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{"created":"2022-01-31T12:50:49.836254+00:00","id":"lit774","links":{},"metadata":{"alternative":"Philosophische Studien","contributors":[{"name":"Wundt, Wilhelm","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Philosophische Studien 10: 485-498","fulltext":[{"file":"p0485.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Beurtheilung der zusammengesetzten Reactionen.\nVon\nW. Wundt.\nUnter \u00bbzusammengesetzten Reactionen\u00ab versteht man bekanntlich chronometrische Versuche, bei denen zu den Bedingungen, die bei einer einfachen \u00bbsensoriellen\u00ab Reaction obwalten, willk\u00fcrlich noch weitere Bedingungen hinzugef\u00fcgt werden, mittelst deren man R\u00fcckschl\u00fcsse auf die Zeitdauer bestimmter psychischer Vorg\u00e4nge, sowie auf die Eigenschaften und Begleiterscheinungen dieser Vorg\u00e4nge zu gewinnen hofft. Der Werth solcher Untersuchungen und namentlich der bei ihnen gefundenen Zeitgr\u00f6\u00dfen ist nun in neuerer Zeit mehrfach der Gegenstand kritischer Er\u00f6rterungen gewesen, die geeignet sind, die Berechtigung dieses ganzen Gebiets psychologischer Arbeiten als eine ziemlich fragw\u00fcrdige erscheinen zu lassen. Bevor ich einige der haupts\u00e4chlichsten dieser Einw\u00e4nde bespreche, halte ich es f\u00fcr n\u00fctzlich, eine allgemeine Bemerkung \u00fcber die Bedeutung exacter psychologischer Zeitmessungen vorauszuschicken und durch ein naheliegendes Beispiel zu erl\u00e4utern.\nNichts k\u00f6nnte, wie ich meine, verkehrter sein, als wenn man bei den chronometrischen Versuchen der Psychologi\u00e8 Ergebnisse erwarten wollte, die mit physikalischen Constantenbestimmungen irgend eine Aehnlichkeit h\u00e4tten. Davon kann schon auf physiologischem, geschweige denn auf psychologischem Gebiete nicht die Rede sein. Das einzige vielmehr, was billiger Weise erwartet werden kann, ist die Ermittelung gewisser typischer Verlaufs-\nWandt, Philos. Stadien. X.\t32","page":485},{"file":"p0486.txt","language":"de","ocr_de":"486\nW. Wundt.\nformen der Vorg\u00e4nge, die dadurch, dass sie in mannigfacher Weise variirt werden, eine Vergleichung \u00e4hnlicher, aber in bestimmten Bedingungen sich unterscheidender Processe mit einander m\u00f6glich machen. In keinem andern Sinne wird z. B. der Physiologe die Zeitwerthe auffassen, die bei den Versuchen \u00fcber die sogenannte Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Erregung im Nerven gewonnen werden. Vor dem Ilichterstuhl einer Kritik, die an solche Versuche etwa den Ma\u00dfstab physikalischer Pendelbeobachtungen und Fallversuche anlegte, w\u00fcrden jene physiologischen Zeitwerthe kaum zu Recht bestehen bleiben. Dass wir bei der Reizung zweier verschieden weit vom Muskel entfernter Stellen a und b eines Nerven aus dem Unterschied des Zuckungsanfangs unmittelbar die Dauer der Erregungsleitung durch die Strecke a b erhalten, scheint freilich auf den ersten Blick eine selbstverst\u00e4ndliche Sache zu sein. In Wahrheit ist das aber durchaus nicht so, sondern die Reizungen an den Stellen a und b l\u00f6sen zwei zwar \u00e4hnliche, aber in ihrem ganzen Verlauf von einander abweichende Vorg\u00e4nge aus, so dass der Zeitunterschied des Zuckungsanfangs nicht blo\u00df von der Dauer der Leitung durch die Strecke a b, sondern au\u00dferdem von dem sonstigen Unterschied des Verlaufs der Erregungen in einer Weise abh\u00e4ngt, die sich einer allgemeing\u00fcltigen Feststellung vorl\u00e4ufig entzieht. Wir wissen nur so viel, dass erstens die Zeitdauer zwischen Reiz und Zuckung mit der wachsenden St\u00e4rke des Reizes abnimmt, und dass zweitens mit der Zunahme der Wegstrecke, durch die sich der Reiz fortpflanzt, ein \u00bbAnschwellen der Erregung\u00ab stattfindet. In Folge dieser Verh\u00e4ltnisse kann es, wie ich gefunden habe, geschehen, dass in Wirklichkeit die an der entfernteren Stelle ausgel\u00f6ste Zuckung fr\u00fcher eintritt, als die an der n\u00e4heren ausgel\u00f6ste. Inwieweit aber im einzelnen Fall durch das Anschwellen der Erregung oder durch Einfl\u00fcsse, die, wie die verschiedene Ersch\u00f6pfung der einzelnen Nervenpunkte, eine entgegengesetzte Wirkung aus\u00fcben, der in der beobachteten Zeit enthaltene Einfluss der Fortpflanzungsdauer modifient wird, entzieht sich im allgemeinen unserer Sch\u00e4tzung: man wird in dieser Beziehung immer nur sagen k\u00f6nnen, dass sich die unter den geeigneten Vorsichtsma\u00dfregeln gemessenen Zeitwerthe der gesuchten Zeit mehr oder weniger n\u00e4hern werden. Soll man nun aus diesen","page":486},{"file":"p0487.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Beurteilung der zusammengesetzten Reactionen.\n487.\nGr\u00fcnden die erw\u00e4hnten Versuche sammt und sonders \u00fcber Bord werfen, weil ja die gesuchten Zeiten auf diesem Wege doch nicht mit absoluter Sicherheit zu bestimmen sind? Gewiss nicht. Vielmehr wird man in den gefundenen Werthen zwar nicht Constanten im physikalischen Sinne sehen d\u00fcrfen, aber doch Werthe, die zur chronometrischen Charakteristik eines bestimmten typischen Vorgangs dienen und bei der Vergleichung desselben mit andern \u00e4hnlichen Vorg\u00e4ngen Dienste leisten k\u00f6nnen. In diesem Sinne hat in der That die Physiologie jederzeit die Fortpflanzungsgeschwindigkeiten behandelt. Durch ihre Variation unter verschiedenen Bedingungen, z. B. bei wechselndem Einfluss der Temperatur, durch die Vergleichung mit den bei der Einschaltung von Reflexvorg\u00e4ngen gewonnenen Zeit-werthen, haben sie in die Natur der nerv\u00f6sen Processe, in deren Ver\u00e4nderungen innerhalb der centralen Substanz u. a. zweifellos werthvolle Einblicke er\u00f6ffnet.\nWenden wir dies auf die zusammengesetzten Reactionszeiten an, so ist nat\u00fcrlich von vornherein zuzugeben, dass die Differenzen Re R j TJ \u2014 Ru\t11, W = Ruw Ru, A \u2014 Rea \u2014 JRe,\ndurch welche man die Zeit eines einfachen Erkennungsactes JE, einer Unterscheidung TJ, einer Wahl zwischen mehreren Handlungen W und endlich einer zu einer gegebenen Wahrnehmung zu associirenden Vorstellung A zu bestimmen sucht1), keine ein f\u00fcr allemal feststehende Gr\u00f6\u00dfen sind, die durch die angedeutete Subtraction unter allen Umst\u00e4nden mit Sicherheit gewonnen werden k\u00f6nnten. Das sind sie ebenso wenig wie die oben erw\u00e4hnten Fortpflanzungsgeschwindigkeiten, sondern jene schematischen Subtractionsformeln k\u00f6nnen \u00fcberall nur die allgemeine Richtung des Weges andeuten, auf welchem angen\u00e4herte Werthe f\u00fcr bestimmt definirte psychische Processe einfacherer oder zusammengesetzterer Art erhalten werden k\u00f6nnen, wobei aber der Werth der so gewonnenen Zeiten nicht in ihrer absoluten Gr\u00f6\u00dfe besteht, sondern in der relativen Bedeutung, welche sie durch ihr Verh\u00e4ltniss zu andern \u00e4hnlichen Gr\u00f6\u00dfen gewinnen, die unter bestimmt abge\u00e4nderten Bedingungen erhalten wurden. Zudem muss die Beobachtung der Einzelwerthe R, Ru,\n1) Vergl. Physiol. Psychol. 4. Aull. II, S. 364.\n32*","page":487},{"file":"p0488.txt","language":"de","ocr_de":"488\nW. Wundt.\nRe, Ruw u. s. w. selbstverst\u00e4ndlich so ausgef\u00fchrt sein, dass eine zureichende Berechtigung zur Bildung jener Differenzen vorliegt. Diese Gesichtspunkte sind aber, wie mir scheint, bei den gegen die zusammengesetzten Reactionen vorgebrachten Einw\u00e4nden nicht immer beachtet worden. Auch machen diese Einw\u00e4nde vielfach den Eindruck, als seien sie aus a priori angestellten Ueberlegungen oder h\u00f6chstens aus gelegentlich ausgef\u00fchrten Beobachtungen, nicht aber aus umfassenden eigenen Erfahrungen, wie sie nur durch lange fortgesetzte planm\u00e4\u00dfige Versuche gewonnen werden k\u00f6nnen, hervorgegangen.\nGegen die \u00bbErkennungsreactionen\u00ab wendet man ein, eine Vergleichung der bei ihnen gewonnenen Resultate mit denen einer einfachen sensoriellen Reaction sei unzul\u00e4ssig, weil voraussichtlich die sensorielle Vorbereitung in beiden F\u00e4llen eine wesentlich verschiedene sei: bei der sensoriellen Reaction richte sich die Erwartung auf einen ganz bestimmten Sinneseindruck, dem sie daher im h\u00f6chsten Ma\u00df adaptirt sei, bei der Erkennungsreaction richte sie sich nur auf das Sinnesgebiet oder einen gewissen Umkreis m\u00f6glicher Eindr\u00fccke innerhalb des letzteren. Von den Unterschieds-werthen zwischen beiden Acten werde also ein unbestimmter Theil auf die unvollkommenere Vorbereitung kommen, und jedenfalls lasse sich dieser Theil nicht von dem andern, auf dessen Messung es eigentlich abgesehen sei, trennen. Nun ist gewiss zuzugeben, dass in einzelnen Versuchen und namentlich bei einzelnen Beobachtern eine solche Verk\u00fcrzung der einfachen Reactionszeit in Folge der g\u00fcnstigeren Spannung der Aufmerksamkeit auf den bekannten Eindruck stattfinden kann. Ich glaube aber, dass eine wesentliche Verk\u00fcrzung dieser Art ganz unm\u00f6glich ist, ohne dass gleichzeitig die sensorielle in eine muskul\u00e4re Reaction \u00fcbergeht oder sich ihr wenigstens ann\u00e4hert, als sogenannte gemischte Reactionsform. F\u00fcr einen solchen Uebergang bildet dann die nachweisbare Verk\u00fcrzung der Reactionszeit selbst und ihrer mittleren Variation ein sicheres Reagens. Nebenbei pflegen in diesen F\u00e4llen gelegentliche Fehl-reactionen nicht auszubleiben. So lange dagegen die sensorielle Reactionsweise streng festgehalten wird, ist es gar nicht m\u00f6glich, dass die vollkommenere Anpassung an den erwarteten Eindruck anders sich \u00e4u\u00dfere, als eben darin, dass bei der einfachen Reaction","page":488},{"file":"p0489.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Beurtheilung der zusammengesetzten Reactionen.\n489\nauf den Eindruck, nachdem er aufgefasst worden ist, in der denkbar k\u00fcrzesten Zeit reagirt wird, w\u00e4hrend, wenn seine Qualit\u00e4t zuvor bestimmt werden soll, nunmehr erst diese zu deutlicher Auffassung gebracht werden muss. Den zeitlichen Vorgang dieser Auffassung nennen wir eben eine \u00bbErkennung\u00ab. Dass dieser Vorgang kein einfacher, sondern ein zusammengesetzter ist, ist selbstverst\u00e4ndlich, und es wird daher sicher eine der Weiterf\u00fchrung der Untersuchungen gestellte Aufgabe bleiben, ihn wom\u00f6glich theils an der Hand der Selbstbeobachtung, theils mittelst mannigfacher Variirung der objectiven Bedingungen seines Eintritts in weitere Bestandtheile zu sondern. In der That ist das bis zu einem gewissen Grade schon dadurch geschehen, dass man Eindr\u00fccke gleicher Art, aber von steigender Zusammensetzung als Erkennungsobjecte anwandte. Wenn man nun z. B. in verschiedenen Versuchen zwei-, drei- bis sechsstellige Ziffern in unregelm\u00e4\u00dfigem Wechsel einwirken l\u00e4sst, so ist der Beobachter sicher auf das eine wie auf das andere dieser Objecte gleichviel oder gleich wenig vorbereitet. Es ist also klar, dass hier der Unterschied der gefundenen Zeiten auch nicht auf eine dem Eindruck des Objectes vorausgehende Verschiedenheit der Vorbereitung, sondern nur auf die Verschiedenheit des dem Eindruck folgenden Vorgangs zur\u00fcckgef\u00fchrt werden kann. Wenn ferner diese Beobachtungen z. B. das interessante Ergebniss geliefert haben, dass wir ein kurzes Wort ann\u00e4hernd in der n\u00e4mlichen Zeit erkennen wie einen einzelnen Buchstaben, so w\u00fcrde es doch eine ganz gek\u00fcnstelte und allem, was man bei solchen Versuchen an sich selbst beobachten kann, widersprechende Deutung sein, wenn man annehmen wollte, die die Auffassung des Wortes beg\u00fcnstigenden Bedingungen geh\u00f6rten schon der dem Eindruck vorausgehenden Vorbereitung an. Vielmehr ist es klar genug, dass hier die Arbeit der Auffassung selbst durch die Gewohnheit an gel\u00e4ufige Wortbilder erleichtert wird. So beruht dieser ganze Einwand gewisserma\u00dfen auf einer Translocation der Bedingungen: die dem Reiz nachfolgende Verschiedenheit dieser Bedingungen wird zur\u00fcckverlegt in die Zeit vor der Einwirkung des Reizes, wo sie weder nach der Beschaffenheit der objectiven Versuchsbedingungen noch f\u00fcr einen ge\u00fcbten Beobachter nach dem Zeugniss der Selbstbeobachtung vorhanden ist. Dass es sich mit einem unge\u00fcbten anders verhalten","page":489},{"file":"p0490.txt","language":"de","ocr_de":"490\nW. Wundt.\nkann, ist freilich zuzugeben: dieser -wird vielleicht durch die unsichere Variation des Eindrucks in eine Aufregung versetzt werden, die von vornherein die Resultate tr\u00fcbt. Aber unge\u00fcbte Beobachter sind nirgends, und am allerwenigsten bei chronometrischen Versuchen, brauchbar.\nEin zweiter Einwand richtet sich gegen die bei diesen Versuchen vorausgesetzte Verschiedenheit der psychischen Vorg\u00e4nge. Bei einem einfachen sensoriellen Reactionsversuch folgt, so sagt man, dem einfachen zuvor bekannten Eindruck die \u00bbAuffassung\u00ab desselben, und bei einer Erkennungsreaction folgt dem unbekannten und eventuell mehr oder weniger zusammengesetzten Eindruck ebenfalls eine \u00bbAuffassung\u00ab desselben. Warum nun in beiden F\u00e4llen Auffassung und Auffassung wesentlich verschieden seien, das sei nicht einzusehen. Gewiss bin ich der letzte, der das Wort \u00bbErkennung\u00ab in diesem Fall f\u00fcr ein besonders gl\u00fcckliches h\u00e4lt: es ist in Anlehnung an die gew\u00f6hnliche Ausdrucksweise gew\u00e4hlt, um so kurz wie m\u00f6glich den Vorgang der Auffassung und n\u00e4chsten psychischen Verarbeitung eines noch unbekannten, im Unterschied von dem der Auffassung eines bekannten und erwarteten Eindrucks von bestimmter Beschaffenheit zu bezeichnen. Wenn Jemand ein besseres Wort vorzuschlagen wei\u00df, so bin ich darum bereit, es zu acceptiren. Aber das Wort \u00bbAuffassung\u00ab scheint mir zu unbestimmt, weil es eben das, was hier aus einander gehalten werden soll, nicht aus einander h\u00e4lt. Auch meine ich, auf das Wort kommt es \u00fcberhaupt wenig an: die Hauptsache ist, dass man festh\u00e4lt, was unter ihm zu verstehen sei. Nun ist der \u00bbErkennungsact\u00ab \u2014 wenn wir einmal in diesem conventionellen Sinne das Wort beibehalten wollen \u2014 zweifellos ein complicirter Vorgang. Wenn man daher den Einwand erhebt, dass in ihm nichts einfaches gemessen werde, so ist dem entgegenzuhalten, dass schwerlich Jemand, der psychologisch zu denken versteht, jemals an so etwas gedacht hat. Aber ich w\u00fcsste doch nicht, wie wir zu einer Analyse dieses Actes jemals anders kommen sollten, als dadurch, dass wir ihn zun\u00e4chst als Ganzes nehmen, durch Variirung der Bedingungen die einzelnen Bestandtheile zu isoliren suchen und so allm\u00e4hlich zu einer tieferen Einsicht in seine Bestandtheile, also z. B. in die mitwirkenden Asso-ciationsfactoren, in den Einfluss einer steigenden Zusammensetzung","page":490},{"file":"p0491.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Beurteilung der zusammengesetzten Reactionen.\t491\ndes Eindrucks u. dergl., gelangen. Dass aber der psychische Vorgang, der sich nach der Einwirkung eines bestimmt erwarteten Eindrucks von bekannter Qualit\u00e4t, und derjenige, der sich nach der Einwirkung eines nicht zuvor gegebenen Eindrucks entwickelt, einer und derselbe sei, \u2014 von dieser Behauptung kann ich, wenn sie sich auf Selbstbeobachtungen beruft, nur sagen, dass sie nach dem Zeugniss meiner eigenen Selbstbeobachtung falsch ist, und dass es, wie ich glaube, im ganzen Bereich psychologischer Beobachtung wenig Dinge gibt, von denen sich ein unbefangener Beobachter leichter \u00fcberzeugen kann, als davon, dass Auffassung und Auffassung sehr verschiedene Vorg\u00e4nge sein k\u00f6nnen, weil sie, selbst wenn man gleiche subjective Bedingungen voraussetzt, immer noch im h\u00f6chsten Ma\u00dfe von der Beschaffenheit der Objecte abh\u00e4ngen, die aufgefasst werden sollen.\nAuch bei den \u00bbUnterscheidungsreactionen\u00ab ist das Wort \u00bbUnterscheidung\u00ab Bedenken begegnet. Eine Unterscheidung, sagt man, w\u00fcrde es sein, wenn z. B. die Aufgabe gestellt w\u00e4re, einen Unterschied von gewisser Gr\u00f6\u00dfe und Dichtung zwischen zwei gleichzeitig gegebenen Reizen zu erkennen. Dagegen sei es keine Unterscheidung in diesem dem gew\u00f6hnlichen Sprachgebrauch entsprechenden Sinne, wenn eine Versuchsperson z. B. wisse, dass entweder ein rother oder ein blauer Eindruck ihr Auge zu einer gegebenen Zeit treffen werde, und sie, nachdem der Eindruck gegeben, zwischen Roth und Blau unterscheiden solle. Nun bin ich gern bereit, auch hier das Wort gegen ein besseres auszutauschen, wenn ein solches vorgeschlagen wird. Vorl\u00e4ufig ist das aber nicht geschehen, und da es sich bei der angedeuteten Versuchsanordnung offenbar um Bedingungen handelt, die in einem wesentlichen Punkte von den bei den \u00bbErkennungsreactionen\u00ab obwaltenden abweichen, so wei\u00df ich nicht, wie ich mir anders helfen soll als durch die Wahl dieses, wenn auch unzul\u00e4nglichen Wortes. Ich denke aber auch hier, nicht auf das Wort kommt es an, sondern darauf, dass man sich dar\u00fcber verst\u00e4ndigt, was unter ihm zu verstehen sei. Gewiss w\u00e4re es verdienstlich, wenn Jemand auch \u00fcber solche Unterscheidungen, die wirklich Unterscheidungen in der \u00fcblicheren Bedeutung des Wortes sind, Versuche machen wollte.","page":491},{"file":"p0492.txt","language":"de","ocr_de":"492\nW. Wundt.\nFreilich w\u00fcrden diese Versuche sehr viel verwickelteren Bedingungen begegnen als die gew\u00f6hnlichen sogenannten Erkennungs- und Unterscheidungsreactionen, da diese immerhin noch im Gebiet der relativ einfachen Associations- und Reproductionsvorg\u00e4nge bleiben, w\u00e4hrend bei Gr\u00f6\u00dfen- und Richtungsvergleichungen bereits in schwer zu \u00fcbersehender Weise intellectuelle Factoren ins Spiel kommen werden. Dass es sich \u00fcbrigens bei den sogenannten Unterscheidungsreactionen lediglich um Erkennungsreactionen unter erleichternden Bedingungen handelt, ist einleuchtend. Wie man dabei an \u00bbUnterschiedsempfindlichkeiten\u00ab hat denken k\u00f6nnen, ist mir darum schwer begreiflich. Ebenso verstehe ich hier so wenig wie bei den \u00bbErkennungsreactionen\u00ab, wie man anders als auf Grund unzureichender Ausf\u00fchrung der Versuche zu der Meinung kommen konnte, jede derartige Reaction erfolge auf Grund eines \u00bbUrtheils\u00ab. Mit dem Begriff des Urtheils wird freilich immer noch in der Psychologie viel Missbrauch getrieben. Denn die Neigung, die Producte einer nachtr\u00e4glichen Reflexion \u00fcber die Erscheinungen in diese selbst zu verlegen, ist ja ein altes Erb\u00fcbel der Psychologie. Wenn es aber Beobachtungen gibt, bei denen sich f\u00fcr den ge\u00fcbten Beobachter das nachtr\u00e4gliche Urtheil von dem Empfindungsoder Wahrnehmungsact und den unmittelbaren Reactionen, die dieser ausl\u00f6st, klar und deutlich sondern l\u00e4sst, so geh\u00f6ren dazu meines Erachtens die Reactions versuche.\nGegen die \u00bbWahlversuche\u00ab wendet man zun\u00e4chst ebenfalls ein, dass der Zustand der Vorbereitung nicht nur ein anderer sei als bei den einfachen Reactionen, sondern dass er sich auch von dem bei der \u00bbUnterscheidung\u00ab vorauszusetzenden unterscheide, da in die vorausgehende Erwartung die Vorstellung der Verkn\u00fcpfung des Eindrucks mit der auszuf\u00fchrenden Bewegung eingehen werde. Ich kann nur best\u00e4tigen, dass damit ganz richtig ein Verhalten gekennzeichnet wird, welches in der ersten Zeit, in der man solche Versuche ausf\u00fchrt, in der That vorzukommen pflegt. Jetzt, nachdem ich seit mehreren Jahren aus der Uebung gekommen bin, empfinde ich es ebenfalls wieder bei gelegentlicher Ausf\u00fchrung einer \u00bbWahlreaction\u00ab als eine St\u00f6rung, dass man unwillk\u00fcrlich zu einer Einpr\u00e4gung der vorgenommenen Zuordnung \u00fcberzugehen","page":492},{"file":"p0493.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Beurtheilung der zusammengesetzten Reactionen.\n493\nstrebt. Aber ich wei\u00df auch aus meinen fr\u00fcheren Erfahrungen, dass dieser Zustand der Unsicherheit durch die Uebung vollst\u00e4ndig \u00fcberwunden wird. Ich habe es aus meinen monatelang mit Tischer, Friedrich u. A. fortgef\u00fchrten Untersuchungen in deutlichster Erinnerung, dass der Act der Unterscheidung und der Act der Wahl der zugeordneten Bewegung in bestimmter Succession auf einander folgten, und dass mir bei der Erwartung des Eindrucks, mochte dieser nun einer Unterscheidungs- oder einer Wahl-reaction angeh\u00f6ren, die Vorstellung der vorzunehmenden Bewegung v\u00f6llig ferne lag. Prof. E. Kraepelin in Heidelberg und Dr. Jul. Merkel in Zittau, beide in psychophysischen Versuchen sehr ge\u00fcbte Beobachter, die sich ebenfalls lange Zeit und eingehend mit Wahl versuchen besch\u00e4ftigten, haben mir die gleiche Erfahrung aus ihrer eigenen Erinnerung best\u00e4tigt1). Dieser Fall zeigt, wie ich meine, deutlich, wie bedenklich es ist, blo\u00df auf gelegentliche Beobachtungen hin \u00fcber derartige psychologische Versuchsmethoden zu urtheilen.\nAber noch ein anderer weit tiefer, beinahe in die Tiefen des Willensproblems selbst hineinf\u00fchrender Einwand tritt hier diesem ersten zur Seite. Man sagt: die \u00bbWahlreaction\u00ab ist \u00fcberhaupt ein unzul\u00e4ssiger Begriff, weil es einen Vorgang der \u00bbWahl\u00ab gar nicht gibt. Der sogenannte Wille ist nichts anderes als der in Folge irgend eines Eindrucks oder einer Vorstellung erfolgende Bewegungsimpuls. Von eindeutig und mehrdeutig bestimmten Willenshandlungen zu reden ist eine T\u00e4uschung. Demzufolge kann auch im vorliegenden Fall ein Schwanken zwischen verschiedenen Bewegungsm\u00f6glichkeiten nur auf einem augenblicklichen Versagen des Ged\u00e4chtnisses beruhen, nicht auf einem wirklichen Wahlact. Der schlagende Beleg f\u00fcr diese Auffassung wird in dem Verhalten des erfahrenen Clavierspielers gesehen, bei dem die gesehenen\n1) Ueber die Beobachtungen Beider berichtet der unten folgende Aufsatz. Ich habe mir die Mittheilungen dieser durch ihre Sorgfalt und Zuverl\u00e4ssigkeit erprobten Beobachter erbeten, ohne ihnen meine eigenen Beobachtungen mitzu-theilen, und die obigen Bemerkungen sind von mir niedergeschrieben worden, ehe ich ihre Zusendungen erhielt. Unsere Beobachtungen, die, wie der Leser bemerken wird, in den wesentlichsten Punkten durchaus \u00fcbereinstimmen, sind also vollkommen unabh\u00e4ngig von einander.","page":493},{"file":"p0494.txt","language":"de","ocr_de":"494\nW. Wundt.\nNoten ohne weiteres die entsprechenden Fingerbewegungen aus-l\u00f6sen. Sobald die zureichende Uebung eingetreten sei, k\u00f6nne also vollends von Wahlversuchen nicht geredet werden : hier m\u00fcssten nothwendig alle Reactionen automatisch erfolgen. Da aber an Unge\u00fcbten zuverl\u00e4ssige Versuche nicht anzustellen sind, so fallen damit \u00fcberhaupt diese Versuche: im besten Falle werden durch sie irgend welche Reproductionserschein ungen, wie sie eben hei dem Functioniren oder Versagen des Ged\u00e4chtnisses eine Rolle spielen, auf keinen Fall aber wird ein wirklicher, zeitlich irgendwie zu isolirender Vorgang des W\u00e4hlens gemessen.\nMit so gro\u00dfer Sicherheit auch diese Behauptungen auftreten, so sind sie doch \u2014 ich bedaure dies sagen zu m\u00fcssen \u2014 von Anfang bis zu Ende falsch und entsprechen nicht den wirklichen Erfahrungen, wie sie bei der sorgf\u00e4ltigen und fortgesetzten Ausf\u00fchrung der Versuche gemacht werden. Zun\u00e4chst ist es nicht richtig, dass in Folge der Uebung Wahlreactionen nothwendig in automatische Bewegungen \u00fcbergehen m\u00fcssen. Ich habe selbst auf diesen Uebergang aufmerksam gemacht und darauf hingewiesen, dass sich nicht nur manche Widerspr\u00fcche in den Angaben der Beobachter hieraus erkl\u00e4ren, sondern dass die Erscheinung auch an sich wegen der Beziehung zu bekannten Erfahrungen des normalen Lebens ein mannigfaches Interesse besitzt. Aber dass jede einge\u00fcbte Wahlhandlung nothwendig zu einer automatischen Bewegung werde, das muss ich auf Grund meiner Beobachtungen auf das entschiedenste bestreiten, und gerade den Wahlversuchen entnehme ich die Erfahrungen, die dies beweisen. Wer in der geeigneten Weise diese Versuche ausf\u00fchrt, nachdem er sorgf\u00e4ltig die Stadien des Unterscheidens und des W\u00e4hlens in dem einzelnen Versuch auseinanderzuhalten gelernt hat, dem wird auch bei langer Fortf\u00fchrung derselben jener Uebergang in eine automatische Verbindung nicht begegnen. Immer bleibt dann der Wahlvorgang ein besonderer psychischer Act, der nicht sofort und unwillk\u00fcrlich dem Eindruck folgt. Ein zuweilen eintretender Wechsel in den Versuchsanordnungen sch\u00fctzt vollends vor diesem \u00fcbrigens aus den Versuchsergebnissen sofort zu erkennenden Uebergang. Ein sprechendes Zeugniss daf\u00fcr bilden z. B. jene Versuche von Tischer, die vor der Nachweisung der Unterschiede der sensoriellen und der","page":494},{"file":"p0495.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Beurtheilung der zusammengesetzten Reactionen.\n495\nmuskul\u00e4ren Reaction angestellt sind, und in denen trotz der ungeheuren Unterschiede der einfachen Reactionen, die von den einen Beobachtern offenbar muskul\u00e4r, von den andern sensoriell ausgef\u00fchrt wurden, die Wahlzeiten nahezu iibereinstimmten. Wird aber eine Reaction automatisch, so ordnet sich die einge\u00fcbte Bewegung gerade so gut dem sensoriellen wie dem muskul\u00e4ren Reactions-typus an, ja das Uebergreifen des Automatismus beg\u00fcnstigt in diesem Fall auch hei der einfachen Reaction den Uebergang in die muskul\u00e4re Form. W\u00e4ren die von Tischer beobachteten Wahl-reactionen, hei denen die Beobachter durchg\u00e4ngig einge\u00fcbt waren, automatisch gewesen, so h\u00e4tten also die Wahlreactionen der Beobachter mit muskul\u00e4rer Reaction viel kleiner sein m\u00fcssen als die der Beobachter mit sensorieller.\nAuf der andern Seite aber muss ich mich der Behauptung gegen\u00fcber, dass es sich in allen F\u00e4llen, wo noch eine sogenannte Wahl \u00fcbrig bleibe, nicht um diese, sondern um M\u00e4ngel des Ged\u00e4chtnisses u. dergl. handle, auf das entschiedenste wieder auf meine eigene Selbstbeobachtung berufen, die mit dieser Interpretation im vollsten Widerspruch steht, und ich glaube, dass mir darin alle Beobachter, die \u00fcberhaupt planm\u00e4\u00dfige Wahlversuche ausgef\u00fchrt haben, beistimmen werden1). Ich nehme den Wahlvorgang als einen so deutlich ausgepr\u00e4gten, von unsicheren Re-productionen u. dgl. so durchaus verschiedenen hei diesen Versuchen wahr, dass mir eine Verwechselung beider geradezu unbegreiflich erscheint. Zugleich ist von einem \u00bbSchwanken\u00ab der Wahl von dem Augenblick an nicht mehr die Rede, wo die Zuordnung hinreichend einge\u00fcbt ist, w\u00e4hrend doch durch die angef\u00fchrten Einfl\u00fcsse das Automatischwerden der Bewegungen verh\u00fctet wird. Deutlich findet man dann Auffassung des Eindrucks und Wahl der entsprechenden Bewegung als zwei auf einander folgende Acte. Soll ich den Vorgang der Wahl in diesem Fall n\u00e4her psychologisch analysiren, so kann ich nur sagen, dass ich z. B. bei der Wahl zwischen der Bewegung der rechten und linken Hand zuerst ein undeutliches Bild von Bewegungsempfindungen beider\n1) Vergl. auch hier die unten folgenden Mittheilungen von Kraepelin und Merkel.","page":495},{"file":"p0496.txt","language":"de","ocr_de":"496\nW. Wundt.\nH\u00e4nde in mir finde, und dass sich dann an die eine dieser Empfindungen ein deutliches Gef\u00fchl kn\u00fcpft, das sich nur nach seinem Effect allenfalls als ein Gef\u00fchl der \u00bbBevorzugung\u00ab bezeichnen l\u00e4sst, im \u00fcbrigen aber seihst erlebt werden muss, da es, wie die Gef\u00fchle \u00fcberhaupt, nat\u00fcrlich nicht beschrieben werden kann : mit diesem Gef\u00fchl verbindet sich nun sofort die wirklich ausgef\u00fchrte Bewegung mit den an sie gekn\u00fcpften Empfindungen, w\u00e4hrend sich gleichzeitig das Gef\u00fchl in seiner Qualit\u00e4t \u00e4ndert, indem es, wenn die Reaction eine gelungene ist, in ein eigenth\u00fcmliches Gef\u00fchl der Befriedigung \u00fcbergeht. Belehrende Seitenst\u00fccke zu einem solchen gelungenen Versuch bilden \u00fcbrigens gerade f\u00fcr die Beobachtung der Gef\u00fchle die misslungenen Versuche. Sie sind sozusagen von selbst sich darbietende experimentelle Variationen der Beobachtung, welche durch die Vergleichung der jedesmaligen Zust\u00e4nde die Auffassung derselben f\u00fcr jeden typischen Fall sch\u00e4rfen. Ein n\u00e4heres Eingehen auf diesen Gegenstand liegt nicht in meiner Absicht. Ich f\u00fchre diese Beobachtungen nur an, weil ich glaube, dass sie von jedem unbefangenen Beobachter leicht best\u00e4tigt werden k\u00f6nnen, und weil sie, wie mir scheint, jene Interpretation aus Schwankungen des Ged\u00e4chtnisses, die sich auf einzelne unzureichende Versuche st\u00fctzen mag, ganz und gar ausschlie\u00dfen. Uebrigens darf man wohl ver-muthen, dass bei dieser Interpretation nebenbei auch gewisse theoretische Vorurtheile eine Rolle spielen. Wer die Willensvorg\u00e4nge in der bekannten Weise als blo\u00dfe Bewegungsempfindungen betrachtet, die irgend welche Reflexe begleiten oder ihnen vorausgehen, f\u00fcr Den kann nat\u00fcrlich auch die \u00bbW\u00e4hlet kein wirklicher psychischer Vorgang sein, sondern er wird sie von vornherein auf irgend einen Process des Vorstellungsmechanismus, sei es auch nur auf eine Unsicherheit des Ged\u00e4chtnisses, zur\u00fcckzuf\u00fchren suchen. Ich kann versichern, dass ich dereinst an die Reactionsversuche nicht im mindesten mit irgend einer vorgefassten Ansicht dar\u00fcber, welche Rolle etwa der Wille bei ihnen spielen m\u00f6chte, herangetreten bin. Ich hatte bei ihnen an den Willen zun\u00e4chst \u00fcberhaupt nicht gedacht. Gleichwohl sind es diese Versuche und unter ihnen besonders die Wahlversuche gewesen, die meine Anschauungen \u00fcber die Entwickelung des Willens und \u00fcber seinen Zusammenhang mit den allgemeinen Functionen der Apperception zur","page":496},{"file":"p0497.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Beurtheiluog der zusammengesetzten Reactionen.\t497\nAusbildung gebracht haben. Meine Willenstheorie hat also nicht im entferntesten irgend eine metaphysische, sondern nur eine empirische Basis, und diese Basis bilden in allererster Linie die Beobachtungen bei den Reactionsversuchen. So wird es mir denn auch, wie ich hoffe, nicht verdacht werden, wenn ich das Gebiet, durch das ich selbst dereinst den Eingang in die Psychologie gefunden habe, gegen Angriffe zu sch\u00fctzen suche, die nach meiner Ueberzeugung theils auf mangelhafter Vertiefung in den Gegenstand beruhen, theils aber aus Vorurtheilen hervorgegangen sind, die in den Str\u00f6mungen der heutigen Associationspsychologie ihre Quelle haben.\nUeber die \u00bbAssociationsversuche\u00ab kann ich mich kurz fassen. Die gegen sie vorgebrachten Einw\u00e4nde fallen im wesentlichen mit den bei den Erkennungsreactionen besprochenen zusammen, so dass ich auf das dort Bemerkte verweisen darf. Wenn gesagt wird, die gemessene Zeit stelle hier nicht in eindeutiger Weise die Dauer der reproducirten Vorstellung dar, weil mehr oder weniger lange Zeit bis zum Auftreten derselben im Bewusstsein verflie\u00dfen k\u00f6nne, so bin ich der Meinung, dass es \u00fcberhaupt nicht die Dauer der reproducirten Vorstellung, sondern eben diese unter verschiedenen Verh\u00e4ltnissen allerdings sehr verschiedene Zeit der vorbereitenden Entwickelung der Reproduction ist, die gemessen werden soll, und von deren Unterschieden unter wechselnden Bedingungen wesentlich die enormen Unterschiede der gefundenen Zeitgr\u00f6\u00dfen abh\u00e4ngen. Wenn man aber weiterhin behauptet, dass die Reaction m\u00f6glicher Weise in sehr verschiedenen Stadien dieser Entwickelung der Reproduction erfolge, so kann ich das wiederum nach meinen Beobachtungen nicht best\u00e4tigen. Die Reaction erfolgt, falls die zureichende Sicherheit in der Ausf\u00fchrung der Versuche gewonnen ist, genau wie bei den Erkennungsreactionen, sofort nach der Apperception der reproducirten Vorstellung. Dass kleine Schwankungen hierbei Vorkommen, ist nat\u00fcrlich nicht ausgeschlossen; sie k\u00f6nnen aber gegen die im allgemeinen sehr viel gr\u00f6\u00dfere Zeitdauer des Aufarbeitens der associirten Vorstellung nicht in Betracht kommen und werden voraussichtlich bei der Wiederholung der Versuche im wesentlichen eliminirt werden. Freilich ist dann jener","page":497},{"file":"p0498.txt","language":"de","ocr_de":"498\nW. Wundt. Zur Beurteilung der zusammengesetzten Reactionen.\nProcess der Vorbereitung und des Aufsteigens einer associirten Vorstellung kein eindeutiger, sondern er kann, wie die Selbstbeobachtung lehrt, sehr verschiedene Vorg\u00e4nge einschlie\u00dfen. Das ist nat\u00fcrlich bei der Complication der Versuche von vornherein nicht anders zu erwarten. Darum aher scheint es mir eben die Aufgabe dieser Beobachtungen zu sein, die typischen Formen des Verhaltens von einander zu scheiden und durch die psychologische Analyse jeder einzelnen die entsprechende Deutung zu finden. Hier wie bei allen Reactionsversuchen darf man ja nie vergessen, dass die gemessenen Zeitwerthe selbst im Grunde nur ein nebens\u00e4chliches Interesse haben. Der Hauptwerth auch dieser Versuche besteht vielmehr darin, dass sie die psychischen Vorg\u00e4nge exact geregelten Bedingungen unterwerfen und auf solche Weise eine genaue Analyse der in der Selbstbeobachtung gegebenen Erscheinungen m\u00f6glich machen.","page":498}],"identifier":"lit774","issued":"1894","language":"de","pages":"485-498","startpages":"485","title":"Zur Beurtheilung der zusammengesetzten Reactionen","type":"Journal Article","volume":"10"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T12:50:49.836259+00:00"}