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{"created":"2022-01-31T15:24:35.158237+00:00","id":"lit8163","links":{},"metadata":{"alternative":"Geschichte der K\u00f6niglichen Friedrich-Wilhelms-Universit\u00e4t zu Berlin","contributors":[{"name":"Stumpf","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"In: Geschichte der K\u00f6niglichen Friedrich-Wilhelms-Universit\u00e4t zu Berlin, edited by Max Lenz, 202-207. Halle a. d. Saale: Verlag der Buchhandlung des Waisenhauses","fulltext":[{"file":"p0202.txt","language":"de","ocr_de":"202\nWissenschaftliche Anstalten der Universit\u00e4t.\nPhilosophisches\nSeminar.\nPsychologisches\nInstitut.\nSeitdem ist der nach den verschiedenen philosophischen Disziplinen und Htilfswissenschaften sachlich und historisch geordnete, in einem Akzessions- sowie in einem den Studierenden zug\u00e4nglichen alphabetischen und Sachkatalog sorgf\u00e4ltig verzeichnete B\u00fccherbestand einschlie\u00dflich einiger wichtigster Zeitschriften auf rund 800 Nummern mit mehr als 1000 B\u00e4nden angewachsen. Die wesentlicheren literarischen Neuerscheinungen werden in Form von Ansichtssendungen regelm\u00e4\u00dfig ausgelegt. Eines ersten reichen Geschenkes haben wir mit besonderem Dank in der Chronik der Universit\u00e4t f\u00fcr das Jahr 1909/10 gedacht.\nDie Teilnahme an den seminaristischen \u00dcbungen war schon in den beiden ersten Semestern so gro\u00df, da\u00df die provisorischen B\u00e4ume sich als zu klein erwiesen. Die Zahl der in den Bibliotheksr\u00e4umen Arbeitenden und ihrer Arbeitsstunden ist in erfreulichem Ansteigen begriffen.\nFreilich sind es im Hinblick auf die Aufgaben, die ein philosophisches Seminar an der Berliner Universit\u00e4t zu l\u00f6sen hat, noch bescheidene erste Anf\u00e4nge, in denen wir stehen.\nDas Seminar sollte den Teilnehmern an den philosophischen \u00dcbungen einen f\u00fcr die Bed\u00fcrfnisse solcher Teilnahme v\u00f6llig ausreichenden \u00dcbungs- und Arbeitsraum bieten, mit einer besonderen Abteilung der Bibliothek, in der die wertvolleren Handb\u00fccher aus allen Zweigen der Philosophie vereinigt sind und die f\u00fcr die Semester\u00fcbungen notwendigen literarischen H\u00fclfsmittel zusammengestellt werden k\u00f6nnen. Es sollte au\u00dferdem allen ernstlich philosophisch Interessierten eine reichlich ausgestattete Arbeitsst\u00e4tte gew\u00e4hren. Zu beiden Zwecken m\u00fc\u00dfte es in unmittelbarer N\u00e4he der Universit\u00e4t liegen, und der erstgenannte \u00dcbungsraum m\u00fc\u00dfte ein anderer sein, als der zweitgenannte Arbeitsraum, so da\u00df dieser auch w\u00e4hrend der Seminarstunden frei bliebe. Wenigstens f\u00fcr die Vorlesungen der Direktoren sollte es m\u00f6glich sein, die in diesen genannten literarischen H\u00fclfsmittel in jedem Semester zusammenzustellen und allen H\u00f6rern dieser Vorlesungen zug\u00e4nglich zu machen. Eine besondere Abteilung, zu der bis jetzt kaum nennenswerte Anf\u00e4nge vorhanden sind, sollte die Literatur zur P\u00e4dagogik und der Geschichte des Unterrichtswesens umfassen. Die leitenden philosophischen und p\u00e4dagogischen Zeitschriften und Sammelwerke des In- und des Auslandes sollten vollst\u00e4ndig vorhanden sein.\tErdmann. Riehl. Stumpf.\nDas psychologische Institut.\nAls nach dem Tode Hegels eine der Erfahrung und den Naturwissenschaften n\u00e4her stehende Denkrichtung in der Philosophie Platz griff, kam auch die empirische Seelenforschung, die in der Aufkl\u00e4rungszeit in Deutschland eifrig gepflegt, in der spekulativen Periode dagegen vernachl\u00e4ssigt worden war, zu erneuter Geltung. W\u00e4hrend aber den fr\u00fcheren Psychologen die Selbstbeobachtung als alleinige","page":202},{"file":"p0203.txt","language":"de","ocr_de":"Philosophische Fakult\u00e4t.\n203\nE\u00fchrerin diente, wurde nun auch das Experiment zu Hilfe gerufen. Dieser Psychologisches\nInstitut.\nWendung hatte schon unser genialer Physiologe Johannes M\u00fcller durch seine sinnesphysiologischen Untersuchungen vorgearbeitet. E. H. Weber undEechner schufen dann die Psychophysik als experimentelle Erforschung des Verh\u00e4ltnisses zwischen \u00e4u\u00dferen Reizen und Sinnesempfindungen, Helmholtz unterwarf Gesicht und Geh\u00f6r einer tief dringenden, \u00fcberall auf allgemeine psychologische und erkenntnistheoretische Fragen gerichteten Analyse. Durch ihn und durch Donders wurde zugleich der Grund zu den \u201eReaktionsversuchen\u201c gelegt, welche Ma\u00dfbestimmungen f\u00fcr die Zeitdauer relativ einfacher psychischer Leistungen bezweckten.\nAllm\u00e4hlich suchte man die Methode des Experiments auf psychische Vorg\u00e4nge \u00fcberhaupt anzuwenden. In dieser Absicht wurde das erste psychologische Institut 1879 durch W. Wundt in Leipzig eingerichtet.\nIn Berlin wurde die neue Richtung durch den 1886 ernannten au\u00dferordentlichen Professor Ebbinghaus, den Begr\u00fcnder der experimentellen Ged\u00e4chtnisforschung, vertreten. Ihm war die Verpflichtung auferlegt, Vorlesungen \u00fcber Psychologie und \u00c4sthetik, sowie \u00dcbungen auf dem Gebiete der experimentellen Psychologie zu halten. Zur Anschaffung der n\u00f6tigen Demonstrationsmittel wurden ihm von der Kgl. Regierung mehrmals kleinere Summen im Gesamtbetr\u00e4ge von 1600 Mk. ausgesetzt. Als dann der Unterzeichnete als ordentlicher Professor der Philosophie an die Berliner Universit\u00e4t berufen wurde, wurde ihm am 18. Dezember 1893 auch die Direktion eines zu errichtenden Seminars f\u00fcr experimentelle Psychologie \u00fcbertragen. Hach dem Eintritt in sein Lehramt im Sommersemester 1894 erfolgten die n\u00f6tigen Vorbereitungen, und wurde Dr. E. Schumann, zuletzt Assistent bei Professor G. E. M\u00fcller in G\u00f6ttingen, als Assistent berufen.\nIn den Verhandlungen, die der Begr\u00fcndung des Seminars vorausgegangen waren, betonte der Unterzeichnete unter Zustimmung des damaligen Dezernenten Dr. Althoff, da\u00df es bei einer so jungen Eorschungsrichtung mit so wenig durchgebildeter Methodik, so zahlreichen Fehlerquellen, so gro\u00dfen Schwierigkeiten in der exakten Anstellung und Auslegung der Versuche nicht 'der Hauptzweck sein d\u00fcrfe, eine m\u00f6glichst gro\u00dfe Anzahl von Dissertationen durch Studierende anfertigen zu lassen. Die leitenden Gesichtspunkte f\u00fcr die Einrichtung des Seminars m\u00fc\u00dften vielmehr vorl\u00e4ufig diese beiden sein: erstlich Unterst\u00fctzung der Vorlesungen durch Demonstrationsmittel und durch \u00dcbungen, zweitens Beistellung der n\u00f6tigen Hilfsmittel f\u00fcr die experimentell-psychologischen Arbeiten des Direktors, der Assistenten und weniger besonders fortgeschrittener Kr\u00e4fte. Demgem\u00e4\u00df hielt sich die urspr\u00fcngliche Ausstattung des Seminars und der Umfang seiner R\u00e4umlichkeiten in bescheidenen Grenzen. Die R\u00e4ume bestanden aus den drei Zimmern des Erdgeschosses im Seitenfl\u00fcgel des der Universit\u00e4t geh\u00f6rigen Hauses Dorotheenstra\u00dfe 5, wovon zwei bereits von Ebbinghaus ben\u00fctzt worden waren.\nEs wurden die n\u00f6tigsten Apparate f\u00fcr die Lehre von den Sinneswahrnehmungen","page":203},{"file":"p0204.txt","language":"de","ocr_de":"204\nWissenschaftliche Anstalten der Universit\u00e4t.\nPsychologisches und den Reaktionen angeschafft, dazu eine Sammlung von etwa 60 Demonstra-\nInstitut.\ntionstafeln f\u00fcr die Vorlesungen. Auch wurde eine Bibliothek begr\u00fcndet.\nDie etatm\u00e4\u00dfigen Eink\u00fcnfte des Seminars wurden au\u00dfer dem Assistentengehalt auf 1000 Mk. normiert. Dazu kamen vom zweiten Semester an j\u00e4hrlich 400 Mk. f\u00fcr mechanische H\u00fclfsleistungen. Weiter erfolgte im zweiten Jahre ein einmaliger Zuschu\u00df von 1200 Mk.\nBald erwiesen sich aber die R\u00e4ume zu klein und zu dunkel. Die Benutzung der Bibliothek, die den allgemeinen Bestimmungen gem\u00e4\u00df eine Pr\u00e4senzbibliothek sein sollte, stie\u00df auf r\u00e4umliche Schwierigkeiten, die \u00dcbungen mu\u00dften in den botanischen H\u00f6rsaal im I. Stock des Geb\u00e4udes verlegt werden. Am 5. November 1898 legte ich diese Verh\u00e4ltnisse dem vorgeordneten Ministerium dar. Mit seiner Genehmigung suchten wir dann in der Umgebung der Universit\u00e4t nach einer Mietwohnung und fanden geeignete R\u00e4umlichkeiten in dem der Preu\u00dfischen Hypothekenaktienbank geh\u00f6rigen Grundst\u00fcck Dorotheenstra\u00dfe Nr. 95/96 an der Ecke der Charlottenstra\u00dfe. Hier wurde denn auch die H\u00e4lfte des obersten Stockes, zehn helle R\u00e4ume einschlie\u00dflich eines gro\u00dfen Saales, von der Kgl. Regierung am 1. Oktober 1900 auf Universit\u00e4tskosten f\u00fcr das Seminar gemietet und mit einem Kostenbetr\u00e4ge von 6300 Mk. f\u00fcr dessen Bed\u00fcrfnisse eingerichtet. Seitdem sind noch eine Anzahl anderer Seminarien in dieses Geb\u00e4ude verlegt worden. In demselben Jahre erfolgten mehrere Geldbewilligungen (1000 Mk. und 6000 Mk.) f\u00fcr die Ausstattung mit neuen Apparaten und Einrichtungsst\u00fccken. Ferner wurde ein besonderer Hilfsdiener angestellt, w\u00e4hrend das Seminar in der alten Behausung sich mit den Dienstleistungen des Pf\u00f6rtners hatte begn\u00fcgen m\u00fcssen. Der bisherige Name \u201ePsychologisches Seminar\u201c wurde durch Ministerial-verfiigung vom 20. Dezember 1900 in den dem neuen Zustande entsprechenderen Namen \u201ePsychologisches Institut\u201c umgewandelt. Seit dem 1. April 1901 wurden au\u00dfer dem unver\u00e4nderten Etat von 1000 Mk. noch j\u00e4hrlich 1400 Mk. aus dem Titel \u201eInsgemein\u201c f\u00fcr mechanische H\u00fclfeleistungen, Heizung und Beleuchtung bewilligt.\nVon den zehn erw\u00e4hnten Zimmern, die sich erst allm\u00e4hlich mit Apparaten f\u00fcllten, wurden durch Regierungsverf\u00fcgung 1902 die beiden n\u00f6rdlichen Zimmer der \u201e\u00c4rztlichen Lehrmittelsammlung\u201c zugeteilt, die darin bis Ende 1905 verblieb. Dann wurde das eine dieser Zimmer und die H\u00e4lfte des anderen zu einer Wohnung f\u00fcr den Diener des staatswissenschaftlichen Seminars eingerichtet. In die dem Institut verbleibende Zimmerh\u00e4lfte verlegte der Unterzeichnete das von ihm begr\u00fcndete Phonogrammarchiv, von dem noch die Rede sein wird. Von den \u00fcbrigen 8 R\u00e4umen wurde einer als Bibliothekzimmer, einer als Werkst\u00e4tte, einer als sog. Dunkelzimmer f\u00fcr optische Versuche eingerichtet. Der Saal diente haupts\u00e4chlich f\u00fcr die Abhaltung der stark besuchten theoretischen \u00dcbungen und f\u00fcr akustische Versuche. Er wurde auch dem 1901 begr\u00fcndeten Verein f\u00fcr","page":204},{"file":"p0205.txt","language":"de","ocr_de":"Philosophische Fakult\u00e4t.\n205\nKinderpsychologie und anderen mit der Psychologie zusammenh\u00e4ngenden Vereinigungen f\u00fcr ihre Vortragsabende zur Verf\u00fcgung gestellt. Ferner h\u00e4lt darin seit 1900 der Privatdozent der medizinischen Fakult\u00e4t Prof. Dr. K. L. Schaefer eine besonders f\u00fcr die Mitglieder der Instituts\u00fcbungen bestimmte Vorlesung \u00fcber die anatomischen und physiologischen Grundlagen der Psychologie. F\u00fcr die psychologische Hauptvorlesung des Unterzeichneten reicht er aber nicht aus. Diese fand bis 1906 im Hauptgeb\u00e4ude der Universit\u00e4t und findet seitdem im oberen H\u00f6rsaale des Neubaues Dorotheenstra\u00dfe 5 Hintergeb\u00e4ude statt. Die Unbequemlichkeit des Hin\u00fcber- und Her\u00fcbertransportierens der Apparate, die durch solchen Transport leiden, besteht daher fort. Sie wird erst gehoben sein, wenn das Institut selbst in einem der geplanten Neubauten der Universit\u00e4t eingerichtet und ein benachbarter im gleichen Stockwerke liegender gro\u00dfer H\u00f6rsaal den psychologischen Vorlesungen vorzugsweise zugewiesen sein wird. Aber auch die \u00fcbrigen R\u00e4umlichkeiten reichen gegenw\u00e4rtig nicht mehr aus, um die Apparate unterzubringen und den Arbeitenden entsprechende Pl\u00e4tze einzur\u00e4umen, so da\u00df bereits ein Teil des Korridors als Zimmer eingerichtet werden mu\u00dfte.\nIn der Apparatensammlung, die \u00fcber 300 St\u00fcck umfa\u00dft, ist besonders gut das akustische Gebiet und das der r\u00e4umlichen Wahrnehmungen vertreten, aber auch f\u00fcr die Lehre von den Farbenerscheinungen, der Zeitwahrnehmung, f\u00fcr das Studium des Ged\u00e4chtnisses und der Reaktionszeiten, f\u00fcr die graphische Registrierung der k\u00f6rperlichen \u00c4u\u00dferungen des Seelenlebens sind zahlreiche Einrichtungen vorhanden. Ferner ist eine ansehnliche Bibliothek herangewachsen, die etwa 900 Werke, 27 Zeitschriften (manche davon mit ihren s\u00e4mtlichen fr\u00fcheren Jahrg\u00e4ngen) und eine gro\u00dfe Sammlung von Separatabdr\u00fccken umfa\u00dft, diese u. a. vermehrt durch Zuweisungen aus der Hinterlassenschaft von Helmholtz und Zeller seitens der physikalisch-technischen Reichsanstalt und der Universit\u00e4tsbibliothek. Au\u00dfer der psychologischen Literatur sind, da die psychologischen Studien sich von den allgemein-philosophischen nicht abtrennen lassen und ein philosophisches Seminar bis zum Jahre 1909 nicht bestand, auch die wichtigsten Werke aus der Geschichte der Philosophie, der Metaphysik, Logik, Ethik und \u00c4sthetik angeschafft worden, endlich Werke aus den angrenzenden Wissenschaften der Physik, Anatomie, Physiologie, Ethnologie und P\u00e4dagogik.\nIm Herbst 1905 wurde der bisherige Assistent Prof. Dr. Schumann als Ordinarius der Philosophie nach Z\u00fcrich berufen. An seine Stelle trat Dr. E. v. Hornbostel. Herbst 1906 ging die Funktion auf Prof. Dr. Ach, vorher in Marburg, \u00fcber. Als dieser schon nach einem Semester Ostern 1907 als Ordinarius nach K\u00f6nigsberg \u00fcbersiedelte, wurde die Stellung Dr. H. Rupp, vorherigem Assistenten G. E. M\u00fcllers in G\u00f6ttingen, \u00fcbertragen. Au\u00dfer den Assistenten sind viele Jahre hindurch bei der Bibliotheksverwaltung und den wissenschaftlichen Arbeiten Prof. K. L. Schaefer und cand. med. O. Pfungst hilfreich gewesen.\nPsychologisches\nInstitut.","page":205},{"file":"p0206.txt","language":"de","ocr_de":"206\nWissenschaftliche Anstalten der Universit\u00e4t.\nPsychologisches\nInstitut.\nDie \u00dcbungen zerfielen von Anfang an in theoretische und praktische. In den ersten, die stets von dem Unterzeichneten abgehalten wurden und deren Teilnehmerzahl auf etwa 50 gestiegen ist, werden Fragen aus allen Gebieten der speziellen und allgemeinen Psychologie, aber auch Grenzfragen gegen die Erkenntnistheorie, Ethik, P\u00e4dagogik, Rechtswissenschaft (Willenshandlungen), meist unter Bezugnahme auf vorliegende neuere Untersuchungen, durchgesprochen. Das Hauptgewicht liegt dabei auf der strengsten Genauigkeit in der Deutung der Beobachtungen, in der Bildung der Begriffe und der Pr\u00fcfung der Beweisf\u00fchrungen. Ganz besonders hat es sich der Unterzeichnete auch angelegen sein lassen, die innige Verflechtung psychologischer mit allgemein-philosophischen Problemen den Teilnehmern zum Bewu\u00dftsein zu bringen.\nDie praktischen \u00dcbungen, die haupts\u00e4chlich von dem jeweiligen Assistenten geleitet werden, f\u00fchren in das Detail und die Methodik der psychologischen Experimente ein. Den Kursen f\u00fcr Anf\u00e4nger, die in den letzten Semestern 40 bis 50 Teilnehmer z\u00e4hlten, sind durch Dr. Rupp Kurse f\u00fcr Vorgeschrittene hinzugef\u00fcgt worden.\nDie experimentell-psychologischen Arbeiten im Institut sind bis vor kurzem haupts\u00e4chlich von dem Direktor, den Assistenten und einigen bereits promovierten oder seit Jahren im Institute t\u00e4tigen Herren ausgegangen. Diese Arbeiten erschienen zumeist in der Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane, dem Archiv f\u00fcr die gesamte Physiologie, den Annalen der Physik und Chemie, den vom Unterzeichneten herausgegebenen Beitr\u00e4gen zur Akustik und Musikwissenschaft, den Psychologischen Studien von F. Schumann und den Sammelb\u00e4nden der Internationalen Musikgesellschaft. Sie betreffen die Gebiete der Ton- und Farbenempfindungen und der darauf bez\u00fcglichen psychischen T\u00e4tigkeiten, der Zeit- und Raumwahrnehmung, der Assoziations- und Willensvorg\u00e4nge, der unwillk\u00fcrlichen Bewegungen, der Kinder- und Tierpsychologie und der musikalischen Ethnologie. In den letzten Semestern sind, nachdem die physiologische und psychophysische Methodik allm\u00e4hlich betr\u00e4chtliche Fortschritte gemacht hat, auch Studierende in gr\u00f6\u00dferer Zahl zu Experimentalarbeiten herangezogen worden, zu deren Beaufsichtigung allerdings die Kr\u00e4fte eines Assistenten auf die Dauer nicht hinreichen werden. Au\u00dfer der experimentellen sind aber allezeit auch die theoretische Psychologie und ihre Geschichte, sowie angrenzende philosophische Gebiete bei der Wahl der Dissertationsthemen f\u00fcr die Teilnehmer der \u00dcbungen ber\u00fccksichtigt worden.\nNicht selten haben Physiologen, \u00c4rzte und Sprachforscher auf k\u00fcrzere Zeit die Einrichtungen des Instituts f\u00fcr ihre Forschungen benutzt; und sehr vielfach ist es von ausl\u00e4ndischen Forschern oder Vertretern des h\u00f6heren Unterrichts aufgesucht worden, die sich f\u00fcr den Betrieb der experimentellen Psychologie in Deutschland interessierten, wie denn auch unter den Mitgliedern der Instituts\u00fcbungen stets ein erheblicher Bruchteil dem Ausland entstammt.","page":206},{"file":"p0207.txt","language":"de","ocr_de":"Philosophische Fakult\u00e4t.\n207\nSeit dem 1. April 1909 steht dem Institut ein um 1000 Mk. erh\u00f6hter Etat zur Verf\u00fcgung. \u00dcberdies wurde an dem genannten Termin wiederum eine einmalige Summe von 5000 Mk. f\u00fcr Neuanschaffungen ausgesetzt.\nDie besonderen Studien des Unterzeichneten \u00fcber Tonpsychologie haben zur vorl\u00e4ufigen Angliederung einer Einrichtung gef\u00fchrt, deren Schicksal noch ungewi\u00df ist: des Phonogrammarchivs. Diese Unternehmung geh\u00f6rt den Grenzgebieten der Psychologie, Ethnologie, Musikwissenschaft und \u00c4sthetik ah. Der Psychologie dient sie in der Richtung der vergleichenden Forschuugsweise, die nicht weniger als die experimentelle und in Verbindung mit ihr neuerdings mit Recht gro\u00dfe Bedeutung gewonnen hat. Es gilt, die Untersuchungen, die auf Selbstbeobachtung und Experiment am europ\u00e4ischen Kulturmenschen gegr\u00fcndet werden, durch das Studium der geistigen Zust\u00e4nde und Leistungen der exotischen Kulturv\u00f6lker und der Naturv\u00f6lker zu erg\u00e4nzen; und es ist nicht Zufall, da\u00df Fechners \u201eElemente der Psychophysik\u201c und Th. Waitz\u2019 \u201eAnthropologie der Naturv\u00f6lker\u201c zu fast gleicher Zeit das Licht der Welt erblickten: beide Richtungen ruhen auf demselben Bed\u00fcrfnis objektiver Methoden. Der Unterzeichnete hat nun im Hinblick auf die Wichtigkeit phonographischer Aufnahmen exotischer und primitiver, baldigem Untergang ausgesetzter Musik mit Hilfe von Geldbewilligungen der hiesigen Akademie der Wissenschaften, der Virchow-Stiftung, der Gr\u00e4fin Bose-Stiftung und des Herrn Professors Darmst\u00e4dter seit 1904 in einem Zimmer des psychologischen Instituts eine Sammlung von \u00fcber 3000 Phono-grannnen angelegt, die zumeist von Forschungsreisenden an Ort und Stelle in den verschiedensten Gegenden der Erde auf Grund bestimmter Instruktionen systematisch aufgenommen wurden. Die wertvolle und in k\u00fcnftigen Zeiten unersetzliche Sammlung wird von den Herren Dr. Otto Abraham und Dr. E. v. Hornbostel mit Unterst\u00fctzung j\u00fcngerer Kr\u00e4fte unentgeltlich verwaltet. Sie hat bereits als Grundlage einer gr\u00f6\u00dferen Anzahl von Ver\u00f6ffentlichungen gedient, wodurch unsere Begriffe von fremder und urspr\u00fcnglicher Tonkunst stark erweitert und umgestaltet werden (vgl. den Bericht \u201eDas Berliner Phonogramm-Archiv\u201c in der Internationalen Wochenschrift vom 22. Februar 1908). Eine dauernde finanzielle Fundierung dieses Unternehmens, das auch der Sprachforschung, wenigstens in Hinsicht der tonalen und rhythmischen Verh\u00e4ltnisse der gesprochenen Rede, der Aufnahme aussterbender Dialekte und primitiver Sprachen n\u00fctzlich werden kann und teilweise schon geworden ist, ist bisher nicht m\u00f6glich gewesen. Aber die Kgl. Regierung hat ihr Interesse auch f\u00fcr diese Bestrebungen, als die obigen Geldmittel ersch\u00f6pft waren, einstweilen durch einen Beitrag von 3600 Mk. bet\u00e4tigt. Ob die Sammlung \u00fcberhaupt fortgesetzt werden kann, und ob im Falle dauernder staatlicher Unterst\u00fctzung das Phonogramm-Archiv dem psychologischen Institut verbleiben oder etwa dem Museum f\u00fcr V\u00f6lkerkunde oder der Akademie der Wissenschaften angegliedert werden wird, steht noch dahin. Stumpf.\nPsychologisches\nInstitut.","page":207}],"identifier":"lit8163","issued":"1910","language":"de","pages":"202-207","startpages":"202","title":"Das psychologische Institut","type":"Book Section","volume":"3"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T15:24:35.158243+00:00"}