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{"created":"2022-01-31T14:36:51.012401+00:00","id":"lit5539","links":{},"metadata":{"alternative":"Archiv f\u00fcr Physiologie","contributors":[{"name":"Mosso, Angelo","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Archiv f\u00fcr Physiologie: 89-168","fulltext":[{"file":"p0089.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die Gesetze der Erm\u00fcdung. Untersuchungen an Muskeln des Menschen.\nVon\nProf. Angelo Mosso.\n(Aus der physiologischen Anstalt der Universit\u00e4t zu Turin.)\nDie exacten Versuche \u00fcber die Muskelarbeit, welche durch die klassischen Untersuchungen von Eduard Weber und Helmholtz eingeleitet und sp\u00e4ter von trefflichen Experimentatoren fortgesetzt wurden, sind an vom K\u00f6rper losgetrennten Froschmuskeln gemacht worden. Erst nach den Arbeiten von Marey,1 Helmholtz und Baxt,2 Ludwig und Alex. Schmidt,3 H. Kronecker,4 E. Tiegel,5 Rossbach und Harteneck,6 Cyon7 und Anderen begann man unter weniger ung\u00fcnstigen Verh\u00e4ltnissen zu experi-mentiren. Doch sind die Forschungen, welche behufs Feststellung der Gesetze der Erm\u00fcdung am Menschen ausgef\u00fchrt wurden, bisher nur sehr sp\u00e4rlich.\n1\tMarey, \u00c9tudes graphiques sur la nature de la contraction musculaire. Journal de l anatomie. 1886. p. 225.\n2\tHelmholtz und Baxt, Monatsberichte der k'onigl. preussischen Akademie der Wissenschaften. Berlin 1870.\n3\tLudwig und Alex. Schmidt, Berichte der k\u00f6nigl. s\u00e4chsischen Gesellschaft zu Leipzig. 1868. S. 12.\n4\tKronecker, Ueber die Erm\u00fcdung und Erholung der quergestreiften Muskeln. Berichte der s\u00e4chsischen Gesellschaft der Wissenschaften. 1870. S. 690.\n5\tE. Tiegel, Ueber den Einfluss einiger willk\u00fcrlich Ver\u00e4nderlichen auf die Zuckungsh\u00f6he des untermaximal gereizten Muskels. Berichte der s\u00e4chsischen Gesellschaft der Wissenschaften. 1875.\n6\tBossbach und Harteneck, Muskelversuche an Warmbl\u00fctern. Pfl\u00fcger\u2019s Archiv u. s. w. 1877. Bd. XV. S. 1.\n7\tE. Cyon, Methodik. S. 460.","page":89},{"file":"p0090.txt","language":"de","ocr_de":"90\nAngelo Mosso:\nIch suchte die mechanische Arbeit der menschlichen Muskeln direct zu verzeichnen. Die Methode, welche ich hierbei befolgt habe, ist von jenen, die zum Studium der Muskelcontractionen heim Menschen dienten, so verschieden, dass ich mich nicht f\u00fcr verpflichtet halte, den historischen Theil dieser Frage zu entwickeln, oder zwischen meiner Methode und den allgemein gebr\u00e4uchlichen Dynamometern einen Vergleich zu ziehen. Auch \u00fcber die j\u00fcngsten Arbeiten von Kip her1 und Haughton2 glaube ich der K\u00fcrze halber schweigen zu k\u00f6nnen. In dieser ersten Abhandlung werde ich die Apparate beschreiben, welche ich zum Studium der Zusammen-ziehung und der Erm\u00fcdung der Muskeln und Nerven des Menschen con-struirte, und in der zweiten wird Dr. Arnaldo Maggiora die Forschungen darlegen, welche er mit diesen Instrumenten in meinem Laboratorium durchf\u00fchrte.\nBeschreibung des Ergographen.\nDer K\u00fcrze halber \u00fcbergehe ich die Methode, nach welcher ich eine Reihe einleitender Versuche, die Erm\u00fcdungscurve zu verzeichnen, angestellt habe. Die Schwierigkeiten, welche ich zu \u00fcberwinden hatte, sind haupts\u00e4chlich zwei: die erste besteht darin, die Leistung eines Muskels gut zu isoliren, so dass kein anderer Muskel ihm zu H\u00fclfe kommen kann, wenn er erm\u00fcdet; die zweite darin, ein Ende des Muskels gut fixirt zu halten, w\u00e4hrend das andere die Contractionen schreibt. Ich versuchte es mit den Muskeln des Daumenballens, mit dem Abductor indicis, dem Biceps brachii, dem M. deltoideus, mit den Gastrocnemii, den Masseteren, und erzielte nuirait den Beugern der Finger (M. flexor digit, sublimis und profundus) befriedigende Resultate.\nIch musste auf die Instrumente verzichten, bei welchen man mittels der Arbeit den Widerstand einer Feder \u00fcberwindet, da sie nicht genau genug sind. Den Apparat, welchen ich hier beschreiben werde, nenne ich Ergograph,3 weil er die mechanische Arbeit direct verzeichnet. Er besteht aus zwei Theilen: aus einem, welcher die Hand festh\u00e4lt, und einem anderen, der die Contractionen auf einem rotirenden Cylinder verzeichnet, wie man es bei den graphischen Versuchen macht. Der Fixir-apparat wird von einer 50cm langen, 17 em breiten, 0\u2022 7 cm starken Eisenplatte gebildet, wie man es in Fig. 1 sieht. Um die Art der Festhaltung\n1\tF. E. Nipher, On the mechanical Work done by a Muscle before Exhaustion. The American Journal of Science and Arts. 1875. Vol. IX. p. 130.\n2\tSamuel Haughthon, Proceedings of the Eoyal Society of London. XXIV.\np. 43.\n3\tErgograph, von \u00e8'\u00e7fror Arbeit und yqncpeiv schreiben.","page":90},{"file":"p0091.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Gesetze der Erm\u00fcdung.\n91\nder Hand zu verstehen, gen\u00fcgt es Fig. 3 zu betrachten. Es sind da n\u00e4mlich zwei Kissen A, B (Fig. 1); auf ersterem liegt die Hand auf, und auf dem anderen, das leicht geh\u00f6hlt ist, ruht der Vorderarm. Um die Hand gut zu fixiren, bediene ich mich weiterer zwei Kissen C, I) in der Weise, dass sie das Handgelenk leicht pressen und die Hand festhalten, damit sie nicht nach r\u00fcckw\u00e4rts weichen k\u00f6nne. Es sind noch zwei andere halbkreisf\u00f6rmige Kissen da, um den Vorderarm festzuhalten, wie man in Fig. 3 sieht, gew\u00f6hnlich bediene ich mich aber derselben nicht. Jedes Kissen besteht aus einer innen gepolsterten concaven Messingplatte; an der \u00e4usseren convexen Fl\u00e4che derselben ist ein runder Metallstab angebracht, welcher durch die Oeffnung einer Klemme geht, wo man ihn mittels einer Schraube befestigt.\nFig. l.\nIn Fig. 1 sieht man vier gleiche Klemmen, welche unten, wie man hei E F bemerkt, eine 2 cm tiefe, 0\u25a0 8cm breite Ausbuchtung besitzen, wodurch sie mittels einer Schraube, die unter jeder Klemme angebracht ist, an den Rand der Eisenplatte befestigt werden k\u00f6nnen. Bevor man den Arm fixirt, sind diese Klemmen alle frei. Man legt hierauf die Hand mit dem R\u00fccken auf das Kissen A, man n\u00e4hert nun die beiden Kissen CD in der Weise, dass sie die Hand entsprechend dem Gelenke gut pressen und schliesst hierauf die oberen und unteren Schrauben ihrer Klemmen. Die Hand wird vom durch zwei Messingr\u00f6hren GH fixirt, deren innere Lichte, je nach der Dicke der Finger der Versuchsperson, zwischen 18 und 22mm schwankt. \u2014 In die R\u00f6hre, welche man mit der Klemme E fixirt, wird der Zeigefinger und in jene bei F der Goldfinger der rechten Hand gesteckt.\nIn dem Zwischenr\u00e4ume, welcher zwischen der Klemmen E und F bleibt, bewegt sich der Mittelfinger, an dem man, an der Mittelphalange, eine Schnur befestigt, welche den Schreibapparat in Bewegung setzt.\nUm dem Arme eine bequeme Lage zu geben, muss man denselben, wie ich beobachtete, nicht in Supination, sondern in leichter Pronation halten. Die Platte ist desshalb gegen die innere Seite hin um etwa 30\u00b0","page":91},{"file":"p0092.txt","language":"de","ocr_de":"92\nAngelo Mosso:\ngeneigt, und vom Ellbogen gegen die Fingerspitzen zu um etwa 2 bis 3cm leicht gehoben. Diese beiden Neigungen n\u00f6thigen uns, die Lage des Stativs zu \u00e4ndern, je nachdem man mit dem rechten oder mit dem linken Arm arbeitet; zu diesem Behufe hat die Eisenplatte hinten nur einen Fuss I, der aus einem cylindrischen Metallst\u00fccke besteht und auf welchem der Apparat ruht, w\u00e4hrend vorne zwei Fusse LM sind, und zwar der eine L 5cm, der andere M12cm lang. Diese beiden F\u00fcsse sind durch eine schmale eiserne Querleiste verbunden, welche man in der Figur nicht wahrnehmen kann, weil sie sich an der unteren Fl\u00e4che der eingangs erw\u00e4hnten Eisenplatte befindet. In der Mitte hat die genannte Querleiste eine Klemmschraube, wodurch es m\u00f6glich wird, sie zu drehen und so den niederen Fuss bald auf die eine, bald auf die andere Seite der grossen Eisenplatte zu wenden. Dieselbe kann auf diese Weise eine Neigung nach rechts oder links erhalten, je nach der Hand, an welcher man die Erm\u00fcdungs-curve studireu will.\nPig. 2.\nDer zweite Theil des Apparates ist der Schreibapparat.\nEr besteht aus einer 7 cm breiten und 32 cm langen Eisenplatte, welche zwei Messings\u00e4ulchen LM tr\u00e4gt, die man in Fig. 2 in der Seitenansicht sieht. Sie sind gegabelt und tragen in einer Entfernung von 4cm von einander je zwei cylindrische Stahlstangen NN in der Weise, dass sie die F\u00fchrung des metallischen L\u00e4ufers OR bilden. Derselbe l\u00e4uft mit zwei","page":92},{"file":"p0093.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Gesetze der Erm\u00fcdung.\n93\ncylindrischen Oeffnungen zwischen den erw\u00e4hnten Stahlstangen und tr\u00e4gt eine 12cm lange Metallh\u00fclse, welche in eine G\u00e4nsefeder Q endigt, die auf das berusste Papier des Cylinders schreibt. Wenn man eine gew\u00f6hnliche, in Anilintinte getauchte Feder verwendet, so kann man ebenso auf gew\u00f6hnlichem Papier schreiben. Die Metallh\u00fclse besitzt eine Klemmschraube P, wodurch man die Feder h\u00f6her oder niedriger stellen kann, um auf den Cylinder deutlich zu schreiben oder die Ber\u00fchrung mit dem Papiere ganz aufzuheben. Der L\u00e4ufer OP hat zwei Haken; an dem einen befestigt man die Schnur 8, mittels welcher man ihn durch die Fingerbeugung anzieht. Diese Schnur tr\u00e4gt an ihrem Ende einen starken Lederring, den man um\nI\nFig. 3.\ndas erste Glied des Mittelfingers legt. An den anderen Haken des L\u00e4ufers, welcher sich an dem entgegengesetzten Ende desselben befindet, h\u00e4ngt man mittelst der Schnur T ein Gewicht von 3, 4 oder mehr Kilogramm, wie dies in Fig. 3 ersichtlich ist. Diese Schnur l\u00e4uft \u00fcber eine metallene Rolle V. Da sich diese kleinen Schn\u00fcre leicht abn\u00fctzen, wenn man mit grossen Gewichten arbeitet, so ist es besser, wenn man Darmsaiten benutzt, wie sie f\u00fcr das Violoncell oder die Bassgeige verwendet werden.\nDa man bei den Untersuchungen der Muskelcontractionen den Muskel in Belastung oder in Ueberlastung haben muss, so dachte ich die bewegliche Hemmungsst\u00fctze K anzubringen, welche man in einem beliebigen Punkte feststellen konnte. Diese St\u00fctze, welche die Form der zwei Messings\u00e4ulen IM hat, unterscheidet sich von diesen nur durch die rechtwinkelig gebogene Basis, die auf der Eisenplatte XF beweglich ist. In","page":93},{"file":"p0094.txt","language":"de","ocr_de":"94\nAngelo Mosso:\ndieser Eisenplatte befindet sich eine Spalte. In demselben l\u00e4uft die Schraube b, welche zur Feststellung der St\u00fctzs\u00e4ule in einem beliebigen Punkte dient. Wenn man jedoch mit Gewichten von mehreren Kilogramm arbeitet, so w\u00fcrde diese S\u00e4ule K den Schl\u00e4gen, die sie von oben erh\u00e4lt, nicht Stand halten. Um sie unbeweglich zu machen, dient die Schraube C am oberen Theile, welche, indem sie sich gegen die S\u00e4ule L st\u00fctzt, die Hemmungss\u00e4ule K f\u00fcr die Schl\u00e4ge des fallenden Gewichtes unempfindlich macht. Diese Vorrichtung bietet mir gleichzeitig den Vortheil, die Unterst\u00fctzung nach Belieben zu regeln, da man durch Bewegen der Schraube das Gewicht st\u00fctzen und den Muskel eines Theiles seiner Arbeit stufenweise entladen, wie es schon v. Frey bei seinen Untersuchungen gethan hatte.1\nFig. 3 stellt den Apparat im Augenblicke eines Versuches dar. Es fehlt nur noch der Schreibcylinder, doch ist es unn\u00f6thig ihn zu zeichnen. Die Contractionen der Mittelfinger vollziehen sich nach dem Rhythmus einer Baltzar\u2019sehen Uhr. Der unterbrochene elektrische Strom l\u00e4sst eine Glocke ert\u00f6nen und im Rhythmus dieses Signals vollziehen sich regelm\u00e4ssig die willk\u00fcrlichen Contractionen. Es gen\u00fcgt aber auch ein einfaches Secundenpendel\nFig. 4.\tFig. 5.\noder eine Minutenuhr, um die Zeit der Contractionen zu reguliren. Ich re-producire hier zwei mit dem Ergographen geschriebene Curven. Fig. 4 stellt die Reihe der Contractionen dar, welche Dr. Arnaldo Maggiora schrieb, w\u00e4hrend er alle zwei Secunden ein Gewicht von drei Kilogramm hob.\n1 Max von Frey, Reizungsversuche am unbelasteten Muskel. Dies Archiv. 1887. S. 195.","page":94},{"file":"p0095.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Gesetze der Erm\u00fcdung.\n95\nDas Gewicht in diesem und in den folgenden Versuchen wirkt als Ueber-lastung am Muskel, mit Ausnahme einiger Versuche, welche ich sp\u00e4ter bezeichnen werde.1 Fig. 5 ist eine von Dr. Vittorio Aducco unter gleichen Verh\u00e4ltnissen geschriebene Curve. Bei diesen Versuchen kam eine Maximalleistung bis zur Ersch\u00f6pfung der Kraft in Verwendung. Wenn man Gewichte von 3 bis 4 Kilogramm ben\u00fctzt und die Contractionen alle zwei Secunden wiederholt, so macht man gew\u00f6hnlich 40 bis 80 Contractionen, welche regelm\u00e4ssig schw\u00e4cher werden. Die Linie, welche die oberen Endpunkte der in gleichen Abst\u00e4nden geschriebenen Zusammenziehungen verbindet, wurde schon von H. Kronecker als Erm\u00fcdungscurve bezeichnet.\nWenn man mit einem nicht zu grossen Gewichte arbeitet, so f\u00fchlt man, dass man im Anf\u00e4nge das Maximum der Beugung erreicht, ohne dass die Muskeln die ganze Leistung vollzogen h\u00e4tten, deren sie f\u00e4hig sind, und schliesslich, wenn man erm\u00fcdet ist, gelingt es trotz aller Anstrengung nicht mehr, das Gewicht zu heben. Es ist daher nicht m\u00f6glich, zwischen dem ersten Theile der Curve und dem letzten einen genauen Vergleich zu machen. Jedoch auch in diesem Verh\u00e4ltnisse n\u00e4mlich, wenn die Gewichte derart sind, dass zur Durchf\u00fchrung eines Maximalhubes keine Maximalleistung geh\u00f6rt, kann man \u2014 wenn man die Willenskraft bis zur Ersch\u00f6pfung der Muskelkraft zu behaupten sucht \u2014 noch regelm\u00e4ssige und f\u00fcr das Studium der Erm\u00fcdung verwendbare Curven erhalten.\nIn Figg. 4 und 5 sieht man sofort den grossen Unterschied in der Erm\u00fcdungscurve zweier Personen, obgleich sie fast das gleiche Alter von 24 bis 28 Jahren haben, dieselbe Lebensweise f\u00fchren und Beide mit einer Maximalanstrengung, alle zwei Secunden ein Gewicht von 3 Kilogramm heben. Beim Dr. Maggiora nehmen die Contractionen beim Beginn der Arbeit an H\u00f6he rapid ab, weniger rasch gegen das Ende zu. Dr. Aducco giebt unter gleichen Verh\u00e4ltnissen eine gerade verkehrte Curve (Fig. 5), d. h. am Beginne ist die Abnahme der H\u00f6he der Contractionen gering, gegen das Ende zu hingegen nehmen dieselben rapid ab, bis der Muskel sich endlich nicht mehr zuzammenziehen kann.\nBetrachten wir \u2014 bevor wir zur Besprechung der Curven \u00fcbergehen \u2014 n\u00e4her die Wirkung des Ergographen. Fig. 6 stellt die Seitenansicht einer Hand dar, wo der Mittelfinger w\u00e4hrend der Beugung nacheinander in die drei Stellungen M, M, M\" ger\u00e4th. Wenn das erste und zweite Fingerglied steif w\u00e4ren und der Finger sich nur im Metacarpo-phalangeal-Gelenk drehte, so w\u00fcrde Punkt B, wo die Schnur, welche die Contractionen verzeichnet, befestigt ist, einen Kreisbogen B C mit dem Mittelpunkte in A\n1 Die Curven dieser Abhandlung und der folgenden von Dr. Maggiora, sind s\u00e4mmt-lich von rechts nach links geschrieben, mit Ausnahme einiger, welche von links nach rechts geschrieben und zur Unterscheidung mit einem Pfeil \u00bb\u2014>- bezeichnet sind.","page":95},{"file":"p0096.txt","language":"de","ocr_de":"96\nAngelo Mosso:\nbeschreiben. Da sich aber auch die anderen zwei Fingergelenke beugen, so beschreibt der Angriffspunkt keinen Kreisbogen, sondern eine besondere Curve BMN, Fig. 7. \u2014 Die Strecke BM, welche der f\u00fcr die verwendbare Arbeit weniger g\u00fcnstige Theil der Trajectorie w\u00e4re, wird elimi-\nC\n-------''V|,T\nFig. 6.\nnirt, wenn man den Mittelfinger von Beginn des Versuches an leicht gebeugt h\u00e4lt, wie man es in Fig. 3 sieht. Der sich contrahirende Finger zieht an der Schnur des Ergographen l\u00e4ngs der Strecke MN, welche man\nfast als eine Gerade betrachten kann.\nBei Ueberlastung hebt der arbeitende Muskel das Gewicht nicht gleich in dem Momente, in welchem er seine Anstrengung beginnt und bei der Erschlaffung wird das Gewicht vom Apparat selbst zur\u00fcckgehalten ; auf diese Weise befinden wir uns in den g\u00fcnstigsten Verh\u00e4ltnissen, die Erm\u00fcdung des arbeitenden Muskels zu studiren. Damit die Darmsaite, welche den Schreibapparat in Bewegung setzt, gut gespannt bleibe und der Finger sofort nach der Muskelcontraction das Gewicht hebe, ist ein Metallst\u00fcck in Schraubenform angebracht, welches dazu dient, die Saite zu spannen oder nachzulassen, so dass man ihr genau die ben\u00f6thigte L\u00e4nge geben kann. Man sieht diesen Mechanismus in der Figur nicht, doch kann man sich die Anordnung desselben leicht vorstellen.\nMan begreift, dass hier gleichzeitig zwei Muskeln arbeiten: der M. flexor dig. sublimis und profundus, und dass die Mm. interossei daran wenig An-theil nehmen.","page":96},{"file":"p0097.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcb eh die Gesetze dee Ekm\u00fcdueg.\n97\nWas uns bei diesen Versuchen am meisten \u00fcberraschte, war, dass jede Person ihre eigene Erm\u00fcdungscurve hat, wesshalb die von verschiedenen Personen geschriebenen Curven leicht von einander zu unterscheiden sind. Es sind nun vier Jahre, dass wir mit diesen Apparaten in meinem Laboratorium arbeiten, und der f\u00fcr die verschiedenen Personen charakteristische Typus der Curven hat sich noch nicht ge\u00e4ndert, so dass z. B. Dr. Maggiora nach vier Jahren noch immer Curven beschreibt, wie in Fig. 4, und Dr. Aducco Curven, wie in Fig. 5, so oft sie das gleiche Gewicht mit der n\u00e4mlichen Hand und mit der gleichen Frequenz der Con-tractionen heben.\nAls Beweis hierf\u00fcr bringe ich zwei andere, im Jahre 1888 geschriebene Curven der DD. Maggiora und Aducco, um sie mit den im Jahre 1884 geschriebenen zu vergleichen.\nFig. 8.\tFig. 9.\nDie Curve in Fig. 8 geh\u00f6rt dem Dr. Maggiora, jene in Fig. 9 dem Dr. Aducco. Ein Blick auf dieselben gen\u00fcgt, um zu sehen, dass sich die Erm\u00fcdungscurve dieser beiden Personen nach vier Jahren nicht ver\u00e4ndert hat. Wenn wir die Summe der H\u00fcbe ziehen, auf welche das 3 Kilogramm-Gewicht durch die einzelnen Contractionen bis zur Ersch\u00f6pfung der Kraft gehoben wurde, so finden wir die Differenz nicht sehr bedeutend. Dieses Zusammentreffen erscheint noch interessanter, wenn man bemerkt, dass ich die Curven auf\u2019s Geradewohl unter vielen \u00e4hnlichen herausgegriffen habe, ohne die Absicht jene zu w\u00e4hlen, welche in ihrer mechanischen Arbeit gleichwerthig w\u00e4ren.\nDr. Maggiora.\t1884\t1888\nHubh\u00f6he.................M. 0-791\t0-596\nMechanische Arbeit . . KM. . . 2-373\t1-788\nArchiv f. A. u. Ph. 1890. Physiol. Abthlg.\t7","page":97},{"file":"p0098.txt","language":"de","ocr_de":"98\nAngelo Mosso:\nDr. Aducco.\t1884\t1888\nHubh\u00f6he................M. 1-236\tM77\nMechanische Arbeit . . KM. .\t. 3'708\t3-531\nEine betr\u00e4chtliche Differenz tritt mit dem Wechsel der Jahreszeiten zu Tage, wenn n\u00e4mlich dieser Umstand die Ern\u00e4hrung des K\u00f6rpers beeinflusst. Dr. Aducco z. B., der sich im Sommer weniger gut befindet als im Winter, zeigte zwei Jahre nach einander bemerkenswerthe Ver\u00e4nderungen der mechanischen Arbeit, wenngleich die Erm\u00fcdungscurve das gleiche Bild behielt.\n%\nFig. 10.\nDie Curve in Eig. 10 wurde von Dr. Aducco im Winter 1887 geschrieben, als er nach seinen Angaben bei gr\u00f6sster Kraft war. Er hol) damals mit dem Mittelfinger der rechten Hand alle zwei Secunden ein Gewicht von 3 kg auf eine totale Hubh\u00f6he von 1 \u2022 842 m, welche einer mechanischen Arbeit von 5-526km entspricht. Seit jener Zeit hat Dr. Aducco keine so langen Curven mehr geschrieben.\nIch wollte vorzugsweise dieses Beispiel anf\u00fchren, um eine Probe von der Genauigkeit der Resultate zu geben, die man mit dem Ergographen erh\u00e4lt. Weit gr\u00f6ssere Ver\u00e4nderungen beobachtete ich, als ich mit dem Mechaniker des Laboratoriums, Hrn. Corino, experimentirte, welcher in Folge einer Augenkrankheit, die, wie wir glaubten, auf sein Allgemeinbefinden keinen Einfluss haben konnte, eine bedeutende Modification und Abnahme der Erm\u00fcdungscurve zeigte. Aus den Versuchen, die wir w\u00e4hrend vier Jahren mit diesem Apparate in unserem Laboratorium machten, geht hervor, dass man mit keinem anderen Apparate die j\u00e4hrlichen oder zuf\u00e4lligen Ver\u00e4nderungen, welche in der Muskelkraft zu Tage treten, so sicher","page":98},{"file":"p0099.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Gesetze der Erm\u00fcdeng.\n99\nmessen kann, und ich glaube, dass der Ergograph in dieser Beziehung mit Yortheil vor den Dynamometern Verwendung finden wird, welche als Messinstrumente f\u00fcr die Muskelkraft weniger genau sind.\nDas Aichen des Ergograplien.\nUm das Verh\u00e4ltniss, welches zwischen einer gewissen Verk\u00fcrzung der Beugemuskeln und der zugeh\u00f6rigen Hebung des Gewichtes besteht, genau zu kennen, habe ich den folgenden Versuch angestellt. Ich nagelte auf; einem Brette die Hand eines Leichnams fest, wie dies in Fig. 6 ersichtlich ist, nachdem ich die Sehnen des M. flexor dig. sublimis und profundus isolirt hatte. An den Sehnen befestigte ich Dr\u00e4hte und vereinigte diese Dr\u00e4hte an einer horizontal l\u00e4ngs der Muskeln gelegten Schraube. Indeih\u00c7. ich nun diese Schraube drehte, wurden die Phalangen wie bei der Contraction der Muskeln gebeugt. Das Gewinde der Schraube war derart gearbeitet, dass dieselbe mit jeder Drehung 1 mm Weg zur\u00fccklegte. Die Schnur des Ergographen wurde wie gew\u00f6hnlich fest an das zweite Fingerglied ge-\nFig. ll.\nbunden. Fig. 11 stellt einige am Leichnam gemachte Bestimmungen dar. Die erste Curve A stellt die H\u00f6hen dar, auf welche ein Gewicht von 2kg gehoben wird bei steigender Verk\u00fcrzung des M. flexor dig. sublimis, welcher sich mit seiner Sehne bekanntlich an der zweiten Phalange inserirt. Die\nij *\n\u00d6ibl'cc neu","page":99},{"file":"p0100.txt","language":"de","ocr_de":"100\nAngelo Mosso:\nhorizontalen Strecken 1, 2, 3, 4, 5 sind Centimeter und stellen die Scala dar, um die Verh\u00e4ltnisse zwischen der H\u00f6he, auf welche das Gewicht gehoben ward und die Verk\u00fcrzung des Muskels, welche hinwiederum durch die Schraube verursacht wird, zu kennen. Wenn man, w\u00e4hrend der Finger in horizontaler Lage gestreckt ist, die Sehne des M. flexor dig. sublimis mittels der Schraube um 1cm anzieht, so sehen wir, dass der Finger sich wenig hebt und die Strecke c <1 beschreibt. Beim zweiten Centimeter des Zuges ist die Wirkung gr\u00f6sser, da das Gewicht von d auf e gehoben wird ; beim dritten Centimeter ist sie von e auf f ein wenig geringer. Wenn man diese drei auf einander folgenden H\u00fcbe misst, so sehen wir, dass sie in dem Verh\u00e4ltnisse von 8*5mm, 19mm, 18mm stehen. Das heisst, dass, wenn wir mit dem Ergographen bei ein wenig gebeugtem Finger arbeiten, die Bewegungen proportional der Verk\u00fcrzung sind, und dass die Hebelwirkung der Phalangen in vergr\u00f6sserndem Sinne sich geltend macht, etwa in dem Verh\u00e4ltnisse von 1:2.\nWenn man die Schraube im entgegengesetzten Sinne dreht, dehnt das Gewicht den Finger wieder und wir erhalten eine \u00e4hnliche Figur von oben nach unten, wie es die Curve ein wenig nach links zeigt. Wenn man an der Schraube die Sehne des M. flex. dig. profundus befestigt, erhalten wir durch eine gleiche dreimal wiederholte Bewegung um ein Centimeter die Curve B, wo die successiven H\u00fcbe unter sich im Verh\u00e4ltnisse von 7 mm, 10 mm, 14 mm stehen.\nUm von diesen Verh\u00e4ltnissen eine genauere Idee zu haben, band ich beide Beugemuskeln an die Schraube und schrieb die Hebelwirkung des Gewichtes auf einem rotirenden Cylinder, w\u00e4hrend ich die Schraube in Bewegung setzte. Um eine Aufzeichnung zu erhalten, welche der charakteristischen Erm\u00fcdungscurve der Beugemuskeln \u00e4hnlich s\u00e4he, bediente ich mich eines am freien Ende der Schraube angebrachten Zahnrades, das ich in gleichf\u00f6rmige Drehung versetzte und so alle zwei Secunden einen constanten Zug aus\u00fcbte, wie man dies an den kleinen Z\u00e4hnen der Curve MM'M\" der Fig. 11 sieht. Diese Curve stellt die Art und Weise dar, in welcher die Phalangen des Mittelfingers beim Heben des Ergographen-Gewichtes functioniren, w\u00e4hrend die Phalange B der Fig. 6 in die Stellungen MM' M\" ger\u00e4th. Nach Vollendung der aufsteigenden Curve, dreht man die Schraube im entgegengesetzten Sinne und schreibt den absteigenden Ast der Curve M\" N. Um mich schliesslich zu \u00fcberzeugen, dass der Schraubenapparat gut functionirt, verbinde ich direct mit seinem Ende die Schnur des Ergographen und wiederhole die Versuche, indem ich eine Curve von 3cm H\u00f6he reproducire. Ich erhalte so die aufsteigende Linie FG, und wenn ich die Schraube in entgegengesetztem Sinne drehe, die Linie GH, welche das Dreieck F GII bilden. Diese zwei Curven, MM' M\" N und das Dreieck","page":100},{"file":"p0101.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Gesetze der Erm\u00fcdung.\n101\nF GE, gestatten uns den thats\u00e4chlichen Werth der Verk\u00fcrzungen der Beuge-muskeln in den verschiedenen Graden ihrer Zusammenziehung kennen zu lernen.\nDurch das Aichen des Ergographen erfahren wir also, welches der wahre Werth der Contractionen der Beugemuskeln des Mittelfingers sei. Die mit dem Ergographen geschriebenen Curven gehen getreu und etwa zweimal vergr\u00f6ssert die Verk\u00fcrzung wieder, welche der Muskel bei jeder Contraction erleidet.\nVergleich der durch willk\u00fcrliche Muskelcontractionen erhaltenen Erm\u00fcdungscurven mit den durch Reizung der Nerven oder Muskel hervorgerufenen.\nUm die durch k\u00fcnstliche Reizung hervorgerufenen Contractionen der Muskeln zu studiren, musste ich mich einer tetanisirenden Reizung und nicht derjenigen eines elektrischen Schlages bedienen, weil bei einem maximalen Einzelreiz die Contractionen nicht gen\u00fcgend stark sind. Im dritten Capitel werde ich einige Curven bringen, welche geschrieben wurden, indem man den Nerven mittels inducirter Oeflhungs- und Schliessungsstr\u00f6me reizte, und wir werden sehen, wie klein die Gewichte sind, welche man in dieser Weise auch bei maximalen Reizungen zu heben vermag. Die besten Resultate erzielte ich mittels der tetanischen Reizungen. In dieser Beziehung w\u00e4re zu unterscheiden zwischen den Muskeln des Menschen und jenen des Frosches, ein Unterschied dessen schon Fick1 erw\u00e4hnte, welcher bei seinen myographischen Versuchen am lebenden Menschen, wenn man die Spannung, die durch einen maximalen Einzelreiz entwickelt wird, mit der, welche bei tetanischer Reizung zu Stande kommt, verglich, einen merkw\u00fcrdigen Unterschied zwischen den Frosch- und Menschenmuskeln fand. Fick sagt: \u201eWir haben es hier offenbar mit einer specifischen Eigenth\u00fcmlichkeit der menschlichen Muskelsubstanz zu thun, die darin besteht, dass die Summirung der Wirkung von auf einander folgenden Einzelreizen weiter geht als hei dem Froschmuskel.\nDie von mir aufgestellten Versuche wurden folgendermaassen ausgef\u00fchrt: Zwei Grove\u2019sche Elemente setzten einen du Bois-Reymond\u2019sehen Schlittenapparat, aus der Werkst\u00e4tte von R. Kr\u00fcger in Berlin, in Bewegung. Der Inductionsapparat war nach Stromeinheiten graduirt. Im\n1 A. Fick, Hy (\u00bbgraphische Versuche am lebenden Menschen. Pfl\u00fcger\u2019s Archiv u. s. w. 1887. Bd. XLI. S. 176.","page":101},{"file":"p0102.txt","language":"de","ocr_de":"102\nAngelo Mosso:\nFolgenden werde ich die Stellung der secund\u00e4ren Spirale immer nur nach dieser Scala der Stromeinheiten angeben. Der galvanische Strom wurde alle zwei Secunden durch ein Pendel unterbrochen, an dessen Schaft, etwa 15cm \u00fcber dem Aufh\u00e4ngepunkt ein nach der Seite gebogener Platindraht in der Weise befestigt war, dass derselbe bei jedem Ausschlage nach links in ein mit Quecksilber gef\u00fclltes Sch\u00e4lchen tauchte. Man schloss so den Strom, und dieser blieb geschlossen bis das Pendel gegen. die verticale Stellung zur\u00fcckkehrte und den Platindraht aus dem Quecksilber zog. Das Sch\u00e4lchen war auf einem Stativ beweglich in der Weise, dass man durch Heben oder Senken desselben die Dauer der Reizung verk\u00fcrzen oder verl\u00e4ngern konnte. Mittels Alkohols entfernte ich best\u00e4ndig das Oxyd, welches die Funken an der Oberfl\u00e4che des Quecksilbers erzeugten.\nZu Beginn eines jeden Versuches setzte man das Pendel in Bewegung und liess das Schlitten-Inductorium functioniren. Fan an den Dr\u00e4hten des Inductionsstromes angebrachter Interruptor erlaubte, im gegebenen Moment die beiden Elektroden gleichzeitig auf den Nerven oder den Muskel wirken zu lassen.\nDie Application des Stromes auf den Medianuerven oder auf die Beugemuskeln wurde durch zwei mit in leicht anges\u00e4uertes Wasser getauchte Schw\u00e4mmchen bedeckte Metallkn\u00f6pfe vorgenommen. Um dieselben festzuhalten, bediente ich mich zweier elastischer B\u00e4nder, die mittels einer Schnalle gleich einer Jarreti\u00e8re um den Arm angelegt wurden. Durch einen kleinen knopfloch\u00e4hnlichen Einschnitt in das Band der Jarreti\u00e8re konnte man den oberen Theil des Metallknopfes durchstecken, in dem man mittels einer Schraube den Draht des Inductoriums fixirte.\nAVenn ich gleichzeitig mit dem N. medianus die Beugemuskeln direct reizen wollte, so applicirte ich zwei weitere \u00e4hnliche Jarreti\u00e8res mit ihren Elektroden auf den Muskeln des Vorderarmes an der von Erb1 bezeich-neten Stelle.\nBei diesen Experimenten war manchmal die Lage des Armes einiger-maassen verschieden von der in Fig. 3. Ich will nicht unterlassen, mit-zutheilen, wie der Apparat angeordnet war, denn, wenn man mit den Elektroden die Muskeln oder den Nerven lange reizen muss, so ist es nicht gleichg\u00fcltig, welche Lage man w\u00e4hlt. Ich sass mit dem Oberarme vertical zur Seite und den Vorderarm in rechtem Winkel zum Oberarme gebeugt. Damit sich der Oberarm nicht nach r\u00fcckw\u00e4rts bewege, habe ich die beiden hinteren halbkreisf\u00f6rmigen St\u00fctzen der Fig. 3 weggenommen und eine derselben in die N\u00e4he des Ellbogens und die andere unter dem oberen Drittel des Vorderarmes angebracht. Ein schweres Stativ trug diese beiden halbkreis-\n1 W. Erb, Handbuch der Elektrotherapie. 1882. S. 2S6.","page":102},{"file":"p0103.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcbee die Gesetze dee Erm\u00fcdung.\n103\nf\u00f6rmigen St\u00fctzen, um das Ausweichen des Armes und Ellbogens nach hinten zu verhindern.\nDie Reizung des N. inedianus gelingt besser bei mageren Personen, wo man die Arterie und den Nerven leicht unter der Haut f\u00fchlt. Bei dein kleinsten Uebermaasse an Fett unter der Haut verursacht der Inductions-strom einen heftigen Schmerz, bevor noch die Intensit\u00e4t des ersteren eine gute Contraction bewirken k\u00f6nnte.\nEine maximale Reizung des Nerven kann man wegen des Schmerzes nicht lange aushalten. Die folgenden Curven sind also mit untermaximaler , Reizst\u00e4rke erhalten worden, und bei jedem Versuche k\u00f6nnte man mit einer maximalen Reizung noch eine gr\u00f6ssere Leistung des Muskels erzielen. Doch ist der Unterschied zwischen der Reizung, welche ich angewendet habe, und der Maximalreizung sehr klein.\nUm von dem Einfl\u00fcsse der St\u00e4rke des Inductionsstromes auf die H\u00f6he der Contractionen eine Vorstellung zu geben, berichte ich \u00fcber einen Versuch, den ich angestellt habe, indem ich den N. medianus reizte, w\u00e4hrend der Mittelfinger in freier Belastung ein Gewicht von 400 grm hielt. Der galvanische Strom in der prim\u00e4ren Spirale des Inductionsapparates machte 58 bis 60 Unterbrechungen in der Secunde. In Intervallen von zwei Se-cunden blieb der Nerv w\u00e4hrend 25/60 Secunden gereizt. Der Nerv erhielt somit jedesmal 25 Oeffnungs- und Schliessungsschl\u00e4ge. Der folgende Versuch wurde mit dem Dr. A. Maggiora gemacht; der Cylinder drehte sich mit grosser Schnelligkeit. Ich maass die erste Erh\u00f6hung, welche zu Anfang der Reizung erreicht wurde und hierauf die Maximalh\u00f6he, auf welche die tetanische Contraction stieg.\nReizst\u00e4rke nach\tH\u00f6he des ersten\tMaximalh\u00f6he der\nStromeinheiten\tGipfels\tContraction\n1800\t3\t6\n2000\t28\t34\n2125\t35\t48\n2250\t37\t50\n2375\t38\t52\n2625\t51\t54\n2750\t83\t81\nNach der Intensit\u00e4t von\t2750 wurden die Contractionen zwar st\u00e4rker,\t\nsie sind unregelm\u00e4ssig. In der Fig. 12 sieht man den Einfluss,\t\tden die elektrische Reizst\u00e4rke\nauf die H\u00f6he der Zusammenziehung und auf den Verlauf der Erm\u00fcdung \u00e4us\u00fcbt, besser. Das Gewicht von 400 grm wirkt als Belastung auf den Mittelfinger.","page":103},{"file":"p0104.txt","language":"de","ocr_de":"104\nAngelo Mosso:\nBei jeder Erregung, begonnen mit der Beizst\u00e4rke von 1500, macht man nacheinander acht Reizungen, dann gleich darauf je acht andere mit 1750 \u2014 2000 \u2014 2250\u20142500 \u2014 2750\u20143000\u20143250, wie es unter der Curve in Fig. 12 geschrieben steht.\n3250.\t3000.\t2750.\t2500\t2250.\t2000.\t1750.\t1500.1\nFig. 12.\nBei dem Reize von 1500 antwortet der Muskel nur auf die ersten vier Reizungen; die n\u00e4chsten vier machen den Muskel contrahiren, heben aber nicht das Gewicht. Bei dieser Curve sieht man, dass die Contractionen unregelm\u00e4ssig werden, wenn die Reizst\u00e4rke 3000 \u00fcbersteigt. In diesem Falle kann man die Reizst\u00e4rke von 3250 als \u00fcbermaximale und die Reizst\u00e4rke von 3000 wegen des Schmerzes als maximale betrachten. Wenn ich also von Maximalreizungen sprechen werde, so heisst das so viel, dass man sie ohne zu grossen Schmerz ertragen kann; doch sind es nicht maximale Reize in absolutem Sinne, d. h. solche, dass ich mittels eines st\u00e4rkeren Reizes keine st\u00e4rkere Contraction mehr erzielen k\u00f6nnte. Die Erscheinung der Erh\u00f6hung der Zusammenziehungen nach Reizverst\u00e4rkung kann man in diesem Versuche sehr deutlich sehen. Eine so ganz regelm\u00e4ssig verlaufende Curve, wie Fig. 12, kann man vom bluthaltigen Froschmuskel, der vom Nerven aus gereizt wird, kaum besser erhalten.","page":104},{"file":"p0105.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Gesetze eer Erm\u00fcdung.\n105\nVon besonderer Wichtigkeit, ausser der Regelm\u00e4ssigkeit der Erniedrigung jeder Reihe von acht Zusammenziehungen, ist noch die Ver\u00e4nderung der Elasticit\u00e4t des Muskels. Anfangs bis 2250 hat man eine kleine Dehnung des Fingers, und wenn man den Reiz verst\u00e4rkt, von 2750 an, und besonders bei 3250, wo die Zusammenziehungen unregelm\u00e4ssig werden, kommt die Contractur zum Vorschein.\nSowohl bei dieser Curve (Fig. 12), wie hei den folgenden, war die Dauer des Reizes gr\u00f6sser, als hei dem Falle der Tabelle S. 103. Bei den folgenden Curven functionirte der Inductionsapparat w\u00e4hrend 40/60 Secunden, und setzte w\u00e4hrend der \u00fcbrigen Zeitdauer der zwei Secunden aus. Die Frequenz der Unterbrechungen des Inductionsstromes im Schlitten-Induc-torium war constant 58 bis 60 in der Secunde. Es ist \u00fcberfl\u00fcssig zu sagen, dass ich von Zeit zu Zeit die Contr\u00f4le angewandt habe, den schwingenden Hammer durch ein Deprez\u2019sches Signal auf der mit grosser Geschwindigkeit rotirenden Trommel zeichnen zu lassen; die Zeit wurde hierbei gleichzeitig mit einer Gabel in 1/100 Secunde geschrieben.\nDa die Muskeln des lebenden Organismus gew\u00f6hnlich mit sehr geringen Reizst\u00e4rken arbeiten, will ich sogleich den Einfluss der Belastung auf die Erm\u00fcdung zeigen, wenn der Muskel mit untermaximalen Reizen erregt wird.\nAuf Fig. 13 bringe ich einen an Dr. Aducco mit 500 grm Belastung ausgef\u00fchrten Versuch. Indem ich am N. medianus mittels einer Strom-\nFig. 13. 500 P'm.\nst\u00e4rke 1000 reizte, erhielt ich eine erste Serie von Zusammenziehungen AB, welche in gerader Linie nach dem Gesetz von Kronecker abnehmen. Die Curven dieses Versuches, mit Ausnahme der Fig. 18, wurden durch die Photographie auf die H\u00e4lfte reducirt, weil die Contractionen zu hoch waren.","page":105},{"file":"p0106.txt","language":"de","ocr_de":"106\nAkgelo Mosso:\nDer Muskel arbeitet zwei Minuten mit 500?rm (Fig. 13). Hierauf verdoppelte ich das Gewicht und bringe es auf 1000 grm; die Erm\u00fcdungscurve CB (Fig. 14) steigt gleichfalls in ziemlich gerader Linie ab. Der Muskel arbeitet\nFig. 14. 1000 sim.\nzwei Minuten und ruht hierauf etwa 30 Secunden. Man beginnt mit dem Gewichte von 1500 und erh\u00e4lt die Fig. 15 die Curve EF, w\u00e4hrend der Muskel weitere zwei Minuten arbeitet. Ich verliere etwa eine Minute mit dem Wenden des Cylinders, und indem ich das Gewicht auf 3000 grm bringe, erhalte ich die Curve GH (Fig. 16).\nFig. 15. 1500grm.\nFig. 16.\t3000 *rm.\nSchliesslich vollf\u00fchrt Dr. Aducco nach 15 Secunden willk\u00fcrlich die letzte Reihe von Contractionen (Fig. 17) II, indem er das gleiche Gewicht von 3k\" hebt. Sowie sich der Muskel durch die willk\u00fcrliche Anstrengung nicht mehr zusammenziehen kann, lasse ich in M neuerdings den Induc-","page":106},{"file":"p0107.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Gesetze der Erm\u00fcdung.\n107\ntionsstrom mit der fr\u00fcheren Reizst\u00e4rke 1000 wirken, und erziele keinen Effect mehr oder nur sehr schwache Contractionen.\nAm folgenden Tage, als Dr. Aducco gut ausgeruht war, reize ich direct den Muskel, w\u00e4hrend er 500 \"rni Belastung hatte, und mit der Stromst\u00e4rke 3500 erhalte ich die Curve 18, welche in ihrer nat\u00fcrlichen Gr\u00f6sse reproducirt wurde. Bemerkenswerth ist die grosse Aelmlichkeit dieser Curve mit der Curve der willk\u00fcrlichen Erm\u00fcdung (vgl. Fig. 5, 9, 10), sowie die steigende Contractur, welche bewirkt, dass die Fusspunkte der kurzen Te-tani immer h\u00f6her zu liegen kommen.\nDie Curve, welche die Fusspunkte verbindet, ist concav nach unten.\n, Wenn ich im vorhergehenden Kapitel gesagt habe, dass der Typus der Curven f\u00fcr die verschiedenen Personen charakteristisch ist, so muss das in dem Sinne aufgefasst werden, dass eine in physiologischem Zustande befindliche und gut ausgeruhte Person bei einem gewissen Gewichte und bei dem constanten Rhythmus die gleiche Erm\u00fcdungscurve geben wird.\nFig. 18.\nWenn diese Person aber ein geringeres oder gr\u00f6sseres Gewicht heben soll, so wird sie eine andere Curve geben; andere Curven, wenn man den","page":107},{"file":"p0108.txt","language":"de","ocr_de":"108\nAngelo Mosso:\nRhythmus der (Jontractionen \u00e4ndert, und wieder andere, wenn die Person durch vorhergegangene Arbeit mehr oder weniger erm\u00fcdet ist.\nDie Erm\u00fcdungscurve ist also nicht constant, da eben ihr Charakter sowohl von \u00e4usseren Umst\u00e4nden wie Ver\u00e4nderung des Rhythmus und des Gewichtes, also auch von inneren Umst\u00e4nden, dem Ruhe- oder dem Erm\u00fcdungszustande des Muskels und der Nervencentren, von dem Ern\u00e4hrungszust\u00e4nde des Organismus u. s. w. abh\u00e4ngig erscheint.\nDie individuelle Best\u00e4ndigkeit der Curve bezieht sich nur darauf, dass die n\u00e4mliche Person unter gleichen Verh\u00e4ltnissen mit dem Ergographen dieselbe Curve verzeichnet, auch wenn die betreffenden Zeitr\u00e4ume voneinander entfernt sind.\nHier sehen wir indessen, dass die bei Dr. Aducco durch Reizung des Nerven erhaltenen Curven, w\u00e4hrend der Muskel ein kleines Gewicht hebt, in gerader Linie verlaufen, wie es schon Kronecker beobachtet hatte, w\u00e4hrend die durch directe Reizung des Muskels erhaltene Curve ein Profil besitzt, welches den willk\u00fcrlich erhaltenen Curven \u00e4hnelt.\nWenn man dagegen von dem Unterschiede im Werthe der gehobenen Gewichte absieht, so k\u00f6nnte die Form Ver\u00e4nderung der Curve von der Differenz in der St\u00e4rke des Reizes allein abh\u00e4ngen. AVir werden bald sehen, dass der Reiz, welcher beim Menschen die schwersten Gewichte heben l\u00e4sst, jener des Willens ist, und dass innerhalb der m\u00f6glichen Grenzen des Versuches keine elektrische Reizung einen so starken Tetanus erzielen kann; wir werden aber auch sehen, dass der Reiz des Willens sich daf\u00fcr ersch\u00f6pft.\nThats\u00e4chlich haben Kronecker und Tiegel1 an Froschmuskeln n\u00e4ch-gewiesen, dass schw\u00e4chere Reize einen steileren Erm\u00fcdungsabfall geben, als st\u00e4rkere. Remak, Bernard und Rosenthal2 haben gefunden, dass der gleiche elektrische Reiz eine st\u00e4rkere Wirkung auf den Muskel hat, wenn er dessen Nerven, als wenn er die Muskelsubstanz trifft. A. Fick3 hatte schon bei den Versuchen mit seinem Spannungszeiger am Menschen, beim M. abductor indicis beobachtet, dass durch elektrische Tetanisirung niemals derselbe Spannungsgrad zu erreichen ist, wie durch willk\u00fcrliche Erregung.\nDass der Wille f\u00fcr den Muskel ein st\u00e4rkerer Reiz ist, als jener der Inductionsstr\u00f6me, das sieht man in den pathologischen F\u00e4llen, wo in Folge einer Verletzung des Nerven auch die st\u00e4rksten elektrischen Erregungen\n1 E. Tiegel, Berichte der k\u00f6nigl. s\u00e4chsischen Gesellschaft der Wissenschaften. 1875. S. 97. Fig. 6.\na J. Bosenthal, Ueber die relative St\u00e4rke der directen und indirecten Muskelreizung. Moleschott\u2019s Untersuchungen. III. S. 185.\n3 A. Fick, Pfl\u00fcger\u2019s Archiv u. s. w. 1887. Hft. XLI. S. 188.","page":108},{"file":"p0109.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcbeb die Gesetze deb Erm\u00fcdung.\n109\nnoch keine Bewegung der Muskeln her vorrufen, w\u00e4hrend sie sich unter dem Einfl\u00fcsse des Willens zusammenziehen.\nEine weitere Schwierigkeit liegt darin, dass zwar tetanisirende Reize an Intensit\u00e4t, Zahl und Frequenz ganz gleich zu halten sind, nicht aber Willensreize, wie ich sp\u00e4ter zeigen will. Um wenigstens die Unterschiede betreffs des Gewichtes zu vermindern und Curven zu erzielen, in denen bei beiden Reizungsarten das Gewicht constant 1 oder 2kg betr\u00fcge, dachte ich die Nervencentren vorerst durch eine intensive Geistesarbeit zu erm\u00fcden. Wir werden im n\u00e4chsten Capitel sehen, dass sich in dieser Weise auch die Muskelkraft vermindert, ich hatte aber wenigstens den Vortheil, das Uebermaass an Energie durch die Willenskraft herabzusetzen.\nVon der Aehnlichkeit der Curve der willk\u00fcrlichen Erm\u00fcdung mit der Curve der Erm\u00fcdung durch elektrische Reizung des Nerven kann man sich leicht \u00fcberzeugen.\nFig. 19.\nEs gen\u00fcgt die Curve in Fig. 19 zu betrachten, welche am 2. August von Hrn. Maggiora erhalten wurde, w\u00e4hrend er willk\u00fcrlich mit dem Mittelfinger der linken Hand das Gewicht von 1000 \"riu in Ueberlastung","page":109},{"file":"p0110.txt","language":"de","ocr_de":"110\nAngelo Mosso:\nalle zwei Secunden hebt. Als nach zwei Stunden die linke Hand gut ausgeruht war, applicirten wir den tetanisirenden Strom auf den N. medianus.\nDie Reizst\u00e4rke betr\u00e4gt hier nur 1250, und das Gewicht 1000 \u00a3rm, trotzdem finden wir die Contractionen sehr hoch (Fig. 20); dies beweist, wie sehr die Widerst\u00e4nde hei verschiedenen Personen verschieden sind, und wie schwierig es ist, die Elektroden in const an ter Weise zu appliciren.\nFig. 20.\nNachdem wir gesehen hatten, dass die Erm\u00fcdungscurve einen charakteristischen individuellen Typus trage, dr\u00e4ngte sich der Gedanke auf, dass dies von der Natur der psychischen Th\u00e4tigkeit abh\u00e4nge, d. h. dass es eine centrale Erscheinung sei, welche in der Wirkung der Nervencentren ihre Erkl\u00e4rung findet. Die Erm\u00fcdungscurven Figg. 19 und 20, welche an Dr. Maggiora mit willk\u00fcrlichen Bewegungen und mit directer Reizung erhalten wurden und viele andere Versuche, die wir in der Folge besprechen werden, f\u00fchren uns hingegen zu der Annahme, dass die charakteristischen Erscheinungen ihren Sitz in der Peripherie haben, weil der Muskel auch dann seine besondere Erm\u00fcdungscurve giebt, wenn er ohne Mitwirkung des Willens erregt wird.\nWir berichten noch \u00fcber einen Versuch an Dr. Maggiora, um nachzuweisen, was geschieht, wenn man willk\u00fcrlich oder mittels indirecter Reizung des N. medianus oder durch directe Reizung des Muskels das gleiche Gewicht hebt. Die Curven in Figg. 21, 22 und 23 werden in Intervallen von zwei Stunden verzeichnet, um dem Muskel Zeit zur Erholung zu lassen.","page":110},{"file":"p0111.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Gesetze der Erm\u00fcdung.\n111\nFig. 21, Reizung des N. medianus, geschrieben mit der Reizst\u00e4rke von 1250 alle 2 Secunden und mit 3k\u00bb Ueberlastung, zeigt uns, dass die Er-m\u00fcdungscurve auch dann noch eine gerade Linie sein kann, wenn es sich um ein betr\u00e4chtliches Gewicht handelt.\nFig. 22 stellt die durch das Gewicht und im selben Rhythmus von 2 Secunden erzielte willk\u00fcrliche Curve dar, und Fig. 23 die Curve, geschrieben durch directe Erregung des Muskels und mit einer Reizst\u00e4rke von 3500. Reizintervall 2 Secunden.\nFig. 23.\nFig. 22.\nFig. 21.\nEs best\u00e4tigt sich, was schon Bernstein nachgewiesen, dass der direct gereizte Muskel fr\u00fcher erm\u00fcdet, als der indirect gereizte. Die Curve, welche man durch Reizung der Nerven erh\u00e4lt, ist l\u00e4nger und giebt eine gr\u00f6ssere Arbeit; ich werde auf diesen Umstand im n\u00e4chsten Capitel zur\u00fcckkehren.\nDie Erm\u00fcdungscurve bei den Muskeln des Menschen.\nDer zwischen H. Kronecker und L. Hermann1 bez\u00fcglich der Erm\u00fcdungscurve aufgetauchte Streit ist bekannt. Kronecker sagt in seiner Arbeit Ueber die Erm\u00fcdung und Erholung der quergestreiften Muskeln, dass die Erm\u00fcdungscurve des in gleichen Zeitintervallen, mit gleich starken (maximalen) Inductionsschl\u00e4gen gereizten, \u00fcberlasteten Muskels eine gerade\n1 L. Hermann, Handbuch der Physiologie. Bd. I. S. 74.","page":111},{"file":"p0112.txt","language":"de","ocr_de":"112\nAngelo Mosso:\nLinie ist. Gegen\u00fcber den von Tiegel1 best\u00e4tigten Resultaten Kronecker\u2019s sagt Hermann, dass er dagegen \u201esowohl bei gew\u00f6hnlicher als bei genauer Nachahmung des Tiegel\u2019schen Verfahrens stets diese Linie nach unten convex gekr\u00fcmmt fand.\u201c Rossbach und Harteneck fanden, dass die Erm\u00fcdungscurve des in gleichen Zeitintervallen durch seinen Nerven maximal gereizten, belasteten, aus dem Kreisl\u00e4ufe ausgeschaltenen Warmbl\u00fctermuskels eine gerade Linie ist, und durch die Versuche am blut-durchstr\u00f6mten Warmbl\u00fctermuskel erhielten Rossbach und Harteneck f\u00fcr den Gang der gesammten Erm\u00fcdung eine Linie, die sich mit concaver Kr\u00fcmmung Anfangs rascher, sp\u00e4ter langsamer der Abscisse n\u00e4hert.\nBei den am Menschen angestellten Untersuchungen habe ich gefunden, dass die Erm\u00fcdungscurve der Muskeln oft eine gerade Linie sein kann, oder eine Linie, die sich der geraden so sehr n\u00e4hert, dass es unm\u00f6glich w\u00e4re festzustellen, welcher Curve die Linie entspreche, die durch die H\u00f6hepunkte der Contractionen geht. Die Erm\u00fcdungscurven k\u00f6nnen durch eine gerade Linie in zwei verschiedenen Versuchsbedingungen dargestellt werden, n\u00e4mlich unter Verh\u00e4ltnissen, welche jenen \u00e4hneln, unter denen Kronecker experimentirte, ferner unter anderen Verh\u00e4ltnissen,\nIndem ich mich in die gleichen Verh\u00e4ltnisse versetzte, unter denen Kronecker an Fr\u00f6schen experimentirte, n\u00e4mlich, indem ich das Gewicht und den Reiz regelte, so dass der Muskel eine grosse Anzahl \u2014 nicht unter 100 \u2014 von Contractionen gab, erhielt ich oft beim Menschen Curven, welche in gerader Linie abstiegen. Es ist jedoch nicht leicht, diesen Gang der Erm\u00fcdung bei allen Personen zu beobachten, wenngleich es sich nur darum handelt, den richtigen Grad der Erregung und des zu hebenden Gewichtes zu finden, damit der Muskel langsam erm\u00fcde, indem er eine grosse Anzahl von Contractionen macht.\nDer K\u00fcrze halber berichte ich nur \u00fcber einen einzigen dieser Versuche, der auch in anderen Beziehungen interessant ist. Dr. Maggiora erh\u00e4lt auf den N. medianus die Oeffnungsschl\u00e4ge eines Inductionsstromes von der Reizst\u00e4rke 6500. Die Elektroden waren unten in der N\u00e4he des Ellbogens, aber entsprechend dem Nerven in der Weise angebracht, dass nach oben gegen die Achsel zu noch genug Raum blieb, die Oberarmarterie zu com-primiren. Der Mittelfinger hebt das Gewicht von 400 s\u2122 alle zwei Se-cunden. Die Fig. 24 wurde durch die Photographie auf die H\u00e4lfte re-ducirt.\nIn dem mit einem Pfeil bezeichneten Punkte A beginnt die Compression der Arterie, wobei der Radialpuls sofort verschwindet.\nWir sehen, dass gleich darauf die Contractionen an H\u00f6he zunehmen.\n1 Tiegel, Pfl\u00fcger\u2019s Archiv u. s. w. 1876. Bd. XII. S. 133.","page":112},{"file":"p0113.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Gesetze der Mttskelerm\u00fcdtjng.\n113\nDiese H\u00f6henzunahme der Contractionen kommt der Steigerung der Reizbarkeit zu, welche schon Ludwig und Alex. Schmidt an den mit k\u00fcnstlichem Kreislauf unterhaltenen Muskeln des Hundes beobachteten. Diese beiden Forscher dr\u00fccken sich wie folgt aus : \u201eIn dem ersten Stadium der Blutleere steigt die Reizbarkeit, die auch hier durch die Minimalzuckung bestimmt wurde, empor, und zwar zuweilen sehr merklich \u00fcber den Werth, den sie vor Beginn der Stromunterbrechung besessen hatte.\u201c\nWir sehen hier durch die Erregung des Nerven die n\u00e4mliche Thatsache best\u00e4tigt, welche Ludwig und Schmidt bei der directen Reizung des vom K\u00f6rper getrennten und dem k\u00fcnstlichen Kreislauf unterworfenen Muskels beobachteten.\nIm Punkte B setze ich mit dem Reize des Nerven aus, und, w\u00e4hrend die Blutleere des Armes anh\u00e4lt, ersuche ich den Dr. Maggiora die Beugemuskeln willk\u00fcrlich kr\u00e4ftig zusammen zu ziehen. Trotz allen Anstrengungen gelingt es ihm nicht, das Gewicht auch nur um ein Geringes zu bewegen. Nachdem er vier Mal umsonst seine Kraft versucht hatte, bitte ich ihn auszusetzen und ich beginne auf\u2019s Neue mit der Erregung, welche dieselben Contractionen wie vorher zur Folge hat.\nDie Tastempfindung war in den blutleeren Fingern zu dieser Zeit gut erhalten, soweit sich dies durch den Erfolg einfacher Ber\u00fchrungen feststellen liess. Die Blutleere scheint auf die nat\u00fcrlichen Innervationsvorg\u00e4nge \u00e4hnlich wie Curare zu wirken, wie ich dies schon fr\u00fcher in einer Arbeit mit Hrn. Prof. Guareschi1 gezeigt habe. Die Lebensbedingungen der Muskelsubstanz und der motorischen Nervenendigungen werden durch die Anaemie leichter gest\u00f6rt, als die Leitung schwacher Reize durch die Empfindungsnerven.\nIn C setze ich mit dem Reize aus und ersuche Dr. Maggiora neuerdings sich anzustrengen, allein der Wille bleibt erfolglos. Nachdem er vergebens vier Anstrengungen gemacht hatte, bedeute ich ihm inne zu halten und beginne aufs Neue mit der elektrischen Erregung des N. medianus. Dieselbe ist stets wirksam.\n1 Guareschi et Mosso, Les ptomaines. Archives italiennes de Biologie, t. II. p. 367.\nArchiv f. A. il Ph. 1890. PhysioL Abthlg.\n8\noi\nbo\nS","page":113},{"file":"p0114.txt","language":"de","ocr_de":"114\nAngelo Mosso:\nDiese Thatsache ist interessant, weil sie zeigt, wie die Circulationsunter-brechung fr\u00fcher eine Sch\u00e4digung des Nerven f\u00fcr die willk\u00fcrliche Reizung als f\u00fcr die k\u00fcnstliche Reizung erzeugt. Wahrscheinlich liefert dieser Versuch den Beweis f\u00fcr den tiefgehenden Unterschied, welcher zwischen der Wirkung des Willens und jener der elektrischen Erregung besteht, welch ersterem, wie stark er auch verm\u00f6ge seiner Natur dem elektrischen Reize gegen\u00fcber sei, es nicht gelingt, den Muskel zu erregen, w\u00e4hrend dies durch letzteren gelingt. Um den Verdacht auszuschliessen, dass die Hemmung des Willens von der Compression des Nerven abh\u00e4ngen k\u00f6nnte, habe ich diese Versuche wiederholt, indem ich die Elektroden h\u00f6her gegen die Achsel zu anlegte und die Compression tiefer unten vornahm. Wenn die Hemmung von der Compression des Nerven abhinge, h\u00e4tte nun nicht nur die Wirkung des Willens ausbleiben m\u00fcssen, sondern auch die des Nervenreizes, was aber nicht der Fall war.\nDiese Hemmung ist um so wichtiger, weil die H\u00f6he der Zusammenziehungen in BC gr\u00f6sser als beim Anf\u00e4nge des Versuches ist. Die normale Erregung des Muskels ist also durch die Blutleere verhindert, w\u00e4hrend sie im Muskel und peripherischen Nervenapparate ein Wachsen der Reizbarkeit und der Energie f\u00fcr k\u00fcnstliche Reizung bewirkt.\nWie beim Stenson\u2019schen Versuch verschwindet auch hier die indirecte Erregbarkeit vor der directen. Dr. Maggiora hat in der folgenden Abhandlung in Capitel VII die Wirkung der Anaemie auf die Erm\u00fcdungscurve studirt. Ich werde auf diese Frage mit neuen Untersuchungen zur\u00fcckkommen, weil der sogenannte Stenson\u2019sche Versuch f\u00fcr die Aufsuchung der Momente, welche die Erregbarkeit der Nerven und Muskeln w\u00e4hrend des Lebens unterhalten, sehr geeignet ist.\nDie H\u00f6he der Contractionen in Fig. 24 nimmt in gerader Linie langsam ab, im Punkte B h\u00f6rt die Compression der Arterie auf, der Radialpuls stellt sich wieder ein, die Hand err\u00f6thet leicht, allein die H\u00f6he der Contractionen kehrt erst nach einigen Minuten wieder auf ihren fr\u00fcheren Werth zur\u00fcck.\nDieser Versuch m\u00f6ge unter den vielen, die ich anf\u00fchren k\u00f6nnte, gen\u00fcgen, um zu zeigen, dass die H\u00f6he der Contractionen in der Erm\u00fcdung auch beim Menschen in gerader Linie absteigen kann, wie dies Kro-necker f\u00fcr die Froschmuskeln festgestellt hatte.\nAndere Male zeigt sich die gerade Linie unter Verh\u00e4ltnissen, die von denen, unter welchen Kronecker experimentirte, ganz verschieden sind,, n\u00e4mlich, w\u00e4hrend der Muskel sich ersch\u00f6pft und eine relativ kleine Anzahl von Contractionen macht. Ich will \u00fcber einen einzigen dieser F\u00e4lle berichten, und eine Curve bringen, die ich an mir selbst erhalten habe, indem ich ein Gewicht von 3kg alle zwei Secunden willk\u00fcrlich zuerst mit der linken","page":114},{"file":"p0115.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Gesetze der Erm\u00fcdung.\n115\nHand (Fig. 25) dann, nach einem Ruheintervall von zwei Stunden, mit der rechten Hand (Fig. 26) hob. Dieser Versuch, welcher angestellt wurde, um den Unterschied zu kennen, der zwischen den beiden H\u00e4nden besteht, gab stets das gleiche Resultat.\nIn Fig. 26 sieht man, dass die Contractionen, wie hei der linken Hand, progressiv in gerader Linie bis zu einem gewissen Punkte absteigen, und dass dann die Curve hyperbolisch verl\u00e4uft. Durch mich wie durch andere Personen kann das Gewicht von 3 ktr im Rhythmus von 2 Secunden unz\u00e4hlige\nFig. 26.\nFig. 25.\nMale gehoben werden; die kleine Ruhepause des Rhythmus ist schon ausreichend, um dem Muskel die Energie wiederzugeben, welche gen\u00fcgt, das Gewicht auf eine kleine H\u00f6he zu heben.\nW\u00e4hrend ich die Correctur dieser Bogen besorge, wiederhole ich noch einmal dieses Experiment und finde, dass die Curven, welche ich in der Zwischenzeit von drei Jahren mit der rechten und linken Hand erhalte, indem ich die gleiche Arbeit vollziehe, identisch sind mit den in Figg. 25 und 26 dargestellten. Die Gradlinigkeit meiner Erm\u00fcdungscurve gilt nur f\u00fcr mittlere Gewichte und f\u00fcr den Rhythmus von zwei Secunden. F\u00fcr kleinere wird sie S-f\u00f6rmig gebogen und f\u00fcr gr\u00f6ssere Gewichte nimmt meine Erm\u00fcdungscurve einen hyperbolischen Charakter an.\nFig. 27 zeigt meine Erm\u00fcdungscurve, erhalten 'bei directer Reizung der Muskeln durch einen inducirten Strom von der Intensit\u00e4t und Dauer des Reizes, welche S. 105 angegeben wurde. Der Mittelfinger hebt 500 ^rm Ueberlastung mit dem Rhythmus von zwei Secunden, Reizst\u00e4rke 3000. F\u00fcr gr\u00f6ssere Ueberlastungen wird die Kraft der Muskeln fr\u00fcher Null, und die Erm\u00fcdungscurve auch bei directer Reizung scheint gradlinig zu werden.","page":115},{"file":"p0116.txt","language":"de","ocr_de":"116\nAngelo Mosso:\nAus dem Vorstehenden ergiebt sich, dass die Ersch\u00f6pfung eine sehr complicirte Erscheinung ist, sodass, wenn auch manchmal die Erm\u00fcdungs-curve gradlinig ist, in dieser Gradlinigkeit, wie schon Hermann sagte, eine\n**->-\tFig. 27.\nAnzahl Zwischenfunctionen stecken, die unm\u00f6glich alle wirklich streng gradlinig sein k\u00f6nnen.1\nMein Bruder Dr. TJgolino Mosso, einige Studenten, Giorgo Mondo, der Diener meines Laboratoriums und einige Soldaten geben gleichfalls Curven, wie in Fig. 26, weil man die Muskelkraft nicht vollst\u00e4ndig ersch\u00f6pft, indem man mit dem Mittelfinger alle 2 Secunden 3k? hebt. Bei anderen Personen in \u00e4hnlichen Verh\u00e4ltnissen erscheinen Perioden gr\u00f6sserer oder geringerer Th\u00e4tigkeit. Das heisst, wer den Versuch macht, hat das Bewusstsein, stets mit der gleichen Kraft zu ziehen, und zwar trotzdem, dass es dabei Momente giebt, in welchen es nicht gelingt, das Gewicht zu bewegen und wieder andere, in welchen man es hebt; dies geschieht stufenweise derart, dass sich Perioden bilden, in welchen die Contractionen an H\u00f6he zu- oder ahnehmen oder ganz auf h\u00f6ren. Dr. Warren P. Lombard stu-dirte diese interessante Erscheinung der Erm\u00fcdungsperioden und wird die Forschungen, welche er in meinem Laboratorium gemacht, bald ver\u00f6ffentlichen.\nUm sich nun von den Variationen, welche die Erm\u00fcdungscurve der n\u00e4mlichen Personen darbietet, einen Begriff zu bilden, habe ich in Gemeinschaft mit Dr. Maggiora eine lange Reihe von Beobachtungen angestellt. Ausser den Collegen, die das Laboratorium besuchten, halfen uns bei diesem Studium bereitwillig einige Studenten der Medicin, sowie einige Soldaten, denen der Oberst des 81-er Regimentes erlaubte, auf\u2019s Laboratorium zu kommen.\n1 L. Hermann, Handbuch der Physiologie. Bd. I. S. 119.","page":116},{"file":"p0117.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Gesetze der Erm\u00fcdung.\n117\nEs sind dies Versuche, die oft Tage lang dauern, und wobei man die Er-m\u00fcdungscurve mit dem Ergographen alle 2 Stunden wiederholt. Ich werde die Curven dieser Experimente nicht bringen, wenngleich ich glaube, dass es nicht \u00fcberfl\u00fcssig w\u00e4re, die ganze Serie der w\u00e4hrend eines Tages gemachten Beobachtungen zu reproduciren. Dr. Maggiora wird sp\u00e4ter \u00fcber einige Serien dieser Versuche, insoweit sie sich auf die mechanische Arbeit beziehen, berichten. Ich will mich darauf beschr\u00e4nken, die Resultate dieser Beobachtungen summarisch mitzutheilen.\nEs giebt Personen, welche eine gr\u00f6ssere Anlage besitzen, eine regelm\u00e4ssige Serie von Curven sowohl mit der rechten als mit der linken Hand zu geben; bei anderen Personen ist die Arbeit unregelm\u00e4ssiger und gelingen die Curven weniger gleichf\u00f6rmig, insbesondere wenn Jemand das erste Mal mit dem Ergographen schreibt.\nUm d.en Vergleich zwischen der durch directe oder indirecte und willk\u00fcrliche Reizung erzielten Erm\u00fcdungscurven der Muskeln deutlicher hervorzuheben, habe ich mit dem Rhythmus von 2 oder 4 Secunden willk\u00fcrliche Contractionen geschrieben und zwischen je zwei derselben eine Reizung des Nerven oder des Muskels gemacht. Man erh\u00e4lt so abwechselnd willk\u00fcrliche und elektrische Erregungen, deren Erm\u00fcdungsreihen in einander geschrieben sind und sich auf dieselbe Abscissenaxe beziehen. Jede derselben hatte ihren eigenen charakteristischen Verlauf.\nDie Bestimmung der Curve der Muskelerm\u00fcdung beim Menschen ist eine wichtige Sache, da wir bisher \u00fcber die Natur der Processe, unter welchen die Energie der Muskeln, Nerven und Nervencentren sich ersch\u00f6pft und wieder herstellt, nur sehr wenig wissen.\nDie Linie, welche s\u00e4mmtliche Spitzen der Contractionen, die die Beugemuskeln der Finger successiv machen, verbindet, ist nur bei wenigen Personen eine Gerade, bei den meisten ist sie eine Curve mit der Convexit\u00e4t nach unten oder oben; seltener besteht eine doppelte Kr\u00fcmmung, sodass die Curve eine S-Form annimmt. Es giebt also keinen Grundtypus, welcher den Erm\u00fcdungsprocess, wie er bei den Muskeln des Menschen durch eine Reihe willk\u00fcrlicher Contractionen verl\u00e4uft, darstellen w\u00fcrde. Wir werden in der Folge sehen, dass sich das Profil der Erm\u00fcdungscurve durch viele Ursachen modificirt, und insbesondere je nach dem Gewichte, das der Muskel hebt und je nach dem Rhythmus, iu welchem er es hebt und schliesslich nach der vorgegangenen Erm\u00fcdung. Inzwischen haben wir bereits bemerkt, dass derselbe Muskel mit dem gleichen Gewichte und bei der n\u00e4mlichen Frequenz der Contractionen, stets dieselbe Curve giebt, oder doch eine Curve, die mit wenigen Ver\u00e4nderungen ein charakteristisches","page":117},{"file":"p0118.txt","language":"de","ocr_de":"118\nAngelo Mosso:\nund individuelles Bild darbietet. Die Erm\u00fcdungscurve ist die Resultante eines Complexes von Ursachen, welche auf die Muskeln, auf die Nerven-centren, auf den Kreislauf wirken, und die von der Zusammensetzung des Blutes und von der Gesammtresistenz des Organismus abh\u00e4ngen.\nDas psychische Phaenomen ist nicht der einzige Factor der charakteristischen Zeichen, welche die Erm\u00fcdungscurve darbietet. Wir m\u00fcssen annehmen, dass die Muskeln ihnen eigene Zust\u00e4nde von Reizbarkeit und von Energie besitzen, so dass sie sich unabh\u00e4ngig von der Reizbarkeit und Energie der Nervencentren ersch\u00f6pfen. Der Muskel ist kein blindes Werkzeug der Nerven, da sich diese seiner bedienen, ohne dass sie den Charakter seiner Contractionen und die charakteristische Art und Weise, die eigene Energie aufzuzehren, anders als in sehr beschr\u00e4nktem Maasse \u00e4ndern k\u00f6nnen.\nWie sehr complicirt der psychische Vorgang auch sein mgge, welcher einer Reihe von willk\u00fcrlichen Contractionen zum Ursprung dient, so m\u00fcssen wir doch annehmen, dass die Beschaffenheit des Muskels und seine Zustands\u00e4nderung gleich charakteristisch und wandelbar sind. Das wesentliche Resultat der mit dem Ergographen ausgef\u00fchrten Forschungen, welches wir noch mit gr\u00f6sserer Deutlichkeit bei den folgenden Versuchen und bei jenen des Dr. Maggiora sehen werden, besteht darin, dass wir viele charakteristische Erscheinungen der Erm\u00fcdung, die wir fr\u00fcher centralen Ursprungs und essentiell an die Functionen der Nervencentren gebunden dachten, nun auf die Peripherie und auf die Muskeln \u00fcbertragen m\u00fcssen.\nBeschreibung des Ponometers.\nJ edermaun weiss aus eigener Erfahrung, dass, wenn wir die n\u00e4mliche Muskel\u00fcbung viele Male wiederholen, die Anstrengung der ersten Contractionen von den letzten, zur Zeit, wo wir zu erm\u00fcden beginnen, sehr verschieden ist. Auch wenn mau mit dem Ergographen arbeitet, f\u00fchlt man, als ob das Gewicht immer schwerer w\u00fcrde, und mit der Erm\u00fcdung w\u00e4chst die Nervenerregung, welche sich anderen Muskeln, die nicht in Th\u00e4tigkeit treten durften, mittheilt. Zuerst contrahiren sich die Gesichtsmuskeln, dann gesellen sich ihnen jene der Gliedmaassen und des Rumpfes hinzu. Der Kreislauf alterirt sich samrnt der Athmung und die Schweissabsonderung wird reichlich. Ich suchte die Curve zu verzeichnen, in welcher die Nerven-anstrengung mit der Erm\u00fcdung w\u00e4chst; im Folgenden theile ich das Resultat mit. Der Apparat, dem ich den Namen Ponometer1 oder Er-\n1 Ponometer von nov\u00e9a, ich strenge mich an, und [lergoi* Manss.","page":118},{"file":"p0119.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Gesetze der Erm\u00fcdung.\n119\nm\u00fcduiigsmesser gab, ist in Fig. 28 dargestellt. Er bestellt aus einer 40em langen, llcra breiten und lcm starken Eisenplatte AB. In der Mitte stebt unbeweglich die Metalls\u00e4ule C, welche gabelf\u00f6rmig ausl\u00e4uft und die Stahlstange DE h\u00e4lt, die sich in C um eine horizontale Axe dreht wie\nFig. 28.\nder Balken einer Wage, und einen doppelarmigeu Hebel bildet. Das Ende dieser Hebelstange E tr\u00e4gt das 4 k\"rm schwere Gewicht II, welches man auf der Stange ED hin und her bewegen und mittels einer seitlichen Schraube in einem beliebigen Punkte feststellen kann.\nDer arbeitende Finger muss dieses Gewicht heben. Eine zweite Gabel G ist beweglich und l\u00e4sst sich in dem Canale, welcher in der Eisenplatte angebracht ist, verschieben und soweit als m\u00f6glich in die N\u00e4he des Gewichtes II bringen, um es zu st\u00fctzen. Ein St\u00fcck Kautschuk am Fusse der Gabel G dient dazu, den Stoss und das Ger\u00e4usch des fallenden Gewichtes zu d\u00e4mpfen.\nUm das Gewicht H zu heben, bediene ich mich eines dreiarmigen Hebels m no, welcher in Fig. 28 durch ein T-f\u00f6rmiges Metallst\u00fcck dargestellt wird, das aber auch einfach ein rechtwinkliges Eisenst\u00fcck sein k\u00f6nnte. An dem Ende o wird die Schnur befestigt, woran der Finger zieht. Es gen\u00fcgt die Fig. 29, wo der Apparat f\u00fcr ein Experiment vorbereitet erscheint, der Fig. 28 gegen\u00fcberzustellen, um zu verstehen, wie der dreiarmige Hebel functionirt.\nAn dem Ende in befindet sich ein abgekanteter Zapfen, welcher durch eine Feder beweglich ist. Es ist dies eiue Vorrichtung \u00e4hnlich jener, wie man sie bei den Th\u00fcrschl\u00f6ssern findet, die man mit einem einfachen Drucke schliesst. Sowie der Mittelfinger aufh\u00f6rt an der Schnur zu ziehen, gelangt der rechtwinkelige Hebel aus der in Fig. 28 ersichtlichen Stellung in jene durch Fig. 29 angezeigte; denn die Spiralfeder P zieht den genannten","page":119},{"file":"p0120.txt","language":"de","ocr_de":"120\nAngelo Mosso:\nHebel an sich und durch das Zur\u00fcckschnellen wird der erw\u00e4hnte Zapfen \u2014 wie in Fig. 29 ersichtlich \u2014 mit einem Schlage geschlossen. Man begreift leicht, dass der Apparat auf diese Weise neuerdings zur Th\u00e4tigkeit bereit wird. Ich habe den Hebel in der Winkelform mno construirt, weil\nFig. 29.\nich anstatt einer Spiralfeder, der gr\u00f6sseren Genauigkeit halber, in n ein Gewicht in Anwendung brachte; doch ist der Unterschied hiebei so klein, dass eine Feder der Bequemlichkeit halber vorzuziehen ist.\nWenn man nun die Schnur des Apparates anzieht, wie dies in Fig. 29 dargestellt erscheint, so wird die Muskelkraft nur w\u00e4hrend eines Theiles der Contractionsdauer wirken, und zwar nur zu Beginn derselben. Wir haben es wie mit -zwei Kreisen zu thun: der eine wird durch den rechtwinkeligen Hebel, der andere durch den Doppelhebel, welcher das Gewicht U tr\u00e4gt, gegeben; in dem Augenblicke, in welchem die Ber\u00fchrung zwischen dem Zapfen m und dem Punkte B, der das Gewicht h\u00e4lt, aufgehoben wird, wird der Muskel, indem er sich zu contrahiren fortf\u00e4hrt, leer arbeiten. Eine besondere Schraubenvorrichtung gestattet es, den Zapfen m zu verl\u00e4ngern oder zu k\u00fcrzen, damit die Ber\u00fchrung mit der Stange B l\u00e4ngere oder k\u00fcrzere Zeit andauere. Man ist auf diese Weise leicht in der Lage, die Zeitdauer zu verl\u00e4ngern oder zu k\u00fcrzen, w\u00e4hrend welcher die \u00dfeugemuskeln der Finger ein Gewicht heben, dessen Gr\u00f6sse man durch Bewegen der Masse H auf der Stange ECB regelt. Der Muskel arbeitet also mit diesem Apparate nur zu Beginn der Contractionen und wir verzeichnen ausser dem Nutzeffecte auch die Beweguug, die der Muskel mit leerem Gang macht, wenn ihm das Gewicht, das er hebt, pl\u00f6tzlich fehlt.","page":120},{"file":"p0121.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Gesetze der Erm\u00fcdung.\n121\nFis. 30.\nFig. 30 zeigt eine von Dr. Aducco mit diesem Apparate geschriebene Curve, w\u00e4hrend er im Rhythmus von 2\" ein Gewicht von 4kg hebt. Das Profil der Curve verl\u00e4uft im entgegengesetzten Sinne, wie die mit dem Er-gographen geschriebenen Curven, wenngleich dieselbe, wie alle anderen, von rechts nach links geschrieben worden ist. Die Linie mn zeigt den Punkt an, bis zu welchem der Mittelfinger das Gewicht von 4kg hebt; der Theil der Curve, welcher sich oberhalb der Linie mn befindet, zeigt die H\u00f6he der entlasteten leeren Contractionen.\nWir sehen, dass der nach Aufh\u00f6ren der Belastung vom Finger durchlaufene Raum im Beginne kleiner und zuletzt, wenn der Muskel erm\u00fcdet, beil\u00e4ufig dreimal so gross ist als die Hebung des Gewichtes. Die einfachste Art, diese Thatsache zu erkl\u00e4ren, w\u00e4re, wie ich glaube, anzunehmen, dass der Nervenreiz, den man zu einem Muskel entsendet, viel gr\u00f6sser ist, wenn der Muskel erm\u00fcdet, als wenn er ausgeruht ist, und dass der ersch\u00f6pfte Muskel, wegen der ver\u00e4nderten Intensit\u00e4t der Processe, von denen die Contraction abh\u00e4ngt, nicht mit derselben Leichtigkeit in der Bewegung inne halten kann, wenn er pl\u00f6tzlich entlastet wird.\nFig. 31 stellt ein gleiches Experiment des Dr. Maggiora dar, w\u00e4hrend derselbe alle 3\" ein Gewicht von 5kg hebt. Die Figur ist auf 1/3 ihrer urspr\u00fcnglichen Gr\u00f6sse verkleinert. Auch hier ist die leere Bewegung anfangs klein und w\u00e4chst dann mit der Erm\u00fcdung; interessant ist es, dass wir auch hier zwei verschiedene Curven haben, wie wir es bereits bei den Versuchen mit dem Ergographen bemerkten. Beim Dr. Maggiora wird die Curve des Wachsthums der Nervenanstrengung durch eine fast gerade Linie dargestellt.\nDiese Curven zeigen, mit jener des Ergographen verglichen, dass, w\u00e4hrend die durch den Muskel geleistete mechanische Arbeit zur Abnahme neigt, die Nervenanstrengung und die Intensit\u00e4t der Processe, welche die Contraction hervorrufen, progressiv wachsen. Die einfachste Deutung dieses Versuches ist, dass der erm\u00fcdende Muskel eines kr\u00e4ftigeren Nervenreizes ben\u00f6thigt, um sich zusammenzuziehen.\nDonders und van Mansveit hatten schon am Menschen gesehen,","page":121},{"file":"p0122.txt","language":"de","ocr_de":"122\nAngelo Mosso:\ndass beim Halten eines Gewichtes auf bestimmter H\u00f6he der Arm nach pl\u00f6tzlicher Entlastung um so weiter emporschnellt, je l\u00e4nger der Tetanus gedauert hat, woraus sie schliessen, dass der Contractionsgrad zur Unter-\nFig. 31.\nhaltung einer constanten Leistung best\u00e4ndig zunehmen muss, oder mit anderen Worten, dass die Erm\u00fcdung den Contrahirten Muskel dehnbarer macht.\nUm zu erkennen, welches der centrale und welches der peripherische Theil dieses Phaenomens sei, dachte ich die Erm\u00fcdungscurve mittels des\nPonometers zu schreiben, w\u00e4hrend ich den N. me-dianus reizte. Fig. 32 stellt die mit dem Mittelfinger von Dr. M a g g i o r a geschriebene Curve dar, w\u00e4hrend er mit dem Po-nometer 1ks hob und den N. medianus durch eineu tetanisirenden Induc-tionsstrom bei einem Rollenabstande = 2250 und mit denselben Bedingungen, welche schon auf Fig. 32.\t\u00b0\t\u2019","page":122},{"file":"p0123.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Gesetze der Erm\u00fcdung.\n123\nS. 105 angegeben wurden, gereizt wird. Man sieht, dass die H\u00f6he der Contractionen mit leerem Gang stufenweise abnimmt.\nZuletzt gelingt es der Contraction der Beugemuskeln nur noch ausnahmsweise das Gewicht \u00fcber die Linie MN zu heben, \u00fcber welche hinaus der Muskel leer arbeitet. Man sieht vier ungen\u00fcgende Contractionen, welche die best\u00e4ndig abfallende Erm\u00fcdungsreihe unterbrechen.\nEine andere uns interessirende Thatsache ist, dass mit dem Sinken der Contractionsli\u00f6he die Fusspunkte der Contractionen emporgehen, und dass die H\u00f6he der Contractionen mit der Erm\u00fcdung abnimmt, wenngleich der tetanisirende Reiz \u00fcber die Curve MN hinaus und bis an\u2019s Ende der h\u00f6chsten Contractionen andauert.\nBei diesem Versuche w\u00e4re nach der Lehre von Weber und Volkmann eine Abnahme der Muskelelasticit\u00e4t zu erwarten gewesen, wodurch der Muskel dehnbarer geworden w\u00e4re, und wir sehen hingegen, dass die Elasticit\u00e4t gewachsen ist. Es ist doch wahrscheinlicher, dass die elektrische Reizung der Nerven eine Contracta des Muskels hervorruft, und wir werden dies n\u00e4chstens deutlicher sehen.\nAllenfalls erscheint es in Folge dieses Versuches sehr wahrscheinlich, dass der Unterschied zwischen der mit dem Ponometer willk\u00fcrlich geschriebenen, aufsteigenden, und der durch Reizung des Nerven mittels eines elektrischen Stromes verzeichneten absteigenden Curve, durch den wachsenden Nervenreiz hervorgerufen werde, welchen die Centren zu dem Muskel entsenden, je schwieriger die materiellen Bedingungen der Contraction f\u00fcr den Erm\u00fcdungsprocess werden.\nDie Erm\u00fcdung der Nervencentren.\nDie bedeutenden Schwierigkeiten, welche sich dem Studium der Ner-venerm\u00fcdung entgegenstellen, sind bekannt.1 Doch ist die Frage von solcher Wichtigkeit, dass ich nicht umhin konnte, mich mit ihr zu befassen, umsomehr, als es leicht ist, mittels des Ergographen die Arbeit zu erkennen, welche die Muskeln vollziehen, wenn sie willk\u00fcrlich gereizt werden, sowie wenn man sie durch directe oder indirecte Erregung sich zusammenziehen macht, Mittels des Willens k\u00f6nnen wir eine gr\u00f6ssere Kraft aus\u00fcben, und Maximalgewichte heben, aber die Arbeitsf\u00e4higkeit ersch\u00f6pft sich bald und der Willenreiz wird unwirksam, w\u00e4hrend man durch elektrische Nerven-reizung die Muskeln lange in Th\u00e4tigkeit h\u00e4lt.\n1 Ch. Eichet, Physiologie des muscles et des nerfs, p. 722.","page":123},{"file":"p0124.txt","language":"de","ocr_de":"124\nAngelo Mosso:\nDie Abnahme der Leistungsf\u00e4higkeit bei der Erm\u00fcdung h\u00e4ngt nicht nur von muscul\u00e4ren Ver\u00e4nderungen ab. Es ist schon bekannt, dass wir die Anstrengung von der Arbeit unterscheiden m\u00fcssen: und ich glaube, dass bei jeder Anstrengung noch zwei Theile zu unterscheiden sind \u2014 die centrale oder Nervenanstrengung \u2014 und die peripherische oder Muskelanstrengung. Wenn es mir gestattet ist, der K\u00fcrze halber einen Ausspruch, dessen Beweise sp\u00e4ter folgen werden, vorauszusenden, so w\u00fcrde ich sagen,\nFig. 33.\ndass der grosse Unterschied, den wir zwischen der willk\u00fcrlichen und der durch elektrische Erregung der Nerven vollzogenen mechanischen Arbeit finden, von der Erm\u00fcdung der Nervencentren abh\u00e4ngt, welche bei der in-directen Contraction fehlt. Wahrscheinlich wird die rasche Ersch\u00f6pfung des Willens dadurch bewirkt, dass die Anstrengungen der Nervencentren gr\u00f6sser sind, als f\u00fcr die mechanische Arbeit, welche der Muskel vollbringen muss, n\u00f6thig ist.\nUm den Unterschied zwischen der willk\u00fcrlichen Contraction und der k\u00fcnstlich mittels der elektrischen Str\u00f6me erhaltenen deutlicher zu kennen, habe ich den folgenden Versuch (Fig. 33) gemacht.","page":124},{"file":"p0125.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Gesetze der Erm\u00fcdung.\n125\nIch applicire dem Dr. Maggiora auf den N. medianus den st\u00e4rksten elektrischen Reiz, welchen er ertragen kann. Rollenabstand gleich 2000. Der Mittelfinger der linken Hand hebt 2500 grm, Ueberlastung, Reizintervall 2 Secunden. Unter diesen Verh\u00e4ltnissen erhalte ich vom frischen Muskel die Curve E (Fig. 33). Wenn der Muskel ersch\u00f6pft ist, h\u00f6rt der elektrische Reiz auf, und es beginnen die Maximalanstrengungen des (Willens. Auf diese Weise erh\u00e4lt man die Curve V. Nachdem der Muskel willk\u00fcrlich ersch\u00f6pft ist, reize ich den N. medianus auf\u2019s Neue mittels des gleichen Stromes wie vorher und erhalte ganz schwache Erhebungen E. Man beginnt noch einmal mit dem Willen und erh\u00e4lt nach einer Zusammenziehung fast Nichts mehr, V.\nUm nun den Verdacht auszuschliessen, dass der willk\u00fcrliche Reiz viel st\u00e4rker sei als der elektrische, muss man die Reihenfolge des Versuches umkehren und, nachdem der Muskel ausgeruht ist, zuerst mit dem Willen beginnen. Um nicht zu viel Zeit zu verlieren und so den Elektroden Gelegenheit zu geben, sich zu verr\u00fccken, bediene ich mich der Massage. Man entfernt den Arm vom Ergographen und massirt den Vorderarm durch 10 Minuten, indem man Acht giebt, die Elektroden nicht zu verr\u00fccken. Mittels dieser Massage stellt man den Muskel von der Erm\u00fcdung wieder her, wie wir es in der Folge in der Abhandlung des Dr. Maggiora, Capitel XI, besser sehen werden.\nDie Curve der Fig. 34 beginnt 12 Minuten nachdem die letzten Con-tractionen der vorhergehenden Figur aufh\u00f6rten. Man hebt mit willk\u00fcrlichen Zusammenziehungen dasselbe Gewicht im gleichen Rhythmus. Wenn der Muskel ersch\u00f6pft ist (wir werden bald sehen, dass es richtiger w\u00e4re, zu sagen, wenn die Wirkung des Willens auf den Muskel ersch\u00f6pft ist), beginnt man mit der Reizung des N. medianus mittels des maximalen Reizes von vorher, und man erh\u00e4lt noch vom Muskel eine bemerkenswerthe Arbeitsmenge, welche durch Curve E dargestellt wird (Fig. 34). Hierauf erzielt der Wiljie nach einer Zusammenziehung nichts mehr und die elektrische Erregung ergiebt minimale H\u00fcbe des Gewichtes. Der elektrische Reiz ist so schmerzhaft, dass man mit dem Versuche auf h\u00f6ren muss.\nAus diesen Versuchen (Figg. 33 und 34) ersieht man, dass der bis zur Ersch\u00f6pfung der Muskelkraft fortgesetzte tetanisirende elektrische Reiz in dem Muskel noch einen Rest von Energie bel\u00e4sst, welcher von dem Willen ausgenutzt werden kann, und dass hinwiederum der Wille einen Rest von Kraft zur\u00fcckl\u00e4sst, welcher von der Elektricit\u00e4t ausgenutzt und in Th\u00e4tigkeit gesetzt wird, und ferner, dass, wenn diese Reize einer nach dem anderen th\u00e4tig sind, sie die ganze Muskelkraft ersch\u00f6pfen, gleichviel welcher der beiden den Vor tritt hatte.","page":125},{"file":"p0126.txt","language":"de","ocr_de":"126\nAngelo Mosso:\nEs ist m\u00f6glich, dass der elektrische Reiz auf andere Art, als der Wille auf den Muskel wirke, n\u00e4mlich, dass der Vorgang der nat\u00fcrlichen und k\u00fcnstlichen Contraction bez\u00fcglich der feineren Processe, welche in den Muskelfasern verlaufen, verschieden ist; mir scheint aber, dass sich die\nFig. 34.\nsoeben gebrachten Curven viel leichter erkl\u00e4ren lassen, wenn man annimmt, dass sich die Energie der Nervencentren ersch\u00f6pfe.\nIn Fig. 33 haben wir zuerst die Muskelkr\u00e4fte mittels eines elektrischen Reizes ersch\u00f6pft, und alsdann kam der Wille hinzu, und da derselbe ein st\u00e4rkerer Reiz ist, so erhielt man vom Muskel eine Reihe von Contractionen, welche der gereizte Nerv nicht mehr erzielen konnte. Im zweiten Falle, Fig. 34, ersch\u00f6pfte sich der Wille, wie es gew\u00f6hnlich geschieht, bevor noch der Muskel die ganze Energie, deren er f\u00e4hig ist, abgegeben hatte.\nDie Erm\u00fcdung der Nervencentren wird deutlicher in dem folgenden Versuche, wo ich die Muskelkraft durch die auf den Nerv applicirten Erregungen nicht ersch\u00f6pft habe, um zu sehen, was im Centrum ge-","page":126},{"file":"p0127.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Gesetze der Erm\u00fcdung.\t127\nschieht, wenn ich, ohne den Muskel ausruhen zu lassen, dem Nerven-centrum Zeit zur Erholung von den vollbrachten Anstrengungen gab.\nDr. Aducco hebt mit dem Mittelfinger ein Gewicht von 3k* in Ueberlastung. Man versucht den gr\u00f6sstertr\u00e4glichen elektrischen Reiz des N. medianus. Rollenabstand 1250. Mit diesem Reize schreibt man eine Reihe von Contractionen. Reizintervall zwei Secunden. Dr. Aducco macht\nFig. 35.\nhierauf eine Reihe willk\u00fcrlicher Contractionen. In Fig. 35 V ist solche Erm\u00fcdungscurve dargestellt. Wir sehen in dieser Curve, wie in Fig. 10, dass die ersten 4 oder 5 Zusammenziehungen rascher abfallen als die folgenden, sodass eine kleine Kr\u00fcmmung mit der Convexit\u00e4t gegen die Abscisse entsteht. Diese charakteristische S-f\u00f6rmige Biegung wird bei jeder neuen Reihe der Zusammenziehungen zum Vorschein kommen. \u2014 In dem Punkte E, wo der Muskel willk\u00fcrlich nur mehr schwache Contractionen giebt, Teize ich den N. medianus. Um nun dem Willen Zeit zur Erholung zu lassen, arbeitet der Muskel w\u00e4hrend 30 Secunden mittels der elektrischen Erregung von 1250. Wenn der Nerv eine Zeit lang mit maximalem Reize gearbeitet hat, geht man wieder zum fr\u00fcheren willk\u00fcrlichen Reiz zur\u00fcck (Fig. 36). Die Zusammenziehungen, welche die Muskeln jetzt zeichnen, sind achtmal h\u00f6her als die letzten Zusammenziehungen des maximal elektrischen Reizes. Die Curve der willk\u00fcrlichen Bewegungen V (Fig. 36) beginnt genau so wie vorher, indem sie ein kleines S beschreibt. Ich lasse den Cylinder in Bewegung und mache alsdann in E eine andere elektrische Reizung. W\u00e4hrend diesen drei k\u00fcnstlichen Zusammenziehungen hat sich der Muskel schon erholt und giebt eine normale S-f\u00f6rmige Curve V mit dem Willen.","page":127},{"file":"p0128.txt","language":"de","ocr_de":"Fig. 36.\n128\nAngelo Mosso:\nIch wiederhole noch dreimal das Experiment in EVEF, und stets sehen wir dieselbe Erh\u00f6hung der Muskelzusammenziehungen nach einer Reihe von indirecten maximalen Reizungen.\nAus diesem Versuche erscheint der centrale Antheil der Erm\u00fcdung deutlich. Wir lassen den Muskel sich nicht erholen, da wir ihn mittels des auf den Nerven applicirten maximalen elektrischen Reizes in Contraction halten. In dieser Zwischenzeit aber erholt sich der Wille, und wenn er wieder in Th\u00e4tigkeit tritt, macht er den Muskel kr\u00e4ftiger sich contrahiren.\nWir k\u00f6nnen dem Willen Zeit lassen sich zu erholen, w\u00e4hrend der Muskel mittels der elektrischen Erregung zu arbeiten fortf\u00e4hrt, aber das entgegengesetzte Phaenomen tritt nicht ein, d. h. w\u00e4hrend der Muskel willk\u00fcrlich arbeitet, rehabilitirt er sich nicht wieder f\u00fcr den Nervenreiz, und wenn die willk\u00fcrliche Arbeit aufh\u00f6rt und man mit den elektrischen Erregungen beginnt, so sieht man, dass diese kleinere Contractionen geben als vorher. Es ist dies also keine Erscheinung, welche sich mit den schon von Kronecker undTiegel bei den blutlosen Praeparaten gemachten Beobachtungen in Zusammenhang bringen liesse, n\u00e4mlich, dass w\u00e4hrend der Muskel bei irgend einem untermaximalen Reiz arbeitet, er sich f\u00fcr jeden gr\u00f6sseren Reiz erholt, mag derselbe maximal oder untermaximal sein.1\n1 Tiegel, Berichte der s\u00e4chsischen Gesellschaft der Wissenschaften. 1875. S. 99.","page":128},{"file":"p0129.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Gesetze der Erm\u00fcdung.\n129\nEs handelt sich hier, aller Wahrscheinlichkeit nach, um eine Erholung, welche in den Nervencentren erfolgt, wenn der Wille keine Anstrengung macht.\nEinfluss der psychischen Erm\u00fcdung auf die Muskelkraft.\nNachdem ich beobachtet hatte, dass bei der Muskelarbeit auch die Nervencentren erm\u00fcden, interessirte es mich zu wissen, ob eine intensive Geistesarbeit auf die Muskelkraft einen Einfluss habe, oder mit anderen Worten, ob die Erm\u00fcdung der psychischen Centren des Gehirns unmittelbar auf die motorischen Centren desselben wirken k\u00f6nne.\nDie bez\u00fcglichen Versuche vollf\u00fchrte ich nach verschiedenen Methoden; besonders gute Resultate erzielte ich aber mit der Erm\u00fcdung, welche man beim Abhalten der Pr\u00fcfungen erleidet. Ich beschr\u00e4nke mich darauf, die an Dr. Maggiora gemachten Versuche zu bringen, welche so \u00fcberzeugend sind, dass jedes andere Beweismittel \u00fcberfl\u00fcssig w\u00e4re. Ich muss hier einige Erl\u00e4uterungen vorausschicken, um die Bedingungen, unter denen die Versuche ausgef\u00fchrt' wurden, begreiflich zu machen.\nAn den italienischen Universit\u00e4ten muss jeder Lehrer in seinem Gegenst\u00e4nde eine besondere Pr\u00fcfung abhalten, welche f\u00fcr jeden Studenten wenigstens 20 Minuten dauert. Die Pr\u00fcfungen werden zweimal im Jahre abgehalten, und zwar Anfangs Juli und Ende October. An den grossen Universit\u00e4ten, wie in Turin, bilden diese Pr\u00fcfungen eine der erm\u00fcdendsten Arbeiten der Professoren, da jeder Curs mehr als 100 Studenten z\u00e4hlt und jeder Professor oder Lehrer gew\u00f6hnlich Mitglied von zwei Pr\u00fcfungscommissionen ist. Dr. Maggiora pr\u00fcfte in Hygiene, da er als Privatdocent in diesem Jahre den Professor L. Pagliani suppliren musste, welcher nach Rom als General-Director des Landes-Sanit\u00e4tsamtes berufen ward. Prof. G. Bizzozero und Dr. Soave waren Mitglied dieser Pr\u00fcfungscommission. Ich f\u00fcge noch hinzu, dass das physiologische Laboratorium ganz nahe der Universit\u00e4t ist.\nSchon vom ersten Tage der Pr\u00fcfungen an bemerkte ich, dass die Muskelkraft des Dr. Maggiora vermindert war. Die gleichzeitig an mir selbst gemachten Untersuchungen gaben nicht gleich deutliche Resultate wie beim Dr. Maggiora, wenngleich man auch bei mir nach den Pr\u00fcfungen eine kleine Abnahme der Kraft bemerken konnte.\nDer K\u00fcrze halber werde ich nicht alle Beobachtungen mittheilen, welche ich an Dr. Maggiora gemacht habe, und unterlasse \u00fcber die erste Periode zu berichten, in welcher die Abnahme der Kraft so evident war, dass wir um nicht zu kurze Curven zu erhalten, das Gewicht von drei Kilogramm auf zwei vermindern mussten.\n\u00c2rchir f. A. u. Ph. 1890. Physiol. Abthlg.\t9","page":129},{"file":"p0130.txt","language":"de","ocr_de":"130\nAngelo Mosso:\nAm 9. Juli schreibt Dr. Maggiora willk\u00fcrlich die Curve 1 in Fig. 37, indem er mit dem Mittelfinger der linken Hand 2hebt. Es erfolgen 55 Contractionen, welche von der H\u00f6he von 45 mm der dritten und vierten bis zu Null fast in gerader Linie absteigen. Ich reproducire nicht die\nFig. 37.\nCurve von 8 Uhr Vormittags, da sie fast gleich ist. Um 2 Uhr Nachmittags beginnen die Pr\u00fcfungen in Hygiene. Dr. Maggiora pr\u00fcft 11 Studenten, was einer intensiven Geistesarbeit von 31/2 Stunden ohne Unterbrechung entspricht. Man begreift, dass ausser der M\u00fche fortw\u00e4hrend fragen und die Pr\u00fcfung leiten zu m\u00fcssen, auch die Gem\u00fcthserregung hinzukommt, die ganze Verantwortung des eigenen Unterrichtes zu f\u00fchlen und sich von den maassgebenden Collegen, welche als Mitglieder der Pr\u00fcfungscommission anwesend waren, beurtheilt zu wissen.\nSofort nach beendigter Pr\u00fcfung kommt Dr. Maggiora in\u2019s Laborato-torium und um 5 Uhr 45 Minuten schreibt er unter den n\u00e4mlichen Verh\u00e4ltnissen wie fr\u00fcher die Curve 2 der Fig. 37, wo wir sehen, dass sich die Leistungsf\u00e4higkeit des Muskels ausserordentlich verringert hat. Die erste Contraction ist noch stark, aber die folgenden nehmen an H\u00f6he rasch ab, und nach 9 Contractionen ist die Energie des Muskels bereits vollkommen ersch\u00f6pft. Es ist fast unn\u00f6thig hinzuzuf\u00fcgen, dass Dr. Maggiora darauf achtete, sich der linken Hand nur w\u00e4hrend der Versuche zu bedienen, um","page":130},{"file":"p0131.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Gesetze der Erm\u00fcdung.\n131\nsie nicht zu erm\u00fcden. Um 6 Uhr geht er zum Speisen und um V/2 Uhr kehrt er in\u2019s Laboratorium zur\u00fcck, um die Curve 3 zu schreiben, und dann kehrt er noch einmal um 9 Uhr zur\u00fcck, um die Curve 4 zu schreiben.\nWenn man diese grosse Verminderung der Muskelkraft in Folge einer Arbeit des Gehirns sieht, so ist der erste Gedanke, der Einen bef\u00e4llt, dass die Erm\u00fcdung eine centrale sei, und dass der Wille nicht mit gleicher Kraft auf die Muskeln wirken k\u00f6nne, weil die Erm\u00fcdung der psychischen Centren sich den motorischen Centren mittheile. Der folgende Versuch wird beweisen, dass die Sache viel complicirter ist, weil man dasselbe Resultat erh\u00e4lt, wenn man die Nervencentren ausschliesst und den N. medianus oder direct die Beugemuskeln reizt.\nFig. 38.\nFig. 38 stellt die am folgenden Tage mit dem Mittelfinger der linken Hand geschriebene Curve dar, w\u00e4hrend derselbe 500grm Ueberlastung h\u00e4lt. Reizst\u00e4rke des du Bois-Reymond\u2019schen Schlittenapparates = 4250; der Inductionsstrom war auf die Beugemuskeln in der S. 105 beschriebenen Weise applicirt. Reizintervall zwei Secunden. Die erste Curve wird Vormittags 9 Uhr geschrieben. Um 11 Uhr Vormittags schreibt er eine weitere, welche ich nicht reproducire, weil sie der ersteren \u00e4hnlich ist. Um 2 Uhr beginnt Dr. Maggi or a mit den Pr\u00fcfungen und nimmt deren zw\u00f6lf vor. Sofort nach Beendigung derselben schreibt er um 5 Uhr 30 Secunden die Curve 2 der Fig. 38. Auch hier sehen wir die Muskelkraft vermindert; anstatt der 53 Contractionen von Vormittag macht er nach den Pr\u00fcfungen nur 12. Um 6 Uhr 30 Minuten geht er zum Speisen, um 7 Uhr\n9*","page":131},{"file":"p0132.txt","language":"de","ocr_de":"132\nAngelo Mosso:\nschreibt er die Curve 3. Die Erm\u00fcdung ist also keine centrale, sondern eine peripherische. Es ist nicht der Wille, es sind nicht die Nerven allein, auch der Muskel ist es, welcher in Folge einer intensiven Arbeit des Gehirns ersch\u00f6pft ist. Diese Thatsache bewies ich durch wiederholte Versuche und halte es f\u00fcr \u00fcberfl\u00fcssig, andere Curven hier\u00fcber zu bringen; auch durch Reizung des N. medianus erhielt ich das n\u00e4mliche Resultat.\nDer Verbindungswege zwischen Gehirn und Muskeln giebt es zwei: die Nerven und die Blutgef\u00e4sse. Bez\u00fcglich der Nerven besitzen wir in der Physiologie bisher keine einzige Thatsache, die uns die Uebertragung der Erm\u00fcdung oder irgend eines Productes derselben l\u00e4ngs der Nerven so ver-muthen liesse, dass die excessive Arbeit des Gehirns sich auf die Peripherie fortpflanzen und den Muskel zur Th\u00e4tigkeit unf\u00e4hig machen k\u00f6nne. Der Weg der Blutgef\u00e4sse dagegen dient besser zur Erkl\u00e4rung der beobachteten Thatsache. Wir k\u00f6nnen annehmen, dass durch die gesteigerte Arbeit des Gehirns die Zersetzungsproducte in den Kreislauf kommen, welche die Muskeln vergiften und sie unf\u00e4hig machen, ihre volle Energie zu entfalten, oder aber man kann vermuthen, dass w\u00e4hrend der gesteigerten Arbeit des Gehirns die Muskeln dem Blute einen Theil der Substanzen \u00fcberlassen haben, welche sonst f\u00fcr ihre eigene Th\u00e4tigkeit gedient h\u00e4tten. Es w\u00fcrde sich hier wiederholen, was wir w\u00e4hrend des Hungers beobachten, n\u00e4mlich, dass die weniger edlen Organe die Vorr\u00e4the an Substanzen, welche ihrer eigenen Energie dienen sollten, der Nervensubstanz \u00fcberlassen, um den Verlust auszugleichen, den die Nervenzellen erleiden.\nWir werden sehen, dass die erste dieser zwei Hypothesen die wahrscheinlichere ist. Ich habe gemeinsam mit Dr. Maggiora \u00fcber den Einfluss des Hungers und der Speise auf die Muskelerm\u00fcdung eine Reihe von Forschungen gemacht. Die Resultate derselben werden in Capitel X der n\u00e4chsten Abhandlung dargelegt werden. Indessen kann ich einige Resultate dieser Studien des Dr. Maggiora vorausschicken und sagen, dass die durch Hunger erhaltenen Curven so sehr denjenigen \u00e4hneln, welche der Gehirnerm\u00fcdung zukommen, dass man die beiden mit einander verwechseln k\u00f6nnte. Aber auch durch anstrengende M\u00e4rsche und mittels langer Nachtwachen erhielt Dr. Maggiora \u00e4hnliche Resultate, und wir werden sehen, dass die Curven, welche er in Capitel VIII und IX seiner Abhandlung ver\u00f6ffentlichen wird, durch die Verminderung der Kraft und durch die Art und Weise, in welcher die H\u00f6he der Contractionen abnimmt, mit den vorhergehenden Curven identisch sind. Ungeachtet der grossen Aehnlichkeit des Profils dieser Curven, besteht aber unter ihnen ein charakteristischer Unterschied, welcher sie zwei Reihen deutlich getrennter Erscheinungen bilden l\u00e4sst.\nDie durch Hunger bewirkte Schw\u00e4che des Muskels unterscheidet sich","page":132},{"file":"p0133.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Gesetze der Erm\u00fcdung.\n133\ndurch die wunderbar schnelle Erholung und durch das fast vollst\u00e4ndige Verschwinden der Schw\u00e4che, kaum dass man Speise zu sich genommen hat. Bei der Erm\u00fcdung der Nervencentren durch geistige Arbeit, durch Nachtwachen, durch angestrengte M\u00e4rsche, hat die Speise wenig st\u00e4rkenden Einfluss. Dazu, dass der Muskel sich erhole, geh\u00f6rt eine unvergleichlich l\u00e4ngere Zeit und ist die Ruhe des Nervensystems durch Schlaf unerl\u00e4sslich. Es sind also zwei Erm\u00fcdungen verschiedener Natur: mit verschiedenen Ursachen und verschiedenen Heilmitteln.\nMan wird diese Unterschiede in den Capiteln VIII, IX und X der folgenden Abhandlung des Dr. Maggi or a besser sehen; indessen k\u00f6nnen wir aus den Figg. 37 und 38 constatiren, dass die Speise bei der durch excessive Arbeit des Gehirns verursachten Muskelschw\u00e4che nur sehr wenig st\u00e4rkenden Einfluss \u00fcbe. Man k\u00f6nnte vermuthen, dass der Muskel im Hunger an gewissen zu seiner Arbeit unentbehrlichen Substanzen verarme, und dass er w\u00e4hrend der Nerventh\u00e4tigkeit, durch die Geistesarbeit, durch die Schlaflosigkeit und durch die angestrengten M\u00e4rsche, an anderen f\u00fcr seine Arbeit gleichfalls unentbehrlichen aber von ersteren verschiedenen Substanzen verarme, weil der Muskel sie nicht mit gleicher Leichtigkeit nach der Einf\u00fchrung von Nahrungsmitteln wieder zu erlangen vermag. Eine solche Vermuthung scheint mir aber zu complicirt und wir werden sogleich sehen, dass jene von der Vergiftung durch Substanzen, welche das Nervensystem w\u00e4hrend seiner Th\u00e4tigkeit entwickelt, gr\u00f6ssere Wahrscheinlichkeit f\u00fcr sich hat.\nDass bei den antrengenden M\u00e4rschen im Blute giftige Stoffe entstehen, habe ich in folgender Weise nachgewiesen. Ich habe in meinem Laboratorium ein grosses Tretrad construirt, in welcher ich einen Hund stundenlang laufen lassen kann. Nach einer Uebung von einigen Tagen erlernen die Hunde leicht in dem Rade zu laufen. Mittels eines Gasmotors von Langen und Wolff kann ich diesem Tretrad eine beliebige Geschwindigkeit geben und den Hund zwingen 12 bis 18 Stunden zu laufen, bis seine Kr\u00e4fte fast ersch\u00f6pft sind. Ich habe nun gefunden, dass das Blut eines bis zu diesem \u00e4ussersten Grade erm\u00fcdeten Hundes giftig ist. In der That, wenn man das Blut desselben einem anderen Hunde injicirt, so zeigt dieser Vergiftungssymptome. Die Hunde erscheinen m\u00fcde und niedergeschlagen, oft erfolgt Erbrechen. Sofort nach der Transfusion legen sie sich nieder und man muss sie sehr reizen, damit sie sich bewegen; wenn sie gehen oder wenn sie ein Hinderniss \u00fcbersteigen, so erscheint in ihren Bewegungen eine gewisse Steife und Schwerf\u00e4lligkeit. Auf Jedem machen sie den Eindruck einer tiefen Erm\u00fcdung.\nIch glaube, dass es \u00fcberfl\u00fcssig ist zu bemerken, dass ich mich vorerst \u00fcberzeugte, dass die Bluttransfusion aus einem Hunde in den anderen un-","page":133},{"file":"p0134.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Gesetze der Erm\u00fcdung.\n135\nDie Curve ist in Fig. 39 abgebildet. Nachmittags nahm er viele Pr\u00fcfungen vor und Abends als er fertig war, f\u00fchlte er sich sehr entkr\u00e4ftet; wir waren \u00fcbereingekommen, dass er einige ,Tage vollkommen ruhe. Er reiste noch am selben Abende ab und ging nach Asti zu seiner Familie, von wo er nach zwei Tagen zur\u00fcckkehrte. Die Curve, die er am 14. um dieselbe Stunde und unter den gleichen Verh\u00e4ltnissen wie vorher schrieb, wird durch Fig. 40 dargestellt.\nDie Curven \u00e4hneln sich im Profile einigermaassen, aber die vollf\u00fchrte Arbeit ist bei der einen doppelt so gross als bei der anderen und die Anzahl der Con-tracfcionen steht im Verh\u00e4ltnisse wie 43:92.\nFig. 39.\nFig. 40.\n","page":134},{"file":"p0135.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcbeb die Gesetze der Erm\u00fcdung.\n135\nDie Curve ist in Fig. 39 abgebildet. Nachmittags nahm er viele Pr\u00fcfungen vor und Abends als er fertig war, f\u00fchlte er sich sehr entkr\u00e4ftet; wir waren \u00fcbereingekommen, dass er einige ,Tage vollkommen ruhe. Er reiste noch am selben Abende ab und ging nach Asti zu seiner Familie, von wo er nach zwei Tagen zur\u00fcckkehrte. Die Curve, die er am 14. um dieselbe Stunde und unter den gleichen Verh\u00e4ltnissen wie vorher schrieb, wird durch Fig. 40 dargestellt.\nDie Curven \u00e4hneln sich im Profile einigermaassen, aber die vollf\u00fchrte Arbeit ist bei der einen doppelt so gross als bei der anderen und die Anzahl der Con-tractionen steht im Verh\u00e4ltnisse wie 43:92.\nFig. 39.\nFig. 40.","page":135},{"file":"p0137.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Gesetze der Erm\u00fcdung.\n137\nDr. Aducco hebt mit dem Zeigefinger der rechten Hand das Gewicht von 2 kg als Ueberlastung in Reizintervallen von zwei Secunden. Man l\u00e4sst den Dr. Aducco drei willk\u00fcrliche Contractionen machen, und schliesst nach Vollendung der dritten den Strom: derselbe wirkt auf den N. medianus so lange sich das Gewicht \u00fcber NM befindet. Intensit\u00e4t des tetanischen Reizes 3500.\nFig. 41 stellt zwei nach einander gemachte Versuche dar, und wir sehen, dass durch elektrische Teta-nisirung des Nerven der willk\u00fcrlich erregte Muskel keine h\u00f6here Contraction giebt. Die Ver\u00e4nderung erfolgt hingegen unten: die Contracta- w\u00e4chst nach und nach und wird mit \u00ab der Wiederholung der Reize st\u00e4rker.\nIch werde im n\u00e4chsten Capitel \u00fcber die Contractur ausf\u00fchrlicher zu sprechen kommen, es gen\u00fcge hier zu wissen, dass durch das Einwirken zweier tetanisirender Einfl\u00fcsse des Willens und des elektrischen Stromes die H\u00f6he der Muskelzusam-\tFig. 41.\nmenziehungen nicht vermehrt wird,\nund dass der elektrische Reiz, welcher an und f\u00fcr sich keine Contractur bewirken w\u00fcrde, hingegen eine sehr starke hervorruft, wenn man ihn dem willk\u00fcrlichen Reize hinzugesellt.\nUm die Hemmung zu erzielen und die willk\u00fcrlichen Bewegungen zu verhindern, muss man den Inductionsstrom dauernd schliessen und ihn l\u00e4ngere Zeit auf den Nerv wirken lassen. Wenn der Strom stark ist, so verschwinden die willk\u00fcrlichen Bewegungen und die Beugemuskeln bleiben contrahirt; wenn aber der Strom weniger kr\u00e4ftig ist, so erhalten wir eine Curve, wie die in Fig. 42 dargestellte, wo Dr. Aducco 2 kg mit dem Mittelfinger alle 2 Secunden hebt.\nHier ist der Reiz nur mit einem Rollenabstande von 2000 gemacht und beginnt nach sechs Contractionen. Der Muskel macht zun\u00e4chst noch drei Contractionen, welche etwas h\u00f6her sind und deutliche Contractur zeigen; dann folgen zwei unvollst\u00e4ndige Contractionen; der Muskel reagirt nicht","page":137},{"file":"p0138.txt","language":"de","ocr_de":"138\nAngelo Mosso:\nmehr gut auf den Willen. Kaum dass der Inductionsstrom aussetzt, so erscheinen die willk\u00fcrlichen Bewegungen wieder, und es bleibt von dem\nvorhergegangenen Stillst\u00e4nde keine Spur \u00fcbrig. Nach Vollendung der sechsten willk\u00fcrlichen Contraction schliesse ich neuerdings den Strom, und die volle Wirkung des Willens h\u00f6rt sofort auf, die Contrac-tionen werden sehr klein.\nIn einem anderen Versuche habe ich die Zeit festgestellt, welche zwischen der Schliessung des Stromes und dem Erscheinen der Hemmung verstrich, und habe gefunden, dass das Minimum 20/ioo Seconde betrug. Die erste willk\u00fcrliche Contraction, welche nach der Hemmung kommt, hat die H\u00f6he der vorhergegangenen.\nDie Hemmung der willk\u00fcrlichen Contractionen tritt auch ein, wenn der elektrische Strom direct auf den Muskel applicirt wird. Ich berichte \u00fcber einen dieser Versuche, den ich an Dr. Aducco ausf\u00fchrte.\nFig. 43 stellt die verschiedenen Phasen dieses Experimentes dar, in welchem wir die Hemmung drei Mal hervorrufen. Dr. Aducco macht sechs willk\u00fcrliche Contractionen; nach der sechsten schliesst man den Inductionsstrom, welcher eine Intensit\u00e4t von 5000 besitzt, und Dr. Aducco versucht, indem er den gleichen Rhythmus beibeh\u00e4lt, das 2 kg-Gewicht mittels Maximalanstrengungen zu heben.\nWir sehen, dass der Muskel, wenn die Wirkung des Stromes beginnt, noch zwei Contractionen gleich den vorherigen macht; erst nach 6 Secun-den beginnt die Contractur bei der dritten Contraction sich zu zeigen. Der Muskel wird successiv k\u00fcrzer, doch die H\u00f6he der Contractionen \u00e4ndert sich wenig. Nachdem der Strom 18 Secunden lang gewirkt hatte, erscheint die Hemmung, und die neunte Contraction ist niedriger als die anderen. Ich lasse noch eine niedrige Contraction folgen, und indem ich hierauf den Strom \u00f6ffne, finde ich, dass der Wille frei wirkt wie vorher.\nMan wiederholt zwei weitere Erregungen nach sechs willk\u00fcrlichen\nFig. 42.","page":138},{"file":"p0139.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Gesetze der Erm\u00fcdung.\n139\nContractionen und erh\u00e4lt das gleiche Resultat, nur dass die latente Periode der Hemmung nach und nach immer k\u00fcrzer wird.\nDer erste Gedanke, der Einem hierbei kommt, ist, dass es sich um eine Erscheinung handle, welche zuerst Bernstein1 und sp\u00e4ter Wedenskii2\nFig. 43.\nbeim Frosche beobachteten: Wenn man auf den Nerven in der N\u00e4he des Muskels einen elektrischen Strom applicirt, so bleiben centralw\u00e4rts angebrachte Reize wirkungslos. Fick hingegen glaubt, dass die beim menschlichen Muskel mittels seines Spannungszeigers w\u00e4hrend eines elektrischen Schlages beobachtete Spannungsverminderung eine Reflexerscheinung sei.\nEs scheint mir nicht wahrscheinlich, dass es sich um eine Reflexerscheinung handelt.\nDas Phaenomen der Hemmung, welches wir durch Reizung des N. me-dianus mittels eines Inductionsstromes beobachtet haben, ist wahrscheinlich f\u00fcr die Muskeln des Vorderarmes dieselbe Hemmung, welche wir beim Herzen durch Reizung des Vagus eintreten sehen. Um diese L\u00e4hmung zu\n1\tBernstein, dies Archiv. 1882.\n2\tWedenskii, Centralblatt f\u00fcr die medicinischen Wissenschaften. 1884. S. 66.","page":139},{"file":"p0140.txt","language":"de","ocr_de":"140\nAngelo Mosso:\nerzielen, ist es nicht n\u00f6thig, dass der Strom so stark sei, um einen andauernden Tetanus zu bewirken, es gen\u00fcgt hierzu ein schwacher Inductions-strom, den man kaum f\u00fchlt.\nDie Analogien zwischen den charakteristischen Erscheinungen dieser Hemmung und der Hemmung des Vagus sind bei weitem tiefer, als die blosse Anschauung der Curven zeigt. Ich hoffe in einer n\u00e4chsten Arbeit nach weisen zu k\u00f6nnen, dass die Thatsachen, welche wir aus der Physiologie bez\u00fcglich der hemmenden Wirkung des Vagus kennen, durch die L\u00e4hmung sich erkl\u00e4ren lassen, die mittels Reizung des N. medianus in den willk\u00fcrlichen Bewegungen hervorgerufen werden kann, sowie dass die Natur dieser beiden Erscheinungen identisch ist.\nDie von Weber aufgestellte Theorie der Hemmungsnerven ist bisher in ihrem Wesen unsicher geblieben, und ich hoffe das noch ungel\u00f6ste R\u00e4thsel durch diese Versuche am Vorderarm des Menschen erkl\u00e4ren zu k\u00f6nnen.\nDer Vagus und das Herz w\u00e4ren dann nicht mehr eine Ausnahme, sondern sie w\u00fcrden wieder unter das Gesetz fallen, welches alle Muskeln und alle Nerven regiert, n\u00e4mlich, dass durch einen \u00fcbertriebenen Reiz, in der Substanz des Muskels Alterationen entstehen, wodurch derselbe unf\u00e4hig wird, auf seinen nat\u00fcrlichen Reiz zu reagiren.\nDie Muskelcontractur.\nDie Contractur wurde von Kronecker, Tiegel, v. Prey, Rossbach, Richet, v. Kries und Anderen studirt, und es ist nicht meine Absicht zu wiederholen, was diese Autoren bereits ver\u00f6ffentlicht haben. Ich muss jedoch erinnern, dass Kronecker der Erste war, welcher die Contractur studirte und beobachtete, dass es etwas von der Erm\u00fcdung Verschiedenes sei. Im Jahre 1870 beschrieb Kronecker1 eine r\u00fcckst\u00e4ndige Erscheinung der Muskelcontraction mit folgenden Worten: \u201eEine absonderliche Reizbarkeiterscheinung bieten manche schwach (20 gim) belastet oder \u00fcberlastet zuckende Muskeln: sie bleiben auch w\u00e4hrend der Ruhepausen ein wenig contrahirt. Die hieraus resultirende \u201eAbscissenhebung\u201c w\u00e4chst zuerst mit der Zahl der Zuckungen, um eine Weile auf dieser H\u00f6he zu beharren und dann erst schnell, sp\u00e4ter sehr allm\u00e4hlich zu der normalen Abscisse zur\u00fcckzukehren.\u201c\n1 H. Kronecker, Monatsberichte der k\u00f6nigl. Akademie zu Berlin. 1870.\nS. 639.","page":140},{"file":"p0141.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Gesetze der Erm\u00fcdung.\n141\nM. Schiff hatte schon fr\u00fcher in seinem Lehrhuche \u00fcber Muskel-und Nervenphysiologie gesagt, \u201edass die Ausdehnungscurve der Muskel-contraction \u00e4usserst langsam zur fr\u00fcheren L\u00e4nge zur\u00fcckkehrt\u201c und diese geringe, bleibende Verk\u00fcrzung hatte L. Hermann als Verk\u00fcrzungsr\u00fcckstand bezeichnet;1 dies war die Wirkung der Erm\u00fcdung, wie es schon Valentin, Helmholtz und Marey gesehen hatten.\nNach Kronecker war es E. Tiegel, welcher diese Erscheinung stu-dirte und ihr den Namen Muskelcontractur gab. Er fand, dass im Zustande der Contractur die Erregbarkeit des Muskels f\u00fcr seinen normalen vitalen Reiz eine minimale geworden ist. Diese Thatsache ist sehr wichtig, weil sie der erste Versuch ist, welcher der von mir vorher erw\u00e4hnten Hemmungsdoctrin als Grundlage dient. Der gr\u00f6sseren Genauigkeit halber f\u00fchre ich hier die Worte Tiegel\u2019s selbst an \u201eLegt man\u201c, sagt er, \u201enachdem der Muskel f\u00fcr irgend eine Reizst\u00e4rke seinen Erm\u00fcdungsabfall zu erkennen gegeben hat, die Wippe um, so dass die Inductionsstr\u00f6me direct durch die Muskeln gehen, so tritt sofort in gew\u00f6hnlicher Weise die Contractur ein. Wurde nun auch nur nach einem einzigen Schlage, welcher durch die Muskeln direct gegangen war, wieder die Nervenreizung begonnen, so konnten auf diesem Wege von dem eben noch untermaximal in geradlinigem Abfall arbeitenden Muskel nur minimale Zuckungen durch Nervenerregung ausgel\u00f6st werden.\u201c 2\nWir sehen hier die Erscheinung, welche sich bei dem Experimente Fick\u2019s und bei meinem als eine Hemmung darstellt, in ihrer anf\u00e4nglichen Form.\nDie \u00fcber die Contractur mit dem Ergographen angestellten Forschungen haben, glaube ich, einen grossen Vorzug \u00fcber jene, welche bisher an Fr\u00f6schen gemacht wurden, da man beim Menschen die Versuchsconditionen normaler erhalten kann und auch die Analyse dieser Erscheinung leichter ist. Von meinen Experimenten \u00fcber die Contractur werde ich nur jene mittheilen, welche mit den Versuchen oder mit den Folgerungen der mir in diesem Studium vorhergegangenen Autoren nicht \u00fcbereinstimmen. Ich hoffe, dass sie gen\u00fcgen werden, die enge Verwandtschaft zu beweisen, welche zwischen Erscheinungen besteht, die unter verschiedenen Namen beschrieben wurden und Versuche einander n\u00e4her zu bringen, welche sich zu widersprechen schienen.\n1\tL. Hermann, Handbuch der Physiologie. Bd. I. S. 35.\n2\tE. Tiegel, Heber Muskelcontractur im Gegensatz zu Contraction. Pfl\u00fcger\u2019s Archiv u. s. w. 1876. Bd. XIII. S. 71.","page":141},{"file":"p0142.txt","language":"de","ocr_de":"142\nAngelo Mosso:\nIch beginne mit der Aufzeichnung der Contractur (Fig. 44), wie sie sich beim Menschen durch die elektrische Reizung der Muskeln gestaltet. Hr. Colla h\u00e4lt mit dem Mittelfinger der rechten Hand ein Gewicht von 500 k\u2122 Belastung. Die Reizung mittels eines inducirten Stromes (Entfernung der Rollen 4000, Reizintervall 2 Secunden) wird in\nFig. 44.\nder auf S. 105 angegebenen Weise auf die Beugemuskeln ausgef\u00fchrt. Die Fig. 44 repraesentirt den Verlauf der Contractur im Beginne einer Reihe von Contractionen. Wir bemerken daran gleichsam eine Uebereinanderstellung der Einzelzusammenziehung und einer durch die ersten f\u00fcnf Contracti\u00f6nen gebildeten aufsteigenden Treppe. Die Contractur erreicht langsam und mit gleichf\u00f6rmigem Verlaufe ihren H\u00f6hepunkt: am h\u00f6chsten Punkte der Treppe sehen wir eine niedrigere Contractur, welche dann pl\u00f6tzlich abnimmt. Der absteigende Theil der Curve ist zweimal l\u00e4nger als der aufsteigende. Die Contractur erreicht das Maximum ihrer Intensit\u00e4t in 12 Secunden und ist so stark, dass sie 8 Secunden lang das Gewicht von 500 \u00abrm in einer H\u00f6he erhalten kann, welche gr\u00f6sser ist als die der ersten Contraction: das Maximum der Contractur dauert aber bloss zwei Secunden und l\u00e4sst dann pl\u00f6tzlich nach, um langsam gegen die Abscisse zur\u00fcckzukehren, ohne jedoch diese zu erreichen. Interessant ist die Beobachtung, dass in dem Momente, wo die Contractur nachl\u00e4sst, die Erm\u00fcdung anzufangen scheint. Einer Periode von steigender Reizbarkeit folgt, wie wir sp\u00e4ter besser sehen werden, eine Periode von geringerer Reizbarkeit: aber in dieser Periode sind die Contractionen noch h\u00f6her als die, welche im Anf\u00e4nge gemacht wurden. Bei den willk\u00fcrlichen Contractionen variirt die St\u00e4rke der Contractur je nach den Personen und zwar sowohl bei Belastung als auch bei Ueber-","page":142},{"file":"p0143.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Gesetze der Erm\u00fcdung.\n143\nlastung. Bei einigen Personen ist die Contractur so stark, dass sie ein Gewicht von 3kg und noch mehr in der H\u00f6he erhalten kann.\nSowie schon Kronecker und Tiegel bei Fr\u00f6schen beobachtet haben, erscheint auch beim Menschen die Contractur im Beginne einer Reihe von Zusammenziehungen und erreicht rasch ihr Maximum wie Fig. 44 zeigt. Ich werde aber im n\u00e4chsten Capitel zeigen, dass bei vielen Personen beim Fortschreiten der Erm\u00fcdung die Contractur nicht vollst\u00e4ndig schwindet, und dass der Muskel auch dann in der Contractur verbleibt, wenn seine Kraft unter dem Einfl\u00fcsse des Nervenreizes oder der directen Reizung ersch\u00f6pft zu sein scheint. Wenn die Beugemuskeln der Finger nicht sehr m\u00fcde sind, gen\u00fcgt die Ruhe von zwei Minuten damit die Contractur mit ihrer charakteristischen Curve \u2014 die sie im Beginne einer Reihe von Contractionen zeigt \u2014 wieder erscheine.\nPig. 45.\nFig. 45 soll dazu dienen, eine Vorstellung von der Zeit zu geben welche noth wendig ist, damit sich die Bedingungen des Erscheinens der Contractur wieder herstellen, wenn der Muskel sich willk\u00fcrlich contrahirt und alle zwei Secunden ein Gewicht von 500 gTm hebt. Hr. Colla macht erst ungef\u00e4hr 40 Contractionen, dann eine Erholungspause von einer Minute. Nach Wiederbeginn der willk\u00fcrlichen Contractionen sah man, dass diese Erholungspause nicht gen\u00fcgend war, damit sich die Contractur wieder zeige. Bei dem vorliegenden Versuche wurden daher bloss 20 Contractionen und dann eine Erholungspause von zwei Minuten gemacht. Wie aus der Fig. 45 ersichtlich ist, welche auf diese Pause folgt, erschien die Contractur","page":143},{"file":"p0144.txt","language":"de","ocr_de":"144\nAngelo Mosso:\nsofort mit Beginn der Contractionen. Ich theile bloss diese Aufzeichnung mit, die anderen nicht. Um die Erm\u00fcdung des Muskels zu demonstriren, gen\u00fcgt es wohl, darauf hinzuweisen, dass die H\u00f6he der Contractionen der ersten Serie, welche geschrieben wurde, als der Muskel frisch war, ungef\u00e4hr doppelt so gross war, als die der Fig. 45.\nEs ist \u00fcberfl\u00fcssig, darauf aufmerksam zu machen, dass die Contractur um so evidenter erscheint, je kleiner das Gewicht ist, welches den Muskel dehnt, nachdem er eine anstrengende Arbeit vollf\u00fchrt hat. Ich gebe noch ein anderes an Hrn. Colla gemachtes Experiment wieder, um ein Beispiel der Contractur zu geben, wobei der Muskel eine Serie von willk\u00fcrlichen Contractionen macht, indem er ein Gewicht von 2500 grm Belastung hebt. Um nicht zu viele Aufzeichnungen zu geben, beschr\u00e4nke ich mich auf die Mittheilung der Werthe dieses Experimentes, welches so geschrieben wurde, dass der Cylinder vier Mal schneller als bei den vorhergehenden Figuren gedreht wurde, um mit gr\u00f6sserer Exactheit den Verlauf der Erscheinung beobachten zu k\u00f6nnen.\nIn der folgenden Tabelle ist die Contractur iu Millimetern angegeben, und es wurde die H\u00f6he gemessen, um welche sich die Basis der Contractionen von der Abscisse abhebt.\nTabelle I.\nHie Contractur bei willk\u00fcrlichen Bewegungen. Gewicht = 2500,\n\tRhythmus = 2 Secunden.\t\nNummer der Contraction\tH\u00f6he der Contraction in Millimetern\tContractur in Millimetern\n1\t81\t1\n2\t83\t3\n3\t83\t4\n4\t75\t4\n5\t80\t7\n6\t78\t7\n7\t83\t7\n8\t79\t8\n9\t79\t9\n10\t79\t7\n11\t77\t9\n12\t79\t12\n13\t76\t10\n14\t70\t10\n15\t70\t11\n16\t70\t9\n17\t65\t8\n18\t65\t7\nDie Contractur verschwindet also allm\u00e4hlich.","page":144},{"file":"p0145.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Gesetze der Erm\u00fcdung.\n145\nWir sehen hier, dass die Treppe im Beginne fehlt, und dass die Con-tractur allm\u00e4hlich steigt, ferner dass, wenn diese abnimmt, die Contractionen an H\u00f6he abnehmen.\nWenn wir bedenken, dass der Ergograph die Verk\u00fcrzungen oder Verl\u00e4ngerungen, welche im Muskel vor sich gehen, verdoppelt, dann m\u00fcssen wir annehmen, dass in Folge der willk\u00fcrlichen Bewegungen die Contractur so stark ist, dass trotz des Gewichtes von 2500 ?rm der Muskel 6 mm k\u00fcrzer geworden ist. Der K\u00fcrze halber referire ich kein Beispiel von Contractur in Folge von Reizung des Nerven, weil wir dies schon in den Figg. 42 und 43 sahen und in der Folge Gelegenheit haben werden, noch anderen derartigen F\u00e4llen zu begegnen.\nDiese Beobachtungen erlauben uns einstweilen zwei Thatsachen miteinander in Einklang zu bringen, welche einerseits von Tiegel, andererseits von Kronecker wahrgenommen wurden. Tiegel1 behauptete, dass bei Erregung eines Muskels von seinem Nerven aus niemals Contraction auf-tritt, mag man auch alle m\u00f6glichen Schlittenstellungen durchprobiren. Kron'ecker fand hingegen, dass der Muskel st\u00e4rker reagirt, wenn er im Zustande der Contractur vom Nerven aus gereizt wird. Um zu zeigen, dass die Contractur als ein activer Zustand anzusehen ist, hat Kronecker2 den Muskel im Stadium der Contractur neuerdings gereizt und fand, dass, wenn der Muskel vom Nerven aus gereizt war, er einen Reiz st\u00e4rker beantwortet, als ein zuvor ruhender Muskel. Ich glaube, dass diese Beobachtungen beide auf die Contractur zur\u00fcckzuf\u00fchren sind mit dem Unterschiede, dass Tiegel sehr starke Reize anwendete und eine kr\u00e4ftige Contraction erzeugte, w\u00e4hrend Kronecker sich auf weniger intensive Contracturen beschr\u00e4nkte.\nIch habe untersucht, welchen Einfluss auf die Erscheinung der Contractur die folgenden Factoren haben:\n1.\tdie Intensit\u00e4t des elektrischen Reizes;\n2.\tdie Dauer des Reizes;\n3.\tdas Gewicht, welches der Muskel hebt.\nDer Einfluss, welchen die Intensit\u00e4t des Reizes auf die Contractur aus\u00fcbt.\nIn dem Falle, den die Fig. 46 darstellt, wurde der inducirte Strom alle zwei Secunden auf die Beugemuskeln applicirt, und die Reizung\n1 Tiegel, a. a. O. S. 73.\ns H. Kronecker und G. Stanley Hall, Die willk\u00fcrliche Muskelaction. Dies Archiv. 1879. S. 45.\nArchiv f. A. u. Pli. 1890. Physiol. Ahthlg.\t10","page":145},{"file":"p0146.txt","language":"de","ocr_de":"Fig. 46.\n146\nAngelo Mosso:\ndauerte 4/b Secunden. In diesem Zeitr\u00e4ume erfolgten 40 Unterbrechungen im prim\u00e4ren Stromkreise.\nDer Mittelfinger der linken Hand h\u00e4lt ein Gewicht 200 grm Belastung. Ich mache eine erste Reizung mit einer Rollenentfernung von 4250, und erhalte 16 Contractionen. Die ersten sechs erheben sich leicht mit ihrer Basis und derMuskel bleibt dann contrahirt, ungef\u00e4hr 3 mm \u00fcber der Abscisse. Ich halte den Cylinder nicht an und nach 14 Secunden reize ich die Muskeln mit einem st\u00e4rkeren Strome, d. h. mit 5250; es folgen weitere 16 Contractionen, und man sieht gleich, dass die Contractor eine viel raschere ist. Die H\u00f6he der Contractionen variirt sehr wenig, sie erreichen fast alle dasselbe Niveau, bilden aber gegen ihre Basis eine unregelm\u00e4ssige Linie, die sich ungef\u00e4hr 13mm \u00fcber die Abscisse erhebt. Ich unterbreche die Reizung, ohne den Cylinder stehen zu lassen, und die Contracte verschwindet erst rasch, dann langsam.\nWir sehen, dass eine Minute gen\u00fcgt, damit der Muskel seine prim\u00e4re L\u00e4nge wieder erlangt. Jetzt reize ich wieder den Muskel mit einer St\u00e4rke von 6000 und erhalte so die letzte Reihe der Contractionen der Fig. 46, wo man sieht, dass der Effect noch gr\u00f6sser ist und dass dieContractur fortw\u00e4hrend zunimmt, wenngleich alle Contractionen mit ihrer Spitze oben dieselbe H\u00f6he erreichen.\nEs gen\u00fcgt dieses Experiment um zu beweisen, dass die Intensit\u00e4t des elektrischen Reizes in directem Verh\u00e4ltnisse zur Intensit\u00e4t der Contractur","page":146},{"file":"p0147.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Gesetze der Erm\u00fcdung.\n147\nsteht, jedoch bloss innerhalb gewisser Grenzen. Die Intensit\u00e4t des Stromes von 6000 meines Inductionsapparates repraesentirt eine maximale Reizung, denn bei Steigerung der Reizung w\u00e4chst die Contractur nicht mehr. An Hm. Colla mache ich unter denselben Bedingungen nach einer Erholungspause von 15 Minuten eine Reizung mit einer Rollenentfernung von 4250 und erhalte die erste Aufzeichnung derFig.47, welche der ersten Aufzeichnung der\nFig. 47.\nvorangehenden Figur gleicht. Ich halte den Cylinder nicht an und mache nach 14 Secunden eine andere Reihe von Reizungen mit einer Rollenentfernung von 7000. Wir sehen, dass man trotz der viel gr\u00f6sseren Intensit\u00e4t des Reizes eine Serie von Contractionen erh\u00e4lt, welche der letzten Serie der Fig. 46 gleich ist, die wir mit einer Intensit\u00e4t von bloss 6000 erzielten.\nWenn wir den Werth der Aufzeichnung auf die H\u00e4lfte reduciren, dann sieht man, dass der reelle Werth der Verk\u00fcrzung der Beugemuskeln ungef\u00e4hr 8mm betr\u00e4gt. In der Fig. 47 ist auch das Factum interessant, dass die Muskeln, wenn sie erschlaffen und w\u00e4hrend der Erholungspause zwischen zwei aufeinander folgenden Contractionen in einer Stellung verbleiben, welche der h\u00f6chsten Verk\u00fcrzung der Contractionen der vorangehenden Reihe entspricht, als sich der Muskel auf den Reiz von 4250 contrahirte.\nUm die Ver\u00e4nderungen im Charakter der Contractionen w\u00e4hrend der Contractur besser studiren zu k\u00f6nnen, habe ich mit gr\u00f6sserer Schnelligkeit die Aufzeichnungen geschrieben. Fig. 48 repraesentirt ein \u00e4hnliches Experiment an Hrn. Dr. V. Grandis, der mit dem Mittelfinger ein Gewicht von 500grm aufhebt. Der direct auf die Beugemuskeln applicirte elektrische Reiz ist von derselben Dauer und Frequenz der Unterbrechungen, wie fr\u00fcher angegeben wurde. F\u00fcr die Reizst\u00e4rke 3000 erhalten wir die Aufzeichnung 48, an der man sieht, dass die Contractionen leicht treppenf\u00f6rmig\nio*","page":147},{"file":"p0148.txt","language":"de","ocr_de":"148\nAngelo Mosso:\nsind, aber es fehlt jede Spur einer Contractur, und es ist vielmehr eine geringe Dehnung des Fingers vorhanden.\nDie untere Linie bezeichnet die Dauer der Reizung, in P sind die zwei Punkte des Zusammentreffens, um zu zeigen, in welcher Weise sich die\nFig. 48.\nCurven entsprechen. Ich lasse den Muskeln eine Erholungspause von f\u00fcnf Minuten und schreibe dann die Aufzeichnung der Fig. 49, wobei die Muskeln mittels eines inducirten Stromes von der Intensit\u00e4t 4250 gereizt werden. Bei den ersten f\u00fcnf Contractionen ist die Contractur des Muskels gering, aber bei der f\u00fcnften wird sie st\u00e4rker und w\u00e4chst rasch. Bei den letzten Contractionen sieht man vorn in dem mit a bezeichneten Punkte eine nasenf\u00f6rmige Einbiegung, welche, wenngleich weniger deutlich, auch in den ersten Contractionen dieser Aufzeichnung auftritt. Ich werde sp\u00e4ter von dieser Ver\u00e4nderung des Charakters der Contractionscurve in Folge der Contractur sprechen, vorl\u00e4ufig gen\u00fcgt es demonstrirt zu haben, dass die Contractur mit der Intensit\u00e4t des Reizes in Beziehung steht, dass sie am kleinsten bei den willk\u00fcrlichen Contractionen, am gr\u00f6ssten bei den directen oder indirecten Reizen des Muskels sei, dass sie sogleich bei starken Reizen erscheint, bei schwachen hingegen fehlt.\nEinfluss der Dauer des elektrischen Reizes auf die Contractur.\nIch mache ein Experiment mit 20 Unterbrechungen des prim\u00e4ren Stromkreises bei jeder Reizung. Die Frequenz der Unterbrechungen des prim\u00e4ren Stromkreises war etwa 60 in jeder Secunde. Reizintervall 2\". \u2014 Fig. 50 stellt die Aufzeichnung dar, welche ich von Hrn. Colla erhielt, nach Application der Reizung auf den N. mediauus mit der Intensit\u00e4t von 8000.","page":148},{"file":"p0149.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Gesetze der Erm\u00fcdung.\n149\ni\nFig. 50.","page":149},{"file":"p0150.txt","language":"de","ocr_de":"150\nAngelo Mosso:\nDer Mittelfinger ist mit 500grai belastet. Nach der ersten Contraction bleibt der Muskel einigermaassen dauernd verk\u00fcrzt, aber bei der zweiten, dritten und vierten Contraction ist er neuerdings bestrebt, sich der Abscisse zu n\u00e4hern. Bei der f\u00fcnften erhebt er sich wieder und steigt gradweise immer mehr, bis die Beizung unterbrochen wird.\nW\u00e4hrend ich warte, dass sich der Muskel ausruhe, wird ein l\u00e4nger dauernder Reiz vorbereitet. Es wird n\u00e4mlich die Spitze des Platindrahtes, welcher an den Pendelstiel befestigt ist, gesenkt, damit diese l\u00e4ngere Zeit in\u2019s Quecksilber tauche. Statt 20 ' Unterbrechungen werden jetzt 24 in jeder Reizperiode gemacht.\nFig. 51.\nNach Application dieses Reizes auf den N. medianus erhielt ich die Aufzeichnung 51, an der man sieht, dass die H\u00f6he der Contractionen unver\u00e4ndert ist, dass aber die Contractur fr\u00fcher erscheint und schon nach der dritten Reizung deutlich ist. Die kleine Differenz, welche zwischen 20 und 24 Reizungen mittels des inducirten Stromes alle zwei Secunden besteht, gen\u00fcgt, trotz ihrer Kleinheit, um ein rascheres Erscheinen der Contractur in den Beugemuskeln hervorzubringen.\nEinfluss, den das Gewicht auf die Contractur aus\u00fcbt.\nZu dieser Untersuchung bediente ich mich nicht sehr starker Reize und kleiner Gewichte, weil man sonst gar nichts sieht. Auch ist es unerl\u00e4sslich solche Personen zu w\u00e4hlen, bei denen die Contractur leicht zum","page":150},{"file":"p0151.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Gesetze der Erm\u00fcdung.\n151\nVorschein kommt. Die Aufzeichnung der Fig. 52 wurde von Hrn. Colla geschrieben, w\u00e4hrend der N. medianus mit einer Rollendistanz von 1290 bis 1500 gereizt wurde und der Mittelfinger der rechten Hand ein Gewicht mit 400g\u2122 Belastung hob. Nachdem die ersten neun Contractionen geschrieben waren, und ich sah, dass die hervorgebrachte Contractur schwach war und nach den ersten zwei Contractionen station\u00e4r blieb, vermehrte ich das Gewicht bei der zehnten Contraction um 1000Der Muskel dehnt sich augenblicklich nach Anwendung dieses gr\u00f6sseren Gewichtes, die Contractionen werden kleiner, so dass sie kaum den Punkt erreichen, wo die Ruhestelle der anderen war.\nIch lasse nun vier Contractionen mit dem Qewichte von 1400grm ausf\u00fchren und dann werden die 1000grm, welche hinzugef\u00fcgt wurden, entfernt, um zum urspr\u00fcnglichen Gewichte zur\u00fcckzukehren. Wir sehen, dass die Contractur gleich danach zum Vorschein kommt, und dass sie nach sechs Contractionen verschwunden ist.\nUm dem Zweifel zu begegnen, dass die Contractur auch ohne Hinzuf\u00fcgung der 1000grm zu Stande gekommen w\u00e4re, habe ich das Experiment in anderer Weise an demselben Tage mit einem etwas st\u00e4rkeren Reiz an Hm. Colla wiederholt. Ich wartete, bis die erste Contractur verschwunden war, wie aus der Fig. 58 ersichtlich ist, und dann das Gewicht von 1000 grm hinzuf\u00fcgte. Der Finger streckte sich wie fr\u00fcher: ich liess dann f\u00fcnf Contractionen aus-\nFig. 52.","page":151},{"file":"p0152.txt","language":"de","ocr_de":"Angelo Mosso:\nf\u00fchren, entfernte die 1000s\u2122 und kehrte wieder zu 400\u00bb\u2122 zur\u00fcck. Die Contractur erscheint augenblicklich, Anfangs schwach, w\u00e4chst successive und bei der elften Contraction erreicht sie dasselbe Maximum wie fr\u00fcher; endlich bei der zw\u00f6lften, die man in der Aufzeichnung nicht mehr sieht, \u00fcbersteigt sie das Maximum um 5mm. Die Curve sinkt dann, ohne aber das urspr\u00fcngliche Niveau zu erreichen.\nIch \u00fcberzeugte mich auch in andererWeise, dass das Gewicht wirklich einen Einfluss habe: ich beobachtete in einigen Experimenten, dass der Muskel die Differenz der Gewichte schon f\u00fchlt, wenn man von 200 zu 500\u00bb\u2122 schreitet und es erscheint nach einigen Contractionen eine Contractur, die fr\u00fcher nicht bestand. Wir sahen schon, dass die Kraft der Contractur eine derartige ist, dass sie 3000\u00bb\u2122 halten kann. Ich habe nicht versucht die \u00e4usserste Grenze des Gewichtes zu bestimmen, weil sie je nach den Personen variirt. Bei Dr. G ran dis* und Hrn. Colla vermochte die Contractur 4000\u00bb\u2122 zu heben in Folge der st\u00e4rksten Heizung des N. me-dianus oder der Muskeln.\nDas Studium der Contractur hat f\u00fcr die Muskelphysiologie eine gewisse Wichtigkeit, weil es sich hier um eine Erscheinung von rein muscul\u00e4rer Natur handelt. Dies folgt aus der durch die Untersuchungen vieler Experimentatoren festgestellten Thatsache, dass die Contractur sich auch am curarisirten Muskel zeigt.\nAus den Untersuchungen von Tiegel ging hervor, dass bei den sehr reizbaren M\u00e4rz-Fr\u00f6schen der Muskel nach dem ersten Oeff-nungsschlag bei dem Kollenabstande von 10\u2122 ausnahmsweise auf der vollen Zuckungsh\u00f6he verk\u00fcrzt blieb, und sich nach dem zweiten noch mehr verk\u00fcrzte.1\n\u00bb A. a. O. S. 79.","page":152},{"file":"p0153.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Gesetze der Erm\u00fcdung.\n153\nDiese Beobachtung ist derjenigen \u00e4hnlich, welche etwas fr\u00fcher Ranvier1 mittheilte, wonach man bei Reizung des Gastroknemius eines Frosches unter gewissen Umst\u00e4nden mit einer einzigen Reizung Tetanus erhalten kann.\nA. Richet,2 der \u00fcber die Contractur interessante Beobachtungen machte, fand, dass bei lange Zeit gefangen gehaltenen Krebsen, deren Muskelreizbarkeit sehr herabgesetzt war, keine Contractur mehr erzeugt werden konnte, auch wenn \u00e4usserst starke Str\u00f6me angewendet wurden. Schon Tiegel und v. Frey bemerkten, dass die Contractur nicht bei allen Fr\u00f6schen und in allen Jahreszeiten gleich stark ist, und dass sie oft fehle. Auch beim Menschen bestehen erhebliche Differenzen; im Allgemeinen kann man sagen, dass die Contractur bei reizbaren Personen bedeutend st\u00e4rker ist. Meine Beobachtungen zeigen, dass viele Erscheinungen von \u00fcbertriebener Reizbarkeit ihren Sitz, unabh\u00e4ngig von den Nervencentren, in den Muskeln selbst haben.\nIch erlaube mir, bez\u00fcglich dieser Frage eine Thatsache anzuf\u00fchren. Die 'Contractur ist eine Erscheinung, welche ihren Sitz unabh\u00e4ngig vom Nervensysteme in der Muskelsubstanz hat. Die Erkenntniss, dass dieselbe bei Personen, welche vermuthungsweise ein reizbares Nervensystem haben, st\u00e4rker ist, legt die Nothwendigkeit dar, nicht mehr zu exclusiv vorzugehen, und nicht alle Erscheinungen dem Nervensysteme zuzuschreiben, da viele derselben ihren Ursprung einzig und allein in den Muskeln haben k\u00f6nnen. Hr. Colla, Student der Medicin, welcher im physiologischen Laboratorium arbeitet, ist ein junger Mann von 20 Jahren, stark und r\u00fcstig, aber ganz ausserordentlich reizbar und empfindlich, sofern dies aus dem Umstande geschlossen werden kann, dass er beim geringsten Anlass er-r\u00f6thet; es gen\u00fcgt, dass ich ihn anspreche oder begr\u00fcsse, wenn wir uns Morgens oder Nachmittags im Laboratorium zum ersten Male begegnen, damit augenblicklich eine starke Erweiterung der Gef\u00e4sse seines Gesichtes erfolge. Der Umstand, dass die Contractur der Muskeln bei einem Menschen, welcher so leicht entstehende und intensive Gef\u00e4ssreflexe zeigt, st\u00e4rker ist, l\u00e4sst uns vermuthen, dass die Erscheinungen der gr\u00f6sseren Reizbarkeit nicht ausschliesslich von den Nerven abh\u00e4ngig seien, sondern dass sie ihre Ursache theilweise in der gr\u00f6sseren Reizbarkeit der Muskelsubstanz selbst haben. Es w\u00e4re interessant, vergleichende Untersuchungen auf pathologischem Gebiete anzustellen. Bis jetzt hatte ich aber keine Zeit, meine Untersuchungen in dieser Richtung auszudehnen.\n1\tRan vier, Le\u00e7on d'anatomie g\u00e9n\u00e9rale sur le syst\u00e8me musculaire. p. 199.\n2\tA. Richet, Physiologie des muscles. Paris 1882. p. 78.","page":153},{"file":"p0154.txt","language":"de","ocr_de":"154\nAngelo Mosso:\nWenn wir erw\u00e4gen, dass die Contractor nur bei excessiven Anstrengungen erscheint, dann m\u00fcssen wir dieselbe als eine abnorme und fast pathologische Erscheinung betrachten, als ein charakteristisches Symptom einer Ver\u00e4nderung im Muskel, die durch einen zu starken Reiz erzeugt wird, und folglich als eine Art von Erm\u00fcdung, die sich im Muskel im Beginne seiner Th\u00e4tigkeit manifestirt. Es ist wahrscheinlich, dass die ersten Contractionen des ausgeruhten Muskels von denen des erm\u00fcdeten verschieden seien, und dass bei denselben chemisch verschiedene Substanzen des Muskels verbraucht werden. Wir werden sp\u00e4ter im VI. Capitel der Abhandlung von Dr. Maggiora sehen, dass die Arbeit, welche der schon erm\u00fcdete Muskel macht, demselben mehr schadet, als eine unter normalen Bedingungen vollf\u00fchrte gr\u00f6ssere Arbeit. Die Differenz ist so gross,\tdass wir annnehmen m\u00fcssen,\tdass es\tnicht die\tmechanische\nArbeit ist, welche den Muskel mehr erm\u00fcdet,\tsondern\tdass dies\tder Reiz be-\nwirkt, und dass die Contractionen des erm\u00fcdeten Muskels in ihrer Wirkung und ihrem Aussehen von denen des frischen Muskels ganz verschieden sind. Wir m\u00fcssen vielleicht annehmen, dass im Muskel dasselbe vor sich gehe, was im Organismus beim Fasten erfolgt, wobei, wie Voit nachwies, in den ersten Tagen\tder Umsatz des Eiweisses am\tmeisten\tabnimmt\tund im Beginne und in\tden letzten Stadien der Inanition von\teinander\tverschiedene\nSubstanzen verbraucht werden.1\nIch bin fest \u00fcberzeugt, dass die Physiologie der ersten Contractionen, welche ein frischer Muskel macht, verschieden ist von derjenigen der Contractionen des erm\u00fcdeten Muskels. Mir scheint, dass sich durch diesen Unterschied die Erscheinungen, welche wir im Beginne und am Schl\u00fcsse einer Reihe von Contractionen beobachten, sehr leicht erkl\u00e4ren lassen. Die Contractur und die Treppe, welche wir beim Menschen unter dem Impuls von starken Reizen entstehen sehen, sind Erscheinungen, welche am leicht erm\u00fcdeten Muskel fehlen, und wenn sie vorhanden sind, dann k\u00f6nnen sie auf den Umstand zur\u00fcckgef\u00fchrt werden, dass der Muskel unter dem Impulse von einem excessiven Reiz Contractionen ausf\u00fchrt, welche ihrer Natur nach von denen verschieden sind, welche er sp\u00e4ter unter demselben Reize bis zur Ersch\u00f6pfung seiner Energie ausf\u00fchren wird.\nFrey sagt schon in seiner interessanten Arbeit,2 \u201ehat der Muskel in Folge der Contractur sich tonisch verk\u00fcrzt, so ist seine F\u00e4higkeit auf eine\n1\tVoit, Ucber die Verschiedenheiten der Eiweisszersetzung keim Hungern. Zeitschrift f\u00fcr Physiologie. 1866. Bd. I. S. 307. 365.\n2\tMax von Frey, Beizungsversuche am unbelasteten Muskel. Dies Archiv. 1887. S. 201.","page":154},{"file":"p0155.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Gesetze der Ern\u00fcdung.\n155\nWiederholung des Reizes mit einer Zuckung zu antworten, durchaus nicht verloren gegangen. Der Muskel stellt sich f\u00fcr dieselbe Spannung auf eine neue Gleichgewichtslage ein, von welcher aus er seine Zuckungen, von fast gleicher H\u00f6he wie die urspr\u00fcnglichen, wieder fortsetzt. Der Muskel verh\u00e4lt sich jetzt so, als ob man ein St\u00fcck von ihm abgeschnitten h\u00e4tte.\u201c Beobachtungen, welche ich am Menschen machte, zeigen, dass die Erscheinung der Contractur viel complicirter ist.\nFig. 54.\nFig. 54 stellt eine von Dr. Grandis geschriebene Aufzeichnung dar, w\u00e4hrend er mit dem Mittelfinger der linken Hand ein Gewicht von 500 s\u2122 Belastung mit dem Reizintervall von 2 Secunden auf hob. Es wurden die Beugemuskeln direct mit dem Rollenabstande von 3000 gereizt, die untere Linie bezeichnet die Dauer der Reizung. Wir sehen, dass keine Contractur vofhanden ist. Die aufsteigende Linie der Contraction ist nicht gerade, sondern hat in a eine Nase. Experimente \u00fcber diese Erscheinung werde ich m\u00f6glichst bald in einer n\u00e4chsten Abhandlung mittheilen.\nNachdem diese Aufzeichnung geschrieben wurde, wartete ich 10 Minuten-, damit sich der Muskel erhole und reizte dann denselben mit dem Rollenabstande von 4300. Fig. 55. Die Contractur erschien unmittelbar. Die zweite, dritte und vierte Contraction haben die Charaktere der Er-m\u00fcdungscurven.\nIn einer n\u00e4chsten Arbeit werde ich diejenigen Untersuchungen mittheilen, die ich mit dem Ergographen machte, indem auf dem mit grosser Schnelligkeit rotirenden Cylinder die Contractionscurven der Beugemuskeln geschrieben wurden. Vorl\u00e4ufig will ich nur die Thatsache erw\u00e4hnen, dass sich die Curve fast senkrecht von b bis a erhebt; an diesem Punkte wird die Geschwindigkeit der Contractionen kleiner und erreicht langsamer den Gipfel bei c.","page":155},{"file":"p0156.txt","language":"de","ocr_de":"Fig. 55.\n156\nAngelo Mosso:\nEs scheint, dass, da der elektrische Reiz st\u00e4rker ist, der Muskel das Maximum seiner Contraction schneller erreichen m\u00fcsste. Statt dessen geschieht das Gegentheil. Es gen\u00fcgt wohl diese Beobachtung, um zu zeigen, dass die Reizbarkeit des Muskels vermindert ist. Als der Reiz schwach war, konnte das Profil einer jeden Contraction sowohl in Fig. 54 als auch in der Fig. 48 mit zwei geraden Linien, welche sich unter spitzem Winkel treffen, dargestellt werden. Jetzt, wo der Reiz st\u00e4rker ist, ist die H\u00f6he der Contrac-tionen nicht gr\u00f6sser, und es besteht eine Versp\u00e4tung im letzten Theile der Contraction. Sonderbar ist es, dass diese Differenz allm\u00e4hlich schwindet, weshalb die Contractionen nach Aufh\u00f6ren der Contractur wieder den vorangehenden \u00e4hnlich werden.\nDieselbe Ver\u00e4nderung in dem Charakter der Zusammenziehung w\u00e4hrend der Contraction sehen wir auch in Fig. 49 S. 149. Es erscheint sonderbar, zugeben zu m\u00fcssen, dass sich im Muskel in Folge einer zu starken Nervenreizung gleich Anfangs eine Erm\u00fcdung manifestire, und dass","page":156},{"file":"p0157.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Gesetze dee Erm\u00fcdung.\n157\ndiese fortbestehe, w\u00e4hrend die Contractionen in ihrer H\u00f6he zunehmen, die beobachteten Thatsachen jedoch eignen sich zu einer solchen Deutung, und wir sehen, dass diese ersten Erscheinungen der Erm\u00fcdung sp\u00e4ter schwinden.\nAusser der Contractur erfolgen im Muskel unter dem Einfl\u00fcsse der Nervenreizung sicherlich noch andere Ver\u00e4nderungen. Es gen\u00fcge, auf die Steigerung der H\u00f6he der Contractionen aufmerksam zu machen, welche zuerst von Bowditch beobachtet und mit dem Namen \u201eTreppe\u201c bezeichnet wurde, die man auch dann sieht, wenn die Reize so schwach sind, dass sie im Beginne keine Contractionen zu erzeugen verm\u00f6gen.\nIch werde in einer n\u00e4chsten Arbeit \u00fcber die \u201eTreppe\u201c die Erscheinungen eingehender studiren, welche der Muskel darbietet, wenn er, nachdem er ausgeruht, eine Reihe von Contractionen beginnt.\nVorl\u00e4ufig sage ich nur, dass die Treppe von einer vorhergehenden Erm\u00fcdung abh\u00e4ngig ist. Man kann an Menschen die treppenf\u00f6rmige Ansteigung der Zusammenziehungen durch die Massage verhindern und verschwinden lassen. \u2014 Die Treppe h\u00e4ngt von der mechanischen Wirkung der Zusammenziehung ab, weil der Muskel bei seinen Contractionen sich selbst massirt.\nWenn wir die Aufzeichnungen der Figg. 49 und 55 mit einander vergleichen, dann sehen wir, dass der obere Theil einer jeden Contraction modifient ist und nicht der untere, welch letzterer bis zur H\u00f6he a unver\u00e4ndert bleibt.\nDer Muskel ist in einen neuen Zustand getreten. Die Contractionen, welche der Muskel jetzt ausf\u00fchrt, sind den fr\u00fcheren nicht gleich. Beim Menschen ver\u00e4ndern sich w\u00e4hrend der Contractur die Charaktere der einzelnen Contractionen, und diese werden den Contractionen des erm\u00fcdeten Muskels \u00e4hnlich.\nDie beim Menschen mittels des Ergographen gemachten Untersuchungen lassen uns die innere Natur einiger Erscheinungen des Tetanus besser erkennen. Schon Kronecker hatte in seiner Arbeit vom Jahre 1871, S. 734, bemerkt, dass die Erm\u00fcdung in Folge von tetanisirenden Reizen \u00e4hnlich verl\u00e4uft, wie die durch einfache Contractionen verursachte, nat\u00fcrlich modi-fieirt durch die mit der Zuckungsdauer ver\u00e4nderliche Superposition der Zusammenziehungen. Die tetanisirenden Reize haben einen \u00e4hnlichen Erm\u00fcdungseffect , wie eine gleiche Reihe von Contractionen, die durch Intervalle geschieden sind, welche Erschlaffung gestatten. Die Figg. 46 und 47 haben alle Charaktere des Tetanus, mit der einzigen Differenz, dass die Contractionen alle zwei Secunden auf einander folgen.\nIn der Aufzeichnung der Fig. 56 sieht man besser das Verh\u00e4ltniss der Contractur zur Aenderung in der Reizbarkeit des Muskels. Dr. Grandis","page":157},{"file":"p0158.txt","language":"de","ocr_de":"Fig. 56.\n158\nAngelo Mosso:\nhob mit dem Mittelfinger der linken Hand 200 gTm Belastung, w\u00e4hrend der N. medianus in der gew\u00f6hnlichen Weise durch einen tetanisirenden in-ducirten Strom mit dem Rollenabstande von 2000 gereizt wurde. Die Aufzeichnung 56 wurde photographisch ungef\u00e4hr auf die H\u00e4lfte reducirt.\nIn dem ersten Theile sieht man w\u00e4hrend 25 Contractionen koine Spur von Contractur. Kaum dass sich diese zu zeigen beginnt, sehen wir, dass die Contractionen niedriger werden; weiterhin bleiben die Contractionen dann unregelm\u00e4ssig w\u00e4hrend der Contractur.\nNachdem die Fig. 56 geschrieben ward, verst\u00e4rkte ich den Reiz, d. h. ich brachte ihn auf 3000 und die Unregelm\u00e4ssigkeit in der H\u00f6he der Contractionen verschwand.\nDiese Beobachtung ist wichtig, weil sie zeigt, dass die Unregelm\u00e4ssigkeit der Contractionen \u2014 in Folge von untermaximalen Reizen zusammen mit der Contractur entsteht. Wir sehen hier in ihrer Anfangsform jene Verminderung von Reizbarkeit, welche wachsend zur Hemmung f\u00fchrt. In der Arbeit, welche ich zusammen mit Prof. Guareschi \u00fcber die Ptomaine ver\u00f6ffentlicht habe,1 haben wir die Ursache der Unregelm\u00e4ssigkeiten untersucht, welche man in den Contractionen der Froschmuskeln beobachten kann.\nIch erlaube mir das zu citiren, was wir damals sagten : \u201eD\u2019apr\u00e8s nos recherches l\u2019excitabilit\u00e9 du sciatique de la grenouille se maintient pendant quelque temps \u00e0 son niveau normal lorsqu\u2019on irrite le nerf par une secousse d\u2019ouverture tellement faible qu\u2019elle est \u00e0 peine sentie sur la pointe de la langue; on obtient alors une s\u00e9rie de contractions r\u00e9guli\u00e8res. C\u2019est la premi\u00e8re p\u00e9riode. D\u00e8s que pour une raison quelconque, il se produit une diminution de l\u2019excitabilit\u00e9 du nerf, la r\u00e9gularit\u00e9 des contractions dispara\u00eet (trac\u00e9s GHIL \u2014 QR \u2014 ST, planche I.) ; elles ne\n1 Guareschi et Mosso 1. c.","page":158},{"file":"p0159.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Gesetze der Erm\u00fcdung.\n159\nsont plus proportionn\u00e9es \u00e0 l\u2019excitation; il faut alors, pour avoir des contractions r\u00e9guli\u00e8res, recourir \u00e0 des excitations plus fortes (trac\u00e9 \u00df S, planche L). C\u2019est une p\u00e9riode d\u2019excitabilit\u00e9 diminu\u00e9e, la deuxi\u00e8me p\u00e9riode.\u201c\nDie Contractur w\u00e4re also von einer anderen schweren Ver\u00e4nderung des Muskels begleitet, weshalb dieser nicht mehr regelm\u00e4ssig mit gleichen Contractionen auf den constanten Reiz antwortet, welcher durch den Nerven geht. Es wird also, um zu verhindern, dass bei der Contractur unregelm\u00e4ssige Contractionen erfolgen, der Wille entweder die Reize verst\u00e4rken oder mit den st\u00e4rksten Reizen arbeiten m\u00fcssen.\nTrotz des Bestehens der Contractur kann der Muskel nicht als ein leistungsunf\u00e4higes Instrument angesehen werden. Ich w\u00fcrde sogar sagen, dass die Contractur eine Vervollkommnung der Muskeln darstelle. Die Contractur ist eine Reizerscheinung, welche der Verl\u00e4ngerung der Muskeln bei der Erm\u00fcdung entgegenwirkt, und diese, wie wir im n\u00e4chsten Capitel sehen werden, \u00fcbercompensiren kann. Sie ist ein Regulirungsmittel der Natur, und hilft die Contractionen bei den gr\u00f6ssten Anstrengungen zu verst\u00e4rken. Unter den aussergew\u00f6hnlichen Umst\u00e4nden des Lebens und des Kampfes um das Dasein, wenn eine sehr starke Contraction nothwendig ist, kann die Contractur f\u00fcr eine kurze Zeit den Tetanus des Muskels unterst\u00fctzen, und eine gr\u00f6ssere Kraft\u00e4usserung erm\u00f6glichen.\nVer\u00e4ndernngen in der Elasticit\u00e4t des Muskels bei der\nErm\u00fcdung.\nSo lange die Natur der Contraction unbekannt bleibt, wird die Identi-ficirung der contractilen Kr\u00e4fte mit den elastischen nur Verwirrung verursachen und wenig zur Aufkl\u00e4rung der Natur derjenigen \u00e4usserst compli-cirten Vorg\u00e4nge beitragen, welche die Muskelbewegung zusammensetzen. In der Nomenclatur der Erscheinungen, welche man w\u00e4hrend der verschiedenen Stadien der Contraction beobachtet, st\u00f6sst man auf Schwierigkeiten, denen man nicht leicht ausweichen kann, weil es unm\u00f6glich ist, die Zusammenziehung von der Contractur genau zu sondern und man nicht bestimmen kann, wo die eine aufh\u00f6rt und die andere anf\u00e4ngt. Ebenso verh\u00e4lt es sich mit der Elasticit\u00e4t und der Tonicit\u00e4t, die man, bei Zunahme derselben, mit der Contractur verwechselt.\nIn diesem Capitel betrachte ich als Abnahme der Elasticit\u00e4t diejenige Erscheinung, wobei sich der Muskel \u00fcber dasjenige Maass hinaus verl\u00e4ngert, welches er fr\u00fcher besass, und werde mit dem Ausdrucke \u201eContractur\u201c die dauernde Verk\u00fcrzung bezeichnen, welche der Muskel in Folge der Erm\u00fcdung erleidet.","page":159},{"file":"p0160.txt","language":"de","ocr_de":"160\nAngelo Mosso:\nEs ist allbekannt, dass in der Hand w\u00e4hrend der Ruhe die Fingerbeuger ein leichtes Uebergewicht \u00fcber ihre Antagonisten, die Fingerstrecker, zeigen, weshalb eben die Finger etwas gebeugt sind. Ich habe an der am Ergographen befestigten Hand, deren Finger ihre nat\u00fcrliche Flexion beibehalten, gemessen, um wieviel sich dieselben strecken, wenn sie von einem kleinen Gewichte gezogen werden, welches an der Schnur des Ergographen aufgeh\u00e4ngt ist, die wie gew\u00f6hnlich mit einem Ring an der zweiten Phalanx zieht. Diese auf den ersten Blick wenig exacte Methode liefert regelm\u00e4ssige Aufzeichnungen, weil sich die Finger auf eine constante L\u00e4nge dehnen lassen, wenn sie von demselben Gewichte gezogen werden. Sie kehren in ihre urspr\u00fcngliche Lage zur\u00fcck, wenn sie freigelassen werden. Da die Sehnen sich nicht dehnen lassen, und das Handgelenk fixirt ist, so kann angenommen werden, dass die unter solchen Bedingungen erhalteneAuf-\nFig. 57.\nZeichnung der Dehnung oder Verk\u00fcrzung proportional ist, welche die Fingerbeuger erleiden. Die Figg. 57 und 58 zeigen im ersten Theile der Aufzeichnung die Art und Weise, in welcher die Experimente angestellt wurden. So oft die Schnur des Ergographen mit einem Gewichte von 4008rm belastet wurde, erfolgte eine leichte Streckung der Finger und die Feder des Ergographen schrieb eine verticale Linie nach unten. Da der Cylinder sich dreht, so zeichnete die Feder eine untere horizontale Linie. Nach vier Secunden hebt man das Gewicht, die Finger beugen sich wieder und schreiben eine verticale Linie nach oben und dann die obere horizontale Strecke, welche die normale Lage andeutet.\nNachdem diese erste Aufzeichnung der Elasticit\u00e4t im Ruhezust\u00e4nde","page":160},{"file":"p0161.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Gesetze der Erm\u00fcdung.\n161\ngemacht wurde, h\u00e4ngt man an die Schnur des Ergographen ein Gewicht von 3\u20144 k\u00ae, damit sich der hebende Muskel erm\u00fcde. Die Ueberlastung des Muskels ist noth wendig, weil sonst die Finger in der Pause zwischen je zwei Contractioneu durch die grossen Gewichte zu stark gedehnt w\u00fcrden. Kaum ist die Aufzeichnung der Erm\u00fcdung beendet, so belastet man den Muskel neuerdings mit dem Gewichte von 400\u00ae\u2122 und vergleicht die gewonnene Aufzeichnung mit der vorhergehenden. Ich habe in dieser Weise die Ver\u00e4nderungen studirt, welche hei der Erm\u00fcdung durch directe und indirecte Reizung der Muskeln, ferner durch die willk\u00fcrlichen Bewegungen derselben erfolgen, und beobachtete alle Combinationen, die m\u00f6glich sind, d. h. 1) Vermehrung der Elasticit\u00e4t, 2) Verminderung der Elasticit\u00e4t, 3) constante Elasticit\u00e4t.\nFig. 57 repraesentirt ein Experiment, welches mit dem Mechaniker meines Laboratoriums, dem Hrn. Corino gemacht wurde. Die Linie ab stellt die Reihe der Elasticit\u00e4tsbestimmungeu am Mittelfinger der linken Hand im Ruhezust\u00e4nde dar. Hiernach wurden 4k\u00ae angeh\u00e4ngt, nachdem fr\u00fcher der Ergograph in dieUeberlastungsposition gesetzt wurde. Hr. Corino machte nun eine Reihe von gr\u00f6ssten Contractioneu, jede zweite Secunde bis zur Erm\u00fcdung. Kaum endigten in c die willk\u00fcrlichen Contractionen, so entfernte man die 4k\u00ae und die Unterst\u00fctzung und belastete neuerdings mit 400\u00ae\u2122. Man sieht, dass sicli die Muskeln weiter dehnen liessen und dass eine Abnahme der Elasticit\u00e4t stattgefunden hatte. W\u00e4hrend der Aufzeichnung cd beobachtete ich, dass der Muskel allm\u00e4hlich zu seiner primitiven L\u00e4nge zur\u00fcckkehrt, weil die Linie von c nach d sich hebt.\nDer Raumersparnis halber habe ich nicht die ganze Aufzeichnung, aus welcher diese Thatsache klar hervorgeht, wiedergegeben. Ich werde aber in Kurzem eine andere Aufzeichnung mittheileu, welche auf den Gegenstand Bezug hat. Eine Verminderung der Elasticit\u00e4t beobachtete ich an mir selbst, an meinem Bruder Dr. Ugolino und an Giorgio Mondo, Diener meines Laboratoriums. An anderen Personen hingegen fand ich eine Vermehrung der Elasticit\u00e4t, so an den Doctoren Grandis, Maggiora und an dem Hrn. Colla. Ich theile hier als Beispiel ein an dem Hrn. Colla gemachtes Experiment mit. In der Strecke ab der Fig. 58 sind zwei Elasticit\u00e4tsbestimmungen im Ruhezust\u00e4nde. Diesen gleich sind die vier vorangehenden, und deshalb theile ich sie hier nicht mit. Hr. Colla machte nun eine Reihe von Contractionen, indem er 3k\u00ae Ueberlastung bis zur Erm\u00fcdung hob. Bei c wurden hernach 400\u00ae\u2122 Belastung angeh\u00e4ngt, und als Folge davon sehen wir, dass die Curve gestiegen ist, es ist also eine Steigerung der Elasticit\u00e4t des Muskels vorhanden. Die Aufzeichnung der Elasticit\u00e4t wurde fortgesetzt und ich fand, dass die Contractur allm\u00e4hlich schwand, und dass der Muskel nach drei Minuten zu seiner ur-\nArehiy f. A. n. Ph. 1890. PUyalol. Abtlilg.\t11","page":161},{"file":"p0162.txt","language":"de","ocr_de":"162\nAngelo Mosso:\nspr\u00fcnglichen L\u00e4nge zur\u00fcckgekehrt ist. An Hrn. Dr. Aducco und an dem Hrn. Caselgrandi beobachtete ich gar keine Ver\u00e4nderung der Elasticit\u00e4t in Folge der Erm\u00fcdung.\nFig. 58.\nWenn man den Nerven oder direct den Muskel reizt, dann schwinden die Effecte der Erm\u00fcdung viel langsamer. Fig. 59 repraesentirt ein Experiment an Dr. Maggiora mit Reizung des N. medianus. Der Mittelfinger arbeitete mit3k? Ueberlastung. Die Intensit\u00e4t des Reizes ist gleich 1750.\nFig. 59.\nBei jeder Reizung werden 40 Schliessungen und Oeffnungen des prim\u00e4ren Stromes gemacht, und in der Secunde erfolgen 50 solche Unterbrechungen, die Reizung dauert also 4/5 Secunde. Bevor noch der Muskel vollkommen ersch\u00f6pft ist, und w\u00e4hrend er noch das Gewicht zu heben vermag, wird die Aufzeichnung der Elasticit\u00e4t gemacht. Da die Figur zu lang geworden w\u00e4re, so sehnitt ich davon 5 St\u00fccke aus, so dass man die nach drei, f\u00fcnf, sieben und neun Minuten gemachten Bestimmungen mit einander vergleichen kann. In diesem Experimente wendete ich statt 400 *rm \u2014 3 k\u00ab","page":162},{"file":"p0163.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Gesetze der Erm\u00fcdung.\n163\nan, um den Muskel zu dehnen. Dieses Gewicht ist zu gross, um die Wirkung der Contracta im unteren Tlieile der Aufzeichnung beurtheilen zu lassen, man sieht aber, dass ungef\u00e4hr neun Minuten nothwendig waren, damit der Muskel seine primitive L\u00e4nge wiedererlauge.\nIch halte es f\u00fcr \u00fcberfl\u00fcssig andere Experimente anzuf\u00fchren, sondern erw\u00e4hne auf Grund der erhaltenen Resultate, dass ich eine Vermehrung der Elasticit\u00e4t oder eine best\u00e4ndige Contracta an leichter erregbaren Personen beobachtete, an solchen, welche eine deutliche und st\u00e4rkere Contracta im Anf\u00e4nge einer Reihe von Zusammenziehungeu zeigen. St\u00e4rkere und an Muskelanstrengungen gew\u00f6hntere Personen zeigen keine Ver\u00e4nderung oder wenigstens nur kleine Verminderung der Elasticit\u00e4t.\nVergleicht man nun diese Beobachtungen mit denen des vorhergehenden Capitels, so kann man behaupten, dass die Contracta nicht vollst\u00e4ndig in Folge der Erm\u00fcdung schwindet.\nEs ist bekannt, wie heftig der Streit in der Frage der Elasticit\u00e4t der Muskeln war. Ich beabsichtige nicht auf dieses streitige Feld zu treten, glaube jedoch, dass die Beobachtung, wonach die Contracta auch im erm\u00fcdeten Muskel vorhanden ist, dazu dienen wird, um die Beobachtungen einiger Autoren, welche dem Web er\u2019sehen Gesetze zu widersprechen schienen, auf ihren richtigen Werth zur\u00fcckzuf\u00fchren.\nBoudet hat in der That auf Grund einer Reihe von Experimenten, die er in Mare y\u2019s Laboratorium anstellte, behauptet, dass ein durch Ausschneiden seines Nerven oder elektrisch gereizter Muskel (einmalige Reizung oder Reizung bis Auftreten von Tetanus) st\u00e4rker und vollkommener elastisch werde.1\nNach den am Menschen gemachten Versuchen muss Boudet\u2019s Schluss bloss auf stark reizbare Muskeln und auf starke Reizungen bezogen werden. Ich hatte keine Zeit zu entscheiden ob die Contracta und die Verminderung der Elasticit\u00e4t einen verschiedenen Verlauf haben; in einigen F\u00e4llen schien es mir als ob die Verminderung der Elasticit\u00e4t rascher als die Contracta verschwinde, so dass die Contractur, nachdem der Muskel aufgeh\u00f6rt hat sich zu contrahireu, langsam zunahm. Den entgegengesetzten Fall, d. h. eine Verl\u00e4ngerung des Muskels \u00fcber die primitive Grenze hinaus nach Aufh\u00f6ren der Contractur habe ich nicht beobachtet. Ich werde diese Untersuchungen fortsetzen, glaube jedoch jetzt schon, dass nachdem die\n1 Boudet de Paris, Effets du eurare, de la chaleur et de la section des nerfs moteurs sur l\u2019excitabilit\u00e9 et l\u2019\u00e9lasticit\u00e9 musculaires. Travaux du. laboratoire de M. Marey. 1878/79. t. IV. p. 194.\nU*","page":163},{"file":"p0164.txt","language":"de","ocr_de":"164\nAncstxo Mosso:\nExistenz der Contractur bei der Erm\u00fcdung nach willk\u00fcrlichen Bewegungen oder nach directer oder indirecter Reizung erkannt ist, man diesem Umstande als einer Erscheinung Rechnung tragen werde, welche die Verminderung der Elasticit\u00e4t, die der Muskel hei der Erm\u00fcdung gew\u00f6hnlich zeigt, zu compensiren und sogar zu \u00fcbercompensiren vermag.\nKronecker hat in seiner Arbeit \u00fcber die Erm\u00fcdung und Erholung der Muskeln1 bemerkt, \u201edass die der Zahl der Zuckungen proportional wachsende Erm\u00fcdung des belasteten Muskels scheinbar einem anderen Gesetze folge, sobald die Zuckungsgr\u00f6sse kleiner geworden ist, als die Dehnung des ruhenden Muskels durch das belastende Gewicht.\u201c\nBeim Menschen ist diese Dehnung des ruhenden Muskels nach der Erm\u00fcdung sehr klein, wie wir im Experiment Eig. 57 bei Corino gesehen haben. Ich habe diese Differenzen gegenw\u00e4rtig nicht genau studiren k\u00f6nnen, werde aber sp\u00e4ter in einer anderen Arbeit auf dieses Argument zur\u00fcckkehren, in der ich \u00fcber die Ver\u00e4nderungen, welche die Anaemie in der Elasticit\u00e4t der Muskeln und Reizbarkeit des Nerven hervorbringt und \u00fcber die Unterschiede, welche die Erm\u00fcdungscurve der belasteten und \u00fcberlasteten Muskeln aufweist, haudeln werde.\nEinfluss der Unterst\u00fctzung auf die Coutractionsli\u00f6he.\nNachdem ich die Erm\u00fcdungscurve nach Entlastung des Muskels, w\u00e4hrend des letzten Theiles seiner Contraction studirt, habe ich den Muskel im Beginne der Contraction entlastet, wie dies schon v. Frey2 beim Frosche gemacht hat. Um diese Unterst\u00fctzung zu erhalten, gen\u00fcgte es, die Schraube e, welche die zum Aufhalten dienende S\u00e4ule K (Fig. 2) verschiebt, zu drehen, nachdem die Schraube b nachgelassen wurde. Wir kennen bereits die Erm\u00fcdungscurve von Dr. Aducco nach Aufhebung von 3kg mit dem Mittelfinger der rechten Hand. Wenn wir die Fig. 10 mit der Fig. 60 vergleichen, dann sehen wir, dass die Unterst\u00fctzung gar keinen Einfluss auf die Erm\u00fcdungscurve aus\u00fcbt. Der Rhythmus ist identisch mit dem der vorhergehenden Figuren, d. h. 2 Secunden. Kaum wurden die ersten zwei Contractionen in der Aufzeichnung 60 gemacht, so begann ich die Schraube c (Fig. 2) zu drehen, und n\u00e4herte langsam die Unterst\u00fctzungss\u00e4ule K den Fingern. Es erfolgen 13 Contractionen, die immer k\u00fcrzer und k\u00fcrzer werden, dann drehte ich in entgegengesetzter Richtung die Schraube und f\u00fchrte die Unterst\u00fctzung gegen die Abscisse\n1\tA. a. O. S. 751.\n2\tMax von Frey^ dies Archiv. 1887. 8. 195.","page":164},{"file":"p0165.txt","language":"de","ocr_de":"Uber die Gesetze der Erm\u00fcdung.\n165\nzur\u00fcck. Es entstand eine dreieck\u00e4hnliche Eigur in der Aufzeichnung der Contractionen, ohne dass die Erm\u00fcdungscurve eine erhebliche Aenderung zeigen w\u00fcrde. Beim letzten Theile der Curve, als die Erm\u00fcdung gr\u00f6sser war, versuchte ich noch einmal die Unterst\u00fctzung, aber auch diesmal ohne sichtbaren Erfolg.\nFig. 60.\nDieses Experiment wurde auch an anderen Personen wiederholt, und ich habe in gleicher Weise gefunden, dass der Muskel mittels der Unterst\u00fctzung von einem grossen Theile seiner Arbeit befreit werden kann,. ohne dass sich die Erm\u00fcdungscurve \u00e4ndert. Es w\u00fcrde dies mit den Resultaten von","page":165},{"file":"p0166.txt","language":"de","ocr_de":"166\nAngelo Mosso:\nKronecker \u00fcbereiustimmen, und man m\u00fcsste auch mit Bezug auf die Contractionen der Muskeln des Menschen zugeben, was Kronecker schon betreffs der Zuckungen der Muskeln des Frosches demonstrirt hat, d. h. dass die Erm\u00fcdung die gleiche bleibt, wenn nur die Reize gleich bleiben, gleichg\u00fcltig ob die Zuckungen oder die Gewichte, welche gehoben werden, gross oder klein sind.\nIn der Meinung, dass das Ausbleiben der Wirkung der Unterst\u00fctzung vom Willen abh\u00e4ngig sein k\u00f6nnte, welcher die Anstrengung und die Muskel-\ncontraction dem Gewichte proportional gestalten k\u00f6nnte, sodass die Erm\u00fcduugscurve dem zu Folge eine constante bleibe, habe ich die Wirkung der Nervencentren dadurch eliminirt, dass ich den N. medianus reizte.\nDas an Hrn. Dr. Grandis ausgef\u00fchrte Experiment (Fig. 61) mit 2k* und einer Reizst\u00e4rke von 2250 zeigt, dass es sich in der That um eine Erscheinung handelt, die ihren Sitz in den Muskeln und in den Nerven hat. Die Unterst\u00fctzung wurde dreimal hintereinander ausgef\u00fchrt: zwei Mal ohne Erfolg, aber das dritte Mal hatte sie eine sichtbare Wirkung. Das zeigt sich deutlich in der Fig. 62, welche die Fortsetzung derselben Aufzeichnung ist. Es ist deshalb nicht f\u00fcr alle F\u00e4lle richtig, dass der Muskel sich gleichg\u00fcltig gegen die Gewichte verh\u00e4lt, die er zu heben hat.\nDer Einfluss des Gewichtes auf die Erm\u00fcdungscurve wird eingehender von Dr. Maggiora im ersten Capitel der folgenden Abhandlung beleuchtet werden. Vorl\u00e4ufig erachten wir es als wahrscheinlich, dass f\u00fcr den frischen\nFig. 63.\nMuskel w\u00e4hrend seiner ersten Contractionen das Gewicht gleichg\u00fcltig sei, sodass derselbe, wenn er einmal zur Contraction angeregt wird, eine grosse Verk\u00fcrzung ausf\u00fchrt, gleichg\u00fcltig, ob das Gewicht w\u00e4hrend der ganzen","page":166},{"file":"p0167.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber uie Gesetze der Erm\u00fcdung.\n167\nmaximalen Contraction oder bloss w\u00e4hrend eines Theiles derselben gehoben werden soll ; wenn aber die Energie des Muskels in Folge der Erm\u00fcdung abnimmt, dann gereicht es ihm zum Vortheile, wenn man ihm mittels der Unterst\u00fctzung zu H\u00fclfe kommt. Um dieses Factum mit gr\u00f6sserer Sicherheit zu analysiren, ist es besser, sich nicht der willk\u00fcrlichen Contractionen zu bedienen, bei welcher zuweilen in der Curve Einsenkungen und Erhebungen erscheinen, welche man mit der Wirkung der Unterst\u00fctzung verwechseln k\u00f6nnte. Es sind zu diesem Zwecke die Experimente mit Reizung des Nerven vorzuziehen, welche gleichf\u00f6rmige und lange Curveu ergeben. Die elektrische Reizung darf jedoch nicht zu stark zu sein, weil sonst die Wirkung des Gewichtes und der Unterst\u00fctzung weniger evident wird.\nDie Fig. 63 repraesentirt die Aufzeichnung eines Experimentes, welches an Dr. Maggiora mit dem Gewichte von 500*\u2122 in Belastung, und durch Reizung des N. me-dianus, mit einer Intensit\u00e4t von 1500 ausgef\u00fchrt wurde.\nKaum dass man die Unterst\u00fctzung machte, wurden die Contractionen etwas h\u00f6her und blieben so, solange die Unterst\u00fctzung dauerte: die Wirkung war aber nur ganz gering. Gleich danach steigerte ich das Gewicht auf 1000*\u2122 und verst\u00e4rkte die elektrische Reizung bis auf 2500. Die Contractionen wurden h\u00f6her, wie man dies der Aufzeichnung Fig. 61 entnehmen kann. Hierauf schrieb ich eine Reihe von Contractionen, um zu sehen, ob die H\u00f6he derselben regelm\u00e4ssig bleibt. Nachdem ich wahrgenommen, dass dieselben langsam abnehmen, wie man dies au der Strecke a\u2014b sieht, machte ich die Unterst\u00fctzung\nFig- 64.","page":167},{"file":"p0168.txt","language":"de","ocr_de":"168\nAngelo Mosso: \u00dcber lie Gesetze der Erm\u00fcdung.\nvon b bis c; die Gipfel der Contractionen hoben sich in leichtem Grade und sanken im absteigenden Theile c d der Unterst\u00fctzung. Wurde der Muskel in Belastung gelassen, dann fielen die Contractionen regelm\u00e4ssig in demselben Maasse wie vor der Unterst\u00fctzung. Legt man ein Lineal auf die Aufzeichnung, dann sieht man, dass die Strecke de sich auf derselben geraden Linie wie die Strecke ab befindet.\nOhne den Cylinder anzuhalten, befestigte ich nun bei e in dem vom Pfeile angedeuteten Punkte ein gr\u00f6sseres Gewicht, gleich 1500gr,n; der Pinger streckte sich etwas mehr, die Contractionen waren weniger hoch und fielen rasch, so dass sie die Curve ef bildeten. Bei / beginnt die Unterst\u00fctzung und wir sehen, dass ihre Wirkung f\u00fcr dieses Gewicht evidenter ist, so dass wir im absteigenden Theile gh Contractionen haben, die h\u00f6her sind als diejenigen, welche vor der Unterst\u00fctzung vorhanden waren.\nDiese Aufzeichnungen haben grosse Aehulichkeit mit denjenigen, welche v. Frey1 und v. Kries2 bei Fr\u00f6schen erhielten. Ich will diesmal jedoch weder auf meine, noch auf die Experimente anderer Autoren n\u00e4her eingehen und behalte mir vor, auf den Gegenstand in einer n\u00e4chsten Arbeit zur\u00fcckzukommen.\n1 M. v. Frey, Versuche zur Aufl\u00f6sung der titanischen Muskelcurve. Festschrift f\u00fcr C. Ludwig. 1887. S. 55.\na J. v. Kries, Untersuchungen zur Mechanik des quergestreiften Muskels. Lies Archiv. 1880. S. 318.","page":168}],"identifier":"lit5539","issued":"1890","language":"de","pages":"89-168","startpages":"89","title":"Ueber die Gesetze der Erm\u00fcdung: Untersuchungen an Muskeln des Menschen","type":"Journal Article"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:36:51.012406+00:00"}