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{"created":"2022-01-31T14:25:29.858681+00:00","id":"lit4563","links":{},"metadata":{"alternative":"Philosophische Studien","contributors":[{"name":"Linke, Paul","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Philosophische Studien 17: 624-673","fulltext":[{"file":"p0624.txt","language":"de","ocr_de":"Hume\u2019s Lehre vom Wissen.\nVon\nPaul Linke.\nI. Einleitung. Hume und die Philosophie der Hegenwart.\nDie folgende Arbeit hat sich zum Ziel gesetzt, einige principielle Gedankeng\u00e4nge in David Hume\u2019s erkenntnisskritischen Abhandlungen der psychologischen Er\u00f6rterung zu unterwerfen. Dadurch ist sie bereits nach zwei Seiten hin charakterisirt. Zun\u00e4chst ist die Aufgabe, die sie sich gestellt hat, historischer Art : sie will bestimmte Probleme, besser gesagt die L\u00f6sungsversuche bestimmter Probleme, die sich in einem der Geschichte angeh\u00f6rigen Gedankensysteme vorfinden, ihrer Entstehung und historischen Entwicklung nach verfolgen, dann aber will sie \u2014 und das ist ihre zweite und vornehmste Aufgabe \u2014 an diese Versuche vom Standpunkte wissenschaftlicher Kritik aus herantreten. Damit ist freilich noch eine weitere Voraussetzung gemacht: die n\u00e4mlich, dass das zu Behandelnde wirklich mehr als ein blo\u00df historisches Interesse verdient, dass es, mit anderen Worten, mit der gegenw\u00e4rtigen Wissenschaft noch unmittelbar F\u00fchlung zu nehmen vermag, dass also zum mindesten die allgemeinen methodologischen Voraussetzungen dieselben sind. Es war schon oben von einer psychologischen Er\u00f6rterung die Rede. Damit ist f\u00fcr Jeden, dem Hume bekannt ist, schon gesagt, dass ihm in methodologischer Hinsicht nicht widersprochen werden soll. In Hume\u2019s meisterlicher psychologischer Thatsachenanalyse liegt seine eigentliche Gr\u00f6\u00dfe und damit eben auch seine Bedeutung f\u00fcr die Gegenwart. Und je mehr sich jetzt die Ansicht durchzuringen beginnt, dass die philosophischen Einzeldisciplinen und insbesondere die Erkenntnisstheorie einer psychologischen Fundirung nicht entrathen k\u00f6nnen, um so mannigfaltiger werden zweifelsohne die Beziehungen werden, welche die neueste Forschung mit Hume verbinden. Jedenfalls ist die wissenschaftliche","page":624},{"file":"p0625.txt","language":"de","ocr_de":"Hume\u2019s Lehre vom Wissen.\n625\nStellung zu ihm eine wesentlich andere als die, die wir etwa einem Descartes oder Spinoza gegen\u00fcber einnehmen; eher k\u00f6nnten wir \u2014 um das Gesagte noch etwas concreter zu fassen \u2014 jene Stellung mit derjenigen vergleichen, die von einem Theile der philosophischen Forschung unserer Tage Kant gegen\u00fcber eingenommen wird. Und ganz gewiss hat die allzu individuelle Auffassung Kant\u2019s, die Losl\u00f6sung seiner Philosophie von ihren historischen Bedingungen, schroff gesprochen: ihre ein wenig \u00fcbertriebene Werthsch\u00e4tzung, viel dazu beigetragen, die originale Bedeutung desjenigen, der nach Kant\u2019s eigenem Gest\u00e4ndniss in seiner wissenschaftlichen Entwicklung den entscheidenden Wendepunkt herbeigef\u00fchrt hat, um ein gutes St\u00fcck zu untersch\u00e4tzen. Man braucht deshalb noch nicht so weit zu gehen Avie Th. Lipps, der \u2014 in der Einleitung zu seiner Uebersetzung von Hume\u2019s Treatise \u2014 deutlich genug durchblicken l\u00e4sst, dass er Hume Kant gegen\u00fcber f\u00fcr den gr\u00f6\u00dferen Denker h\u00e4lt, und man braucht noch viel weniger etwas wie eine Unanfechtbarkeit von Hume\u2019s Ausf\u00fchrungen anzunehmen; das eine nur wird man anerkennen m\u00fcssen: mit dem blo\u00dfen Hinweis auf den gegenw\u00e4rtigen Stand der Wissenschaft oder gar mit dem auf eine nachfolgende philosophische Doctrin (und sei es auch die Kant\u2019s) wird man nicht \u00fcber sie hinweggehen d\u00fcrfen. Wie k\u00e4me es auch sonst, dass es gar so schwer ist, Hume unter eine der bestehenden typischen Philo-sophenclassen, der Kealisten und Idealisten, der Empiriker und Rationalisten, der Skeptiker und Kriticisten, unmittelbar und ohne Vorbehalt einzuordnen? \u2014 Skeptiker im eigentlichen Sinne \u2014 das hat man ja eingesehen \u2014 war er nicht, so sehr er sich auch selbst daf\u00fcr ausgab; und Empiriker? Einen Empiriker Avird man ihn immer nennen k\u00f6nnen, aber der Begriff des Empirismus ist gar so weit, und gewiss war Hume in einem Sinne nicht Empiriker : sofern man n\u00e4mlich dabei an jene radicale Richtung denkt, in der das vieldeutige Wort gleichbedeutend ist mit der Leugnung jeder M\u00f6glichkeit einer Erweiterung unserer Erkenntniss durch a priori in uns liegende Functionen, jene Richtung also, die in J. St. Mill ihren typischen Vertreter hat. In diesem Sinne war Hume nicht Empiriker \u2014 wenigstens ist das die Meinung des Verfassers, und er gedenkt in dieser Arbeit auch daf\u00fcr einen Beleg zu bringen.\nMan hat Hume ferner einen Associationspsychologen genannt.","page":625},{"file":"p0626.txt","language":"de","ocr_de":"626\nPaul Linke.\nGewiss mit Recht: er hat zum ersten Male in einer f\u00fcr die ganze nachfolgende Psychologie entscheidenden Weise auf die Wichtigkeit des Associationsmechanismus hingewiesen, die Alleing\u00fcltigkeit des Associationsprincipes hingegen hat er niemals behauptet, er hat also die bedenkliche Einseitigkeit der sp\u00e4teren Associationspsychologie vermieden. Es ist ja freilich naheliegend genug, die Einseitigkeiten und Fehler, zu denen eine bestimmte wissenschaftliche Richtung gef\u00fchrt hat, ihrem Begr\u00fcnder zuzurechnen, und in der Geschichte der Wissenschaften begegnen wir diesem Verfahren nicht eben selten. Man braucht ja nur an jene Disciplin zu denken, die um eben jene Zeit und in demselben Lande aufzubl\u00fchen begann, an die National -\u00f6conomie. Adam Smith war im Grunde ebenso wenig einseitiger Theoretiker des Freihandels, als Hume einseitiger Associationspsychologe war, so sehr auch der Tadel der sp\u00e4teren Forschung gerade mit dem Namen dieser beiden M\u00e4nner sich verkn\u00fcpft hat. \u2014 Man nennt die National\u00f6conomie jener Zeit die classische, in dem Sinne offenbar, als durch sie jener Wissenschaft eine Grundlage geschaffen wurde, die auch heute noch als Grundlage anerkannt wird : ob man in einem solchen Sinne auch von einer classischen Erkenntnisstheorie reden k\u00f6nnte? Ich denke: ja; als ihr Begr\u00fcnder h\u00e4tte dann allerdings nicht Hume, sondern selbstverst\u00e4ndlich Locke zu gelten. Und Locke interessirt uns hier noch in besonderem Ma\u00dfe. Denn man kann wohl ohne Uebertreibung sagen: Hume\u2019s Arbeiten sind im Grunde alle unmittelbar durch diejenigen Locke\u2019s eingeleitet, so dass Alexius Meinong mit Recht bemerkt, manche Oapitel in Hume\u2019s Treatise n\u00e4hmen sich wie ein Excurs zu Locke\u2019s Abhandlung aus. Und das gilt in erster Linie von dem Problem, das uns hier zun\u00e4chst besch\u00e4ftigen soll und um das sich dann alles \u00fcbrige gruppiren wird. Es mag kurz so formulirt sein: Welche psychologischen Voraussetzungen m\u00fcssen gemacht werden, um das \u00bbWissen\u00ab relativ von den Thatsachen der Einzelerfahrung und deren M\u00e4ngeln zu eliminiren? K\u00e4me es mir darauf an, ein oft gebrauchtes und deshalb abgeblasstes Schlagwort anzuwenden, so k\u00f6nnte ich wohl auch von den a priori vorhandenen Bewusstseinsinhalten reden, durch die die Allgemein-g\u00fcltigkeit und Sicherheit des Wissens verb\u00fcrgt wird.\nWie angedeutet, soll dieses Problem historisch verfolgt werden, es soll dies aber \u2014 und darin liegt eine wesentliche Einschr\u00e4nkung","page":626},{"file":"p0627.txt","language":"de","ocr_de":"Hume\u2019s Lehre vom Wissen.\n627\n\u2014 nur insoweit geschehen, als es mit der englischen Erfahrungsphilosophie in directem Zusammenh\u00e4nge steht. Dieser Zusammenhang scheint freilich nicht allzuweit zu reichen; wenigstens ist es auffallend, dass die Lehre Hume\u2019s nach der angegebenen, also der aprioristischen Seite hin \u2014 es handelt sich dabei um bestimmte Fragen seiner Relationstheorie \u2014 trotz mancher Unzul\u00e4nglichkeiten in England selbst keine eigentliche Weiterbildung erfahren hat. Der Entwicklungsgang der englischen Philosophie macht das verst\u00e4ndlich. Denn die Str\u00f6mung, die dort als die eigentliche Fortf\u00fchrung von Hume\u2019s Gedankeng\u00e4ngen gelten muss, war zu radical, als dass ihr jener Rest von \u00bbApriorismus\u00ab anders denn als eine Schw\u00e4che erscheinen konnte, die nach M\u00f6glichkeit beseitigt werden musste ; auf Seiten der Gegner aber verdr\u00e4ngte der Einfluss Kant\u2019s, in dessen Lehre der genannte Punkt ja zweifellos mit gr\u00f6\u00dferer Entschiedenheit hervortrat, sehr bald den seiner Vorg\u00e4nger. So erscheint es begreiflich, dass, so wesentlich die Relationslehre in anderer Hinsicht f\u00fcr die englische Philosophie geworden ist, dennoch jener Theil von ihr, der bei Hume zur Begr\u00fcndung des allgemeing\u00fcltigen Wissens (knowledge) gef\u00fchrt hat, ohne Weiterbildung gebheben ist. Nebenbei mag bemerkt werden, dass die Beitr\u00e4ge der neueren englischen Philosophie zur Relationslehre im weiteren Sinne von Alexius Meinong im zweiten Theile seiner Humestudien eingehend behandelt sind; der wichtigste von ihnen \u2014 der Spencer\u2019s \u2014 hat au\u00dferdem in einer Abhandlung von Pace (Philos. Studien, VII) eine ausf\u00fchrliche Kritik erfahren.\nSehr bemerkenswerth sind nun aber f\u00fcr unser Problem die Weiterbildungen, die Hume\u2019s Relationslehre in der deutschen Philosophie erfahren hat. Genannt sei zun\u00e4chst Th. Lipps, der seiner eigenen ausdr\u00fccklichen Bemerkung zu Folge mit dem principiellsten Punkte seiner Logik den wichtigsten Gegensatz der Hume\u2019sehen Relationslehre von neuem geltend macht1), eben jenen Gegensatz, der bei Hume zur Aussonderung des Wissens im strengen Sinne von dem blo\u00dfen Erfahrungswissen gef\u00fchrt hat.\nNoch enger ber\u00fchren sich Meinong\u2019s Forschungen mit denen Hume\u2019s: bekanntlich sind das jene Arbeiten, die ihren Verfasser\n1) Grundz\u00fcge der Logik. Von Th. Lipps. (Leop. Voss, 1893). S. 8. Wundt Thilos. Studien. XVII.\t41","page":627},{"file":"p0628.txt","language":"de","ocr_de":"628\nPaul Linke.\nsp\u00e4ter zur Lehre , von den \u00bbfundirten Inhalten\u00ab (von v. Ehrenfels als Gestaltsqualit\u00e4ten formulirt) gef\u00fchrt haben und die er mit seiner Abhandlung \u00fcber \u00bbGegenst\u00e4nde h\u00f6herer Ordnung\u00ab zu einem vorl\u00e4ufigen Abschluss gebracht hat. F\u00fcr uns kommt in erster Linie der schon einmal erw\u00e4hnte zweite Theil der Hume Studien in Frage, der es unternimmt, in directem Anschluss an Hume die gesammte Relationslehre neu zu begr\u00fcnden und mit den Ergebnissen der neueren psychologischen Forschung in Einklang zu bringen. Wir werden auf diese Arbeit noch wiederholt zur\u00fcckkommen \u2014 selbst wenn sie uns hier und da \u00fcber Hume hinausf\u00fchren sollte: nach dem Obigen wird es ja verzeihlich sein, wenn in einer Arbeit \u00fcber Hume dieser selbst nicht immer im Vordergr\u00fcnde des Interesses steht.\nII. Locke\u2019s Lehre vom Wissen als Ausgangspunkt.\nAm zweckm\u00e4\u00dfigsten beginnen wir mit einem Referat dessen, worin John Locke \u2014 Berkeley kommt f\u00fcr das Relationsproblem nicht in Betracht \u2014 seinem gro\u00dfen Nachfolger vorgearbeitet hat.\nWenn wir nun von der oben angegebenen Frage ausgehen, so kann man wohl behaupten, es finden sich bei Locke eher Ans\u00e4tze zu ihrer Beantwortung als eine bewusste Einsicht in das Problem selbst, und vielleicht wird man eine solche \u00fcberhaupt erst der Kant\u2019sehen Philosophie zuschreiben wollen. Dem gegen\u00fcber mag doch auf einen Punkt hingewiesen werden, in dem sich der durch die classische Er-kenntnisstheorie erreichte Fortschritt recht wohl mit den Leistungen der kritischen Philosophie messen kann : gemeint ist die Klarstellung des Verh\u00e4ltnisses von allgemeinem Wissen zu dem in der Einzelerfahrung Gegebenen, schlie\u00dflich \u00fcberhaupt die gr\u00fcndliche Erfassung und Formulirung dessen, was unter Wissen, unter Wahrheit verstanden werden muss. Denn in diesem Punkte sind die Unklarheiten der vorhergehenden philosophischen Epoche sichtbar genug. So liegt ja in Descartes\u2019 bekanntem Wahrheitskriterium (verum est, quod clare et distincte intellegitur) so lange ein Cirkel, bis eine solche Erkl\u00e4rung des \u00bbintellegere\u00ab gegeben ist, die nicht wieder \u2014 offen oder versteckt \u2014 das \u00bbverum\u00ab in sich schlie\u00dft. Demgegen\u00fcber enth\u00e4lt Spinoza\u2019s Wahrheitsdefinition keine Tautologie, wohl aber ein metaphysisches Vorurtheil: ein solches liegt offenbar in dein","page":628},{"file":"p0629.txt","language":"de","ocr_de":"Hume\u2019s Lehre vom Wissen.\n629\nAxiom1), eine wahre Vorstellung m\u00fcsse mit dem-, was sie vorstellt, \u00fcbereinstimmen; denn hier wird vorausgesetzt, dass eine solche Ueber-einstimmung unter allen Umst\u00e4nden m\u00f6glich ist, was nat\u00fcrlich nicht ohne weiteres beweisbar ist.\nErst Locke\u2019s Princip ist \u2014 mag es auch nicht ganz consequent durchgef\u00fchrt sein2) \u2014 durchaus klar und voraussetzungslos : Wissen ist Uebereinstimmung (bezw. Nicht\u00fcbereinstimmung) des in der Einzelerfahrung Gegebenen, oder, wie Locke selbst sagt, unserer Ideen; denn was Locke Ideen nennt, f\u00e4llt im wesentlichen mit dem in der Einzelerfahrung Gegebenen zusammen. Dieses Princip, das sich so leicht mit dem Princip der widerspruchslosen Verkn\u00fcpfung in der modernen Erkenntnisstheorie in Parallele bringen l\u00e4sst, kennzeichnet zugleich auch die Ber\u00fchrungspunkte Locke\u2019s mit der modernen Forschung, und es liegt daher nahe, an dieser Stelle eine Zwischenfrage einzuschieben: Wodurch hat Locke diesen seinen Fortschritt erreicht? Durch seine psychologische Forschungsmethode? Gewiss, und doch ist der damit bezeichnete Gegensatz zu seinen Vorg\u00e4ngern kein so principieller, als es auf den ersten Anblick scheinen m\u00f6chte. In letzter Instanz muss ja jede Begriffsbestimmung ein in gewissem Sinne psychologisches Verfahren involviren, denn immer wird sie darauf hinauslaufen, einen Begriff von anderen abzugrenzen, ihn auf andere Begriffe oder sonstige psychische Gebilde zur\u00fcckzuf\u00fchren, seine Abh\u00e4ngigkeit von ihnen darzulegen \u2014 und dabei handelt es sich stets um Bewusstseinsthatsachen; denn als solche werden wohl die Begriffe unter allen Umst\u00e4nden gelten m\u00fcssen. Besonders augenf\u00e4llig ist dies vollends, wenn \u2014 wie in unserem Falle \u2014 diese Begriffe sich au\u00dferdem noch auf Gegenst\u00e4nde der psychischen Welt beziehen. Nun erhebt sich allerdings die Frage: wann ist eine derartige Be-griffsanalyse als beendet anzusehen? Die Antwort ist beinahe selbstverst\u00e4ndlich: offenbar dann, wenn die vorliegenden complexen That-sachen auf die relativ einfachsten zur\u00fcckgef\u00fchrt sind. Nur \u00fcber den genaueren Sinn dessen, was als einfach zu gelten hat, l\u00e4sst sich streiten: und hier muss eine naheliegende Verwechslung vermieden\n1)\tSpin. Ethic., P. I. Ax. VI.\n2)\tUeber die Bedeutung von agreement und disagreement vergleiche die Fu\u00dfnote auf S. 174 des 2. Bandes der Th. Schultze\u2019schen Uebersetzung von Locke\u2019s Essay. (Leipzig. Ph. Reclam.)\n41*","page":629},{"file":"p0630.txt","language":"de","ocr_de":"630\nPaul Linke.\nwerden. Einfach bedeutet in jedem Ealle das nicht weiter Zerlegbare, es besagt also den Mangel an Complication, an Comphcirtheit. Ebenso selbstverst\u00e4ndlich scheint es zu sein, dass \u2014 sofern von einem Gegenst\u00e4nde in dieser Weise die Complicirtbeit verneint wird \u2014 damit dieser Gegenstand selbst und nicht die Art und Weise wie man zu ihm gelangt, gemeint sein kann. Wollten wir den Begriff in diesem letzteren Sinne fassen, so hie\u00dfe einfach ja soviel wie leicht zug\u00e4nglich, also der allt\u00e4glichen Erfahrung bekannt, gewohnt, gewisserma\u00dfen selbstverst\u00e4ndlich erscheinend. Beides wird nun aber doch nicht selten verwechselt : sogar in der \u00e4u\u00dferen Natur erscheinen dem primitiven Verst\u00e4nde die Dinge der t\u00e4glichen Umgebung ebendeshalb als einfach, und die bekannten vier Elemente werden aus keinem anderen Grunde zu Elementen geworden sein. In psychologischen Dingen tritt \u2014 hei der gr\u00f6\u00dferen Schwierigkeit, die deren Beobachtung \u00fcberhaupt bietet \u2014 diese Verwechslung noch leichter ein: sie wird z. B. von allen denen gemacht, die nicht begreifen k\u00f6nnen, dass etwas so \u00bbEinfaches\u00ab wie die optische Baumanschauung aus so schwer beobachtbaren Gebilden wie Muskelempfindungen u. s. w. zusammengesetzt sein kann.\nEs ist aber ein ebenso einleuchtender wie wichtiger Satz, dass eine Wissenschaft dann erst als endg\u00fcltig fundirt betrachtet werden kann, wenn festgestellt ist, was in ihr als einfach zu gelten hat, und f\u00fcr die Philosophie insbesondere l\u00e4sst sich sagen: je mehr wir in ihren grundlegenden Bestimmungen Verwechselungen der vorhin angedeuteten Art begegnen, je mehr \u00bbSelbstverst\u00e4ndlichkeiten\u00ab also in den Definitionen vorausgesetzt sind, um so mehr n\u00e4hern wir uns rationalistischer oder auch anderer dogmatischer Betrachtungsweise.\nIII. Zusammenhang der Lehre vom Wissen mit der Relationstheorie.\nBetrachtungen solcher Art n\u00f6thigen uns nun aber auch, Locke\u2019s grundlegenden Begriff, die Uehereinstimmung, genauer zu untersuchen. Wir werden dadurch auf ein scheinbar ganz anderes Gebiet der Locke\u2019sehen Philosophie gef\u00fchrt, auf seine Lehre von den Relationen. Erst hei Hume ist der Zusammenhang zwischen Relations-","page":630},{"file":"p0631.txt","language":"de","ocr_de":"Hume\u2019s Lehre vom Wissen.\n631\nth\u00e9orie und Lehre vom Wissen deutlich ausgepr\u00e4gt, bei Locke ist er mehr innerlich vorausgesetzt als \u00e4u\u00dferlich ausgesprochen.\nZun\u00e4chst m\u00fcssen wir die vorhin angedeutete Wissensdefinition noch pr\u00e4cisiren. Unter Wissen versteht Locke also die Wahrnehmung der Verkn\u00fcpfung und der Uebereinstimmung oder der Nicht\u00fcbereinstimmung und des Widerspruches zwischen irgend welchen unserer Ideen1). Wie aber soll Uebereinstimmung und Nicht\u00fcbereinstimmung festgestellt werden ohne Vergleichung der betreffenden Ideen? Wird das aber zugegeben \u2014 und Locke betont es sogar2) \u2014 so besteht das Wissen, soweit Uebereinstimmung in Frage kommt, in Relationen : denn die Vergleichung zweier Ideen wird ausdr\u00fccklich als das f\u00fcr die Relationen Wesentliche hingestellt3). Es fragt sich also: darf Relationshewusstsein und Wissen (im Sinne Locke\u2019s) gleichgesetzt werden? Eins scheint dementgegen zu stehen: In der gegebenen Definition handelt es sich au\u00dfer der Uebereinstimmung und Nicht\u00fcbereinstimmung noch um Verkn\u00fcpfung und Widerspruch. Doch das ist nicht von Belang: im Folgenden wird nirgends auf diese Sonderhestimmungen R\u00fccksicht genommen; hervorgehohen wird einzig und allein die Uebereinstimmung und Nicht\u00fcbereinstimmung, wie ja auch bereits in der Randnote zu dem betreffenden Paragraphen die Erkenntniss auf Perception von Uebereinstimmung und Nicht\u00fcbereinstimmung beschr\u00e4nkt isjt. Dieser Doppelbegriff tritt denn auch immer deutlicher als der leitende Gesichtspunkt in der ganzen Lehre vom Wissen hervor. Dies geht soweit, dass sogar die \u00bbVerkn\u00fcpfung\u00ab der Uebereinstimmung suhordinirt wird \u2014 und zwar bereits im n\u00e4chstfolgenden Paragraphen. Dort wird n\u00e4mlich die Uebereinstimmung, aus der alles Wissen besteht, in folgende vier Gruppen zerlegt:\nI.\tIdentit\u00e4t oder Verschiedenheit (Identy or diversity).\nII.\tRelation (Relation).\nIII.\tOoexistenz oder nothwendige Verkn\u00fcpfung (Coexistence or necessary connexion).\nIV.\tReales Dasein (Real existence).\n1)\tAn essay concerning human understanding B. IV, ch. 1, \u00a72: knowledge then seems to me to be nothing but the perception of the connexion and agreement, or disagreement and repugnancy, of any of our ideas.\n2)\tIbid. IV, ch. 7, \u00a7 2 und ch. 3, \u00a7 3.\t3) Ibid. II, ch. 12, \u00a7 7.","page":631},{"file":"p0632.txt","language":"de","ocr_de":"632\nPaul Linke.\nDamit erscheint nun freilich in einer anderen Hinsicht die Confusion noch vermehrt zu sein. Wir hatten uns ja zu allen diesen Ausf\u00fchrungen gen\u00f6thigt gesehen, weil wir die Gleichwertigkeit von Relationslehre und Lehre vom Wissen darthun wollten \u2014 und nun zeigt sich die Relation als dem Wissen subordinirt. Indess werden unsere Bedenken durch eine sehr deutliche Bemerkung Locke\u2019s selber zum Schweigen gebracht. \u00bbIdentit\u00e4t und (Koexistenz\u00ab \u2014 sagt er \u2014 \u00bbsind allerdings in Wahrheit nur Relationen, aber sie sind doch so eigenartige Weisen der Uebereinstimmung oder Nicht\u00fcbereinstimmung unserer Ideen, dass sie es wohl verdienen, in besonderen Capiteln behandelt zu werden.\u00ab Der Grund zu jener Subordination ist mithin der denkbar \u00e4u\u00dferlichste, und das Wissen wird ausdr\u00fccklich als Relationsbewusstsein anerkannt; nur das \u00bbreale Dasein\u00ab macht noch eine Ausnahme. Dieses wird ja auch als Untergruppe, als Art (sort) der Uebereinstimmung auf gez\u00e4hlt, setzt also ebenfalls das Vergleichen und damit die Relation voraus, ein Widerspruch, der thats\u00e4chlich nicht ganz beseitigt wird. H\u00f6chstens k\u00f6nnte bemerkt werden, dass Locke das reale Dasein nur in sehr beschr\u00e4nktem Sinne dem eigentlichen knowledge zurechnet: denn au\u00dfer dem Dasein Gottes und der eigenen Existenz hegt unser Wissen \u00fcber Existenzen au\u00dferhalb des Wissens im strengen Sinne. Wissen im strengen Sinne ist bei Locke bekanntlich nur Intuition \u2014 das Gebiet der Identit\u00e4ts- und Verschiedenheitserkenntniss \u2014 und Demonstration, die ihrerseits wiederum die Intuition zur nothwendigen Voraussetzung hat. Dem Gebiete der Demonstration finden wir die \u00bbanderen Relationen\u00ab (also eben jene Beziehungen, die Locke vorher als \u00bbRelation\u00ab schlechthin zusammengefasst hatte) zugerechnet1), sie machen daher vorzugsweise die mathematische Erkenntniss aus, der sich hei Locke bekanntlich noch die moralische angliedert. Dagegen finden wir im Bereiche des sensitiven Wissens nichts von Relationen: dieses ist ja aber eben ein Wissen untergeordneter Art, ein Wissen, das ganz unseren obigen Voraussetzungen entsprechend mit der Relationsgrundlage zugleich den Anspruch auf Allgemeing\u00fcltigkeit entbehrt: es ist das unmittelbarste, dem Sinnentrug der Einzelerfahrung daher am meisten unterworfene Wissen, das unsere Kennt-\n1) Ibid. B. IY, ob. 3, \u00a7 18.","page":632},{"file":"p0633.txt","language":"de","ocr_de":"Hume\u2019s Lehre vom Wissen.\n633\nniss vom Dasein \u00bbanderer\u00ab Gegenst\u00e4nde \u2014 n\u00e4mlich aller anderen, au\u00dfer dem vom Dasein Gottes und uns selbst ausmacht.\nJedenfalls erscheint nach alledem die Gleichsetzung von Wissens-lehre und Relationslehre -wenigstens angebahnt: im Einzelnen durchf\u00fchren l\u00e4sst sie sich freilich nur unter Modification der. Locke\u2019sehen Voraussetzungen. Wir brauchen nur bei dem eben besprochenen Punkte zu verweilen, bei der Ooexistenz oder nothwendigen Verkn\u00fcpfung. Sie wird ausdr\u00fccklich1) unter die Relationen gerechnet; es ist aber leicht einzusehen, dass hier die Uebereinstimmung und Nicht\u00fcbereinstimmung eine wesentlich andere Bedeutung haben muss als bei den anderen Relationen oder doch zum mindesten bei der Identit\u00e4t. Sage ich \u2014 um Locke\u2019s eigenes Beispiel zu gebrauchen \u2014 Gold ist feuerbest\u00e4ndig, so meine ich, \u00bbdass die Feuerbest\u00e4ndigkeit oder das Verm\u00f6gen, im Feuer unversehrt zu bleiben, eine Idee ist, die immer das eigenartige Gelb, die Schwere, Schmelzbarkeit, Dehnbarkeit und L\u00f6slichkeit in aqua regia, die unsere mit dem Worte Gold bezeichnete complexe Idee ausmachen, begleitet und mit ihnen verbunden ist\u00ab. Worin besteht hier die Uebereinstimmung? Offenbar in der Ooexistenz von Feuerbest\u00e4ndigkeit und den \u00fcbrigen Eigenschaften des Goldes. Damit ist freilich sehr wenig gewonnen. Die Ooexistenz soll ja selbst eine Art der Uebereinstimmung sein, das hei\u00dft offenbar: sie soll Uebereinstimmung in einer bestimmten Hinsicht ausdr\u00fccken, und es ist lediglich ein Oirkel, wenn wir sagen: Ooexistenz ist eine Uebereinstimmung hinsichtlich der Ooexistenz \u2014 man k\u00f6nnte beinahe mit demselben Rechte sagen: Verschiedenheit ist eine Uebereinstimmung hinsichtlich der Verschiedenheit. Worin aber kann sonst die Uebereinstimmung von Gold und Feuerbest\u00e4ndigkeit bestehen, mit anderen Worten: was ist beiden gemeinsam? Im Grunde (wenn man sich n\u00e4mlich entschlie\u00dft, den BegrifE der Uebereinstimmung nicht gar so einseitig zu fassen) ist die Antwort leicht zu geben. Gemeinsam sind offenbar die Zeit-und Ortsbestimmungen, die wir der Feuerbest\u00e4ndigkeit einerseits und den sonstigen Eigenschaften des Goldes andererseits geben m\u00fcssen. \u2014 Wir k\u00f6nnen aber noch einen Schritt weiter gehen. Wir d\u00fcrfen hier sogar von einer Identit\u00e4t der Zeit- und Ortsbestimmungen reden,\n1) Ibid. IV, ch. 1, \u00a7 7.","page":633},{"file":"p0634.txt","language":"de","ocr_de":"634\nPaul Linke.\nohne mit Locke\u2019s Identit\u00e4tshegriff, von dem sogleich die Rede sein wird, in Conflict zu kommen. Coexistenz w\u00e4re dann ein Specialfall der Identit\u00e4t, sie w\u00e4re n\u00e4mlich Identit\u00e4t der Zeit- und Ortsbestimmungen, durch die zwei oder mehrere \u00bbIdeen\u00ab unter anderen gekennzeichnet sind. Wird das aber zugegeben, so ist die Gleichstellung beider Relationen nat\u00fcrlich unmotivirt.\nSo scheint es fast, als h\u00e4tte Locke jene ganze Gruppeneintheilung gar nicht aus logischen Gr\u00fcnden vorgenommen, sondern einfach die am h\u00e4ufigsten vorkommenden \u00bbArten der Uehereinstimmung\u00ab, ohne auf ihre begriffliche Stellung R\u00fccksicht zu nehmen, nur weil sie ihm eben gleich wichtig erschienen, nebeneinander gestellt. Dem entspricht es, dass er die Identit\u00e4t (und als ihr Correlat die Yerschiedenheit) an die erste Stelle gesetzt hat. Denn beide sind ihm die Grundvoraussetzungen alles Wissens: \u00bbEs ist die erste Th\u00e4tigkeit des Geistes, wenn er \u00fcberhaupt irgend welche Wahrnehmungen oder Ideen hat, sich dieser Ideen bewusst zu werden (perceive) und, so weit dieses Bewusstsein reicht, von jeder zu wissen, was sie ist, und sich dadurch auch ihres Unterschiedes, d. h. also der Thatsache bewusst zu werden, dass eine nicht die andere ist. Dies ist so unbedingt n\u00f6thig, dass es ohne dies kein Wissen, kein Folgern (reasoning), kein Vorstellen (imagination), \u00fcberhaupt keinen bestimmten Gedanken geben k\u00f6nnte. Hierdurch nimmt der Geist klar und unfehlbar wahr, dass jede Idee mit sich selbst \u00fcbereinstimmt und das ist, was sie ist, und dass alle bestimmten Ideen von einander verschieden sind, d. h. dass die eine nicht die andere ist; und das thut er ohne M\u00fche, Anstrengung oder Beweisf\u00fchrung, vielmehr auf den ersten Blick verm\u00f6ge seiner nat\u00fcrlichen Kraft des Auffassungs- und Unterscheidungsverm\u00f6gens\u00ab1). In welchem Sinne Locke das Wort Identit\u00e4t verstanden wissen will, ist hiernach v\u00f6llig klar. Offenbar meint er nichts anderes, als was wir etwa mit Oonstanz der Begriffe bezeichnen w\u00fcrden; denn hei Locke sowohl wie hei Hume m\u00fcssen wir eingedenk sein, dass das Wort Idee (das ja keinesfalls schlechthin mit \u00bbVorstellung\u00ab identisch gesetzt werden darf) auch unserem \u00bbBegriff\u00ab entsprechen kann. \u2014 Auch dieses geht aus dem Obigen hervor: Locke\u2019s Identit\u00e4tshegriff ist kein tautologischer, er bezeichnet also nicht etwa die Identit\u00e4t einer\n1) Ibid. IV, eh. 1, \u00a7 4.","page":634},{"file":"p0635.txt","language":"de","ocr_de":"Hume\u2019s Lehre vom Wissen.\n635\nund desselben Gegenstandes zur selben Zeit; er will vielmehr ausschlie\u00dflich die Thatsache ausdr\u00fccken, dass wir in unseren Urtheilen die \u00bbIdeen\u00ab nicht mit einander verwechseln, dass wir sie festhalten k\u00f6nnen, kurz, dass sie f\u00fcr unser Denken nur insoweit Werth haben, als sie eindeutig bestimmt sind, sie bezeichnet die Identit\u00e4t in gewissen, durch den betreffenden Begriff zureichend gekennzeichneten Hinsichten. Irgend welche Dinge, z. B. einzelne B\u00e4ume, H\u00e4user, Farben u. s. w., sind einzeln betrachtet gewiss verschieden und offenbar in einer Reihe von Hinsichten deutlich genug zu unterscheiden, dennoch sind sie in anderen Hinsichten wiederum ohne Unterschied: es sind das eben jene Hinsichten, die wir durch die \u00bbIdee\u00ab \u2014 also durch den Begriff \u2014 Baum, Haus, Farbe zusammenfassen. Soviel Selbstverst\u00e4ndliches diese Thats\u00e0che im Grunde auch enth\u00e4lt, in einzelnen F\u00e4llen kann sie doch auffallend werden, und sie wird um so auffallender, je gel\u00e4ufiger uns einerseits die Verschiedenheit der auf diese Weise zusammengefassten Gegenst\u00e4nde und je umfassender andererseits die Anzahl der Hinsichten ist, die ihnen dennoch gemeinsam sind. Hierher geh\u00f6rt z. B. die Verwunderung, die den zu ergreifen pflegt, der zum ersten Male erf\u00e4hrt, dass so verschiedene Dinge wie Kohle, Graphit und Diamant in einer Eeihe von Hinsichten, die durch den Begriff Kohlenstoff ausgedr\u00fcckt werden, identisch sind.\nNun k\u00f6nnen wir aber in jedem Falle die betreffenden gemeinsamen Hinsichten und Eigenschaften wiederum mehr oder minder determiniren. Wir k\u00f6nnen z. B. aus allen den Vorstellungen oder Vorstellungscomplexen, die hinsichtlich der Farbe \u00fcbereinstimmen, solche aussondern, die eine bestimmte einzelne Farbe gemein haben u. s. w., bis wir zuletzt beim Concret-anschaulichen angelangt sind. Das f\u00fchrt uns auf die Besprechung einer Thatsache, die geeignet ist, das vorhin \u00fcber Coexistenz Gesagte noch ein wenig zu pr\u00e4cisiren.\nGenetisch betrachtet ist nat\u00fcrlich das Ooncret-anschauliche immer das Prim\u00e4re. Es hat aber doch in einem Falle gro\u00dfen Werth, das Concret-anschauliche (richtiger gesagt: den Einzelfall) mit H\u00fclfe des allgemeineren Begriffes auszudr\u00fccken: dann n\u00e4mlich, wenn es mir weniger auf die betreffende concrete Thatsache selbst als auf die Relation ankommt, in der sie zu anderen Thatsachen steht. Ist diese","page":635},{"file":"p0636.txt","language":"de","ocr_de":"636\nPaul Linke.\nRelation die Identit\u00e4t, so handelt es sich in einem solchen Falle um Identit\u00e4t in doppelter Hinsicht \u2014 sofern wir n\u00e4mlich den Identit\u00e4tshegriff festhalten, den wir im Anschluss an Locke entwickelt hatten. Sage ich z. R, Quecksilberjodid hat dieselbe Farbe wie Zinnober, so habe ich Quecksilberjodid und Zinnober zun\u00e4chst in einer Hinsicht zusammengefasst, oder anders ausgedr\u00fcckt: Unter den Bestimmungsst\u00fccken, die den Begriff Quecksilberjodid einerseits und Zinnober anderseits ausmachen, ist eines gemeinsam, es dr\u00fcckt die Eigenschaft aus, die auffallenden Lichtstrahlen in irgend einer Weise zu modificiren, sie also nicht hindurchzulassen oder unver\u00e4ndert zu reflectiren. Dabei ist die specielle Art dieser Farbe zun\u00e4chst noch v\u00f6llig in suspenso gelassen ; in dem, was wir hier in Betracht ziehen, verhalten sich die beiden K\u00f6rper vielmehr auch mit blauen und gr\u00fcnen Stoffen \u00fcbereinstimmend, gleichwerthig, identisch. In unserem Falle freilich bin ich berechtigt, noch einen Schritt weiter zu gehen. Ich habe diesen Schritt gethan, wenn ich die Farbe der beiden Stoffe mit \u00bbroth\u00ab bezeichnet habe. Der Schritt kann aber auch gewisserma\u00dfen nur zur H\u00e4lfte gethan werden. Das ist dann geschehen, wenn ich auf jenen begrifflichen Ausdruck der Zusammenfassung verzichte: was dann noch \u00fcbrig bleibt, ist die blo\u00dfe Behauptung der Identit\u00e4t beider Stoffe hinsichtlich der Farbe. Damit ist f\u00fcr den, dem die betreffende Farbe unbekannt ist, sehr wenig gesagt; kennt dagegen jemand die Farbe des einen Stoffes, so kennt er auch die des anderen mit der denkbar gr\u00f6\u00dften Genauigkeit. Gerade dieser Fall liegt aber auch hei der Coexistenz vor. Bei ihr wird der Ort selbst in den meisten F\u00e4llen nicht angegeben, sondern eben nur die Identit\u00e4t mehrerer Bestimmungen hinsichtlich des Ortes behauptet. \u2014 Man sieht: der Unterschied von Coexistenz und anderen Identit\u00e4tsverh\u00e4ltnissen ist gar nicht principieller Natur: auch das Coexistenz-Verh\u00e4ltniss muss sich in jedem Falle auf die Stufe der begrifflichen Identit\u00e4t bringen lassen \u2014 ich brauche dazu eben nur den gemeinsamen Ort (und die gemeinsame Zeit) durch den entsprechenden Begriff zu fixiren, so dass dann also die betreffende Ortsbestimmung der Farhenbestimmung \u00bbroth\u00ab in unserem Beispiel v\u00f6llig analog wird. Allerdings ist f\u00fcr die Mehrzahl der F\u00e4lle (aus einem nicht hierher geh\u00f6rigen Grunde) eine solche Angabe belanglos und oft sogar zweckwidrig. Auf jeden Fall aber wird es begreiflich, wie Locke, der","page":636},{"file":"p0637.txt","language":"de","ocr_de":"Hume\u2019s Lehre vom Wissen.\n637\nsich bei seinem Identit\u00e4tsbegriff, wie wir gesehen haben, wesentlich an die sprachliche Bestimmung hielt, hier irren konnte.\nIch habe bei dieser Angelegenheit fast \u00fcber Geb\u00fchr lange verweilt: es galt mir aber Betrachtungen \u00e4hnlicher Art vorzubereiten, zu denen uns die sp\u00e4tere Entwicklung der hier in Frage kommenden Theorien noch n\u00f6thigen wird.\nEhe wir nun zur Betrachtung dessen \u00fcbergehen, was Locke unter Relationen im engeren Sinne versteht, mag noch auf eine zweite wichtige Beziehung hingewiesen werden, die Locke an einer anderen Stelle1) im Anschluss an die Ooexistenz abhandelt.\nMit unserer Zur\u00fcckf\u00fchrung der Ooexistenz auf die Identit\u00e4t w\u00fcrden wir uns n\u00e4mlich in einer Hinsicht in directen Widerspruch zu Locke setzen. Nach unserer Auffassung m\u00fcssten sich ja noth-wendiger Weise f\u00fcr beide Classen dieselben Evidenzgrade ergeben; f\u00fcr Locke dagegen ist Erkenntniss der Identit\u00e4t durchaus intuitiv, dagegen erscheint ihm Ooexistenz (trotz der Nebenbezeichnung necessary connexion) nicht einmal demonstrativ gewiss2). Nur einige wenige prim\u00e4re Qualit\u00e4ten stehen in nothwendiger Abh\u00e4ngigkeitsbeziehung: z. B. Gestalt und Ausdehnung. Im allgemeinen aber \u2014 und namentlich hinsichtlich der secund\u00e4ren Qualit\u00e4ten \u2014 sind wir ganz auf den Beistand unserer Sinne verwiesen, wenn wir Ooexistenz feststellen wollen. Etwas g\u00fcnstiger ist es mit der negativen Seite der Sache bestellt: Die Unvertr\u00e4glichkeit oder Unm\u00f6glichkeit der Ooexistenz gilt zun\u00e4chst von jeder Art prim\u00e4rer Eigenschaften. Jedes Ding kann deren immer nur eine einzelne auf einmal haben, z. B. schlie\u00dft jede einzelne Ausdehnung, Gestalt, Anzahl von Theilen alle anderen derselben Art aus. Ebenso schlie\u00dfen sich alle einem jeden Sinne eigenth\u00fcmlichen sinnlichen Ideen gegenseitig aus: niemals k\u00f6nnen zwei Ger\u00fcche oder zwei Farben coexistiren, d. h. kein einzelnes Ding kann zwei Ger\u00fcche oder zwei Farben zu gleicher Zeit haben3).\nAuffallend an dieser ganzen Darlegung ist vor allem der g\u00e4nzliche Mangel eines Versuches, irgend eine n\u00e4here Erkl\u00e4rung zu geben f\u00fcr die beiden Begriffe Nothwendigkeit und Unm\u00f6glichkeit. Wichtig ist\n1)\tB. IV, ch. 6. \u00a7\u00a7 7\u201410, & ch. 7 \u00a7 5.\n2)\tIbid. B. IV, ch. 3, \u00a7\u00a7 7 ff.\n3)\tIbid. B. IV, ch. 3, \u00a7 14.","page":637},{"file":"p0638.txt","language":"de","ocr_de":"638\nPaul Linke.\nferner, dass hier, wie \u00fcbrigens auch hei den eigentlichen Relationen eine Nothwendigkeit behauptet wird, die \u2014in Locke\u2019s Terminologie gesprochen \u2014 realer und nicht blo\u00df verbaler Natur ist1): \u00bbSoweit nur immer irgend eine complexe Idee von irgend welcher Art von Substanzen eine einfache Idee in sich schlie\u00dft, deren nothwendige Coexistenz mit irgend einer anderen sich entdecken l\u00e4sst, ebensoweit werden sich \u00fcber sie allgemeine S\u00e4tze mit Gewissheit .aufstellen lassen\u00ab2). Hier wird also deutlich die Sicherheit allgemeiner S\u00e4tze auf die Nothwendigkeit zur\u00fcckgef\u00fchrt; offenbar kam es Locke dabei gar nicht zum Bewusstsein, dass er hier ein Problem durch ein anderes ebenso bedeutsames .zu l\u00f6sen suchte: es h\u00e4tte sogar umgekehrt der Versuch gemacht werden k\u00f6nnen (was freilich den Tendenzen Locke\u2019s gerade zuwiderlief), die Nothwendigkeit auf die Gewissheit allgemeiner S\u00e4tze zur\u00fcckzuf\u00fchren. Vielleicht w\u00e4re das sogar nat\u00fcrlicher gewesen: war doch gerade f\u00fcr die unbedingte Wissenssicherheit bereits ein festes Princip aufgestellt: n\u00e4mlich die Ueberein-stimmung der zu Grunde liegenden Ideen. Es h\u00e4tte nahe gelegen, Ahh\u00e4ngigkeitsbeziehungen irgend welcher Art zwischen den beiden Principien der Nothwendigkeit einerseits und der Uebereinstimmung anderseits ausfindig zu machen \u2014 mindestens musste die Nothwendigkeit ausdr\u00fccklich als besonderes Princip aufgestellt werden. Thats\u00e4chlich aber wird sie nur nebenbei erw\u00e4hnt: \u00bbEinige unserer Ideen \u2014 hei\u00dft es3) \u2014 enthalten gewisse Beziehungen, Verh\u00e4ltnisse und Verbindungen, die so augenscheinlich in die Natur der Ideen selbst eingeschlossen sind, dass wir sie uns nicht als trennbar von ihnen durch irgend welche Kraft vorstellen k\u00f6nnen, und nur mit Bezug auf diese sind wir zu einem sicheren und allgemeinen Wissen bef\u00e4higt. So bringt die Idee eines geradlinigen Dreieckes nothwendig die Gleichheit seiner Winkel und zweier rechten mit sich. Auch k\u00f6nnen wir uns nicht vorstellen, dass dieses Verh\u00e4ltniss, diese Verbindung der beiden Ideen sich \u00e4ndern lasse, oder von einer willk\u00fcrlichen Macht abh\u00e4nge, die es so gemacht habe nach ihrem Belieben, es aber auch anders h\u00e4tte machen k\u00f6nnen\u00ab.\n1)\tBekanntlich bezeichnet dieser Gegensatz kaum etwas anderes als Kant\u2019s Unterschied der synthetischen und analytischen S\u00e4tze.\n2)\tIbid. B. IY, ch. 6, \u00a7 10.\n3)\tIbid. B. IY, ch. 3, \u00a7 29.","page":638},{"file":"p0639.txt","language":"de","ocr_de":"Hume\u2019s Lehre vom Wissen.\n639\nMan k\u00f6nnte versucht sein N\u00e4heres \u00fcber die Nothwendigkeits-beziehung in den allgemeinen Bemerkungen \u00fcber Relationenl) zu suchen. Was aber dort gebracht wird, dient nicht zur Aufkl\u00e4rung; im Gegentheil, es l\u00e4sst sich eine Stelle anf\u00fchren, die geradezu im Widerspruch zu dem hier Dargelegten steht. Es sei ein n\u00e4heres Eingehen darauf gestattet. Das Wesen der Relationen ganz im allgemeinen wird charakterisirt: N\u00f6tliig sind f\u00fcr jede Relation \u2014 abgesehen von dem Grund, oder der Gelegenheit zum Vergleichen \u2014 zwei Ideen oder Dinge, die Relata genannt werden. \u2014 Ver\u00e4ndert man die Relation, so involvirt das keine Ver\u00e4nderung der Relata, insbesondere beeinflusst das Verschwinden eines Relatums nur die Relation, nicht aber das andere Relatum: \u00bbCajus, den ich heute als Vater betrachte, h\u00f6rt morgen auf ein solcher zu sein, nur weil sein Sohn stirbt, ohne dass an ihm selbst eine Ver\u00e4nderung gesch\u00e4he\u00ab2). Auf dieses Beispiel passt nat\u00fcrlich die gegebene Charakteristik \u2014 sie soll aber selbstverst\u00e4ndlich auf alle Relationen anwendbar sein: Denken wir nun wieder an jene Art von Beziehungen, welche die Nothwendigkeit in sich schlie\u00dfen. Hier ist der Sachverhalt ein ganz anderer: ich stelle gleich die entsprechenden Beispiele nebeneinander. Cajus bleibt selber unver\u00e4nderlich, mag er nun als Vater betrachtet werden oder nicht. Das Dreieck dagegen ver\u00e4ndert sich, wird zu etwas ganz anderem, wenn ich auch nur den Versuch mache es mit einer anderen Winkelsumme vorzustellen. Man sieht, wie wenig Locke seine Bemerkungen durchdacht hat \u2014 so treffend sie auch im Einzelnen sein m\u00f6gen, wie wenig er diese Bemerkungen unter einander in Einklang gebracht und zu einem einheitlichen System verschmolzen hat. Das zeigt sich auch in der merkw\u00fcrdigen Thatsache, dass Locke an keiner Stelle ein Wort verliert \u00fcber das gegenseitige Verh\u00e4ltniss der im Relations-capitel erw\u00e4hnten Identit\u00e4t und Verschiedenheit und der Identit\u00e4t, wie wir sie bereits kennen gelernt hatten. Allerdings hat die hier behandelte Identit\u00e4t eine principiell andere Bedeutung. Dort handelte es sich (wie wir sahen) um die Identit\u00e4t begrifflicher Bestimmungen; hier dagegen um die der in der Au\u00dfenwelt gegebenen concreten\n1)\tIbid. B. II, ch. 25.\n2)\tIbid. B. II, ch. 25, \u00a7 5.","page":639},{"file":"p0640.txt","language":"de","ocr_de":"640\nPaul Linke.\nEinzeldinge. Denn wenn wir einmal einen bestimmten Gegenstand wahmehmen und dann wieder einen solchen, der mit jenem vollkommen gleichartig ist, so. ist damit bei weitem noch nicht gesagt dass es sich hier um einen und denselben Gegenstand handelt. Erst wenn wir festgestellt haben, dass es einen Moment gegeben hat, in dem die beiden unserem Bewusstsein gegebenen Gegenst\u00e4nde dieselbe Stelle im Raume eingenommen haben, m\u00fcssen wir die Identit\u00e4t beider anerkennen, mit anderen Worten: wir m\u00fcssen zugestehen, dass wir ein bestimmtes Individuum vor uns haben. Mit den Raum- und Zeitbestimmungen ist daher das Individuationsprincip gegeben.\nMan sieht nun aber doch den Ber\u00fchrungspunkt beider Identit\u00e4tsgruppen. Eigentlich ist er schon genannt : es war ja von vollkommen gleichartigen Dingen die Rede, von Dingen derselben Art, wie Locke es nennt. Wir bringen kaum mehr als eine Ver\u00e4nderung des Ausdruckes, wenn wir statt von Dingen derselben Art von Dingen reden, die durch denselben Begriff zusammengefasst sind. Wir gehen damit nat\u00fcrlich \u00fcber Locke hinaus, k\u00f6nnen dann aber das fragliche Princip pr\u00e4ciser formuliren und sagen:\nHaben zwei [oder mehr] Bewusstseinsinhalte genau dieselben begrifflichen Bestimmungen oder Merkmale, so d\u00fcrfen wir doch erst dann behaupten, dass ihnen nur ein Individuum entspricht, wenn sich unter diesen identischen Bestimmungen auch die Zeit- und Ortsbestimmungen befinden.\nDamit ist zugleich auch die Beziehung der Identit\u00e4t zur Coexistenz ins rechte Licht gesetzt. Auch bei der Coexistenz handelte es sich um identische Orts- und Zeitbestimmungen; diese betrafen aber nicht identische, sondern gerade verschiedenartige Begriffe, sodass wir kurz sagen k\u00f6nnen : Coexistenz liegt da vor, wo verschiedenartige Begriffe identische Orts- und Zeitbestimmungen haben, Identit\u00e4t in jenem zweiten Sinne aber liegt da vor, wo identische Begriffe identische Orts- und Zeitbestimmungen haben.\nDamit bin ich an\u2019s Ende dessen gelangt, was ich \u00fcber Locke zu sagen gedachte. Auf die weiteren hier anschlie\u00dfenden Gedankeng\u00e4nge des Autors einzugehen, verbietet zun\u00e4chst die eingangs angegebene Problemstellung, vor allem aber kann es sich hier nicht darum handeln \u2014 und das gilt besonders soweit das Rel\u00e4tionscapitel in Frage kommt \u2014 das zu wiederholen, was bereits bei Meinong","page":640},{"file":"p0641.txt","language":"de","ocr_de":"Hume\u2019s Lehre vom Wissen.\n641\neine ausf\u00fchrliche Darstellung gefunden hat. Soviel ist ja klar geworden : Die Relationen nebst der mit ihnen gegebenen Function des Yergleichens m\u00fcssen bei Locke als die Grundlage angesehen werden, auf der jedes, also auch das sichere, nothwendige, allgemeing\u00fcltige Wissen sich aufbaut und \u00fcberhaupt zu Stande kommt. Seine Andeutungen freilich \u00fcber das Wie dieses Zustandekommens sind d\u00fcrftig \u2014 oder doch nicht einwandsfrei genug, um als Ausgangspunkt weiterer Ueberlegungen dienen zu k\u00f6nnen.\nIY. Hume\u2019s Relationen.\nDie Kritik der eigentlichen Wissenssicherheit und des mit ihr eng verbundenen Nothwendigkeitsbegriffes ist bekanntlich Hume\u2019s Verdienst. Soweit diese Kritik nicht zu einem negativen Resultate gef\u00fchrt hat, bildet sie eben seine Lehre vom Wissen, das Wort im engsten Sinne verstanden, einen im Vergleich zu den Abhandlungen \u00fcber das Causalproblem sehr kurzen Abschnitt, den ersten im dritten Theile seines erkenntnisstheoretischen Hauptwerkes. Inhaltlich schlie\u00dft, er ganz an die Relationslehre an, ja er ist geradezu deren Fortsetzung: auf sie m\u00fcssen wir daher zuerst unser Augenmerk richten. Der f\u00fcnfte Abschnitt des ersten Theiles ist der erste und einzige, der speciell \u00fcber Relationen handelt. Auch die sp\u00e4tere Ueberarbeitung des ersten Theiles des Treatise, der Inquiry of human understanding, enth\u00e4lt keinen Abschnitt, der die Relationen speciell zum Gegenst\u00e4nde h\u00e4tte; ob der Grund f\u00fcr diese Thatsache (wie es Pfleiderer1) vermuthet) in dem Streben nach einer sch\u00e4rferen Hervorkehrung des Associationsstandpunktes in dem sp\u00e4teren Werke zu suchen ist, mag dahingestellt bleiben. Allerdings w\u00fcrde das, was von Hume zur Charakteristik der Relationen gleich im Anf\u00e4nge gesagt wird, von dem genannten Standpunkt aus ein nicht zu untersch\u00e4tzendes Zugest\u00e4ndnis an die Thatsachen bedeuten. Denn hier werden die Relationen (als sogenannte philosophische Relationen) ganz bewusst in Gegensatz gebracht zu den Associationen\n1) Pfleiderer, Empirismus und Skepsis in Hume\u2019s Philosophie. Berlin. Gr. Reimer. 1874, S. 129.","page":641},{"file":"p0642.txt","language":"de","ocr_de":"642\nPaul Linke.\n(die auch nat\u00fcrliche Relationen genannt werden): daran wurde oben gedacht, als der Gegenstand dieser Arbeit als eine Abweichung Hume\u2019s vom Associationsprincip hingestellt wurde. Ganz deutlich wird hier das Moment der willk\u00fcrlichen Vereinigung zweier Vorstellungen als Kennzeichen der Relationen hingestellt; die Associationen dagegen dr\u00fccken lediglich die Thatsache aus, dass innerhalb unserer geistigen Vorg\u00e4nge eine Idee die andere \u00bbohne weiteres mit sich zieht\u00ab: Dies bezeichnet Hume mit dem Princip der Verkn\u00fcpfung; es fehlt bei den willk\u00fcrlichen Relationen, statt seiner finden wir bei ihnen das subject of comparison (Lipps \u00fcbersetzt: Ergebniss der Vergleichung1)). Ganz deutlich zeigt ein Beispiel, was gemeint ist: Entfernung ist eine Relation, keine Association. Spreche ich von Entfernung, so setzt das immer den Vergleich von Gegenst\u00e4nden voraus: als Ergebniss dieses Vergleiches finde ich die Vorstellung ihrer Entfernung. Dagegen ist die Entfernung ganz gewiss nicht dasjenige, was die Vorstellung des einen Gegenstandes zu der des anderen hin\u00fcbergleiten l\u00e4sst; im Gegentheil, Entfernung bedeutet gerade Mangel an Verkn\u00fcpfung. Entfernung und Beziehung schlie\u00dfen einander aus, wofern wir n\u00e4mlich unter Beziehung nicht den philosophischen Terminus (d. h. also eben die Relation) verstehen. Jedenfalls erhellt aus der ganzen Darstellung, dass f\u00fcr die Relation das Willk\u00fcrmoment, f\u00fcr die Association dagegen die blo\u00df mechanische Verkn\u00fcpfung als charakteristisch hingestellt wird. Hume\u2019s allgemeine Willensauffassung steht damit vollst\u00e4ndig im Einklang: sie betont ausdr\u00fccklich die Betheiligung des Willens bei den Perceptionen2), also den eigentlichen geistigen Vorg\u00e4ngen, und Hume war bekanntlich der erste, der im entschiedenen Gegens\u00e4tze zur Auffassung seiner Zeit die Wichtigkeit der Willensvorg\u00e4nge im Gebiete der Verstandes-th\u00e4tigkeit energisch betont hat3). Es ist daher naheliegend, die Scheidung der beiden Hume\u2019schen Beziehungsgruppen mit derjenigen von associativen und apperceptiven Beziehungen in der modernen Psychologie in Parallele zu bringen. Diese Auffassung stimmt in der That nicht nur mit Hume\u2019s allgemeinen Ausf\u00fchrungen sehr gut\n1)\tD.Hume's Tractat Bd. L, \u00fcbers, v. K\u00f6ttgen-Lipps. Hamburg & Leipzig, Leop. Yoss. S. 25.\n2)\tD. Hume. Treat, on h. n. Vol. II, P. Ill, sect. 1.\n3)\tIbid. Vol. II, P. Ill, sect. 3.","page":642},{"file":"p0643.txt","language":"de","ocr_de":"Hume\u2019s Lehre vom Wissen.\n643\n\u00fcberein, sondern wird durch das Beispiel von der Entfernung geradezu gefordert. Sogar der Umstand erhebt an sich keinen Widerspruch, dass hei der L\u00f6sung von Problemen, die eine specielle Relations-classe aufzuweisen hat, die der Causalit\u00e4t n\u00e4mlich, der Hauptnachdruck doch wieder auf den Associationen ruht: Wenn ich zwischen zwei Ereignissen ein Oausalverh\u00e4ltniss \u00fcberhaupt nur constatire, setze ich sie ja bewusst in Beziehung zu einander: ich erlebe in mir die Th\u00e4tigkeit des \u00bbin Beziehung setzens\u00ab, kurz, ich verhalte mich activ, nicht passiv. Damit ist aber noch nicht erkl\u00e4rt, was mit den Begriffen, die das constatirte Yerh\u00e4ltniss ausmachen, den Begriffen Ursache und Wirkung, eigentlich gemeint ist: Hier setzt dann Hume\u2019s Analyse ein, die bekanntlich den Associationen bei der Entstehung der genannten Begriffe die hervorragendste Stelle zuweist; und in diesem Sinne durfte er auch behaupten, die Causalrelation sei zugleich eine nat\u00fcrliche Beziehung. Trotz alledem ist es ja um eine solche Anticipation erst sp\u00e4ter exact fixirter Thatbest\u00e4nde immer eine missliche Sache, und es muss jedenfalls hervorgehoben werden, dass Meinong\u2019s Auffassung in diesem Punkte eine andere ist1]. Meinong spricht n\u00e4mlich von einer Art von Subordination der Associationen unter die Relationen. Das vertr\u00e4gt sich nat\u00fcrlich nicht mit der hier gegebenen Interpretation, indem ja dann die unwillk\u00fcrlichen Beziehungen s\u00e4mmtlich als willk\u00fcrliche angesehen werden m\u00fcssten.\nDie Eintheilung der [philosophischen] Relationen sucht Hume in ersch\u00f6pfender Weise durchzuf\u00fchren ;\u2014 im Gegensatz zu Locke, der davon absehen zu m\u00fcssen glaubte. Dabei sind die einzelnen Ein-theilungsglieder nicht (wie es zuerst wohl scheinen k\u00f6nnte) coordinirt, sondern Hume hebt ausdr\u00fccklich hervor, dass eine Relation die Bedingung f\u00fcr alle anderen abgibt: die Aehnlichkeit. Immer m\u00fcssen die in Relation zu setzenden Gegenst\u00e4nde in irgend einer Hinsicht einander \u00e4hnlich sein: vergleichbar ist eben nur das Aehnliche. Dabei wird noch einmal auf den Gegensatz von Associationen und Relationen hingewiesen. Denn das eben Gesagte gilt nicht von den Associationen: im Gegentheil, je mehr Vorstellungen eine bestimmte\n1) A. Meinong. Humestudien II. Sitzungsberichte der ph.-hist. Classe d. k. Aead. d. W. Wien. 1882. S. 596 ff.\nW u n d t, Philos. Studien. XVJI.\n42","page":643},{"file":"p0644.txt","language":"de","ocr_de":"644\nPaul Linke.\nVorstellung \u00e4hnlich ist, um so weniger wird diese Aehnlichkeit zu einer associativen Beziehung f\u00fchren, indem ja dann keine bestimmte unter diesen \u00e4hnlichen Vorstellungen bevorzugt ist: erst durch Hinzutreten des Willk\u00fcrmomentes kann eine solche Bevorzugung eintreten. Auch diese Darlegung spricht also f\u00fcr die oben versuchte Auffassung des Verh\u00e4ltnisses der beiden \u00dfelationsarten.\nAls zweite Eelation wird die Identit\u00e4t auf gef\u00fchrt, die ihrer Verbreitung nach der Aehnlichkeit am n\u00e4chsten steht: sie kommt allem Seienden zu, das irgend welche Dauer hat. Hume nimmt sie, \u00bbim engsten Sinne als Identit\u00e4t constanter und unver\u00e4nderlicher Gegenst\u00e4nde\u00ab, also nur im Sinne der einen von den beiden hei Locke erw\u00e4hnten Identit\u00e4tsarten; und selbst diese wird noch beschr\u00e4nkt, insofern die pers\u00f6nliche Identit\u00e4t \u2014 wenigstens vorl\u00e4ufig \u2014 ausgeschlossen wird.\nFast so allgemein wie die Identit\u00e4t sind die r\u00e4umlichen und zeitlichen Beziehungen, die durch Vergleichungshegriffe wie entfernt, angrenzend, \u00fcber, unter, vor, nach u. s. w. repr\u00e4sentirt werden.\nFerner k\u00f6nnen alle Gegenst\u00e4nde, die quantitativ bestimmbar sind (\u00bbdie den Begriff der Quantit\u00e4t oder Zahl zulassen\u00ab), in dieser Hinsicht verglichen werden.\nHaben zwei Gegenst\u00e4nde dieselbe Eigenschaft gemeinsam, so k\u00f6nnen sie mit R\u00fccksicht auf die Grade, in denen sie jene Eigenschaft besitzen, verglichen werden. Zwei schwere Gegenst\u00e4nde k\u00f6nnen noch verschiedene Grade ihrer Schwere, zwei Farben noch verschiedene Helligkeitsgrade haben.\nHieran schlie\u00dft sich endlich die Relation, die den Widerstreit zweier Ideen ausdr\u00fcckt. Hier scheint es zun\u00e4chst, als handele es sich nicht um einen Vergleich; die sich widersprechenden Begriffe sind ganz gewiss einander nicht \u00e4hnlich. Aber wir m\u00fcssen hier unterscheiden zwischen logischem und realem Widerstreit. Der reale Widerstreit darf nicht an und f\u00fcr sich als Relation gefasst werden, da er sich immer der Causalrelation unterordnet. Feuer und Wasser, Hitze und K\u00e4lte stellen sich nur verm\u00f6ge des Widerstreites ihrer Ursachen und Wirkungen als einander widerstreitend dar. Dieser Widerstreit findet daher bei der Oausalit\u00e4t seinen Platz. Widerstreit im eigentlichen Sinne ist nur der logische Widerstreit (denn dieser ist offenbar gemeint, wiewohl die beiden Termini \u00bblogisch\u00ab und \u00bbreal\u00ab hei Hume","page":644},{"file":"p0645.txt","language":"de","ocr_de":"Hume\u2019s Lehre vom Wissen.\n645\nnicht Vorkommen); dieser ist aber immer der Widerspruch von Existenz und Nichtexistenz desselben Gegenstandes. Um mir nun aber dies vergegenw\u00e4rtigen zu k\u00f6nnen, habe ich zwei Vorstellungen n\u00f6thig, die beide eben jenen Gegenstand gemeinsam haben und sich also insofern deutlich \u00e4hnlich sind.\nDie Causalrelation involvirt \u2014 wie allerdings erst an sp\u00e4terer Stelle dargelegt wird \u2014 die Aehnlichkeit der Ideen mit der zu ihr geh\u00f6rigen Impression.\nDie Verschiedenheit, die hei Locke (wie wir sahen) in beiden F\u00e4llen als Correlat der Identit\u00e4t betrachtet wurde, erscheint Hume nicht als besondere Eelation, sondern als Verneinung einer Beziehung: einmal verneint sie die Identit\u00e4t, dies ist die numerische Verschiedenheit (difference of number), das andere Mal die Aehnlichkeit, dann ist sie Verschiedenheit der Art (difference of kind).\nBei einer n\u00e4heren Untersuchung der Bedeutung dieser Relationen f\u00fcr die Erkenntniss1 2) gelangt Hume zu einer weiteren Eintheilung: sie ist f\u00fcr uns die wichtigste. Die Relationen sind n\u00e4mlich auch in ihrem Werthe f\u00fcr die Erkenntniss keineswegs gleich; vielmehr sondern sie sich bei n\u00e4herer Betrachtung in zwei Gruppen, und nur die eine von ihnen vermag Erkenntniss im eigentlichen, strengsten Sinne (knowledge und certainty) zu liefern. Die Relationen der Aehnlichkeit, des Widerstreites, der Qualit\u00e4tsgrade und der Quantit\u00e4tsverh\u00e4ltnisse sind es, die diese Gruppe ausmachen. Demnach entfallen f\u00fcr die andere Gruppe die Relationen der Contiguit\u00e4t in Zeit und Raum, der Identit\u00e4t und der Causalit\u00e4t: sie gehen nur Erfahrungswissen, das hei\u00dft ein Wissen, dem all\u2019 das Tr\u00fcgerische anhaftet, dem wir bei jeder Beobachtung von Thatsachen ausgesetzt sind, kurz sie geben, streng genommen, gar kein Wissen (knowledge), da ihnen die unbedingte Gewissheit (certainty) fehlt; was sie zu geben verm\u00f6gen, ist im Grunde nur Wahrscheinlichkeit (probability) \u2014 wenigstens muss zugestanden werden, dass zwischen dem, was wir auch sonst Wahrscheinlichkeit zu nennen pflegen, und dem Wissen auf Erfahrungsgr\u00fcnde hin (from proofs) nur ein gradueller, kein prin-cipieller Unterschied besteht2). Wichtig bleibt dieser Unterschied\n1)\tD. Hume, Treat. Vol. 1. P. Ill, sect. I.\n2)\tIbid. Vol. I, P. IH, sect. 13.\n42*","page":645},{"file":"p0646.txt","language":"de","ocr_de":"646\nPaul Linke.\ntrotzdem und es w\u00e4re th\u00f6richt ihn zu verwischen: \u00bbman w\u00fcrde l\u00e4cherlich erscheinen \u2014 sagt Hume1) \u2014 wenn man etwa behaupten wollte, es sei nur wahrscheinlich, dass die Sonne morgen aufgehen werde, oder dass alle Menschen sterben m\u00fcssen; obgleich einleuchtet, dass wir. von diesen Thatsachen keine h\u00f6here Gewissheit haben als diejenige, die uns die Erfahrung bietet\u00ab. Eine h\u00f6here Gewissheit als die auf Erfahrung beruhende liefert dagegen die Erkenntniss, welche unter dem Hamen knowledge zusammengefasst wird. Beide Arten sind principiell von einander zu scheiden; sie sind es, weil die zu Grunde hegenden Relationen andere sind. Das Erfahrungswissen bezieht sich auf Thatsachen i der Gegenstand des sicheren Wissens (knowledge) sind Beziehungen zwischen Ideen: so wenigstens lautet die Formulirung des Unterschiedes im Enquiry2) an jener einzigen Stelle, an der dort \u00fcberhaupt von [philos.] Relationen die Rede ist; es empfiehlt sich jedoch auch hier den Treatise zu Grunde zu legen. Namentlich die eben zuerst genannte Classe ist zweifellos mit \u00bbErkenntnis von Thatsachen\u00ab etwas vag charakterisirt; denn was sind psychologisch genommen Thatsachen? Hume w\u00fcrde sofort zugestehen, dass sie uns nur auf dem Wege der Wahrnehmungen, also als Impressionen vermittelt werden k\u00f6nnen, genau dasselbe gilt aber auch von den Vorstellungen, und eine n\u00e4here Pr\u00e4cision erscheint in diesem Punkte w\u00fcnschenswerth: eine solche ist aber im Treatise bereits vorhanden. Hier ist die fragliche Gegen\u00fcberstellung nicht die von Relationen zwischen Vorstellungen und Thatsachen, sondern die von unver\u00e4nderlichen und ver\u00e4nderlichen Relationen3). Die erstgenannten sind solche, die nicht ver\u00e4ndert werden k\u00f6nnen, ohne zugleich eine Ver\u00e4nderung in den zu Grunde liegenden Vorstellungen herbeizuf\u00fchren, die also \u00bbdurchaus durch die Natur der Vorstellungen bedingt sind, die wir mit einander vergleichen\u00ab. Die ver\u00e4nderlichen Relationen dagegen sind \u00bbsolche, welche sich ver\u00e4ndern k\u00f6nnen ohne irgend welche gleichzeitige Ver\u00e4nderung in den betreffenden Vorstellungen\u00ab. Ein paar Beispiele zeigen noch deutlicher, was gemeint ist. \u00bbAus der Vorstellung eines Dreieckes gewinnen wir die Rela-\n1)\tD. Hume\u2019s Tractat \u00fcb. d. menschl. Nat. I., \u00fcbersetzt v. K\u00f6ttgen & Lipps. S. 171.\n2)\tD. Hume. Enquiry conc. hum. und. P. IV, sect. 1.\n3)\tD. Hume. Treat, o. h. n. Yol. I, P. IH, sect. 1.","page":646},{"file":"p0647.txt","language":"de","ocr_de":"Hume\u2019s Lehre vom Wissen.\n647\ntion der Gleichheit zwischen der Summe seiner Winkel und zwei Rechten, diese Relation ist unver\u00e4nderlich, so lange unsere Vorstellung dieselbe bleibt. Dagegen k\u00f6nnen die Relationen der Conti-guit\u00e4t oder Entfernung zweier Gegenst\u00e4nde durch den blo\u00dfen Wechsel ihres Ortes ver\u00e4ndert werden ohne gleichzeitige Ver\u00e4nderungen an den Gegenst\u00e4nden selbst oder den Vorstellungen derselben; der Ort wiederum h\u00e4ngt von hundert verschiedenen Zuf\u00e4llen ab, die nicht von dem Geiste vorher gesehen werden k\u00f6nnen. Dasselbe ist der Fall bei der Identit\u00e4t und der Urs\u00e4chlichkeit.\u00ab Gegenst\u00e4nde, die sich v\u00f6llig gleichen, brauchen nicht nothwendig identisch zu sein: es ist recht wohl m\u00f6glich, dpss sie numerisch verschieden sind und auch die Idee der Kraft (power), die Ursache und Wirkung verbindet, kann nicht aus der blo\u00dfen Idee der in Frage kommenden Gegenst\u00e4nde gewonnen werden.\nInnerhalb der unver\u00e4nderlichen oder Ideenrelationen l\u00e4sst Hume die alte Locke'sche Eintheilung von Intuition und Demonstration bestehen. Aehnlichkeit, Widerstreit und Qualit\u00e4tsgrade werden intuitiv erkannt. Gleichen sich zwei Gegenst\u00e4nde, so dr\u00e4ngt sich die Aehnlichkeit sofort dem Geiste auf, ebenso kann Niemand daran zweifeln, dass Sein und Nichtsein einander aufheben, dass sie \u00bbvollst\u00e4ndig unvereinbar sind und einander durchaus widerstreiten\u00ab1). Die Grade einer Qualit\u00e4t sind zwar, wenn es sich um sehr geringe Differenzen handelt, nicht immer genau zu bestimmen, in den meisten F\u00e4llen aber sind auch sie der Intuition zug\u00e4nglich; dagegen wird, was die Quantit\u00e4tsrelation anlangt, nur die Gleichheit sehr kleiner Zahlen und Ausdehnungsgr\u00f6\u00dfen unmittelbar erkannt: in den anderen F\u00e4llen m\u00fcssen wir \u2014 falls wir uns nicht mit blo\u00df angen\u00e4herten Resultaten begn\u00fcgen wollen \u2014 besondere H\u00fclfsmittel oder H\u00fclfsverfahren anwenden, d. h. also demonstrativ Vorgehen. Unter allen Umst\u00e4nden ist die Sicherheit des erreichten Wissens von der Genauigkeit des angewandten Ma\u00dfstabes abh\u00e4ngig. Dieser Ma\u00dfstab ist aber seinerseits wieder um so genauer, je weniger er von Impressionen, also von Vorstellungen, die wir in der \u00e4u\u00dferen Natur unmittelbar wahrnehmen, abh\u00e4ngig ist: Arithmetik und Algebra sind deshalb die exactesten Wissenschaften, denn der ihnen zu Grunde liegende Ma\u00df-\n1) Ibid. Vol. I. P. Ill, sect. 1.","page":647},{"file":"p0648.txt","language":"de","ocr_de":"648\nPaul Linke.\nstab, die Einheit, ist in diesem Sinne das Ideal eines Ma\u00dfstabes. Wenn zwei Zahlen so zusammen geordnet werden k\u00f6nnen, dass immer eine Einheit der einen einer Einheit der anderen entspricht, so nennen wir sie gleich. Es ist also im wesentlichen das Kriterium der gegenseitigen eindeutigen Zuordnung, das hier als Gleichheitsmerkmal angegeben wird, also im Grunde \u2014 und das verdient hervorgehoben zu werden \u2014 dasselbe, das auch von neueren Mathematikern (ich denke an Kronecker und Stolz) wiederum angegeben worden ist. Dagegen \u00bbist es der Mangel eines solchen Ma\u00dfstahes f\u00fcr die Gleichheit der Ausdehnung, wegen dessen die Geometrie kaum f\u00fcr eine vollkommene und untr\u00fcgliche Wissenschaft erachtet werden kann\u00ab. Man k\u00f6nnte zwar auch hei der Geometrie versucht sein, von einer gegenseitigen Zuordnung der f\u00fcr die Vorstellung kleinsten, d. h. untheilharen Raumbestandtheile zu reden (Hume nimmt bekanntlich solche untheilharen Punkte an), allein das ist praktisch undurchf\u00fchrbar1), jeder andere Ma\u00dfstab aber ist ungenau: kann ich mich doch nie von der genauen Deckung zweier Ma\u00dfe anders als durch die Wahrnehmung \u00fcberzeugen, und diese ist den mannigfaltigsten Irrth\u00fcmern ausgesetzt, \u00bbwenn wir die au\u00dferordentliche Kleinheit der Verh\u00e4ltnisse und Unterschiede bedenken, die in der Natur Vorkommen\u00ab. Dies wird dann durch das bekannte Beispiel verdeutlicht: Zwei Linien, die sich unter einem sehr kleinen Winkel schneiden, scheinen zwar \u2014 soweit wir unsere Ideen in Betracht ziehen \u2014 nur einen Punkt miteinander gemein zu haben, w\u00e4hrend genauere Beobachtungen immer ergeben, dass thats\u00e2\u00e7hlich die Gemeinsamkeit einer Strecke vorausgesetzt wird. Es handelt sich hier, wie kaum noch hervorgehoben zu werden braucht, um eine Vermengung reiner und angewandter Geometrie, eine Vermengung, die Alois Riehl2) sogar zu der Behauptung gef\u00fchrt hat, Hume habe nur die Exactheit der angewandten Mathematik angegriffen. Die oben bereits angef\u00fchrte Stelle des Enquiry vermeidet \u00fcbrigens diese Vermengung vollst\u00e4ndig; die Geometrie gilt hier ebenfalls als vollkommen exacte Wissenschaft: \u00bbWenn es auch nie in der Natur einen Kreis oder ein Dreieck gegeben h\u00e4tte, so w\u00fcrden doch die\n1)\tIbid. Vol. I, P. Il, sect. 4.\n2)\tA. Riehl, Der pliilos. Kriticismus, I, S. 98.","page":648},{"file":"p0649.txt","language":"de","ocr_de":"Hume\u2019s Lehre vom Wissen.\n649\nvon Euklid bewiesenen Wahrheiten f\u00fcr immer ihre Gewissheit und Beweiskraft behalten\u00ab \u2014 lautet der aus diesem Passus oft citirte Satz, der dieses am besten erh\u00e4rtet. A.uch darauf sei noch hingewiesen: Die unver\u00e4nderlichen oder Ideenrelationen sind, wie man leicht sieht, nur ein anderer Ausdruck f\u00fcr die Thatsache der Abh\u00e4ngigkeitsbeziehung. Das hei\u00dft mit anderen Worten: die Beziehung der Abh\u00e4ngigkeit, also im wesentlichen die Beziehung von Grund und Folge, wird von Hume ausdr\u00fccklich als Grundlage des eigentlichen Erkennens hingestellt, so dass die anderen zum Wissen f\u00fchrenden Relationen sich ihr gewisserma\u00dfen suhsumiren. In dieser Einsicht liegt nicht nur ein Fortschritt gegen\u00fcber fr\u00fcheren Meinungen, sondern auch eine Anticipation sp\u00e4terer Anschauungen und verdient jedenfalls gegen\u00fcber der fehlerhaften Analyse des empirischen Cau-salbegriffes hervorgehoben zu werden.\nDie Untersuchung der ver\u00e4nderlichen oder Thatsachenrelationen dominirt allerdings in Hume\u2019s Ausf\u00fchrungen ganz unverh\u00e4ltniss-m\u00e4\u00dfig. Das Causalproblem bildet bekanntlich den Hauptinhalt des ersten Buches des Treatise und vor allem beinahe des ganzen Enquiry. F\u00fcr uns steht gerade die andere Gruppe der Relationen im Vordergr\u00fcnde des Interesses \u2014 soweit nicht die beiden gemeinsame psychologische Grundlage Betrachtungen noch allgemeinerer Art erfordert.\nBedeutungsvoll ist vor allem die Frage nach dem erkenntnisstheore-tischen Werthe der ganzen Eintheilung. Hier ist soviel schon jetzt deutlich: Hume\u2019s Relationseintheilung ist nicht identisch mit Kant\u2019s Unterscheidung von analytischen und synthetischen Urtheilen. Kant selbst war es, der zu dieser Identificirung, die ja zum Theil noch heute versucht wird, den Anlass gegeben hat: gemeint ist die bekannte Stelle in den Prolegomenen, in der er sein Verh\u00e4ltniss zu Hume n\u00e4her bestimmt. \u00bbReine Mathematik enth\u00e4lt blo\u00df analytische S\u00e4tze\u00ab, mit diesen Worten glaubt hier Kant Hume\u2019s Auffassung in seine Terminologie \u00fcbertragen zu haben. Da Kant den Treatise nicht kannte, war allerdings die M\u00f6glichkeit eines solchen Missverst\u00e4ndnisses gegeben. Im Enquiry werden als Beispiele der Vorstellungsrelationen lediglich mathematische Beziehungen aufgef\u00fchrt,\n1) I. Kant, Prolegomena. Einleitung.","page":649},{"file":"p0650.txt","language":"de","ocr_de":"650\nPaul Linke.\nwiewohl ihnen ausdr\u00fccklich jeder Satz von intuitiver oder demonstrativer Gewissheit subsumirt wird; aber besonders die intuitive Gewissheit ist in diesem Zusammenh\u00e4nge ein keineswegs eindeutiger Begriff und die weiteren Andeutungen \u00fcber die fragliche Relationsgruppe sind im Enquiry zu d\u00fcrftig, um zu einer klaren Anschauung zu f\u00fchren. Der Treatise hingegen f\u00fchrt, wie wir wissen, auch die Aehn-lichkeitsverh\u00e4ltnisse unter den Yorstellungsrelationen an. Diese entsprechen aber keineswegs den Bedingungen, die Kant f\u00fcr die analytischen Urtheile aufstellt. Ein Urtheil behauptet Aehnlichkeit zweier Gegenst\u00e4nde: das hei\u00dft dem Subject des Urtheils wird im Pr\u00e4dicat Aehnlichkeit mit irgend etwas anderem zugesprochen. Eine solche Aehnlichkeit mit etwas anderem ist nat\u00fcrlich nicht in Kant\u2019s Sinne a priori zu erkennen; von einem versteckten Enthaltensein des Pr\u00e4-dicates im Subjectsbegriff kann hier nicht die Rede sein, vielmehr ist ganz deutlich das Kriterium der synthetischen S\u00e4tze gegeben: der Subjectsbegriff wird im Pr\u00e4dicate zu einem neuen Begriff, der in ihm noch nicht mitgedacht war, in Beziehung gesetzt. \u2014 Indess, wir brauchen gar nicht auf Specialf\u00e4lle der betreffenden Relationen hinzuweisen: Die Ausf\u00fchrungen des Treatise lassen gar keinen Zweifel dar\u00fcber aufkommen, dass Hume etwas anderes gemeint hat als Kant. Bei Kant spricht alles daf\u00fcr, dass ihm die Grenze zwischen analytischen und synthetischen Urtheilen nicht als eine flie\u00dfende galt. Dann aber muss seine Definition der analytischen Urtheile so aufgefasst werden, dass in ihrem Subject der Pr\u00e4dicatsbegriff nicht blo\u00df mitgedacht wird \u2014 das kann gelegentlich hei allen Urtheilen der Pall sein \u2014 sondern dass er nothwendiger Weise mitgedacht werden muss. Damit wird also die Verkn\u00fcpfung von Subject und Pr\u00e4dicat im analytischen Urtheil deshalb eine nothwendige, weil eben die nothwendige Verkn\u00fcpfung bei dem Aussprechen oder besser gesagt hei dem gedanklichen Setzen des Subjectes bereits vorausgesetzt war. Das Urtheil erl\u00e4utert eben jene nothwendige Verkn\u00fcpfung noch einmal ausdr\u00fccklich \u2014 etwa weil eine solche Hervorhebung des betreffenden Begriffselementes f\u00fcr den gesammten Gedankenzusammenhang, in den sich das Urtheil eingliedert, von besonderem Werthe erscheint. Wenn wir dies anerkennen, m\u00fcssen wir jedenfalls zugeben, dass die analytischen Urtheile \u00fcber die nothwendige Verkn\u00fcpfung von Subject und Pr\u00e4dicat nichts Neues aussagen: Denn gerade das","page":650},{"file":"p0651.txt","language":"de","ocr_de":"Hume\u2019s Lehre vom Wissen.\n651\nPr\u00e4dicat, das in dem Urtheile aus dem Subjecte herausgezogen wurde, war ja vorher schon nothwendig in eben diesem Subjecte enthalten; durch die Thatsache also, dass solche Urtheile bestehen, wird die nothwendige Verkn\u00fcpfung, d. h. also die Abh\u00e4ngigkeit des Pr\u00e4di-cates vom Subjecte nicht erkl\u00e4rt oder sonst irgend wie n\u00e4her bestimmt, sie bildet die Voraussetzung solcher Urtheile, kann also nicht als deren Folge angesehen werden. Hume kam es dagegen in seinen erkenntnisstheoretisch\u00e8n Arbeiten ganz vorwiegend gerade auf die Erkl\u00e4rung der nothwendigen Verkn\u00fcpfung an. In den Geschehnissen der \u00e4u\u00dferen Natur findet er sie nur als scheinbare, als subjective Fiction, beruhend auf gewissen psychologischen Thatsachen, unter denen die Associationen in erster Linie in Frage kommen \u2014 es geht uns hier nichts an, in wie weit das fehlerhaft war, in wie weit auch hier nicht blo\u00df psychologische, sondern logische Thatsachen in Frage kommen, jedenfalls ist hier der Versuch gemacht zu einer wirklichen Erkl\u00e4rung desjenigen, was wir unter nothwendiger Verkn\u00fcpfung verstehen, und es ist besonders bemerkenswerth, dass Hume keineswegs jede nothwendige Verkn\u00fcpfung zu einer blo\u00dfen Fiction macht: Sie wird von ihm ausdr\u00fccklich anerkannt, soweit sie nicht von Geschehnissen der \u00e4u\u00dferen Natur ausgesagt wird, und auch dieses Anerkennen ist ein Anerkennen aus Gr\u00fcnden. Hume glaubt durch den Nachweis solcher Beziehungen, die durch die Ideen selber bestimmt werden, die also, soweit nur immer dieselben Ideen gegeben sind, gleichfalls mitgegeben sind, die Thatsache der eigentlichen (nicht blo\u00df fictiven) Nothwendigkeit aufgedeckt zu haben, er hoffte sie damit, wenn nicht erkl\u00e4rt, so doch in neuer und eigenartiger Weise gekennzeichnet zu haben. Dabei ist von einem Mitgedachtwerden oder Mitgedachtwerdenm\u00fcssen der Belation in den gegebenen Ideen gar keine Bede. Bemerkenswerth ist ferner, dass beide Arten von Nothwendigkeit, die eigentliche, logische sowohl wie die fictive, ausdr\u00fccklich als subjective Erscheinungen bezeichnet werden1): Nothwendigkeit ist immer etwas, das im Geiste besteht, nicht in den Gegenst\u00e4nden. Darin liegt ein au\u00dferordentlicher Fortschritt gegen Locke, der ja \u2014wie bereits erw\u00e4hnt \u2014 selbst bei den Thatsachen der Geometrie von einer in den Erscheinungen liegenden Kraft spricht, die ihre nothwendige Verkn\u00fcpfung ausmacht.\n1) H., Treat. Y. I. P. IH, sect. 14.","page":651},{"file":"p0652.txt","language":"de","ocr_de":"652\nPaul Linke.\nV. Das \u00bbfundamentnm relationis\u00ab. A. Meinong\u2019s Stellung.\nEs wird nunmehr angebracht erscheinen die einzelnen Relations-classen, welche der Lehre vom Wissen als Grundlage dienen, selber eingehender zu betrachten. Diese Betrachtung wird zugleich einige der Punkte ber\u00fchren, die Meinong in der schon erw\u00e4hnten Abhandlung im Anschl\u00fcsse an Hume hervorgehoben, und zur Begr\u00fcndung einer selbst\u00e4ndigen Relationstheorie verwandt hat.\nMeinong h\u00e4lt es f\u00fcr zweckm\u00e4\u00dfig, zur exacteren Behandlung der Relationsprobleme einen von Locke aus der Scholastik recipirten Ausdruck, der sich bei Hume nicht findet, wiederum einzuf\u00fchren: es ist der Begriff des \u00bbfundamentum relationis\u00ab '). Locke spricht ja \u2014 wie schon oben1 2) erw\u00e4hnt wurde \u2014 von zwei Erfordernissen f\u00fcr jede Relation: zuerst von zwei zu vergleichenden Dingen oder Ideen, die er Relata nennt, und sodann von einem Grunde oder einer Gelegenheit zum Vergleichen. Der letztere Ausdruck ist \u00e4u\u00dferst unbestimmt: und so wird denn auch das Mannigfaltigste unter ihm zusammengefasst. Sage ich von einem Menschen, er sei ein Ehemann, so ist der Vertrag oder die Ceremonie der Heirath das Relationsfundament, ebenso ist es die wei\u00dfe Farbe, wenn ich von demselben Menschen behaupte, er sei wei\u00dfer als Sandstein. Hier k\u00f6nnte man allenfalls das Fundament als den Grund zum Vergleichen ansehen. Anderseits werden aber auch Zeit und Raum als Gr\u00fcnde und Identit\u00e4t als Gelegenheit zum Vergleichen angef\u00fchrt3): zum mindesten hei der Identit\u00e4t werden wir geneigt sein eher von einem Ergebnis des Vergleiches zu reden. Damit w\u00fcrde freilich Locke selber am wenigsten einverstanden sein. Nach ihm ist die Relation seihst ein Vergleichsergebniss. Die Relation wird \u2014 wie er gleich zu Anfang seiner Relationslehre hervorhebt \u2014 vom Geiste aus der Vergleichung zweier Ideen gewonnen. Wollten wir daher auch das Fundament als Vergleichsergebniss auffassen, so hie\u00dfe das Relation und Relationsfundament identificiren, und das w\u00fcrde nat\u00fcrlich Locke\u2019s Tendenzen nicht entsprechen.\n1)\tA. Meinong, Humestudien II. S. 614.\n2)\tS. 639.\n3)\tLocke, Essay conc. hum. und. B. II, oh. 26, \u00a7 3 & ch. 27, \u00a7 1.","page":652},{"file":"p0653.txt","language":"de","ocr_de":"Hume\u2019s Lehre vom Wissen:\n653\nIm Gef\u00fchle dieser Unklarheit sucht Meinong Locke\u2019s Behauptung zu modificiren. Im Anschluss an eine Bemerkung Hermann Lotze\u2019s1) urgirt er zun\u00e4chst die Thatsache der Subjectivit\u00e4t aller Relationen, die ja immer die Producte psychischer Th\u00e4tigkeit \u2014 eben der Th\u00e4tigkeit des Vergleichen \u2014 sein m\u00fcssen. Locke geht also nach Meinong bereits zu weit, wenn er meint, es k\u00f6nnten Dinge oder Ideen verglichen werden: die Dinge sind auszuschlie\u00dfen; man kann nur vergleichen, was man vor stellt. F\u00fcr Meinong ist nun hiermit zugleich auch das Fundament, die Grundlage dieser Th\u00e4tigkeit gegeben: sie ist eben dasjenige, was mit ihr zusammen die Relation ausmacht: sie besteht also aus den verglichenen Vorstellungsinhalten seihst. Will man nun aber au\u00dfer den Fundamenten auch noch die Relata aufrecht erhalten, so muss man diese freilich in einem weiteren Sinne fassen. Meinong nennt denn auch Relata die Vorstellungsinhalte ganz allgemein, also ohne besondere BeT tonung ihrer f\u00fcr die Vergleichung eigentlich wichtigen Elemente. \u00bbVergleiche ich einen rothen und einen blauen W\u00fcrfel und finde sie verschieden, so bezieht sich der Vergleich, genau genommen, nicht auf die Gestalt, sondern auf die Farbe . . . Demnach sagt man in solchen F\u00e4llen nicht nur, man habe die zwei Farben verglichen, sondern auch man habe die W\u00fcrfel verglichen, h\u00f6chstens mit dem Beisatze nach ihrer Farbe. \u00ab2)\nIst nun durch diese Bestimmung des Fundamentes ein wirklicher Fortschritt gemacht ? Sofort erhebt sich die Frage : welche Elemente sind f\u00fcr den Vergleich wichtig? Woran erkenne ich die Wichtigkeit? Aus dem Ergebniss des Vergleiches? Das kann unm\u00f6glich gemeint sein, denn es handelt sich ja um die Grundlage, um die Voraussetzung des Vergleiches. Es w\u00e4re eine Sinnverdrehung, wollte man Fundament und Ergebniss des Vergleiches zusammenfallen lassen, und ein Cirkel w\u00e4re jeder Schluss von diesem auf jenes. Vielmehr muss das Ergebniss ganz au\u00dfer Betracht gelassen werden. Wir k\u00f6nnen, um das noch deutlicher zu fassen, den gesammten Vergleichungsvorgang zun\u00e4chst als eine Aufgabe ansehen, deren L\u00f6sung dann durch die Th\u00e4tigkeit des Vergleichens erreicht wird. Aus dem\n1)\tH. Lotze, Grundr. der Psych. T. I, Cap. 3, \u00a7 1, S. 23. Leipzig 1881.\n2)\tA. Meinong, Humestudien H, S. 615.","page":653},{"file":"p0654.txt","language":"de","ocr_de":"654\nPaul Linke.\nInhalte der Aufgabe allein muss sich ergehen, was die zu vergleichenden Vorstellungen, also die Relata sind, und was innerhalb dieser Vorstellungen als das \u00bbwirklich Verglichene\u00ab, also das Fundament in Meinong\u2019s Sinne zu gelten hat. In dem angegebenen Beispiele ist aber der Inhalt der betreffenden Aufgabe gar nicht deutlich angegeben. Ich soll zwei W\u00fcrfel, einen rothen und einen blauen mit einander vergleichen \u2014 so lautet die Aufgabe: ihr Ergebniss, also die Relation, ist die Constatirung der Verschiedenheit der beiden W\u00fcrfel in ihrer Farbe. Das l\u00e4sst sich aber auf zweierlei Weise interpretiren; zun\u00e4chst dem Wortlaute entsprechend: Es sind zwei in ihrer Farbe verschiedene W\u00fcrfel dem vergleichenden Sub-jecte bereits gegeben \u2014 dann aber kann das Vergleichen unm\u00f6glich noch eine Th\u00e4tigkeit sein, die zu dem bereits vorausgesetzten Ergebniss f\u00fchrt, n\u00e4mlich eben der Verschiedenheit hinsichtlich der Farbe. Diese Interpretation leidet also an \u2019einem inneren Widerspruch. Nun bleibt aber noch eine, zweite \u00fcbrig, und es unterliegt keinem Zweifel, dass sie das wiedergibt, was Meinong hierbei im Auge gehabt hat: dann enth\u00e4lt das Beispiel freilich einen Lapsus im Ausdruck; es darf nicht hei\u00dfen: \u00bbvergleiche ich einen rothen und einen blauen W\u00fcrfel und finde sie verschieden\u00ab, sondern etwa: \u00bbvergleiche ich zwei W\u00fcrfel mit einander und finde sie in ihrer Farbe verschieden, n\u00e4mlich den einen roth, den andern blau ... u. s. w. . . .\u00ab Hier tritt nun zun\u00e4chst hervor, dass das Beispiel Meinong\u2019s nicht sonderlich gl\u00fccklich gew\u00e4hlt ist, um die Vorg\u00e4nge des Vergleichens zu verdeutlichen. Wenn n\u00e4mlich in dem betreffenden Falle die Verschiedenheit von blau und roth Vergleichsergebniss sein soll, so wird unter normalen Verh\u00e4ltnissen die zu dem betreffenden Vergleiche aufgewandte psychische Activit\u00e4t eine ganz verschwindend geringe sein. Die Unterscheidung von blau und roth ist offenbar schon gegeben, sobald nur \u00fcberhaupt erkannt ist, dass dieses blau, jenes roth ist. Die Erkennung zweier so deutlich verschiedenen Inhalte geht aber so schnell von statten (sie dauert bekanntlich etwa 60 \u00b0j, dass die Bedingungen zur Selbstbeobachtung hier so ung\u00fcnstig wie m\u00f6glich liegen. So l\u00e4sst es sich einsehen, dass deshalb auch eine Verwechselung zwischen dem, was vor, und dem, was nach dem eigentlichen Vergleichen gegeben ist, verh\u00e4ltnissm\u00e4\u00dfig leicht m\u00f6glich ist. Wollen wir also ein brauchbares Beispiel erhalten, so m\u00fcssen wir","page":654},{"file":"p0655.txt","language":"de","ocr_de":"Hume\u2019s Lehre vom Wissen.\n655\ndasjenige Meinong\u2019s so modificiren, dass die Farbenqualit\u00e4t der beiden W\u00fcrfel nicht auf den ersten Blick als verschieden oder gleich zu erkennen ist, wenigstens f\u00fcr den Fall, dass, wie hier, die Verschiedenheit in der Farbe das Vergleichsergebniss sein soll. Was hier nun wirklich verglichen wird, ist vollkommen klar: eben die beiden Farben; dabei schlie\u00dft der Zahlbegriff (die beiden) nicht etwa die Hindeutung auf eine qualitative Verschiedenheit in sich: denn gerade von einer solchen wissen wir vor dem Vergleichen nichts, nur das soll er ausdr\u00fccken, dass das zu Vergleichende dem Bewusstsein getrennt gegeben ist. Denn wo diese Voraussetzung nicht zutrifft, wird ja von vornherein jeder Vergleich ausgeschlossen; die beiden Inhalte w\u00fcrden dann eben in einen einzigen zusammenflie\u00dfen. Dagegen ist es g\u00e4nzlich irrelevant f\u00fcr den Vergleich, wodurch in jedem Falle diese Trennung erm\u00f6glicht wird; ob es zwei W\u00fcrfel, zwei Kugeln oder endlich nur zwei Theile einer und derselben Fl\u00e4che sind, die als Tr\u00e4ger jener Farbenqualit\u00e4t, also als Relata im Sinne Meinong\u2019s fungiren und es somit erm\u00f6glichen, dass sie in unserem Bewusstsein getrennt auftritt \u2014 das wird vielleicht f\u00fcr den betreffenden Gedankenzusammenhang einige Wichtigkeit haben, f\u00fcr den Farbenvergleich als solchen ist es so gleichg\u00fcltig wie m\u00f6glich. Es braucht aber nicht einmal f\u00fcr den betreffenden Gedankenzusammenhang, in den sich der Vergleich einordnet, wichtig zu sein: ich kann ja \u2014 und das wird z. B. in einer wissenschaftlichen Abhandlung \u00fcber Farben die Hegel sein \u2014 von vornherein davon abstrahiren. Dann gelangen wir also zu der merkw\u00fcrdigen Oonsequenz, dass die Belata (in Meinong\u2019s Sinne) in den Vergleichen bald vorhanden sein, bald fehlen k\u00f6nnen; keinesfalls haben sie f\u00fcr den ganzen Vergleichungsvorgang irgend welche Wichtigkeit, k\u00f6nnen also auch nicht als dessen allgemeine Voraussetzungen gelten. Nun sind aber f\u00fcr Locke Fundament und Relata nothwendige Voraussetzungen jedes Vergleiches, d. h. also Voraussetzungen des Vergleichens \u00fcberhaupt1). Das legt die Vermutliung nahe, es habe Locke entweder mit den Relaten oder mit dem Fundamente doch noch etwas anderes gemeint. Die Relata freilich m\u00fcssen hier sofort ausscheiden, denn sie sind so deutlich von Locke gekenn-\n1) Locke, Essay B. H, ch. 25, \u00a7 6.","page":655},{"file":"p0656.txt","language":"de","ocr_de":"656\nPaul Linke.\nzeichnet, dass schlechterdings gar kein Missverst\u00e4ndniss aufkommen kann: sie bezeichnen eben dasjenige, was verglichen wird. Inter-pretirt man also unser Beispiel im Sinne Locke\u2019s, so w\u00fcrden die Relata ganz zweifellos durch die Farben repr\u00e4sentirt werden. Man sieht, es kann sich f\u00fcr uns nur um die Auffassung der Fundamente handeln. Dass Locke hier etwas anderes im Sinne hatte als die Relata, wird Meinong selbst am bereitwilligsten zugeben: denn er war es ja, der den Locke\u2019schen Fundamentbegriff im Sinne des Begriffes der Relata umwandelte. Dies l\u00e4sst sich schon rein \u00e4u\u00dferlich aus dem Umstande entnehmen, dass Locke immer nur von einem Fundamente redet, w\u00e4hrend Meinong ganz consequent zur Annahme zweier Fundamente gelangt. Was kann dann aber Locke, der doch gewiss nicht zu Spitzfindigkeiten neigte, bewogen haben, neben den Relaten auch noch das Fundament zu betonen? \u2014 Macht man Emst mit derjenigen Auffassung, welche die Relation ganz streng als Ergehniss der Vergleichung fasst und die \u2014 wie wir sahen \u2014 principiell die Auffassung Locke\u2019s und Hume\u2019s ist, so entf\u00e4llt eigentlich die Frage, was unter dem Fundament, unter der Grundlage der Relation zu verstehen ist : Offenbar nichts anderes als der Vergleich selbst: das, was uns bisher als Relationsfundament besch\u00e4ftigte, f\u00fchrt mit Unrecht diesen Namen und m\u00fcsste besser Vergleichsfundament hei\u00dfen. Jedenfalls verf\u00e4hrt Hume dieser Auffassung ganz consequent, wenn er die Fundamente ganz hei Seite l\u00e4sst: er wollte eben seine Aufmerksamkeit auf die Relationen, nicht aber auf die ihnen zu Grunde liegenden Vergleiche richten. Umgekehrt mag wohl Locke das ungen\u00fcgende Auseinanderhalten von Vergleich und Relation verhindert haben, zu einer Klarheit in betreff der Fundamente zu gelangen. Denn fasst man Fundament einfach als die Veranlassung zur Vergleichung, ohne dabei schon das etwaige Ergebniss dieser Vergleichung \u2014 also die Relation \u2014 mit hineinzubeziehen, so ist v\u00f6llig deutlich, was darunter zu verstehen ist. Es ist dann eben der Anlass, die Veranlassung, der Beweggrund, das Motiv des betreffenden Vergleiches, genauer das Motiv desjenigen Willensactes, als dessen Ausdruck uns der Vergleich erscheint, oder noch genauer \u2014 da es sich wesentlich um Vorstellungen handelt \u2014 die Vorstellungsseite dieses Motives. Dass ein solches Motiv immer vorhanden sein muss, ist ganz selbstverst\u00e4ndlich, man m\u00fcsste denn","page":656},{"file":"p0657.txt","language":"de","ocr_de":"Hume\u2019s Lehre vom Wissen.\n657\ndas Vergleichen \u00fcberhaupt nicht als Act einer Willensth\u00e4tigkeit an-sehen wollen. Mit dieser Auffassung lassen sich denn auch wenigstens diejenigen Beispiele Locke\u2019s in Einklang bringen, die er (und das scheint mir wesentlich zu sein) unmittelbar im Anschluss an seine Ausf\u00fchrungen \u00fcber das Fundament vorbringt. Dass ich den Cajus einen Ehemann nenne, daf\u00fcr ist zwar \u2014 das haben wir vorhin gesehen \u2014 zun\u00e4chst ein Vergleich erforderlich, eben der Vergleich mit der Sempronia, daf\u00fcr aber, dass dieser Vergleich gerade zu jener bestimmten .Relation f\u00fchrt, daf\u00fcr kann es nur einen zwingenden Grund gehen, und der besteht eb\u00b0n, wie Locke sagt, in dem Ehe-contract und der Ceremonie der Heirath (richtiger w\u00e4re vielleicht noch gewesen zu sagen: in meinem Wissen um diese Thatsachen), ebenso habe ich, wenn ich die Hautfarbe eines Menschen mit dem Wei\u00df des Sandsteines vergleiche, nat\u00fcrlich gleichfalls irgend ein Motiv zu diesem Vergleiche, dessen Vorstellungsseite jedenfalls eine Farbenvorstellung, speciell eine Vorstellung des Wei\u00df, aufweisen muss \u2014 selbstverst\u00e4ndlich vor dem Beginne des eigentlichen Vergleiches, ohne jedes Bewusstsein von Uebereinstimmungen und Unterschieden, soweit diese speciell die Farbe betreffen. Das Beispiel als solches theilt nun freilich mit Meinong\u2019s W\u00fcrfelbeispiel den Nachtheil, dass die hier zum Vergleichen aufgewandte psychische Activit\u00e4t eine sehr geringe ist. \u2014\nVI. Bemerkungen zur Psychologie des Vergleichens.\nDer Begriff des Fundamentes gewinnt vielleicht noch an Klarheit, wenn wir die Vorg\u00e4nge des Vergleichens selber ein wenig ins Auge fassen. Meinong sucht in einer sp\u00e4teren Abhandlung das Vergleichen ganz allgemein als ein Thun, eine Th\u00e4tigkeit zu charakte-risiren1). Da nun jede Th\u00e4tigkeit auf eine Ziel gerichtet ist und durch dieses Ziel .\u2014 mag es nun erreicht werden oder nicht \u2014 am einfachsten und nat\u00fcrlichsten charakterisirt wird, so muss auch das Vergleichen durch dieses Ziel zu charakterisiren sein. Als dieses\n1) A. Meinong, Das Weber\u2019sche Gesetz, \u00a74. Zeitschrift f\u00fcr Ps. u. Ph. der Sinnesorg. Bd. 11.","page":657},{"file":"p0658.txt","language":"de","ocr_de":"658\nPaul Linke.\nZiel wird dann ein Urtheil \u00fcber Gleichheit oder Verschiedenheit Aehnlichkeit oder Un\u00e4hnlichkeit dessen, was eben \u00bbverglichen wird\u00ab hingestellt: das Vergleichen wird so als eine Th\u00e4tigkeit gekennzeichnet, die auf die F\u00e4llung eines evidenten Vergleichungsurtheils gerichtet ist. Der Umweg \u00fcber das Urtheil erscheint f\u00fcr unsere Zwecke nicht von Belang. F\u00fcr uns wird der Sinn des Satzes nicht ver\u00e4ndert, wenn wir das Vergleichen einfach als eine Th\u00e4tigkeit bezeichnen, deren Ziel eine Feststellung von Uebereinstimmungen und Unterschieden ist: und wir werden dieser Formulirung dann sogar den Vorzug geben, wenn wir es dahingestellt sein lassen wollen, ob bei einer solchen Feststellung noch eine besondere Urtheilsth\u00e4tigkeit vorausgesetzt werden muss' oder nicht. Nun soll diese Bemerkung das Vergleichen nicht definiren, sondern nur charakterisiren, es wird ihr damit also von Meinong ausdr\u00fccklich das Ersch\u00f6pfende der schulgerechten Definition abgesprochen; es wird daher auch nicht \u00fcberraschen, wenn ich auf die M\u00f6glichkeit eines Missverst\u00e4ndnisses hinweise, die mir gerade diese Charakterisirung in sich zu schlie\u00dfen scheint. Wenn ich eine Th\u00e4tigkeit durch das Ziel charakterisire, auf das sie gerichtet ist, so legt das die Auffassung nahe, dass ich von dem Subjecte dieser Th\u00e4tigkeit -\u2014 also in unserem Falle von dem Vergleichenden \u2014 annehme, es verfolge dieses Ziel vom Beginne seiner Th\u00e4tigkeit an mit Bewusstsein. So richtig es nun ist, die Th\u00e4tigkeit des Vergleichens mit der Feststellung von Uebereinstimmungen und Unterschieden zu kennzeichnen und sie namentlich mit einer solchen als im wesentlichen beendet anzusehen, so fraglich ist es doch, ob in allen F\u00e4llen des Vergleichens diese Feststellung schon bei Beginn der Th\u00e4tigkeit dem Bewusstsein als Ziel vorschwebt.\nEs verh\u00e4lt sich hier so, wie es sich \u00fcberhaupt sehr oft mit der Charakteristik psychischer Erlebnisse verh\u00e4lt. Schon in den einleitenden Bemerkungen war darauf hingewiesen, wie leicht man sich in der Psychologie in Betreff des Einfachen, des Elementaren t\u00e4uschen kann, und es lassen sich aus ihrer Geschichte reichlich genug Beispiele anf\u00fchren, in denen das in Wahrheit Einfache mit H\u00fclfe des Complicirteren erkl\u00e4rt wird. Hierher geh\u00f6ren insbesondere die zahlreichen Betrachtungen, in welchen einfache psychologische Thatbe-st\u00e4nde durch Zuh\u00fclfenahme logischer Analogien interpretirt werden, Aehnliches gilt von folgendem Falle: ich wolle jenen Bewusstseins-","page":658},{"file":"p0659.txt","language":"de","ocr_de":"Hume\u2019s Lehre vom Wissen.\n659\ninhalt, den ich habe, wenn ich zu essen begehre, mit dem Verlangen nach Aufnahme von Nahrung oder Speise charakterisiren; so l\u00e4sst sich hiergegen vom rein logischen Standpunkte aus nichts einwenden, psychologisch dagegen ist insofern nichts gewonnen, als ja der Begriff der Speise gar nicht anders als eben wieder mit H\u00fclfe des eigen-th\u00fcmlichen Bewusstseinserlebnisses jenes Begehrens zu definiren ist. G\u00e4be es ein solches Erlebniss nicht, so w\u00e4re der Begriff der Speise ein Nonsens oder er hezeichnete doch zum mindesten etwas ganz anderes, als das, was wir darunter zu verstehen pflegen. \u2014\nAnaloges gilt nun auch vom Vergleichen. Es handelt sich hier um die Erage, oh hei Beginn des Vergleichens die Feststellung von Uebereinstimmungen resp. Unterschieden dem Bewusstsein als Ziel bereits gegeben ist. Es soll nun gar nicht bestritten werden, dass es sich in einer Anzahl von F\u00e4llen ausnahmsweise so verhalten kann. Es werde z. B. jemand aufgefordert, zwei beliebige Gegenst\u00e4nde mit einander zu vergleichen, und es sei ferner bei ihm ein Motiv vorhanden, dieser Aufforderung zu folgen. Dies kann er aber offenbar nur, wenn er mit dieser Aufforderung einen bestimmten Sinn verbindet, wenn er aus fr\u00fcheren Erfahrungen wei\u00df, was das \u201cWort vergleichen bedeutet. Diese fr\u00fcheren Erfahrungen haben ihn gelehrt, dass unter dem Namen \u00bbVergleichen\u00ab eine besondere Art psychischer Th\u00e4tigkeit zusammengefasst wurde, und dass dasjenige, was man durch diese Th\u00e4tigkeit erreicht, Uebereinstimmung und Unterschied oder \u00e4hnlich \u2014 es kommt ja nicht sowohl auf den Namen als auf den Begriff an \u2014 genannt wurde. Sein Entschluss, der Aufforderung zum Vergleichen nachzukommen, k\u00fcrzer sein Entschluss zu vergleichen ist daher gleichbedeutend mit dem Entschl\u00fcsse Uebereinstimmungen und Unterschiede festzustellen, oder mit anderen \"Worten: die Feststellung von Uebereinstimmungen und Unterschieden ist mit beginnendem Vergleiche seinem Bewusstsein als Ziel gegeben. Solche F\u00e4lle sind gewiss h\u00e4ufig genug, um als eine besondere und zwar offenbar nicht als die einfachste Art des Vergleichens hervorgehoben zu werden, sie sind ebenso gewiss aber nicht dessen einzige und vor allem nicht dessen urspr\u00fcnglichste Art. Sie setzen ja die eigentlich interessante Frage bereits voraus: eben die Frage, worin das Vergleichen eigentlich besteht. Es tritt hier nur hervor als etwas, das aus fr\u00fcheren Erfahrungen bereits bekannt ist: ich kann\nWundt, Philos. Studien. XVII.\t40","page":659},{"file":"p0660.txt","language":"de","ocr_de":"660\nPaul Linke.\nzwar in Folge dessen leicht und sicher damit operiren, erschwere aber gerade deshalb die psychologische Analyse.\nDie einfachste Frage, von der wir ausgehen m\u00fcssen, lautet offenbar: Welches sind die Bedingungen, unter denen Vergleiche elementarster Art zu Stande kommen? Welches ist der complexe psychische Vorgang, in den sich das Vergleichen als Theilvorgang einordnet? man vergleicht ja nur in Ausnahmef\u00e4llen um des Vergleichen selbst willen (eigentlich nur hei einer psychologischen Betrachtung), sondern man bedient sich des Vergleichen wegen eines anderen, gewisserma\u00dfen \u00fcber das Vergleichen hinausfallenden Zieles. Ein solches Ziel ist uns bereits begegnet, es bestand darin, der Aufforderung zum Vergleichen nachzukommen. Daran wurde hier nat\u00fcrlich nicht gedacht; es soll sich ja eben um viel einfachere That-best\u00e4nde handeln. Wir gehen am besten von einem Beispiele aus: Jemand habe die Absicht irgend einen K\u00f6rper in L\u00f6sung zu bringen; dazu stehen ihm verschiedene Fl\u00fcssigkeiten, etwa Wasser und Salzs\u00e4ure, zur Verf\u00fcgung. Nun probirt er beide nach einander und findet, dass nur die S\u00e4ure f\u00fcr seinen Zweck geeignet ist. Hat er in diesem Falle die beiden Fl\u00fcssigkeiten mit einander verglichen? Sobald wir diese Frage mit ja beantworten, k\u00f6nnen wir die angegebene Interpretation von Meinong\u2019s Behauptung, jedes Vergleichen sei auf ein Ziel, n\u00e4mlich auf die F\u00e4llung eines evidenten Ver-gleichungsurtheils gerichtet und dieses Ziel schwebe dem Vergleichenden bei seiner Th\u00e4tigkeit deutlich vor, nicht mehr aufrecht erhalten. Der, welcher liier verglichen hat, hat schwerlich die Absicht gehabt, Uebereinstimmungen und Unterschiede an den beiden Fl\u00fcssigkeiten festzustellen. Gewiss hat er thats\u00e4chlich einen sehr wesentlichen Unterschied festgestellt, einen Unterschied hinsichtlich ihrer F\u00e4higkeit den K\u00f6rper zu l\u00f6sen \u2014 er hat dies gleichsam als Neben-product erreicht: aber die Absicht, die er von Beginn seines Thuns an verfolgte, war ja eine ganz andere : er wollte, wie wir wissen, den betreffenden K\u00f6rper in geeigneter Weise in L\u00f6sung bringen. Vielleicht ist das hier Gesagte noch missverst\u00e4ndlich. Man erwidert etwa: Mit dem Augenblicke, wo der Vergleichende die beiden Fl\u00fcssigkeiten probirt, um zu erfahren, welche von beiden zu seinem Zwecke geeignet ist, setzt er sich schon das Ziel ihre Uebereinstimmungen resp. Unterschiede festzustellen, n\u00e4mlich eben hinsichtlich ihrer F\u00e4hig-","page":660},{"file":"p0661.txt","language":"de","ocr_de":"Hume\u2019s Lehre vom Wissen.\n661\nkeit, den K\u00f6rper zu l\u00f6sen. Allein damit w\u00e4re doch eine Voraussetzung gemacht, von der das Beispiel an und f\u00fcr sich noch nichts enth\u00e4lt. Wenn ich mir die Feststellung von Uebereinstimmungen und Unterschieden als Ziel setze, so ist hierf\u00fcr zun\u00e4chst Bedingung, dass mir irgend etwas bekannt ist, das den Begriffen Uebereinstim-mung und Unterschied entspricht, dann aber vor allem, dass in dem Moment, wo ich mit dem Vergleich beginne, sich diese meine Kennt-niss im Blickpunkt des Bewusstseins befinde. Das kann nun wohl der Fall sein, ist aber in den primitiven F\u00e4llen, die wir hier betrachten wollen, keineswegs nothwendig vorauszusetzen. Ein anderes Beispiel wird das noch besser veranschaulichen. Es befinde sich Jemand auf der Flucht vor Verfolgern. Pl\u00f6tzlich entstehe ihm ein doppeltes Hinderniss. Ein Wasser, ein Teich oder ein Fluss, und unmittelbar daneben eine Mauer sperren ihm den Weg. Soweit er sein urspr\u00fcngliches Ziel erreichen will, soweit also die urspr\u00fcnglichen Motive, die ihn bewogen, sich vor seinen Verfolgern zu retten, in ihm beharren, ist er gen\u00f6thigt entweder den Fluss zu durchschwimmen oder \u00fcber die Mauer hinwegzusetzen. Einen Augenblick bleibt er unentschlossen: beide Vorstellungen, Mauer sowohl wie Fluss, entfalten gegen\u00fcber seinem bisherigen relativ gleichm\u00e4\u00dfigen Vorstellungsund Gef\u00fchls verlauf zun\u00e4chst eine durchaus einheitliche hemmende Wirkung: bald aber machen sich Associationen aus fr\u00fcheren Erfahrungen geltend. Der Fluss etwa erinnert an fr\u00fchere gl\u00fcckliche Schwimmversuche, die Mauer dagegen ruft minder g\u00fcnstige Vorstellungen ins Ged\u00e4chtniss zur\u00fcck: die Folge ist, dass der Fliehende sich mit H\u00fclfe des Flusses zu retten sucht. Oder wenn keine solchen Associationen an fr\u00fchere Erfahrungen zu Gebote stehen, f\u00fchrt ein wirklicher Versuch, inwieweit die Mauer und inwieweit der Fluss zur Erreichung des gew\u00fcnschten Zieles geeignet ist, zu der schlie\u00df-lichen Entscheidung. Auch hier kann der psychische Thatbestand als der eines primitiven Vergleiches angesehen werden. Niemand wird aber behaupten wollen, dass mir hier die Feststellung von Uebereinstimmungen und Unterschieden an den beiden Gegenst\u00e4nden als besonderes Ziel gegeben zu sein braucht. Der Fall ist ja so au\u00dferordentlich primitiv, dass er sich bereits auf einer Bewusstseinsstufe vollziehen kann, in der von dem Vorhandensein relativ so au\u00dferordentlich complicirter Begriffe wie Uehereinstimmung und Unterschied","page":661},{"file":"p0662.txt","language":"de","ocr_de":"662\nPaul Linke.\noder gar \u2014 wie Meinong es will \u2014 wie Gleichheit, Aehnlichkeit, Verschiedenheit noch gar nicht die Rede sein kann. Das Ziel, welches einzig und allein verfolgt wird, ist ein viel concreteres: das Gelingen der Flucht, die Rettung der eigenen Person. Durch den psychischen Vorgang, den wir bereits als Vergleichen bezeichnet haben, wird nur festgestellt, dass die Erreichung dieses Zieles durch den einen Gegenstand (den Fluss) gef\u00f6rdert, durch den andern dagegen nicht gef\u00f6rdert wird. Damit habe ich allerdings dasjenige constatirt, was sp\u00e4ter \u2014 n\u00e4mlich wenn sich solche Erfahrungen wiederholt haben \u2014 in den Begriffen Uebereinstimmung resp. Unterschied zusammengefasst wird.\nIch habe ein eigenth\u00fcmliches neues Bewusstseinserlebniss in unserem Falle, das des Unterschiedes. \u2014 Ich habe aber dieses neue Erlebniss ganz gewiss nicht erreichen wollen. Es hat meinem Thun, meiner vergleichenden Th\u00e4tigkeit nicht als Ziel vorgeschwebt. Wir k\u00f6nnen hier aber sogar noch einen Schritt weiter gehen. Das Bewusstsein der Uebereinstimmung wurde eben als ein neues Erlebniss bezeichnet. Es ist aber nicht in dem Sinne neu, dass unter allen Umst\u00e4nden eine weitere Analyse desselben unm\u00f6glich w\u00e4re. Bis zu einem gewissen Grade ist eine solche jedenfalls vorzunehmen. Ich gehe von dem denkbar primitivsten Falle aus und frage : welches ist der Bewusstseinsvorgang, den ich erlebe, wenn sich beide Gegenst\u00e4nde \u2014 A und B, Mauer und Fluss \u2014 \u00fcbereinstimmend und zwar \u00fcbereinstimmend hemmend auf meine Willensth\u00e4tigkeit verhalten ? \u2014 Bevor die hemmende Wirkung eintritt, ist diese Th\u00e4tigkeit sein-einfach durch das Ziel, auf das sie gerichtet ist, zu kennzeichnen. Sobald nun aber die hemmende Wirkung, die A aus\u00fcht, eintritt, wird sie erheblich modificirt, richtiger: diese hemmende Wirkung besteht eben in einer Modification meines Willens- resp. Gef\u00fchlsverlaufes. Es h\u00e4tte ja sonst keinen Sinn, von einer hemmenden Wirkung zu sprechen; sie macht sich geltend etwa in einem Unlust- oder einem Depressionsgef\u00fchl: doch es ist f\u00fcr unsere Betrachtung gleichg\u00fcltig, wie sie sich geltend macht, dass sie sich geltend macht, wird gen\u00fcgen. Sie muss nun aber nothwendig so lange bestehen bleiben, als einerseits der urspr\u00fcngliche Willensentscheid, der auf die Flucht gerichtet ist, bestehen bleibt, und anderseits sich mir kein neuer Gegenstand darbietet, mit dessen H\u00fclfe ich die Flucht fortsetzen kaun. Sobald","page":662},{"file":"p0663.txt","language":"de","ocr_de":"Hume\u2019s Lehre vom Wissen.\n663\ndies geschieht, ergehen sich zwei M\u00f6glichkeiten: das Bewusstsein der Hemmung wird aufgehoben \u2014 oder es wird nicht aufgehoben, es bleibt weiter bestehen (oder wird sogar noch verst\u00e4rkt). In diesem letzteren Falle habe ich ein Bewusstsein der Uebereinstimmung. Freilich habe ich es \u2014 und das verdient hervorgehohen zu werden \u2014 nur dann, wenn die hemmende Wirkung von A sich zugleich mit der von B im Blickpunkte meines Bewusstseins befindet. Und auch das ist noch incorrect. Thats\u00e4chlich ist ja das Bewusstsein dieser hemmenden Wirkung (wie wir gesehen haben) niemals unterbrochen worden. Ich habe mithin das Bewusstsein einer einzigen hemmenden Wirkung: zugleich ist doch dieses Bewusstsein an zwei deutlich verschiedene Vorstellungen, A und B gekn\u00fcpft; ich w\u00fcrde dieses Bewusstsein einer einzigen hemmenden Wirkung allerdings wohl auch dann gehabt haben, wenn diese Wirkung unterbrochen und dann associativ gegenw\u00e4rtig gewesen w\u00e4re. Nun ist aber das Bewusstsein einer einheitlichen, einer in eins zusammenflie\u00dfenden Wirkung zweier unterschiedener Vorstellungen auf einen bestimmten Willensact eben nichts anderes als das, was wir mit Uebereinstimmung dieser beiden Vorstellungen hinsichtlich des \u00bbAngestrebten\u00ab bezeichnen, d. h. also hinsichtlich des in dem betreffenden Willensacte Verwirklichten. W\u00fcrde die durch A hervorgerufene Willenstendenz durch B aufgehoben worden sein, so w\u00fcrde sich in analoger Weise ein Bewusstsein der Verschiedenheit ergehen haben. Freilich ist diese Verschiedenheit wieder nur m\u00f6glich auf Grund einer Uebereinstimmung. Dass A und B \u00fcberhaupt zum Vergleiche \u00bbzusammengefasst\u00ab werden konnten, ist ja nur denkbar unter Voraussetzung eines unmittelbar vorhergehenden Willensactes, dem gegen\u00fcber sich die beiden Vorstellungen A und B \u2014 so lange sie ohne Modification durch die nachfolgende thats\u00e4chliche Erfahrung in Frage kamen \u2014 gleichwerthig oder einheitlich verhielten. Vergleichen ist eben stets ein Consta-tiren von Uebereinstimmungen und Unterschieden1). \u2014 Allerdings lassen sich schwerlich alle Vergleichungsvorg\u00e4nge nach dem Schema dieses besonders einfach gew\u00e4hlten Thatbestandes interpretiren: vor allem werden solche Vergleiche, die sich unmittelbar an Wiedererkennungsvorg\u00e4nge anschlie\u00dfen, einer wesentlich anderen Erkl\u00e4rung\nl) Vgl. W. Wundt, Grundriss der Psychologie, 4. Aufl. S. 305.","page":663},{"file":"p0664.txt","language":"de","ocr_de":"664\nPaul Linke.\nbed\u00fcrfen. Ich habe aber einen solchen Vorgang gew\u00e4hlt, einmal weil sich an ihm besonders deutlich das Bewusstsein der Uebereim Stimmung bis in seine Elemente verfolgen lie\u00df, dann aber vor allem weil Vergleiche dieser Art in besonderem Ma\u00dfe klar machen d\u00fcrften, was Locke bei seinem Begriffe des Grundes oder der Gelegenheit zum Vergleichen vorgeschwebt haben mag.\nWir hatten schon gesehen, dass darunter nur das Motiv desjenigen Willensactes verstanden werden konnte, als dessen Ausdruck der Vergleich erscheint. Was unter diesem Willensacte zu verstehen ist, bedarf jetzt keines besonderen Hinweises. Zugleich rechtfertigt sich auch die Bezeichnung \u00bbGelegenheit zum Vergleichen\u00ab. Ohne diesen Willensact h\u00e4tte ich ja niemals A und B mit einander \u00bbverglichene. Ich kann dann diesen Willensact auch als die \u00bbHinsicht\u00ab bezeichnen, in der verglichen wurde. Wenn ich einen Bach durchschreiten will und an zwei Stellen den Versuch dazu mache, so habe ich auch hier, sobald ich die Thatsache der constant bleibenden oder aber \u2014 im Falle der Verschiedenheit \u2014 der unterbrochenen Hemmung wahrnehme, welche an die Vorstellung der beiden Stellen gekn\u00fcpft ist, einen primitiven Vergleich ausgef\u00fchrt. Ich hahe die beiden Stellen hinsichtlich des angegebenen Willensactes mit einander verglichen, \u2014 oder habe ich sie hinsichtlich ihrer Tiefe verglichen? Offenbar braucht dem vergleichenden Bewusstsein nichts davon gegeben zu sein : erst wenn aus mehreren \u00e4hnlichen Erfahrungen der Begriff der Tiefe abstrahirt und sprachlich fixirt ist, kann ich die \u00bbHinsicht\u00ab, in der verglichen wurde, mit seiner H\u00fclfe in besonders bequemer Weise bestimmen, ohne dabei auf den Willensact zu recurriren. Damit bleibt doch die Thatsache bestehen, dass ein solcher Willens- oder allgemeiner gesagt Apperceptionsact die Voraussetzung des Vergleichen ist: durch ihn erst werden die beiden Gegenst\u00e4nde zusammengefasst, auf einander bezogen. Es ist \u00fcbrigens ersichtlich, dass solche primitiven Vergleiche sich nur als specielle F\u00e4lle jener Willk\u00fcrhandlungen darstellen, die man als Wahlhandlungen zu bezeichnen pflegt: allerdings mit der Modification, dass der Standpunkt der Betrachtung, der Analyse des Vorganges, in beiden F\u00e4llen ein verschiedener ist. Bei den primitiven Vergleichungsprocessen gehe ich von den beiden zu vergleichenden Vorstellungen gewisserma\u00dfen als von etwas objectiv Gegebenem aus und suche den subjectiven","page":664},{"file":"p0665.txt","language":"de","ocr_de":"Hume\u2019s Lehre vom Wissen.\n665\npsychischen Verlauf nur in Betracht zu ziehen, um aus ihm das Verh\u00e4ltnis dieser beiden Vorstellungen eruiren zu k\u00f6nnen, w\u00e4hrend umgekehrt hei Betrachtung des Willensverlaufes naturgem\u00e4\u00df von den subjectiven Processen ausgegangen werden muss. Endlich m\u00f6chte ich mit dem nicht rechten, der in den angedeuteten Vorg\u00e4ngen noch keine eigentlichen Vergleiche sieht. Man kann nat\u00fcrlich auch erst jene complicirteren Vorg\u00e4nge als Vergleiche betrachten, in denen das Bewusstseinserlebniss der Uebereinstimmung u. s. w. als endg\u00fcltiges Ziel angestreht wird. Dann wird man doch die einfacheren Vorg\u00e4nge als deren Grundlage anerkennen m\u00fcssen: und darauf allein konnte es hier ankommen.\nVII. Die Classen der Vorstellungsrelationen. Identit\u00e4t.\nUnvertr\u00e4glichkeit.\nAlles dies sollte zur Kl\u00e4rung des in Frage kommenden That-bestandes dienen. Es handelte sich in letzter Linie darum, den Begriff der Relation von verwandten psychischen Thathest\u00e4nden und insbesondere ihren eigenen Entstehungshedingungen nach M\u00f6glichkeit abzugrenzen. Wir k\u00f6nnen uns nunmehr wieder Hume zuwenden, indem wir der Frage n\u00e4her zu treten suchen, welche Bedeutung das Vergleichen f\u00fcr die das Wissen ausmachenden Relationen hat. Nach Hume stellen zwar alle Relationen Vergleichsergebnisse dar, doch sind f\u00fcr die \u00fcbrigen Relationen die thats\u00e4chlichen, in der Wirklichkeit gegebenen Inhalte so sehr ma\u00dfgebend, dass sie uns hier wenig interessiren: im Enquiry werden sie ja \u2014 wie schon hervorgehoben wurde \u2014 \u00fcberhaupt nicht Relationen, sondern einfach That-sachen (matter of fact) genannt.\nImmerhin erfordert auch f\u00fcr uns Hume\u2019s Ansicht, dass Aelin-lichkeit die Bedingung aller Relationen sei, eine Pr\u00fcfung. Aehn-lichkeit wird hier im weitesten Sinne gefasst als Vergleichbarkeit \u00fcberhaupt. Dadurch enth\u00e4lt der Satz eigentlich eine Selbstverst\u00e4ndlichkeit. Denn wenn die Relationen Vergleichsergebnisse sind, so m\u00fcssen sie sich offenbar auf vergleichbare Dinge beziehen. Interessant ist nur die negative Voraussetzung dieses Satzes, die nat\u00fcrlich lautet: es gibt auch Gegenst\u00e4nde, die nicht vergleichbar sind. Fasst","page":665},{"file":"p0666.txt","language":"de","ocr_de":"666\nPaul Linke.\nman diese Behauptung ganz allgemein, so wird man sie allerdings \u2014 wie es auch Meinong thut \u2014 nicht aufrecht erhalten k\u00f6nnen. F\u00fcr das entwickelte Bewusstsein wird sich immer irgend eine Hinsicht finden lassen, in der zwei beliebige Gegenst\u00e4nde mit einander \u00fcbereinstimmen. Aber es gibt doch auch Begriffe, die durch die Stellung, die sie ihrem Inhalte gem\u00e4\u00df zu anderen Begriffen einnehmen, bestimmte Vergleiche ausschlie\u00dfen. Ich kann den Begriff \u00bbund\u00ab nicht mit dem Begriffe \u00bbMensch\u00ab vergleichen. Wohl kann ich den Bewusstseinsinhalt, den ich erlebe, wenn ich mir den Begriff \u00bbund\u00ab vergegenw\u00e4rtige, mit dem vergleichen, den ich bei dem Begriffe \u00bbMensch\u00ab erlebe \u2014 aber es ist doch jedenfalls n\u00e4herliegend, hier an die Begriffsinhalte zu denken. Und in Bezug auf diese wird immer der Satz gelten m\u00fcssen, dass nur Begriffe, die derselben Kategorie angeh\u00f6ren, vergleichbar sind1). Geht man freilich so weit, sogar den Versuch zum Vergleich schon als Vergleich gelten zu lassen, so muss nat\u00fcrlich auch diese Einschr\u00e4nkung wegfallen.\nAu\u00dfer der Aehnlichkeit kommen noch Qualit\u00e4tsgrade, Quantit\u00e4t und Widerstreit f\u00fcr das Wissen in Betracht. Auffallend ist das Fehlen der Gleichheit, w\u00e4hrend die Identit\u00e4t zu den empirischen Relationen gerechnet wird. Letzteres erkl\u00e4rt sich aus dem schon angedeuteten Umstande, dass Hume die Identit\u00e4t im Sinne der Identit\u00e4t eines realen Gegenstandes zu verschiedenen Zeiten fasst. Dagegen kennt er den Identit\u00e4tsbegriff nicht, den Locke in seiner Lehre vom Wissen entwickelt hatte. Denn die qualitative Identit\u00e4t (specific identity), die er einmal nebenbei erw\u00e4hnt2), bedeutet etwas anderes. Sie liegt dann vor, wenn z. B. ein Ger\u00e4usch gelegentlich unterbrochen wird und wieder von neuem beginnt: wir sagen dann, das Ger\u00e4usch sei noch immer \u00bbdasselbe\u00ab. Hier ist \u2014 meint Hume \u2014 nichts weiter identisch als die Ursache, die das Ger\u00e4usch hervorbringt: sie ist das numerisch identische Moment innerhalb der qualitativen Identit\u00e4t. Und doch k\u00f6nnen wir hier recht wohl von einer numerischen Identit\u00e4t reden, ohne auf die Ursache zu recurriren: wir brauchen nur auf die subjectiven Bedingungen des Vorganges zu achten. Was meinen wir denn \u00fcberhaupt, wenn wir eine zeitlich vorangehende\n1)\tVgl. W. Wun\u00fct, Logik II. 2. Aufl. S. 128.\n2)\tTreat. Y. I. P. IV, sect. 6.","page":666},{"file":"p0667.txt","language":"de","ocr_de":"Hume\u2019s Lehre vom Wissen.\n667\nVorstellung f\u00fcr dieselbe halten wie eine sp\u00e4tere? Offenbar, dass den beiden an sich ja verschiedenen Vorstellungen etwas gemeinsam ist; und gemeinsam ist ihnen das, was sie eben als die Vorstellungen bestimmt und fixirt, die sie sind, und sie beide zugleich von anderen in unverkennbarer Weise abgrenzt. Dergleichen Betrachtungen f\u00fchren aber sehr nahe an Locke\u2019s Identit\u00e4tsbegriff heran. Bei Locke bezog sich dieser, wie wir gesehen hatten, auf die Oonstanz der Begriffe und \u00fcberhaupt alles dessen, was als Idee zusammengefasst wurde. Alle einzelnen B\u00e4ume z. B. entsprechen demselben Begriffe. W o wir auch immer Gelegenheit haben von B\u00e4umen zu reden, meinen wir damit etwas eindeutig Bestimmtes : wir meinen damit stets \u00bbdasselbe\u00ab oder m\u00fcssen doch correcter Weise dasselbe meinen \u2014 in wie weit dies (besonders im nichtwissenschaftlichen Denken) nicht immer geschieht, ist eine Frage, die nat\u00fcrlich nicht hierher geh\u00f6rt. Man sieht jedenfalls: mit diesem Begriffe der Identit\u00e4t f\u00e4llt die Gemeinsamkeit einer bestimmten Hinsicht, in der dem Bewusstsein als getrennt oder unterschieden gegebene Inhalte betrachtet und durch die sie zusammengefasst werden, vollkommen zusammen. Identisch ist eben das mehreren Inhalten Gemeinsame \u2014 mag dieses Gemeinsame zun\u00e4chst sein, was es will. Wenn ich die Vorstellungen, resp. Vor-stellungscomplexe, die zwei bestimmte Gegenst\u00e4nde f\u00fcr mich ausmachen, mir vergegenw\u00e4rtige und dabei finde, dass ein oder mehrere solcher Complexe beiden gemeinsam sind, d. h. dass f\u00fcr meine Auffassung bereits ein solcher Complex ausreicht, um dadurch zugleich auch den anderen zureichend zu bestimmen, so kann ich die That-sache dieser Gemeinsamkeit recht wohl als Identit\u00e4t kennzeichnen und z. B. sagen, die beiden Gegenst\u00e4nde haben dieselbe Farbe oder dieselbe Gestalt. Dabei bezeichnet das Identische nat\u00fcrlich stets nur eine subjective Thatsache.\nVielleicht meint man, es handle sich hier nur um Gleichheit, aber es ist wesentlich, dass der Sprachgebrauch gerade diesem Standpunkt vollkommen entspricht. Der Sprachgebrauch kennt fast keine Gleichheit, die nicht eine Gleichheit in bestimmter Hinsicht w\u00e4re. Bede ich z. B. von zwei gleichen Menschen, so ist dieser Ausdruck so unbestimmt, dass ich mir kaum etwas darunter denken kann. Dies wird erst m\u00f6glich, wenn ich hinzuf\u00fcge, in welcher Hinsicht sie verglichen sind: z. B. in ihrer Gr\u00f6\u00dfe, in der Farbe ihres Haares, ihrem","page":667},{"file":"p0668.txt","language":"de","ocr_de":"668\nPaul Linke.\nCharakter u. s. w. Nun ist aber die Hinsicht immer ein subjectives, d. h. von den Objecten trennbares Erlebniss, und ich kann stets f\u00fcr Gleichheit in einer bestimmten Hinsicht von Identit\u00e4t dieses subjektiven Erlebnisses reden: zwei Menschen sind hinsichtlich der Gr\u00f6\u00dfe gleich \u2014 das hei\u00dft dann so viel wie: meine eigene subjective Gr\u00f6\u00dfenvorstellung, zu der mir dieser Mensch Anlass gibt, bleibt bestehen, auch wenn ich zur Vorstellung jenes Menschen \u00fcbergehe: sie ist beiden gemeinsam. \u2014 In dieser Weise wird also der Begriff der Gleichheit, wie ihn der Sprachgebrauch kennt, vollkommen zur\u00fcckgef\u00fchrt auf den der Identit\u00e4t einerseits und den der Verschiedenheit anderseits. Gleich ist immer ein Verschiedenes, das in einer bestimmten Hinsicht identisch ist. Ausgenommen sind lediglich die F\u00e4lle, in denen die Betrachtung in einer bestimmten Hinsicht schon als selbstverst\u00e4ndlich vorausgesetzt ist: so, wenn ich etwa von gleichen Linien, Winkeln, Dreiecken rede; hier sind die Hinsichten, die daf\u00fcr ausschlie\u00dflich in Frage kommen d\u00fcrfen, bereits in den grundlegenden Bestimmungen der Geometrie festgestellt. In einem anderen Sinne bilden solche Vorstellungen eine Ausnahme, die so einfach sind, dass \u00fcber die betreffenden Hinsichten nicht leicht ein Zweifel aufkommen kann. Nach Meinong1) beruht nun gerade dieser Sprachgebrauch auf einer groben Verwechslung des Sachverhaltes. Es ist falsch zu sagen, zwei Dinge haben dieselbe Gr\u00f6\u00dfe, dieselbe Farbe \u2014 sondern es muss correct gesagt werden, sie haben gleiche Gr\u00f6\u00dfe, gleiche Farbe. Oh nicht aber doch hier der Sprachgebrauch sein gutes Recht hat? Ist denn \u00bbein Ding von gleicher Farbe\u00ab wirklich blo\u00df ein correcterer Ausdruck f\u00fcr \u00bbein Ding von derselben Farbe\u00ab ? Sollte nicht doch hier ein feiner Unterschied bestehen? Aus dem Gesagten ergibt sich schon die Antwort. Es handle sich etwa run einen bestimmten Gedankenzusammenhang, in dem der S\u00e4ttigungsgrad gewisser in Frage kommender Farben als irrelevant vernachl\u00e4ssigt werden k\u00f6nnte. Hier w\u00fcrde offenbar eine Reihe von Farben als gleich gelten k\u00f6nnen, die jedenfalls niemals als identisch betrachtet werden d\u00fcrften.\nMeinong\u2019s eigener Identit\u00e4tshegriff weicht im Grunde von der hier \u2014 im Anschluss an Locke \u2014 gegebenen Auffassung gar nicht\n1) Humestudien II, S. 707.","page":668},{"file":"p0669.txt","language":"de","ocr_de":"Hume\u2019s Lehre vom Wissen.\n669\nso sehr ab, wie es zun\u00e4chst scheinen m\u00f6chte. Meinong nennt1) ein Ding dann identisch, wenn es als gemeinschaftliches Relationsglied zweier oder mehrerer Relationen auftritt. Auch hier tritt also die Forderung der Gemeinsamkeit in den Vordergrund. Ja, im Grunde kann gerade diese Formulirung als der exacteste Ausdruck dessen angesehen werden, was der Sprachgebrauch unter Identit\u00e4t zusammenfasst. Als Beispiele werden ausdr\u00fccklich angef\u00fchrt: zwei H\u00e4user, die denselben Eigenth\u00fcmer haben, zwei Ringe, die zu derselben Kette geh\u00f6ren . . . Hier ordnet sich nun vollkommen entsprechend das Beispiel von den beiden Gegenst\u00e4nden ein, die dieselbe Gr\u00f6\u00dfe oder Farbe haben. Um so verwunderlicher erscheint nun die Bek\u00e4mpfung des Sprachgebrauches. Sie erkl\u00e4rt sich nur dadurch, dass Meinong hier nicht an die subjective Gr\u00f6\u00dfen- und Farbenbestimmung, sondern an die objectiv gegebene Gr\u00f6\u00dfe u. s. wr. dachte. Dass diese Gr\u00f6\u00dfe ein und dieselbe sei, das zu denken, ist nat\u00fcrlich ein Konsens. Was aber hier im eigentlichen Sinne zusammenf\u00e4llt, ist in Wahrheit gar nicht die Gr\u00f6\u00dfe der beiden Gegenst\u00e4nde, sondern es sind die Gegenst\u00e4nde selbst. Die Gr\u00f6\u00dfe u. s. w. kann ja immer nur als etwas aus den Gegenst\u00e4nden Abstrahirtes angesehen werden und kommt eben deshalb und in diesem Sinne gar nicht als etwas objectiv Verwirklichtes in Betracht. Dann aber folgt hieraus, dass f\u00fcr solche Begriffe auch nicht die Bedingungen des objectiv Wirklichen ma\u00dfgebend gemacht werden d\u00fcrfen. Es darf vor allem die Thatsaclie, dass die Gegenst\u00e4nde objectiv in einer bestimmten Anzahl vorhanden sind, nicht auch auf die von ihnen abstrahirten Begriffe \u00fcbertragen werden; thats\u00e4chlich redet ja auch niemand von den Gr\u00f6\u00dfen mehrerer Gegenst\u00e4nde, sondern immer nur von deren Gr\u00f6\u00dfe. Daraus folgt aber unmittelbar, dass sich auch der Identit\u00e4tsbegriff auf sie anwenden lassen muss. Am klarsten wird dies, wenn man den Gr\u00f6\u00dfenbegriff mit noch abstracteren Begriffen, \u00bbspecifisches Gewicht\u00ab, \u00bbchemische Zusammensetzung\u00ab, \u00bbAusdehnungsco\u00f6fficient\u00ab u. s. w. vertauscht. Oder sollte es wirklich incorrect sein zu behaupten: zwei K\u00f6rper haben denselben Ausdehnungsco\u00f6fficienten? Dann m\u00fcsste es auch falsch sein, wenn man sagt, in zwei Urnen befinde sich dieselbe Anzahl von Kugeln!\n1) Humestudien H, S. 708.","page":669},{"file":"p0670.txt","language":"de","ocr_de":"670\nPaul Linke.\nNoch mehr Schwierigkeiten als die eben behandelte Gleichheits-resp. Identit\u00e4tsrelation bietet, wenn man ins Einzelne geht, der Begriff der Aehnlichkeit, was wohl haupts\u00e4chlich der hier ganz au\u00dferordentlich schwankende Sprachgebrauch verschuldet. In den meisten F\u00e4llen wird man zwei gleiche Inhalte dann als \u00e4hnlich bezeichnen, wenn die Hinsicht, in der sie gleich sind, aus irgend welchen Gr\u00fcnden nicht angegeben ist. Ich nenne zwei Farben gleich hinsichtlich ihres Helligkeitsgrades oder ihrer Qualit\u00e4t, ich nenne sie jedoch blo\u00df \u00e4hnlich, wenn ich auf den Helligkeitsgrad u. s. w. nicht Bezug nehmen will, oder \u2014 wenn dieser Begriff f\u00fcr mich noch nicht besteht \u2014 nicht Bezug nehmen kann. Ueber die Relationen, welche die Quantit\u00e4t und Grade der Qualit\u00e4t betreffen, ist vor allem zu sagen, dass sie nicht ohne weiteres der Gleicheit und Aehnlichkeit coordinirt werden k\u00f6nnen. Sie bezeichnen ja im Grunde bereits Hinsichten, in denen ein Vergleich vollzogen wurde, nicht aber wie jene anderen blo\u00dfe Ergebnisse eines Vergleiches; wie aber steht es in dieser Beziehung mit der noch \u00fcbrighleibenden Relation des Gegensatzes oder Widerstreites? Eine Hinsicht, in der verglichen wird, ist sie nicht \u2014 kann man sie ohne weiteres als Ergebniss einer Vergleichung fassen? Meinong glaubt diese Frage entschieden verneinen zu m\u00fcssen1), und es l\u00e4sst sich jedenfalls nicht leugnen, dass das Be-wusstseinserlehniss, dessen ich inne werde, wenn ich einen Widerstreit zwischen zwei Vorstellungen feststelle, ein wesentlich anderes ist als dasjenige, das ich hei der Constatirung von Uebereinstim-mungen und Unterschieden beobachte.\nMeinong sucht nun den psychologischen Thatbestand des Widerstreites weiter zu verfolgen und findet ihn in der Thatsache ausgedr\u00fcckt, dass wir gewisse Eigenschaften uns nicht zur selben Zeit an demselben Orte vorstellen k\u00f6nnen. Hierher geh\u00f6ren z. B. Eigenschaften wie roth und blau, rund und viereckig u. s. w. Bei psychischen Erscheinungen tritt an die Stelle der Bestimmung \u00bban demselben Orte\u00ab die andere \u00bbin demselben Bewusstsein\u00ab: es ist ein Widerspruch, zu sagen, dass ein Mensch denselben Gegenstand zur selben Zeit hasse und liebe . . . Lust und Unlust, Affirmation und Negation liefern weitere Beispiele.\n1) Humestudien II, S. 625, 659.","page":670},{"file":"p0671.txt","language":"de","ocr_de":"Hume\u2019s Lehre vom Wissen.\n671\nMan sieht, Meinong\u2019s \u00bbVertr\u00e4glichkeitsrelationen\u00ab, die er als besondere Gruppe den \u00bbVergleichungsrelationen\u00ab gegen\u00fcberstellt, weichen betr\u00e4chtlich ab von Hume\u2019s Relation des Widerstreites und ber\u00fchren sich jedenfalls weit eher mit Locke\u2019s Unvertr\u00e4glichkeit (incompatibility)1). Auch f\u00fcr Locke war ja diese Unvertr\u00e4glichkeit soviel wie Unm\u00f6glichkeit der Coexistenz gewisser Qualit\u00e4ten. Hume dagegen glaubte den Widerstreit auf die beiden Vorstellungen der Existenz und Nichtexistenz reduciren zu k\u00f6nnen. Er hat sich gerade dadurch den Weg zu einer Reihe von weiteren Problemen verbaut, die sich doch nicht oder doch nicht ohne weiteres auf Unvertr\u00e4glichkeit von Existenz und Nichtexistenz resp. Bejahung und Verneinung zur\u00fcckf\u00fchren lassen. Denn es ist gewiss nicht leicht zu erkl\u00e4ren, weshalb gewisse Inhalte, namentlich die einzelnen Qualit\u00e4ten desselben Sinnesgebietes, etwa roth und blau, durchaus nicht coexistent gedacht werden k\u00f6nnen, w\u00e4hrend dies hei anderen \u2014 etwa roth und s\u00fc\u00df \u2014 recht wohl durchf\u00fchrbar ist \u2014 so selbstverst\u00e4ndlich und gel\u00e4ufig uns diese Thatsachen an sich auch immerhin sein m\u00f6gen.\nMeinong schlie\u00dft nun an diese Betrachtungen noch eine Reihe von Bemerkungen an, die ihn tief in die Lehre von den Urtheilen und Schl\u00fcssen hineinf\u00fchren. Darauf kann nat\u00fcrlich an dieser Stelle nicht eingegangen werden, da von einem eigentlichen Zusammenhang mit der Locke-Hume\u2019sehen Relationslehre hier nicht mehr die Rede ist.\nVIII. Gegensatz von Yorstellungsrelationen nnd Thatsachen-\nrelationen.\nDagegen haben wir noch einige Bemerkungen zu machen \u00fcber die erkenntnisstheoretisch so wichtige Abgrenzung der hier behandelten Relationen von den Thatsachen, resp. Thatsachenrelationen. Es lag uns ja wesentlich daran, die subjective \u2014 oder, wenn man will, aprioristische \u2014 Seite der Relationslehre zu er\u00f6rtern. Eben dadurch sind wir aber vor die Aufgabe gestellt, uns \u00fcber die Gr\u00fcnde und die Zweckm\u00e4\u00dfigkeit dieser Eintheilung Rechenschaft zu geben. Die Frage lautet also: wird die Nothwendigkeitsbeziehung durch den\n1) Locke, Essay conc. h. u. B. IV, sect. 15, \u00a7 3.","page":671},{"file":"p0672.txt","language":"de","ocr_de":"672\nPaul Linke.\nHinweis auf die ver\u00e4nderlichen Relationen in zureichender Weise fixirt, abgegrenzt? In der That droht die ganze Scheidung hinf\u00e4llig zu werden, wenn das Wort Idee in dem weitesten Sinne, dessen es f\u00e4hig ist, gebraucht wird. Den Satz z. R, dass das Wasser unverbrennlich ist, w\u00fcrde Hume zweifellos als eine empirische, auf einer unver\u00e4nderlichen, d. h. von den gegebenen Ideen nicht abh\u00e4ngigen Relation beruhende Aussage auffassen, und doch wird \u2014 falls wir nur eine deutliche und begrifflich klar durchgearbeitete \u00bbIdee\u00ab von Wasser einerseits und von Verbrennung anderseits in Betracht ziehen \u2014 auch hier mit den Ideen die Relation nothwendig bestimmt. Man sieht: hei dieser Auffassung verschwindet jede M\u00f6glichkeit eines Unterschiedes. Aber eben dadurch charakterisirt sie sich als verkehrt. Es wird darum n\u00f6thig sein, die Ideen im engsten Sinne als \u00bbVorstellungen\u00ab zu fassen. Dann aber ist der Sinn der Unterscheidung v\u00f6llig deutlich. Ich kann die Vorstellung des Wassers \u2014 d. h. desjenigen, was n\u00f6thig ist, um in der blo\u00dfen Vorstellung f\u00fcr mich das Wasser zu bestimmen \u2014 recht wohl mit der Vorstellung des Brennens vereinigen, ohne dabei einen Widerspruch zu erleben. Dies geschieht vielmehr erst, sobald ich begriffliche Bestimmungen zu den beiden Vorstellungen hinzunehme. Solche Bestimmungen sind aber nicht aus den Vorstellungen selbst zu erlangen, sondern erfordern Einzelerfahrungen, Beobachtungen der Wirklichkeit, Induc-tionen. Anders ist es hei den ver\u00e4nderlichen oder Vorstellungsrelationen. Hier sind die blo\u00dfen Vorstellungen bereits gen\u00fcgend, um daraus ohne die Zuh\u00fclfenahme irgend welcher Thathest\u00e4nde die Relationen abzuleiten; das hei\u00dft eben: die Relationen sind lediglich von den Vorstellungen abh\u00e4ngig oder: wenn die Vorstellungen gegeben sind, sind a priori auch die Relationen gewiss. Dass diese Relationsgruppe durch die Quantit\u00e4ts- resp. mathematischen Beziehungen sowie die \u2014 obzwar weit weniger wichtigen \u2014 Gradverh\u00e4ltnisse von Qualit\u00e4ten repr\u00e4sentirt wird, ist ohne weiteres klar. Merkw\u00fcrdig ist nur deren Zusammenstellung mit der Aehnlichkeit und dem Widerstreit. Denn selbstverst\u00e4ndlich haben diese \u2014 und von der Aehnlichkeit hebt es Hume ausdr\u00fccklich hervor1) \u2014 auch f\u00fcr die Thatsachen-relationen ihre Bedeutung. Dann kann diese Zusammenstellung aber\n1) Treat. Yol. I. P. I. sect. 5. \u00bb1\u00ab.","page":672},{"file":"p0673.txt","language":"de","ocr_de":"Hume\u2019s Lehre vom Wissen.\n673\nnur den Sinn haben, dass die Functionen, welche zu Aehnlichkeit (resp. Gleichheit) und Widerstreit f\u00fchren, f\u00fcr die Vorstellungsrelationen (au\u00dfer den Vorstellungen selbst) ausschlie\u00dfliche Erfordernisse sind, w\u00e4hrend f\u00fcr die Thatsachenrelationen noch Bewusstseinserlebnisse anderer Art hinzukommen. Die Pr\u00fcfung dieser Angelegenheit freilich w\u00fcrde gleichbedeutend sein mit der Analyse der Causalit\u00e4t und empirischen Identit\u00e4t \u2014 und eine solche sollte ja, den einleitenden Bemerkungen entsprechend, hier unber\u00fccksichtigt bleiben.","page":673}],"identifier":"lit4563","issued":"1901","language":"de","pages":"624-673","startpages":"624","title":"Hume's Lehre vom Wissen","type":"Journal Article","volume":"17"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:25:29.858687+00:00"}