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{"created":"2022-01-31T13:24:57.859534+00:00","id":"lit758","links":{},"metadata":{"alternative":"Philosophische Studien","contributors":[{"name":"Wundt, Wilhelm","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Philosophische Studien 7: 329-361","fulltext":[{"file":"p0329.txt","language":"de","ocr_de":"Bemerkungen zur Associationslehre.\nVon\nW. Wundt.\nIn der Associationslehre hat bekanntlich bis in die neueste Zeit das Schema der vier Formen von Erinnerungsvorg\u00e4ngen, welches dereinst Aristoteles aufgestellt, eine wenig bestrittene Herrschaft ausgeiibt. Die Associationen nach Aehnlichkeit, Contrast, Coexistenz und Succession fristen noch heute in vielen Darstellungen der empirischen Psychologie ihr Dasein. Dass jene Vierzahl von \u00bbAssociationsgesetzen\u00ab mit den vier Elementen der Aristotelischen Physik auf gleicher Linie steht, ist, wie es scheint, unbeachtet geblieben. In der That ist es aber nicht blo\u00df eine \u00e4u\u00dfere Analogie, die beide Eintheilungen mit einander verbindet. Wie Aristoteles die vier Elemente Feuer, Wasser, Luft und Erde aus der logischen Unterscheidung von vier nach Gegens\u00e4tzen geordneten Grundeigenschaften, feucht und trocken, kalt und warm, ableitete, so ordnete er auch die Arten des Erinnerns viertheilig und, so gut es eben gehen wollte, nach Gegens\u00e4tzen: das Aehnliche und das Un\u00e4hnliche oder Con-trastirende, das Gleichzeitige und das Ungleichzeitige oder Aufeinanderfolgende. Dass diese vier Formen, noch dazu mit dem stolzen Namen von Gesetzen geschm\u00fcckt, bis in die heutige Psychologie fortexistiren, ist ein um so st\u00e4rkeres Zeugniss f\u00fcr den Einfluss der Autorit\u00e4t und der Gewohnheit, als jenes Schema seine Rolle zu spielen fortf\u00e4hrt, nachdem die logische Antithetik, aus der es her-vorgegangen, l\u00e4ngst in Vergessenheit gerathen ist.\nw\u00bbuat, Philos. Studien. VII.\n22","page":329},{"file":"p0330.txt","language":"de","ocr_de":"-330\nW. Wundt.\nFreilich ist man heute wohl ziemlich darin einig, dass der \u00bbContrast\u00ab zu beseitigen sei. Indem dann au\u00dferdem Coexistenz und zeitliche Folge dem allgemeinen Begriff der \u00bbBer\u00fchrung\u00ab untergeordnet werden k\u00f6nnen, ist die so gewonnene Zweitheilung in Aehnlich-keits- und Ber\u00fchrungsassociationen eine wesentliche Vereinfachung gegen\u00fcber der fr\u00fcheren Viertheilung. Auch stellt sie den verloren gegangenen logischen Gegensatz in neuer Form wieder her, insofern die Aehnlichkeitsassociation als eine innere, auf den Eigenschaften der Vorstellungen selbst beruhende, die Ber\u00fchrungsassociation aber als eine \u00e4u\u00dfere, blo\u00df aus dem thats\u00e4chlichen Zusammensein derselben entspringende Verbindung erscheint. Um so mehr ist aber damit wieder die Gefahr nahe gelegt, dass man in den vereinfachten Formen nicht blo\u00df Classenbegriffe sieht, unter die sich die Erscheinungen ordnen lassen, sondern allgemeine Gesetze, die bald abwechselnd bald neben einander wirkend den zusammenh\u00e4ngenden Verlauf unserer Vorstellungen beherrschen sollen^ In der That kann diese Anschauung wohl gegenw\u00e4rtig als die verbreitetste betrachtet werden. Doch hat sich ihr gegen\u00fcber auch bereits das Streben nach einer noch weitergehenden Vereinfachung geltend gemacht, indem die Frage er\u00f6rtert wird, ob nicht etwa auch die Aehnlichkeits-auf die Ber\u00fchrungsassociation oder umgekehrt diese auf jene zur\u00fcckzuf\u00fchren sei. Dabei h\u00e4lt man, namentlich in der englischen Psychologie, meist an der Anschauung fest, dass die so zur\u00fcckbleibende einheitliche Form, welche es nun auch sei, so wie sie unmittelbar in den Erscheinungen sich darbiete, selbst als das nicht weiter zu zerlegende fundamentale Associationsgesetz anzusehen sei, w\u00e4hrend die andere Form auf mittelbarem Wege durch sie zu Stande komme. Wenn z. B. ein gesehener Apfel das Erinnerungsbild eines Baumes hervorruft, so wird dies von dem Anh\u00e4nger der Ber\u00fchrungsassociation so gedeutet, dass hier ohne weiteres die Vorstellung des Apfels die oft mit ihr verbundene eines Baumes ins Bewusstsein gezogen habe, wogegen der Anh\u00e4nger der ausschlie\u00dflichen Aehnlichkeitsassociation Mittelglieder einschaltet: der Apfel erinnert an andere \u00e4hnliche Aepf\u00e8l, von denen einige an B\u00e4umen hingen, und indem einer von diesen Aepfeln in das Bewusstsein tritt, wird von selbst auch die des begleitenden Baumes mit in dasselbe erhoben. Oder wenn die Nennung Napoleons den H\u00f6rer an Alexander den Gro\u00dfen","page":330},{"file":"p0331.txt","language":"de","ocr_de":"Bemerkungen zur Associationslehre.\n331\nerinnert, so wird dies hinwiederum von dem Anh\u00e4nger der Aehn-lichkeitsassociation als ein Fall von unmittelbarer Association gedeutet, w\u00e4hrend der Vertheidiger der Ber\u00fchrungsassociation hierin einen Fall von mittelbarer Association erkennt: die Vorstellung \u00bbNapoleon\u00ab erwecke die oft mit ihr verbunden gewesene \u00bbgro\u00dfer Feldherr\u00ab; diese sei aber nicht minder oft mit der andern Vorstellung \u00bbAlexander der Gro\u00dfe\u00ab verbunden gewesen und ziehe so die letztere mit sich in das Bewusstsein1).\nEs ist klar, dass man auf diese Weise eventuell jede Ber\u00fchrungsais eine indirecte Aehnlichkeitsassociation und jede Aehnlichkeits-als eine indirecte Ber\u00fchrungsassociation deuten kann. So kommt es, dass die Ausdr\u00fccke unmittelbare und mittelbare Association geradezu in entgegengesetztem Sinne angewandt worden sind. Zuerst nannte man die Aehnlichkeitsassociation eine unmittelbare und die Ber\u00fchrungsassociation eine mittelbare (so z. B. Herbart und seine Schule); jetzt sind umgekehrt die Anh\u00e4nger der Ber\u00fchrungstheorie geneigt, diese eine unmittelbare und dagegen die Aehn-lichkeitsverbindung eine mittelbare zu nennen. Es ist jedoch einleuchtend, dass rein theoretisch betrachtet bei diesen Interpretationen die Ber\u00fchrungs- der Aehnlichkeitstheorie \u00fcberlegen ist, indem die erstere zwar vollst\u00e4ndig mit Ber\u00fchrungen ausreicht, um eine gegebene Association nach Aehnlichkeit zu erkl\u00e4ren, wogegen die letztere schlie\u00dflich doch auf Ber\u00fchrungen zur\u00fcckgreifen muss. In dem ersten der obigen Beispiele ist es ja einer der zun\u00e4chst asso-ciirten \u00e4hnlichen Aepfel, welcher in Folge blo\u00dfer Ber\u00fchrung die Vorstellung des Baumes wachgerufen hat. In Wahrheit steht daher heute wohl kaum mehr die Streitfrage so, dass es sich darum handelt, zwischen blo\u00dfer Aehnlichkeits- oder blo\u00dfer Ber\u00fchrungsassociation zu entscheiden, sondern die Anh\u00e4nger der ersteren sind bereit zuzugeben, dass es eine Association durch Ber\u00fchrung gibt; sie behaupten nur, dass es daneben auch eine Aehnlichkeitsassociation gebe, und dass diese \u00fcberdies bei den Ber\u00fchrungsassociationen mitwirke. In diesem Sinne wird die Aehnlichkeitstheorie namentlich von H\u00f6ffding in seinen neueren Arbeiten vertreten2). Dagegen\n1)\tVergl. Alfr. Lehmann, Ueber Wiedererkennen. Phil. Stud. V, S. 101 f.\n2)\tH\u00f6ffding, Ueber Wiedererkennen, Association und psychische Aetivit\u00e4t, Vierteljahrsschr. f. wissensch. Philos. Jahrg. XIII u. XIV.\n22*","page":331},{"file":"p0332.txt","language":"de","ocr_de":"382\nW. Wundt.\nhaben die Anh\u00e4nger der Ber\u00fchrungstheorie den Vortheil, sich zu solchen Zugest\u00e4ndnissen nicht herbeilassen zu m\u00fcssen, sondern von dem einen Gesichtspunkt der Ber\u00fchrung aus alle Erscheinungen\n__ freilich wohl nicht selten unter Einschaltung hypothetischer\nZwischenglieder \u2014 erkl\u00e4ren zu k\u00f6nnen, wie dies in treffender Weise Alfr. Lehmann nachgewiesen hat1).\nDennoch gibt es noch einen andern Gesichtspunkt, von dem aus die ganze Streitfrage betrachtet werden kann. Gehen wir davon aus, dass der Vorgang, den wir eine Aehnlichkeits- oder eine Be-r\u00fchrungsassociation nennen, jedesmal ein complicirter Process ist, so liegt die Vermuthung nahe, dass zum Zustandekommen jeder dieser Associationsformen elementare Proeesse erforderlich sind, die mit keiner der beiden nach den Endproducten der Proeesse unterschiedenen Erscheinungsformen vollst\u00e4ndig sich decken m\u00fcssen. In der That wird dieser Gedanke in der Discussion zwischen H\u00f6ffding und Lehmann schon mehrfach gestreift. Setzt doch die Annahme von Zwischenprocessen, welche dem Zustandekommen der endg\u00fcltigen Association vorausgehen, eine solche Analyse des Associationsproductes in seine Factoren eigentlich schon voraus. Noch mehr haben die genannten Forscher eine derartige Betrachtungsweise aber dadurch gef\u00f6rdert, dass sie eine selbst schon m\u00f6glichst elementare Form der Association, n\u00e4mlich den Process des \u00bbWiedererkennens\u00ab, zum Ausgangspunkt ihrer Studien nahmen, wobei besonders Lehmann durch die experimentelle Analyse dieses Processes \u00fcber gewisse der blo\u00dfen Selbstbeobachtung naturgem\u00e4\u00df verborgen bleibende Seiten und urs\u00e4chliche Bedingungen Bechenschaft zu geben vermochte. Gerade der Vorgang des sinnlichen Wiedererkennens erinnert aber daran, dass noch in einer andern Beziehung die gew\u00f6hnliche Betrachtung der Associationen der Vervollst\u00e4ndigung bedarf, wenn man die einfachsten Bedingungen derselben ermitteln will. Auch darin n\u00e4mlich lasten, wie ich meine, auf der heutigen Associationslehre die .Traditionen der Vergangenheit, dass man in der Begel nur die in einer Aufeinanderfolge gegebenen Verbindungen der Vorstellungen ber\u00fccksichtigt. Man begreift dies nur, wenn man bedenkt, dass\n1) Alfr. Lehmann, Phil. Stud. V, S. 96 ff. und ebenda VII, S. 169 ff.","page":332},{"file":"p0333.txt","language":"de","ocr_de":"Bemerkungen zur Associationslehre.\n333\ndie Untersuchung der Associationen von der Betrachtung der Erinnemngsvorg\u00e4nge ausgegangen ist. Bei diesen treten aber in Folge der bei ihnen obwaltenden besonderen Bedingungen der Eindruck, welcher die Erinnerung weckt, und die erinnerte Vorstellung selbst in eine zeitliche Folge aus einander. An sich ist das nat\u00fcrlich bei der Association nicht nothwendig: eine Vorstellung A und die durch Association zu ihr hinzutretende B k\u00f6nnen gleichzeitig im Bewusstsein anwesend sein, sei es weil A fortdauert, nachdem B entstanden ist, sei es weil sogar unmittelbar und ohne merkliche Zwischenzeit sich beide vereinigen. Gerade der Vorgang des sinnlichen Wiedererkennens, bildet einen Fall, der zwischen diesen Erscheinungsformen in der Mitte steht, da bald unmittelbar, bald erst nach einer deutlich erkennbaren Zwischenzeit die \u00bbBekanntheitsqualit\u00e4t\u00ab des Eindrucks (um einen Ausdruck H\u00f6ffding\u2019s zu gebrauchen) zum Bewusstsein gelangt, bald auch an den Wiedererkennungsact sich weitere Associationen, die ihn in Bezug auf seine zeitliche und r\u00e4umliche Localisation vervollst\u00e4ndigen, anschlie\u00dfen k\u00f6nnen. Nicht minder bieten die eingehenden Beobachtungen von Scripture \u00fcber den associativen Verlauf der Vorstellungen zahlreiche Beispiele dar, in denen eine zeitliche Aufeinanderfolge sichtlich erst durch die successive Zerlegung eines Vorstellungscomplexes entstanden ist1).\nMit R\u00fccksicht auf diesen nahen Zusammenhang der Vorg\u00e4nge habe ich vorgeschlagen zwei Grundformen der Associationen zu unterscheiden: die simultanen und die successiven2). Es bedarf wohl kaum der Bemerkung, dass diese Ausdr\u00fccke abk\u00fcrzende Bezeichnungen sind, bei denen die dem Associationsproduct zukommende Eigenschaft auf die Association selbst \u00fcbertragen wird, der sie an sich nicht eigen zu sein braucht. Eine simultane Association wird hier jeder Associationsprocess genannt, dessen associirte Bestandteile ein gleichzeitig dem Bewusstsein gegebenes Ganzes bilden, eine successive dagegen jeder, dessen Glieder sich in eine Zeitreihe ordnen. Die genaue Bezeichnung w\u00fcrde also eigentlich lauten: Association zu einem simultanen Vorstellungsganzen und Association zu einer zeitlichen Aufeinanderfolge von Vorstellungen.\n1)\tPhil. Stud. VII, S. 50 ff.\n2)\tPhysiol. Psychol. II3, S. 364.","page":333},{"file":"p0334.txt","language":"de","ocr_de":"334\nW. Wundt.\nIn der That kann es geschehen und geschieht wahrscheinlich sehr h\u00e4ufig, dass die simultane Association einer gewissen Zeitdauer und zeitlichen Folge zu ihrer Entstehung bedarf. So kann z. B. eine r\u00e4umliche Gesichtsvorstellung dadurch, dass einzelne Empfin-dungsbestandthcile anf\u00e4nglich zur\u00fccktreten, erst allm\u00e4hlich zur deutlichen Ausbildung gelangen. Oder bei einer aus einem Gesichtsbild und einem Tasteindruck zusammengesetzten complexen Vorstellung kann der letztere erst nachtr\u00e4glich zu der schon zuvor entwickelten Gesichtsvorstellung hinzutreten u. s. w. Andererseits ist es nicht ausgeschlossen, dass bei einer successiven Association die verbundenen Vorstellungen an sich gleichzeitig in das Bewusstsein treten, dass sie aber nur successiv appercipirt werden. Da wir den Verlauf der Vorstellungen nur nach der Zeitfolge ihrer Apperception bestimmen k\u00f6nnen, so wird in diesem Fall gleichwohl die Association eine successive in dem oben angegebenen Sinne genannt werden k\u00f6nnen.\nIndem ich von diesem weiteren Begriff der Association ausgehe, m\u00f6gen nun aber fiir den gegenw\u00e4rtigen Zweck nur diejenigen simultanen Associationen herbeigezogen werden, welche zu den gew\u00f6hnlich allein mit dem Namen der Association belegten Vorg\u00e4ngen, den successiven Associationen, in einer unmittelbaren Beziehung stehen: es sind dies die Formen der Complication und der Assimilation.\nIch stelle hier die Complicationen voran, weil bei ihnen die Beziehung zu den successiven Associatione^ am deutlichsten ist, indem nicht selten eine simultane Verbindung- einfach dadurch, dass der eine der beiden Bestandtheile sp\u00e4ter in das Bewusstsein eintritt, dann aber den ersten Bestandtheil mehr oder weniger verdr\u00e4ngt, in eine successive Association \u00fcbergeht. Besonders dann tritt dieser Erfolg ein, wenn der erste Bestandtheil eine Wahrnehmung, der zweite ein Erinnerungsbild ist. H\u00f6ren wir z. B. den Klang eines Klaviers, ohne das Instrument zu sehen, so taucht fast regelm\u00e4\u00dfig das blasse Erinnerungsbild desselben in uns auf. Dauern nun die Klangeindr\u00fccke fort, so ist die Complication eine simultane. Wurde aber etwa nur einmal ein Ton angeschlagen, so kann das Klangbild verschwinden, w\u00e4hrend das Gesichtsbild noch vorhanden ist. So","page":334},{"file":"p0335.txt","language":"de","ocr_de":"Bemerkungen zur Associationslehre.\n335\nbesteht eine gro\u00dfe Zahl der Associationen, welche Scripture verzeichnet hat, aus Complicationen. Z. B. der Geschmack von Citronen-saft ruft die Kehlkopfinnervation zu dem Wort Citrone hervor, der Tasteindruck einer Stahlfeder das Wort Stahlfeder u. s. w. Gewiss war in diesen und \u00e4hnlichen F\u00e4llen der Sinneseindruck noch vorhanden, als die Vorstellung hinzutrat; diese mochte aber dann noch eine Zeit lang geblieben sein, nachdem der Eindruck verschwunden war. Daf\u00fcr spricht namentlich, dass mehrfach an den zweiten Bestandteil weitere Associationen sich anschlie\u00dfen, die mit dem Eindruck in keiner directen Beziehung stehen: so z. B. wenn der Eindruck einer Zahnb\u00fcrste zun\u00e4chst das Wort, dieses dann aber die Gesichtsvorstellungen anderer B\u00fcrsten, K\u00e4mme u. s. w. hervorrief1) Wie die Complication die Grundlage bildet f\u00fcr die successive Association disparater aber zusammengeh\u00f6riger Vorstellungen, so steht die Assimilation in naher Beziehung zu den im ganzen in unserem Bewusstsein eine gr\u00f6\u00dfere Rolle spielenden successiven Associationen von Vorstellungen des n\u00e4mlichen Sinnesgebiets. W\u00e4hrend jedoch bei der Complication eben wegen der Verschiedenheit der Sinne, denen die Bestandteile angeh\u00f6ren, diese letzteren immer deutlich von einander unterscheidbar bleiben und daher auch der Uebergang des Simultanen in das Successive ohne scharfe Grenze sich vollzieht, flie\u00dfen bei der Assimilation die Bestandteile, so lange sie einer simultanen Vorstellung angeh\u00f6ren, in ein Ganzes zusammen, aus welchem sie subjectiv nicht mehr isolirt werden k\u00f6nnen. Hier macht daher erst die Aufl\u00f6sung in einen successiven Vorstellungsverlauf eine solche Sonderung m\u00f6glich ; sie bewirkt aber auch, dass die successive von der simultanen Verbindung wesentlich sich unterscheidet. Die letztere kann in der Regel \u00fcberhaupt nur noch daran als eine aus verschiedenen urspr\u00fcnglich unabh\u00e4ngigen Bestandteilen zusammengesetzte erkannt werden, dass man sich \u00fcber gewisse objective Bedingungen der Entstehung der Vorstellungen Rechenschaft gibt. Darum ist der Assimilationsprocess im allgemeinen nur dann nachweisbar, wenn der eine Bestandteil des Productes ein \u00e4u\u00dferer Sinneseindruck ist, w\u00e4hrend der andere in hinzutretenden Erinnerungsvorstellungen besteht. In diesem Fall kann eben alles, was\n1) Scripture, a. a. O. S. 71 f.","page":335},{"file":"p0336.txt","language":"de","ocr_de":"336\nW. Wundt.\nder Eindruck nicht enth\u00e4lt und was gleichwohl in der resultirenden Vorstellung enthalten ist, nur den associativ hinzutretenden Erinne-rungsbestandtheilen zugeschrieben werden. Demgem\u00e4\u00df werden denn auch diese Erinnerungsbestandtheile als die assimilirenden, der Eindruck aber als der assimilirte betrachtet. Wenn damit den repro-ducirten Elementen ein Vorzug einger\u00e4umt scheint gegen\u00fcber der Wahrnehmung, von der doch der ganze Process ausgeht, so erscheint dies deshalb gerechtfertigt, weil je nach den Assimilationsbedingungen ein und derselbe Eindruck sehr verschieden aufgefasst werden kann, so dass bei constant erhaltenen \u00e4u\u00dferen Bedingungen jene inneren die entscheidenden sind. Dazu kommt, dass \u00fcberdies das quantitative Verh\u00e4ltniss zwischen beiden Factoren ein \u00e4u\u00dferst verschiedenes sein kann, und dass jedenfalls in vielen F\u00e4llen die assimilirenden Elemente weit \u00fcber die von au\u00dfen erregten Empfindungen \u00fcberwiegen. Unter allen Umst\u00e4nden aber ist jede durch \u00e4u\u00dfere Wahrnehmung erzeugte Vorstellung ein Mischproduct aus den in der Wahrnehmung gegebenen Eindr\u00fccken und aus unbestimmt vielen Bestandtheilen von Erinnerungsbildern. Indem nun diese s\u00e4mmtlichen Bestandtheile auf das in der Wahrnehmung gegebene Object bezogen werden, k\u00f6nnen in einer Wahrnehmungsvorstellung ebensowohl Bestandtheile enthalten sein, die im Sinneseindruck fehlen, wie dagegen Bestandtheile fehlen k\u00f6nnen, die dem Sinneseindruck zukommen, aber in Folge des Widerstreits mit reproductiven Elementen von st\u00e4rkerer Wirkung aus dem Assimilationsproduct verschwinden.\nNach allem dem ist der Vorgang der Assimilation nicht wie derjenige der Complication eine unmittelbare in der Selbstbeobachtung nachweisbare Erscheinung, sondern er verr\u00e4th sich immer erst bei einer genauen Vergleichung des Eindrucks mit der zu ihm geh\u00f6rigen Vorstellung, wobei eben diese Vergleichung die Incongruenz beider ergibt, und f\u00fcr die abweichende Beschaffenheit der Vorstellung der zureichende Grund nur in fr\u00fcher vorhanden gewesenen Vorstellungen gefunden werden kann. Ist man aber erst einmal auf diesen Einfluss aufmerksam geworden, so erkl\u00e4ren sich nun aus ihm eine Menge auffallender, wenngleich meist unbeachtet oder unerkl\u00e4rt bleibender Erscheinungen des gew\u00f6hnlichen Lebens wie der experimentellen Erfahrung.","page":336},{"file":"p0337.txt","language":"de","ocr_de":"Bemerkungen zur Associationslehre.\n337\nIch erinnere hier nur an die Lebenswahrheit von Gem\u00e4lden, Theaterdecorationen u. dergl. beim Betrachten aus der Entfernung, wobei noch besonders durch das undeutliche Sehen im physiologischen Sinne das deutliche Sehen in Bezug auf die psychologische Auffassung beg\u00fcnstigt wird. Die bekannte Schr\u00f6der\u2019sche Treppenfigur, die man bald als Treppe, bald als \u00fcberh\u00e4ngendes Mauerst\u00fcck auffasst (Physiol. Psych. II, S. 174), die Umrisszeichnung des Kopfes einer M\u00fcnze, die man bald in erhabenem, bald in vertieftem Relief sehen kann, bilden durch den Wechsel der assimilirenden Vorstellungen besonders belehrende Beispiele. Bekannt sind ferner die Vexirbilder mit der Unterschrift \u00bbwo ist die Katze?\u00ab, bei denen in dem Bl\u00e4tterwerk eines Baumschlags die Umrissconturen eines Katzenkopfes angebracht sind. Zun\u00e4chst sieht man den letzteren nicht, da die Vorstellung der Landschaft im Vordergrund des Bewusstseins steht. Hat man ihn aber einmal wahrgenommen, so ist es kaum mehr m\u00f6glich, ihn willk\u00fcrlich zu unterdr\u00fccken. In etwas modifi-cirter Form ist mir eine \u00e4hnliche Erscheinung zuf\u00e4llig hier in Leipzig an dem Schild eines Hauses entgegengetreten, auf welchem mit gro\u00dfen Goldbuchstaben auf dunklem Grund \u00bbTUCHHALLE\u00ab zu lesen steht. Da die Buchstaben auf diesem Schild \u00fcberall nur ganz schmale Zwischenr\u00e4ume \u00fcbrig lassen, so kann man die Inschrift lesen wollen in der Meinung, sie sei in schwarzen Buchstaben auf Goldgrund angebracht. Nat\u00fcrlich gelingt es dann nicht, irgend etwas zu entziffern; aber auch das Wort \u00bbTuchhalle\u00ab wird vollkommen unleserlich, um erst in dem Augenblick hervorzutreten, wo man zu der Vorstellung \u00fcbergeht, Goldschrift auf schwarzem Grund lesen zu sollen. Mit einiger Anstrengung gelingt es mir, willk\u00fcrlich die Schrift abwechselnd lesbar und unlesbar zu machen, wobei ich im letzteren Fall nur die Vorstellung, dass eine schwarze Schrift auf Goldgrund gelesen werden m\u00fcsse, unverr\u00fcckt festzuhalten habe.\nNach allen diesen Erscheinungen kann man unm\u00f6glich bezweifeln, dass bei der Bildung unserer normalen Sinnesvorstellungen die Assimilation eine fortw\u00e4hrende und sehr wichtige Rolle spielt. Vieles, was wir auf Einfl\u00fcsse der Uebung und Gewohnheit beziehen, geh\u00f6rt sicherlich hierher. Wie oft tritt es uns bei stereoskopischen Beobachtungen z. B. entgegen, dass die Tiefen Vorstellung zuerst","page":337},{"file":"p0338.txt","language":"de","ocr_de":"338\nW. Wundt.\nnicht recht kommen will, dann aber pl\u00f6tzlich mit gro\u00dfer Deutlichkeit hervortritt. Es ist, als oh es hier einer gewissen Zeit bedurft h\u00e4tte, bis die vorhandenen Vorstellungsresiduen durch irgend welche Bestandtheile des Eindrucks geweckt werden.\nKaum jemals wird es nun aber bei diesen Assimilations Vorg\u00e4ngen eine einzige Vorstellung sein, welche wiedererneuert wird, um mit dem vorhandenen Eindruck in einen Vorstellungsact zusammenzuflie\u00dfen. Wenn wir in dem Laubwerk der Vexirzeichnung die Katze erblicken, so ist dies ja nicht eine bestimmte Katze, die wir fr\u00fcher gesehen, sondern irgend eine, die vielleicht mit keiner der fr\u00fcher gesehenen identisch, deren Bild aber geeignet ist, die Umrisse des Eindrucks in sich aufzunehmen, allenfalls unter Elimination solcher, die in die entstandene Vorstellung durchaus nicht hineinpassen. Darum w\u00fcrde es sicherlich falsch sein anzunehmen, hei der Assimilation st\u00fcnden zuerst unmittelbare Sinnesvorstellung und Erinnerungsbild einander unabh\u00e4ngig gegen\u00fcber, um sich dann erst zu einer einzigen Vorstellung zu-verbinden. Nicht nur k\u00f6nnen wir nichts von einer solchen Unabh\u00e4ngigkeit der Componenten in uns wahrnehmen, sondern sie ist auch von vornherein deshalb unm\u00f6glich, weil es ja im allgemeinen gar nicht eine bestimmte Einzelvorstellung ist, welche die assimilirende Wirkung aus\u00fcbt. Es bleibt also nur die Annahme m\u00f6glich, dass durch jeden Sinneseindruck eine Menge von Dispositionen, die von fr\u00fcheren Eindr\u00fccken zur\u00fcckgeblieben sind, in Miterregung ger\u00e4th, und dass von diesen Miterregungen jedesmal solche in die neu gebildete Vorstellung ein-gehen, welche mit dem gegebenen Eindruck eine gel\u00e4ufige Vorstellung bilden k\u00f6nnen. Die \u00fcbrigen bleiben entweder ganz unter der Schwelle des Bewusstseins, oder einzelne von ihnen dringen vielleicht noch in die dunkleren Regionen desselben vor, ohne aber auf die reproducirte Vorstellung einen Einfluss zu erlangen. Endlich \u00fcben bei allen diesen an directe Sinneseindr\u00fccke sich anschlie\u00dfenden Assimilationen die durch \u00e4u\u00dfere Reize erweckten Empfindungen noch insofern einen Einfluss auf die Erinnerungselemente aus, als sie die St\u00e4rke der letzteren so erh\u00f6hen, dass dieselben von dem directen Eindruck nicht unterscheidbar sind. Hierdurch gewinnen alle diese Assimi-lationsproducte den Charakter der Illusion, wenn wir ihnen auch diesen Namen erst da ausdr\u00fccklich beizulegen pflegen, wo die","page":338},{"file":"p0339.txt","language":"de","ocr_de":"Bemerkungen zur Associationslehre.\n339\nassimilirenden Elemente den Eindruck selbst erheblich \u00fcbertreffen, so dass eine auffallende Incongruenz zwischen Eindruck und Vorstellung entsteht.\nIst nun auch begreiflicher Weise ein directer Nachweis des Assimilationsprocesses nur dann m\u00f6glich, wenn ein Bestandthe.il des Assimilationsproductes eine Sinneswahrnehmung ist, weil eben nur hier die Verschiedenheit der Vorstellung von dem Eindruck auf jenen Process zur\u00fcckschlie\u00dfen l\u00e4sst, so ist es doch offenbar im h\u00f6chsten Grade wahrscheinlich, dass auch blo\u00dfe Erinnerungsbilder Assimilationsverbindungen eingehen. Dies folgt sicher aus der That-sache, dass sich in der Regel nicht eine bestimmte Wahrnehmung mit einer bestimmten Erinnerungsvorstellung, sondern mit einer unbestimmt gro\u00dfen Anzahl solcher verbindet. Demnach wird auch da, wo gar keine Wahrnehmungen im Spiele sind, irgend ein in uns auftauchendes Erinnerungsbild durch Assimilation anderer, die sich auf \u00e4hnliche Gegenst\u00e4nde beziehen, fortw\u00e4hrend Ver\u00e4nderungen erfahren. So erkl\u00e4rt es sich, dass zwischen einem Erinnerungsbild und ; einem sogenannten Phantasiebild \u00fcberhaupt ein sicherer Unterschied nicht gemacht werden kann. Nennt man n\u00e4mlich nach der \u00fcblichen psychologischen Eintheilung Erinnerungsbilder solche Vorstellungen, in denen sich eine fr\u00fchere Wahrnehmung unver\u00e4ndert erneuert, Phantasiebilder aber solche, die nur aus einer Combination der Elemente vieler Wahrnehmungen erkl\u00e4rt werden k\u00f6nnen, so kommen Erinnerungsbilder, die dem strengen Wortsinne entsprechen, \u00fcberhaupt nicht vor. Jedes noch so concrete Erinnerungsbild ist beeinflusst von mehreren Wahrnehmungen desselben Gegenstandes: erinnern wir uns z. B. an einen Bekannten, so werden wir uns denselben niemals genau so vorstellen, wie wir ihn in einem bestimmten Augenblick wirklich sahen ; vielmehr setzt sich unsere Vorstellung aus vielen Wahrnehmungen desselben zusammen, deren Bestandteile sich theils wechselseitig erg\u00e4nzen, theils wechselseitig verdr\u00e4ngen, so dass sich eben hieraus die Unbestimmtheit unserer meisten Erinnerungsbilder erkl\u00e4rt, namentlich derjenigen, die sich auf zusammengesetzte Gegenst\u00e4nde beziehen. Streng genommen w\u00e4re also, wenn man an der \u00fcblichen Definition festhalten wollte, jedes Erinnerungsbild ein Phantasiebild; denn keine \u00bbreproducirte\u00ab Vorstellung gleicht ihrem Urbild oder gleicht auch nur einer bei","page":339},{"file":"p0340.txt","language":"de","ocr_de":"340\nW. Wundt.\neiner andern Gelegenheit stattgehabten Reproduction derselben Wahrnehmung. Unsere Vorstellungen sind ja nicht unver\u00e4nderliche Objecte, sondern sie sind Ereignisse, die sich verm\u00f6ge der wechselnden Bedingungen unseres Bewusstseins niemals genau unter den n\u00e4mlichen Bedingungen wiederholen. Insbesondere sind es die ver\u00e4nderlichen Assimilationswirkungen, die einen solchen Wechsel der einander \u00e4hnlichen und gew\u00f6hnlich f\u00fcr gleich gehaltenen Vorstellungen hervorbringen k\u00f6nnen.\nSuchen wir uns nun die elementaren Verbindungsvorg\u00e4nge, aus denen sich eine Assimilation, namentlich in den der Untersuchung zug\u00e4nglicheren F\u00e4llen der Erweckung durch einen \u00e4u\u00dferen Eindruck, zusammensetzt, n\u00e4her zu vergegenw\u00e4rtigen, so erhellt deutlich, dass hier stets zwei wesentlich verschiedene Vereinigungspro-cesse nebeneinander hergehen. Zun\u00e4chst erweckt der Eindruck fr\u00fcher dagewesene Vorstellungsbestandtheile, die ihm gleichen, und dann erweckt er durch das* Mittelglied der letzteren andere, die in dem gegebenen Eindruck nicht Vorkommen, die aber in fr\u00fcheren F\u00e4llen mit ihm verbunden gewesen sind. Das Vexirbild der Katze z. B. wirkt zuv\u00f6rderst dadurch, dass einzelne der gesehenen Con-turen mit dem aus fr\u00fcheren Wahrnehmungen bekannten Bild einer Katze sich decken. Aber diese \u00fcbereinstimmenden Bestandtheile w\u00fcrden bei weitem nicht zureiehcn, um uns das wirkliche Bild einer Katze erblicken zu lassen. Dazu ist ein zweites erforderlich: es m\u00fcssen von jenen \u00fcbereinstimmenden Bestandtheilen ausgehend nun die in fr\u00fcheren Vorstellungen damit verbunden gewesenen, zum vollen Bild der Katze unerl\u00e4sslichen Elemente erweckt werden. Wenn wir ein falschgedrucktes Wort richtig wahrnehmen, so werden in erster Linie die dem richtigen Wortbild entsprechenden Buchstaben wirksam: sie erwecken die mit ihnen \u00fcbereinstimmenden Erinnerungsbilder der n\u00e4mlichen Buchstaben, und die letzteren ziehen dann die mit ihnen in fr\u00fcheren Wahrnehmungen \u00e4u\u00dferlich verbunden gewesenen, die zusammen mit ihnen das richtige WoTtbild geben, in das Bewusstsein, so dass nun zugleich die st\u00f6renden Elemente des Eindrucks durch diese reproducirten verdr\u00e4ngt werden.\nVersucht man es, die Begriffe der Aehnlichkeits- und der Ber\u00fchrungsassociation auch auf diese simultanen Verbindungen anzuwenden, so ist zweifellos das, was oben als zweiter Act der Assimi-","page":340},{"file":"p0341.txt","language":"de","ocr_de":"Bemerkungen zur Associationslehre.\n341\nlation bezeichnet wurde, als eine Ber\u00fchrungsassociation zu deuten. Dagegen muss die Zur\u00fcckf\u00fchrung des ersten Actes auf eine Aehn-lichkeitsassociation ernsten Bedenken begegnen. Insofern man n\u00e4mlich als \u00e4hnlich zwei Objecte bezeichnet, die in gewissen Merkmalen gleich, in andern aber verschieden sind, ist es schwer begreiflich, wie ein Eindruck unmittelbar die Erinnerung an einen andern erwecken soll, der von ihm mehr oder weniger abweicht. Er wird denselben doch nur immer insoweit wiedererwecken k\u00f6nnen, als er ihm gleich ist. Es werden dann aber allerdings mit der Erweckung dieser gleichen auch andere ungleiche Elemente wiedererneuert werden k\u00f6nnen, sobald sich dieselben in fr\u00fcheren Vorstellungen in einer \u00e4u\u00dferen Verbindung mit gleichen Elementen befanden. Eine eigentliche Aehnlichkeitsassociation scheint also immer nur in Folge der Verbindung einer Gleichheitsassociation mit einer oder mit mehreren Ber\u00fchrungsassociationen m\u00f6glich zu s\u00e8in. So erweckt in dem letzten der obigen Beispiele das falsch gedruckte Wort das Bild des richtig gedruckten durch die Gleichheitsassociation der \u00fcbereinstimmenden Buchstaben und durch die daran sich schlies-sende Ber\u00fchrungsassociation, welche aus den fr\u00fcheren Wortbildern die richtigen Elemente, denen in dem gegenw\u00e4rtigen Eindruck gar keine gleichen entsprechen, her\u00fcberniihmt. Das Resultat dieses gemischten Vorgangs ist dann eine sogenannte \u00bbAehnlichkeitsassociation\u00ab, insofern das falsch gedruckte Wort und das richtig gelesene einander \u00e4hnlich, aber nicht gleich sind. Ebenso verh\u00e4lt es sich mit dem Vexirbild der Katze. Die zuerst wirkenden Conturen erzeugen eine Gleichheitsassociation, an welche sich unmittelbar eine den Eindruck erg\u00e4nzende und berichtigende Ber\u00fchrungsassociation anschlie\u00dft.\nMan k\u00f6nnte hiergegen einwenden, da, wie oben bemerkt, nie zwei Vorstellungen einander gleich sind, so m\u00fcsse statt der Gleich-heits- immer eine blo\u00dfe Aehnlichkeitsassociation zu Stande kommen. Dagegen ist aber zu erwidern, dass es hier niemals um Associationen zwischen ganzen Vorstellungen sich handeln kann, sondern, weil sich jede Association auf unbestimmt viele Vorstellungen bezieht, immer nur um Associationen zwischen Bestandtheilen der Vorstellungen. Eine vollkommene Gleichheit zwischen zwei Vorstellungen kann es eben deshalb nicht geben, weil an jede Gleichheitsassociation","page":341},{"file":"p0342.txt","language":"de","ocr_de":"342\nW. Wundt.\nsofort Beriihiungsassociationen sich anschlie\u00dfen, die dem resultirenden Erzeugniss, je nachdem der eine oder der andere dieser Factoren \u00fcberwiegt, bald die Form einer Aehnlichkeits- bald die einer Beriihrungs-association verleihen. Will man also \u00fcber die elementaren Processe Rechenschaft geben, welche den Associationen zu Grunde liegen, so k\u00f6nnen als solche Processe nur die Verbindung des Gleichen und die des zeitlich und r\u00e4umlich durch Ber\u00fchrung Verbundenen unterschieden werden. Bei jeder Association m\u00fcssen nothwendig diese beiden elementaren Processe Zusammenwirken: eine Vorstellung kann eine fr\u00fchere nur erwecken, wenn sie irgend welche Elemente mit ihr gemein hat; und da die wiedererweckte Vorstellung neben den gleichen immer zugleich verschiedene Bestandtheile enth\u00e4lt, so muss sich an jede solche Gleichheitsverbindung eine Ber\u00fchrungsverbindung anschlie\u00dfen. Dabei wirkt aber die Gleichheit der Bestandtheile unmittelbar: wenn ein neuer Eindruck in gewissen Elementen einem fr\u00fcheren gleicht, so werden eben diese gleichen Elemente verm\u00f6ge der durch Wiederholung entstandenen Ein\u00fcbung von den \u00fcbrigen sich aussondern und st\u00e4rker im Bewusstsein zur Geltung kommen. Die Ber\u00fchrung dagegen wirkt mittelbar: sie kommt immer erst dadurch zu Stande, dass andere Elemente, mit denen die gegebenen in fr\u00fcheren Einwirkungen verbunden waren, wiedererweckt werden.\nWenden wir die bei der Assimilation der Vorstellungen gewonnenen Gesichtspunkte auf die successive Association an, so erhellt sofort, dass die herk\u00f6mmlichen Unterscheidungen der letzteren nicht, wie man sich gew\u00f6hnlich ausdr\u00fcckt, als Gesetze der Associationen, d. h. als Bedingungen ihrer Entstehung, sondern lediglich als Classen zu betrachten sind, in welche die fertigen Associations-producte geordnet werden k\u00f6nnen. Auch mit der durch die allm\u00e4hliche Reduction der \u00e4lteren Eintheilungen gewonnenen Unterscheidung der Aehnlichkeits- und Ber\u00fchrungsassociation verh\u00e4lt es sich nicht anders. Auch bei ihnen handelt es sich zun\u00e4chst nur um eine Eintheilung der Associationsproducte. In jedes dieser Producte k\u00f6nnen aber zahlreiche einfache Vorg\u00e4nge eingeh en, und in Bezug auf diese bestehen zwischen jenen Classen gar keine wesentlichen Unterschiede, insofern bei der successiven Association genau dieselben Processe wirksam sein m\u00fcssen wie bei der Assimilation. Von der letzteren unter-","page":342},{"file":"p0343.txt","language":"de","ocr_de":"F\u00eeemerkungen zur Associationslehre.\n343\nscheidet sich ja in der That die successive Association nur durch den Umstand, dass sich die associirten Vorstellungen nicht zu einer gleichzeitigen Vorstellung verbinden, sondern in Folge von Bedingungen, \u00fcber die wir noch werden Rechenschaft geben m\u00fcssen, zeitlich getrennt bleiben. Hiervon abgesehen wird man aber von vornherein erwarten m\u00fcssen, dass sich auch in diesem Fall jede Association aus zwei Processen zusammensetzt: aus einer unmittelbaren Verbindung gleicher Elemente verschiedener Vorstellungen, und aus einer daran mittelbar sich anschlie\u00dfenden Verbindung solcher Bestandtheile, die in fr\u00fcheren Vorstellungen mit jenen gleichen Elementen in \u00e4u\u00dferer Ber\u00fchrung gewesen waren. Stehen nun in dem Vorstellungsganzen, dessen Association man beobachtet, die Verbindungen gleicher Bestandtheile im Vordergrund des Bewusstseins, so nennt man die entstandene Association eine Aehnlichkeitsassociation ; werden dagegen allein die \u00e4u\u00dferen Verbindungen beachtet, so redet man von einer Ber\u00fchrungsassociation. So nennen wir es eine Aehnlichkeitsassociation, wenn uns das Portr\u00e4t eines bekannten Mannes an den Mann selber erinnert. Mag das Bild auch ziemlich verschieden sein von der Wirklichkeit, einzelne Z\u00fcge werden doch mit dieser sich decken und so Erinnerungsbilder fr\u00fcherer Vorstellungen unseres Bekannten hervorrufen und uns veranlassen^ viele Z\u00fcge, die dem Original angeh\u00f6ren, aber in dem Bilde fehlen oder ver\u00e4ndert sind, in dieses zu verlegen. Diese Erweckung nicht vorhandener Bestandtheile ist nun offenbar eine Ber\u00fchrungsverbindung. Einzelne dieser Ber\u00fchrungselemente wirken assimilirend, sie lassen die Aehnlichkeit des Bildes gr\u00f6\u00dfer erscheinen, als sie wirklich ist; bei andern werden wir uns des Unterschiedes bewusst: sie sind die Ursache, dass wir Bild und Wirklichkeit \u00fcberhaupt unterscheiden, so dass nun das Product nicht eine simultane Assimilation, sondern eine successive \u00bbAehnlichkeitsassociation\u00ab ist. H\u00f6ren oder lesen wir dagegen die Worte: \u00bbIch bin der Herr dein . . .\u00ab, so wird Jeder, der die zehn Gebote kennt, erg\u00e4nzen \u00bbdein Gott\u00ab. Das Resultat ist also eine Ber\u00fchrungsassociation. Aber der urspr\u00fcngliche Process ist auch hier die unmittelbar erfolgende Gleichheitsverbindung. Die geh\u00f6rten Worte erwecken gleiche fr\u00fcher geh\u00f6rte Laute; nur indem schon hier Ber\u00fchrungswirkungen hinzutreten, k\u00f6nnen diese Laute als \u00fcbereinstimmend mit fr\u00fcher geh\u00f6rten assimilirt werden. Ist das","page":343},{"file":"p0344.txt","language":"de","ocr_de":"344\nW. Wundt,\ngeschehen, so tritt dann durch eine weitere Ber\u00fchrungswirkung das letzte nicht geh\u00f6rte Wort hinzu.\nZwei Momente sind es demnach, welche im Hinblick auf die in sie eingehenden Processe die Aehnlichkeits- und die Ber\u00fchrungsassociation von einander scheiden : bei der ersteren werden im allgemeinen die Gleichheitsverbindungen, bei den letzteren die Ber\u00fchrungsverbindungen der Elemente \u00fcberwiegen; sodann aber und haupts\u00e4chlich: bei den Aehnlichkeitsassociationen ist unsere Aufmerksamkeit vorzugsweise auf die \u00fcbereinstimmenden Eigenschaften der Associationsproducte, bei den Ber\u00fchrungsassociationen auf die abweichenden Bestandtheile derselben gerichtet. Wir nennen die Association des Portr\u00e4ts mit dem Manne eine Aehnlichkeitsassociation, weil wir \u00fcber den gesehenen Aehnlichkeiten nicht nur die Verschiedenheiten, sondern auch die zum Zustandekommen der Vergleichung unerl\u00e4sslichen Ber\u00fchrungsverbindungen vernachl\u00e4ssigen; und wir nennen die Wortassociation des zweiten Beispiels eine Ber\u00fchrungsassociation, weil wir nur auf das hinzugef\u00fcgte Wort, nicht aber auf die wesentlich durch Gleichheitsverbindungen vermittelte Auffassung der ersten Worte R\u00fccksicht nehmen.\nDas Resultat dieser Betrachtungen, dass es nur zwei Grundformen der Verbindung zwischen den Vorstellungselementen gibt, die Gleichheitsverbindung und die Ber\u00fchrungsverbindung, und dass diese beiden bei jeder einzelnen wirklichen Association zusammen Vorkommen m\u00fcssen, best\u00e4tigt sich nun bei allen successiven Associationen von den einfachsten an bis zu den verwickeltsten. Dabei sind aber besonders die einfachsten F\u00e4lle geeignet, zugleich die Bedingungen deutlich zu machen, durch welche die successive Association sich scheidet von der Assimilation, mit der sie ja in jenen elementaren Processen \u00fcbereinstimmt.\nDer einfachste Fall einer Assimilation ist das sogenannte Erkennen eines Gegenstandes; der einfachste Fall successive! Association dagegen ist das Wie d e rerken nen eines Gegenstandes. Ich erkenne einen Tisch als Tisch, auch wenn ich bestimmt wei\u00df, dass ich dieses einzelne Exemplar noch niemals gesehen habe; ich erkenne ihn dagegen wieder, wenn ich mich erinnere, gerade diesen bestimmten Tisch schon fr\u00fcher gesehen zu haben.","page":344},{"file":"p0345.txt","language":"de","ocr_de":"Bemerkungen zur Associationslehre.\n345\nWenn der gel\u00e4ufige Sprachgebrauch diese einfachen Associationsvorg\u00e4nge als Erkennungsacte bezeichnet und sie auf diese Weise mit den durch logische Processe vermittelten Erkenntnissvorg\u00e4ngen zusammenstellt, so ist er dabei insofern im Hechte, als sinnliche Vorg\u00e4nge dieser Art, bei denen mit der Apperception eines Objects sich unmittelbar die Vorstellung der \u00fcebereinstimmung mit andern fr\u00fcher vorgestellten Objecten verbindet, eine noth wendige Vorbedingung aller logischen Erkennungsvorg\u00e4nge sind. Dennoch k\u00f6nnte die Gleichheit der Bezeichnung der Anlass werden, dass man jene einfachen Associationsprocesse selbst auf irgend welche logischen Reflexionen zur\u00fcckf\u00fchrt, wozu, wie kaum bemerkt zu werden braucht, der vorliegende Thatbestand auch nicht die geringste Berechtigung darbietet. Um die nun einmal gel\u00e4ufigen und nicht leicht durch andere zu ersetzenden Bezeichnungen beizubehalten und dennoch derartigen Vermengungen und fehlerhaften Uebertragungen zu begegnen, wird es zweckm\u00e4\u00dfig sein, \u00fcberall, wo eine ausdr\u00fcckliche Hervorhebung des Unterschieds erforderlich scheint, die betreffenden Associations Vorg\u00e4nge als sinnliches Erkennen und sinnliches Wiedererkennen von den eigentlichen oder logischen Erkennungsacten zu scheiden.\nDie sinnliche Erkennung eines Gegenstandes ist nun, wie an dem angef\u00fchrten einfachen Beispiel ohne weiteres zu ersehen ist, ein Assimilationsvorgang, bei dem der gegenw\u00e4rtige Eindruck mit zahlreichen fr\u00fcheren Vorstellungen zusammenwirkt. Dabei machen sich Gleichheits- und Ber\u00fchrungsverbindungen neben einander geltend; eine Unterscheidung mehrerer Vorstellungen aber gibt es in der Regel nicht, sondern die directen und die reproduit611 Elemente flie\u00dfen in eine einzige Vorstellung zusammen, die auf den gegenw\u00e4rtigen Eindruck bezogen wird. Die Thatsache, dass die Vorstellung keine neue, sondern eine im allgemeinen bekannte !st, pflegt sich nur in einem eigenth\u00fcmlichen Gef\u00fchl geltend zu machen, das man demnach als ein Erkennungsgef\u00fchl wird bezeichnen k\u00f6nnen. Sucht man sich \u00fcber den Grund dieses Gef\u00fchls Rechenschaft zu geben, so treten dann erst die Erinnerungsbilder fr\u00fcherer \u00e4hnlicher Objecte ins Bewusstsein, oder die Ueberzeugung, dass \u00e4hnliche Objecte fr\u00fcher gesehen worden seien, macht sich wohl auch in der Form einer Reflexion geltend. Hiernach darf man, da\nWundt, Philos. Studien. VII.\t.\t23","page":345},{"file":"p0346.txt","language":"de","ocr_de":"346\nVV. Wundt.\nGef\u00fchle stets irgend eine Vorstellungsgrundlage haben, annehmen, dass in den F\u00e4llen des gew\u00f6hnlichen, nicht reflectirenden Erkennens unbestimmte Erinnerungsbilder im Hintergrund des Bewusstseins gewesen seien, wahrscheinlich gerade diejenigen, aus denen sich dann die assimilirenden Bestandtheile mit dem gegebenen Eindruck verbanden.\nVon diesem Vorgang zeigt nun der des sinnlichen Wieder-erkennens charakteristische Unterschiede. Zugleich sind aber hier verschiedene Stufen des Vorgangs m\u00f6glich, durch welche dieser von dem sinnlichen Erkennungsact bald mehr bald weniger sich entfernen kann.\nDie dem letzteren n\u00e4chste Stufe ist die des unmittelbaren Wiedererkennens, wobei \u00fcbrigens der Ausdruck \u00bbunmittelbar\u00ab nur darauf bezogen werden darf, dass wir uns irgend welcher Mittelglieder, welche das sinnliche Wiedererkennen erm\u00f6glichen, nicht klar bewusst sind. Ich erkenne z. B. einen Menschen wieder, dem ich schon einmal irgendwo begegnet bin. Dabei k\u00f6nnen nun wieder zwei verschiedene F\u00e4lle Vorkommen. Erstens: die Wiedererkennung erfolgt, ohne dass ich mir die Umst\u00e4nde vergegenw\u00e4rtige, unter denen die fr\u00fchere Begegnung stattfand. Die Vorstellung wird also blo\u00df von dem Bewusstsein begleitet, dass sie fr\u00fcher schon einmal oder mehrmals dagewesen sei. Bei Menschen, die wir oft gesehen, ist dies Verhalten das regelm\u00e4\u00dfige. Wir erinnern uns keiner bestimmten Gelegenheit ihres Zusammenseins mit uns ; wir wissen nur bestimmt, dass sie die n\u00e4mlichen sind, die wir oft und unter verschiedenen Umst\u00e4nden gesehen haben. Aber selbst bei einmaligem Wiederbegegnen kann sich das n\u00e4mliche ereignen; es ist dann freilich der Wiedererkennungsact sehr h\u00e4ufig zugleich mit dem Streben verbunden, die Nebenumst\u00e4nde ins Bewusstsein zur\u00fcckzurufen, unter denen die fr\u00fchere Begegnung stattfand, und in der Regel ist die Wiedererkennung selbst erst da eine klare und deutliche, wo ein solches Zur\u00fcckrufen m\u00f6glich wird. Es geht dann der Vorgang in die zweite Stufe \u00fcber : in das unmittelbare Wiedererkennen unter gleichzeitiger Vergegenw\u00e4rtigung begleitender Umst\u00e4nde. Wir erinnern uns der zeitlichen Beziehungen und der r\u00e4umlichen Umgebungen', in denen wir das, was wir wiedererkennen, fr\u00fcher gesehen haben. Beim deutlichen Wiedererkennen eines Menschen","page":346},{"file":"p0347.txt","language":"de","ocr_de":"Bemerkungen zur Associationslehre.\n347\nz. B., den wir nur einmal zuvor gesehen, treten diese begleitenden Umst\u00e4nde sehr bestimmt hervor. Ohne sie gibt es in diesem Fall \u00fcberhaupt kein deutliches Wiedererkennen, sondern dieses bleibt ein unbestimmtes. Wir wissen nicht, \u00bbwo wir den Menschen hinthun sollen\u00ab, ein Ausdruck, der sehr bezeichnend eben auf den Einfluss begleitender Umst\u00e4nde hinweist. Das Gef\u00fchl des WiedereTkennens ist in solchem Ffdle stets noch mit einem Gef\u00fchl des Zweifels verbunden ; es tritt erst lebhaft und ungemischt hervor, sobald uns jene zeitliche und r\u00e4umliche Bestimmung gelungen ist. Nun besteht die letztere lediglich in der Erweckung von Nebenvorstellungen, die in fr\u00fcheren Erfahrungen mit der wiedererkannten in \u00e4u\u00dferer Ber\u00fchrung waren. Offenbar wird also der Wiedererkennungsact erst dadurch zu einem vollst\u00e4ndigen, dass jene Ber\u00fchrungsverbindungen zu Stande kommen.\nAuf diese Weise geht das unmittelbare Wiedererkennen unter begleitenden Nebenumst\u00e4nden direct \u00fcber in die dritte Stufe, in die des mittelbaren Wiedererkennens. So nennen wir aber jeden sinnlichen WiedeT.kennungsact, bei welchem wir uns klar bewusst sind, dass die Wiedererkennung erst vermittelst der begleitenden Nebenvorstellungen zu Stande kommt. Ich begegne z. B. einem Manne, der mir v\u00f6llig unbekannt vorkommt. Da sehe ich einen Livr\u00e9ebedienten auf ihn zueilen, und nun wird es mir pl\u00f6tzlich klar, dass ich demselben Manne mit demselben Bedienten schon einmal begegnet bin. F\u00e4lle \u00e4hnlicher Art hat Lehmann bei der Wiedererkennung von Geruchsempfindungen beobachtet, und es ist ihm dabei mehrmals gegl\u00fcckt, die mitspielenden Vorstellungen deutlich in das Bewusstsein zu rufen1). Ich erinnere z. B. an den Versuch, bei dem einem Studirenden eine Flasche mit Fusel\u00f6l dargereicht wurde mit der Frage, ob er den Geruch erkenne, und wo auf die Bemerkung: \u00bbdenken sie an das Klassenzimmer Nr. X Ihres Gymnasiums ! \u00ab sofort die Antwort erfolgt: \u00bbes riecht nach Spirituspr\u00e4paraten\u00ab. Die Vorstellung des Classenzimmers hatte die der naturhistorischen Sammlung in demselben wachgerufen, in welcher stark nach Fusel riechende Spirituspr\u00e4parate aufgestellt waren.\nSicherlich kommen viele F\u00e4lle vor, wo ein Wiedererkennen in\n1) Phil. Stud. VII, S. 193 f.\n23*","page":347},{"file":"p0348.txt","language":"de","ocr_de":"348\nW. Wundt.\ndieser Weise ein mittelbares ist, wo wir es aber f\u00fcr ein unmittelbares halten, weil wir uns der H\u00fclfsvorstellungen, welche die Wiedererkennung vermitteln, minder deutlich bewusst werden. Hierf\u00fcr legen, wie mir scheint, die fr\u00fcheren Versuche Lehmann\u2019s \u00fcber die Wiedererkennung verschiedener Nuancen von Grau ein deutliches Zeugniss ab1). Dass man leicht im Stande ist, drei zwischen Schwarz und Wei\u00df eingeschaltete Abstufungen des Grau im Ged\u00e4chtniss zu behalten und jede nach einiger Zeit richtig und scheinbar unmittelbar wiederzuerkennen, dass man aber, schon wenn nur vier Nuancen gew\u00e4hlt werden, unsicher wird und sehr h\u00e4ufig Fehler begeht, '\u25a0kann doch kaum anders als daraus erkl\u00e4rt werden, dass wir in der Sprache gerade drei gel\u00e4ufige Namen f\u00fcr die Abstufungen des Grau, n\u00e4mlich Dunkelgrau, Grau und Hellgrau, besitzen. Eine sch\u00f6ne Best\u00e4tigung dieser Erkl\u00e4rung gibt \u00fcberdies die Beobachtung Lehmann\u2019s, dass, als er eine 9-stufige Scala von Wei\u00df bis Schwarz herstellte und jede derselben mit einer der Zahlen von 1 bis 9 bezeichnete, nach einiger Ein\u00fcbung alle diese Nuancen mit viel gr\u00f6\u00dferer Sicherheit als zuvot wiedererkannt wurden2). Es erkl\u00e4rt sich also die bestimmte Begrenzung der Wiedererkennungsf\u00e4higkeit sehr einfach, wenn man annimmt, dass sich mit jedem der Eindr\u00fccke unwillk\u00fcrlich eine WortvorStellung verbindet, und dass dann durch diese die Wiedererkennung vermittelt wird. Aehn-lich kann man einen einzelnen musikalischen Klang noch nach langer Zeit wiedererkennen, wenn man ihm eine bestimmte in der musikalischen Tonleiter durch eine feste Bezeichnung fixirte Tonh\u00f6he gibt, wie c oder a. Die Wiedererkennung wird aber f\u00fcr ein musikalisch noch so ge\u00fcbtes Ohr ganz unsicher, wenn man einen beliebigen auf der musikalischen Tonleiter nicht vertretenen Ton w\u00e4hlt.\nUeberblickt man alle diese Erscheinungen des sinnlichen Wieder-erkennens, so erhebt sich, angesichts des stetigen Uebergangs der einzelnen Formen in einander, die Frage, ob es denn \u00fcberhaupt zul\u00e4ssig sei, dieselben als verschiedene Vorg\u00e4nge und nicht vielmehr als Modificationen eines und desselben Processes zu betrachten, die\n1)\tPhil. Stud. V, S. 138.\n2)\tEbenda, S. 141 f.","page":348},{"file":"p0349.txt","language":"de","ocr_de":"Bemerkungen zur Associationslehre.\n349\nnur in Nebenumst\u00e4nden, n\u00e4mlich theils in der relativen Klarheit th\u00e9ils in dem zeitlichen Verlauf der Bewusstseinselemente von einander abweichen.\nGehen wir die Reihe r\u00fcckw\u00e4rts, so unterscheiden sich offenbar das mittelbare Wiedererkennen und das unmittelbare mit begleitenden Umst\u00e4nden nur darin, dass bei dem ersteren zuvor die Nebenvorstellungen appercipirt werden, und dass dann erst das Bewusstsein der Uebereinstimmung der Hauptvorstellung mit der fr\u00fcher gehabten verbunden mit dem Wiedererkennungsgef\u00fchl entsteht, w\u00e4hrend dagegen im zweiten Fall die letztgenannten Bestandtheile sogleich zu bemerken sind und die Neben Vorstellungen entweder gleichzeitig mit ihnen oder sogar erst sp\u00e4ter deutlich aufgefasst werden. Nun ist aber, wie die Untersuchung des zeitlichen Verlaufs der Vorstellungen lehrt, die Apperception einer Vorstellung nicht identisch mit ihrem Auftreten im Bewusstsein, sondern es ist sehr wohl m\u00f6glich, dass von zwei Vorstellungen a und b, die in dieser Reihenfolge in das Bewusstsein eintreten, b zuerst appercipirt wird *). Es ist also auch m\u00f6glich, dass ein scheinbar unmittelbares, aber mit Nebenvorstellungen verbundenes Wiedererkennen eigentlich ebenfalls ein mittelbares Wiedererkennen ist, da auch in diesem Fall die Nebenvorstellungen, obgleich sie sp\u00e4ter zu klarem Bewusstsein kamen, die entscheidende Wirkung ausge\u00fcbt haben k\u00f6nnen. Der Unterschied beider Formen w\u00fcrde dann wesentlich nur auf der Geschwindigkeit beruhen, mit der das Wiedererkennungsgef\u00fchl zu Stande kommt. Braucht es nur eines eben erfolgenden Eintritts der H\u00fclfs-vorstellungen in das Bewusstsein, um jenes Gef\u00fchl auszul\u00f6sen, so werden wir das Wiedererkennen ein unmittelbares nennen. Ist aber eine l\u00e4ngere Wirkung und eine gr\u00f6\u00dfere Klarheit der Nebenvorstellungen erforderlich, so wird der Wiedererkennungsact ein mittelbarer genannt werden. Sollte sich auf diese Weise der Unterschied dieser beiden Formen auf einen blo\u00dfen Gradunterschied in der Wirksamkeit der Neben Vorstellungen reduciren, so .w\u00fcrde aber auch offenbar kein zureichender Grund mehr vorliegen, der es rechtfertigte, das einfache Wiedererkennen ohne begleitende Umst\u00e4nde als einen\n1) Vergl. die Beobachtungen \u00fcber die Zeitverschiebung von Sinneseindr\u00fccken. Physiol. Psych. 113 g. 332 ff.","page":349},{"file":"p0350.txt","language":"de","ocr_de":"350\nW. Wundt.\neigenartigen Process jenen andern Formen gegen\u00fcberzustellen. Wenn, wie es bei der zweiten Form geschieht, die von Anfang an als H\u00fclfs-kr\u00e4fte im Bewusstsein wirkenden Nebenvorstellungen erst nachtr\u00e4glich appercipirt werden, so wird es ja auch geschehen k\u00f6nnen, dass sie, nachdem der Effect des Wiedererkennens eingetreten ist, aus dem Bewusstsein wieder verschwinden, ohne zur Apperception zu gelangen.\nIn der That machen dies die n\u00e4heren Bedingungen jenes einfachen Wiedererkennungsactes von vornherein wahrscheinlich. Unmittelbare Wiedererkennungen finden n\u00e4mlich erstens statt bei Gegenst\u00e4nden, die uns aus h\u00e4ufigen Erfahrungen vollkommen gel\u00e4ufig sind, und zweitens bei Gegenst\u00e4nden, die wir erst vor kurzer Zeit oder aber unter Umst\u00e4nden, durch die sie einen besonders tiefen Gef\u00fchlseindruck auf uns hervorgebracht haben, kennen lernten. Dies sind nun alles Bedingungen, welche eine rasche Apperception des Gegenstandes unter begleitendem Wiedererkennungsgef\u00fchl begreiflich, welche aber keineswegs eine Abwesenheit der sonst vorhandenen Nebenvorstellungen wahrscheinlich machen. Wenn wir eine Person sehen, mit der wir t\u00e4glich verkehren, so gibt es so viele Reproductionen verschiedenartigster Situationen, in denen wir mit ihr zusammen waren, dass kaum jemals eine einzelne derselben sich zu klarem Bewusstsein erheben wird; aber eine gewisse Zahl solch dunkler und unbestimmter, weil zum Theil sich gegenseitig aufhebender Nebenvorstellungen kann doch in diesem Fall unm\u00f6glich fehlen. Ist doch keine einzige der fr\u00fcheren Vorstellungen jener Person ein f\u00fcr sich isolirt existirendes Ganzes sondern jede, ist mit andern Vorstellungen verbunden, von denen nun auch mit ihr Elemente in das Bewusstsein gezogen werden. Sehen wir dagegen einen Menschen wieder, der uns erst vor kurzem begegnet ist, so kann auch hier die Wahrnehmung von einem unmittelbaren Wiedererkennungsgef\u00fchl begleitet sein. Dennoch fehlt es offenbar nicht an begleitenden Nebenvorstellungen, die eine bestimmtere Beschaffenheit besitzen als vorhin, und die, sobald sich die Aufmerksamkeit auf sie richtet, leicht vergegenw\u00e4rtigt werden k\u00f6nnen. Der Vorgang scheint also diesmal nur darum den Charakter eines einfachen Wiedererkennungsactes anzunehmen, weil die Verbindung jener Nebenvorstellungen mit dem Gegenstand eine noch so lebendige oder, bei fr\u00fcheren intensiv unser Interesse erregenden","page":350},{"file":"p0351.txt","language":"de","ocr_de":"Bemerkungen zur Associationslehre.\n351\nEindr\u00fccken, eine so feste ist, dass es keiner merklichen Zeit bedarf, um ein starkes Wiedererkennungsgef\u00fchl hervorzubringen, wor\u00fcber dann meist die deutliche Auffassung der Neben Vorstellungen unterbleibt.\nAber noch unter einem andern Gesichtspunkte erweist sich die Annahme, dass bei allen Formen des Wiedererkennens H\u00fclfsvor-stellungen wirksam sind, die mit dem Gegenstand in Ber\u00fchrungsverbindungen stellen, nicht blo\u00df als wahrscheinlich, sondern als unvermeidlich. Es scheint n\u00e4mlich, dass man \u00fcber das alle diese Vorg\u00e4nge kennzeichnende Wiedererkennungsgef\u00fchl kaum auf andere Weise Rechenschaft geben kann. Was w\u00fcrde eintreten, wenn eine Vorstellung nur eine fr\u00fchere ihr \u00e4hnliche repToduciren m\u00fcsste, um wiedererkannt zu werden? Die Antwort auf diese Frage ist in dem, was \u00fcber die Assimilation der Vorstellungen ausgef\u00fchrt wurde, schon gegeben. Denn gerade das, was hier verlangt wird, ereignet sich bei jeder momentan erfolgenden Assimilation. Wir sehen einen Tisch und erkennen ihn als solchen, ohne ihn auf irgend ein bestimmtes schon gesehenes Object zu beziehen. Nun wirken zwar bei diesem Vorgang, wie oben gezeigt wurde, ebenfalls Ber\u00fchrungsverbindungen mit. Wir w\u00fcrden ja dem gesehenen Bilde nicht seine Stelle unter den uns gel\u00e4ufigen Objecten des Vorstellens anweisen k\u00f6nnen, wenn nicht an die zun\u00e4chst wirksam werdenden Gleichheitsverbindungen noch Ber\u00fchrungsverbindungen aus fr\u00fcheren Wahrnehmungen sich anschl\u00f6ssen. Aber da diese letzteren v\u00f6llig unbestimmt bleiben, weil sie m\u00f6glicherweise ganz verschiedenen und entlegenen Vorstellungen angeh\u00f6ren k\u00f6nnen, so kommt es nur zu einem Erkennungsgef\u00fchl: der Gegenstand wird als ein noch nicht dagewesener betrachtet, der aber zu einer Classe uns gel\u00e4ufiger Vorstellungen geh\u00f6rt. Mit diesem Gef\u00fchl ist nun das Wiedererkennungsgef\u00fchl zwar verwandt, es ist aber doch von ihm qualitativ, wie mir scheint, nicht weniger verschieden, als etwa im Gebiet der Empfindungen ein einfacher Ton von einem andern Ton ist. Beschreiben kann man diesen Qualit\u00e4tsunterschied ebenso wenig wie irgend einen andern; man kann nur auf ihn hinweisen und \u00fcber die Vorstellungen Rechenschaft geben, welche unter g\u00fcnstigen Umst\u00e4nden als Grundlagen des Gef\u00fchls im Bewusstsein anzutreffen sind. Das sind aber beim Wiedererkennungsgef\u00fchl \u00fcberall da, wo","page":351},{"file":"p0352.txt","language":"de","ocr_de":"352\nW. Wundt.\nes sich entweder um ein mittelbares Wiedererkennen oder wenigstens um ein unmittelbares mit begleitenden Umst\u00e4nden handelt, Ber\u00fchrungsverbindungen der wiedererkannten Vorstellungen. Wo solche Ber\u00fchrungen zu fehlen scheinen, da kleiden wir unser Gef\u00fchl, wenn wir ihm Worte geben sollen, etwa in den Ausruf: \u00bbdas war schon einmal da\u00ab, oder sogar: \u00bbdas habe ich vor langer Zeit schon einmal gesehen\u00ab, oder: \u00bbdem bin ich vor kurzem begegnet\u00ab u. s. w. Es hie\u00dfe auf allen Zusammenhang der Erscheinungen verzichten, wollte man nicht annehmen, dass auch hier das Wiedererkennungsgef\u00fchl in begleitenden Vorstellungen seinen Grund hat, nur dass diese gar nicht oder erst durch eine besondere Anstrengung der Aufmerksamkeit zu klarem Bewusstsein gebracht werden k\u00f6nnen. Diese Umst\u00e4nde seiner Entstehung machen es zugleich begreiflich, dass das Wiedererkennungsgef\u00fchl nicht blo\u00df qualitativ von dem Erkennungsgef\u00fchl abweicht, sondern dass es auch meist -viel intensiver ist. In beiden Eigenschaften n\u00e4hert es sich dem letzteren noch bei dem einfachen Wiedererkennen von Personen und Gegenst\u00e4nden, die zu unserer fortw\u00e4hrenden Umgebung geh\u00f6ren, wie denn ja auch hier der ganze Vorgang dem Assimilationsprocess am n\u00e4chsten kommt. Durch gro\u00dfe Intensit\u00e4t pflegen sich dagegen die Gef\u00fchle beim mittelbaren Wiedererkennen sowie bei dem mit Zweifel verbundenen unmittelbaren Wiedererkennen auszuzeichnen.\nEs ist ein unleugbares Verdienst H\u00f6ffding\u2019s, auf die f\u00fcr diese einfachen Associationsprocesse \u00fcberaus' bedeutsamen Erkennungsund Wiedererkennungsgef\u00fchle in seiner Abhandlung \u00bb\u00fcber Wiedererkennen u. s. w.\u00ab hingewiesen zu haben. Denn es ist nichts anderes, als dieses Gef\u00fchl, was er unter seiner \u00bbBekanntheitsqualit\u00e4t\u00ab versteht1). Freilich kann ich mit H\u00f6ffding\u2019s Deutung derselben nicht einverstanden sein. Weder glaube ich, dass diese \u00bbQualit\u00e4t\u00ab jemals ohne mitwirkende Vorstellungen vorkommt, da, wie oben ausgef\u00fchrt, \u00fcberall wo eine exactere Analyse der Erscheinungen m\u00f6glich ist, solche meist freilich dunkler bewusst bleibende Nebcn-vorstellungen direct oder indirect nachweisbar sind. Noch bin ich der Meinung, dass es sich hier um eine Qualit\u00e4t handelt, die etwa analog der Empfindungsqualit\u00e4t zu denken w\u00e4re, sondern ich glaube,\n1) H\u00f6ffding, Vierteljahrsschr. f. wiss. Phil. XIII, S. 427.","page":352},{"file":"p0353.txt","language":"de","ocr_de":"Bemerkungen zur Assoeiationslehre.\n353\nwie dies auch Lehmann ausgesprochen hat1), dass die \u00bbBekanntheitsqualit\u00e4t\u00ab lediglich ein die Vorstellung begleitendes Gef\u00fchl ist. Als die Grundlage dieses Gef\u00fchls betrachte ich aber eben jene meist dunkel bewussten Nebenvorstellungen; daher auch nach ihnen und ihrem Bewusstseinszustand die verschiedene Beschaffenheit der Gef\u00fchle sich richtet: so vor allem der Unterschied des Erkennungsund des Wiedererkennungsgef\u00fchls, und sodann die verschiedenen Gestaltungen des letzteren, je nachdem es sich um eine unmittelbare oder mittelbare Wiedererkennung handelt.\nUeber das Verhalten der das Gef\u00fchl des Wiedererkennens vermittelnden Nebenvorstellungen zum Bewusstsein kann nat\u00fcrlich beim mittelbaren Wiedererkennen kein Zweifel obwalten. Hier sind wir uns der Neben Vorstellungen klar genug bewusst, um sagen zu k\u00f6nnen, dass sie durch ihre Anwesenheit im Bewusstsein das Gef\u00fchl hervor-rufen. Anders verh\u00e4lt sich dies beim unmittelbaren Wiedererkennen, bei dem H\u00fclfsvorstellungen bald gar nicht zu bemerken sind, bald erst nachtr\u00e4glich zum Bewusstsein gelangen. Hier kann man entweder annehmen, die H\u00fclfsvorstellungen seien so dunkel bewusst, dass wir uns eben deshalb nicht unmittelbar \u00fcber sie Rechenschaft geben k\u00f6nnen, oder sie seien unter der Schwelle des Bewusstseins, um unter Umst\u00e4nden erst sp\u00e4ter oder auch gar nicht in dasselbe aufzusteigen. Eine absolut sichere Entscheidung dieser Alternative ist nat\u00fcrlich nicht m\u00f6glich. Aber nach den bei momentanen rasch vor\u00fcbergehenden Eindr\u00fccken, namentlich bei momentaner Erleuchtung von Gesichtseindr\u00fccken, gemachten Beobachtungen, m\u00f6chte -ich doch der Auffassung den Vorzug geben, dass auch in solchen F\u00e4llen die H\u00fclfsvorstellungen stets im Bewusstsein, wenn auch nur dunkel bewusst sind. Man bemerkt n\u00e4mlich bei den angef\u00fchrten Versuchen, dass es unter den nicht appercipirten Vorstellungen einzelne gibt, die man nachtr\u00e4glich, manchmal unter merklicher Anstrengung der Aufmerksamkeit, zu voller Klarheit erheben kann, dass aber noch andere Vorkommen, bei denen man nur zu sagen vermag: \u00bbes war etwas da\u00ab, ohne \u00fcber das wie und was, auch bei noch so angestrengter Besinnung, Auskunft geben zu k\u00f6nnen, und\n1) Phil. Stud. VII, S. 183.","page":353},{"file":"p0354.txt","language":"de","ocr_de":"354\nW. Wundt.\nzwar auch dann nicht, wenn die Gesichtseindr\u00fccke, was hei allen diesen Versuchen die Voraussetzung ist, auf den gelben Fleck ihre Bilder entwerfen, so dass sie im physiologischen Sinne deutlich gesehen werden konnten.\nDiese zwei Arten des Verhaltens der dunkeln Vorstellungen im Bewusstsein entsprechen nun offenbar ganz und gar den verschiedenen Erscheinungen heim unmittelbaren Wiedererkennen, wo ebenfalls bald eine nachtr\u00e4gliche Vergegenw\u00e4rtigung der n\u00e4heren Umst\u00e4nde m\u00f6glich ist, bald aber auch nur das unbestimmte Urtheil bleibt: \u00bbder Gegenstand war schon einmal da\u00ab. Die Thatsache, dass es zuweilen unm\u00f6glich ist, das Wiedererkannte zeitlich und r\u00e4umlich zu localisiren, bildet also keinen entscheidenden Einwand gegen das Vorhandensein entsprechender Hiilfsvorstellungen im Bewusstsein, da das Vorkommen von dunkeln Vorstellungen, die nicht zur Klarheit gebracht werden k\u00f6nnen, durch die angef\u00fchrten Beobachtungen nachgewiesen ist. Anderseits begegnet aber die Annahme, dass Vorstellungen, die ganz aus dem Bewusstsein verschwunden sind, trotzdem eine Wirkung auf dasselbe in der Form bestimmter Gef\u00fchle aus\u00fcben k\u00f6nnen, erheblichen Schwierigkeiten. Eine aus dem Bewusstsein verschwundene Vorstellung kennen wir \u00fcberhaupt nur als eine Disposition zur Entstehung einer neuen ihr irgendwie \u00e4hnlichen Vorstellung. Wenn aber die verschwundene Vorstellung als solche noch Gef\u00fchle im Bewusstsein sollte wachrufen k\u00f6nnen, so m\u00fcssten ihr in jenem unbewussten Zustand actuelle Eigenschaften zukommen, die den Eigenschaften, welche sie als bewusste Vorstellung hatte, gleich k\u00e4men. Denn das Wiedererkennungsgef\u00fchl ist ja, mag eine bestimmte Recognition des Objectes stattfinden oder nicht, im wesentlichen ein \u00fcbereinstimmendes. Jene Ansicht scheint mir also unvermeidlich zu der aus vielen Gr\u00fcnden zu verwerfenden Auffassung zur\u00fcckzuf\u00fchren, dass die aus dem Bewusstsein verschwundenen Vorstellungen noch mit denselben Eigenschaften im unbewussten Zustand fortexistiren, die sie im Bewusstsein hatten, d. h. also, dass die Vorstellungen mehr oder minder unver\u00e4nderliche, unabh\u00e4ngig von dem Bewusstsein existirende Objecte seien.\nDer Vorgang des sinnlichen Wiedererkennens bildet in Bezug auf seine inneren Bedingungen wie in seinen zeitlichen Erscheinungs-","page":354},{"file":"p0355.txt","language":"de","ocr_de":"Bemerkungen zur Associationslehre,\n355\nformen ein Mittelglied zwischen den simultanen und den successiven Associationen. Das unmittelbare Wiedererkennen bewegt sich in beiden Beziehungen noch vollst\u00e4ndig in dem Rahmen der Assimilation, von dieser nur durch das eigenth\u00fcmliche Wiedererkennungsgef\u00fchl verschieden, das auf eine bestimmte, au\u00dferhalb des wiedererkannten Gegenstandes liegende Vorstellungsgrundlage hin weist. Gelangt nun die letztere nachtr\u00e4glich zu deutlicher Vorstellung, so ist damit jener simultane Vorgang von selbst in eine successive Association \u00fcbergegangen : an das wiedererkannte Object schlie\u00dfen sich die Vorstellungen anderer Objecte, mit denen dasselbe fr\u00fcher in Beziehung stand. Ganz das \u00e4hnliche kann nun aber auch bei dem unbestimmteren' Act des sinnlichen Erkennens eintreten. Nachdem ein Object durch gel\u00e4ufige Vorstellungen derselben Art assimilirt ist, treten einzelne mit den assimilirenden Vorstellungen in Ber\u00fchrung stehende Nebenvorstellungen in das Bewusstsein, oder es wird wohl auch gelegentlich eine specielle unter den vielen Vorstellungen, die assimilirend gewirkt haben, vergegenw\u00e4rtigt. Ich erkenne z. B. das Bild einer Katze und stelle mir sofort das Dach vor, auf dem ich des \u00f6fteren die Katzen meiner Nachbarschaft herumspazierend erblickte; oder das Bild weckt in mir die specielle Vorstellung meiner eigenen Hauskatze: das erste nennen wir dann eine Beriihrungs-, das zweite eine Aehnlichkeitsassociation. Dass hierbei die elementaren Verbindungsprocesse nicht qualitativ, sondern nur nach ihren intensiven und zeitlichen Verh\u00e4ltnissen sich unterscheiden, von welchen letzteren eben die entstehenden Producte abh\u00e4ngig sind, ist nach dem fr\u00fcher Gesagten einleuchtend. Werden doch hier wie dort zuerst Gleichheits- und dann Ber\u00fchrungsverbindungen wirksam. Denn es ist ganz unm\u00f6glich, dass das Bild der Katze die Vorstellung meiner ganz davon verschiedenen Hauskatze anders erweckt, als indem zuerst gewisse identische Elemente sich verbinden und dann von diesen aus die verschiedenen, die der hinzutretenden Vorstellung eigen sind, durch Ber\u00fchrung wachgerufen werden. Verm\u00f6ge der Assimilationen und Complicationen, die, wie zwischen Wahrnehmungen und Erinnerungsbildern, so zwischen den Erinnerungsbildern selbst entstehen m\u00fcssen, erkl\u00e4rt es sich nun leicht, dass nicht bloss ein unmittelbarer Eindruck durch successive Association eine Erinnerungsvorstellung wachruft, sondern dass auch an diese hinwiederum","page":355},{"file":"p0356.txt","language":"de","ocr_de":"356\nW. Wundt.\neine fernere Erinnerungsvorstellung associativ sich anschlie\u00dfen kann, so dass auf diese Weise eine ganze Associationsreihe gebildet wird.\nWo man irgend es unternimmt, Beobachtungen \u00fcber successive Associationen planm\u00e4\u00dfig zu sammeln, da springt \u00fcberall dieser nahe Zusammenhang mit den simultanen Associationsformen deutlich in die Augen. Ich verweise auch in dieser Beziehung auf die Beispiele bei Scripture1). Der durch Reibung zweier Holzkl\u00f6tzchen erzeugte Schall z. B. erweckte zuerst die Vorstellung des Ger\u00e4usches einer Kaffem\u00fchle, und an diese schloss sich dann die Gesichtsvorstellung einer solchen (S. 100). Hier ist augenscheinlich die erste Vorstellung die Folge einer Assimilations Wirkung. Der ganze Unterschied liegt darin, dass es einiger Zeit bedurfte, bis die Vorstellung des Ger\u00e4usches der Kaffem\u00fchle deutlich hervortrat, so dass nun eben der Eindruck und die von ihm erweckte Vorstellung zwei Vorstellungen, nicht, wie bei gew\u00f6hnlichen simultanen Associationen, blo\u00df eine einzige bildeten. Die ferner aufsteigende Vorstellung, das Gesichtsbild der Kaffem\u00fchle, ist dann eine einfache Complication, vor der gew\u00f6hnlichen ebenfalls nur durch das Moment der zeitlichen Aufeinanderfolge ausgezeichnet. In einem zweiten Beispiel erweckte das pl\u00f6tzlich dem Auge dargebotene Bild eines Elephanten durch Ber\u00fchrungsverbindung die Vorstellung eines Elephanten in einem Circus, und daran schloss sich nun, offenbar durch das Hervortreten einer einzigen unter den dabei wirksam gewesenen assimilirenden Vorstellungen, das Erinnerungsbild eines bestimmten, an einem bekannten \u00f6ffentlichen Orte gesehenen Elephanten. (Ebend.)\nJe bestimmter in solchen F\u00e4llen eine durch Association erweckte Vorstellung als eine einzige fr\u00fcher schon dagewesene aufgefasst wird, um so mehr gestaltet sich der Vorgang zu einem suc-cessiven Erinnerungsact. Ist dabei die erinnerte Vorstellung von Neben Vorstellungen begleitet, welche die n\u00e4heren Umst\u00e4nde des fr\u00fcheren Erlebnisses enthalten, so vollzieht sich mit der Erinnerung zugleich eine zeitliche und r\u00e4umliche Determination der Erinnerungsvorstellung. Diese kann nun aber je nach der Klarheit der Neben Vorstellung wieder die verschiedensten Grade der Klarheit\n1) Phil. Stud. VII, S. 50\u2014146.","page":356},{"file":"p0357.txt","language":"de","ocr_de":"Bemerkungen zur Associationslehre.\n357\nhaben. Jene k\u00f6nnen bald nur in einem begleitenden Wiedererkennungsgef\u00fchl sich \u00e4u\u00dfern, bald zugleich mit diesem selbst deutlich zum Bewusstsein gelangen, wobei dann aber in der Regel die Apperception der Nebenvorstellungen abermals eine successive ist, so dass der ganze Erinnerungsprocess in eine successive Asso-ciationsreihe sich aufl\u00f6st. Die unmittelbare Beziehung dieser Vorg\u00e4nge zu der oben zergliederten sinnlichen Wiedererkennung springt in die Augen. Der einzige Unterschied liegt auch hier in der Zerlegung der dort simultan gegebenen Vorstellungsacte in eine Zeitfolge.\nZugleich sind hierbei die Bedingungen dieser zeitlichen Zerlegung unschwer zu erkennen. Sie bestehen darin, dass die einzelnen Bestandtheile eines durch Association verbundenen Ganzen einer verschieden langen Zeit bed\u00fcrfen, um appercipirt zu werden. Beim unmittelbaren Wiedererkennen sowie bei dem einfachen sinnlichen Erkennungsact gibt es keine Zeitfolge, weil sofort mit dem Eindruck auch die zugeh\u00f6rigen Elemente der assimilirenden Vorstellungen appercipirt werden, so dass diese verschiedenen Bestandtheile \u00fcberhaupt in eine Vorstellung sich vereinigen. Anders verh\u00e4lt es sich schon beim mittelbaren Wiedererkennen, insofern hier nicht nur die Nebenvorstellungen von dem Hauptobject unterschieden, sondern auch zeitlich vor demselben appercipirt werden.\nNun kann aber weiterhin dieses Zeitverh\u00e4ltniss in der mannigfaltigsten Weise wechseln und so zur Entstehung der verschiedenen Formen successiver Association die Veranlassung geben. Wird zuerst die Hauptvorstellung assimilirt, worauf dann Nebenvorstellungen aus fr\u00fcheren Erfahrungen hinzutreten, so liegt der Fall einer sogenannten Ber\u00fchrungsassociation vor. Wird dagegen zuerst ein Assimilationsprocess in seiner gew\u00f6hnlichen, auf unbestimmt viele assimilirende Vorstellungen sich erstreckenden Form vollzogen und dann eine einzelne aus der Menge der letzteren f\u00fcr sich allein appercipirt, so entsteht das, was man eine Aehnlichkeitsasso-ciation zu nennen pflegt. Tritt endlich zun\u00e4chst ein unmittelbarer Wiedererkennungsact d. h. eine simultane Assimilation durch eine bestimmte fr\u00fcher gehabte Vorstellung ein, und verbindet sich dann mit dieser allm\u00e4hlich ein Complex anderer damit fr\u00fcher in zeitlicher und r\u00e4umlicher Ber\u00fchrung gewesener Neben Vorstellungen,","page":357},{"file":"p0358.txt","language":"de","ocr_de":"358\nW. Wundt.\nso liegt ein Act der Wiedererkennung mit mehr oder minder vollst\u00e4ndiger r\u00e4umlicher und zeitlicher Localisation vor.\nDie Bedingungen zur Zerlegung der Associationen in zeitliche Reihen sind also im allgemeinen von doppelter Art: erstens kann eine \"Vorstellung an sich langsamer zur Erhebung ins Bewusstsein gelangen als eine andere oder als eine unbestimmte Summe von Elementen anderer Vorstellungen. Dieser Einfluss ist jedenfalls der wichtigste: er macht sich sowohl beim mittelbaren Wiedererkennen, wie bei allen mit diesem verwandten Processen, z. B. beim Ueber-gang einer einfachen Assimilation und Erkennung in eine einen bestimmten Erinnerungsact einsclilie\u00dfende speciellere Association geltend. Zweitens aber k\u00f6nnen, wenn durch eine bestimmte Vorstellung andere in gro\u00dfer Zahl in das Bewusstsein gerufen werden, diese unm\u00f6glich alle gleichzeitig appercipirt werden, sondern gewisse unter ihnen werden sich zun\u00e4chst nur durch den Einfluss verrathen, den sie auf die vorhandene Gef\u00fchlslage aus\u00fcben, um dann erst nachtr\u00e4glich zu klarem Bewusstsein zu gelangen. Auf diese Weise gestalten sich die Vorg\u00e4nge namentlich bei allen Wiedererinnerungsacten mit zeitlicher und r\u00e4umlicher Localisation, wo die Neben Vorstellungen immer bestimmter werden, indem die Aufmerksamkeit successiv dieselben durchl\u00e4uft. Dabei greift dann freilich auch immer wieder die erste Bedingung mit ein, das allm\u00e4hliche Aufarbeiten von Vorstellungen, die erst durch die neu entstandenen Associationsh\u00fclfen zum Eintritt in das Bewusstsein gelangen.\nNach allem Vorangegangenen kann bei der successiven Association von der Existenz verschiedener \u00bbAssociationsgesetze\u00ab, insofern man unter den letzteren Regelm\u00e4\u00dfigkeiten des Geschehens versteht, die den verschiedenen Erscheinungsformen der Association zu Grunde liegen, in keiner Weise die Rede sein. Vielmehr kommen in jedem einzelnen Fall von Association die n\u00e4mlichen elementaren Processe zur Geltung, welche auch die simultanen Associationen bestimmen: irgend welche Elemente unserer Vorstellungen erwecken I die ihnen gleichen fr\u00fcherer Vorstellungen, und an diese schlie\u00dfen sich andere an, die fr\u00fcher mit ihnen verbunden waren. Dadurch aber stehen theils unmittelbar, theils mittelbar alle Erlebnisse unseres Bewusstseins in einem durchg\u00e4ngigen Zusammenhang. Die Summe","page":358},{"file":"p0359.txt","language":"de","ocr_de":"Bemerkungen zur Associationslehre.\n359\ndieser dem Bewusstsein zur Verf\u00fcgung stehenden Vorstellungen besteht nicht aus von einander getrennten Gruppen, sondern sie bildet eine einzige zusammenh\u00e4ngende Verflechtung, innerhalb deren jeder einzelne Punkt von den verschiedensten Seiten her und also in der mannigfaltigsten Weise in Erregung versetzt werden kann.\nEine naheliegende lolgerung aus dieser Vorstellungsweise ist die Annahme, dass jede Vorstellung, die in unser Bewusstsein ein-tritt, sofern sie nicht direct durch \u00e4u\u00dfere Erregungen erzeugt wird, auf Associationswirkungen beruht. So verbinden sich schon die Sinneswahrnehmungen selbst durch Assimilation und Complication mit Elementen, die jenem Netz \u00fcberallhin sich verbreitender Verbindungen angeh\u00f6ren. So geh\u00f6ren ferner alle Erinnerungs- und Phantasievorstellungen nicht blo\u00df durch ihre Elemente, so wechselnd diese auch von Fall zu Fall sich verbinden m\u00f6gen, dem n\u00e4mlichen Zusammenhang an, sondern es treten uns auch hier in der Art und Weise der Aufeinanderfolge diese Beziehungen deutlich entgegen.\nHier erhebt sich nun aber schlie\u00dflich eine f\u00fcr die Auffassung der Gesetzm\u00e4\u00dfigkeit unseres gesammten Seelenlebens entscheidende Frage: tauchen nicht gelegentlich Vorstellungen im Bewusstsein auf, die weder durch Sinneseindr\u00fccke noch durch associative Beziehungen zu vorangegangenen Vorstellungen erweckt werden? In der That, Jedem ist die Beobachtung gel\u00e4ufig, dass pl\u00f6tzlich, ohne irgend eine erkennbare Veranlassung, durch vorangegangene Vorstellungen oder durch unmittelbare Eindr\u00fccke irgend ein Phantasieoder Erinnerungsbild entsteht. Herbart hat diese Erscheinung als das \u00bbfreie Aufsteigen\u00ab einer Vorst\u00e9llung bezeichnet und sie dadurch erkl\u00e4rt, dass die scheinbar unvermittelt auftretende Vorstellung v durch andere a und b gehemmt gewesen sei; sobald aber diese letzteren durch irgend eine dritte Vorstellung c ihrerseits gehemmt w\u00fcrden, m\u00fcsse v von selbst in das Bewusstsein treten. Zun\u00e4chst sind nun die hier angenommenen Hemmungsprocesse ganz und gar hypothetisch. Au\u00dferdem leuchtet aber ein, dass diese ganze Erkl\u00e4rung auf der Annahme einer unverg\u00e4nglichen Fortexistenz der Vorstellungen beruht, und dass sie daher von selbst hinf\u00e4llig wird, sobald wir jene Annahme verlassen und die Vorstellungen nicht als unver\u00e4nderliche Objecte, sondern als wechselnde Ereignisse betrachten.","page":359},{"file":"p0360.txt","language":"de","ocr_de":"360\nW. Wundt.\nDagegen bietet sich in der sicher zu beobachtenden mittelbaren Association ein Process dar, welcher die Erscheinungen eines sogenannten freien Aufsteigens ohne alle Schwierigkeit und ohne Zuh\u00fclfenahme hypothetischer Vorg\u00e4nge, die sich auch in keinem einzigen Falle sicher nachweisen lassen, begreiflich macht. Erfahrungsgem\u00e4\u00df kann es n\u00e4mlich Vorkommen, dass eine Vorstellung a mit irgend einer Nebenvorstellung x, eine andere b mit derselben Neben Vorstellung x associirt ist. Kommt nun in einem k\u00fcnftigen Fall b zur Einwirkung, so kann dieses, anscheinend ohne irgend welche Zwischenglieder, insbesondere also ohne dass x wahrgenommen wird, a wieder wachrufen. Hier tritt also a scheinbar ohne Associationsursache im Bewusstsein auf; es wird f\u00fcr eine \u00bbfrei-steigende Vorstellung\u00ab gehalten.\nSicherer als durch zuf\u00e4llig sich darbietende Selbstbeobachtungen l\u00e4sst sich dieser Process der mittelbaren Association auf experimentellem Wege nachweisen. Man bietet dem Auge in auf einander folgenden momentanen Erleuchtungen des Gesichtsfeldes successiv eine Reihe von Objecten a, b, c, d,e,f, ... Jedes dieser Objecte verbindet man mit einem zweiten derart, dass f\u00fcr gewisse Glieder der Reihe die Nebenvorstellungen \u00fcbereinstimmende sind, also z. B. : a x,b y, c z, dy, e q,f x .. . Nun wiederholt man nach einiger Zeit die Hauptglieder der Reihe unter Hinweglassung der Nebenobjecte in beliebig ver\u00e4nderter Reihenfolge, also z. B.: e, c, b, a, f . . ., und pr\u00fcft, welche Vorstellung nach dem Darbieten eines Bildes von selbst als Association aufsteigt. Es findet sich dann, dass in einer die M\u00f6glichkeit des Zufalls ausschlie\u00dfenden Ueberzahl von F\u00e4llen solche Objecte der n\u00e4mlichen Reihe auftauchen, deren Nebenvorstellungen \u00fcbereinstimmende sind, also z. B. zu a wird /, zu b wird d associirt. Am zweckm\u00e4\u00dfigsten wird man die Versuche so ausf\u00fchren, dass die Hauptvorstellungen a, b, c, d, u. s. w. bekannten Objecten entsprechen, die Neben Vorstellungen x, y, z u. s. w. aber willk\u00fcrliche Zeichen sind. So w\u00e4hlte z. B. Scripture f\u00fcr a, b, c . . . gel\u00e4ufige deutsche W\u00f6rter, f\u00fcr x, y, z . . . japanische Schriftz\u00fcge, die keinem der Beobachter bekannt waren1). Es tritt dann der Schein eines \u00bbfreien Aufsteigens\u00ab der Vorstellungen deshalb besonders leicht ein, weil\n1) Scripture, a. a. O. S. 76 ff.","page":360},{"file":"p0361.txt","language":"de","ocr_de":"Bemerkungen zur Associationslehre.\n361\ndie nichts bedeutenden Nebenvorstellungen nur selten zur deutlichen Wiedererinnerung gelangen. Befragt, warum er zu einer bestimmten Vorstellung a eine andere / associire, vermag daher der Beobachter in der Regel gar keinen Grund anzugeben: die Vorstellung tritt anscheinend vollkommen zuf\u00e4llig in ihm auf. Gleichwohl wird man nach dem fr\u00fcher \u00fcber die muthma\u00dfliche Wirkung der Associationsh\u00fclfen Gesagten auch in diesem Fall annehmen d\u00fcrfen, dass die Nebenvorstellung x dunkel in das Bewusstsein getreten sei, und dass sie dann die fr\u00fcher mit ihr verbundene Vorstellung f wachgerufen habe. Der Vorgang gleicht also vollst\u00e4ndig einer gew\u00f6hnlichen Association, mit dem einzigen Unterschied, dass ein Glied der Associationsreihe nur dunkel bewusst ist, so dass an dieser Stelle die Reihe unterbrochen erscheint.\nNach diesen Ergebnissen sind wir zweifellos berechtigt, andere F\u00e4lle, in denen uns aus irgend welchen Gr\u00fcnden die Nachweisung einer Verbindung entgeht, nach Ma\u00dfgabe dieser wohl analysirten Erscheinungen zu beurtheilen und demnach den Satz als einen zureichend begr\u00fcndeten aufzustellen: aller Wechsel der Vorstel-\\ lungen beruht, soweit er nicht durch directe Sinnes- 1 eindr\u00fccke bestimmt ist, auf der Association d. h. auf der ununterbrochenen Verflechtung, in welcher alle Dispositionen einmal gehabter und unserem Bewusstsein noch verf\u00fcgbarer Vorstellungen mit einander stehen.\nWandt, Philos. Stadien. VII.\n24","page":361}],"identifier":"lit758","issued":"1892","language":"de","pages":"329-361","startpages":"329","title":"Bemerkungen zur Associationslehre","type":"Journal Article","volume":"7"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T13:24:57.859540+00:00"}