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{"created":"2022-01-31T12:43:02.795912+00:00","id":"lit724","links":{},"metadata":{"alternative":"Philosophische Studien","contributors":[{"name":"Wundt, Wilhelm","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Philosophische Studien 4: 112-116","fulltext":[{"file":"p0112.txt","language":"de","ocr_de":"Bemerkungen zu vorstehendem Aufsatze.\nVon\nW. Wundt.\nDie Ergebnisse der obigen Untersuchung sind, wie ich glaube, in mehrfacher Beziehung von gro\u00dfem Interesse. Besonders ist es der Nachweis, dass die f\u00fcr den Contrast \u00bbg\u00fcnstigen Unterschiede\u00ab der Lichtintensit\u00e4t in einer einfachen, durch eine geometrische Progression darzustellenden Beziehung zu einander stehen, der auf die Theorie des Contrastes ein neues Licht zu werfen verspricht. Mit diesem Nachweis steht aber der andere, dass das W eber\u2019sche Gesetz bei der Methode der mittleren Abstufungen nur dann strenge zutriift, wenn die zu vergleichenden Lichtintensit\u00e4ten Glieder j ener Proportionenreihe \u00bbg\u00fcnstiger Unterschiede\u00ab sind, im innigsten Zusammenh\u00e4nge. Beide S\u00e4tze erscheinen, wenn man erw\u00e4gt, dass nach des Yerfasser\u2019s Versuchen alle Lichtvergleichungen mit dem Einfluss des Contrastes behaftet bleiben, also in Wahrheit Contrastversuche sind, lediglich als verschiedene Ausdrucksformen einer und derselben That-sache. Denn das Web er\u2019sehe Gesetz ist es ja eben, welches eine solche Ordnung der verglichenen Reizst\u00e4rken in einer geometrischen Reihe fordert.\nAls das wesentliche Ergebniss der Versuche des Herrn Neiglick d\u00fcrfte daher dieses festzuhalten sein, dass dieselben eine neue, bisher nicht beobachtete Art der Abweichung vom Weber-schen Gesetze darth\u00fcn, darin bestehend, dass genaue tfebereinstimmung mit diesem Gesetze nur bei bestimmten Abst\u00e4nden der verglichenen Reize vorhanden ist. Zu den bis dahin bekannt gewordenen Grenzabweichungen w\u00fcrde","page":112},{"file":"p0113.txt","language":"de","ocr_de":"Bemerkungen zu vorstehendem Aufsatze.\n113\nso noch eine zweite Art, die der periodischen Abweichungen hinzutreten, von denen k\u00fcnftige Untersuchungen entscheiden m\u00fcssen, ob sie blo\u00df f\u00fcr den Lichtsinn gelten, oder ob sie auch f\u00fcr andere Sinne nachzuweisen sind. Im Gebiete des Lichtsinnes aber sind sporadische Thatsachen, die auf solche periodische Abweichungen hinweisen, offenbar schon lange bekannt: sie bestehen eben in jenen schon in \u00e4lteren Contrastbeobachtungen hervorgetretenen, aber noch nicht planm\u00e4\u00dfig verfolgten Erscheinungen \u00bbg\u00fcnstiger Unterschiede\u00ab.\nHerr Neiglick selbst hat in dem Schlussresum\u00e9 seiner Untersuchung eine von der hier angedeuteten wesentlich verschiedene Auffassung zur Geltung gebracht. Er setzt voraus, dass zwei Beziehungsgesetze der verglichenen Empfindungen unabh\u00e4ngig neben einander hergehen und sich in ihren Wirkungen durchkreuzen: das Weber\u2019sche Gesetz, welches die Beziehung der Empfindungen unabh\u00e4ngig vom Contraste regele, und ein Contrastgesetz, welches eine noch unbekannte Function des St\u00e4rkeverh\u00e4ltnisses der verglichenen Reize sei. Demgem\u00e4\u00df nimmt er an, dass die Abweichungen vom Weber\u2019schen Gesetze, die bei den \u00bbung\u00fcnstigen Unterschieden\u00ab zur Beobachtung kommen, vom Contraste bedingt werden. Nun w\u00fcrde offenbar zu erwarten sein, dass solche St\u00f6rungen durch den Contrasty da am gr\u00f6\u00dften seien, wo der Contrast selbst zu einem Maximum wird. Nach den Versuchen ist aber das Gegentheil der Fall: dem Maximum des Contrastes entspricht die gr\u00f6\u00dfte Uebereinstimmung mit dem We-b er\u2019sehen Gesetze, und die Abweichungen von dem letzteren sind da am bedeutendsten, wo der Contrast am kleinsten ist. Dieses Verh\u00e4ltniss w\u00fcrde unter der Voraussetzung einer Verschiedenheit beider Gesetze nur durch eine sehr complicirte und, wie man wohl sagen darf, sehr unwahrscheinliche Hypothese \u00fcber den Gang der Constrastfunction erkl\u00e4rt werden k\u00f6nnen. Durch die Versuche selbst wird vielmehr die entgegengesetzte Annahme nahe gelegt, wonach der Contrast selbst dem Weber\u2019schen Gesetze folgt, und die Abweichungen von diesem auf St\u00f6rungen beruhen, welche die Contrastwirkung bei den sogenannten \u00bb ung\u00fcnstigen Unterschieden\u00ab erleidet.\nWenn Heir Neiglick diese nahe liegende Folgerung nicht gezogen hat, so ist der Grund davon unverkennbar in einer Bemerkung zu finden, die er auf S. 103 seiner Abhandlung \u00e4u\u00dfert. Hier wird gesagt, die Thatsache einer Unterschiedsschwelle sei eigentlich mit\nW u n dt, Philos. Stadien. IV.\tg","page":113},{"file":"p0114.txt","language":"de","ocr_de":"114\nW. Wundt.\nden Contrasterscheinungen nicht in Einklang zu bringen. Denn da durch den Contrast die Lichteindr\u00fccke in ihrer Verschiedenheit gehoben -w\u00fcrden, so m\u00fcssten schon die geringsten Reizunterschiede durch den Contrast verst\u00e4rkt werden. Diese Folgerung w\u00e4re vielleicht im Rechte, wenn wirklich, wie es hier ausgedr\u00fcckt ist, der Contrast zwischen den Reizen stattf\u00e4nde. Dies ist aber nicht der Fall, sondern der Contrast bezieht sich immer nur auf verschiedene Empfindungen. Bedingung zu seinem Zustandekommen ist es daher, dass die verglichenen Empfindungen \u00fcberhaupt verschieden sind, d. h. dass der eine Reiz mindestens um den Betrag der Unterschiedsschwelle vom andern abweicht. Die Thatsache der Unterschiedsschwelle steht also zu der des Contrastes in gar keinem Widerspruch. Nur ist es selbstverst\u00e4ndlich, dass, diese Thatsache vorausgesetzt, Contrast erst entstehen kann, sobald die Unterschiedsschwelle \u00fcberschritten ist. Existirte jener Widerspruch, so w\u00fcrde die Existenz der Unterschiedsschwelle mit den Contrasterscheinungen nur unter der Voraussetzung vereinbar sein, dass der Contrast in der N\u00e4he der Schwelle Null werde. Herr Neiglick selbst hat aber schon auf die Versuche von Zahn\u2019s hingewiesen, aus denen deutlich her vor geht, dass der Contrast alsbald sich geltend macht, wenn die Unterschiedsschwelle erreicht ist.\nDie obigen Versuche haben gezeigt, dass das Problem, welches denselben urspr\u00fcnglich gestellt war : Lichtst\u00e4rken ohne den Einfluss des Contrastes zu vergleichen, vollkommen unl\u00f6sbar ist, weil keine Vergleichung verschiedener Lichtempfindungen diese anders als in ihrem Contrastverh\u00e4ltniss zu einander auffassen kann. Eliminirbar ist immer nur das Ph\u00e4nomen des Randcontrastes , welches thats\u00e4ch-lich in der oben gebrauchten Versuchsanordnung ausgeschlossen war. Es ist m\u00f6glich, vielleicht sogar wahrscheinlich, dass die nach Beseitigung des Randcontrastes bleibende Contrastgr\u00f6\u00dfe von der Entfernung der contrastirenden Fl\u00e4chen unabh\u00e4ngig ist, solange nur \u00fcberhaupt eine simultane Vergleichung derselben m\u00f6glich bleibt. Doch bedarf diese Frage noch der n\u00e4heren Untersuchung lj. Wie dem nun aber\n1) Aus der Thatsache, dass das Verh\u00e4ltnis\u00bb der wechselseitigen Inductionen bei unmittelbarer Ber\u00fchrung dasselbe bleibt wie bei einiger Entfernung der Scheiben schlie\u00dft Herr N ei gli c t S. 108, dass die St\u00e4rke des simultanen Contrastes \u00bbstreng proportional dem Abstande\u00ab abnehme. Ich glaube nicht, dass dieser Schluss gerecht-","page":114},{"file":"p0115.txt","language":"de","ocr_de":"Bemerkungen zu vorstehendem Aufsatze.\n115\nsei, jedenfalls bleibt die Annahme einer Vergleichung von Empfindungen ohne Contrast im Grunde eine ebenso unerf\u00fcllbare Fiction wie die Annahme eines Contrastes ohne Vergleichung von Empfindungen. Namentlich wird eine Trennung beider von einander dann immer unm\u00f6glich sein, wenn, wie wir vermuthen, der nach Abzug der Rand-wirkungen bleibende Contrast von der Entfernung der simultanen Objecte unabh\u00e4ngig ist.\nWenn die Versuche des Herrn Neiglick es wahrscheinlich machen, dass, je vollkommener der Contrast gegebener Lichtst\u00e4rken ist, um so strenger ihre Vergleichung durch das Weber\u2019sche Gesetz bestimmt wird, so darf vielleicht schlie\u00dflich noch darauf aufmerksam gemacht werden, dass umgekehrt auch aus dem Webe r\u2019schen Gesetze selbst sich Folgerungen f\u00fcr die Vergleichung von Reizst\u00e4rken ergeben, welche in ihrer allgemeinen Richtung mit der Thatsache des Contrastes \u00fcbereinstimmen. Ich habe in einer fr\u00fcheren Abhandlung darauf hingewiesen, dass, wenn wir mittelst der psychophysischen Ma\u00dfmethoden einen Reiz R aufsuchen, welcher einem gegebenen Reize r gleich sein soll, wir, sofern das Weber\u2019sche Gesetz gilt, diesen Reiz R um eine Gr\u00f6\u00dfe /I zu gro\u00df bestimmen, wobei die Gr\u00f6\u00dfe J mit r dergestalt w\u00e4chst, dass die Beziehung\nr\ng\u00fcltig bleibt, worin Je eine constante positive Gr\u00f6\u00dfe bedeutet* 1). Diese Thatsache der Uebersch\u00e4tzung eines einem gegebenen Reize gleichzumachenden Vergleichsreizes ist durch zahlreiche Beobachtungen, namentlich durch die Versuche von Dr. Paul Starke \u00fcber Schallst\u00e4rken, experimentell best\u00e4tigt worden2).\nNehmen wir nun an, zwei um einen endlichen Abstand von einander entfernte Reize r und r' sollten quantitativ abgesch\u00e4tzt werden, so wird dem schw\u00e4cheren Reize r der Sch\u00e4tzungswerth R. dem st\u00e4rkeren r' der Sch\u00e4tzungswerth R' zukommen, wo\nR = r + J, R' \u2014 r' -j- z/', f = ~ = h\nfertigt ist. Die besagte Thatsache scheint mir auch unter der Voraussetzung einer v\u00f6lligen Constanz des nach Abzug der Randwirkungen bleibenden Contrastes erkl\u00e4rbar, w\u00fcrde \u00fcbrigens mit noch anderen Voraussetzungen zu vereinigen sein.\n1)\tUeber die Methode der Minimal\u00e4nderungen, Phil. Stud. I, S. 564f.\n2)\tPhil. Stud. Ill, S. 2S9 ff.\n8*","page":115},{"file":"p0116.txt","language":"de","ocr_de":"116\nW. Wuudt. Bemerkungen zu vorstehendem Aufsatze.\nist. Hieraus ergibt sich aber der dem Abstand der gegebenen Reize r' \u2014 r entsprechende Abstand ihrer Sch\u00e4tzungswerthe R\u2019 \u2014 R=[r' \u2014 r) (l -+ k),\nd. h. der Abstand der gegebenen Reize erscheint in der Sch\u00e4tzung um das (1 -f- \u00c6) fache seines Werthes vergr\u00f6\u00dfert. Nun besteht die That-sache des Contrastes eben darin, dass gegebene Reize durch unsere Auffassung in einen gr\u00f6\u00dferen Abstand von einander gebracht werden. In diesem Sinne kann man daher von dem Weber\u2019schen Gesetze sagen, es schlie\u00dfe eine der Thatsache des Contrastes v\u00f6llig entsprechende Folgerung in sich, und die M\u00f6glichkeit ist nicht abzuweisen, dass der nach Beseitigung der Randwirkungen zur\u00fcckbleibende Contrast, insofern man sich zu seiner quantitativen Bestimmung der Methode der Minimal\u00e4nderungen bedient, durch die G\u00fcltigkeit des W eb e r \u2019sehen Gesetzes mitbedingt ist. Dann w\u00fcrden in den Versuchen des Herrn Neiglick die \u00bbung\u00fcnstigen Unterschiede\u00ab m\u00f6glicherweise gerade deshalb ung\u00fcnstige Contraste abgehen, weil bei ihnen Abweichungen vom Weber\u2019schen Gesetze stattfinden.\nEs wird die Aufgabe k\u00fcnftiger Untersuchungen sein, diese mannigfachen Fragen, welche die interessante Axbeit des Herrn Neiglick anregt, zu beantworten. Dem jungen strebsamen Forscher, der diese Untersuchung mit so anerkennenswerthem Flei\u00df zu Ende gef\u00fchrt, wird aber immer das Verdienst der ersten Anregung jener Fragen bleiben.","page":116}],"identifier":"lit724","issued":"1888","language":"de","pages":"112-116","startpages":"112","title":"Bemerkungen zu vorstehendem Aufsatze: Neiglick, Zur Psychophysik des Lichtsinns","type":"Journal Article","volume":"4"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T12:43:02.795917+00:00"}