem endlichen Reizwerth gleich Null setzen, weil die Gleichung\n0 \u2014 k . log cp (0)\nnicht bestehen k\u00f6nne. Hier liegt offenbar ein Versehen von Seiten\n1) Ygl. Fechner, Revision der Hauptpunkte der Psychophysik. Leipzig, 1882. S. 204.","page":638},{"file":"p0639.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die haupts\u00e4chlichsten Versuche einer mathematischen Formulirung etc. 639\nFechner\u2019s vor; denn der vorstehenden Gleichung wird entsprochen, sobald <jp (0) = 1 ist, und dieser Fall ist wiederum m\u00f6glich; wir haben ihn, wenn wie in der ersten D elb oeuf\u2019sch en Formel\nc + r\n(P = \u2014\nist. \u2014\nM\u00fcller verbindet mit seiner corrigirten Ma\u00dfformel eine physiologische Deutung und ist so ein Hauptgegner Fechner\u2019s, der die psychophysische Auffassung des Gesetzes vertritt. Die Reizschwelle h\u00e4lt M\u00fcller, wie oben erw\u00e4hnt, f\u00fcr eine noch nicht sicher erwiesene Thatsache ; falls sie bestehen sollte, will er sie physiologisch erkl\u00e4rt wissen. Vor Allem wendet er sich gegen die negativen Empfindungen, deren Vermeidung einen Hauptgesichtspunkt bei der Aufstellung seiner Formel bildet. Das Fechner\u2019sche Gesetz erkl\u00e4rt er schon deshalb f\u00fcr hinf\u00e4llig, weil sich aus demselben negative Empfindungs-werthe ergeben, und er meint daher, dass, wenn man \u00fcberhaupt die psychophysische Deutung des Gesetzes aufrecht erhalten wolle, man der Fechn er\u2019sehen Formel\ns \u2014 k . log JE,\nwo E die psychophysische Erregung bedeutet und der Erregungsschwellenwerth E0 als Einheit der Erregungsintensit\u00e4ten angenommen ist, die folgende Formel substituiren m\u00fcsse1):\nQO\n___ 2 Je. log E r sin x . cos x dx\nM\u00fcller selbst gibt hierzu nur folgende erl\u00e4uternde Bemerkungen: \u00bbDiese Formel ergibt f\u00fcr alle Werthe von E, die )> 1 sind, ganz dieselben Werthe von s, wie Fechner\u2019s psychophysisches Gesetz, hingegen f\u00fcr diejenigen Werthe von E, welche < 1 sind, ebenso wie f\u00fcr den Werth E \u2014 1 keine negativen Empfindungsgr\u00f6\u00dfen, sondern nur den Nullpunkt der Empfindung (vgl. G. F. Meyer, Vorlesungen \u00fcber die Theorie der bestimmten Integrale etc. S. 565 f.).\u00ab\nDiese so knappen Bemerkungen zu einer neu aufgestellten Formel,\n1) M\u00fcller, a. a. O. S. 373 u. 374.","page":639},{"file":"p0640.txt","language":"de","ocr_de":"640\nAlfred K\u00f6hler.\ndie durchaus nicht einfach ist, sondern, wie man sofort erkennt in> Gebiet der h\u00f6heren Mathematik \u00fcbergreift, haben Fechner in seiner Revision etc.\u00ab S. 205 zu folgender Kritik veranlasst: \u00abDiese Formel imponirt in der That mit ihrem kometenartig ins Unendliche oo gestreckten Integralschweife; nur finde ich eine eigene Zumuthung darin, dass die psychophysische Ansicht sich daran halten soll, da gar nicht abzusehen, wie sie dazu kommen soll. Denn dass es in der abstracten Mathematik eine solche Formel gibt, reicht doch nicht hin sie in der Psychophysik zu verwenden, ohne einen Weg zu zeigen der in ihr selber dazu f\u00fchrt. Nun kommt die psychophysische Ansicht vom Weber\u2019schen Gesetz nach Uebersetzung des Reizes in psychophysische Erregung unmittelbar zu :\ns = h . log E + const.\nAuf welchem mathematischen Wege man aber dazu kommen soll, die additive Constante in einen Factor zu \u00fcbersetzen , in welchen gar die Variable E mit eingeht, ist mir ganz unerfindlich etc.\u00ab\nDiesen Worten Fechner\u2019s kann man im Allgemeinen vollst\u00e4ndig beistimmen; die Ableitung der M\u00fcller\u2019schen Formel scheint in der That ganz unerfindlich; jedenfalls beruht sie auch gar nicht auf einer mathematischen Ableitung ; sie ist, das scheint mir ganz offenbar zu sein, lediglich das Resultat der Zusammensetzung der Fechner\u2019schen Formel s = k . log E mit dem sogenannten Dirichlet\u2019sehen discon-tinuirlichen Factor :\n00\n\u00c7 sin x. eos Xx\nTtJ\tx\n0\ndx.\nBehufs Nachweisung der Richtigkeit der obigen M\u00fcller\u2019schen Behauptung citire ich die in Betracht kommende Stelle aus Meyer, \u00bbVorlesungen etc.\u00ab, auf welche M\u00fcller verweist:\n\u00bbDas Integral\n00\n_2_ /' sin x. eos Xx\n7t J\t2C\n0\ndx,\nder sogenannte discontinuirliche Factor Dirichlet\u2019s, erh\u00e4lt, wenn l eine von + 1 verschiedene positive Constante bedeutet, den Werth 1, so lange X kleiner als 1 ist, dagegen f\u00e4llt es mit der Null zusam-","page":640},{"file":"p0641.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die haupts\u00e4chlichsten Versuche einer mathematischen Formulirung etc. 641\nmen, wenn X die Eins \u00fcberschreitet, und f\u00fcr X = 1 endlich ist es l\n= y\u00ab\nSetzt man X = ^ und f\u00fcgt den Ausdruck\nGO\n2 /* .\tx dx\n\u2014 / sin x . cos -= ----------\n71J\tE X\no\nzu dem Ausdruck k . log E als Factor, so erh\u00e4lt man die Formel\nGO\n2k.log E \u25a0\tx dx\ns \u2014--------5----/ sm x . cos -Tr ----\n71\tJ\tEx\no\nIm M\u00fcll er\u2019sehen Werk findet man diese Formel, wie auch ohen, f\u00e4lschlicher Weise folgenderma\u00dfen geschrieben:\n\n2 k. log E J sin x\ncos * E\nund hei Fechner tritt das Falsche dieser Schreibweise in der nur wenig ver\u00e4nderten folgenden Schreibweise hervor :\ns \u2014\n;. log E f s\n2 k . log El sin x . cos x 0\ndx\nx\nNach der M\u00fcller\u2019schen und Fechner\u2019sehen Schreibweise ist E der Nenner im gesammten Ausdruck, w\u00e4hrend in Wirklichkeit E\nnur in der Verbindung cos J- aufzutreten hat.\nAus den obigen Worten aus Meyer, \u00bbVorlesungen etc.\u00ab ergibt sich f\u00fcr X = ~ Folgendes: F\u00fcr E < 1 wird X > 1, daher der Werth\ndes Dirichlet\u2019sehen Factors gleich Null; f\u00fcr E \u2014 1 wird X = 1, daher der Ausdruck gleich | ; f\u00fcr X 1 wird X <C 1 ; daher der Ausdruck gleich 1. Somit rechtfertigen sich in der That die M\u00fcller-schen Behauptungen, dass f\u00fcr E 1 s = 0 wird, dass f\u00fcr E \u2014 1 ebenfalls s \u2014 0 wird, da in diesem Fall log E \u2014 0 folgt, und dass f\u00fcr E > 1 s dieselben Werthe erh\u00e4lt, die sich auch aus der Fechner\u2019schen Formel ergeben. Die M\u00fcller\u2019sche Modification ist Wundt, Philos. Studien. III.\t42","page":641},{"file":"p0642.txt","language":"de","ocr_de":"642 Alfred K\u00f6hler. Ueber die haupts\u00e4chlichsten Versuche einer mathemat. Formulirung etc.\nalso richtig und entspricht dem beabsichtigten Zweck. Es ist aber zu bemerken, dass dieser Zweck auf k\u00fcnstlichem Wege erreicht worden ist; man vermisst an der M\u00fcller\u2019schen Formel die mathematische Ableitung: die gegebene Umwandlung der Fechner\u2019schen Formel ist nichts anderes als eine mathematische Darstellung dessen, was man in Worten so wiedergehen kann: Die Empfindung wird erfahrungsgem\u00e4\u00df f\u00fcr den Reiz E = E0 gleich Null, also kann man nicht verlangen, dass die Fechner\u2019sche Formel f\u00fcr E \u25a0< E0 noch Geltung habe. Es scheint indess von wenig Werth zu sein, das, was sich in Worten so einfach und leicht verst\u00e4ndlich wiedergehen l\u00e4sst, erst nachtr\u00e4glich, nachdem die eigentliche psychophysische Beziehung schon hergeleitet ist, auf rein \u00e4u\u00dferliche Weise mathematisch zum Ausdruck zu bringen; noch dazu durch eine so complicirte Formel, wie es die M\u00fcller\u2019sehe ist.","page":642}],"identifier":"lit4552","issued":"1886","language":"de","pages":"572-642","startpages":"572","title":"Ueber die haups\u00e4chlichsten Versuche einer mathematischen Formulirung des psychophysischen Gesetzes von Weber","type":"Journal Article","volume":"3"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:21:57.953558+00:00"}