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{"created":"2022-01-31T13:42:45.407800+00:00","id":"lit8693","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Physiologische Chemie","contributors":[{"name":"Hoppe-Seyler, F.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Physiologische Chemie 1: 270-273","fulltext":[{"file":"p0270.txt","language":"de","ocr_de":"I-\nUeber die Stellung der physiologischen Chemie zur Physiologie\nim Allgemeinen.\nr \u2022\t\u2018\t'\nvon F. Hoppe-Seylcr.\nIm seinem Archiv fur d. ges. Physiologic, Bd. XV. S/fl(ilv hat Pfl\u00fcger das kurze Vorwort, mit welchem' ich diese Zeitschrift eingeloitel habe, einer Kritik unterzogen, die ihn zu der Meinung f\u00fchrt, dass die von mir dort ausgesprochenen Ansichten weder thatsachlich noch principiell begr\u00fcndet seien, dass sie auch eine Gefahr f\u00fcr die physiologische Wissenschaft herbei f\u00fchrt en.\nIch f\u00fchle mich Pfl\u00fcger zum Danke verpflichtet, weil er einigen der Haupts\u00e4tze dieses Vorworts, die er unver\u00e4ndert aufgenommen hat, durch sein gesch\u00e4tztes Archiv eine weitere Publikation gegeben hat, denselben auch eine so ruhige und sachliche Er\u00f6rterung hat angedeihen lassen, aber ich habe aus seinen Einw\u00e4nden die Ueberzeugung nicht gewinnen k\u00f6nnen, dass meine Ansichten auch nur in einem Punkte irrig oder gar f\u00fcr die Physiologie gefahrvoll seien.\nSo sehr ich w\u00fcnsche, dass diese Zeitschrift von allen polemischen Artikeln frei bleiben m\u00f6ge, glaube ich doch diese eine Entgegnung auf die Angriffe Pfl\u00fcgers hier auf nehmen zu m\u00fcssen und hotte, dass die Leser dies en werden, da sie die Principien betrifft, welche m Auffassung dieser Zeitschrift zur Basis didnen.\nPfl\u00fcger sagt zun\u00e4chst, dass meine Eintheilung des physiologischen Studiums nicht die ganze Wissenschaft in sich schl\u00f6sse, also unzureichend sei; die psychischen Processe seien bis jetzt nach physikalischen und chemischen Principien noch nicht zu untersuchen.\nJeder wird dies Letztere ihm zugestehn m\u00fcssen, aber es ist auch bis jetzt \u00fcberhaupt unm\u00f6glich, diese Processe in\nschuldigen ch meiner","page":270},{"file":"p0271.txt","language":"de","ocr_de":"271\nnaturwissenschaftliche Untersuchung zu ziehen, 'denn wo \\\\io nat\u00fcrlichen Angriffspunkte uml die wissenschaftlichen Methoden fehlen, da ist die Untersuchung unm\u00f6glich und die Akrobaten-kunstst\u00fccke der Philosophen werden Vielen Freude machen, .Manche zur Bewunderung hinreissen, aber einen wissenschaftlichen Gewinn, ein Gesetz nach Maass- lind Gewichts-verh\u00e4Uniss wird Niemand daraus herleiten k\u00f6nnen, liier ist noch ein Feld, auf welchem der kindliche religi\u00f6se Glaube mit demselben Recht sich ergeht, wie der philosophische Versuch, \u2022 wissenschaftliches Gebiet ist es noch nicht. Wollten Physiologen dies unbekannte und meiner Ansicht nach .jetzt . noch unerforschbare Gebiet in partibus l\u00fcr sieb in Anspruch nehmen, so w\u00fcrden wohl die physiologischen Chemiker gern auf einen Antheil so lange verzichten, bis es gelungen sein wird, diese Processe von chemischen Gesichtspunkten aus in Betracht zu ziehen.\ti\nAm Schl\u00fcsse seiner Auseinandersetzung kommt Pfl\u00fcger auf (fie Wichtigkeit sp\u00e9cul\u00e2tiver Untersuchungen zu sprechen und sucht durch ein BeispitM zu erl\u00e4utern, wie werthvoll, die Speculation f\u00fcr den wissenschaftlichen Fortschritt sei. Specu-. lationen im Allgemeinen habe ich nicht, wie es Pfl\u00fcger meint, verp\u00f6nt, aber sie haben meiner Ansicht nach nur eine Berechtigung, wenn sie sich auf sicher constat irte That-sachen st\u00fctzend die Fragen stellen, die zur weitern wissenschaftlichen Untersuchung f\u00fchren. Die Speculation hat an sich mit der Naturwissenschaft so wenig als mit irgend :einer andern Wissenschaft zu tliun, sie hat keine Method\u00ab1' .und keine Gesetze als die des logischen Denkens*; sie ist an sich v\u00f6llig werthlos und erh\u00e4lt einen Werth erst, sobald si(v aufgeh\u00f6rt hat Speculation zu sein, wenn n\u00e4mlich der Versuch die Richtigkeit der Vermulhung best\u00e4tigt. Aus diesem Grunde kann ich rein speculative Arbeiten noch nicht f\u00fcr wissenschaftliche anselm und glaube in dieser Anschauung' nicht\nallein zu stehn.\t\\'\nPfl\u00fcger sucht dann die von mir ausgesprochene Ansicht zu widerlegen, dass das Gebiet der Physiologie zu gross sei, um von einem Forscher nach den verschiedensten .Rieh-","page":271},{"file":"p0272.txt","language":"de","ocr_de":"Innern hin beherrscht und mit Erfolg bearbeitet zu werden. Er st\u00fctzt sich hierbei auf die Erfahrung und behauptet, dass eine nicht ganz geringe Zahl solider Physiologen existin', die nicht bips in physikalischer und chemischer, sondern auch in iler anatomischen Richtung zuverl\u00e4ssige Forschungen zu Tage gef\u00f6rdert haben; dass die Zahl derselben nicht gr\u00f6sser sei, habe seinen Wesentlichen Grund in der Mangel liait igkeil der Gymnasial* und Universit\u00e4lserziehung. Auf dies letztere Gebiet hier einzugehen, halte ich nicht f\u00fcr zweckmassig, M\u00e4ngel hier aufzufinden ist leicht, Abh\u00fclfe schaffen sein-schwer; im Uebrigen ist es ja ausser Frage, dass die Forschung frei, jede Eintheiluug der Naturwissenschaften eine mehr oder weniger k\u00fcnstliche ist, und der Bildungsgang der einzelnen Forscher gl\u00fccklicher Weise nicht nach bestimmter Schablone sondern nach dem geistigen Triebe und den nat\u00fcrlichen Anlagen sich entwickelt, aber ich muss daran festhallen, dass der Lehrer und Vertreter einer Wissenschaft an einer Hochschule sein Gebiet gr\u00fcndlich kennen sollte und dass dieser Anforderung f\u00fcr das ganze chemische und physikalische Gebiet ein Mann nur sehr selten zu entsprechen im Standi' sein wird. Ich glaube ferner her Vorlieben zu m\u00fcssen, dass die physiologische Chemie einer bedeutenden Erh\u00f6hung ^ihrer Forschungen und Leistungen f\u00e4hig ist , dass es aber hierzu dringend n\u00f6thig erscheint, ihr an den Universit\u00e4ten eine selbstst\u00e4ndigere, w\u00fcrdigere Stellung zu geben, sie aus der Unterordnung zu befreien. Allgemein und nur zu sehr gerechtfertigt sind die Klagen \u00fcber den ausserordentlich niedrigen Stand der durchschnittlichen Kenntnisse der Chemie, welche die Studirenden der Medicin sich erwerben, \u00e4ltere erfahrene Examinatoren versichern, dass das Niveau derselben in den letzten Jahren noch gesunken sei, die llauptursache hiervon ist kehle andere, als dass sie die Bedeutung der Chemie f\u00fcr das Verst\u00e4ndnis.\u00ab der Processe des gesunden und kranken Lebens nicht achten lernen und dies kann im Wesentlichen nur die Schuld derjenigen Physiologen sein, welche entweder die Chemie nicht kennen oder ihr die erforderliche Achtung selbst nicht zukommen lassen.","page":272},{"file":"p0273.txt","language":"de","ocr_de":"273\ny -\t\u25a0\t*\nPfl\u00fcder fordert am Sclikisso seiner Darlegung die Physiologen, die seine Ansicht tlieilen, auf, die drohende Gefahr nicht zu untersch\u00e4tzen und die H\u00e4nde nicht in den Schoos zu legen, sondern kr\u00e4ftig einzutreten gegen (tie zersetzenden Kr\u00e4fte, welche die Eine\u00bb grosse herrliche Wissenschaft der Physiologie bedrohe. Offenbar f\u00fchlt Pfl\u00fcger seihst, dass es ihm nicht gelingt , den Nachweis, den er sich Vor-eenommeu hat, wirklich zu lV\\hr<*ii, dass n\u00e4mlich die .von mir ausgesprochenen Ansichten weder that s\u00e4chlich iruch principiell begr\u00fcndet seien, warum sonst solche AengsHidb-keil imd solcher Hilferuf! \u00abDie zersetzenden Kr\u00e4ften, vor denen er warnt, haben bei der Bildung der neuen deutschen Universit\u00e4t in Strassburg gewirkt, ob zum Naclifheit der Physiologie \u00fcberlasse ich Andern zur Bcurtheilung. Eine Gefahr f\u00fcr eine Wissenschaft, und zwar eine sehr unheilvolle, hegt in der despotischen Niederhaltung der Kr\u00e4fte* welche der Wissenschaft einen hohen Aufschwung zu geben im Stande sind, sobald sie frei zur Wirkung gelangen.\nDiese Zeitschrift soll nur die neuen physiologisch-chemischen Arbeiten sammeln und dem wissenschaftlichen Publikum; vorf\u00fchren, was in dieser Richtung Neues geleistet wird; dass auch dies nicht ohne Hindernisse und Schwierigkeiten geschehen kann, hat mir um so weniger unbekannt bleiben k\u00f6nnen, als mir von befreundeter Seite mehrfach solche Hindernisse bezeichnet Worden sind.\t,","page":273}],"identifier":"lit8693","issued":"1877-78","language":"de","pages":"270-273","startpages":"270","title":"Ueber die Stellung der physiologischen Chemie zur Physiologie im Allgemeinen","type":"Journal Article","volume":"1"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T13:42:45.407805+00:00"}