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{"created":"2022-01-31T12:49:29.496263+00:00","id":"lit814","links":{},"metadata":{"alternative":"Philosophische Studien","contributors":[{"name":"Wundt, Wilhelm","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Philosophische Studien 18: 793-795","fulltext":[{"file":"p0793.txt","language":"de","ocr_de":"Schlusswort des Herausgebers.\nMit dem vorliegenden achtzehnten Bande schlie\u00dfe ich die Philosophischen Studien. Nachdem eine Anzahl treuer Freunde und Mitarbeiter dieser Hefte mich zum 16. August vorigen Jahres mit einer Festschrift \u00fcberrascht und erfreut haben, die in einer Anzahl vorz\u00fcglicher Arbeiten diesem Werke eines Vierteljahrhunderts den w\u00fcrdigsten Abschluss bereitet, umfasst dasselbe nunmehr zusammen mit dieser werthvollen Beigabe zwanzig B\u00e4nde. Als 1881 das erste Heft dieser Studien erschien, blickte der Herausgeber nicht ganz ohne Sorge in die Zukunft. Die experimentelle Psychologie war damals noch ein von vielen Seiten, von Philosophen wie Naturforschern, mit zweifelndem Argwohn angesehenes Arbeitsgebiet, das sich sein Recht erst erk\u00e4mpfen sollte; und das Leipziger psychologische Laboratorium, dessen Arbeiten in diesen Heften puhlicirt werden sollten, war damals noch ein mit den bescheidensten Mitteln ausgestattetes Privatunternehmen. Als der Herausgeber diese Hefte, trotz des von Anfang an ausgesprochen psychologischen Programms, \u00bbPhilosophische Studien\u00ab nannte, da war darum dieser dem Inhalt vielleicht nicht ganz ad\u00e4quate Titel in doppeltem Sinne ein Kampfestitel. Den Naturforschern und vornehmlich den Physiologen, die noch immer mit skeptischer Geringsch\u00e4tzung auf alles herabsahen, was Philosophie hie\u00df, sollte es andeuten, dass die Philosophie so gut wie irgend ein Gebiet der Naturforschung eine ernst zu nehmende Wissenschaft sei, deren vor allem die Physiologie in ihren der Psychologie und durch diese der Erkenntnisstheorie zugewandten Grenzgebieten nicht wohl entrathen k\u00f6nne, wenn sie nicht seihst auf v\u00f6llig unwissenschaftliche Irrwege gerathen wollte. Den Philosophen aber sollte dieser Titel zu Gem\u00fcthe f\u00fchren, dass die Psychologie \u2014 mag man sie nun zur Philosophie rechnen oder nicht \u2014 jedenfalls f\u00fcr den Philosophen","page":793},{"file":"p0794.txt","language":"de","ocr_de":"794\nSchlusswort des Herausgebers.\neine nicht zu entbehrende Vorschule sei, und dass sie das nur sein k\u00f6nne, wenn sie mit den H\u00fclfsmitteln und in dem Geiste exacter Methode betrieben werde.\nHeute ist nun jener Kampfestitel nach den beiden Richtungen, nach denen er sich wandte, \u00fcberfl\u00fcssig geworden, und diese Hefte h\u00e4tten l\u00e4ngst den Namen \u00bbPsychologische Studien\u00ab annehmen k\u00f6nnen. Gegen\u00fcber dem energischen Zug nach speculativer Naturphilosophie, der sich heute beinahe auf der ganzen Linie der Naturwissenschaft zu regen beginnt, werden selbst manchem unter den Naturforschern vielleicht die behutsamen erkenntnisstheoretischen Bem\u00fchungen des Herausgebers dieser Studien bereits f\u00fcr reaction\u00e4re Philosophie gelten ; und nachdem selbst die \u00bbreinen\u00ab unter den Philosophen, das hei\u00dft diejenigen, die f\u00fcr sich selbst von experimenteller Psychologie und naturwissenschaftlicher Methode nichts wissen wollen, gelegentlich dazu \u00fcbergegangen sind, die Psychologie \u00fcberhaupt aus der Philosophie hinauszuweisen, um sie der Naturwissenschaft und, wenn es sein muss, selbst dem Materialismus auszuliefern, so k\u00f6nnte es scheinen, als wenn den psychologischen Anschauungen, die diese Studien von ihrem Anfang bis zum Ende vertreten haben, auch der Philosophie gegen\u00fcber kein anderes Schicksal beschieden w\u00e4re. Trotzdem lebe ich getrost der Ueberzeugung, dass in der Naturwissenschaft die speculativen Tr\u00e4ume nicht in den Himmel wachsen, und dass der Philosophie ihr Bem\u00fchen, der experimentellen Psychologie dadurch ledig zu werden, dass sie eine m\u00f6glichst unpsychologische Richtung derselben f\u00fcr die wahre erkl\u00e4rt, schlie\u00dflich nichts helfen wird.\nStets haben diese Studien die Anschauung vertreten, dass die Psychologie ihre H\u00fclfsmittel und Methoden zun\u00e4chst der Naturforschung entlehnen muss, dass sie aber, abgesehen von gewissen, auch hier nicht fehlenden Grenzfragen, ihre eigenen Aufgaben hat, und dass sie daher \u00fcberall darauf hingewiesen ist, nach diesen ihren eigens Problemen die naturwissenschaftlichen Methoden umzubilden und durch neue, ihren specifischen Zwecken angepasste H\u00fclfsmittel zu erg\u00e4nzen. Ich glaube nicht, dass die Entwicklung der neueren Psychologie diese Ansicht widerlegt, sondern dass sie vielmehr dieselbe mehr und mehr als die richtige dargethan hat. Wenn es darum heute noch eine Richtung der \u00bbphysiologischen Psychologie\u00ab gibt, die dies Wort in dem Sinne versteht, dass die rein physiologische Interpr\u00e9ta-","page":794},{"file":"p0795.txt","language":"de","ocr_de":"Schlusswort des Herausgebers.\n795\ntion der psychischen Ph\u00e4nomene die schlie\u00dfliche Aufgabe dieser Dis-ciplin und damit der Psychologie \u00fcberhaupt sei, so halte ich das f\u00fcr eine jener Kinderkrankheiten der Wissenschaft, wie sie auch auf andern Gebieten nicht gefehlt haben. Indem die Philosophischen Studien ihr Erscheinen einstellen, geschieht dies daher nicht in der Absicht, damit dem Programm zu entsagen, dem sie bis dahin treu gebheben sind, sondern es geschieht vielmehr in der Ueberzeugung, dass es nun an der Zeit ist, das was hier in kleinerem Ma\u00dfstabe und mit beschr\u00e4nkten Mitteln begonnen wurde, in vollerem Umfang und unter der Betheiligung zahlreicherer gleichgesinnter Mitarbeiter fortzusetzen. Die Studien sind bis dahin im wesentlichen der Ver\u00f6ffentlichung der Arbeiten des Leipziger psychologischen Laboratoriums bestimmt gewesen. Sie haben die Philosophie nicht ganz aus ihrem Programm ausgeschlossen, und sie haben sich auf die Publication selbst\u00e4ndiger neuer Arbeiten beschr\u00e4nkt. Das \u00bbArchiv f\u00fcr die gesammte Psychologie\u00ab, welches nunmehr unter der Redaction von Prof. E. Meumann in Z\u00fcrich in dem gleichen bew\u00e4hrten Verlag an ihre Stelle treten soll, wird es versuchen, einen gr\u00f6\u00dferen Kreis gleich-gesinnter Mitarbeiter heranzuziehen. Es wird sich auf die Psychologie beschr\u00e4nken, diese aber in ihren verschiedenen Zweigen umfassen und sich namentlich, soweit dies bei dem heutigen Standpunkt der Wissenschaft m\u00f6glich erscheint, neben der experimentellen auch auf die V\u00f6lkerpsychologie erstrecken. Es wird endlich durch zusammenfassende Litteratur\u00fcbersichten, Referate und Besprechungen gr\u00f6\u00dferer neuerer Werke aus dem Umkreis ihrer Gebiete eine m\u00f6glichst vollst\u00e4ndige Uebersicht \u00fcber Zustand und Fortschritte der Psychologie zu geben bem\u00fcht sein.\nLeipzig, im Februar 1903.\nW. Wundt.\nBerichtigung.\t. ;\nZu der Arbeit \u00fcber das Verh\u00e4ltniss der Hautempfindungen und ihrer nerv\u00f6sen Organe zu calorischen, mechanischen und faradischen Reizen, S. 437 ff. : Auf Tafel X ist \u00fcbersehen worden zu bemerken, dass die Dimensionen der Punkte und Distanzen doppelt so gro\u00df wie in Wirklichkeit dargestellt sind.\tPaul Bader.","page":795}],"identifier":"lit814","issued":"1903","language":"de","pages":"793-795","startpages":"793","title":"Schlusswort des Herausgebers","type":"Journal Article","volume":"18"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T12:49:29.496269+00:00"}