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{"created":"2022-01-31T12:44:07.900310+00:00","id":"lit764","links":{},"metadata":{"alternative":"Die Deutschen Universit\u00e4ten","contributors":[{"name":"Wundt, Wilhelm","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"In: Die Deutschen Universit\u00e4ten, edited by W. Lexis, 450-457. Berlin: A. Asher & Co.","fulltext":[{"file":"p0450.txt","language":"de","ocr_de":"450\nPhilosophische Fakult\u00e4t.\nII.\nPSYCHOPHYSIK UND EXPERIMENTELLE PSYCHOLOGIE.\nIn seinen 1860 erschienenen \u201eElementen der Psychophysik\u201c nannte Fechner den Leipziger Physiologen Ernst Heinrich Weber den \u201eVater der Psychophysik\u201c. Dieses Wort ist kennzeichnend nicht bloss f\u00fcr die Bedeutung des einzelnen Mannes, sondern f\u00fcr die ganze Entwicklung des Zweiges wissenschaftlicher Forschung, der jener vornehmlich durch seine messenden Versuche \u00fcber den Tastsinn die Bahn er\u00f6ffnet hat. Die Psychophysik ist aus der Physiologie der Sinne hervorgegangen, und aus der Psychophysik hat sich durch die Ausdehnung der von ihr gefundenen Methoden und Betrachtungsweisen auf weitere psychologische Probleme die \u25a0experimentelle Psychologie entwickelt. Neben den in das Jahr 1829 zur\u00fcckreichenden Arbeiten Webers gewannen auf ihre Ausbildung vor Allem die Anschauungen eines zweiten hervorragenden Physiologen, Johannes M\u00fcllers, einen massgebenden Einfluss. Im h\u00f6chsten Grade f\u00f6rderlich aber wurde es f\u00fcr die neue Disciplin, dass ihr eigentlicher Begr\u00fcnder, Fechner, von der Physik ausgegangen und bem\u00fcht war, die Methoden der Untersuchung und der mathematischen Verwerthung der Resultate nach den bew\u00e4hrten Mustern physikalischer und astronomischer Messung zu gestalten. Indessen hatte die Sinnesphysiologie, unabh\u00e4ngig von diesen zur Psychophysik entwickelten Untersuchungen \u00fcber die Massgesetze der Empfindungen weitere Fortschritte gemacht, die \u00fcberall zugleich zur psychologischen Verwerthung anregten. In erster Linie sind hier die Arbeiten von Helmholtz \u00fcber den Gesichts- und Geh\u00f6rssinn zu nennen, neben dem \u00fcber manche in die Psychologie hereinreichende Fragen der physiologischen Optik Volkmann, Donders und zahlreiche andere Physiologen und Ophthalmologen werthvolle Beitr\u00e4ge lieferten, w\u00e4hrend Vierordt das Verdienst zukommt, als der Erste eine gr\u00f6ssere Zahl der Sch\u00fcler seines physiologischen Laboratoriums zu psychophysischen Arbeiten angeregt zu haben.","page":450},{"file":"p0451.txt","language":"de","ocr_de":"Psychophysik und experimentelle Psychologie.\n4\u00f4 1\nAls ein weiteres Problem, das zur Verwerthung physikalischer und physiologischer Methoden f\u00fcr psychologische Aufgaben herausforderte, kam dazu bald noch die von verschiedenen Forschern fast gleichzeitig in Angriff genommene Frage nach dem zeitlichen Verlauf psychischer Vorg\u00e4nge, eine Frage,. die ganz dazu geeignet war, experimentelle Methoden, die bisher nur auf der Physiologie angeh\u00f6rige Aufgaben angewandt worden waren, auf ein Gebiet zu \u00fcbertragen, das bis dahin zur unbestrittenen Dom\u00e4ne der reinen Psychologie geh\u00f6rt hatte. Hiermit hatte sich die Psychophysik von selbst zur experimentellen Psychologie erweitert, und die Schaffung eigener Seminarien und Laboratorien f\u00fcr dieses neue, mitten nine zwischen Natur- und Geisteswissenschaften getretene Gebiet konnte nun nur noch eine Frage der Zeit sein. In der That sind im Laufe des letzten Jahrzehnts an mehreren Universit\u00e4ten solche Anstalten gegr\u00fcndet worden.\nAn vier Universit\u00e4ten des deutschen Reichs bestehen zur Zeit Institute f\u00fcr experimentelle Psychologie: in Berlin, Bonn, G\u00f6ttingen und Leipzig. An einigen anderen Universit\u00e4ten, namentlich in Breslau, Halle a. S. und M\u00fcnchen, verf\u00fcgen die Docenten der Psychologie \u00fcber eine Sammlung psychophysischer Apparate zum Zweck der Demonstration in der Vorlesung. Das \u00e4lteste der genannten Institute ist das zu Leipzig, welches von dem jetzigen Director desselben im Herbst 1879 zun\u00e4chst als Privatinstitut gegr\u00fcndet, und dann drei Jahre sp\u00e4ter unter die \u00f6ffentlichen Universit\u00e4tsinstitute aufgenonunen wurde. Neben dem Umstand, dass es das \u00e4lteste seiner Art ist, verdankt das Leipziger Institut haupts\u00e4chlich der nicht genug anzuerkennenden Bereitwilligkeit, mit der die K\u00f6niglich S\u00e4chsische Staatsregierung demselben Arbeitsr\u00e4ume und Mittel zur Verf\u00fcgung stellte und diese dem wachsenden Bed\u00fcrfnisse entsprechend vermehrte, seine gr\u00f6ssere Ausdehnung gegen\u00fcber den anderen \u00e4hnlichen Anstalten an Deutschen Universit\u00e4ten. Dieser Vorzug des Alters und der etwas reicheren Mittel, Uber die es bis jetzt verf\u00fcgt, mag es rechtfertigen, wenn im folgenden nur die Organisation des Leipziger Laboratoriums, so weit das in dein Umfang einer kurzen Skizze m\u00f6glich ist, geschildert wird. Von den \u00fcbrigen Instituten, die dem Verfasser nicht aus eigener Anschauung bekannt sind, darf wohl vorausgesetzt werden, dass sie in gewissen, durch die Natur des Gegenstandes gegebenen Grund-\n29*","page":451},{"file":"p0452.txt","language":"de","ocr_de":"452\nPhilosophische Fakult\u00e4t.\nZ\u00fcgen dem Leipziger Institut gleichen, in allem Andern aber je nach der Individualit\u00e4t und Arbeitsrichtung ihrer Leiter mannigfache Unterschiede darbieten werden.\nDas Leipziger Institut f\u00fcr experimentelle Psychologie hat sicli aus sehr kleinen Anf\u00e4ngen entwickelt. In den Jahren 1879\u20141883 bestand es aus einem einzigen, in einem der Auditoriengeb\u00e4ude der Universit\u00e4t geliehenen Zimmer. Dann wurde es zun\u00e4chst um zwei weitere kleine Zimmer und ein f\u00fcr optische Zwecke unerl\u00e4ssliches Dunkelzimmer nebst dazu geh\u00f6rigem nach S\u00fcden gelegenem Vorraum vergr\u00f6ssert. Im Sommer 1889 kamen dazu noch zwei gr\u00f6ssere Zimmer, und endlich im Herbst 1892 bezog? das Institut seine jetzigen R\u00e4ume, die es zwar, da sie sich in einem Interimsgeb\u00e4ude befinden, in f\u00fcnf Jahren nach vollendetem Neubau der Universit\u00e4t wieder verlassen wird, die aber in Folge der Gunst der Umst\u00e4nde den Zwecken des Instituts im Ganzen so gut entsprechen, dass die jetzige r\u00e4umliche Anordnung im wesentlichen auch finden geplanten Neubau als Vorbild dienen konnte.\nIn dieser seiner neuen Einrichtung verf\u00fcgt das Institut Uber elf, theils gr\u00f6ssere, theils kleinere R\u00e4ume, die, nach aussen abgeschlossen, den westlichen Fl\u00fcgel des zweiten Stockes in dem Interimsgeb\u00e4ude der Universit\u00e4t einnehmen. Der gr\u00f6sste Raum dieser Zimmerreihe dient als gemeinsamer Lesesaal. Er enth\u00e4lt eine m\u00f6glichst vollst\u00e4ndige psychologische Bibliothek, Zeitschriften und einige wichtigere Werke aus den angrenzenden Gebieten, wie Physik, Physiologie, Psychiatrie u. s. w., endlich eine kleine Sammlung von Hauptwerken der philosophischen Literatur. Die Mittel zur Unterhaltung dieser Bibliothek werden ausschliesslich durch Semesterbeitr\u00e4ge der Mitglieder des Instituts aufgebracht, w\u00e4hrend im \u00fcbrigen von denselben kein Honorar beansprucht wird. An das Lesezimmer schliesst sich das Assistentenzimmer an, das zugleich zur Abhaltung des unten zu erw\u00e4hnenden Einf\u00fch-rungscursus dient, und in welchem sich die elektrische Centralstation mit den erforderlichen Umschaltungsvorrichtungen befindet. Die Station selbst besteht aus einer in drei Wandschr\u00e4nken untergebrachten constanten galvanischen Kette aus 60 grossen Meidinger-Elementen. Von ihr gehen 20 Leitungsdr\u00e4hte aus, durch welche s\u00e4mtliche Arbeitsr\u00e4ume mit je 8 \u2014 12 Dr\u00e4hten versorgt werden, mittelst deren dann jene R\u00e4ume wieder unter einander in beliebige","page":452},{"file":"p0453.txt","language":"de","ocr_de":"Psychophysik und experimentelle Psychologie.\t453\nVerbindung gesetzt werden k\u00f6nnen. Ebenso wird das Auditorium von der Centralstation aus mit den zu den Vorlesungsversuchen erforderlichen elektrischen Leitungen versorgt. Nach Abzug des Lese-, des Assistentenzimmers und eines Arbeitszimmers f\u00fcr den Director bleiben demnach acht R\u00e4ume, die der Ausf\u00fchrung specieller Untersuchungen dienen. Von ihnen sind drei nach S\u00fcden gelegene vorzugsweise optischen Arbeiten gewidmet. Das eine derselben ist ein Dunkelzimmer mit Vorraum. In jenem sind W\u00e4nde, Boden, Decke und. M\u00f6bel schwarz gestrichen, und es communicirt mit dem Vorraum durch einen Schiebeladen, in welchem die zum Einlassen von Sonnenlicht erforderlichen Spaltvorrichtungen angebracht sind, w\u00e4hrend vor dem Fenster des Vorraums sich der durch ein Uhrwerk bewegte Spiegelheliostat befindet. In einem besonderen Zimmer ist der Chronograph aufgestellt, der, abgesehen von der speciellen Anwendung, die er f\u00fcr bestimmte Probleme der psychologischen Chronometrie findet, zugleich als Aichungsapparat f\u00fcr alle andern chronometrischen Apparate dient, wozu er sich theils wegen der Feinheit seiner bis auf Vioooo Sec. genauen Zeitbestimmungen theils wegen der grossen Constanz der zur Zeitmessung direct dienenden Stimmgabel von 500 Doppelschwingungen in der Secunde eignet. In einem weiteren Zimmer befindet sich ferner, an der gegen das Fenster gekehrten Mauer befestigt, das vorzugsweise als psychophysisches Massinstrument dienende Fallphonometer. In den \u00fcbrigen R\u00e4umen befinden sich namentlich die chronometrischen und die akustischen Apparate. Bei den meisten dieser Untersuchungen besteht eine wesentliche Bedingung f\u00fcr die fehlerfreie Ausf\u00fchrung der Versuche in der r\u00e4umlichen Trennung des Experimentators und des Beobachters. In allen den Arbeiten, in denen es sich um psychologische Zeitmessungen handelt, entspricht diesem Zweck die mehrfache elektrische Leitung, welche die s\u00e4mmtlichen R\u00e4ume des Instituts verbindet. Sie gestattet es nicht nur, das Chronoskop mit den zugeh\u00f6rigen Control- und sonstigen H\u00fclfsapparaten in einem besonderen Zimmer, die zur Einwirkung auf den Beobachter bestimmten Vorrichtungen und die zur Signalisirung: einer darauf erfolgenden Bewegung erforderlichen Telegraphentaster in einem andern beliebig davon entfernten Zimmer unterzubringen, sondern sie macht es auch m\u00f6glich, beiderlei Apparate wieder so mit einander zu ver-","page":453},{"file":"p0454.txt","language":"de","ocr_de":"454\nPhilosophische Fakult\u00e4t.\nbinden, dass die ganze Beherrschung der Einwirkungsvorrichtungen, z. \u00df. der einen Schall- oder Lichteindruck hervorbringenden Instrumente, von dem entfernten Experimentator ausgeht, w\u00e4hrend \u00fcberdies Beobachter und Experimentator sich in jedem Moment durch telegraphische Signale oder, wenn erforderlich, durch das Telephon verst\u00e4ndigen k\u00f6nnen. F\u00fcr zahlreiche psychologisch-akustische Versuche ist eine derartige Trennung nicht minder erforderlich; es muss aber hier zugleich die M\u00f6glichkeit gegeben sein, eine bestimmte Schallform, z. B. einen einfachen Ton oder eine Verbindung von T\u00f6nen, w\u00e4hrend einer festgegebenen und eventuell willk\u00fcrlich variirbaren Zeit auf den Beobachter einwirken zu lassen, ohne dass diesen die von den Versuchsmanipulationen nicht zu trennenden Nebenger\u00e4usche, sowie andere st\u00f6rende Eindr\u00fccke treffen. Zu diesem Zweck sind der akustische Experimentir- und der Beobachtungsraum zun\u00e4chst durch ein Zwischenzimmer getrennt; unter dem Boden des letzteren l\u00e4uft aber eine Bleir\u00f6hre, durch die, von Filz-und Wattelagen, welche die \u00dcberleitung sonstiger Ger\u00e4usche hindern, umgeben, ein Kautschukrohr gef\u00fchrt ist, das der . direkten \u00dcberleitung des bei dem Versuch benutzten Schalls dient. ' Die Zeit der Einwirkung des letzteren wird, wo es erforderlich ist, im Experimentirzimmer durch eine besondere Pendelvorrichtung regu-lirt, die w\u00e4hrend einer bestimmten Zeit einen in den Kautschukschlauch eingeschalteten Hahn \u00f6ffnet und wieder schliesst. Dabei kami zugleich die Dauer dieser \u00d6ffnung durch die variirbare Geschwindigkeit des Pendels innerhalb ziemlich weiter Grenzen ver\u00e4ndert werden.\nDie Th\u00e4tigkeit des Laboratoriums zerf\u00e4llt in zwei Abtheilungen: in einen Einf\u00fchrungscursus und in die speciellen Arbeiten der Theilnehmer. Der Einf\u00fchrungscursus wird von dem Assistenten geleitet. Er findet in zwei Vormittagsstunden allw\u00f6chentlich statt und ist dazu bestimmt, die in das Laboratorium neu Eingetretenen mit den experimentellen Methoden und H\u00fclfs-mitteln im Allgemeinen bekannt zu machen. Zu diesem Zweck werden die haupts\u00e4chlichsten Instrumente demonstrirt, und es werden von den Studirenden selbst einfachere schematische Versuche an denselben ausgef\u00fchrt. Der Plan f\u00fcr die speciellen Arbeiten wird in jedem Semester an dem Er\u00f6ffnungstag in einer besonders dazu anberaumten Versammlung aller Mitglieder festgestellt. Es","page":454},{"file":"p0455.txt","language":"de","ocr_de":"Psychophysik und experimentelle Psychologie.\n455\n\u25a0werden hierbei von dem Director zun\u00e4chst die zu bearbeitenden Themata, und zwar sowohl die aus fr\u00fcheren Semestern \u00fcbernommenen, wie die neu gew\u00e4hlten verk\u00fcndigt. Dann wird die Verthei-lung der Mitglieder in die einzelnen Gruppen vorgenommen, deren jede mit einer der gestellten Aufgaben sich zu besch\u00e4ftigen hat, und schliesslich wird ein Stundenplan festgestellt, welcher jeder Gruppe die Tage und Stunden ihrer Arbeit zuweist. Die Zahl der so w\u00e4hrend des Semesters bearbeiteten Themata betr\u00e4gt durchschnittlich 8\u201410, die sich \u00fcber die verschiedensten Gebiete der experimentellen Psychologie erstrecken. Da jede Arbeit durch mehrere Semester, manche durch mehrere Jahre sich hinzieht, so ist aber die Zahl der in einem Semester neu hinzukommenden Arbeiten selten mehr als 3\u20144. Neben diesen Collectivarbeiten, die f\u00fcr alle die zahlreichen Aufgaben erfordert werden, bei denen Experimentator und Beobachter getrennt sein m\u00fcssen, und wo \u00fcberdies theils die Ausf\u00fchrung der Untersuchung an mehreren Individuen, theils die Unterst\u00fctzung des Experimentators durch H\u00fclfskr\u00e4fte erforderlich ist, kommen dann in einzelnen dazu geeigneten F\u00e4llen Einzelarbeiten vor, d. h. solche, die nur . von einem Theilnehmer, eventuell unter bloss gelegentlicher Beiziehung anderer Mitglieder des Laboratoriums ausgef\u00fchrt werden. Ein Mitglied kann mehreren Gruppen angeh\u00f6ren, und ist dies namentlich in den ersten Semestern meistens der Fall, w\u00e4hrend sp\u00e4ter die Concentration aiif eine eigene Arbeit von selbst eine extensive Beschr\u00e4nkung mit sich f\u00fchrt. Nach der C\u00f6nstituirung der Gruppen wird f\u00fcr jede derselben ein Leiter designirt. Er ist regelm\u00e4ssig ein \u00e4lteres Mitglied, das sich in vorangegangenen Semestern durch die Beih\u00fclfe an andern Arbeiten bereits erprobt hat. Nicht selten kommt es vor, dass dieser Leiter das zu bearbeitende Thema selbst urspr\u00fcnglich vorgeschlagen hat. Doch ist, wenn ein derartiger Vorschlag als Thema gestellt werden soll, dazu selbstverst\u00e4ndlich erforderlich, dass er von dem Director acceptirt wurde. Der Leiter der Gruppe ist regelm\u00e4ssig auch derjenige, der die Versuche schliesslich zu bearbeiten und, falls sie sich dazu eignen, die Publication in den \u201ePhilosophischen Studien\u201c zu redigiren hat. \u00dcbrigens werden die Versuchsprotokolle als Eigenthum des Instituts betrachtet.\nBei Untersuchungen, die eine sehr lange Zeit in Anspruch nehmen, kann es Vorkommen, dass eine Gruppe ihren Leiter","page":455},{"file":"p0456.txt","language":"de","ocr_de":"456\nPhilosophische Fakult\u00e4t.\nwechselt. H\u00e4ufiger treten aber aus der Reihe der sonstigen Mitarbeiter einzelne aus und andere ein, letzteres namentlich im Beginn eines Semesters. In solchen F\u00e4llen ist es besonders wichtig, dass der Leiter der Gruppe die Continuit\u00e4t der Untersuchung aufrecht erh\u00e4lt. Es bietet dies, abgesehen von der F\u00f6rderung der Arbeitsergebnisse, den weiteren Vortheil dar, dass derselbe f\u00fcr die betreffende Gruppe die Funktionen eines Unterassistenten \u00fcbernimmt, der die neu eintretenden Anf\u00e4nger in die Methodik und Technik der Versuche einfuhrt.\nIn den ersten Jahren seines Bestehens war die Zahl der Studirenden, die sich an den \u00dcbungen betheiligte, eine sehr beschr\u00e4nkte. Neben wenigen Ausl\u00e4ndern, namentlich Amerikanern und Russen, waren es damals besonders Studirende der Mathematik und Physik, die Av\u00e4hrend einiger Semester im Laboratorium arbeiteten. Seit etwa vier Jahren ist die durchschnittliche Zahl der Theilnehmer auf 25 gestiegen, damit aber zugleich die Grenze erreicht, \u00fcber welche hinaus keine neuen Aufnahmen erfolgen. Auf die Nationen vertheilen sich jetzt die Mitglieder so, dass die gr\u00f6ssere H\u00e4lfte deutscher Nationalit\u00e4t ist, die kleinere auf das Ausland entf\u00e4llt, dabei wieder in erster Linie auf Amerika. Unter den Deutschen, welche das Institut besuchen, hat sich zugleich das Verh\u00e4ltniss derart verschoben, dass die Studirenden der Mathematik und der Naturwissenschaften zur\u00fccktreten, und die Mehrzahl aus Studirenden der Philosophie und P\u00e4dagogik besteht. Dazu kommen zuweilen einzelne Studirende der Medicin, der Naturwissenschaften und selbst der Theologie und der Jurisprudenz, die w\u00e4hrend einiger Semester das Laboratorium besuchen, um, wenn auch nicht selbst\u00e4ndige Untersuchungen auszuf\u00fchren, doch durch die Theilnahme an dem Einf\u00fchrungscursus und an einzelnen Gruppenarbeiten, vollkommener als dies durch das H\u00f6ren von Vorlesungen geschehen kann, mit Geist und Methode der neueren Psychologie sich vertraut zu machen.\nDie Leitung des Instituts in seiner heutigen Verfassung geschieht durch den Director und einen vom Staat angestellten Assistenten, der zugleich Privatdocent an der Universit\u00e4t ist und als solcher theils abwechselnd mit dem Director Vorlesungen \u00fcber das Ganze der Psychologie, theils .solche \u00fcber einzelne Theile, wie Psychophysik, psychologische Chronometrie u. dergl., h\u00e4lt. Ferner","page":456},{"file":"p0457.txt","language":"de","ocr_de":"457\nKlassische Philologie.\nunterst\u00fctzt ein von dem Director angestellter Privatassistent diesen in.seiner Aufgabe, und eines der \u00e4lteren Mitglieder des Instituts (ein sogenannter Famulus) ist als Vorlesungsassistent besch\u00e4ftigt und mit der \u00dcberwachung des Lesezimmers betraut.\nLeipzig.\tW. Wundt.\nIII.\nKLASSISCHE PHILOLOGIE\n(MIT EINSCHLUSS DER ALTEN GESCHICHTE UND ARCH\u00c4OLOGIE).\nNoch um die Mitte des vorigen Jahrhunderts gab es an den Deutschen Universit\u00e4ten keinen wissenschaftlichen Betrieb der Philologie. Die wenigen M\u00e4nner, die man den ber\u00fchmten Namen Englands und Hollands an die Seite stellen kann, wie J. A. Fabricius (f in Hamburg 1736) und J. J. Reiske (f in Leipzig 1774) sind zwar Lehrer an gelehrten Schulen gewesen, aber ihre Philologie haben sie an Deutschen Universit\u00e4ten weder gelernt noch gelehrt. Dagegen sass allerdings ein Deutschei\u2019, D. Ruhnken aus Stolp, noch bis 1798 in Leyden auf dem vornehmsten philologischen Lehrstuhl und sah kopfsch\u00fcttelnd in der entfremdeten Heimath eine Philologie erbl\u00fchen, die er ebensowenig fassen konnte wie die Philosophie seines K\u00f6nigsberger Mitsch\u00fclers J. Kant.\nDie Greuel des Religionskrieges und der Hader der Confessionen hatten. wie die gesammte deutsche Cultur, so auch die Jugendbildung fast \u00fcberall zerst\u00f6rt. Nur in Kursachsen waren die Traditionen der Reformationszeit in den F\u00fcrstenschulen und einigen st\u00e4dtischen erhalten geblieben oder wieder aufgenommen. Buchdruck und Buchhandel hatten in Leipzig schon um 1700 eine solche Bedeutung erlangt, dass Bentley seine Werke lieber dort gedruckt w\u00fcnschte, als selbst in Holland. Und da di.e Deutschen darauf angewiesen waren, sich die Cultur aus dem Auslande zu holen, so","page":457}],"identifier":"lit764","issued":"1893","language":"de","pages":"450-457","startpages":"450","title":"Psychophysik und experimentelle Psychologie","type":"Book Section"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T12:44:07.900316+00:00"}