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{"created":"2022-01-31T12:41:16.907887+00:00","id":"lit682","links":{},"metadata":{"alternative":"Philosophische Studien","contributors":[{"name":"Wundt, Wilhelm","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Philosophische Studien 2: 298-305","fulltext":[{"file":"p0298.txt","language":"de","ocr_de":"Erfundene Empfindungen.\nVon\nW. Wundt.\nUnter obigem Titel hat Johannes Volkelt in Bd. 19 der \u00bbPhilosophischen Monatshefte\u00ab (S. 513ff.) eine Studie ver\u00f6ffentlicht, in welcher er gegen die in der neueren Psychologie herrschend gewordene Annahme von Empfindungen polemisirt, deren thats\u00e4chliche Existenz durch die unmittelbare innere Beobachtung keineswegs sichergestellt werde. \u00bb Ich musste oft staunen \u00ab, sagt Volkelt, \u00bbwelche bestimmte und dabei \u00e4u\u00dferst subtile Unterscheidungen in unseren Empfindungen gegeben sein sollen, wo diese doch der unmittelbaren Beobachtung entweder ein reines Nichts oder ein unbestimmtes Dunkel aufweisen. East \u00fcberall aber werden diese Erfindungen im Dienste der psychophysischen Erkl\u00e4rung gewisser complicirter Sinneswahrnehmungen gemacht\u00ab. Die zur Erkl\u00e4rung des r\u00e4umlichen Sehens, der Tastwahrnehmungen und der Bewegungsvorstellungen vorausgesetzten Localzeichen, Innervations- und Muskelempfindungen werden dann als die haupts\u00e4chlichsten Beispiele solcher \u00bberfundener Empfindungen\u00ab angef\u00fchrt. Volk eit vergleicht die letzteren mit den verworrenen Ge-sammtvorstellungen, die man so oft als psychologische Aequivalente der logischen Begriffe vorausgesetzt habe , w\u00e4hrend doch, worin er meinen eigenen Ausf\u00fchrungen beistimmt, von derartigen blassen Begriffsbildern schlechterdings nichts in unserem Bewusstsein anzutreffen sei, das vielmehr nur Einzelvorstellungen als Stellvertreter der Begriffe kenne.\nDiese Analogie w\u00fcrde in der That schlagend sein, wenn Jemand behauptet h\u00e4tte, die Localzeichen und Innervationsempfindungen seien","page":298},{"file":"p0299.txt","language":"de","ocr_de":"Erfundene Empfindungen.\n299\nunmittelbar so, wie sie zur Erkl\u00e4rung gewisser complexer Thatbest\u00e4nde vorausgesetzt werden, im Bewusstsein vorhanden. Solches ist aber meines Wissens von Niemanden geschehen. Ich selbst habe in dem Eingang des zweiten Abschnittes meiner Psychologie bemerkt : \u00bbAls Empfindungen sollen in der folgenden Darstellung diejenigen Zust\u00e4nde unseres Bewusstseins bezeichnet werden, welche sich nicht in einfachere Bestandtheile zerlegen lassen\u00ab, und daran ankn\u00fcpfend weiter ausgef\u00fchrt, der hier angenommene Begriff sei lediglich aus den Bed\u00fcrfnissen der psychologischen Analyse hervorgegangen ; die so definirte einfache Empfindung sei uns daher in der unmittelbaren inneren Wahrnehmung niemals gegeben, sondern das Resultat einer psychologischen Abstraction, zu welcher wir durch die zusammengesetzte Natur aller inneren Erfahrungen gen\u00f6thigt werden. Wenn nun dies von den einfachen Ton-, Licht-, Tastempfindungen schon gilt, so kommt bei den Localzeichen und Innervationsempfindungen noch hinzu, dass sie von vornherein als hypothetische Elemente unserer Vorstellungen bezeichnet wurden, die niemals durch ihre directe Aufzeigung in der inneren Erfahrung, sondern immer nur dadurch legitimirt werden k\u00f6nnen, dass sie sich zur Erkl\u00e4rung gewisser complexer Bewusstseinsvorg\u00e4nge dienlich erweisen. Die abstracten Allgemeinvorstellungen der \u00e4lteren Psychologie sind also durch den Hinweis auf die unmittelbare innere Erfahrung widerlegt, weil sie f\u00fcr unmittelbare Thatsachen der inneren Erfahrung ausgegeben wurden. Die hypothetischen Localzeichen und Innervationsempfindungen k\u00f6nnen aber durch diesen Hinweis ebenso wenig widerlegt werden wie die Atome des Physikers oder Chemikers durch den Einwurf, dass noch Niemand Atome gesehen habe.\nNun soll freilich nach Volkelt eine solche Einf\u00fchrung hypothetischer Empfindungen mit dem \u00bbBegriff der Empfindung\u00ab im Widerspruch stehen. Die Forscher, welche sich derartiger Voraussetzungen bedienen, vergessen, wie er meint, \u00bbdass der Begriff der Empfindung schlechterdings alle Bedeutung verliert, wenn das Merkmal des Bewusstseins fehlt, und dass daher nur dasjenige als menschliche Empfindung behauptet werden darf, wovon das menschliche Bewusstsein Zeugniss ablegt\u00ab. Ich wei\u00df nicht genau, welchen Inhalt Volkelt dem Begriff der Empfindung gibt, und ich bedauere um so mehr, dass er sich \u00fcber diesen Punkt nicht ausgesprochen hat, da bekanntlich","page":299},{"file":"p0300.txt","language":"de","ocr_de":"300\nW. Wundt.\ndas Wort \u00bbEmpfindung\u00ab w\u00e4hrend der verh\u00e4ltnissin\u00e4\u00dfig kurzen Zeit seines Gebrauchs sehr gro\u00dfe Schwankungen der Bedeutung erlebt hat. Angesichts der letzteren wird man es der Psychologie gestatten m\u00fcssen, dass sie ihrerseits in den Begriff ein Moment aufnimmt, welches dem sonstigen Sprachgebrauch fremd zu sein pflegt, sobald sie nur die einmal angenommene Definition consequent festh\u00e4lt. Ein zureichendes Motiv hierzu liegt aber, wie ich meine, in dem Umstande, dass uns sonst in der Sprache ein Wort fehlt, welches in unzweideutiger Weise und ohne jede subjective oder objective Nebenbeziehung die Bewusstseinselemente bezeichnet, die sich hei der Analyse der in Wirklichkeit stets zusammengesetzten Bewusstseinsvorg\u00e4nge ergehen. Da wir f\u00fcr die letzteren anderweitige Bezeichnungen bereits besitzen, so schien es sich zu empfehlen, das Wort \u00bbEmpfindungen\u00ab eben auf jene Elemente einzuschr\u00e4nken. Man kann m\u00f6glicher Weise diesen Wortgehrauch ablehnen ; man kann aber nicht wohl die Existenz der so defi-nirten Empfindungen mit Gr\u00fcnden bek\u00e4mpfen, die gegen eine ganz andere Bedeutung des Wortes gerichtet sind.\nAuch in dem oben festgestellten Sinne halte ich nun die Empfindungen nicht f\u00fcr bewusstlose Vorg\u00e4nge, und ich stimme daher Volkelt bei, wenn er sagt, nur dasjenige d\u00fcrfe als Empfindung in Anspruch genommen werden, wovon das menschliche Bewusstsein Zeugniss ahlegt. Aber es scheint mir, dass wir in der Bestimmung dessen, was wir als ein solches \u00bbZeugniss\u00ab auffassen, von einander abweichen. Volkelt h\u00e4lt nur dasjenige f\u00fcr bezeugt, was wir unmittelbar durch reine Selbstbeobachtung in uns wahrnehmen. Dass er von diesem Standpunkte aus doch gelegentlich von einem \u00bbdunklen, con-fusen Gemische von leisen Lage-, Spannrings- und Bewegungsempfindungen\u00ab redet, die wir in uns wahrnehmen sollen, ist auffallend. Denn wenn es \u00fcberhaupt solche Gemische von Empfindungen gibt, so ist die Zerlegung in ihre Elemente eine unabweisbare Aufgabe der psychologischen Analyse, und diese kann doch offenbar die Eigenschaften der zusammengesetzten Bewusstseinsvorg\u00e4nge nur begreiflich machen, indem sie \u00fcber die elementaren Factoren derselben Bechen-Schaft zu gehen sucht. Dies vermag aber freilich die blo\u00dfe innere Wahrnehmung ebenso wenig zu leisten, wie die \u00e4u\u00dfere Besichtigung eines K\u00f6rpers seine chemische Analyse zu ersetzen im Stande ist. Und auch ein weiteres Postulat kann die psychologische Analyse so wenig","page":300},{"file":"p0301.txt","language":"de","ocr_de":"Erfundene Empfindungen.\nBOI\nwie die naturwissenschaftliche von sich abweisen. Wo die unmittelbar der Beobachtung gegebenen Elemente zur Erkl\u00e4rung einer com-plexen Thatsache nicht ausreichen, da sieht sie sich gen\u00f6thigt, genau in dem Umfang, in welchem dies durch die Thatsachen seihst gefordert ist, hypothetische Voraussetzungen zu Hilfe zu nehmen. Das Kriterium f\u00fcr die G\u00fcltigkeit solcher Erkl\u00e4rungselemente kann aber hier wie anderw\u00e4rts niemals ihre unmittelbare Aufzeigung in der Erfahrung sein, sondern immer nur in dem Nachweise bestehen, dass dieselben sowohl mit einander wie mit den beobachteten Thatsachen \u00fcbereinstimmen, und dass sie den letzteren nichts \u00fcberfl\u00fcssiges hinzuf\u00fcgen.\nV olkelt\u2019s Anforderungen an die psychologische Erkl\u00e4rung gehen nun augenscheinlich noch \u00fcber diese Grenze hinaus. Er w\u00fcnscht die hypothetischen Elemente \u00fcberhaupt aus der Erkl\u00e4rung verbannt zu sehen. Die complexen Erscheinungen der Sinnes Wahrnehmung sollen lediglich aus denjenigen Thatsachen abgeleitet werden, welche sich in der inneren Selbstbeobachtung darbieten. Da ich von der Wahrheit des alten naturwissenschaftlichen Grundsatzes durchdrungen bin, dass man Hypothesen so sparsam wie m\u00f6glich anwenden m\u00fcsse, so gestehe ich ihm gerne zu, dass eine Theorie der Bewusstseinserscheinungen, die ohne alle Hypothesen auskommt, jeder andern vorzuziehen w\u00e4re. Wenn also Volkelt die Entstehung des Sehfeldes, die Erscheinungen des Binocularsehens, die Bildung r\u00e4umlicher Tastwahrnehmungen, die Entwicklung der BewegungsVorstellungen u. s. w. auf Grund der reinen Selbstbeobachtung zu erkl\u00e4ren im Stande ist, so will ich gerne anerkennen, dass er die experimentelle Psychologie aus dem Felde geschlagen hat. Freilich aber d\u00fcrfte er dann nicht etwa, wie es leider hei den Philosophen beliebt ist, sich \u00fcber das Detail der Erscheinungen mit vornehmer Nichtachtung hinwegsetzen, sondern er m\u00fcsste es nicht verschm\u00e4hen, auch \u00fcber die mannigfachen Begleiterscheinungen der Wahrnehmungen, wie \u00fcber die Localisationsst\u00f6rungen, die geometrisch-optischen Illusionen u. dergl., Rechenschaft abzulegen. Denn die Richtigkeit einer Theorie bew\u00e4hrt sich nicht darin, dass sie die Hinge in Bausch und Bogen beurtheilt, sondern darin, dass sie \u00fcberall den feineren Nebenbeziehungen der Erscheinungen nachzugehen vermag. Die letzteren sind es gerade, die in diesem Fall mit einer Art logischer Nothwendigkeit zur Einf\u00fchrung hypothetischer Empfin-","page":301},{"file":"p0302.txt","language":"de","ocr_de":"302\nW. Wundt.\ndungselemente gef\u00fchrt haben, welche in unserem Bewusstsein freilich nicht als isolirte Elemente anzutretfen sind, sondern, eingeschlossen in gr\u00f6\u00dfere Empfindungscomplexe, nur durch die Wirkungen, die sie auf die Gesammtvorstellungen aus\u00fcben, von ihrer Existenz Zeugniss ablegen. Wenn man daher dieser Analyse gegen\u00fcber geltend macht, dass die Localzeichen und Innervationsempfindungen nicht als solche, d.h. losgel\u00f6st aus den Verbindungen, die sie in unseren Vorstellungen bilden, im Bewusstsein anzutretfen sind, so ist damit keine Widerlegung der Theorie gegeben , sondern eine solche k\u00f6nnte nur in dem Nachweis bestehen, dass eine Erkl\u00e4rung der Sinneswahrnehmungen m\u00f6glich sei, die \u00e4hnlicher Voraussetzungen nicht bedarf. Diesen Nachweis hat Volkelt nicht erbracht; er hat nicht einmal einen Versuch dazu gemacht, sondern sich begn\u00fcgt zu bemerken, jene Elemente unserer complexen Vorstellungen seien das wirklich nicht, wof\u00fcr sie noch Niemand ausgegehen hat, n\u00e4mlich unmittelbare Objecte innerer Wahrnehmung.\nVolkelt scheint aber von den Vertretern der neueren Psychologie zu glauben, dass sie nicht nur die in Rede stehenden Empfindungselemente selbst, sondern sogar die Beziehung derselben auf Nerven, Muskeln u. dergl. f\u00fcr unmittelbare Thatsachen der inneren Wahrnehmung halten. Denn er belehrt uns r\u00fccksichtlich der Bewegungsempfindung, diese stelle sich \u00bbals ein schwer zu analysirendes, dumpfes, verschwommenes Ganzes dar\u00ab, an welchem wir jedoch mit voller Sicherheit folgende Seiten sollen unterscheiden k\u00f6nnen : \u00bb die schwer zu beschreibende Empfindung des bewegten Gliedes seihst, die Empfindung des Umfangs, der Richtung und der Geschwindigkeit der Bewegung\u00ab. \u00bbKeineswegs aber\u00ab, hei\u00dft es weiter, \u00bbhaben wir dabei von der centralen Erregung der zu den Muskeln des Gliedes verlaufenden Nerven, noch auch von peripherischen Nervenvorg\u00e4ngen im Muskel selbst, noch \u00fcberhaupt von dem Muskel auch nur die leiseste Spur von Empfindung\u00ab. Es sei demnach \u00bbzum mindesten missverst\u00e4ndlich, wenn man die Empfindungen, welche die Bewegung begleiten, als Innervations- oder Muskelempfindungen bezeichnet\u00ab. Und an einer anderen Stelle, an der er auf den n\u00e4mlichen Vorwurf noch einmal zur\u00fcckkommt, bemerkt er: \u00bbAuch Wundt spricht einige Male so, als oh wir das, worauf wir in Folge unseres physiologischen Wissens die Bewegungsgef\u00fchle beziehen, unmittelbar f\u00fchlten. Wenn","page":302},{"file":"p0303.txt","language":"de","ocr_de":"Erfundene Empfindungen.\n303\ner z. B. sagt, dass bei einer Bewegung unseres K\u00f6rpers die Vorstellung der intendirten Anstrengung \u00bb\u00bbunmittelbar in der Innervationsempfindung ihr Ma\u00df habe\u00ab\u00ab (a. a. O. II S. 18), so scheint es doch, als ob wir au\u00dfer dem Anstrengungsgef\u00fchl auch die Innervation selbst sp\u00fcrten\u00ab. Gewiss, wer W\u00f6rter und S\u00e4tze ohne R\u00fccksicht auf ihren Zusammenhang interpretirt, k\u00f6nnte vielleicht auf eine derartige Auslegung verfallen, namentlich wenn er, wie es Volkelt thut, kein Bedenken tr\u00e4gt, selbst von einer \u00bbschwer zu beschreibenden Empfindung des bewegten Gliedes\u00ab und \u00e4hnlichen Dingen zu reden, Aeu\u00dfe-rungen, welche zeigen, dass der Verf. unter einer \u00bbEmpfindung\u00ab vielleicht alles M\u00f6gliche, jedenfalls aber nicht dasselbe wie die neuere Psychologie versteht. Denn nach der letzteren ist eine Empfindung nicht nur schwer, sondern gar nicht zu beschreiben, und das bewegte Glied ist nicht Gegenstand einer Empfindung, sondern einer zusammengesetzten Vorstellung. Aber wenn auch der Verf. den ihm eigenen verschwommenen Gebrauch der Begriffe bei Anderen voraussetzte, wie war es nach dem ganzen Zusammenhang, in welchem von den betreffenden Empfindungen die Rede ist, m\u00f6glich, auf so ungeheuerliche Ideen zu verfallen ? In der That, nachdem die Empfindungen als rein intensive und qualitativ einfache Zust\u00e4nde definirt, nachdem die Localzeichen, die Muskel- und Innervationsempfindungen wesentlich zu dem Zwecke eingef\u00fchrt sind, um die Entstehung primitiver r\u00e4umlicher Wahrnehmungen zu erkl\u00e4ren, sollte man doch billig vor der Zumuthung gesch\u00fctzt sein, an eine angeborene Kenntniss der Anatomie zu glauben ! Zudem habe ich ausdr\u00fccklich her vor gehoben, dass die Muskel- und Innervationsempfindungen nur deshalb so genannt w\u00fcrden, weil die Reize, welche die ersteren ausl\u00f6sen, wahrscheinlich im peripherischen Muskel ihren Sitz haben, w\u00e4hrend die letzteren, wie die am betreffenden Orte ausf\u00fchrlich er\u00f6rterten That-sachen vermuthen lassen, die centrale Innervation begleiten. (Physiol. Psychol. II S. 372ff.) Wozu w\u00fcrden denn alle diese zum Theil verwickelten Schlussfolgerungen \u00fcber den wahrscheinlichen Sitz der inneren Empfindungsreize erforderlich sein, wenn hier auch nur von einem Schatten jener seltsamen Meinung, dass wir uns einer urspr\u00fcnglichen Kenntniss unserer Nervenapparate erfreuten, die Rede sein k\u00f6nnte? W\u00e4re es nicht allzu viel verlangt, auch noch eine R\u00fccksichtnahme auf anderweitige Aeu\u00dferungen vorauszusetzen, die zu-","page":303},{"file":"p0304.txt","language":"de","ocr_de":"304\nW. Wundt.\nf\u00e4llig nicht genau an der n\u00e4mlichen Stelle zu finden sind, so w\u00fcrde ich \u00fcberdies daran erinnern k\u00f6nnen, dass ich sogar die Anschauung von Schopenhauer und Helmholtz , wonach bei der Objectivirung der Sinneseindr\u00fccke ein \u00e4u\u00dferes Object unmittelbar als Ursache der Empfindungen gesetzt wird, schon deshalb verwerfe, weil hier in die sinnliche Wahrnehmung etwas verlegt ist, \u00bbwas erst die Reflexion des Physiologen und des Psychologen zu derselben hinzubringt. Das nat\u00fcrliche Bewusstsein unterscheidet nicht zwischen seinen Vorstellungen und den Dingen, und es kann darum nicht die Vorstellungen als Wirkungen von ihnen verschiedener \u00e4u\u00dferer Objecte ansehen.\u00ab (Logik I S. 454.)\nWie mittelst der Methode der inneren Selbstbeobachtung, die Volkelt am Schl\u00fcsse seines Aufsatzes gegen ihre \u00bbin der modernen Psychologie sehr verbreitete Untersch\u00e4tzung\u00ab in Schutz nimmt , eine Analyse der sinnlichen Wahrnehmungen, deren complexe Natur von ihm zugestanden wird, m\u00f6glich sein soll, dar\u00fcber hat er sich nirgends ausgesprochen. Wohl aber kommen im Verlaufe seiner Betrachtungen einige Andeutungen vor, nach welchen er anzunehmen scheint, dass diese Analyse \u00fcberhaupt keine psychologische Aufgabe sei, sondern vor das Forum der Physiologie geh\u00f6re. Hinsichtlich der Innervationsund Muskelempfindungen meint er, man habe sich hier \u00fcberall bewusst zu bleiben, \u00bbdass diese Untersuchungen das Gebiet des Empfindens \u00fcberschreiten, indem sie die nicht zur Empfindung gelangenden physiologischen Erreger jener Empfindungen betreffen\u00ab. Und in Bezug auf die Localzeichen sagt er, seine Absicht sei lediglich zu zeigen, \u00bbdass sie nicht im Sinne wirklicher Empfindungen genommen werden d\u00fcrfen, und dass daher die verschiedenen Theorien an diesem Punkte eine Aenderung erfahren m\u00fcssen \u00ab ; doch lasse er dahingestellt, \u00bb ob man an die Stelle wirklicher Empfindungen blo\u00dfe Nervenerregungen oder unbewusste psychische Analoga von Empfindungen oder sonst Etwas zu setzen haben werde.\u00ab Hiergegen ist zun\u00e4chst zu bemerken, dass es lediglich Erscheinungen im Gebiete unseres Vorstellens, also psychologische Thatsachen, sind, welche zu der Schlussfolgerung f\u00fchren, dass in den Empfindungscomplex, welcher die Bewegung begleitet, peripherische Muskel- und centrale Innervationsempfindungen als gesonderte Factoren eingehen, und dass ebenso die Localzeichen durchaus nur Postulate der psychologischen Theorie des r\u00e4um-","page":304},{"file":"p0305.txt","language":"de","ocr_de":"Erfundene Empfindungen.\n805\nliehen Vorstellens sind. Auch ist gar nicht abzusehen, wie man von der rein physiologischen Untersuchung aus jemals zu diesen psychologischen Voraussetzungen h\u00e4tte gelangen sollen. Bei Volkelt freilich scheinen auch solche Dinge m\u00f6glich. Stellt er doch die Eventualit\u00e4t, dass die Localzeichen \u00bbblo\u00dfe Nervenerregungen\u00ab seien, an erster Stelle der heutigen Auffassung derselben als elementarer Bewusstseinsvorg\u00e4nge gegen\u00fcber. Der Philosoph aus Hegel\u2019scher Schule steuert hier mit vollen Segeln mitten in den Strom jener materialistischen Psychologie hinein, welche sich nun bereits seit einem Jahrhundert damit abqu\u00e4lt, aus \u00bbblo\u00dfen Nervenerregungen\u00ab die complexen Thatsachen der sinnlichen Wahrnehmung abzuleiten, ohne sich deutlich zu machen, dass zusammengesetzte Erfahrungen immer und \u00fcberall nur aus elementaren Thatsachen desselben Gebietes erkl\u00e4rt werden k\u00f6nnen. Darum kann man ebenso gut die \u00e4gyptische Cultur aus dem Nilsande deduciren, wie man auch nur die einfachste r\u00e4umliche Wahrnehmung mittelst blo\u00dfer Nervenerregungen begreiflich machen wird. Doch in solchen Dingen bew\u00e4hrt es sich abermals, dass ein geheimes Band der Sympathie die blo\u00df speculirenden Theoretiker aller Parteien verbindet. Der dialektische Philosoph r\u00e4umt lieber dem materialistischen Dogmatiker den Platz, als dass er der experimentellen Psychologie gestattet, seine Kreise zu st\u00f6ren.\nWunilt, Philos. Studien. 11.\n20","page":305}],"identifier":"lit682","issued":"1885","language":"de","pages":"298-305","startpages":"298","title":"Erfundene Empfindungen","type":"Journal Article","volume":"2"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T12:41:16.907892+00:00"}