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{"created":"2022-01-31T14:06:58.549678+00:00","id":"lit19188","links":{},"metadata":{"alternative":"Handbuch der Physiologie. Bd. 3 (2): Handbuch der Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Vintschgau, Max von","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"In: Handbuch der Physiologie. Bd. 3 (2): Handbuch der Physiologie der Sinnesorgane, edited by Ludimar Hermann, 143-286. Leipzig: F. C. W. Vogel","fulltext":[{"file":"p0143.txt","language":"de","ocr_de":"PHYSIOLOGIE DES GESCHMACKSSINNS\nUND\nDES GERUCHSSINNS\nVON\nProf. Dr. M. V. VIXTSCHGAU in Innsbruck.","page":143},{"file":"p0144.txt","language":"de","ocr_de":"\n\n","page":144},{"file":"p0145.txt","language":"de","ocr_de":"PHYSIOLOGIE DES GESCHMACKSSINNS.\nEINLEITUNG.\nDie Geschmacksempfindungen sind mit anderen Sinnes-empfindungen meistens so innig verkn\u00fcpft, dass es uns sein* oft nickt gelingt, beide Gruppen im Bewusstsein getrennt zu halten, und man kann wohl die Behauptung aufstellen, dass manchmal Empfindungen als Geschm\u00e4cke bezeichnet werden, bei welchen die Geschmacksnerven gar nicht oder nur in sehr untergeordnetem Grade erregt worden sind.\nAm meisten und am intensivsten werden unsere Geschmacksvorstellungen von den Gef\u00fchls- und Geruchsempfindungen beeinflusst, obwohl man auch dem Gesichtssinn einen Einfluss auf dieselben nicht absprechen kann, da wir im Dunklen oder mit geschlossenen Augen weniger sicher \u00fcber Geschm\u00e4cke urtkeilen.\nDie Beiworte, welche wir den einzelnen Geschm\u00e4cken beilegen, sind meistens von jenen Empfindungen entlehnt, welche die reinen Geschmacksempfindungen begleiten; so um etliche Beispiele anzuf\u00fchren, sprechen wir von einem zusammenziehenden, stechenden, scharfen, heissenden Geschmack, obwohl es sich in solchen F\u00e4llen vorzugsweise um eine Erregung des Gef\u00fchlssinnes der Mundh\u00f6hle handelt. Die Ausdr\u00fccke von einem k\u00fchlenden, brennenden Geschmack beziehen sich auf eine gleichzeitige Erregung des Temperatursinnes, und endlich die Worte aromatisch, w\u00fcrzig deuten an, dass der Geruchssinn erregt wurde, denn schmeckbare aber nicht riechbare Substanzen k\u00f6nnen keine sog. aromatischen oder w\u00fcrzigen Geschmacksempfindungen hervorbringen.\nChevreul 1 hat zuerst angegeben, auf welche Weise es m\u00f6glich ist, die anderen neben dem Geschm\u00e4cke auftretenden Empfindungen zu trennen, um zu erfahren, was eigentlich dem Geschmackssinn allein angeh\u00f6rt.\n1 Chevreul. Des diff\u00e9rentes mani\u00e8res dont les corps agissent sur l\u2019organe du go\u00fbt. F. Magendie Journal de Physiologie exp\u00e9rimentale et pathologique IY. Paris 1824.\nHandbuch der Physiologie. Bd. nia.\n10","page":145},{"file":"p0146.txt","language":"de","ocr_de":"146\ny. Yin T SCHG au, Geschmackssinn. Einleitung.\nUm eine Tast- von einer Geschmacksempfindung zu trennen, empfiehlt sich die Application der zu pr\u00fcfenden Substanz auf die Schleimhaut der Mundh\u00f6hle oder jener Z ungentheile, welche f\u00fcr den Geschmack nicht bestimmt sind, mit der Vorsicht jedoch, dass dieselbe ja nicht mit schmeckenden Theilen in Ber\u00fchrung komme.\nUm den Geruchssinn auszuschliessen, haben wir kein anderes Mittel, als die Nase zuzudr\u00fccken, oder durch den Mund allein zu athmen. Es ist eine bekannte Erfahrung, dass feine Weine von ihrer Annehmlichkeit verlieren, wenn man beim Trinken die Nase zuh\u00e4lt, und dass Menschen ohne Geruchssinn den specifischen Geschmack einer Reihe Substanzen nicht vollkommen zu erkennen im Stande sind, obwohl Picht \\ welcher die Ger\u00fcche nicht wahrnahm, diess f\u00fcr seine Person nicht zugibt.\nWerden nun viele Substanzen mit Anwendung der angef\u00fchrten Vorsichten gepr\u00fcft, dann wird man bald die Ueberzeugung gewinnen, dass eine ganze Reihe derselben nicht unter die schmeckbaren gez\u00e4hlt werden darf.\nIn fr\u00fcheren Zeiten hat man auch die Frage aufgeworfen, ob der Geschmackssinn wirklich wie das Gesicht, das Geh\u00f6r und der Geruch in strengster Bedeutung des Wortes als specifischer Sinn angesehen werden d\u00fcrfe oder ob derselbe nicht als eine Modification der allgemeinen Sensibilit\u00e4t aufzufassen sei. F\u00fcr uns hat aber gegenw\u00e4rtig diese Frage keine Bedeutung mehr, da wir nun wissen, dass fast an allen jenen Stellen, welche mit Geschmack versehen sind, auch ganz eigenth\u00fcmlich gebaute Endorgane (Schmeckbecher) der Nerven sich vorfinden, dass der n. glosso-pharyngeus, wenn auch nicht von allen Physiologen als der ausschliessliche, doch von allen ohne Ausnahme als der haupts\u00e4chlichste Geschmacksnerv angesehen wird, und dass nach Durchschneidung desselben die Schme\u00f6kbecher am Zungengrund (Pap. circumvallatae et pap. foliata), dem Hauptsitze des Geschmackssinnes, vollst\u00e4ndig verschwinden. 2 Wir k\u00f6nnen somit durchaus nicht zweifeln, dass der Geschmack als ein specifischer Sinn aufgefasst werden muss, ebenso wie wir als solchen den Geruch, das Gesicht und das Geh\u00f6r bezeichnen.\n1 F. Picht , De gustus et olfactus nexu praesertim argumentis pathologicis et experimentis illustrate\u00bb Dissert. Berolini 1829.\t,\t,\t,\n^ 2 M. v. Vintschgau und J. H\u00f6nigschmied , Nervus glosso - pharyngeus und Schmeckbecher. Archiv f\u00fcr die gesammte Physiologie etc. XIV. S. 443 u. folg.","page":146},{"file":"p0147.txt","language":"de","ocr_de":"1. Cap. Geschmacksorgan. Anatomische Gebilde.\n147\nERSTES CAPITEL.\nDas Geschmacksorgan.\nI. Anatomische Gebilde des Gesclmiaeksorgans.\n1. Die Geschmaekspapillen.\nVon den drei Gattungen Papillen, die an der Zunge Vorkommen, sind nur zwei f\u00fcr den Geschmackssinn bestimmt, n\u00e4mlich die Papillae fungiformes und die Papillae circumvallatae. \u2014 Hiezu muss noch die sogen. Papilla folia ta, oder wie einige Physiologen dieselbe genannt wissen wollen, die Regio foliata gerechnet .werden.\nDie Pap. foliata war schon Albin1 bekannt wie Krause2 und J. H\u00f6nigschmied3 mittheilen. \u2014 Rapp4 hat im Jahre 1832 bei verschiedenen S\u00e4ugethieren am hinteren Theil des Zungenrandes eine Reihe dicht nebeneinander liegender Querspalten beobachtet, und fand dieselben auch bei manchen Menschen wieder. Die Verrichtung dieser Spalten blieb ihm jedoch unbekannt. \u2014 Zwei Jahre sp\u00e4ter 1834 hat Els\u00e4sser5 (in der Note XXI, S. 352\u2014357) angegeben, dass \u201eder Geschmack aller Substanzen auf \u201eden Pap. eircumy. und an einer Stelle des hinteren Theils vom Seiten-\u201erand der Zunge\u201c am intensivsten sei. Diese Stelle ist nach der Beschreibung, welche Els\u00e4sser f\u00fcr die Zunge des Menschen und des Kaninchens gibt nichts anderes als die Pap. foliata; Els\u00e4sser nennt diese Stelle ganz richtig die \u201e S c h m e c k s p a 11 e n der Zunge\u201c. \u2014 Die Aufmerksamkeit der Anatomen wurde dann im Jahre 1842 neuerdings auf dieses Gebilde gerichtet als J. F. C. Mayer6, ohne die Beobachtungen Rapp\u2019s und Els\u00e4sser\u2019s zu kennen, Schleimhautfalten in der Zungenschleimhaut des Menschen und einer grossen Anzahl von S\u00e4ugethieren beschrieb, dieselben als P ap. lingualis foliata seu interlocularis bezeichnete und als Nervenpapille auffasste.7\n1\tAlbinus, Academicarum Annotationum. Lib. I. S. 58. Leidae 1754 ; nach J. H\u00f6-nigscmied citirt.\n2\tKrause, Die Nerven-Endigung in der Zunge des Menschen. G\u00f6ttinger Nachrichten 1870. S. 423.\n3\tJ. H\u00f6nigschmied , Beitr\u00e4ge zur microscop. Anatomie der Geschmacksorgane. Ztschr. f. wissensch. Zool. XXIII. S. 414.\n4\tRapp, Die Verrichtungen des f\u00fcnften Nervenpaares. S. 8 Anm. Leipzig 1832.\n5\tEls\u00e4sser in F ! Magendie Lehrbuch der Physiologie, aus dem Franz\u00f6sischen \u00fcbersetzt mit Anmerkungen und Zus\u00e4tzen von D. C. L. Els\u00e4sser. 3. Aufi. I. T\u00fcbingen 1834.\n6\tJ. F. C. Mayer, Neue Untersuchungen aus dem Gebiete der Anatomie und Physiologie. S. 25 und 26. Bonn 1842.\n7\tNach Mayer hat Arnold in seinen anatomischen Tafeln die Seitenfurchen der Zunge als Striae transversae genau bezeichnet, aber dieses Organ nicht davon getrennt und unterschieden.\n10*","page":147},{"file":"p0148.txt","language":"de","ocr_de":"148\nv. Vintschgau, Geschmackssinn. 1. Cap. Geschmacksorgan.\nDie Angaben Mayer\u2019s wurden auch von Huschke in einer Anmerkung S. 590 (Eingeweidelehre des Menschen) ausf\u00fchrlich mitgetheilt (vergl. Exner1). \u2014 Br\u00fchl2 ankn\u00fcpfend an die Beobachtungen Rapp\u2019s und Mayer\u2019s beschrieb im Jahre 1850 ein solches Gebilde bei einigen Haus-S\u00e4uge-thieren; dasselbe wurde aber von ihm als Zungenr\u00fcckendr\u00fcse bezeichnet. K\u00f6lliker3 1852 S. 35 nannte dieses Organ die Randdr\u00fcsen der Zungenwurzel. \u2014 Es war jedoch dem letzten Decennium Vorbehalten die Wichtigkeit dieser Falten (Pap. foliata) f\u00fcr den Geschmackssinn mit voller Sicherheit zu bestimmen, womit auch die Ansicht Els\u00e4sser\u2019s best\u00e4tigt wurde.\nWir m\u00fcssen bez\u00fcglich des Vorkommens und der Form der Pap. foliata bei den einzelnen S\u00e4ugethieren auf die Schriften von Mayer (1. c.), v.Wyss4, Engelmann5 6, v. Aytai9 10, H\u00f6nigschmied7 und v. Ebner8 verweisen.\n2. Stellen, an welchen die Schmeckbecher Vorkommen.\nAls die wichtigsten Endgebilde der Geschmacksnerven bei den S\u00e4ugethieren m\u00fcssen wir die gleichzeitig von Lov\u00e9n9 und von Schwalbe 10 entdeckten Gebilde betrachten, welche vom ersteren als Geschmacksknospen oder Geschmackszwiebeln, vom zweiten, nach dem Vorschl\u00e4ge von M. Schultze, als Schmeckbecher bezeichnet wurden. W. Krause (cit. S. 147) nennt dieselben Epithel-knospen, Henle 11 Geschmacksknospen.\nWas das Vorkommen der Schmeckbecher betrifft, so ist folgendes anzuf\u00fchren:\nPapillae circumvallatae (Lov\u00e9n, Schwalbe, H\u00f6nigschmied). Bei allen bis jetzt untersuchten S\u00e4ugethieren fand man\n1\tExner, Med.-Chirurg. Rundschau. Juni-Heft. S. 400. Wien 1872.\n2\tBr\u00fchl. Ueber das MAYER\u2019sche Organ an der Zunge der Haus-S\u00e4ugethiereoder die seitliche Zungenr\u00fccken-Dr\u00fcse derselben. Vierteljahrschrift f\u00fcr wiss. Veterin\u00e4rkunde I. S. 165. Wien 1851 und Kleine Beitr\u00e4ge zur Anatomie der Haus-S\u00e4ugethiere. Wien 1850.\n3\tA. K\u00f6lliker, Microscopische Anatomie II. Specielle Gewebelehre. 2. H\u00e4ltte.\n1. Abth. Leipzig 1852.\t*\t.\n4\tvon Wyss, Heber ein neues Geschmacksorgan auf der Zunge des Kaninchens. Centralbl. f. d. med. Wiss. Nr. 35. S. 548. 1869. Derselbe, Die becherf\u00f6rmigen Organe der Zunge. M. Schultze, Arch. f. microscop. Anat. VI. S. 238.\n5\tEngelmann, die Geschmacksorgane in Stricker\u2019s Gewebelehre. S. 822.\n6\tA. v. Aytai, Ein Beitrag zur Kenntniss d. Geschmacksorgane. Arch. f. micr.\nAnat. VIII. S. 455.\t\u201e\t1\n7\tJ. H\u00f6nigschmied, cit. S. 147. Derselbe, Kleine Beitr\u00e4ge zur Vertheilung der Geschmacksknospen bei den S\u00e4ugethieren. Ztschr. f. wiss. Zool. XXIX. S. 255. 1877.\n8\tV. Ritter von Ebner, Die acin\u00f6sen Dr\u00fcsen der Zunge und ihre Beziehungen zu den Geschmacksorganen. Gratz 1873.\n9\tLov\u00e9n, Beitr\u00e4ge zur Kenntniss vom Bau der Geschmacksw\u00e4rzchen der Zunge. Arch. f. microscop. Anat. IV. S. 96. 1867.\n10\tSchwalbe , Das Epithel der papillae vallatae. Vorl\u00e4ufige Mittheilung. Arch, f. microscop. Anat. III. S. 504. 1867. Derselbe, Ueber die Geschmacksorgane d. S\u00e4uge-thiere und des Menschen. Arch. f. microscop. Anat. IV. S. 154.1867 und M. Schultze, Erkl\u00e4rung die Entdeckung der Schmeckbecher von G. Schwalbe betreffend. Arch. f. microscop. Anat. VIII. S. 660. 1872.\n11\tHenle, Handbuch der system. Anatomie des Menschen II. 2. Aull. S.873. 1873.","page":148},{"file":"p0149.txt","language":"de","ocr_de":"Anatomische Gebilde.\n149\ndortselbst Schmeckbecher. Bei einigen finden sie sieb bloss in dem durch den Wall geschlitzten Seiten-Epithel der Papille, welche sie g\u00fcrtelf\u00f6rmig umgeben; bei anderen (Mensch, Hund, Ratte, Kaninchen, Hasen, W\u00fchl- und Hausmaus) auch an der entsprechenden Seite des Ringwalles; bei den zwei erst Genannten jedoch nur in einzelnen Exemplaren, w\u00e4hrend sie bei den anderen gew\u00f6hnlich in derselben Zahl wie am seitlichen Abhange der Papille anzutreffen sind. Beim Menschen und bei einer Reihe S\u00e4ugethieren kommen sie in wechselnder Zahl auch auf der freien Oberfl\u00e4che der umwallten Papillen vor (Schwalbe 1, H\u00f6nigschmied 2).\nPapillae fungiformes (Lov\u00e9n (cit. S. 148), Schwalbe (1. c.), y. Wyss (cit. S. 148), W. Krause (cit. S. 147), Engelmann (cit. S. 148), H\u00f6nigschmied (cit. S. 147), Ditlevsen3, Hoffmann4). In dem Epithel, das die obere Fl\u00e4che der Papillen \u00fcberzieht und auch an den Seitenfl\u00e4chen desselben wurden Schmeckbecher beobachtet. Ihre Zahl ist aber klein und bei den verschiedenen Thiergattungen wechselnd.\nPapilla f o lia ta (v. Wyss, Engelmann, H\u00f6nigschmied, Hoffmann). Bei allen jenen Thieren, an welchen bis jetzt eine Pap. foliata gefunden wurde, hat man daselbst auch Schmeckbecker entdeckt.\nAuf dem hintersten Abschnitte des Zungenr\u00fcckens, bis dicht zu der Stelle, wo sich die Schleimhaut des Zungenr\u00fcckens auf die Epiglottis \u00fcberschl\u00e4gt, hat A. Hoffmann (1. c.) noch deutliche Geschmacksknospen gesehen.\nDer weiche Gaumen. A. Hoffmann (1. c.) bemerkt, dass an demselben neben zahlreicheren kleineren Papillen auch seltenere gr\u00f6ssere Papillen Vorkommen, welche in der Gegend der Uvula besonders zahlreich sind. Sehr viele dieser gr\u00f6sseren Gaumenpapillen besitzen Schmeckbecher und er fand solche geschmacksknospentragende Papillen regelm\u00e4ssig in jener Gegend des weichen Gaumens, welche etwas oberhalb der Uvula gelegen ist. Jede Papille dieser Gegend trug mehrere Schmeckbecher (S. 524). A. Hoffmann fand grosse, denen am weichen Gaumen \u00e4hnliche Papillen bis zur Grenze\n1\tSchwalbe, ZurKenntniss der Papillae fungiformes d. S\u00e4uget liiere. Centralbl. f. d. med. Wiss. Nr. 28. S. 433. 1868.\n2\tJ. H\u00f6nigschmied, Ein Beitrag \u00fcb. die Verbreitung der becherf\u00f6rmigen Organe auf der Zunge der S\u00e4ugethiere. Centralbl. f. d. med. Wiss. No. 26. S. 401. 1872.\n3\tDitlevsen , Unders\u00f6gelse over smagl\u00f6gene paa tungen hos patte dyrene og\nmennesket Kopenhagen 1872. Referat in Hofmann und Schwalbe Jahresb.I. Lit. 1872. S.211.\t^\n4\tA. Hoffmann, lieber die Verbreitung der Geschmacksorgane beim Menschen. Arch. f. pathol. Anat. LXII. S. 516. 1875.","page":149},{"file":"p0150.txt","language":"de","ocr_de":"150\ny. Vintschgau, Geschmackssinn. 1. Cap. Geschmacksorgan.\nzwischen hartem und weichem Gaumen, sowie auch auf der gegen die Mundh\u00f6hle zugewandten Fl\u00e4che des Arcus glosso-palatinus. A. Hoffmann sagt aber nicht, dass er hier Schmeckbecher wahrgenommen habe (S. 524).\nEpiglottis. Verson 1 hat zuerst becherf\u00f6rmige ungef\u00e4hr im zweiten Viertel der hinteren Epiglottisfl\u00e4che des Menschen liegende Organe beschrieben. Nachher wurden sie bei Menschen und Thieren von verschiedenen Forschern beobachtet (Krause (cit. S. 147), H\u00f6nig-schmied (cit. S. 147), Schofield'1 2, Davis3)-\u2014 A. Hoffmann (cit. S. 149) hat niemals auf der Epiglottis wirkliche Geschmacksknospen gefunden. Die ausf\u00fchrlichste Beschreibung \u00fcber das Vorkommen der becherf\u00f6rmigen Organe an der Epiglottis und an verschiedenen Theilen des Kehlkopfes verdanken wir Davis (1. c.). Beim erwachsenen Menschen fand dieser die Schmeckbecher mehr in den oberen Partien der Hinterfl\u00e4che der Epiglottis, ausserdem an der inneren Fl\u00e4che des Processus arvtaenoideus, ferner auch einige an der Aussenseite desselben dicht unter der Spitze. \u2014 Die becherf\u00f6rmigen Organe des Kehlkopfes sind sehr \u00fcbereinstimmend mit jenen der Zunge gebaut.\nEs sei liier schliesslich noch erw\u00e4hnt, dass v. Ebner (cit S. 148) in der N\u00e4he der umwallten und der bl\u00e4ttrigen Papillen ser\u00f6se Dr\u00fcsen beschrieben hat, welche f\u00fcr die Geschmacksorgane von Bedeutung zu sein scheinen.\n3. Die Schmeckbecher.\nDie mikroskopische Struktur der Geschmacksknospen bei den S\u00e4ugethieren wird von allen Forschern (Lov\u00e9n (cit. S. 148), Schwalbe (cit. S. 148), v. Wyss (cit. S. 148), Engelmann (cit. S. 148), v. AvTAi(cit. S. 148), Ditlevsen4, H\u00f6nigschmied (cit. S. 147)), fast \u00fcbereinstimmend angegeben, und die kleinen Abweichungen, die wir finden, beziehen sich meistens auf die Formen der inneren Zellen.\nDie Gestalt und die Gr\u00f6sse der Schmeckbecher ist nicht bloss bei verschiedenen Thieren, sondern auch bei demselben Thier, je nach dem Orte, an welchem sie Vorkommen etwas verschiedenartig ;\n1\tVerson, Beitr\u00e4ge zur Kenntniss des Kehlkopfes und der Trachea. Sitzgsber. d. Wiener Acad. l.Abth. LVII. S. 1093. 1868. Derselbe, Kehlkopf und Trachea in Stricker\u2019s Handbuch der Lehre von den Geweben I. S. 456. Leipzig 1871.\n2\tShofield B. H. A., Observations of taste-goblets in the epiglottis of-the dog and cat. Journ. of anat. and physiol. X. p. 475. 1876. Nach Hofmann und Schwalbe\u2019s Jahresberichten V. S. 362. Literatur 1876.\n3\tDavis C., Die becherf\u00f6rmigen Organe des Kehlkopfes. Arch. f. microscop. Anat. XIV. S. 158. 1877.\n4\tDitlevsen, Hofmann und Schwalbe\u2019s Jahresbericht 1872. S. 211 und Henle, Handbuch der syst. Anatomie. II. 2. Aufl. S. 873 ff. 1873.","page":150},{"file":"p0151.txt","language":"de","ocr_de":"Anatomische Gebilde.\n151\nim allgemeinen jedoch besitzen dieselben eine Form, welche einem Glaskolben mit kurzem Halse sehr \u00e4hnlich ist, ihr L\u00e4ngsdurchmesser \u00fcb er trifft den gr\u00f6ssten Dickendurchmesser Schwalbe (1. c.), Engelmann (1. c.), H\u00f6nigschmied (1. c.).\nDer untere oder innere Theil des Schmeckbechers ruht auf dem Bindegewebe der Schleimhaut, der K\u00f6rper und vorzugsweise der obere schm\u00e4chtigere Theil wird von den Epithelzellen umgeben. Jeder Schmeckbecher m\u00fcndet an der Oberfl\u00e4che des Epithels mit einer Oeffnung, die man Porus nennt. Das Wort Porus wird h\u00e4ufig gebraucht, nicht bloss um die \u00e4usserste Oeffnung, sondern auch um den ganzen kurzen Kanal in der Epithelschicht zu bezeichnen. Der Durchmesser dieses Porus betr\u00e4gt 0,0064 bis 0,0198 mm. und wird bald von zwei bald von drei Zellen begrenzt, die in entsprechender Weise ausgeschnitten sind; manchmal wird der Porus nur von einer einzigen durchbohrten Zelle gebildet. Auf gleiche Weise ist auch der kurze Kanal von den Epithelzellen begrenzt.\nAn jeder Geschmacksknospe unterscheidet man zwei Arten Zellen: \u00e4ussere oder oberfl\u00e4chliche als Deck-, St\u00fctz- oder Umh\u00fcllungszellen und innere oder centrale als Geschmacks- oder Stiftchenzellen. \u2014 Die Deckzellen, welche als metamorpho-sirte Epithelzellen angesehen werden k\u00f6nnen, umgeben die Schmeckbecher wie die Kelchbl\u00e4tter eine Blumenknospe, und decken sich auch theilweise in Form von Dachziegeln. Diese Zellen sind lang, schmal, spindelf\u00f6rmig und gekr\u00fcmmt; sie besitzen einen deutlichen Kern, das periphere oder \u00e4ussere Ende ist zugespitzt, das centrale oder innere ist manchmal ver\u00e4stelt (Lov\u00e9n, Schwalbe, Wyss, H\u00f6nigschmied \u00cf. c.). \u2014 Die Geschmackszellen sind d\u00fcnn, lang und stark lichtbrechend; ihr K\u00f6rper wird fast ganz von einem sch\u00f6nen Kern ausgef\u00fcllt, und geht in zwei deutliche Forts\u00e4tze \u00fcber ; der obere oder periphere Fortsatz ist m\u00e4ssig breit und tr\u00e4gt eine kurze feine einem Stiftchen oder H\u00e4rchen \u00e4hnliche Spitze, daher auch der Name Stiftchenzellen. Die Stiftchen liegen innerhalb des kurzen Kanals und ragen h\u00f6chst selten aus dem Porus heraus. Der untere oder centrale Fortsatz ist d\u00fcnn und theilt sich wieder in mehrere Forts\u00e4tze (Engelmann, Wyss). \u2014 Die Zahl der Geschmackszellen wird sehr verschiedenartig angegeben (Lov\u00e9n, Wyss, H\u00f6nigschmied).\nEs ist noch anzuf\u00fchren, dass Schwalbe (cit. S. 148) zwei Gattungen Geschmackszellen unterscheidet: die Stiftchenzellen, die eben erw\u00e4hnt wurden, und die St ab zell en, bei welchen der obere Fortsatz k\u00fcrzer, gleichm\u00e4ssig breit, vorne abgesetzt und ohne Stift ist. \u2014 Auch Wyss (cit. S. 148) beschreibt eine zweite Art von Geschmackszellen, meint","page":151},{"file":"p0152.txt","language":"de","ocr_de":"152\nv. ViNTscHGAU, Geschmackssinn. 1. Cap. Geschmacksorgan.\naber, dass diese von den gew\u00f6hnlichen Stiftchenzellen nicht wesentlich verschieden seien. \u2014 Krause (cit. S. 147) erw\u00e4hnt dreierlei Formen der inneren Zellen, die er mit den Namen Spindel-, St\u00e4bchen und Gabelzellen belegt. \u2014 Auch Ditlrvsen1 unterscheidet drei Gattungen Zellen, n\u00e4mlich Stab- Gabelzellen und eine dritte Form, die er nicht n\u00e4her bezeichnet, er l\u00e4sst sogar unentschieden, ob letztere eigenth\u00fcm-licher Art oder verst\u00fcmmelte Stabzellen seien.\nSchwalbe beschrieb ausserdem beim Schaf an der Spitze der Knospe einen Kranz von feinen kurzen H\u00e4rchen, deren Spitzen nach innen con-vergiren, er vermutliet, dass sie auf den Spitzen der Deckzellen aufsitzen ; H\u00f6nigschmied (cit. S. 147) hat diese H\u00e4rchen nicht beobachtet, auch Schwalbe f\u00fchrt an, dass bei Menschen und bei anderen Thieren diese H\u00e4rchen nicht nachzuweisen waren.\n4. Zusammenhang der Nervenfasern mit dem Schneckbecher.\nEine interessante histologische Frage ist der Zusammenhang der Schmeckbecher mit den Nervenfasern. Dass ein solcher Zusammenhang Vorkommen m\u00fcsse, wird von allen Autoren, die sich mit den Schmeckbechern befassten, vorausgesetzt, die positiven Angaben sind aber noch sp\u00e4rlich.\nSowohl in der N\u00e4he der Papillae circumvallatae, wie auch der Papilla foliata findet man im Verlaufe der Nervenb\u00fcndel sehr zahlreiche kleinere oder gr\u00f6ssere Anh\u00e4ufungen von Ganglienzellen. (Schwalbe (cit. S. 148), Engelmann (cit. S. 148).2\nUeber das Verhalten der Nerven innerhalb der Papillen liegen verschiedenartige Angaben vor, es scheint aber dass bei den einzelnen Thiergattungen Unterschiede Vorkommen. \u2014 Schwalbe (1. c.), v. Wyss (1. c.), Engelmann (1. c.) und Krause (1. c.) konnten den Zusammenhang der Nervenfasern mit den Schmeckbechern nicht beobachten, nur Lov\u00e9n (cit. S. 148) Note S. 107, sagt: er habe in einem Falle einen deutlich doppelt contourirten, kernhaltigen Nervenfaden durch eine sehr k\u00f6rnige Masse, in welcher zahlreiche Kerne eingebettet waren, mit drei von der Umgebung isolirten Geschmackszwiebeln Zusammenh\u00e4ngen gesehen. \u2014 H\u00f6nigschmied (cit. S. 147) beobachtete an der Papilla foliata des Kaninchens nach der Behandlung mit verd\u00fcnnter Chroms\u00e4ure (Vso pCt.) eine directe Verbindung der Nervenfasern mit den centralen Ausl\u00e4ufern der Geschmackszellen, jedoch bleibt diese Beobachtung, insofern die Differenzirung so feiner Ner-\n1\tNach der Angabe von Henle in Handbuch der syst. Anatomie des Menschen. II. 2. Aufl. S. 873ff. 1873.\n2\tKemak (Arch. f. Anat. u. Physiol. S. 58. 1852) fand an den feinsten Aestchen des r. lingualis trigemini im Inneren der Zunge kleine Ganglien (vgl. Henle\u2019s Nervenlehre. 2 Aufl. S. 436.1879).","page":152},{"file":"p0153.txt","language":"de","ocr_de":"Begrenzung des Geschmacksorgans.\n153\nyenfasern von den \u00fcbrigen Geweben ungemein schwer ist, noch zweifelhaft. In einem andern Falle gelang es ihm durch Goldchlorid an einer Papilla fungiformis der Katze den Zusammenhang zwischen Nervenfasern und Schmeckbechern zu beobachten, wobei er annimmt, dass die Nervenfasern mit den Geschmackszellen in Verbindung stehen, da die \u00e4usseren Deckzellen durch das Goldchlorid nicht gef\u00e4rbt waren. \u2014 Sertoli1 beschreibt an der Pferdezunge die Verbindung der Schmeckbecher mit den Nervenfasern in der Art, dass aus dem subepithelialen nerv\u00f6sen Plexus Fasern bis in die Schmeckbecher gelangen; diese selbst waren durch das Goldchlorid stark gef\u00e4rbt und Sertoli konnte desshalb nicht beobachten wie die Nervenfasern sich mit den Geschmackszellen verbanden.\nSertoli beschreibt ausserdem beim Pferde intraepitheliale Nervenendigungen (Goldchlorid-Pr\u00e4parate), welche um den Porus der Schmeckbecher sowohl der Pap. fol. wie auch der circumv. ein dichtes Netz bilden. Auch unterhalb der Hornschicht des Epithels der Pap. fung. fand er ein \u00e4hnliches Nervennetz. Er fand keine Schmeckbecher in den Pap. fung. des Pferdes.\nII. Begrenzung des Gesclnnacksorgans.\n1. Methoden um die mit Geschmackssinn versehenen Tlieile zu\nermitteln.\nUm die geschmacksvermittelnden Stellen zu erforschen, kann man drei verschiedene Methoden anwenden:\n1.\tDie am meisten angewendete Methode ist, dass man die einzelnen Mundtheile mit den verschiedenen schmeckbaren Substanzen betupft; wir werden dieselben bald etwas n\u00e4her besprechen.\n2.\tNeumann'2 ben\u00fctzte die elektrische Reizung um die ge-macksvermittelnden Stellen zu erforschen. Er wendete Str\u00f6me an, welche die sensitiven Nerven nicht erregen. Die wohl isolirten Electroden endeten knopff\u00f6rmig und deren Entfernung betrug nur V2 Linie. Sie wurden sehr sanft applicirt und hin und her bewegt, wodurch die Geschmacksempfindung deutlicher hervortritt. Es ge-\n1\tE. Sertoli, Osservazioni sulle terminazioni dei nervi del gusto. Gazzetta medico - veterinaria. IV. 2. Separatabdruck. Deutsch in Molesch. Unters. XI. 4. Hft. S. 403. 1874.\n2\tE. Neumann, Die Electricit\u00e4t als Mittel zur Untersuchung des Geschmackssinnes im gesunden und kranken Zustande und die Geschmacksfunction der Chorda tympani; K\u00f6nigsberger med. Jahrb. IV. S. 1\u201422. 1864. Es wurden ben\u00fctzt Henle und Meissner, Jahresbericht 1864. S. 552 und Canstatt\u2019s Jahresb. 1864. I. S. 213.","page":153},{"file":"p0154.txt","language":"de","ocr_de":"154\nv. ViNTSCHGAU, Geschmackssinn. 1. Cap. Geschmacksorgan.\nlangte bloss die saure dem positiven Pole eigene Empfindung zur Beobachtung.\n3. Sollte sich mit Sicherheit nachweisen lassen, dass die becherf\u00f6rmigen Organe die ausschliesslichen Endorgane der Geschmacks-nerven sind, dann h\u00e4tten wir in der Ermittlung ihres Vorkommens ein wichtiges anatomisches Mittel um die schmeckenden Stellen mit Genauigkeit zu bestimmen.\nDie Anwendung der ersten Methode bietet einige Schwierigkeiten, die wir hier namhaft machen m\u00fcssen.\na)\tAlle jene Stellen, welche Geschmacksempfindungen vermitteln, vermitteln auch gleichzeitig Gef\u00fchlsempfindungen. Wir haben schon fr\u00fcher (ob. S. 146) angegeben, wde man beide auseinander zu halten hat.\nb)\tViele Stoffe, welche den Geschmackssinn zu erregen scheinen, afficiren eigentlich den Geruchssinn, es d\u00fcrfen desshalb nur geruchlose schmeckbare Substanzen angewendet werden; ben\u00fctzt man aber riechende Substanzen, dann ist jene Vorsicht zu beobachten, die wir oben (S. 146) erw\u00e4hnten.\nc)\tDie grosse Beweglichkeit der Zunge hat zur Folge, dass die an einer Stelle applicirte Substanz sehr leicht auf andere Stellen \u00fcbertragen wird, wodurch \u00e4usserst leicht T\u00e4uschungen entstehen.\nd)\tDie apjdicirte Substanz kann, obwohl die Zunge ruhig gehalten wird, entweder durch Capillarit\u00e4t oder durch Diffusion im Speichel auf benachbarte Stellen sich verbreiten.\ne)\tEndlich ist es m\u00f6glich, dass eine schmeckbare Substanz nicht an allen mit Geschmackssinn begabten Stellen die gleiche Geschmacksempfindung hervorruft.\nObwohl aus dem Gesagten von selbst sich die Vorsichten ergeben, welche man bei solchen Versuchen beobachten muss, wird es doch nicht \u00fcberfl\u00fcssig sein, ausser den bereits fr\u00fcher angef\u00fchrten, Vorsichtsmaassregeln hier noch einige andere zu erw\u00e4hnen.\nDie am h\u00e4ufigsten angewendete Applicationsmethode besteht darin, dass man einen kleinen Pinsel oder ein Schw\u00e4mmchen mit der schmeckbaren Substanz impr\u00e4gnirt und damit die einzelnen Mundstellen betupft. Um die benachbarten Stellen von der Ber\u00fchrung mit der schmeckbaren Substanz auszuschliessen, hat man jene mit einer Membran bedeckt, eine Vorsicht, die ganz \u00fcberfl\u00fcssig ist, ja sogar nachtheilig sein kann.\nSchmeckbare Substanzen in fester Form (Krystalle z. B.) werden auch in der Art angewendet, dass man Splitterchen auf die untersuchte Stelle auf legt.\nEine Methode, welche sich besonders zur Untersuchung der ei-","page":154},{"file":"p0155.txt","language":"de","ocr_de":"Begrenzung des Geschmacksorgans.\n155\ngenen tieferen Mundtlieile eignet, weil dadurch die Ber\u00fchrung der schmeckbaren Substanz mit anderen Stellen verh\u00fctet wird, besteht darin, dass die schmeckbare Substanz auf die eine Fingerfl\u00e4che gelegt und mit derselben die zu untersuchende Stelle ber\u00fchrt wird.\nEndlich wurde auch eine kurze schmale R\u00f6hre auf eine Zungenstelle applicirt und dieselbe mit der schmeckenden Fl\u00fcssigkeit gef\u00fcllt.\nDie Temperatur der angewendeten Substanzen darf weder zu hoch, noch zu niedrig sein.\nDie Theile, auf welche die schmeckbare Substanz applicirt wird, d\u00fcrfen nicht eher bewegt werden, als bis mittelst einfacher verabredeter Zeichen angegeben ist, ob und welche Geschmacksempfindung stattgefunden.\nDie Versuche sollen nicht bloss mit einer, sondern mit mehreren Substanzen vorgenommen werden, ja es ist sogar nothwendig, dass der zu unt\u00e8rsuchenden Person unbekannt sei, welche schmeckbare Substanz applicirt wird; es ist ferner auch erw\u00fcnscht, dass einige Vexirversuche mit destillirtem Wasser eingeschoben werden.\nEndlich beachte man auch, ob das verabredete Signal rasch oder sehr langsam gegeben wird ; denn im ersten Falle kann man, vorausgesetzt, dass die Versuche richtig angestellt wurden, mit Sicherheit annehmen, dass die betupfte Stelle wirklich mit Geschmackssinn begabt ist; auch im zweiten Falle ist dies nicht ausgeschlossen, nur wird man dann mit seinem Urtheile vorsichtiger sein m\u00fcssen.\n2. Theile, die mit Geschmackssinn versehen sind.\nVon den Lippen bis zum Magen giebt es keine Stelle, welcher nicht von einem oder dem anderen Physiologen Geschmacksf\u00e4higkeit zugeschrieben worden w\u00e4re. Horn 1 und sp\u00e4ter Klaatsch und Stich'1 2 haben die Literatur \u00fcber diesen Gegenstand zusammengestellt,3\nUm in einer gewissen Ordnung vorzugehen, werden wir mit den vordersten Theilen beginnen; wir sind aber auch gen\u00f6thigt, nicht bloss\n1\tW. Horn, Ueber den Geschmackssinn des Menschen. Heidelberg 1825.\n2\tDr. Klaatsch und Dr. A. Stich, Ueber den Ort der Geschmacksvermittlung. Arch. f. pathol. Anat. XIY. S. 225.\n3\tIch f\u00fchre w\u00f6rtlich eine Angabe Daniels (Petrus Josephus Daniels Gustus organi novissime detecti Prodromus. Dissert. Moguntiae 1790) \u00fcber die Verbreitung des Geschmackssinns an, weil dieselbe mit unseren gegenw\u00e4rtigen Kenntnissen eine grosse Uebereinstimmung zeigt. S. 91 sagt er: linguae tantum apicem, margines et basim ejusdem saporum diversa irritamenta sentire, totum autem, quod reliquum est, oris cavum ad hunc sensum plane ineptum esse ; und sp\u00e4ter S. 93 nach Anf\u00fchrung, dass ausser der Zunge auch anderen Mundtheilen Geschmacksf\u00e4higkeit zugeschrieben wurde, schreibt er : verum his exp\u00e9rimenta cautius instituta contradicunt, quibus id evincitur ad linguae apicem tantum et margines ejusdem que basin deinde ad molle palatum, velumque palati pendulum sapores percipi.","page":155},{"file":"p0156.txt","language":"de","ocr_de":"156\nv. Vintschgau, Geschmackssinn. 1. Cap. Geschmacksorgan.\ndie positiven, sondern auch in einigen F\u00e4llen die negativen Resultate mit-zutheilen.\nDie Lippen, das Zahnfleisch (innerlich und \u00e4usserlich), der Boden der Mundh\u00f6hle, die Schleimhaut der Wangen werden \u00fcbereinstimmend von den neueren Physiologen als nicht schmeckend angesehen. Nur Urbantschitsch 1 S. 9 und 10 sagt, dass die Geschmacksf\u00e4higkeit der Wangenschleimhaut im Kindesalter keineswegs selten ist. Bei 50 erwachsenen Individuen konnte Urbantschitsch an der Wangenschleimhaut keinen Geschmack finden.\nUntere Fl\u00e4che der Zunge. Verni\u00e9res'2 und Valentin3 haben der Unterfl\u00e4che der Zunge Geschmack zugeschrieben, aber schon Guyot und Admyrauld4 sp\u00e4ter Klaatsch u. Stich (cit. S. 155) haben diese Angaben in soweit beschr\u00e4nkt, als letztere anf\u00fchren, der schmeckende Saum n\u00e4here sich nur ,selten der Unterfl\u00e4che der Zunge. Drielsma5 6 7 berichtet, dass er an der Spitze der Unterfl\u00e4che der Zunge manchmal keinen Geschmack fand, w\u00e4hrend Urbantschitsch (1. c.) die untere Zungenfl\u00e4che zu beiden Seiten des frenulum zu jenen Theilen z\u00e4hlt, welche Geschmack vermitteln k\u00f6nnen.\nObere Fl\u00e4che der Zungenspitze. Wagner'1, Funke 7 sprechen der Zungenspitze den Geschmack ab, Valentin (1. c. i sagt, dass der mittlere und vordere Theil des Zungenr\u00fcckens keine wahre Geschmacksempfindung vermittle. Inzani und Lussana8 9 theilen mit, dass sie mit der Zungenspitze das Bittere nicht empfinden k\u00f6nnen; sie bemerken aber ausdr\u00fccklich, dass die Unempfindlichkeit des vorderen Theiles der Zunge f\u00fcr bittere Geschm\u00e4cke nicht bei allen Individuen constant und gleich ist. Nach Schiff 9 soll die Zungenspitze das Bittere nur unvollkommen, das Saure dagegen gut schmecken. Drielsma (1. c.) fand, dass der Geschmack an der Zungenspitze wohl oft erkannt, manchmal aber auch entweder Nichts oder anfangs ein fremdartiger, dann der richtige Geschmack\n1\tDr. V. Urbantschitsch , Beobachtungen \u00fcber Anomalien des Geschmacks, der Tastempfindungen und der Speichelsecretion in Folge von Erkrankungen der Paukenh\u00f6hle. Stuttgart 1876.\n2\tVerni\u00e9res Physiologische Untersuchungen \u00fcber den Sinn des Geschmacks. Froriep\u2019s neue Not. Nr. 423 (XX. Nr. 5) und Nr. 424 (XX. Nr. 6) M\u00e4rz 1828 ; entnommen aus R\u00e9pertoire d\u2019Anatomie et de Physiologie parM. Breschet IV. (3 Trim, de 1827) S. 39.\n3\tG. Valentin, De functionibus nervorum cerebralium et nervi svmpathici libri quattuor. Bernae et Sangalli Helvetiorum 1839. Derselbe, Lehrbuch der Physiologie des Menschen f\u00fcr Aerzte und Studirende. II. 2. Aufl. 2. Abth. Braunschweig 1848.\n4\tGuyot u. Admyrauld, Ueber den Sitz des Geschmackssinnes beim Menschen, Froriep\u2019s neue Not. Nr. 581. (XXVII. Nr. 9) April 1830.\n5\tA. Drielsma, Onderzoek over den zetel vanhetsmaakzintnig. Diss. Groningen 1859. Auszug in Henle u. Meissner, Bericht \u00fcber die F ortschritte der Anat. u. Phys. 1858. S. 640 und Canstatt\u2019s Jahresb. 1859. I. S. 89.\n6\tR. Wagner, Lehrbuch der speciellen Physiologie. 3. Aufl. Leipzig 1845. Derselbe, Best\u00e4tigung des PANizzA\u2019schen Lehrsatzes, dass das neunte Nervenpaar(n. glosso-pharyngeus) der Geschmacksnerve ist. Froriep\u2019s neue Not. Nr. 75. (IV. Nr. 9) Nov. 1837. S. 128.\n7\t0. Funke, Lehrbuch der Physiologie. II. 3. Aufl. Leipzig 1860.\n8\tG. Jnzani e F. Lussana, Sui nervi del gusto. Annali universali di medicina. CLXXXI. Agosto 1862. Die mir vorliegende Schrift ist ein Separatabdruck.\n9\tSchiff, Le\u00e7ons sur la Physiologie de la digestion. I. Florence et Turin 1867.","page":156},{"file":"p0157.txt","language":"de","ocr_de":"Begrenzung des Geschmacksorgans.\n157\nangegeben wurde. Bei mir selbst1 fand ich, dass ich mit meiner Zungenspitze das Saure ganz gut, etwas weniger das S\u00fcsse, bedeutend weniger das Salzige und fast gar nicht das Bittere erkennen kann.\nAlle \u00fcbrigen Physiologen Verni\u00e8res (cit. S. 156) Guyot und Admyrauld (cit. S. 156), Klaatsch und Stich (cit. S. 155), Camerer2, Els\u00e4sser (cit. S. 147), Kornfeld 3, Schirmer 4 5, Budge 5 und Neumann (cit. S. 153) schreiben der Zungenspitze Geschmack zu. Die Angaben von Neumann beziehen sich aber bloss auf den sauren Geschmack, welcher entsteht, wenn man die Zungenspitze mit der Elektricit\u00e4t reizt. Urbantschitsch (cit. S. 156) muss, obwohl er die Zungenspitze nicht ausdr\u00fccklich erw\u00e4hnt, doch zu denjenigen gez\u00e4hlt werden, welche der Zungenspitze einen ausgezeichneten Geschmack zuschreiben, da er den ganzen Zungenrand als mit solchem begabt ansieht.\nDiese Angaben zeigen uns sehr deutlich, dass die Geschmacksf\u00e4higkeit der Zungenspitze bei vielen Personen sehr ausgesprochen ist, dass aber dieselbe bei anderen nur im geringen Grade und nur f\u00fcr gewisse Geschm\u00e4cke vorhanden ist, und bei wieder anderen vollst\u00e4ndig fehlt.\nZungenr\u00e4nder. Els\u00e4sser (cit. S. 147) schreibt den Zungenr\u00e4ndern eine geringere Geschmacksf\u00e4higkeit zu als der Zungenspitze. Drielsma (cit. S. 156) fand, dass manchmal kein oder ein anderer Geschmack angegeben wurde, oder die Empfindung erst sp\u00e4t entstand. Die R\u00e4nder meiner Zunge besitzen keine Geschmacksf\u00e4higkeit.\nYerni\u00e9res (1. c.), Guyot und Admyrauld (1. c.), Guyot6, Budge (1. c.), Schirmer (1. c. ', Klaatsch und Stich (1. c.), Neumann (1. c.), Urbantschitsch (1. c.), schreiben den Zungenr\u00e4ndern Geschmack zu.\nZuerst Guyot und Admyrauld (1. c.) sp\u00e4ter Klaatsch und Stich (1. c.) fanden, dass der Zungenrand in einer Breite von zwei bis vier Linien Geschmack vermittelt, und Neumann (1. c.) gibt an, dass die Breite des schmeckenden Saumes an der Spitze und an den R\u00e4ndern mehrere Linien betr\u00e4gt, und dass dieser Saum zum gr\u00f6sseren Theil nach oben hin\u00fcbergreift.\nZungenmitte. Nach den \u00fcbereinstimmenden Angaben der meisten Physiologen entbehrt dieser Theil des Geschmackssinnes. Unter den neueren Beobachtern ist Urbantschitsch (i. c.) derjenige, welcher der ganzen Zungenoberfl\u00e4che Geschmacksverm\u00f6gen vindicirt. Auch Longet 7 S. 55\n1\tM. v. Yintschgau, Beitr\u00e4ge zur Physiologie des Geschmackssinnes. I. Th. Arch. f. d. ges. Physiol. XIX.\n2\tDr. Camerer, Ueber die Abh\u00e4ngigkeit d. Geschmackssinnes von der gereizten Stelle der Mundh\u00f6hle. Ztschr. f. Biologie YI. S. 440. 1870.\n3\tJ. Kornfeld, De functionibus nervorum linguae exp\u00e9rimenta. Diss. inaug. Berolini 1836.\n4\tR. Schirmer. Einiges zur Physiologie des Geschmacks. Deutsche Klinik 1859. XI. Nr. 13.15.18. Derselbe, Nonnullae degustu dis quisiti ones. Diss. inaug. Gryphiae 1856.\n5\tBudge, Ueber geschmacksempfindende Stellen. Deutsche Klinik 1859. XI. Nr. 19.\n6\tJules Guyot, Nouvelles exp\u00e9riences sur le sens du go\u00fbt chez l\u2019homme, suivies d\u2019un examen succinct de travaux principaux publi\u00e9s r\u00e9cemment sur le m\u00eame sujet. Archives g\u00e9n\u00e9rales de M\u00e9decine Journal complementaire des sciences medicales II. s\u00e9ri\u00e9. XIII. Paris 1837.\n7\tLonget, Trait\u00e9 de Physiologie. Troisi\u00e8me \u00e9dition III. Paris 1869.","page":157},{"file":"p0158.txt","language":"de","ocr_de":"158\nv. Vintschgau, Geschmackssinn. 1. Cap. Geschmacksorgan.\nund 496 schreibt der Zungenmitte Geschmack zu, bemerkt aber ausdr\u00fccklich, dass die Empfindung langsam zu Stande kommt.\nGegend der Papillae circumvallatae und der Papilla foliata. Dass diese Gegend mit ausgezeichnetem Geschmacke versehen sei, wird von allen Autoren \u00fcbereinstimmend angenommen und dieselbe von vielen, und mit Recht, als der Hauptsitz des Geschmackssinnes angesehen. Ein Zweifel k\u00f6nnte h\u00f6chstens f\u00fcr die Papilla foliata entstehen, da an derselben von den neueren Forschern keine Versuche vorgenommen wurden. Wenn man aber \u00fcberlegt, dass an der Papilla foliata die Schmeckbecher ebenso wie in den Papillae circumvallatae Vorkommen, und dieselben nach Durchschneidung des N. glosso-pharyngeus ebenso wie in den Papillae circumvallatae verschwinden [Vintschgau und H\u00f6nigschmied (cit. S. 146)], wird man kaum mehr an der Geschmacksf\u00e4higkeit der Papilla foliata zweifeln, und dies um so weniger wenn man erf\u00e4hrt, dass Els\u00e4sser [1834 (cit. S. 147) S. 354] diese Stelle pr\u00fcfte und mit Geschmack versehen fand.\nZun g en wurzel. Es ist ziemlich schwer zu beurtheilen, ob die Autoren an dieser Stelle der Zunge Geschmack fanden oder nicht, da man meistens die Zungenwurzel von der Gegend der Pap. circumvallatae nicht getrennt hat; jedenfalls sind die positiven Angaben h\u00f6chst sp\u00e4rlich und wir m\u00f6chten hier bloss jene von Verni\u00eares (cit. S. 156) und von Valentin (De functionibus etc. cit. S. 156) anf\u00fchren.\nHarter Gaumen. Aeltere Physiologen hatten wohl demselben Geschmack zugeschrieben, nachdem aber Verni\u00eares (1. c.) Guyot und Ad-myrauld (cit. S. 156) und Guyot (cit. S. 157) sich entschieden dagegen ausgesprochen hatten, und die negativen Resultate dieser von vielen anderen Physiologen best\u00e4tigt wurden, hat man von der Geschmacksf\u00e4higkeit des harten Gaumens nicht mehr gesprochen; nur Drielsma (cit. S. 156) hat eine Anzahl besonderer Versuche angestellt, welche meist ein positives Resultat und f\u00fcr keine der gepr\u00fcften Substanzen etwa eine constante Ausnahme ergaben. Auch Urbantschitsch (cit. S. 156) z\u00e4hlt den harten Gaumen zu den Theilen, die Geschmack vermitteln S. 43; und S. 10 sagt er, dass die Geschmacksf\u00e4higkeit am harten Gaumen bei Kindern viel h\u00e4ufiger als bei Erwachsenen ist.\nWeicher Gaumen und Z\u00e4pfchen. Die Ansichten der Physiologen \u00fcber das Geschmacksverm\u00f6gen der angef\u00fchrten Theile sind sehr verschieden und diese Verschiedenheit bezieht sich nicht bloss auf die Frage, ob der weiche Gaumen und die Uvula Geschmack besitzen, sondern auch auf die gr\u00f6ssere und geringere Ausbreitung desselben. Horn (cit. S. 155), Verni\u00eares (1. c.) haben dem Gaumensegel Geschmack zugeschrieben, ja letzterer nahm sogar an, dass auch die hintere Fl\u00e4che desselben schmecke. Schirmer (cit. S. 157) S. 157 tritt dieser Angabe Verni\u00e9-res entschieden entgegen. Tourtual 1 hatte ebenfalls der hinteren Fl\u00e4che des herabh\u00e4ngenden Gaumens Geschmacksverm\u00f6gen zugeschrieben; Bidder1 2 \u00fcberzeugte sich aber bei einem Kranken, dass dies nicht der Fall ist.\n1\tTourtual, Die Sinne des Menschen in den wechselseitigen Beziehungen ihres\npsychischen und organischen Lebens. M\u00fcnster 1827.\n2\tBidder, Neue Beobachtungen \u00fcb. die Bewegungen des weichen Gaumens und \u00fcber den Geruchssinn. Dorpat 1838.","page":158},{"file":"p0159.txt","language":"de","ocr_de":"Begrenzung des Geschmacksorgans.\n159\nDie Versuche endlich von Weber1 und von Valentin (Lehrb. etc. eit. S. 156) haben bewiesen, dass der hintere obere Theil des weichen Gaumens nicht schmeckt. Guyot und Admyrauld (cit. S. 156) schreiben bloss einem kleinen Theil der vorderen Fl\u00e4che des Gaumensegels Geschmacksf\u00e4higkeit zu. Dieselbe soll etwa eine Linie unter dessen Anf\u00fcgung an das Gaumengew\u00f6lbe beginnen, 3 bis 4 Linien vor der Basis des Z\u00e4pfchens aufh\u00f6ren, und seitw\u00e4rts sich allm\u00e4hlich verlaufen. Valentin (cit. S. 156) fand unter 8 untersuchten Individuen bei 2 sehr deutliches, bei 4 undeutliches und bei 2 kein Geschmacksverm\u00f6gen an der vorderen Fl\u00e4che des weichen Gaumens und der Uvula und daran kn\u00fcpft Valentin die Bemerkung, dass die Mehrzahl der Versuchsergebnisse eher gegen als f\u00fcr die Sinnesth\u00e4tigkeit dieser Theile spreche. Rapp (cit. S. 147), J. M\u00fcller2, Dug\u00e9s3 4, Budge (cit. S. 157), Drielsma (cit. S. 156] schreiben den genannten Theile Geschmacksf\u00e4higkeit zu. Longet 4 sagt, dass das Z\u00e4pfchen nie das geringste Geschmacksverm\u00f6gen zeige; dem weichen Gaumen fehle, wie er an sich selbst consta-tirt habe, der Geschmack ; zuweilen sei er an der Mittellinie deutlich vorhanden. Nach Schiff (cit. S. 156) werden manchmal die Geschm\u00e4cke auch vom weichen Gaumen empfunden. Neumann (cit. S. 153) fand die vordere Fl\u00e4che des weichen Gaumens mit Ausnahme des Z\u00e4pfchens mit Geschmacksf\u00e4higkeit versehen. Nach Schirmer (cit. S. 157) vermittelt jener Streif des weichen Gaumens, der dem harten Gaumen zun\u00e4chst liegt, Geschmacksempfindungen. Nach Klaatsch und Stich (cit. S. 155) besitzt der weiche Gaumen Geschmacksverm\u00f6gen, dasselbe fehle aber dem hinteren Saume desselben und dem Z\u00e4pfchen. Urbantschitsch (cit. S. 156) betrachtet die Uvula und den weichen Gaumen als geschmackvermittelnde Stellen.\nEine Reihe Forscher Wagner (cit. S. 156), Funke (cit. S. 156), Els\u00e4sser (cit. S. 147), Picht (cit. S. 146), Camerer (cit. S. 157), Bidder (cit. S. 158) sprechen dem weichen Gaumen und der Uvula jede Geschmacksf\u00e4higkeit ab.\nWenn wir diese verschiedenen Angaben ber\u00fccksichtigen, sind wir veranlasst zu behaupten, dass das Geschmacksverm\u00f6gen der vorderen Fl\u00e4che des weichen Gaumens und der Uvula denselben individuellen Verschiedenheiten unterworfen ist, wie wir eine solche an der Zungenspitze finden.\nDen Ergebnissen der Versuche entsprechen auch die Angaben \u00fcber das Vorkommen von Schmeckbechern (siehe oben S. 149 u. f.) und \u00fcber die Geschmacksnerven am weichen Gaumen (siehe sp\u00e4ter S. 178).\nDie Gaumenpfeiler (Arcus glosso-palatinus et glosso-pharyn-geus). Auch \u00fcber die Geschmacksf\u00e4higkeit dieser beiden Pfeiler finden wir getheilte Meinungen. Verni\u00e8res (cit. S. 156), Longet (1. c.) schreiben den Pfeilern des Gaumensegels Geschmack zu; Valentin (cit. S. 156) fand den oberen Zusammenfluss und die untere Verl\u00e4ngerung der beiden Gau-\n1\tE. H. Weber, Ueber den Einfluss der Erw\u00e4rmung und Erk\u00e4ltung der Nerven auf ihr Leitungsverm\u00f6gen. Arch. f. Anat. u. Physiol. 1847.\n2\tJ. M\u00fcller, Handbuch der Physiologie des Menschen. II. Coblenz 1837.\n3\tA. Dug\u00e8s, Trait\u00e9 de Physiologie compar\u00e9e de l\u2019homme et des animaux. I. Montpellier 1838.\n4\tLonget, Anatomie und Physiologie des Nervensystems etc. Deutsche Ueber-Setzung von Dr. J. A. Hein. II. Leipzig 1849. Derselbe, Trait\u00e9 de Physiologie 3. Ed. III. Paris 1869.","page":159},{"file":"p0160.txt","language":"de","ocr_de":"160\nv. Vintschgau, Geschmackssinn. 1. Cap. Geschmacksorgan.\nmenbogen immer, die vordere Fl\u00e4che des hinteren fast immer, die vordere Fl\u00e4che des vorderen Gaumenbogens selten mit Geschmack versehen. Nach Schiff (cit. S. 156) besitzen die vorderen Pfeiler manchmal Geschmack. Schirmer (cit. S. 157) und Neumann (cit. S. 153) fanden besonders den unteren Theil des arcus glosso-palatinus mit Geschmack begabt; Urbantschitsch (cit. S. 156) schreibt dem arcus glosso-platinus Geschmack zu.\nWir besitzen aber auch eine Reihe Beobachtungen, welche den Pfeilern jeden Geschmack absprechen, so Guyot und Admyrauld (cit. S. 156), Wagner (cit. S. 156), Funke (cit. S. 156), Camerer (cit. S. 157), Klaatsch und Stich (cit. S. 155).\nWir glauben vor der Hand den negativen Angaben mehr Werth beilegen zu m\u00fcssen als den positiven, da der Verdacht nicht ausgeschlossen werden kann, dass die schmeckende Substanz l\u00e4ngs der Schleimhaut herabgeflossen sei und mit der Zunge in Ber\u00fchrung kam. Dieser Verdacht gilt vorzugsweise f\u00fcr alle jene Beobachtungen, aus welchen hervorgehen soll, dass der untere Theil des arcus glosso-palatinus Geschmacksverm\u00f6gen besitze. Dieser Verdacht gilt aber nicht f\u00fcr die Versuche von Neumann, da er schwache electrische Str\u00f6me an wendete. (Vergleiche auch oben S. 149 \u00fcber das Vorkommen von Schmeckbechern.)\nMandeln. A eitere Beobachter hatten auch ihnen Geschmacksf\u00e4higkeit zugeschrieben ; es verdienen von denselben bloss die Beobachtungen Luchtmann\u2019s 1 erw\u00e4hnt zu werden, weil er ausdr\u00fccklich sagt, er habe vermieden, dass die schmeckenden Substanzen mit der Zunge in Ber\u00fchrung kamen. Von neueren haben bloss Verni\u00e8res (cit. S. 156) und Valentin (cit. S. 156) den Mandeln Geschmack zugeschrieben.\nHintere Wand der Pharynxh\u00f6hle. Verni\u00e8res (1. c.) Valentin -{1. c.) haben derselben Geschmacksf\u00e4higkeit zugetheilt, und in neuester Zeit hat Urbantschitsch (1. c.) sich dieser Ansicht angeschlossen. Nach Valentin (Lehrbuch etc. cit. S. 156) ist jedoch nur jener Theil der hinteren Pharynxwand, welcher der Zungenwurzel gegen\u00fcber liegt, mit Geschmack versehen.\nKehldeckel. Valentin (cit. S. 156) sprach auch der Umgebung des Kehldeckels Geschmack zu. Am Kehldeckel selbst sind Schmeckbecher entdeckt worden (siehe oben S. 150).\nAeltere Physiologen schrieben auch dem Oesophagus und der Trachea Geschmack zu. Es ist kaum denkbar, dass der Oesophagus mit Geschmacksorganen versehen sei; die Beobachtungen von Klaatsch und Stich (1. c.) an zwei Kranken haben direkt bewiesen, dass die Trachea nicht schmeckt.\nAus dem Mitgetheilten ersieht man, dass die Gegend der papillae ci r cum v a 11 a ta e und der papilla foliata von Allen als geschmacksf\u00e4hig bezeichnet wird, und wir m\u00fcssen dieselbe als den Hauptsitz des Geschmacksorgans betrachten. Die Zungenr\u00e4nder und die Zungenspitze haben wohl bei vielen Menschen Geschmacksf\u00e4higkeit, es kommen aber mehrere individuelle Verschiedenheiten\n1 Petrus Luchtmann\u2019s Specimen physico-medicum inaugurale de saporibus et gustu. Lugduni Batavorum 1758.","page":160},{"file":"p0161.txt","language":"de","ocr_de":"Geschmacksnerven.\n161\nvor in der Art, dass die genannten Tlieile bald entschieden und gut alle Geschm\u00e4cke, bald einige Geschm\u00e4cke, so vorzugsweise das Bittere, nur schwer oder gar nicht, bald wieder gar keinen Geschmack wahrnehmen k\u00f6nnen, ausserdem findet man, dass manchmal die Zungenr\u00e4nder gar keinen, die Zungenspitze nur einige Geschm\u00e4cke erkennt.\n\u2014\tDie vordere Fl\u00e4che des Gaumensegels wird in einer gr\u00f6sseren oder kleineren Ausdehnung von vielen als geschmacksf\u00e4hig bezeichnet, es existiren aber gewiss viele individuelle Verschiedenheiten. \u2014 Die vorderen Gaumenb\u00f6gen scheinen ebenfalls mit Geschmacksverm\u00f6gen dotirt zu sein, es ist aber wieder h\u00f6chst wahrscheinlich, dass individuelle Verschiedenheiten existiren. \u2014 Alle \u00fcbrigen Stellen der Mundh\u00f6hle und der Pharynxh\u00f6hle haben entweder ganz sicher gar kein Geschmacksverm\u00f6gen oder wenn ein solches vorkommt, so ist dasselbe gewiss nur bei wenigen Individuen und in sehr verschiedener Ausdehnung vorhanden.\nMit dieser Zusammenstellung erledigt sich auch die Frage, die von mehreren Physiologen, Guyot (cit. S. 157), Valentin (cit. S. 156), Schirmer (cit. S. 157), Drielsma (cit. S. 156), Neumann (cit. S. 153) aufgeworfen wurde, wie n\u00e4mlich die Gegenden nach der Gr\u00f6sse der Geschmacksf\u00e4higkeit, zu ordnen seien.\nEs ist endlich zu bemerken, dass nach den Beobachtungen von Camerer (cit. S. 157) und Wilczynsky 1 nur jene Stellen der Zunge, an welchen die Pap. fungiformes und Papillae circumvallatae Vorkommen, schmecken. Diese Beobachtungen stehen auch mit denen \u00fcber das Vorkommen der Schmeckbecher im Einkl\u00e4nge, nur muss noch die Papilla foliata dazu gez\u00e4hlt werden.\nIII. Die Gesclmiacksnerven.\n1. Methoden zur Ermittelung der Geschmacksnerven.\nDie Physiologen haben sich sehr oft mit der Frage besch\u00e4ftigt, welcher oder welche Nerven f\u00fcr den Geschmack bestimmt sind.\n\u2014\tAuf zweifache Art hat man diese Frage zu l\u00f6sen getrachtet: 1) durch Versuche an Thieren, 2) durch Beobachtungen am Krankenbette.\nDie Versuche an Thieren lassen sich in dreifacher Weise ben\u00fctzen um die eben erw\u00e4hnte Frage zu erledigen: a) Man hat die\n1 K. Welczynski, Mit welchen Theilen der Mundh\u00f6hle und speciell der Zunge k\u00f6nnen wir den Geschmack einiger Substanzen erkennen? Krakauer \u00e4rztlicheUeber-sicht 1875. No. 7 u. 8 (Polnisch) aus Fr. Hofmann und G. Schwalbe\u2019s Jahresb. \u00fcb. d. Fortschritte der Anat. undPhys. IY. 3. Abth. S. 137. 1875.\nHandbuch der Physiologie. Bd. Dia.\n11","page":161},{"file":"p0162.txt","language":"de","ocr_de":"162\ny. ViNTSCHGAu, Geschmackssinn. 1. Cap. Geschmacksorgan.\nNerven durchschnitten, welche m\u00f6glicherweise die Geschmackseindr\u00fccke zum Gehirn leiten, und untersuchte dann oh die Thiere noch die Geschm\u00e4cke wahrnahmen, b) Die Nerven, welche f\u00fcr den Geschmackssinn in Betracht kommen k\u00f6nnen, wurden durchschnitten, nach einigen Tagen die Thiere get\u00f6dtet, und nun die einzelnen peripheren Zweige mikroskopisch untersucht, um zu sehen, in welchen degenerate Fasern vorkamen, c) Statt die peripheren Aeste auf degene-rirte Nervenfasern zu untersuchen, kann man auch jene Stellen, in welchen Schmeckbecher Vorkommen, untersuchen, um zu sehen, ob dieselben eine Ver\u00e4nderung erlitten haben. Letzte Methode ist bis jetzt nur einmal angewendet worden.\nDie erste Methode bietet aber einige Schwierigkeiten, die wir namhaft machen wollen: Die erste Schwierigkeit liegt in der Operation selbst; einige Nerven sind verk\u00e4ltnissm\u00e4ssig leicht zug\u00e4nglich (z. B. truncus tympanieo-lingualis des Lingualis, Glosso-pkaryngeus etc.) und die Thiere vertragen deren Durchschneidung \u2019sehr gut; andere (Trigeminus in der Sch\u00e4delh\u00f6hle, Ganglion sphenopalatinum u. d. m.) dagegen k\u00f6nnen nur mit einer tief eingreifenden Operation erreicht werden, obwohl die Thiere auch eine solche Operation mehrere Tage, ja auch mehrere Wochen zu \u00fcberleben verm\u00f6gen. In beiden F\u00e4llen ist es rathsam die Geschmacksf\u00e4higkeit der Zunge erst einige Zeit nach Vollendung der Operation zu pr\u00fcfen, da unmittelbar nach derselben die Thiere kaum Lust haben k\u00f6nnen auf so schwache Reize, wie die Geschmackseindr\u00fccke im Allgemeinen sind, zu antworten; es darf aber auch nicht vergessen werden, dass die Durchschneidung mancher Nerven (Trigeminus, Lingualis) solche Ver\u00e4nderungen in der Zunge erzeugt, dass wohl die Frage nahe liegt, ob der Verlust des Geschmackes ein prim\u00e4rer oder nicht vielleicht ein sekund\u00e4rer ist, n\u00e4mlich eine Folge der eingetretenen Ver\u00e4nderungen der Zungenschleimhaut.\nDie zweite Schwierigkeit, welche vielleicht noch mehr ins Gewicht f\u00e4llt als die erste ist die Art und Weise, wie man den Geschmack pr\u00fcft. \u2014 Es hat schon bei Menschen eine gewisse Schwierigkeit den Geschmackssinn an solchen Stellen zu pr\u00fcfen, an welchen derselbe nur schwach entwickelt ist, um so mehr ist dies der Fall bei Thieren, da wir hier nur die sehr tr\u00fcgerischen Zeichen von Behagen und Unbehagen haben, die die Thiere geben k\u00f6nnen. Unser Urtkeil gewinnt aber an Sicherheit, wenn dasselbe Thier nach der Operation Substanzen geniesst, welche es vor derselben beharrlich verschm\u00e4ht hat. \u2014 Die Wahl der Thiere ist ebenfalls von grosser Bedeutung; es gibt bekanntlich Hunde, welche so gefr\u00e4ssig sind, dass sie auch in unversehrtem Zustande die ekelhaftesten Dinge fressen. \u2014 Eben","page":162},{"file":"p0163.txt","language":"de","ocr_de":"Geschmacksnerven.\n163\nso wichtig ist die Wahl der schmeckbaren Substanz; es d\u00fcrfen nur solche angewendet werden, welche weder durch ihren Geruch, noch durch ihre Farbe, noch durch eine fremdartige Gef\u00fchlsempfindung kenntlich sein k\u00f6nnten. Man w\u00e4hlt fast ausschliesslich bittere Substanzen, und nur hie und da wurden auch saure angewendet.\nAlle diese Schwierigkeiten treten in noch erh\u00f6htem Maassstab hervor, wenn man bei Thieren das Geschmacksverm\u00f6gen einer begrenzten Zungenpartie durch einfache Betupfung mit der schmeckbaren Substanz pr\u00fcft. Abgerichtete Thiere lassen sich dazu am besten verwenden; jedenfalls muss man mit der gr\u00f6ssten Sorgfalt darauf achten, dass die nach der Application vom Thier ausgef\u00fchrten Bewegungen nicht als Folge des Geschmackseindruckes gedeutet werden, w\u00e4hrend sie vielleicht von irgend einer anderen Ursache veranlasst wurden; desshalb haben auch einige Physiologen die Zunge nicht bloss mit schmeckbaren Substanzen, sondern auch dazwischen mit reinem Wasser betupft, um zu sehen, ob die Thiere (Hunde) auch darauf reagirten. \u2014 Einige Physiologen haben, um diesen Schwierigkeiten bei der begrenzten Betupfung mit einer schmeckbaren Substanz auszuweichen, die Methode in der Art modificirt, dass sie auf eine stattgefundene Erregung der Geschmacksnerven schlossen, wenn auf dem Wege des Reflexes eine vermehrte Speichelsecretion stattfand.\nDie zweite Art, die Frage der Geschmacksnerven zu untersuchen, beruht auf der Beobachtung am Krankenbett. Es kann nicht geleugnet werden, dass solche Beobachtungen von der gr\u00f6ssten Bedeutung und sogar in einigen F\u00e4llen von gr\u00f6sserem Werthe als die Versuche an Thieren sind, wenn dieselben mit Umsicht, mit Genauigkeit und mit Sorgfalt vorgenommen werden. Nicht bloss die Geschmacksf\u00e4higkeit der verschiedenen Zungenpartien f\u00fcr die verschiedenen Geschm\u00e4cke muss genau untersucht werden, sondern es m\u00fcssen auch alle Symptome, welche der Kranke zeigt, genau ermittelt werden, damit man mit Sicherheit diagnosticiren k\u00f6nne, welcher oder welche Nerven, und an welchen Stellen dieselben erkrankt sind. Die nie zu unterlassende Nekroscopie muss mit der gr\u00f6ssten Sorgfalt vorgenommen werden. Genaue Krankenbeobachtungen werden dann nicht bloss die Versuche an Thieren controlliren, sondern auch dazu dienen, dem Physiologen einen Fingerzeig zu geben, nach welcher Richtung er neuere Versuche vornehmen soll. Nach diesen, unserem Erachten nach, unumg\u00e4nglichen Vorbemerkungen wollen wir die Frage der Geschmacksnerven n\u00e4her untersuchen.","page":163},{"file":"p0164.txt","language":"de","ocr_de":"164\nv. Vintschgau, Geschmackssinn. 1. Cap. Geschmacksorgan.\n2. Ermittelung der Geschmacksnerven.\nBei der Behandlung der Geschmacksnerven kommt der N. hypoglossus nicht in Betracht, da derselbe bloss f\u00fcr die Bewegungen der Zunge bestimmt ist.\nDie zwei haupts\u00e4chlichen Nerven die wir zu ber\u00fccksichtigen haben sind der N. glosso-pharyngeus und der Trigeminus.\nPanizza (1834), der ber\u00fchmte Anatom an der Universit\u00e4t Pavia, hat durch seine Untersuchungen1 die neue Aera in der Kenntniss \u00fcber die Function der verschiedenen Zungennerven (Hypoglossus, Glosso-pharyngeus und Lingualis) er\u00f6ffnet. Panizza durchschnitt nach einander die drei Nerven, die sich zur Zunge begeben, und untersuchte hierauf das Verhalten der Empfindlichkeit , Beweglichkeit und Geschmacks -f\u00e4higkeit dieses Organs. Panizza hat aus seinen Versuchen den Schluss gezogen, dass der N. hypoglossus ausschliesslich den Bewegungen, der vom Trigeminus stammende Lingualis bloss dem Gef\u00fchl und der N. glosso-pharyngeus dem Geschmackssinn der Zunge vorstehen.\nDiese wichtige Arbeit von Panizza fand gleich nach ihrem Erscheinen mehrfachen Widerspruch. Der erste, welcher sich entschieden gegen die Ansicht Panizza\u2019s aussprach, war J. M\u00fcller2, der an verschiedenen Orten und bei verschiedenen Gelegenheiten gegen die Angaben Panizza\u2019s bez\u00fcglich der Function des Glosso-pharyngeus sich aussprach.\nZwei Jahre (1836) nach Ver\u00f6ffentlichung der Schrift von Panizza erschien die Dissertation von Kornfeld (cit. S. 157) und da die Versuche unter der Leitung von J. M\u00fcller und Gurlt angestellt worden sind, so k\u00f6nnen wir annehmen, dass dieser Schrift die Ansichten des erstgenannten Physiologen zu Grunde liegen. Aus den ange-stellten Versuchen wird der Schluss gezogen, dass der N. glosso-pharyngeus entweder keine oder nur eine sehr geringe Bedeutung f\u00fcr die Wahrnehmung der Geschm\u00e4cke besitze, der Lingualis sei dagegen der Geschmacksnerv; da aber auch dem weichen Gaumen Geschmacksf\u00e4higkeit vindicirt wurde, und der Lingualis sich bloss in\n1\tB. Panizza, Kicerche sperimentali sopra i nervi. Lettera al Prof. Maurizio Btjffalini. Pavia 1834. Da weder die italienische priginalabhandlung noch deren deutsche Uebersetzung zu erhalten war, so ben\u00fctzte ich folgende Ausz\u00fcge : Froriep s neue Not. Nr. 945. S. 321\u2014328. M\u00e4rz 1835; Arch. f. Anat. u. Physiol. 1835, Bericht \u00fcber die Fortschritte etc. im J. 1834. S. 136\u2014139 ; Schmidt\u2019s Jahrb. 1836. DC. S. 368 ; Annali universali di Milano. LXXII. S. 468. 1834.\n2\tJ. M\u00fcller, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1835, Bericht \u00fcber die Fortschritte etc. im Jahre 1834. S. 136\u2014139. Derselbe. Historisch-anatomische Bemerkungen. Arch. f. Anat. u. Physiol. 1837. Derselbe. Handbuch der Physiologie des Menschen. II. Coblenz 1837. Derselbe, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1848, Anmerkung zur Abhandlung von Stannitjs, siehe sp\u00e4ter S. 166.","page":164},{"file":"p0165.txt","language":"de","ocr_de":"Geschmacksnerven.\n165\nder Zunge verbreitet, so nimmt Kornfeld an, dass auch der N. pte-rygo-palatinus Geschmacksnerv sei.\nWir wollen hier noch hinzuf\u00fcgen, dass J. M\u00fcller den Glosso-pha-ryngeus zu den gemischten Nerven z\u00e4hlt (sensitiv und motorisch), aus dem Grunde weil nur ein Theil seiner Fasern in das Ggl. Ehrenritter ein-tritt, und weil bei Zerrung desselben Bewegungen im Schlunde entstehen. Es ist hier nicht der Ort auf die Frage der motorischen Fasern des glosso-pharyngeus einzugehen, wir besch\u00e4ftigen uns bloss mit den Geschmacksnerven.\nEs scheint aber, dass auch J. M\u00fcller schliesslich dem glosso-pharyngeus wenigstens einen kleinen Antheil an der Geschmacks-perception zuschrieb, da er (Handbuch etc. cit. S. 164) S. 491 wohl den Lingualis als den Hauptgeschmacksnerv der Zunge betrachtet, es jedoch nicht f\u00fcr erwiesen h\u00e4lt, dass der N. glosso-pharyngeus ohne Antheil an der Geschmacksperception des hinteren Theiles der Zunge und der fauces sei.\nDass J. M\u00fcller besonders anfangs so entschieden gegen Panizza auftrat, ist leicht zu erkl\u00e4ren, wenn man bedenkt, dass vor diesem Fod\u00e9ra1, Majo'2 und vor Allem Magendie3 durch Versuche bewiesen zu haben glaubten, dass der Lingualis Geschmacksnerv sei.\nMagendie4 hat auch nach Ver\u00f6ffentlichung der Schriften von Panizza immer die Ansicht vertheidigt, dass der Trigeminus der Geschmacksnerv sei. Wir werden nur bemerken, dass Magendie in seiner ersten Arbeit de l\u2019influence etc. mit dem Datum April 1824 mittheilt, dass wenn beide Trigeminusst\u00e4mme durchschnitten sind, die schmeckbaren Substanzen an der Zungenspitze nicht, wohl aber in der Mitte und am Grunde der Zunge erkannt werden; Magendie hat jedoch aus diesem Versuche den naheliegenden richtigen Schluss nicht gezogen.5\n1\tFod\u00e9ra, Recherches exp\u00e9rimentales sur le syst\u00e8me nerveux, presentees \u00e0 l\u2019Acad\u00e9mie des sciences le 31. d\u00e9cembre 1822. Extrait. Magendie\u2019s Joum. d. physiol, exp\u00e9r. etpathol. III. p. 191\u2014217. 1823.\n2\tHerbert Mayo, Note sur les nerfs c\u00e9r\u00e9braux, consid\u00e9r\u00e9s dans leur rapport avec le sentiment et le mouvement volontaire. Magendie\u2019s Journ. de physiol, exp\u00e9r. et pathol. III. p. 345\u2014361. 1823. In einer Note wird angegeben: Ce memoire est extrait d\u2019un ouvrage tr\u00e8s-interessant sur l\u2019anatomie et la physiologie publi\u00e9 \u00e0 Londres \u00e0 des \u00e9poques ind\u00e9termin\u00e9es par M. H. Mayo (Voyez Anatomical and physiological commentaries London 1823).\n3\tMagendie, De l\u2019influence de la cinqui\u00e8me paire de nerfs sur la nutrition et les fonctions de l\u2019oeil. Journ. de physiol, exp\u00e9r. etpathol. IV. 1824. Derselbe, Suite des exp\u00e9riences sur les fonctions de la cinqui\u00e8me paire de nerfs. Lue \u00e0l\u2019Acad. des sciences le 3. nov. 1824. Journ. de physiol, exp\u00e9r. et pathol. IV. 1824. Derselbe, Lehrbuch der Physiologie, aus dem Franz\u00f6sischen \u00fcbersetzt mit Anmerkungen u. Zus\u00e4tzen von Dr. C. L. Els\u00e4sser. I. 3. Aufl. T\u00fcbingen 1834.\n4\tMagendie, Vorlesungen \u00fcber das Nervensystem und seine Krankheiten, \u00fcbersetzt von Dr. Gustav Krupp. Leipzig 1841.\n5\tRapp (cit. S. 147) betrachtet sowohl den Glosso-pharyngeus als auch den Zungenast des Quintus als Geschmacksnerven, und st\u00fctzt sich bez\u00fcglich der Geschmacksf\u00e4higkeit des Glosso-pharyngeus unter anderen auf den Versuch von Magendie.","page":165},{"file":"p0166.txt","language":"de","ocr_de":"166\nv. Vintschgau, Geschmackssinn. l.Cap. Geschmacksorgan.\nWir finden aber auch Physiologen, welche ihre Stimme zn Gunsten Panizza\u2019s Ansicht erhoben haben; so Hall und Broughton1, Wagner (Best\u00e4tigung etc. cit. S. 156), welcher aber einige Jahre sp\u00e4ter [(Lehrbuch etc. cit. S. 156), S. 499] auch dem Trigeminus einen Antheil an der Vermittlung von Geschmacksempfindungen zuschrieb, und besonders Valentin2, welcher die Versuche Panizza\u2019s wiederholte und best\u00e4tigte. Valentin h\u00e4lt auch in seiner letzten Schrift3 4 an der Ansicht fest, dass der Glosso - pharyngeus der einzige Geschmacksnerv sei. Bidder 4 hielt es f\u00fcr sehr wahrscheinlich, dass der Glosso-pha-ryngeus die specifischen Geschmacksfasern beherberge. Stannius (1848)5, welcher seine Versuche an jungen Katzen vornahm, und als Geschmacksubstanz Chinin in Milch anwendete, best\u00e4tigte die Resultate Panizza\u2019s und Valentin\u2019s.\nNach dieser Arbeit von Stannius hat kein Physiologe mehr gezweifelt, dass der Glosso - pharyngeus Geschmacksfasern enthalte, jetzt ist sogar sichergestellt, dass derselbe die Papillae circumvalla-tae und die Papillae foliatae mit seinen Fasern versehe und in den Schmeckbechern dieser Theile endige. Es geht dies aus jenen Versuchen hervor, die ich mit H\u00f6nigschmied (cit. S. 146) ver\u00f6ffentlicht habe, und durch welche der Nachweis geliefert wurde, dass nach Durchschneidung des Glosso-pharyngeus bei Kaninchen die Schmeckbecher der genannten Papillen vollst\u00e4ndig verschwinden. Ueber den histologischen Zusammenhang der Nerven mit den Schmeckkolben siehe oben S. 152 und folg.\nDie anatomischen und physiologischen Beobachtungen beweisen somit, dass der Glosso-pharyngeus der Geschmacksnerv f\u00fcr die genannten Gegenden der Zunge ist.\nEs ist aber auch noting zu untersuchen, welcher Nerv den \u00fcbrigen mit Geschmack versehenen Theilen die Geschmacksfasern liefert.\nSehr bald nach der Ver\u00f6ffentlichung der Arbeit von Panizza tauchte die Ansicht auf, dass sowohl der Glosso-pharyngeus als auch\n1\tM. Hall. Fourth Report of British Scientific Association and Me. Broughton Edinburgh Medical and Surgical Journal XIV ; citirt nach John Reid in R. B. Todd Cyclopaedia of Anatomy and Physiology. II. p. 498. London 1836\u20141839.\n2\tValentin. Repertorium f\u00fcr Anatomie und Physiologie. II. Bern u. St. Gallen 1837. Derselbe (cit. S. 156).\n3\tValentin, Versuch einer physiol. Pathol, d. Nerven. Leipz. u. Heidelb. 1864.\n4\tBidder, Schmecken in R. Wagner\u2019s Handw\u00f6rterbuch der Physiologie. III. l.Abth. 1846.\n5\tStannius, Versuche \u00fcber die Function der Zungennerven. Arch. f. Anat. u. Physiol. 1848. S. 132\u2014138 und Dr. Fr. Uterhart, De functionibus nervi hypoglossi, rami lingualis nervi trigemini, nervi glosso-pharyngei. Rost. 1847. Diese Dissertation konnte ich nicht erhalten.","page":166},{"file":"p0167.txt","language":"de","ocr_de":"Geschmacksnerven.\n167\nder Lingualis Geschmacksfasern f\u00fchren. Els\u00e4sser (cit. S. 147) hat aus anatomischen und anatomisch-vergleichenden Gr\u00fcnden den N. glosso-pharyngeus als den Hauptgeschmacksnerv betrachtet, dem R. lingualis jedoch die F\u00e4higkeit zu schmecken nicht abgesprochen. Wichtiger sind aber die Angaben Alcock\u2019s1 2. Dieser exstirpirte bei Hunden beide Ganglia spheno-palatina ohne dass jedoch der Geschmackssinn eine Ver\u00e4nderung erlitten h\u00e4tte. Der Geschmack war aber vollst\u00e4ndig vernichtet, als Alcock gleichzeitig die rami palatini, die Linguales und die Glosso-pharyngei durchschnitt, so dass das Thier am 4. Tage nach der Operation Nahrung, welche mit sehr viel Coloquin-then versetzt war, in so grosser Menge frass, dass dadurch vielleicht der Tod des Thieres eintrat. Alcock glaubte sich desshalb auf Grundlage seiner verschiedenen Versuche berechtigt zu behaupten, dass die Perceptionsmittel des Geschmackes die N. glosso-pharyngei und die rami linguales und palatini des N. quintus sind, dass die N. glosso-pharyngei nicht die speciellen Medien des Geschmackes darstellen, und dass das Ggl. spkeno-palatinum und die Chorda tympani keinen Einfluss auf die Perception der Geschmacksempfindung haben.\nDiese Arbeit von Alcock hat in mehrfacher Beziehung eine grosse Bedeutung. Der genannte Physiologe ist der erste, welcher das Ganglion spheno-palatinum exstirpirte, ein Ganglion, welches, wie wir sp\u00e4ter sehen werden, eine grosse Rolle in der Frage der Geschmacksnerven spielt, er ist auch der erste', welcher die Gaumen\u00e4ste des zweiten Astes des Trigeminus durchschnitt, und auf Grundlage von Versuchen denselben Geschmacksfasern zuschrieb, wie er auch schliesslich der Chorda tympani Geschmacksfasern absprach.\nDie Ansicht, dass neben dem Glosso-pharyngeus auch andere Nerven, und vorzugsweise der Trigeminus Geschmacksfasern f\u00fchre, gewann immer mehr an Boden.\nGuyot (cit. S. 157) betrachtet, theils auf Grundlage seiner Beobachtungen \u00fcber die Stellen, welche f\u00fcr die Geschmacksperception bestimmt sind, theils in Folge anatomischer Untersuchungen, theils endlich auch auf seine Versuche mit Cazalis2 gest\u00fctzt, den Lingualis als jenen Nerv, welcher die Tastempfindlichkeit und die Schmeckf\u00e4higkeit der Zunge in ihren drei vorderen Viertheilen besorgt. \u2014\n1\tAlcock, Welche sind eigentlich die Geschmacksnerven V Da ich die Originalabhandlung nicht erhielt, so ben\u00fctzte ich Froriep\u2019s neue Not. Nr. 18. S. 273. M\u00e4rz 1837 und Arch. f. Anat. u. Ph)rsiol. 1837, Jahresbericht \u00fcber die Fortschritte der anat. phys. Wissenschaften im J. 1836. Die Abhandlung erschien unter dem Titel : Determ. to the question which are the nerves of taste in Dublin Journal of Medical and Chemical Science. Nov. 1836.\n2\tGuyot et Cazalis . Recherches sur les nerfs du go\u00fbt. Arch, g\u00e9n\u00e9rales de m\u00e9decine etc. III et nouvelle s\u00e9rie. IV. p. 258. Paris 1839.","page":167},{"file":"p0168.txt","language":"de","ocr_de":"168\ny. Yintschgau, Geschmackssinn. l.Cap. Geschmacksorgan.\nReid 1 meint zu Folge der Beobachtung, dass nach Durchschneidung der beiden Glosso-pharyngei der Geschmackssinn noch genug stark ist um dem Thiere die Unterscheidung bitterer Substanzen zu erm\u00f6glichen, dass dieser Nerv nicht der einzige Geschmacksnerv sei.\n\u2014\tLonget (cit. S. 159) betrachtet sowohl den Glosso-pharyngeus als auch den Lingualis als Geschmacksfasern f\u00fchrende Nerven; er bemerkt jedoch weiter, in einigen F\u00e4llen h\u00e4tte er den Eindruck erhalten, als ob Hunde, denen diese beiden Nerven durchschnitten waren, immerhin, wenn auch nur mehr sehr stumpf die Bitterkeit oder den widerlichen Geschmack einzelner Stoffe wahrzunehmen im Stande gewesen seien. Wir werden sp\u00e4ter auf diese \u00c2Dgaben noch zur\u00fcckkommen.\nDasjenige, was wir bis jetzt mitgetheilt haben und was noch mitgetheilt werden soll, beweist, dass der Lingualis Geschmacksfasern enth\u00e4lt, welche f\u00fcr die Zungenspitze und die Zungenr\u00e4nder bestimmt sind. Hiermit ist jedoch noch nicht die Frage erledigt, ob der Lingualis als solcher, n\u00e4mlich sein Stamm, der Trigeminus, die Geschmacksfasern enthalte, oder ob diese ihm durch die Chorda zugef\u00fchrt werden, in welch letzterem Falle noch weiter zu ermitteln w\u00e4re, woher die Chorda ihre Geschmacksfasern beziehe.1 2 Die eben angeregten Fragen m\u00fcssen nun n\u00e4her untersucht werden.\nBellingeri (1818)3 wird als der erste angesehen, welcher der Chorda tympani Geschmacksfasern zuschrieb, es ist aber zu bemerken, dass Bellingeri die Chorda als einen Ast des N. facialis betrachtet, und dass er dieselbe als den vorz\u00fcglichsten Geschmacksnerv ansieht, eine Eigenschaft, die er den N. glosso-pharyngeus vollst\u00e4ndig abspricht, und nur in sehr geringem Grade dem R. lingualis zuschreibt.\n\u2014\tAlcock, wie wir oben S. 167 sahen, sprach der Chorda jede Bedeutung f\u00fcr den Geschmack ab. \u2014 Bernard aber hat 'der Chorda einen Einfluss auf den Geschmackssinn des vorderen Theiles der Zunge vindicirt. Er l\u00e4sst ebenfalls die Chorda vom Facialis stammen. Dieser ausgezeichnete Forscher hat seine erste Arbeit \u00fcber die Chorda\n1\tReid, An experiment, investig. into the functions of the eight par of nerves. Es wurden ben\u00fctzt: Schmidt\u2019s Jahrb. XXL S. 142. 1839; Arch. f. Anat. u. Physiol. 1838, Jahresb. S. 172; Annali universali di Medicina. LXXXYI. p. 378. Milano 1S3S ; Todd\u2019s Cyclopaedia II. p. 499.\n2\tEs sei hier erw\u00e4hnt, dass in der Chorda tympani Fasern verlaufen, welche f\u00fcr die Secretion der Gl. submaxillaris bestimmt sind. Diese secretorischen Fasern entspringen vom Facialis. (Ygl. Eckhard in Henle u. Meissner\u2019s Jahresber. 1862. S. 418 ; Heidenhain, Beitr\u00e4ge zur Lehre von der Speichelabsonderung in Studien des physiol. Institutes zu Breslau. IY. S. 23. Leipzig 1868; Loeb in Henle u. Meissner\u2019s Jahresber. 1869. S. 239.)\n3\tCaroli Fr. Joseph Bellingeri, Dissertatio inauguralis quam publice defen-debat in regio Athenaeo Anno 1818 die IX maji Augustae Taurinorum.","page":168},{"file":"p0169.txt","language":"de","ocr_de":"Geschmacksnerven.\n169\nim Jahre 1843 1 ver\u00f6ffentlicht; im folgenden Jahre kam er wieder auf denselben Gegenstand zur\u00fcck.2 Am ausf\u00fchrlichsten jedoch bespricht er die Geschmacksnerven in seinen Le\u00e7ons.3\nBernard schreibt dem B. lingualis N. trigemini und dem N. glosso-pharyngeus Geschmacksf\u00e4higkeit zu und sucht durch Anf\u00fchrung von Krankheitsf\u00e4llen, von Facialisl\u00e4hmungen (Le\u00e7ons etc. S. 122 u. flg.) und Versuchen an Thieren, bei welch letzteren er theils den Facialis in der Sch\u00e4delh\u00f6hle, theils die Chorda in der Paukenh\u00f6hle durchschnitt, nachzuweisen, dass der Facialis durch die Chorda einen besonderen Einfluss auf den Geschmackssinn des vorderen Theiles der Zunge aus\u00fcbt. Die tiefe Facialisl\u00e4hmung (les paralysies profondes du facial) bei Menschen, die Durchschneidung des Facialis in der Sch\u00e4delh\u00f6hle oder jene der Chorda in der Paukenh\u00f6hle bedingen nach Bernard nicht eine .vollst\u00e4ndige Abolition des Geschmackes an dem vorderen Theile der Zunge, sondern bloss eine Verminderung und eine auffallende Perversion dieser Sensation (S. 121). Diese Verminderung der Sensation soll sich in der Art zeigen, dass an jener H\u00e4lfte des vorderen Theiles der Zunge, welche der operirten oder der gel\u00e4hmten Seite entspricht, die Geschm\u00e4cke weniger rasch wahrgenommen werden als an jener, welche der anderen (gesunden) Seite entspricht. Wir glauben dass das Angef\u00fchrte gen\u00fcge, da Bernard selbst kein Gewicht auf die weitere Erkl\u00e4rung der Erscheinung legt S. 174 und da andere Beobachter, wie wir bald sehen werden, im Gefolge von gewissen Facialisl\u00e4hmungen wohl eine Abolition des Geschmackes an dem vorderen Theil der Zunge der kranken Seite, niemals aber eine einfache Verlangsamung der Perception der Geschm\u00e4cke beobachtet haben.\nKurze Zeit nachdem Bernard seine zwei ersten oben citirten Abhandlungen ver\u00f6ffentlicht hatte, erschien eine Arbeit von Biffi und Morganti (1846)4, in welcher durch Versuche an Hunden nachgewiesen wird, dass der N. glosso-pharyngeus der Geschmacksnerv f\u00fcr den Gaumen, die Gaumenb\u00f6gen und die beiden hinteren Drittel sei, w\u00e4hrend der R. lingualis f\u00fcr das vordere Drittel der Zunge den Ge-\n1\tCl. Bernard, Recherches sur la corde du tympan. Archives g\u00e9n\u00e9rales de m\u00e9decine. 4. II. p. 332. Paris 1843 ans Annales m\u00e9dico-psychologiques. Mai 1843.\n2\tCl. Bernard, De l\u2019alt\u00e9ration du go\u00fbt dans la paralysie du nerf facial. Arch, g\u00e9n\u00e9rales de m\u00e9decine. 4. VI. p. 480. Paris 1844.\n3\tCl. Bernard, Le\u00e7ons sur la Physiologie et la Pathologie du syst\u00e8me nerveux. II. Paris 1858.\n4\tBiffi u. Morganti, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1847, Bericht \u00fcb. d. Fortschritte der Physiol, im J. 1846 und Gaz. m\u00e9d. de Paris 1S47. XYII Ann\u00e9e. III. Serie. II. p. 188. Die Originalarbeit ist erschienen in Omodei Annali universa\u00fc. CXIX. p. 389. 1846; ich konnte aber dieselbe nicht erhalten.","page":169},{"file":"p0170.txt","language":"de","ocr_de":"170\nv. Vintschgau, Geschmackssinn. l.Cap. Geschmacksorgan.\nschmack vermittelt. Die Chorda wurde ebenfalls untersucht und nach deren Durchschneidung haben sie keinen Unterschied in der Perception der Geschm\u00e4cke zwischen der gesunden und der operirten Seite beobachtet.\nDuchenne1 besch\u00e4ftigte sich ebenfalls mit der Function der Chorda als Geschmacksnerv und versuchte dieselbe bei gesunden und kranken Individuen mittelst elektrischer Reize zu erregen. Gest\u00fctzt auf Cusco\u2019s2 anatomische Untersuchungen betrachtet Duchenne die Chorda als Fortsetzung der Portio intermedia Wrisbergii, und verwirft die Ansicht, dass jene eine Fortsetzung des oberen Fadens (du filet sup\u00e9rieur) des N. Vidianus sei.\nEs sei noch bemerkt, dass er weiter angibt, die Chorda erhalte Aeste auch vom Glosso-pharyngens und zwar durch den jAcoBSON\u2019schen Ast mittelst des Plexus tympanicus und auch mittelst des Nerven des ovalen Fensters, welcher in den Fallopisclien Canal gelangt und sich mit dem Facialis verbindet.3 4 Ich muss aber bemerken, dass Henle 4 bei der Beschreibung des Plexus tympanicus S. 467 ff. diese von Cusco angegebene Verbindung nicht erw\u00e4hnt, wodurch der Zweifel nicht unterdr\u00fcckt werden kann, ob es sich wohl um eine begr\u00fcndete Beobachtung handelt.\nNach Duchenne ruft die elektrische Reizung der Chorda, durch Einf\u00fchrung einer Elektrode in den mit Wasser gef\u00fcllten meatus auditi-vus externus und Anlegung der anderen am Nacken nebst Gef\u00fchlsempfindungen auch einen hinreichend deutlichen metallischen Geschmack in den vorderen zwei Drittel der Zunge hervor. Auf die direkte elektrische Reizung des R. lingualis erhielt Duchenne keine Geschmacksempfindung. Aus allen seinen Versuchen und Beo bachtungen an Kranken zieht Duchenne den Schluss, dass die Ver\u00e4nderungen der Geschmacksf\u00e4higkeit, welche gewisse Facialisl\u00e4hmungen begleitet, einer Verletzung der Chorda zugeschrieben werden muss, und dass letztere zur allgemeinen Empfindlichkeit und zur Geschmacksf\u00e4higkeit der vorderen zwei Drittel der Zunge beitr\u00e4gt, demnach w\u00e4re\n1\tDuchenne (de Boulogne). Recherches \u00e9lectro-physiologiques et pathologiques sur les propri\u00e9t\u00e9s et les usages de la corde du tympan. Archiv, g\u00e9n\u00e9rales de m\u00e9decine. XXIV. 4. p. 3S5. Paris 1850.\n2\tCusco. Th\u00e8se pour le doctorat en m\u00e9decine. Paris 1848 in 4\u00b0 citirt nach Duchenne.\n3\tOutre les anastomoses connues du plexus tympanique avec le nerf facial. M. Cusco signale une autre anastomose remarquable et plus directe avec le rameau de Jacobson ; c\u2019est le filet d\u00e9crit sous le nom de filet de la fen\u00eatre ovale, qui. au lieu, de se terminer dans ce point, s\u2019engage entre les deux branches de l\u2019\u00e9trier, p\u00e9n\u00e8tre \u00e0 travers un pertuis dans le canal de Fallope et se r\u00e9unit au facial.\n4\tJ. Henle, Handbuch der Nervenlehre des Menschen. 2. Aufl. Braunschweig\n1879.","page":170},{"file":"p0171.txt","language":"de","ocr_de":"Geschmacksnerven.\n171\ndie Integrit\u00e4t der Chorda zur vollen Aus\u00fcbung der genannten Functionen nothwendig.\nAuch diese Arbeit von Duchenne ist nicht im Stande unsere Frage aufzukl\u00e4ren, dieselbe legt uns im Zusammenh\u00e4nge mit den fr\u00fcher angef\u00fchrten Angaben nur die Vermuthung nahe, dass auch in der Chorda Geschmacksfasern verlaufen. Die Schriften von Stich1, Neumann2, Moos3, Erb4 5 und anderen haben zwar den Beweis geliefert, dass in der Chorda meistens Geschmacksfasern enthalten sind, \u00fcber deren Ursprung aber haben alle die bis jetzt angef\u00fchrten Arbeiten uns keinen sicheren Aufschluss gegeben, h\u00f6chstens nur zu Hypothesen gef\u00fchrt.6 * * * * * *\nDie n\u00e4chsten Studien waren vorzugsweise darauf gerichtet, diese Frage zu erledigen.\nSchiff13 hat verschiedene Schriften \u00fcber die Geschmacksnerven ver\u00f6ffentlicht. Er betrachtet den N. glosso-pharyngeus als jenen Nerv, welcher der Sensibilit\u00e4t der Zungenbasis vorsteht, und soll derselbe vorzugsweise Geschmacksnerv f\u00fcr das Bittere sein ; der aus dem Trigeminus stammende B. lingualis ist sensitiver Nerv und soll vorzugs-\n1\tA. Stich, Beitr\u00e4ge zur Kenntniss der Chorda tympani. Annalen des Charite-Krankenhauses etc. S. Jahrg. 1. Hft. S. 59. Berlin 1857.\n2\tNeumann (cit. S. 153). Derselbe, Partieller Verlust des Geschmackssinns als Folge einer Otitis interna, ein neuer Beitrag zur Kenntniss der Chorda tympani. K\u00f6nigsberger med. Jahrb. IV. S. 340 nach Henle und Meissner\u2019s Jahresbericht 1864. S. 554.\n3\tMoos, Innervationsst\u00f6rungen durch Application d. k\u00fcnstlichen Trommelfells. Vorl\u00e4ufige Mittheilung. Centralbl. f. d. med. Wiss. 1867. Nr. 46. Derselbe, Ueber St\u00f6rungen des Geschmacks- u. Tastsinnes der Zunge in Folge von Application des k\u00fcnstlichen Trommelfells bei grossen Trommelfell-Perforationen im Arch. f. Augen- und Ohrenheilkunde. I. 1869.\n4\tW. Erb, Zur Casuistik der Nerven- und Muskelkrankheiten. Deutsch. Arch, f. klin. Med. VII. S. 246.1870. Derselbe, Ueber rheumatische Facialisl\u00e4hmung, ebendaselbst XV. S. 6. 1875.\n5\tWir k\u00f6nnen nicht auf die zahlreichen ver\u00f6ffentlichten Krankengeschichten speciell eingehen, und m\u00fcssen uns mit der Hinweisung auf die Schriften von Bernard (1. c.), Duchenne (1. c.), Stich (1. c.). B\u00f6mberg (Nervenkrankheiten), Erb (1. c.) begn\u00fcgen. In denselben werden mehr oder weniger vollst\u00e4ndig sowohl bez\u00fcglich des n. facialis als auch des n. trigeminus Krankheitsf\u00e4lle mitgethe\u00fct, in welchen das Verhalten des Geschmackssinnes am vorderen The\u00fc der Zunge n\u00e4her gepr\u00fcft wurde.\n6\tIch f\u00fchre hier die diessbez\u00fcglichen Schriften von M. Schiff an, in so weit die-\nselben the\u00fcs im Original the\u00fcs im Auszug mir zur Kenntniss gelangten. \u2014 M. Schiff,\nNeue Untersuchungen \u00fcber die Geschmacksnerven des vorderen The\u00fces der Zunge. Molesch. Unters. X. S. 406. Giessen 1867. Derselbe, Le\u00e7ons sur la Physiologie de la\ndigestion. I. Florence et Turin 1867. Derselbe, Intorno ai nervi del gusto ed alla etero-topia tattile. Il Morgagni Disp. I. p. 47. Auszug in Virchow\u2019s und Hirsch Jahresber.\n5. Jahrg. 1870. I. S. 145 und Centralbl. f. d. med. Wiss. 1870. No. 21. S. 330. Der-\nselbe, Sui nervi gustatori. Lettera al Prof. Francesco Bandaccio a Palermo. L\u2019Impar-ziale XI. No. 15 (Separatabdruck). Enth\u00e4lt nur eine Polemik. Derselbe, S\u00fcll\u2019 origine\ndei nervi gustatori della parte anteriore della lingua. LTmparziale XII. No. 14. 1872.\nAuszug im Centralbl. f. med. Wiss. 1873. Nr. 59. S. 943.","page":171},{"file":"p0172.txt","language":"de","ocr_de":"172\tv. Vlntschgau, Geschmackssinn. 1. Cap. Geschmacks organ.\nweise f\u00fcr den sauren Geschmack bestimmt sein und auch eine geringe Empfindlichkeit f\u00fcr das Bittere besitzen, er versieht das vordere Drittel der Zunge. Wir k\u00f6nnen uns mit dieser Ansicht, welche auch von Pr\u00e9vost1 getheilt wird, nicht befreunden, da neben dem bitteren und saueren noch ein salziger und ein s\u00fcsser Geschmack vorkommt, und weil wir auch mit dem hinteren Theil der Zunge, in welchem sich der Glosso-pharyngeus verbreitet, alle Geschm\u00e4cke ohne Ausnahmen wahrnehmen. Diese Bemerkungen seien nur nebenbei gemacht, wichtig f\u00fcr uns ist zu erfahren, woher nach Schiff der R. lingualis seine Geschmacksfasern bezieht.\nNach Schiff (Le\u00e7ons etc.) S. 140 verlassen die f\u00fcr den vorderen Theil der Zunge bestimmten Geschmacksfasern das verl\u00e4ngerte Mark mit den Wurzeln des Trigeminus, treten aus der Sch\u00e4delh\u00f6hle mit dem zweiten Ast dieses Nerven, gehen zum Ganglion spheno-palati-num um von hier entweder direkt durch den N. sphenoidalis zum dritten Ast des Trigeminus, oder durch den N. Yidianus zum Ganglion geniculatum des Facialis zu gelangen, und verbinden sich dann entweder in der H\u00f6he des Ganglion oticum mit dem Stamm des N. maxillaris inferior oder gelangen durch die Chorda tympani zum R. lingualis.2\nSchief wurde zu diesem Schluss durch folgende Versuche gef\u00fchrt: Nach Durchschneidung des Trigeminus in der Sch\u00e4delh\u00f6hle fand er den Geschmack an dem vorderen Theil der Zunge verschwunden (Le\u00e7ons etc.). Dagegen nach Durchschneidung des N. inframaxillaris vor der Verbindung des R. lingualis mit der Chorda fand er den Geschmack an dem genannten Theile der Zunge vollkommen erhalten; nach Durchschneidung aber der Chorda tympani in der N\u00e4he des R. lingualis, vor ihrer Verbindung mit diesem und allen jenen Nervenfasern, die sich mit dem hinteren und inneren Rande des Lingualis und des Maxillaris inferior vereinigen, fand Schiff Abwesenheit des Geschmackes (Le\u00e7ons etc. und Neue Untersuch.). Den beiden zuletzt angef\u00fchrten Operationen ging immer die Durchschneidung der beiden Glosso-pharyngei voran. \u2014 Schiff schnitt ferner die beiden Glosso-pharyngei durch und \u00fcberzeugte sich, dass die Geschmacksempfindung des vorderen Theiles der Zunge gegen S\u00e4uren etwas vermindert, gegen bittere Stoffe aber noch sehr stark war; nun exstirpirte er die beiden Ganglia spheno-palatina nach der\n1\tJ. L. Pr\u00e9vost, Note relative aux fonctions gustatives du nerf lingual. Gaz. m\u00e9d. de Paris 1S69. 40. Ann\u00e9e. 3. Serie. XXIV.\n2\tIch theile die eigenen Worte von Schiff mit: Les nerfs gustatifs des parties ant\u00e9rieures de la langue quittent l\u2019enc\u00e9phale avec les racines du trijumeau, sortent du cr\u00e2ne avec la seconde branche de ce nerf, entrent dans le ganglion sph\u00e9no-palatin et de l\u00e0 se rendent soit par le nerf sph\u00e9no\u00efdal directement \u00e0 la troisi\u00e8me branche ('?), soit par les nerfs vidiens au ganglion g\u00e9nicul\u00e9 du facial, pour s\u2019accoller ensuite au tronc du maxillaire inf\u00e9rieur au niveau du ganglion otique ou pour se jeter dans le nerf lingual avec les filets compris sous le nom de corde du tympan.","page":172},{"file":"p0173.txt","language":"de","ocr_de":"Geschmacksnerven.\n173\nMethode von Pr\u00e9vost (siehe sp\u00e4ter S. 180), und sofort fehlte jede Spur einer Reaction gegen Coloquintlien (besser als Coloquinthen soll Digitalin zu diesen Versuchen sich eignen) (Intorno ai nervi etc.)* Schiff durch-schnitt endlich beide Glosso-pharyngei und beide Chordae tympani (nach der gew\u00f6hnlichen Methode in der Paukenh\u00f6hle) und dennoch behielt der vordere Theil der Zunge noch immer die F\u00e4higkeit, sauer und bitter zu schmecken, wenn auch vielleicht in etwas geringerem Grade (Le\u00e7ons etc.). Endlich ist zu erw\u00e4hnen, dass Schiff nicht bloss auf die Zeichen von Unbehaglichkeit, sondern auch auf die Speichelsecretion R\u00fccksicht nahm, die eintritt, wenn die Geschmacksnerven erregt werden, und legte zu dem Ende Speichelfisteln an.\nLussana hat sieb ebenfalls sehr eingehend mit den Geschmacks-nerven des vorderen Theiles der Zunge besch\u00e4ftigt und tritt gegen die eben (siehe oben S. 171 und folg.) angef\u00fchrte Ansicht von Schiff auf. \u2014 Nach Lussana verlassen die Geschmacksfasern f\u00fcr den vorderen Theil die Zunge das verl\u00e4ngerte Mark mit der Portio intermedia Wrisbergii, gelangen zum Ganglion geniculi um dann mit der Chorda tympani zu den R, lingualis trigemini sich zu begeben; er kommt somit auf die Ansicht Duchenne\u2019s (Cusco) zur\u00fcck (siehe oben S. 170).\nLussana st\u00fctzt seine Ansicht durch Anf\u00fchrung von Krankenbeobachtungen: n\u00e4mlich L\u00e4hmung des Trigeminus ohne Verlust des Geschmackes am vorderen Theil der Zunge 1 2 3, L\u00e4hmung des N. facialis mit Verlust des Geschmackes an dem genannten Theil4 ; Durchschneidung des R. lingualis bei Menschen1 3 4 und Verletzung der Chorda tympani bei Menschen2 3 mit Abolition des Geschmackssinnes an derselben Seite des vorderen Theiles der Zunge, und mit Versuchen an Hunden, n\u00e4mlich Durclischneidung des Lingualis und der Chorda tympani. 1 3\nPr\u00e9vost hat mehrere Schriften \u00fcber das Ganglion spheno-pala-tinum ver\u00f6ffentlicht; in der ersten5 finden wir, dass nach Exstirpation\n1\tG. Inzani e F. Lussana, Sui nervi del gusto. Osservazioni ed esperienze. An-nali Universali di Medicina. CLXXXI. fascicolo di Agosto 1862. Separatabdruck.\n2\tLussana, Destruction du go\u00fbt a la partie ant\u00e9rieure de la langue par suite de la section de la corde du tympane. Gaz. m\u00e9d. d. Paris 1864. 34. Ann\u00e9e III. Serie. XIX. p. 409. Die Originalsebrift wurde ver\u00f6ffentlicht in Annali Universa\u00fc di Medicina. CLXXXII. p. 307.\n3\tLussana, Recherches exp\u00e9rimentales et observations pathologiques sur les nerfs du go\u00fbt. Arch. d. physiol, norm, et pathol. II. 1869. Diese Arbeit wurde auch in italienischer Sprache ver\u00f6ffent\u00fccht unter dem Titel: Sui nervi del gusto. Ricerche sperimentali ed osservazioni patologiche. Gaz. med. italiana Provincie Venete. Anno XII. No. 14, 15 e 16. 1869.\n4\tLussana, Sur les nerfs du go\u00fbt. Observations et exp\u00e9riences nouvelles. Arch, d. physiol, norm, et pathol. IV. 1871\u201472. Dieselbe Arbeit in ita\u00fcenischer Sprache unter dem Titel: Sui nervi del gusto. Novelle osservazioni ed esperienze. Gaz. med. italiana Provincie Venete. Anno XIII. No. 42, 44, 45 e 46. 1870.\n5\tJ. L. Pr\u00e9vost, Recherches anatomiques et physiologiques sur le ganglion Sph\u00e9no-palatin. Arch. d. physiol, norm, et pathol. I. S. 7 u. 207. Paris 1868.","page":173},{"file":"p0174.txt","language":"de","ocr_de":"174\ny. Yintschgau, Geschmackssinn. 1. Cap. Geschmacksorgan.\ndes genannten Ganglion der Geschmack an dem vorderen Theil der Zunge hei Hunden nicht ver\u00e4ndert ist, und der N. Yidianus weder in der N\u00e4he des Ganglion geniculi noch in jener des Ggl. spheno-pala-tinum degenerirte Fasern zeigt; woraus Pr\u00e9vost den Schluss zieht, dass die Fasern des N. petrosus superficialis major vom Gl. geniculi entspringen. \u2014 Wichtiger ist die andere Schrift von Pr\u00e9vost (cit. S. 172), in welcher er die direkten Versuche beschreibt, die er anstellte um die Bedeutung des Gl. spheno-palatinum f\u00fcr den Geschmack zu ermitteln. Nach Exstirpation des Gl. spheno-palatinum fand Pr\u00e9vost niemals eine Ver\u00e4nderung des Geschmackes an der operirten Seite. Dieses Resultat stimmt mit jenem, welches schon Alcock erhielt (siehe oben S. 167) und widerspricht den Angaben Schiff\u2019s. Letzterer (Intorno ai nervi etc. cit. S. 171) hat getrachtet, die Beweiskraft dieser Versuche von Pr\u00e9vost dadurch zu schm\u00e4lern, dass er erw\u00e4hnt, dieselben k\u00f6nnten nur dann etwas beweisen, wenn man vorher beide Glosso-pharyngei durchschnitten h\u00e4tte. Pr\u00e9vost1 hat aber nach Exstirpation des Ggl. spheno-palatinum und nach Durchschneidung des N. Vidianus keine degenerirten Fasern in der Chorda gefunden, und auch diese Beobachtung ist der Ansicht Schiff\u2019s nicht g\u00fcnstig.\nSehr ausf\u00fchrlich endlich bespricht Pr\u00e9vost2 Versuche \u00fcber die Geschmacksnerven der Zungenspitze in seiner neuesten Arbeit. Die Versuche sind gewiss mit grosser Umsicht vorgenommen und es ist hierbei auch die von Schiff gemachte Einwendung ber\u00fccksichtigt (siehe oben). Aus Prevost\u2019s Versuchen wird ersichtlich, dass durch das Gl. spheno-palatinum gar keine Geschmacksfasern hindurchgehen, dass aber in der Chorda tympani Geschmacksfasern enthalten sind; es ist jedoch zu bemerken, dass Pr\u00e9vost selbst sagt: nach gleichzeitiger Durchschneidung beider Glosso-pharyngei und beider Chordae (in der Paukenh\u00f6hle) sei der Geschmackssinn an dem vorderen Theil der Zunge bald sehr wenig, bald bedeutend vermindert und in einem Falle (bei einer Katze) vollst\u00e4ndig vernichtet gewesen. Der Geschmackssinn am vorderen Theil der Zunge war aber immer vollst\u00e4ndig vernichtet, wenn nach Durchschneidung beider Glosso-pharyngei und beider Chordae auch jene des Lingualis ausgef\u00fchrt wurde. \u2014 Pr\u00e9vost \u00e4ussert jedoch keine Meinung weder \u00fcber die Bedeutung der Chorda f\u00fcr den Geschmackssinn, noch \u00fcber die Abstammung der Geschmacksfasern, welche in derselben und im\n[ J. L. Pr\u00e9vost , Sur la distribution de la corde du tympan. Compt. rend. LXXY. p. 1828. Juillet-Decembre 1872.\n3 J. L. Pr\u00e9vost, Nouvelles exp\u00e9riences relatives aux fonctions gustatives du nerf lingual. Arch. d. physiol, norm, et pathol. V. p. 253 u. 375. Paris 1873.","page":174},{"file":"p0175.txt","language":"de","ocr_de":"Geschmacksnerven.\n175\nR. lingualis verlaufen. Ich glaube, dass die Versuche Prevost\u2019s eine leichte Erkl\u00e4rung in der Hypothese Carl\u2019s, die bald angef\u00fchrt werden soll, finden k\u00f6nnen.\nVulpian 1 hat ebenfalls mehrere Arbeiten ver\u00f6ffentlicht, wobei wir uns jedoch nur an die letzte halten wollen. Er untersuchte bloss, in welchen Zweigen nach Durchschneidung der einzelnen Nerven degenerirte Fasern sich finden. Wurde der Facialis in der Sch\u00e4delh\u00f6hle durchschnitten, bei welcher Operation auch die Portio intermedia Wrisbergii mit durchtrennt wird, so fand man wohl die Fasern des Facialis und fast alle des N. petrosus superficialis major ver\u00e4ndert, jene der Chorda aber, mit Ausnahme von sehr wenigen, unver\u00e4ndert.1 2 Diese Beobachtung Vulpian\u2019s spricht gegen die Ansicht Duchenne\u2019s (siehe oben S. 170) und Lussana\u2019s (siehe oben S.173), dass die Geschmacksfasern f\u00fcr den vorderen Th eil der Zunge von der Portio intermedia Wrisbergii entspringen; sie erg\u00e4nzt aber jene von Pr\u00e9vost da dieser (siehe oben S. 173) nach Exstirpation des Ggl. spheno-palatinum keine degenerirtenFasern im N. petrosus superf. major fand. Die Versuche Vulpian\u2019s im Zusammenh\u00e4nge mit jenen von Pr\u00e9vost ergeben somit, dass die Fasern des N. petr. sup. maj. vom Ggl. ge-niculi ausgehen und eine Verbindung zwischen diesem und dem Ggl. spheno-palatinum herstellen, nicht aber umgekehrt. Sie sprechen daher wieder gegen die Behauptung Schiff\u2019s , dass der N. petr. sup. maj. Geschmacksfasern vom spheno palatinum zum Ggl. geniculi f\u00fchre. Vulpian fand, nach Exstirpation des Ggl. spheno-palatinum, auch in dem N. petrosus superf. minor keine degenerirten Fasern. Dagegen fand er, dass nach Durchschneidung des Trigeminus in der Sch\u00e4delh\u00f6hle die Chordafasern degenerirt waren, was der Ansicht Schiff\u2019s zu Hilfe k\u00e4me. Aus der letzten Beobachtung zieht wohl Vulpian den Schluss, dass die Chorda vom Trigeminus stamme, setzt aber gleich hinzu, dass die Frage noch nicht endg\u00fcltig entschieden sei.\nWir haben nun die Schrift von Carl3 zu erw\u00e4hnen. Dieselbe ist in doppelter Hinsicht von Bedeutung, erstens weil ein Arzt die Beobachtung an sich selbst anstellen konnte, zweitens weil wir einer Hypothese f\u00fcr die Abstammung der Geschmacksnerven des vorderen Theiles der Zunge begegnen, welche vor ihm wohl auf Grundlage\n1\tVulpian , Exp\u00e9riences ayant pour but de determiner la veritable origine de la corde du tympan. Gaz. m\u00e9d. de Paris 1878. VII. 49. Ann\u00e9e. 5. Serie, p. 231.\n2\tDiese wenigen ver\u00e4nderten Fasern, die Vulpian in der Chorda, nachdem er den N. facialis in der Sch\u00e4delh\u00f6hle durchgeschnitten hatte, fand, k\u00f6nnen wohl jene Fasern sein, die f\u00fcr die Speichelsecretion bestimmt sind (siehe oben S. 168 die Note).\n3\tCarl August Carl, Ein Beitrag zur Frage : Enth\u00e4lt die Chorda tympani Geschmacksfasern ? Separatabdruck aus Arch. f. Ohrenheilkunde. X. S. 152\u2014178. 1875.","page":175},{"file":"p0176.txt","language":"de","ocr_de":"176\nv. Vintschgau, Geschmackssinn. 1. Cap. Geschmacksorgan.\nder anatomischen Verh\u00e4ltnisse ausgesprochen wurde, niemals aber eine n\u00e4here physiologische Begr\u00fcndung erfuhr.\nEs wurde schon oben erw\u00e4hnt (siehe S. 170), dass Duchenne an-giebt, die Chorda erhalte Aeste aus dem N. glosso-pliaryngeus durch den N. Jacobsonii mittelst des Plexus tympanicus. \u2014 W. Krause (cit. S. 147) sagt ausdr\u00fccklich, die Fasern des N. glosso-pharyngeus gelangen auf dem Wege des N. tympanicus durch den N. petrosus superficialis minor zum N. facialis und von diesem als Chorda tympani zur Zunge. \u2014 Endlich hat Garibaldi1 einen kleinen Verbindungszweig zwischen N. glosso-pharyngeus und Facialis beschrieben, \u00fcber welchen jedoch die Acten noch nicht abgeschlossen sind (vgl. Henle\u2019s Nervenlehre 1879. S. 472).\nDie Geschmacksf\u00e4higkeit der linken vorderen Partie der Zunge ist bei Carl f\u00fcr alle Geschm\u00e4cke vernichtet, jene der rechten Seite vollkommen erhalten. Alle Gehirnnerven sind vollkommen functionsf\u00e4hig, es besteht n\u00e4mlich keine St\u00f6rung weder im Gebiete des Facialis noch in jenem des Trigeminus ; eine Otorrh\u00f6 aber, welche seit der fr\u00fchesten Jugend dauert, hat das linke Trommelfell fast vollst\u00e4ndig zerst\u00f6rt, die Schleimhaut der Labyrinthwand der Trommelh\u00f6hle ist in Vernarbung begriffen ohne wesentliche Hypertrophie derselben. Carl erw\u00e4hnt, dass seine linke Chorda noch unver\u00e4ndert zu sein scheint, da die sekretorischen und sensiblen Fasern derselben sehr prompt antworten. Carl nimmt desshalb an, dass die Geschmacksfasern f\u00fcr die vordere Zungenpartie vom N. glosso-pharyngeus stammen, und durch das Ggl. petrosum und den N. tympanicus (od. Jacobsonii) zum plexus tympanicus gelangen, von hier aus tbeils (und zwar die Hauptmasse) durch den N. petrosus superf. minor zum Ggl. oti-cum und somit zum Lingualis gelangen, theils (und zwar der kleinste Theil) durch den ramus communicans cum plexu tympanico zum Ggl. geniculi und von hier durch Facialis und Chorda zu dem R. lingualis treten. Wir sehen somit, dass der Glosso-pharyngeus, wenn auch auf Umwegen, doch die vorderen Theile der Zunge mit Geschmacksfasern versieht.\nV. Urbantschitsch (cit. S. 156) kommt ebenfalls auf Grundlage seiner Beobachtungen an Kranken zur Ansicht, dass im Plexus tympanicus Geschmacksfasern verlaufen, welche vom Glosso-pharyngeus durch den N. Jacobsonii dahingelangen.\nUm alle Ansichten \u00fcber die Wege, auf welchen die vorderen Theile der Zunge mit Gesclimacksfasern versorgt werden, zu erw\u00e4hnen, so er\u00fcbrigt uns noch eine Angabe Valentin\u2019s mitzutheilen, der zu Folge Fasern des Glosso-pharyngeus mit dem Lingualis bis zur Zungenspitze ge-\n1 Garibaldi, La Liguria medica 1865, angef. nach Lussana. Sur les nerfs etc. siehe oben S. 173.","page":176},{"file":"p0177.txt","language":"de","ocr_de":"Geschmacksnerven.\n177\nlangen *, eine Angabe, die er auch sp\u00e4ter 1864 (cit. S. 166) aufrecht hielt und welche von Hirschfeld 2 ebenfalls gemacht wurde. Es gen\u00fcgt, diese Angaben erw\u00e4hnt zu haben, da die \u00fcbrigen Anatomen solche Beobachtungen nicht best\u00e4tigen konnten.\nWenn wir auch nicht leugnen k\u00f6nnen, dass viel Scharfsinn und viel M\u00fche angewendet wurde, um die Frage \u00fcber den Ursprung der Geschmacksfasern f\u00fcr die vorderen zwei Drittel der Zunge zu l\u00f6sen, so m\u00fcssen wir doch gestehen, dass dieselbe endg\u00fcltig noch nicht entschieden ist. Diejenige Ansicht, welche die meisten Anh\u00e4nger f\u00fcr sich hat, und welche seit Magendie\u2019s Zeit in Geltung blieb, geht dahin, dass diese Geschmacksfasern vom Trigeminus stammen. Eine Reihe Versuche an Thieren, eine Reihe Beobachtungen an Kranken mit Trigeminusl\u00e4hmung und Verlust des Geschmackssinnes an der Zungenspitze sollen f\u00fcr dieselbe sprechen. \u2014 Gegen die Ergebnisse der Versuche an Thieren lassen sich mehrere Einw\u00e4nde erheben, einmal, dass es immer sehr schwer ist zu ermitteln, wie der Geschmackssinn an einer beschr\u00e4nkten Zungenpartie bei Thieren sich verhalte (siehe oben S. 162), ferner dass sowohl nach Schiff (cit. S. 171) als auch nach Lussana (cit. S. 173) der R. lin-gualis als solcher keine Geschmacksfasern enthalten soll, wodurch der erstgenannte Forscher sich zu der Annahme gen\u00f6thigt sah, dass die betreffenden Fasern auf dem Umweg des N. Vidianus zum Facialis kommen, um von hier durch zwei Wege zum R. lingualis zu gelangen. Gegen die Behauptung Schiff\u2019s, dass der N. Vidianus Geschmacksfasern f\u00fchre, sprechen aber die Beobachtungen Prevost\u2019s und Vulpian\u2019s.\nEine andere Ansicht ist, dass die Geschmacksfasern f\u00fcr die vorderen zwei Drittel der Zunge von der Portio intermedia Wrisb er gii entspringen und l\u00e4ngs der Chorda zum R. lingualis gelangen. Gegen diese Ansicht sprechen aber folgende Gr\u00fcnde: Man hat wohl bei Facialisl\u00e4hmungen Abolition des Geschmackes an der Zungenspitze beobachtet, aber nur in jenen F\u00e4llen, in welchen die Ursache der L\u00e4hmung zwischen Gl. geniculi und vor der Abgabe der Chorda sass, niemals aber wenn die Ursache der L\u00e4hmung vor dem Gl. geniculi sich befand. Ausserdem ist auch die Beobachtung Vulpian\u2019s, welcher nach Durchschneidung des Facialis in der Sch\u00e4delh\u00f6hle nur sehr wenige degenerirte Fasern in der Chorda fand, dieser Ansicht nicht g\u00fcnstig.\n1\tG. Valentin, De functionibus nervorum cereb. et nervi sympath. Libri quat-tuor. Bernae et Sangalli Helvetiorum 1839.\n2\tHirschfeld citirt von Bernard S. 239 u. 340 in Le\u00e7ons sur la physiol, et la path, du syst, nerveux. II. Paris 1858.\nHandbuch der Physiologie. Bd. Ill a.\n12","page":177},{"file":"p0178.txt","language":"de","ocr_de":"178\ny. ViNTscHGATJ, Geschmackssinn. 1. Cap. Geschmacksorgan.\nSo bleibt uns endlich noch die letzte Ansicht, dass n\u00e4mlich d i e Geschmacksfasern f\u00fcr die vorderen zwei Drittel der Zunge vom Glosso-pharyngeus stammen und durch den N. tympanicus zum PI. tympanicus und von hier auf zwei Wegen zum Lingualis gelangen. Diese Ansicht findet eine St\u00fctze in der Beobachtung Carl\u2019s, in den F\u00e4llen von Trigeminusl\u00e4hmungen, bei welchen der Geschmack an der Zungenspitze nicht ver\u00e4ndert war, und erkl\u00e4rt uns leicht, wie es komme, dass die Facialisl\u00e4hmungen, deren Anlass oberhalb des Gl. geniculi liegt, niemals von Geschmacksst\u00f6rungen begleitet sind. Dagegen fehlt dieser Ansicht die Sanktion durch physiologische Versuche und es widersprechen ihr die F\u00e4lle von Trigeminusl\u00e4hmungen mit Geschmacksabolition an der Zungenspitze, sowie die Beobachtungen von Vulpian, dass nach Durchschneidung des Trigeminus in der Sch\u00e4delh\u00f6hle die Fasern der Chorda degenerirt seien. Die Ansicht, dass die Geschmacksfasern f\u00fcr die Zunge bloss vom Glosso-pharyngeus stammen, ist diejenige, welche auch vom theoretischen Standpunkt die meiste Berechtigung hat, da dadurch ein einheitlicher Weg f\u00fcr den Austritt der Geschmacksfasern aus dem verl\u00e4ngerten Mark hergestellt wird.\nEs er\u00fcbrigt uns noch die Frage zu untersuchen woher der weiche Gaumen und die vorderen Gaumenpfeiler ihre Geschmacksfasern beziehen.\nMagendie (Lehrbuch etc. cit. S. 165) hat allen Aesten des f\u00fcnften Paares, welche in die verschiedenen zur Aufnahme von Geschmackseindr\u00fccken bestimmten Theile gehen, Geschmacksfasern zugeschrieben. Kornfeld (cit. S. 157), bloss auf Krankenbeobachtungen gest\u00fctzt, betrachtet den N. pterygo - palatinus als den Geschmacksnerv f\u00fcr den Gaumen. J. M\u00fcller 1 schreibt ebenfalls den Gaumen\u00e4sten des Quintus Geschmacksf\u00e4higkeit zu, st\u00fctzt sich aber bloss auf dite Thatsache, dass der weiche Gaumen schmeckt*, Alcock (cit. S. 16/) nimmt an, dass die N. nasopalatini Geschmacksfasern f\u00fchren; seine Versuche sind aber nicht beweisend, da er vorher den N. glosso-pharyngeus nicht durchschnitten hatte. Guyot (cit. S. 157) hat bloss eine anatomische Untersuchung der Nerven, welche zu dem weichen Gaumen gehen, mitgetheilt und zog daraus den Schluss, dass der Glosso-pharyngeus vielleicht den Geschmack am weichen Gaumen besorge. Wir wollen noch nebenbei bemerken, dass Guyot Aeste des Glosso-pharyngeus bis zur Epiglottis und Glottis verfolgt hat; aber vorher schon hatte dieser Nerv mit dem Vagus und mit den Cervicalgang-\n1 J. M\u00fcller, Anmerkung zur Abhandlung von Stannius cit. S. 166.","page":178},{"file":"p0179.txt","language":"de","ocr_de":"Geschmacksnerven.\n179\nlien Anastomosen eingegangen. Hein1 2 nimmt ebenfalls an, dass Fasern des Glosso-pharyngeus sowohl zum weichen Gaumen und auch zu den vorderen Gaumenbogen gelangen. Versuche hat er nicht vorgenommen. Biffi und Morganti (cit. S. 169) sehen den Glosso-pha-ryngeus als Geschmacksnerv f\u00fcr den Gaumen und die Gaumenbogen an. Longet (cit. S. 159) vermuthet auf Grund des Eindruckes, welchen er gewonnen, als Hunde, denen sowohl der Glosso-pharyngeus als auch der R. lingualis durchschnitten worden war, den widerlichen Geschmack einiger Stoffe noch erkennen konnten, dass dies durch den h\u00e4ngenden Gaumen bedingt sei, welcher sein Geschmacksverm\u00f6gen von den Gaumennerven bezieht. Und in der Note bemerkt Longet, dass Debrou 1 F\u00e4den vom Glosso-pkaryngeus beschrieben hatte, \u201ewelche sich zum horizontalen Theile des h\u00e4ngenden Gaumens be-\u201egeben (der R. pharyngobasilaris Krause); es w\u00e4re also m\u00f6glich, \u201edass der Oberkieferast des f\u00fcnften Paares Nichts mit der Sinnes-\u201eempfindlichkeit dieser Stelle zu thun h\u00e4tte.\u201c Bernard (Le\u00e7ons etc, cit. S. 169) scheint anzunehmen, dass der Geschmack am weichen Gaumen und den Gaumenb\u00f6gen vom Trigeminus abh\u00e4nge. Valentin [(cit. S. 166) S. 113 2. Th.] endlich nimmt an, dass der Geschmack am weichen Gaumen vom Glosso-pharyngeus vermittelt werde.\nNach W. Klause (cit. S. 147) soll die Hinterfl\u00e4che der Epiglottis ihre Nerven direkt vom N. glosso-pharyngeus erhalten, und schon Valentin (cit. S. 177) hatte eine gleiche Aeusserung gethan. Vergleiche oben S. 178 die gleiche Angabe von Guyot.\nDieser Ueberblick zeigt uns, dass die Frage \u00fcber den Ursprung der Geschmacksfasern des weichen Gaumens und der vorderen Gaumenb\u00f6gen noch nicht endg\u00fcltig beantwortet ist; es ist jedoch sehr wahrscheinlich, dass die genannten Theile vom N. glosso-pharyngeus ihre Geschmacksfasern beziehen.\nWir wollen hier noch andeuten, dass Fermer3, gest\u00fctzt auf Versuche, die er bei Thieren (Affen, Hunden, Katzen und Kaninchen) vor-nahm, sowie auch auf Grund von Beobachtungen an kranken Menschen, die Ansicht vertheidigt, dass die Riech- und Schmeckcentren nahe neben einander im unteren Theile des Sclil\u00e4felappens sich befinden. Die beiden Centren lassen sich durch Versuche nicht gegen einander abgrenzen; Fermer jedoch, gest\u00fctzt auf den Effect der elektrischen Reizung, nimmt den Uncus (Gyrus uncinatus) f\u00fcr den Geruchssinn, und die Gehirntheile, welche zum Uncus in inniger Beziehung stehen, f\u00fcr den Geschmackssinn\n1\tJ. A. Hein, Ueb. die Nerven d. Gaumensegels. Arch. f. Anat. u. Physiol. 1844.\n2\tDebrou, Th\u00e8se 1841. Nach Longet citirt.\n3\tD. Ferrier, Die Functionen des Gehirnes. Uebers. von Dr. H. Obersteiner. Braunschweig 1879.\n12*","page":179},{"file":"p0180.txt","language":"de","ocr_de":"180\nv. Vintschgau, Geschmackssinn. 1. Cap. Geschmacksorgan.\nin Anspruch. Ausserdem soll das Centrum f\u00fcr den Geschmack und dasjenige f\u00fcr die Tastempfindlichkeit der Zunge innerhalb des Grosshirns innig associirt sein.\n3. Methoden der Nervendurchschneidung.\nWir wollen noch schliesslich die Methoden der Durchschneidung der hier in Betracht kommenden Nerven erw\u00e4hnen.\nGlosso-pharyngeus. Panizza, Kornfeld, Stannius und Schiff haben die von ihnen angewendeten Methoden zur Durchschneidung dieses Nerven beschrieben. Die ausf\u00fchrlichste Beschreibung der Operationsmethode wurde jedoch von Pr\u00e9vost (cit. S. 174) gegeben. Cyon 1 S. 315 erw\u00e4hnt zwei Methoden. Bei der zweiten, die auch ich h\u00e4ufig angewendet habe, wird der Hauptschnitt ziemlich nahe dem Winkel des Unterkiefers gef\u00fchrt, der obere Ansatz des Sterno-cleido-mastoideus nach aussen gedr\u00e4ngt und in der Tiefe der Glosso-pharyngeus aufgesucht. Nahe seinem Austritte durch das Foramen jugulare wird er entweder mit Exstirpation eines kleinen Theiles durchschnitten oder mit einer Pincette erfasst und unter torquirenden Bewegungen aus der Sch\u00e4delh\u00f6hle herausgerissen.\nTrigeminus. Dieser Nerv wird in der Sch\u00e4delh\u00f6hle durchschnitten und zwar nach der Methode, welche an einer andern Stelle dieses Werkes beschrieben wurde.\nRamus lingualis trigemini. Die Durchschneidung desselben nach seiner Verbindung mit der Chorda ist nicht schwer und man wendet dazu im Allgemeinen jenes Verfahren an, welches f\u00fcr das Studium des Einflusses der Chorda auf die Speichelsecretion der Submaxillaris ben\u00fctzt wird. Diese Methode wurde ebenfalls an einer anderen Stelle dieses Werkes beschrieben. Schwieriger ist die Durclischneidung des Lingualis vor der Aufnahme der Chorda; Schiff (Le\u00e7ons etc. cit. S. 171) hat diesen Nerv von der inneren Seite der Mundh\u00f6hle aus durchgeschnitten.\nGanglion spheno-palatinum. Alcock, Schiff und Pr\u00e9vost haben Operationsmethoden angegeben, von denen die beste jene von Pr\u00e9vost zu sein scheint icit. S. 173). Es wird die Apophysis zygomatica entfernt und dadurch die Fossa pterygo-maxillaris blosgelegt, der Augapfel wird nach oben gedr\u00e4ngt und die Gef\u00e4sse unterbunden, so gelangt man nach Zur\u00fcckdr\u00e4ngung des Bindegewebes sehr leicht auf den N. maxillaris superior, auf die Rami infraorbitales und Dentures superiores, welche das Ganglion und den N. naso-palatinus bedecken.\nChorda tympani. Dieselbe wird meistens in der Paukenh\u00f6hle durchschnitten. Nach Cyon (1. c.) S. 514 wird mit einem scharfen Neuro-tom durch das Trommelfell in die Paukenh\u00f6hle gedrungen, und indem man dessen Schneide nach oben richtet, wird das Messer mit einiger Kraft zur\u00fcckgezogen. Die Chorda wird dabei ganz sicher durchgetrennt.\nFacialis. Cyon (1. c.) S. 513 beschreibt eine Methode, um diesen Nerv in der Sch\u00e4delh\u00f6hle ohne deren Er\u00f6ffnung zu durchschneiden ; das Thier soll aber oft wegen starker intercranieller Blutung zu Grunde gehen.\n1 E. Cyon, Methodik der physiologischen Experimente u. Vivisectionen. Giessen und St. Petersburg 1876.","page":180},{"file":"p0181.txt","language":"de","ocr_de":"2. Cap. Heize f\u00fcr das Geschmacksorgan. Elektrische Heize.\n181\nZWEITES CAPITEL.\nDie Reize f\u00fcr das Gesckinacksorgan.\nI. Elektrische Reize.\nSulzer (1752)1 hat zuerst bei Application von zwei verschiedenen Metallen an die Zunge eine eigent\u00fcmliche Geschmacksempfindung gehabt, die er mit jener des Eisenvitriols vergleicht. Dieser von den neueren Physiologen nach Sulzer benannte Versuch, welcher wie du Bois-Reymond2 (S. 54 Note) bemerkt, als der erste thierisch-elektrische Versuch angesehen werden muss, gerieth aber in Vergessenheit, bis Volta (1792) ihn aufs Neue entdeckte, und zum Ausgangspunkt f\u00fcr die elektrische Heizung der Sinnesorgane machte.\nVolta3 (S. 93 bis 95, S. 159, S. 161, S. 182) erkannte, dass der eigenth\u00fcmliche Geschmack bei der Application von zwei verschiedenen Metallen an die Zunge von einem elektrischen Strome hervorgerufen wird, und war auch der erste4 (S. 123), welcher die Zunge mit dem Strome der von ihm entdeckten S\u00e4ule reizte. \u2014 In den ersten Jahren nach der Ver\u00f6ffentlichung der VoLTA\u2019schen Beobachtungen wurden dieselben von allen Forschern wiederholt, und es sind dar\u00fcber mehrere Schriften erschienen (Pfaff5 6 7, Monro h, Humboldt\u201d, Hitter8).\n1\tHistoire de l\u2019Academie des Sciences et Belles lettres de Berlin (ann\u00e9e 1752). 1754. 4\u00b0. Recherches sur l\u2019origine des sentiments agr\u00e9ables et d\u00e9sagr\u00e9able parM. Sulzer. Troisi\u00e8me partie. Des plaisirs des sens p. 356 Note; citirt nach Du Bois-Reymond, Untersuchungen etc. (siehe unten).\n2\tE. du Bois-Reymond, Untersuchungen \u00fcber thierische Elektricit\u00e4t. I. Berlin\n1848.\n3\tCollezione dell\u2019 op\u00e9r\u00e9 del cav. Conte Alessandro Yolta patrizio comasco. IL partel. Firenze 1816. Ich citire bloss Collezione etc., ohne die einzelnen Schriften Volta\u2019s anzuf\u00fchren, da ich ohnehin im Texte die Seiten der Co\u00fcezione angebe, und dieselbe leicht zug\u00e4nglich ist.\n4\tCollezione dell\u2019 opere di Alessandro Yolta etc. n. parte II.\n5\tC. H. Pfafe, Abhandlung \u00fcber die sogenannte thierische Elektricit\u00e4t in Gren\u2019s Journ. d. Physik. VHI. Leipzig 1794. Derselbe, Ueber thierische Elektricit\u00e4t u. Reizbarkeit. Ein Beitrag zu den neuesten Entdeckungen \u00fcber diese Gegenst\u00e4nde. Leipzig 1795. Derselbe in Gehler\u2019s physikalisches W\u00f6rterbuch, neu bearbeitet von Brandes, Gmelin, Horner, Muncke, Pfaff. IY. 2. Ab,th. Leipzig 1828. Artikel Galvanismus bearbeitet von Pfaff. S. 734\u2014736.\n6\tAlexander Monro u. Richard Fowler, Abhandlung \u00fcber thierische Elektricit\u00e4t und ihren Einfluss auf das Nervensystem. Leipzig 1796.\n7\tF. A. von Humboldt, Versuche \u00fcber die gereizten Muskel- und Nervenfasern nebst Yermuthungen \u00fcber den chemischen Process des Lebens in der Thier- u. Pflanzenwelt. I. Posen und Berlin 1797.\n8\tJ. W. Ritter, Beweis, dass ein best\u00e4ndiger Galvanismus den Lebensprocess in dem Thierreich begleite nebst neuen Versuchen und Bemerkungen \u00fcber den Galva-","page":181},{"file":"p0182.txt","language":"de","ocr_de":"182 v. Vintschgau, Geschmackssinn. 2. Cap. Reize f\u00fcr das Geschmacksorgan.\nDas erste und das wichtigste Resultat dieser Bestrebungen, welches auch die sp\u00e4teren Forscher best\u00e4tigten, ist folgendes: Wenn durch die Zunge ein elektrischer Strom geht, so hat man an der Stelle, an welcher der Strom eintritt (Anode) einen s\u00e4uerlichen, an der Stelle dagegen, an welcher der Strom austritt (Kathode) einen anderen Geschmack, welcher wohl f\u00fcr gew\u00f6hnlich als alkalisch bezeichnet wird, obwohl schon Volta denselben als etwas alkalisch, scharf herb (acre), sich dem bitteren n\u00e4hernd beschrieb, und obwohl derselbe von verschiedenen Forschern auch anders bezeichnet wurde. Diese beiden Empfindungen dauern so lange fort, als der Strom anh\u00e4lt und die Zungenbewegungen zwischen beiden Elektroden haben keinen Einfluss, wenn dabei der Contact nicht vollst\u00e4ndig aufgehoben wird.\nVor Kurzem habe ich1 \u00fcber diesen Gegenstand einige Beobachtungen ver\u00f6ffentlicht. Aus denselben geht hervor, dass die elektrische Reizung meiner Zungenspitze gar keine Geschmacksempfindung erzeugt. Diese Erfahrung erg\u00e4nzt die oben S. 157 mitgetheilte Wahrnehmung, dass meine Zungenspitze die Geschm\u00e4cke nur unvollkommen percipirt. Es wurden weiter Beobachtungen \u00fcber elektrische Geschm\u00e4cke mitgetheilt, wie solche von einer Person, die an der Zungenspitze eines guten Geschmackes sich erfreut, wahrgenommen wurden. Die Reizung geschah mit einem Batteriestrom. Lag die Kathode auf der oberen Fl\u00e4che der Zungenspitze, so fehlte bei schwachen Str\u00f6men nicht selten die Empfindung, bei st\u00e4rkeren Str\u00f6men hingegen wurde dieselbe meistens als metallisch, metallisch zusammenziehend, s\u00e4uerlich metallisch, metallisch bitterlich bezeichnet. Lag dagegen die Anode auf der oberen Fl\u00e4che der Zungenspitze, dann\nnismus Weimar 1798. Derselbe. Versuche und Bemerkungen \u00fcber den Galvanismus der VoLTA\u2019schen Batterie. Zweiter Brief. Wirkung des Galvanismus der-Volta\u2019s eben Batterie auf menschliche Sinneswerkzeuge in Gilbert\u2019s Ann. d. Physik VII. S. 44s. Halle 1801 Derselbe, Neue Versuche und Bemerkungen \u00fcber den Galvanismus. Zweiter Brief in Gilbert\u2019s' Ann. d. Physik XIX. Ha\u00fce 1805. Derselbe, Beitr\u00e4ge zur n\u00e4heren Kenntniss des Galvanismus und der Resultate seiner Untersuchung. II. 2. St\u00fcck. Jena 1802 und II. 3.4. und letztes St\u00fcck. Jena 1805.\nAusser den eben erw\u00e4hnten Autoren haben sich noch andere mit diesem Gegenst\u00e4nde besch\u00e4ftigt und wir geben in Folgendem der Vollst\u00e4ndigkeit wegen die Titel der Ver\u00f6ffentlichungen: (1792) Auszug aus einem Brief des Herrn Lichtenberg an den Herausgeber. Gren\u2019s Journ. d. Physik VI. S. 414. Leipzig. \u2014 (1793) Robinson in einem Brief datirt Edinburg 28. May 1793 in A. Monro u. R. Fowler s Abhandlung etc S 174. \u2014 (1794) Kielmayer. Versuche \u00fcber die sogenannte animalische Elektricit\u00e4t. Gren\u2019s Journ. d. Physik VIII. S. 65. Leipzig. \u2014 fl800) Lehot Theorie des einfachen Galvanismus gegr\u00fcndet auf neue Versuche. Gilbert\u2019s Ann. d. Physik IX. Ha\u00fce 1801. Diese Arbeit wurde zuerst im December 1800 im National-Institute vorgelesen und im Journ. de Phys. IX. p. 135 gedruckt. Carradori von du Bois-Reymond I. S. 339 citirt.\n1 M. y. Vintschgau. Beitr\u00e4ge zur Physiologie des Geschmackssinnes II. Theil. Arch. f. d. gesammte Physiologie XX. S. 81.","page":182},{"file":"p0183.txt","language":"de","ocr_de":"Elektrische Reize.\n183\nwurde auch bei schwachen Str\u00f6men eine Geschmacksempfindung wahrgenommen. Die Empfindung an der Anode wurde als s\u00e4uerlich, s\u00e4uerlich metallisch, s\u00e4uerlich bitterlich, metallisch bezeichnet. \u2014 Ich habe auch Beobachtungen \u00fcber die elektrische Reizuug meines Zungengrundes in der Gegend der Pap. circumv, und Pap. fol. mitgetheilt. Diese Versuche ergaben : bei Anlegung der Kathode am Zungengrunde war die Empfindung bald nicht deutlich, bald leicht stechend oder pri-kelnd, bald schwach s\u00e4uerlich, bald s\u00e4uerlich prikelnd oder stechend, bald bitterlich metallisch; dagegen bei Anlegung der Anode an den Zungengrund wurde die Empfindung bald als schwach s\u00e4uerlich metallisch, bald als metallisch-bitterlich-s\u00e4uerlich bezeichnet. Sie fehlte aber auch in jenen F\u00e4llen niemals, in welchen bei entgegengesetzter Richtung, aber derselben Intensit\u00e4t des Stromes gar keine Empfindung auftrat.\nRitter (Neue Versuche etc. cit. S. 182), welcher die Reihe der Bearbeiter dieses Gegenstandes am Ende des vorigen und im Beginne dieses Jahrhunderts schliesst, gibt an (S. 8), dass bei starker Wirkung des Stromes der gew\u00f6hnlich am positiven Pole auftretende saure Geschmack \u201e durch einen wahrhaft mittelsalzigen am besten mit dem \u201edes Kochsalzes zu vergleichenden Geschmack in einen bitteren brennenden alkalischen\u201c, \u00fcbergehe, auch der alkalische Geschmack am negativen Pole gehe mit steigender Wirkung in einen immer st\u00e4rker werdenden sauren \u00fcber; und an einem anderen Orte [(Beitr\u00e4ge etc. cit. S. 182) S. 161] sagt er, dass der saure Geschmack am positiven Pole mit der Trennung in einen bitteren alkalischen, der alkalische Geschmack am negativen Pole aber mit der Trennung in einen sauren Geschmack \u00fcbergehe. Rosenthal1 konnte niemals die Umkehrung des Geschmackes bei Oeffnen des Stromes, von welcher Ritter spricht, wahrnehmen, er beobachtete bloss, dass nach der Oeffnung des Stromes der saure Geschmack kurze Zeit fortdauerte, der alkalische dagegen schnell verschwand.\nVon meiner Seite (cit. S. 182) haben die Beobachtungen Ritter\u2019s \u00fcber die Umkehrung des Geschmackes beim Oeffnen des Stromes einigermaassen eine Best\u00e4tigung erhalten. Einerseits beobachtete ich an mir selber, dass wenn die Kathode auf dem Zungengrunde lag, im Moment des Oeffnens der vorwiegend s\u00e4uerliche Geschmack in einen schwach metallischen \u00fcberging. Andererseits wurde mir von einer zweiten Person, bei welcher ich Versuche an der Zungenspitze anstellte, angegeben, dass bei Unterbrechung sowohl der einen wie\nl J. Rosenthal in Berlin, Ueber den elektrischen Geschmack. Arch. f. Anat. u. Physiol. 1860. S. 217.","page":183},{"file":"p0184.txt","language":"de","ocr_de":"184 y. ViNTSCHGAu, Geschmackssinn. 2. Cap. Reize f\u00fcr das Geschmacksorgan.\nder anderen Stromesrichtung ein Nachgeschmack bemerkbar sei, der entweder als deutlich metallisch, wenn der urspr\u00fcngliche s\u00e4uerlich metallisch war, oder als Verst\u00e4rkung des urspr\u00fcnglichen metallischen bezeichnet wurde. Eine Umwandlung aber des metallischen in einen s\u00e4uerlichen Geschmack wurde niemals wahrgenommen.\nDie Geschmacksempfindungen, welche bei der elektrischen Reizung der Zunge entstehen, werden von den Forschern meistens sehr verschiedenartig beschrieben. Ein Grund der im Allgemeinen weniger \u00fcbereinstimmenden Bezeichnungen liegt sehr wahrscheinlich darin, dass nicht bloss die Geschmacks-, sondern auch die Gef\u00fchlsnerven gleichzeitig gereizt werden, so dass die Empfindung aus Geschmacks- und Gef\u00fchlsempfindung gemischt ist. Schon Humboldt [(cit. S. 181) S. 318] hat auf diesen Umstand aufmerksam gemacht, sp\u00e4ter auch Volta (II parte II S. 122) als er die Versuche mit seiner S\u00e4ule wiederholte, indem er angibt, dass man nicht allein eine Geschmacksempfindung habe ; und bei n\u00e4herer Betrachtung der Ergebnisse der Versuche von Pfaff (cit. S. 181) von Monro (cit. S. 181) und anderen kann man kaum den Gedanken unterdr\u00fccken, dass in vielen F\u00e4llen nicht so sehr eine Geschmacks- als vielmehr eine Gef\u00fchlsempfindung beschrieben wird.\nEine wichtige Frage ist es, ob die Geschmacksempfindung von einer unmittelbaren Reizung der Geschmacksnerven durch den elektrischen Strom oder ob dagegen dieselbe von den Zersetzungspro-ducten (Anionen) der Mundfl\u00fcssigkeit herr\u00fchre. Bekanntlich werden, wenn ein elektrischer Strom durch eine Fl\u00fcssigkeit geht, welche Salze der Alkalien enth\u00e4lt \u2014- und die Mundfl\u00fcssigkeit, welche die Zungenschleimhaut durchfeuchtet, ist eine solche \u2014 die Salze in der Art zersetzt, dass die S\u00e4uren an der Anode, die Alkalien aber, welche sich alsogleich oxydiren, an der Kathode frei werden. Das Vorhandensein freier S\u00e4uren an dem positiven, freien Alkalis an dem negativen Pole w\u00fcrde auf eine sehr leichte Weise den sauren Geschmack im ersten, den alkalischen im zweiten erkl\u00e4ren.\nSchon Humboldt [(cit. S. 181) S. 321] hat, obwohl nicht in der angegebenen Weise, diese Vermuthung ausgesprochen.\nHumboldt sagt w\u00f6rtlich : \u201eWie wenn der VoLTA\u2019sche Zungenversuch \u201enur insofern die Geschmacksorgane afficirte, als er jene Secretion in \u201eden Flocken veranlasst? Wie wenn wir nicht das galvanische oder \u201eelektrische Fluidum selbst, sondern nur den durch die ver\u00e4nderte \u201eTh\u00e4tigkeit (Vita propria) der Gef\u00e4sse abgesonderten Saft schmeckten?\u201c\nDie Einwendung konnte aber erst nach der Entdeckung der Elektrolyse die oben angef\u00fchrte bestimmte Form annehmen.","page":184},{"file":"p0185.txt","language":"de","ocr_de":"Elektrische Reize.\n185\nNach der Analogie mit der Erregung des Opticus durch den elektrischen Strom k\u00f6nnte man schon a priori schliessen, dass die Empfindungen bloss eine Folge der direkten Reizung der Geschmacksnerven sind und man w\u00fcrde sich so ausserdem noch mit dem allgemeinen physiologischen Gesetz in Uebereinstimmung befinden, dass n\u00e4mlich die specifisch sensitiven Nerven auf alle Reize ihrer speci-fischen Energie gem\u00e4ss antworten.\nWir besitzen aber auch Versuche, welche geeignet sind, die eben angeregte Frage zu beantworten. Du Bois-Reymond [(cit. S. 181) S. 287] f\u00fchrt die Versuche Volta\u2019s und Monro\u2019s an, um zu beweisen, dass der Geschmack nicht von der Elekricit\u00e4t abh\u00e4ngt.\nDer erste Versuch Volta\u2019s (II parte II S. 5), welcher zu diesem Behufe angef\u00fchrt werden kann, und auch von Pfaff (Gehler\u2019s physik. W\u00f6rterb. etc. cit. S. 181) schon angef\u00fchrt wurde, ist folgender: Ein zinnerner Becher wird mit m\u00e4ssig starker Lauge (lisciva discretamente forte) gef\u00fcllt, mit beiden angefeuchteten H\u00e4nden gehalten und die Zungenspitze in die Fl\u00fcssigkeit eingetaucht: man hat augenblicklich einen sauren Geschmack, welcher f\u00fcr einige Zeit anh\u00e4lt, sich aber dann allm\u00e4hlich in einen alkalischen umwandelt. \u2014 Dieser Versuch wurde nicht bloss von Pfaff (1. c.), sondern auch in neuester Zeit von Rosenthal (cit. S. 183) mit gleichem Erfolge wiederholt.1 Wenn nun der saure Geschmack von der Elektrolyse der Mundfl\u00fcssigkeit abh\u00e4ngen w\u00fcrde, so k\u00f6nnte derselbe in diesem Falle nicht auftreten, da die ausgeschiedene S\u00e4ure augenblicklich durch das Alkali in dem zinnernen Becher neutralisirt werden m\u00fcsste.\nDer zweite Versuch Volta\u2019s (II parte I S. 198), welcher ebenfalls von Du Bois-Reymond (1. c.) zu diesem Zweck angef\u00fchrt wird, ist folgender: Es wird eine Kette von vier Personen folgendermaassen gebildet: die erste Person h\u00e4lt in der einen angefeuchteten Hand eine Zinkplatte und legt die Finger ihrer anderen Hand auf die Zungenspitze der zweiten Person. Diese ber\u00fchrt mit einer ihrer H\u00e4nde den Bulbus der dritten Person. Letztere wieder, sowie die vierte fassen mit feuchter Hand einen zubereiteten Frosch in der Art, dass die eine den Kopf die andere die F\u00fcsse h\u00e4lt; in der zweiten ebenfalls angefeuchteten Hand h\u00e4lt die vierte Person eine Silberplatte. In dem Moment wo die Zinkplatte der ersten mit der Silberplatte der letzten Person zur Ber\u00fchrung gebracht werden, entsteht auf der Zungenspitze der zweiten Person ein saurer Geschmack, im Auge der dritten ein Lichtblitz und die Froschschenkel zucken ziemlich heftig.\n1 Heydenreich (siehe die Citation S. 1ST1) hat diesen Versuch Volta\u2019s nicht best\u00e4tigen k\u00f6nnen.","page":185},{"file":"p0186.txt","language":"de","ocr_de":"186 v. ViNTScHGAu. Geschmackssinn. 2. Cap. Reize f\u00fcr das Geschmacksorgan.\nMonro\u2019s [(cit. S. 181) S. 25] Versuch besteht darin, dass durch zwei dicke St\u00fccke von rohem oder gekochtem Fleisch, welche man zwischen Zink und Zunge einerseits und zwischen Silber und Zunge andererseits einschaltet, die Entstehung einer unangenehm stechenden Empfindung im Moment der Ber\u00fchrung der beiden Metalle nicht gehindert wird. \u2014 Dieser Versuch von Monro ist aber nicht hinreichend beweisend, da er nicht von einer Geschmacksempfindung, sondern bloss von einer unangenehm stechenden Empfindung spricht, und man k\u00f6nnte somit leicht vermuthen, dass Monro mit seiner Zungenspitze nicht schmeckte, sondern bloss eine Gef\u00fchlsempfindung hatte.\nRosenthal (cit. S. 183) hat einige Versuche vorgenommen, welche geeignet sind zu beweisen, dass der elektrische Geschmack nicht von der Zersetzung der Mundfl\u00fcssigkeit abh\u00e4ngt. Rosenthal liess zwei Personen sich mit der Zungenspitze ber\u00fchren, die eine hielt mit feuchter Hand den positiven, die andere ebenfalls mit feuchter Hand den negativen Pol einer Kette : die erste Person hatte einen alkalischen die zweite einen sauren Geschmack. In diesem Falle befinden sich beide Personen unter ganz gleichen Bedingungen bis auf die Richtung des Stromes in ihren Zungen, dieser ist in beiden entgegengesetzt und beide haben entgegengesetzte Empfindungen, obgleich ihre Zungen sich ber\u00fchren und somit dieselbe capill\u00e4re Fl\u00fcssigkeitsschicht die eine wie die andere Zunge bedeckt. \u2014 Ausserdem hat Rosenthal durch den K\u00f6rper und durch die Zungenspitze den Strom einer aus 1 bis 4 Elementen bestehenden DANiELL\u2019schen Kette circu-liren lassen, jedoch in der Art, dass beide Pole aus Zinkplatten bestanden und in zwei mit Zinkvitrioll\u00f6sung gef\u00fcllte Gef\u00e4sschen tauchten; diese standen durch heberf\u00f6rmige R\u00f6hren mit zwei anderen Gef\u00e4ssen in Verbindung, von denen das eine mit ges\u00e4ttigter Kochsalzl\u00f6sung, das andere mit destillirtem Wasser gef\u00fcllt war. Aus letzterem ragte ein ebenfalls mit destillirtem Wasser getr\u00e4nkter Fliesspapierbausch hervor. Wurde nun die eine Hand in die Chlornatriuml\u00f6sung getaucht und mit der Zungenspitze der Fliesspapierbausch ber\u00fchrt, so ging der Strom entweder von der Zunge zum Bausch oder umgekehrt, was man durch einen im Kreise befindlichen Stromwender in seiner Gewalt hatte. Auf den Papierbausch wurde ein St\u00fcckchen blaues und ein St\u00fcckchen rothes Lakmuspapier derart gelegt, dass die Zunge beide ber\u00fchrte, das rothe Papier wird bei der Ber\u00fchrung mit der alkalischen Mundfl\u00fcssigkeit schwach gebl\u00e4ut, das blaue bleibt unver\u00e4ndert. Beim Schliessen des Stromes entsteht eine deutliche Geschmacksempfindung aber die Farbe der beiden Papierchen bleibt unver\u00e4ndert, mag nun der Strom in der einen oder in","page":186},{"file":"p0187.txt","language":"de","ocr_de":"Elektrische Reize.\n187\nder anderen Richtung hindurchgehen.1 Dieser Versuch zeigt, dass an der Grenze von Zunge und Wasser keine merkliche Spur S\u00e4ure oder Alkalis frei wird. Der Papierbausch wurde statt mit Wasser auch mit eigenem Speichel getr\u00e4nkt und der Geschmack wurde wie vorher empfunden. Die angef\u00fchrten Versuche beweisen, dass der elektrische Geschmack nicht von der Elektrolyse der Mundfl\u00fcssigkeit abh\u00e4ngt, und dass wir es hier wie beim Auge mit einer unmittelbaren Wirkung des elektrischen Stromes auf die Geschmacksnerven zu thun haben.\nGegen den Versuch von Rosenthal mit Reagenspapier wurde von Valentin [(cit. S. 166) 2. Th., S. 287] das Bedenken erhoben, derselbe beweise nur dass das Reagenspapier weniger empfindlich als die Nerven wirke, nicht aber dass alle Spur elektrolytischen Einflusses beseitigt sei. Valentin hebt noch hervor, dass durch den elektrischen Strom niemals die Empfindung des gesalzenen oder die reine Geschmacksempfindung des S\u00fcssen oder des Bitteren hervorgerufen werde, und endlich bemerkt er, dass es nicht m\u00f6glich sei, die Zunge in den Kreis einer Batterie ohne Empfindung einzuschleichen, in allen F\u00e4llen werden die Empfindungen des sauren und des alkalischen erzeugt.\nHermann2 hat angedeutet, dass auch an den Grenzen zweier feuchter Leiter und speciell zwischen Nerveninhalt und H\u00fclle Elektrolyten abgeschieden werden k\u00f6nnen und dass deshalb das Auftreten einer Geschmacksempfindung bei einem Strome, welcher der Zunge nicht durch Anlegen von Metall, sondern durch Vermittlung feuchter Leiter zugef\u00fchrt wird, nicht im Stande sei, die Deutung zu widerlegen, dass der elektrische Geschmack vom Schmecken der Elektrolyten abh\u00e4nge.\nEs muss aber bemerkt werden, dass der Nachgeschmack, nach Unterbrechung des Stromes, welcher zuerst von Ritter beobachtet und von mir (cit. S. 182) wenigstens theilweise best\u00e4tigt wurde, ben\u00fctzt werden kann um zu beweisen, dass der elektrische Geschmack auf einer direkten Erregung der Geschmacksnerven beruht.\n1\tHeydenreich, Froriep\u2019s neue Not. VIII. S.34. 1848; citirt nach E.H. Weber, Tastsinn und Gemeingef\u00fchl in Wagner\u2019s Handw\u00f6rterbuch etc. III. 2. Abth. Derselbe hatte schon fr\u00fcher, wie Rosenthal anf\u00fchrt, einen \u00e4hnlichen Versuch vorgenommen. dabei aber Folgendes beobachtet: \u201eW\u00e4hrend . . . der saure Geschmack empfunden \u201ewurde, wurde zugleich das blaue Lackmuspapier bl\u00e4sser; dass es sich r\u00f6thete, ver-\u201ehinderte die alkalische Beschaffenheit der Mundfl\u00fcssigkeit. Das rothe Lackmus-\u201epapier aber wurde schnell blau und zwar viel schneller, als wenn die galvanische \u201eS\u00e4ule nicht geschlossen war, wo es in l\u00e4ngerer Zeit durch die schwache Alkalescenz \u201eder S\u00e4fte des Mundes allerdings auch blau, aber schw\u00e4cher blau wurde.\n2\tHermann, Grundriss der Physiologie des Menschen. 4. Aufl. Berlin 1872 und dieses Handbuch II. 1. Th. 2. Cap. b. S. 54 und folg.","page":187},{"file":"p0188.txt","language":"de","ocr_de":"188 y. Vintschgau, Geschmackssinn. 2. Cap. Reize f\u00fcr das Geschmacksorgan.\nZum Schl\u00fcsse sei noch eine Angabe Els\u00e4sser\u2019s (cit. S. 147) angef\u00fchrt, der zu Folge die Geschmacksempfindung eine st\u00e4rkere ist, wenn das eine Metall auf die Pap. circumvallatae oder die Spalten am hinteren Theil des Zungengrundes (Pap. foliata der neuen Autoren) gelegt wird. Diese Beobachtung wurde von mir (1. c.) best\u00e4tigt.\nII. Mechanische Reize.\nOb die Geschmacksnerven auch von mechanischen Reizen erregt werden, ist noch immer fraglich. J. M\u00fcller hat sich an verschiedenen Orten seiner Physiologie (cit. S. 164) \u00fcber diesen Gegenstand ausgesprochen und S. 489 sagt er, dass die Erregung von Geschmack durch eine mechanische Ver\u00e4nderung der Geschmacksnerven sich nicht als unm\u00f6glich ansehen l\u00e4sst; Druck, Zerrung, Stechen, Reiben der Zunge erregen zwar nur Gef\u00fchlsempfindungen ; Henle 1 aber beobachtete, dass ein feiner Luftstrom einen k\u00fchlenden salzigen Geschmack wie von Salpeter bewirke, und J. M\u00fcller macht darauf aufmerksam, dass mechanische Reizung des Schlundes und Gaumens die Empfindung des Ekels erregt, die nicht dem Gef\u00fchl, wohl aber dem Geschmack so verwandt ist, dass sie davon nicht getrennt werden kann. \u2014 Valentin, welcher fr\u00fcher (cit. S. 177) angab, dieselbe Beobachtung gemacht zu haben, hat diese Behauptung sp\u00e4ter (Lehrbuch etc. cit. S. 156 und Versuch etc. cit. S. 166) zur\u00fcckigenommen und sich dahin ausgedr\u00fcckt, dass bei dem Versuche Henle\u2019s \u201eeine sensible Empfindung von dem Urtheil willk\u00fcrlich ausgelegt wird\u201c. Stich'1 2 gibt an, den Versuch Henle\u2019s wiederholt zu haben. Er hatte wohl die Empfindung des K\u00fchlen, welche dem Gebiete des Gef\u00fchls angeh\u00f6rt, niemals aber jene des Salzigen.\nBez\u00fcglich der Erregung des Gesellmacksnefven durch Druck findet man in der Literatur nur sehr sp\u00e4rliche Angaben.\nValentin [(cit. S. 177) S. 117] f\u00fchrt an, dass er durch starken Druck auf die Zunge einen alkalischen Geschmack vorzugsweise in dem vorderen Theil der Zunge wahrgenommen habe, und dass beim Nachlassen des Druckes ein saurer dem der Weinsteins\u00e4ure \u00e4hnlicher Geschmack entstanden sei; sp\u00e4ter hat jedoch Valentin [Versuch etc. (cit. S. 166) 2. Theil S. 248] diese Angabe zur\u00fcckgenommen, da er ausdr\u00fccklich sagt, dass es ihm nicht gelungen sei, durch Zusammendr\u00fccken der\n1\tIch konnte nicht ermitteln, an welchem Orte Henle seine Beobachtung ver\u00f6ffentlichte.\n2\tA. Stich, Ueber das Ekelgef\u00fchl. Annalen des Charit\u00e9-Krankenhauses etc. 8. Jahrg. 2. Hft. S. 22ff Berlin 1858.","page":188},{"file":"p0189.txt","language":"de","ocr_de":"Mechanische, thermische und specifische Reize.\n189\nZungenwurzel eine Geschmacksempfindung zu erzeugen. An einem fr\u00fcheren Ort jedoch (Lehrbuch etc. cit. S. 156) f\u00fchrt Valentin an, dass manche Menschen das Gef\u00fchl, welches ein leichter Druck erregt, mit einem schwach bitterlichen Geschmacke vergleichen.\nWagner[(Lehrb. etc. cit. S. 156) S. 339] erw\u00e4hnt unter anderem, dass ein unbestimmt bitteres Gef\u00fchl mit einem deutlichen bitteren Nachgeschmack erhalten wird, wenn man die Zungenbasis mit dem trockenen Finger niederdr\u00fcckt, wobei sogleich ein Uebergang in Ekelgef\u00fchl stattfindet und W\u00fcrgen eintritt. Diese Beobachtungen sind, weil sie, wie wir gesehen haben, von Valentin sp\u00e4ter anders gedeutet wurden, meistens mit Stillschweigen \u00fcbergangen worden ; die Beobachtung Wagner\u2019s ist jedoch leicht zu best\u00e4tigen. Ich konnte bei mir selbst und bei einem anderen, der nicht wusste, um was es sich handelte, eine ganz \u00e4hnliche Beobachtung machen; das W\u00fcrgen trat immer bedeutend sp\u00e4ter ein ; der Finger wurde selbstverst\u00e4ndlich vorher gut gewaschen.\nDr. Baly 1 gibt an, dass wenn man die Zungenspitze oder die B\u00e4nder in der N\u00e4he der Spitze rasch aber leise mit dem Finger klopft (strike), so dass bloss die Papillen gereizt (affect) werden, eine deutliche bald saure bald salzige Geschmacksempfindung entsteht, welche \u00e4hnlich der bei der elektrischen Reizung ist. Die so erregte Empfindung dauert manchmal noch mehrere Sekunden nach der Application des mechanischen Reizes fort.\nIII. Thermische Reize.\nThermische Reize sind nicht im Stande die Geschmacksnerven zu erregen; wir haben wenigstens bis jetzt keine Erfahrung, welche daf\u00fcr spr\u00e4che, und die t\u00e4gliche Beobachtung zeigt uns nichts Aehn-liches; wir werden sp\u00e4ter sehen, dass K\u00e4lte und W\u00e4rme die Erregbarkeit der Geschmacksnerven vermindert.\nIV. Der specifische Reiz.\nDer ad\u00e4quate, der specifische Reiz f\u00fcr den Geschmackssinn sind die schmeckbaren Substanzen.\nBeim Lichte h\u00e4ngt die Farbe von der Schwingungszahl ab, die H\u00f6he eines Tones beruht ebenfalls auf die Schwingungszahl, von welcher Be-\n1 Dr. Baly, Translation of Muller\u2019s Physiology S. 1062 note, citirt nach Carpenter\u2019s Taste in Todd, The Cyclopaedia of Anatomy and Physiology IY. Part II. London 1849\u20141852.","page":189},{"file":"p0190.txt","language":"de","ocr_de":"190 v. Yintschgau, Geschmackssinn. 2. Cap Reize f\u00fcr das Geschmacksorgan.\ndingung aber der Geschmack der verschiedenen schmeckbaren Substanzen abh\u00e4ngt, ist uns v\u00f6llig unbekannt. Wir kennen wohl einige Bedingungen, welche erf\u00fcllt sein m\u00fcssen, damit eine Substanz die Geschmacksorgane errege, jedoch auch in dieser Beziehung sind unsere Kenntnisse h\u00f6chst mangelhaft. \u2014 Nur jene Substanzen, welche an und f\u00fcr sich fl\u00fcssig, oder in einem Menstruum oder in der Mundfl\u00fcssigkeit, wenn auch nur in sehr geringem Grade, l\u00f6slich sind, k\u00f6nnen die Geschmacksorgane erregen, es muss aber auch alsogleich hinzugef\u00fcgt werden, dass nicht alle fl\u00fcssigen oder l\u00f6slichen Substanzen als solche auch einen Geschmack besitzen, ja wir kennen eine ganze Reihe von Fl\u00fcssigkeiten und von l\u00f6slichen Substanzen, welche ganz geschmackslos sind; absolut unl\u00f6sliche Substanzen aber sind ohne Ausnahme vollkommen geschmackslos. Doch steht die Geschmacksf\u00e4higkeit einer Substanz mit ihrer L\u00f6slichkeit in keinem bestimmten Verh\u00e4ltnisse. Es gibt Substanzen, welche z. B. leicht l\u00f6slich sind und doch nur einen geringen Geschmack besitzen, andere, welche schwer l\u00f6slich sind und doch sehr intensiv schmecken. Dass aber die L\u00f6slichkeit einer Substanz eine unumg\u00e4ngliche Bedingung ihrer Geschmacksf\u00e4higkeit sei, erhellt auch daraus, dass die inneren Zellen der Schmeckbecher, welche die eigentlichen Endigungen der Geschmacksnerven sind, so verborgen liegen, dass eine Substanz zu denselben nur dann gelangen kann, wenn dieselbe aufgel\u00f6st ist. Wir werden sp\u00e4ter (siehe unten S. 196) noch untersuchen, ob die Gase f\u00fcr sich schmeckbar sind. Wie die Nervenendigungen von den schmeckbaren Substanzen erregt werden, ist uns unbekannt. Wir m\u00fcssen aber sagen, dass die Wirkung der Geschmackstoffe auf die Nervenenden eine sehr verschiedene sein muss, je nach dem Geschmack, den sie erregen und haben deshalb nun zu untersuchen, wie viele Arten von Geschm\u00e4cken unterschieden werden k\u00f6nnen.\n1. Eintheilung der Gesckm\u00e4cke.\nDie Aufstellung von Geschmacksgruppen st\u00f6sst noch immer auf Schwierigkeiten, weil man unter den Physiologen noch nicht einig ist, ob gewisse Substanzen, welche im gew\u00f6hnlichen Leben als schmeckbar bezeichnet werden, wirklich auf den Geschmackssinn wirken, oder ob man es in vielen F\u00e4llen nicht vielleicht mit einem blossen Gef\u00fchls- oder Geruchseindruck zu thun habe, weil ferner auch in einigen F\u00e4llen der Begriff einer Geschmacksbezeichnung nicht vollkommen sicher fixirt ist. So lange solche principielle Fragen nicht entschieden sind, wird auch die Eintheilung der Geschm\u00e4cke auf keiner sicheren Grundlage beruhen.","page":190},{"file":"p0191.txt","language":"de","ocr_de":"Der specifische Reiz.\n191\nIn Horn\u2019s Abhandlung (eit. S. 155) findet man die Angaben fr\u00fcherer Physiologen (Bravo, Willis, Linn\u00e9, Haller, Luchtmans) \u00fcber die Eintheilung der Geschm\u00e4cke angef\u00fchrt. Horn selbst hat auch eine solche Eintheilung versucht.\nClericus1 2 3 hat nur drei Geschm\u00e4cke, n\u00e4mlich s\u00fcss, bitter und sauer, unterschieden. \u2014 Zenneck 2 ist aber am weitesten von Allen in der Beschr\u00e4nkung der Zahl der Geschm\u00e4cke gegangen, da er bloss zwei Empfindungen, die des Bitteren und die des S\u00fcssen als wahre Geschm\u00e4cke betrachtet, w\u00e4hrend er die Wahrnehmung des Saueren, Salzigen und Laugenartigen bloss zu den Gef\u00fchlsempfindungen und durchaus nicht zu den Geschm\u00e4cken gez\u00e4hlt wissen will. Eine \u00e4hnliche Ansicht wird auch von Valentin (cit. S. 156 u. 166) und Duval :i vertreten.\nUnter den neueren Physiologen haben G. Inzani und F. Lussana (Sui nervi etc. cit. S. 173) versucht die Geschm\u00e4cke zu classificiren.\nDie Grundlage ihrer Classification ist die physiologische Bestimmung der schmeckbaren Substanzen, ob dieselben n\u00e4mlich als Nahrungsmittel dienen oder nicht. Eine solche Hauptgrundlage ist gewiss unstatthaft, sobald es sich um Eintheilung von Geschm\u00e4cken und nicht um eine Eintheilung der Substanzen handelt. Wollten wir auch diese Hauptein-theilung im Principe zulassen, so k\u00f6nnten wir uns doch in keinem Falle mit den von diesen Physiologen aufgestellten einzelnen Arten von Geschmacksempfindungen einverstanden erkl\u00e4ren, denn unter denselben finden wir einen mehligen, milchigen, fettigen, weinigen, aromatischen etc. Geschmack aufgef\u00fchrt, von welchen einige gewiss gar nichts mit dem Geschmackssinn zu thun haben.\nDie meisten Physiologen haben im Allgemeinen nur vier Haupt-geschm\u00e4cke angenommen, n\u00e4mlich den s\u00fcssen, den bitteren, den salzigen und den sauren und von jeder weiteren Eintheilung der Geschm\u00e4cke vollkommen abgesehen.\nMan hat aber schon h\u00e4ufig die Frage aufgeworfen, ob das Saure als ein Geschmack anzusehen ist ; diese Frage wurde sein-verschiedenartig beantwortet.\nValentin [(cit. S. 177) S. 117] hat das Saure, das Salzige und das Alkalische aus der Geschmacksreihe ausgeschlossen und nimmt bloss das S\u00fcsse und das Bittere; er stimmt, wie wir fr\u00fcher gesehen haben; mit Zenneck (1. c.) \u00fcberein; und auch an einem anderen\n1\tJo Anxis Clerici , Physica sive de rebus corporibus libri II posteriores. Ope-rum philosophicorum IV. Ed. quinta auctior et adcuratior. Amstelodami 1722.\n2\tZenneck, Die Geschmackserscheinungen. Repertorium f\u00fcr die Pharmacie von Dr. Buchner LXV oder 2. Reihe XV. S. 224 ff. N\u00fcrnberg 1S39.\n3\tDuval, Nouveau dictionnaire de M\u00e9decine et de Chirurgie pratiques etc. XVI. Paris 1872. Go\u00fbt S. 530ff.","page":191},{"file":"p0192.txt","language":"de","ocr_de":"192 v.Yintschgau, Geschmackssinn. 2. Cap. Reize f\u00fcr das Geschmacksorgan.\nOrte hat Valentin [(eit. S. 166) 2. Th. S. 112\u2014113] erw\u00e4hnt, dass die Empfindung\u2019 des Sauren keine reine Geschmacks-, sondern vorherrschend eine Tastempfindung sei. An diesem Orte spricht er wohl von s\u00fcssem und bitterem Geschmack, nicht aber von einem salzigen; auch schon fr\u00fcher in seiner Physiologie [(cit. S. 156) S. 293] hat Valentin bloss das S\u00fcsse und das Bittere als reine Geschm\u00e4cke angesehen. \u2014 Stich 1 betrachtet das Saure als eine wirkliche Geschmacksempfindung, da S\u00e4uren nur an Geschmack vermittelnden Stellen und zwar an allen ohne Unterschied empfunden werden. \u2014 Schiff [(Le\u00e7ons etc. cit. S. 171) S. 81] hat diese Frage einer eingehenderen Pr\u00fcfung unterworfen. Auf eine durch Blasenpflaster erzeugte Wunde legte er verschiedene schmeckbare Substanzen (Limonade \u2014 Limonade citrique \u2014, Zucker, schwefelsaures Chinin), welche wohl leichte Unterschiede in der Empfindung hervorriefen, die aber nicht die geringste Aehnlichkeit mit einer Geschmacksempfindung hatten. Von gr\u00f6sserer Bedeutung ist aber die Bemerkung Schiff\u2019s, dass auch eine sehr verd\u00fcnnte S\u00e4ure, welche in der Zungenschleimhaut keine nennens-werthe Ver\u00e4nderung hervorruft, doch von dem Geschmackssinn sehr deutlich wahrgenommen wird. Von geringer Wichtigkeit dagegen ist dessen Angabe, dass keine Speichelsecretion eintritt, wenn man den centralen Stumpf mit einer verd\u00fcnnten S\u00e4ure reizt, w\u00e4hrend Speichelsecretion sich zeigt, w^enn derselbe Stumpf mechanisch erregt wird. Diese Versuche beweisen nur, dass chemische auf den centralen Stumpf der sensitiven Nerven wirkende Reize nicht im Stande sind, eine reflectorische Speichelsecretion hervorzurufen oder mit anderen Worten, dass die angewendeten chemischen Reize zu schwach waren, um einen solchen Effect zu Stande zu bringen.\nFick 2 betrachtet die Empfindung des Sauren als eine wirkliche Geschmacksempfindung, und nur dann, wenn die S\u00e4ufen in etwas concentrirterer L\u00f6sung angewendet werden, k\u00f6nnen sie auch die Empfindungsnerven erregen. \u2014 Br\u00fccke1 2 3 nimmt an, dass die Geschmacksempfindung des Sauren immer von einer Gef\u00fchlsempfindung begleitet sei. \u2014 In einer vor Kurzem ver\u00f6ffentlichten Schrift habe ich4 diese Frage n\u00e4her er\u00f6rtert. Die Citronens\u00e4ure auf meine Zungenspitze gebracht, wird von mir erkannt, aber an den Zungenr\u00e4ndern, an welchen ich, wie oben S. 157 erw\u00e4hnt, keine Geschmacks-\n1\tA. Stich, Ueber die Schmeckbarkeit d. Gase. Annalen des Charit\u00e9-Kranken-hauses etc. S. Jahrg. l.Hft. S. 105ff. Berlin 1857.\n2\tFick, Lehrbuch der Anatomie und Physiologie der Sinnesorgane. Lahr 1864.\n3\tBr\u00fccke, Vorlesungen \u00fcber Physiologie. 2. Aull. Wien 1876.\n4\tM. V. Vintschgau, Beitr\u00e4ge zur Physiologie des Geschmackssinnes III. Theil. Arch. f. d. gesammte Physiologie XX. S. 225 ff.","page":192},{"file":"p0193.txt","language":"de","ocr_de":"Der specifische Reiz.\n193\nf\u00e4higkeit besitze, ferner an der Unterfl\u00e4che meiner Zungenspitze und an der inneren Fl\u00e4che der Unterlippe erregt die S\u00e4ure in verd\u00fcnnter L\u00f6sung entweder gar keine oder bloss eine brennende Empfindung, welche mit einer Geschmacksempfindung nichts zu thun hat. Die Versuche Neumann\u2019s (cit. S. 153) mit elektrischer Reizung der Geschmacksnerven haben ergeben, dass die saure Empfindung nur an jenen Stellen vorkommt, mit welchen man schmeckt.\nAus dem Mitgetheilten k\u00f6nnen wir den Schluss ziehen, dass die S\u00e4uren die Geschmacksnerven erregen, jedoch bei concentrirteren S\u00e4uren auch die Gef\u00fchlsnerven in Mitleidenschaft gezogen werden; die S\u00e4uren geh\u00f6ren desshalb zu jenen Stoffen, die sowohl die Endigungen der Geschmacksnerven als auch jene der Gef\u00fchlsnerven erregen k\u00f6nnen.\nMan kann ferner die Frage aufwerfen, ob das Salzige eine reine Geschmacksempfindung sei. Clericus, Zenneck, Valentin, Duval (siehe oben S. 191) haben auch das Salzige nicht als eine Geschmacksempfindung gelten lassen. \u2014 Schirmer [(cit. S. 157) S. 131] hat angegeben, dass die vier Repr\u00e4sentanten der Hauptge-schm\u00e4cke in concentrirter L\u00f6sung bei ihm eine Gef\u00fchlsempfindung erregen. Die S\u00e4uren, wie oben mitgetheilt, erregen gewiss in con-centrirten L\u00f6sungen die Gef\u00fchlsnerven. Die Erfahrungen, die ich (cit. S. 192) f\u00fcr die salzigen Substanzen gesammelt habe, beweisen, dass Kochsalz an meiner Zungenspitze eine Gef\u00fchlsempfindung erregt, dass Jodkalium und Chlorammonium in concentrirten L\u00f6sungen nicht bloss den salzigen Geschmack, sondern ebenfalls auch eine Gef\u00fchlsempfindung verursachen und dass \u00fcberhaupt viele Salze, wenn sie oft in concentrirter L\u00f6sung applicirt werden, eine eigenth\u00fcmliche Gef\u00fchlsempfindung an der Zungenspitze zur\u00fccklassen. \u2014 Nach diesen Erfahrungen muss man schliessen, dass auch die meisten salzig schmeckenden Substanzen in verd\u00fcnnten L\u00f6sungen bloss die Geschmacksnerven, in concentrirten aber auch gleichzeitig die Gef\u00fchlsnerven erregen. \u2014 Bisulphas Chinini und Zucker rufen auch in ges\u00e4ttigter L\u00f6sung, wenigstens nach den Erfahrungen, die ich zu machen Gelegenheit hatte, niemals eine Gef\u00fchlsempfindung hervor.1\nNach meiner Auffassung geh\u00f6ren das Bittere und das S\u00fcsse ausschliesslich zu den Geschmacksempfindungen ; in zweiter Linie w\u00fcrde das Salzige kommen, weil sehr viele salzig schmeckende Substanzen erst in sehr concentrirten L\u00f6sungen die Gef\u00fchlsnerven erregen, und\n1 Die saure Empfindung. welche Bisulphas chinini an meiner Zungenspitze hervorruft, kann nicht als Gef\u00fchlsempfindung gedeutet werden.\nHandbuch, der Physiologie. Bd. lila.\n13","page":193},{"file":"p0194.txt","language":"de","ocr_de":"194 y. Vintschgau, Geschmackssinn. 2. Cap. Reize f\u00fcr das Geschmacksorgan.\nendlich das Sauere, weil alle S\u00e4uren schon in sehr massiger Concentration die Gef\u00fchlsnerven erregen; noch weiter von einer reinen Geschmacksempfindung w\u00fcrden sich dann das Herbe, das Adstringi-rende etc. entfernen; auch das Laugenhafte ist keine reine Geschmacksempfindung. Es handelt sich da um eine ganz eigent\u00fcmliche Empfindung, bei welcher die Gef\u00fchlsnerven gewiss mitbeteiligt sind, in wie weit aber die Geschmacksnerven erregt werden, ist schwer zu entscheiden. Ebenso ist das Metallische eine Empfindung, die un-gemein schwer zu analysiren ist. Auffallen muss jedoch, dass dieselbe so h\u00e4ufig bei der elektrischen Reizung der Zunge zu Stande kommt (vergl. S. 182 u. folg.).\nEine andere Frage ist, ob z. B. der s\u00fcsse, der bittere Geschmack etc. sich noch weiter eintheilen lasse, ob es n\u00e4mlich mit dem Geschmackssinn allein m\u00f6glich ist, zwei oder mehr s\u00fcsse oder bittere Substanzen etc. zu erkennen.\nWing 1 hat die ersten Beobachtungen in dieser Richtung und zwar mit s\u00fcssen und bitteren Substanzen vorgenommen, er fand, dass eine Unterscheidung nicht m\u00f6glich ist. \u2014 Guyot (cit. S. 157) gibt an, dass die bitteren Substanzen nicht auseinander gehalten werden k\u00f6nnen. \u2014 Ich habe ebenfalls einige diesbez\u00fcgliche Versuche ver\u00f6ffentlicht (cit. S. 192). Die einzelnen rein bitter und rein s\u00fcss schmeckenden Substanzen k\u00f6nnen, wenn sie auf eine beschr\u00e4nkte Stelle der Zunge applicirt werden, nicht aus einander gehalten werden ; f\u00fcr die salzig schmeckenden Substanzen kann die Frage noch nicht als erledigt angesehen werden, denn bei ihnen m\u00fcssen zwei Facto-ren in Betracht gezogen werden, einerseits n\u00e4mlich die Concentration der L\u00f6sung, da wie schon erw\u00e4hnt einige Salze in einer concentrir-ten L\u00f6sung auch auf die Gef\u00fchlsnerven einwirken und dadurch ihre Erkennung erleichtern, andererseits die Uebung, wodurch'auch kleine sonst unbeachtet bleibende Geschmacksunterschiede wahrgenommen werden k\u00f6nnen. Bez\u00fcglich der S\u00e4uren liegen noch keine Erfahrungen vor.\nWenn die schmeckbaren Substanzen sich in der ganzen Mundh\u00f6hle verbreiten k\u00f6nnen, dann wird man leichter die einzelnen bitteren oder s\u00fcssen Substanzen etc. erkennen, weil in diesem Falle eine ganze Reihe von Nebenumst\u00e4nden auftritt, welche das Urtheil unterst\u00fctzen.\nWir wollen hier noch eine eigenth\u00fcmliche Empfindung besprechen, n\u00e4mlich den Ekel, der bald als eine Geschmacks- bald als eine Gefnhls-empfindung betrachtet wurde.\n1 B.F.Wing, Fonctions de la membrane pituitaire. Arcb. g\u00eaner, de M\u00e9decine XII. 2. Serie, p. 92. Paris 1836. Auszug aus The American Journ. No. 32.","page":194},{"file":"p0195.txt","language":"de","ocr_de":"Der specifische Reiz.\n195\nVerni\u00e9res (eit. S. 156) und vorzugsweise Flemming1 haben die Reize aufgez\u00e4hlt, welche im Stande sind, Ekel zu erregen, sind aber auf den eigentlichen Kern der Frage nicht n\u00e4her eingegangen ; Flemming erw\u00e4hnt nur, dass der Ekel seinen eigentlichen Sitz im Gaumen, Rachen und beim Anf\u00e4nge des Schlundkopfes zu haben scheine und derselbe die beginnende Vomituritio sei. Valentin (cit. S. 177) definirte den Ekel folgendermaassen : Taedium est saporis ingrati affectio, quam motus pharyngis reflexivi insequuntur. Diese Definition ist aber zu eng und Valentin selbst hat diess in so weit zugegeben, als er sp\u00e4ter (cit. S. 166) sich folgendermaassen aussprach: versteht man unter Ekel nur das unangenehme Gef\u00fchl, das der Genuss bitterer Substanzen erzeugt, so m\u00fcsste man den N. glosso-pharyngeus als den ausschliesslichen Tr\u00e4ger dieser Empfindung ansehen (Valentin hatte n\u00e4mlich fr\u00fcher (cit. S. 177) angegeben, dass nach Durchschneidung des genannten Nerven bei Einwirkung bitterer Substanzen kein Erbrechen entstehe, wohl aber immer bei der mechanischen Reizung der Schleimhaut des Schlundkopfes); da aber auch andere Eindr\u00fccke, welche die Geschmackswerkzeuge vermitteln, ja sogar blosse mechanische Erregungen gen\u00fcgen, um den Ekel und die ihn begleitenden Reflexbewegungen hervorzurufen, so sei jene Einschr\u00e4nkung des Begriffes nicht gen\u00fcgend. Die Brechneigung, welche der Ekel hervorruft und begleitet, geht nach Valentin (cit. S. 166) vom verl\u00e4ngerten Marke aus. Der Anlass kann durch den N. glosso-pharyngeus und den N. trigeminus gegeben werden.\nJ. M\u00fcller (Handbuch etc. cit. S. 164) hat den Ekel als eine Geschmacksempfindung betrachtet.\nRomberg2 S. 305 sieht ebenfalls den Ekel als eine eigenth\u00fcmliehe Modification des Geschmackes an ; diese Empfindung hat aber vor anderen Geschmacksempfindungen das voraus, dass sie sich durch blosse mechanische Reizung derjenigen Theile erregen l\u00e4sst, worin Fasern des N. glosso-pharyngeus verbreitet sind ; denn nur, wenn man der Zungenwurzel, den Pap. circumvallatis, dem Gaumensegel nahe kommt, entsteht die Empfindung des Ekels und eine bestimmte Reflexaction des W\u00fcrgens.\nBidder (cit. S. 166) betrachtet die Empfindung des Ekels \u201eweder als eine Energie des specifischen Geschmacksnerven noch der Tast- oder Gef\u00fchlsnerven\u201c, sondern vielmehr als \u201eein eigenth\u00fcmliches von dem ge-sammten Verdauungskanale aus bedingtes Gef\u00fchl\u201c, weil der Ekel auch bei Reizungen im Magen und Darmkanal eintreten kann, ohne dass die Geschmacksnerven ins Spiel kommen ; ausserdem bemerkt er, der Umstand, dass nach Durchschneidung des N. glosso-pharyngeus zugleich mit dem Geschmacke auch der Ekel verschwindet, beweise bloss, dass die Nervenfasern f\u00fcr beide Empfindungen in derselben Bahn verlaufen, nicht aber, dass beide Empfindungen identisch seien.\nStich (cit. S. 188) hat die uns besch\u00e4ftigende Frage sehr eingehend er\u00f6rtert, und reiht den Ekel zum Gemeingef\u00fchl ein, er beschr\u00e4nkt den Begriff Ekel bloss auf jene \u201eJedem bekannte und unverwechselbare Em-\n1\tFlemming, Ueber den Ekel. Med. Corresp.-Blatt d. wiss. Vereins f. Aerzte u. Apotheker. Mecklenburg 1843. Citirtnacli Canstatt\u2019s Jahresber. 1843. I.\n2\tRomrerg, Lehrbuch der Nervenkrankheiten des Menschen I. 2. Aufl. Berlin\n1851.\n13*","page":195},{"file":"p0196.txt","language":"de","ocr_de":"196 v. Ventschgau, Geschmackssinn. 2. Cap. Reize f\u00fcr das Geschmacksorgan.\npfindung, die dem Brechen vorhergeht und dasselbe begleitet\u201c (vgl. oben Flemming). Stich trennt den Ekel von einer Sinnesempfindung und verlegt denselben in das Gebiet des Muskelgef\u00fchls, und zwar in eine ganz besondere Klasse des Muskelgef\u00fchls, n\u00e4mlich in das Gef\u00fchl der Contrac-tionen ganzer Muskelgruppen auf Reiz von centripetalen Fasern, oder sensibler, sensualer oder psychischer Centren. Das Einleiten einer antiperistaltischen Reflexbewegung ist nach Stich r etwas unver\u00e4usserliches f\u00fcr den Ekel\u201c in der Art, dass nur jene mechanischen Reize der Zungenwurzel, des Gaumensegels etc.,- welche eine antiperistaltische Bewegung einleiten, Ekel verursachen; wird aber der Reiz durch Schluckbewegung entfernt, dann entsteht kein Ekel, wohl aber, wenn der mechanische Reiz fortdauert.\nWir glauben ebenfalls, dass der Ekel vollst\u00e4ndig von den Geschmacksempfindungen zu trennen ist, k\u00f6nnen aber nicht zugeben, dass derselbe in das Gebiet des Muskelgef\u00fchls zu verlegen sei, da die Bewegungen, welche auf den Ekel folgen, bloss als Reflexerscheinungen aufzufassen sind.\n2. Schmeckbarkeit der Gase.\nWir haben bis jetzt gesehen, dass nur Substanzen, welche in einem Menstruum l\u00f6slich sind, auch die F\u00e4higkeit besitzen, Geschmacksempfindungen zu erregen; es liegt uns aber auch die Pflicht ob, zu untersuchen, ob die Gase als solche geschmeckt werden k\u00f6nnen.\nJ. M\u00fcller 1 S. 460 hat die Schmeckbarkeit der Gase angenommen und f\u00fchrt die schweflige S\u00e4ure als Beispiel an. \u2014 Valentin1 2 nimmt an, dass die Gase nur in so weit geschmeckt werden, als dieselben von der Mundfl\u00fcssigkeit aufgenommen werden. \u2014 Stich (cit. S. 192) wieder vertheidigt die Ansicht, dass die Gase als solche schmeckbar sind; er machte seine Versuche mit Chloroform, Stickoxydulgas, Essigs\u00e4ure, Schwefelwasserstoff und Kohlens\u00e4ure. Stich selbst hat die Einwendung erhoben, dass die Gase vom Speichel absorbirt werden und auf diese Weise auf die Geschmacksnerven einwirken k\u00f6nnen. Um diesen Einwand zu beseitigen, hatte er die ausgestreckte Zunge m\u00f6glichst trocken abgewischt und liess dann auf den Zungenrand einen Strom Kohlens\u00e4ure einwirken, er empfand sofort den eigenth\u00fcmlichen s\u00fcss-sauren Geschmack der Kohlens\u00e4ure. Wasser und Speichel, welche bei gew\u00f6hnlichem Luftdruck mit Kohlens\u00e4ure impr\u00e4gnirt waren, schmeckten gar nicht sauer. \u2014 Es ist aber unm\u00f6glich zu denken, dass die Zunge so getrocknet worden sei, dass nicht wenigstens eine capill\u00e4re Fl\u00fcssigkeitsschicht zur\u00fcckgeblieben w\u00e4re und es ist weiter zu erinnern, dass die Stiftchen in den Schmeckbechern, welche als die ersten Angriffs-\n1\tJ. M\u00fcller, Handbuch der Physiologie des Menschen n. Coblenz 1837.\n2\tValentin, Lehrb. d. Physiol, d. Menschen f. Aerzte u. Studirende H. 2. Aufl. 2. Abth. Braunschweig 1848.","page":196},{"file":"p0197.txt","language":"de","ocr_de":"Der specifische Reiz. 3. Cap. Geschmackswahrnehmung.\n197\npunkte f\u00fcr die schmeckbaren Substanzen anzusehen sind, durchaus nicht frei hervorragen, sondern dass dieselben innerhalb des Porus sich befinden ; abgesehen von der tieferen und verborgeneren Lage, in welcher sich die gr\u00f6sste Anzahl der Schmeckbecher befindet.\nEin Strom Kohlens\u00e4ure, welcher \u00fcber die feuchte Zunge streicht, l\u00e4sst sich augenblicklich von einem Luftstrom unterscheiden, nicht weil der erste eine s\u00fcss-saure Geschmacksempfindung erregt, sondern weil eine andere ganz eigenth\u00fcmliche Empfindung entsteht, welche mit einer Geschmacksempfindung gar keine Aehnlichkeit hat.\nVon den anderen Gasen, welche Stich anf\u00fchrt, wollen wir hier bloss die Chloroformd\u00e4mpfe erw\u00e4hnen, weil Stich behauptet, dass deren siissliche Geschmacksempfindung identisch sei mit jener Empfindung, die man hat, wenn man Chloroform riecht; man kann sich aber leicht \u00fcberzeugen, dass dies nicht der Fall ist: wenn man Chloroform mit geschlossenem Munde riecht, wird man eine Geruchsempfindung haben, die ganz verschieden ist von jener Empfindung, die bald darauf entsteht, und welche einem deutlich s\u00fcsslichen Geschmack entspricht.\nF\u00fcr uns steht somit, bis nicht andere Versuche das Gegentheil beweisen werden, fest, dass Gase als solche die Endigungen der Geschmacksnerven nicht erregen k\u00f6nnen; sie verm\u00f6gen dies nur in so weit zu thun, als sie von der Mundfl\u00fcssigkeit aufgenommen werden.\nDRITTES CAPITEL.\nDie Geschmacks Wahrnehmung.\nI. Erregt eine schmeckbare Substanz an allen Stellen des Geschmacksorgans immer dieselbe Geschmacksempfindung?\nDiese Frage wurde schon mehrere Male aufgeworfen, und wir besitzen dar\u00fcber auch einige Versuchsreihen; allgemeine Gesichtspunkte sind aber aus diesen Versuchsreihen bis jetzt kaum gewonnen worden.\nAm Ende des vorigen Jahrhunderts hat Daniels 1 eine Reihe Substanzen in dieser Richtung durchgepr\u00fcft und den allgemeinen Schluss\n1 P. J. Daniels, Gustus organi novissime detecti Prodromus. Dissert. Mogun-tiae 1790.","page":197},{"file":"p0198.txt","language":"de","ocr_de":"198 y. Vintschgau, Geschmackssinn. 3. Cap. Geschmacks Wahrnehmung.\ngezogen, dass einige Geschm\u00e4eke an der Zungenspitze, andere im Schlunde deutlicher wahrgenommen werden, und dass speciell bittere Substanzen vorzugsweise auf den weichen Gaumen, weniger auf die Zungenspitze wirken. \u2014 Autenrieth 1, Ph. Walter nach Eble 2, Rudolphi und K. F. Burdach nach Stich\u2019s (cit. S. 188) Angaben haben ebenfalls die Meinung ge\u00e4ussert, dass das S\u00fcsse und das Saure vorzugsweise mit der Zungenspitze, das Bittere, das Scharfe und das Alkalische mehr mit der Zungenwurzel empfunden werden. Diese Angaben sind aber nur allgemeiner Natur und ber\u00fchren eigentlich nicht die Frage, ob ein und dieselbe Geschmackssubstanz an zwei oder mehr verschiedenen Stellen der Zunge eine verschiedene Geschmacksempfindung erregt.\nWir m\u00fcssen Horn (cit. S. 155) als denjenigen bezeichnen, welcher zuerst diese Frage einer umfangreichen experimentellen Pr\u00fcfung unterworfen hat. Horn hat nicht weniger als 88 Substanzen gepr\u00fcft, nach seiner Angabe waren dieselben chemisch rein, wir k\u00f6nnen aber die Bemerkung nicht unterdr\u00fccken, dass viele von Horn angewendete Substanzen nicht als genau definirte chemische Verbindungen, sondern als Gemenge zu betrachten sind, so z. B. die verschiedenen Extracted \u2014 Es ist weiter zu erw\u00e4hnen, dass Horn die Substanzen auf die Pap. filif., auf die Pap. fung., auf die Pap. circumv. und auf den weichen Gaumen applicirte. Die Versuche am weichen Gaumen lassen wir unber\u00fccksichtigt, bez\u00fcglich der Pap. filif. ist zu bemerken, dass dieselben mit dem Geschmackssinn nichts zu thun haben und ist desskalb zu vermuthen, dass Horn die Substanzen an der Zungenspitze pr\u00fcfte, an welcher Stelle auch zahlreiche Pap. fung. Vorkommen; demnach k\u00e4me bei diesen Versuchen bloss die Einwirkung schmeckender Substanzen auf die Zungenspitze. in Betracht. Diese Vermuthung ist um so mehr berechtigt, als Horn bez\u00fcglich der Pap. fung. sagt, dass in der Mitte seiner Zunge eine Anzahl von Pap. fung. vorkomme, welche von allen \u00fcbrigen g\u00e4nzlich getrennt stehen.\nAusserdem stimmen im Allgemeinen die Resultate an den Pap. filif. mit jenen \u00fcberein, die man an der Zungenspitze f\u00fcr gew\u00f6hnlich erh\u00e4lt. Im \u00fcbrigen sind die Versuche Horn\u2019s mit den n\u00f6thigen Vorsichten vorgenommen.\nIn der Tabelle 3 (siehe S. 199) sind einige Angaben Horn\u2019s enthalten. Hier wollen wir nur folgende Bemerkungen einf\u00fcgen. An den Pap. circumv. haben fast alle Substanzen, mit sehr wenigen Aus-\n1\tJ. H. F. Autenrieth, Handbuch der empirischen menschlichen Physiologie. III. T\u00fcbingen 1802.\n2\tBurkard Eble, Versuch einer pragmatischen Geschichte der Anatomie und Physiologie vom Jahre 1800\u20141825. Wien 1836.\n3\tIn der Tabelle sind bloss einige Angaben von Horn und Picht , dagegen aber fast alle von Guyot und aUe von Inzani und Lussana aufgenommen.","page":198},{"file":"p0199.txt","language":"de","ocr_de":"Geschmacksempfindungen an verschiedenen Stellen des Geschmacksorgans. 199\n<3\t\u00ab\n\u00a9\t\u00ab","page":199},{"file":"p0200.txt","language":"de","ocr_de":"200 v. ViNTscHGAU, Geschmackssinn. 3. Cap. Geschmackswahrnehmung.\nnahmen einen bitteren oder bitterlichen Geschmack hervorgerufen. Diese beiden Adjektiva kommen fast immer entweder f\u00fcr sich allein vor oder in Begleitung anderer z. B. salzig, metallisch, stechend, scharf, s\u00e4uerlich. Ja sogar der Zucker erzeugte auf den Pap. cir-cumv. einen bitterlichen Geschmack. \u2014 Bei den Versuchen an den Pap. filif. kommen die Adjektiva sauer oder s\u00e4uerlich f\u00fcr sich allein oder in Verbindung mit k\u00fchlend, salzig, metallisch, scharf, stechend, bitter, s\u00fcss sehr h\u00e4ufig vor, jedoch weniger h\u00e4ufig als die Adjektiva bitter und bitterlich f\u00fcr die Geschmacksempfindungen an den Pap. circumv. \u2014 Bei den Versuchen endlich an den Pap. fung. finden wir alle Geschm\u00e4cke angef\u00fchrt, ohne dass man sagen k\u00f6nnte, dass irgend einer vorherrschend w\u00e4re ; dagegen aber werden mehrere Substanzen, welche an den anderen Papillen einen Geschmack verursachten, in Bezug auf die Pap. fung. als geschmackslos bezeichnet.\nPicht (cit. S. 146) hat einige Jahre sp\u00e4ter die Beobachtungen Horn\u2019s wiederholt und wendete 75 Substanzen an, die schon von diesem untersucht wurden. Seine Angaben stimmen w\u00f6rtlich mit jenen von Horn \u00fcberein, auch er fand den Zucker an den Pap. circumv. \u201eamariter dulce\u201c. In der Tabelle sind ebenfalls einige Angaben Picht\u2019s enthalten. Wir wollen nur noch bemerken, dass Picht kein Geruchsverm\u00f6gen besass, und dass von ihm, da er mit dem weichen Gaumen nicht schmecken konnte, an diesem keine Versuche angestellt wurden.\nDer n\u00e4chste Forscher, welcher sich mit diesem Gegenstand befasste, ist Guyot (cit. S. 157). Dieser legte sich folgende zwei Fragen vor: 1) ob die schmeckenden Oberfl\u00e4chen ohne Unterschied alle Geschm\u00e4cke wahrnehmen? 2) ob ein schmeckbarer K\u00f6rper in der ganzen Ausdehnung der Geschmacksfl\u00e4che eine identische Geschmacksempfindung errege ?\nWir wollen hier gleich bemerken, ' dass Stich (cit. S. 188) auf Grundlage der ihm bekannt gewordenen Meinungen der Physiologen erstere in zwei Gruppen theilte. Diese beiden Gruppen stimmen aber vollkommen \u00fcberein mit den zwei Fragen, die sich Guyot vorgelegt hatte, und wir werden deshalb vor Allem die Angaben des letzteren n\u00e4her ber\u00fccksichtigen.\nAuf die erste Frage antwortete Guyot mit der Beobachtung, dass er einige schmeckbare K\u00f6rper fand, wie z. B. die Milch, die Butter, das Oel, das Brod, das Fleisch und eine grosse Anzahl anderer Nahrungsmittel, welche an dem vorderen Theil der Zunge nur eine Gef\u00fchlsempfindung, an dem hinteren Theil dagegen den charakteristischen Geschmack erregen. \u2014 Nun haben sowohl Schirmer","page":200},{"file":"p0201.txt","language":"de","ocr_de":"Geschmacksempfindungen an verschiedenen Stellen des Gfeschmacksorgans. 201\n(cit. S. 157) als auch Longet (cit. S. 158) die Bemerkung gemacht, dass die von Guyot angef\u00fchrten Substanzen nicht so sehr das Geschmacks- als vielmehr das Geruchsorgan afficiren und Longet setzt noch hinzu, dass wenn man beim Gemessen derselben die Nase ver-schliesst dieselben als geschmackslos erscheinen. \u2014 Es ist wahrscheinlich zu weit gegangen, wenn man dies f\u00fcr alle kurz vorher nach Guyot angef\u00fchrten Substanzen behaupten wollte, einige derselben erregen gewiss auch die Geschmacksnerven.\nDie zweite Frage wurde von Guyot mit Anf\u00fchrung einer Reihe Substanzen beantwortet, welche er sowohl an dem vorderen als auch an dem hinteren Theil der Zunge auf ihren Geschmack pr\u00fcfte. In der Tabelle sind einige der von Guyot erhaltenen Resultate mit-getheilt. Aus seinen Versuchen l\u00e4sst sich entnehmen, dass S\u00e4uren und Alkalien nur einen Geschmack besitzen, ebenso die gr\u00f6sste Anzahl der neutralen K\u00f6rper, und dass fast alle Salze ihren sauren, salzigen, pikanten, styptischen Geschmack an der Zungenspitze, ihren bitteren, metallischen, basischen an dem hinteren Theil der Zunge verrathen; es existiren jedoch mehrere Ausnahmen, so z. B. das Kochsalz erregt \u00fcberall bloss eine Empfindung, der Brechweinstein ist beinahe geschmackslos an der Zungenspitze, metallisch an der Zungenbasis.\nWenn man die angef\u00fchrte Tabelle ansieht, so wird man bald bemerken, dass, wie schon erw\u00e4hnt, die Angaben Picht\u2019s mit jenen von Horn w\u00f6rtlich \u00fcbereinstimmen, und dass die Angaben Lussa-na\u2019s, von welchen sp\u00e4ter die Rede sein wird, mit jenen Guyot\u2019s ebenfalls w\u00f6rtlich \u00fcbereinstimmen. \u2014 Die S\u00e4uren erregten bei allen Forschern an der Zungenspitze eine saure Empfindung, nur die Salpeters\u00e4ure hat bei Horn und Picht an den Pap. fung. einen bitteren Geschmack verrathen. Horn und Picht fanden Salzs\u00e4ure, Salpeters\u00e4ure, Weinsteins\u00e4ure und Klees\u00e4ure an der Zungenbasis mehr oder weniger bitter ; Guyot gibt an, dass alle S\u00e4uren an der Zungenbasis sauer schmecken, Daniels fand dort selbst den Weinessig und Lussana auch die Klees\u00e4ure bitter. \u2014 Auch bez\u00fcglich der Salze finden wir zwischen Horn und Guyot nicht immer \u00fcbereinstimmende Angaben, es ist aber \u00fcberfl\u00fcssig dieselben hier besonders hervorzuheben, dagegen woollen wir nun auf die Mittheilung der Beobachtungen anderer Autoren \u00fcbergehen.\nStich (cit. S. 188) hat, wie schon oben bemerkt wurde, seine Aufmerksamkeit auch auf den uns gegenw\u00e4rtig besch\u00e4ftigenden Gegenstand gerichtet und gelangte auf Grund seiner mit Klaatsch vorgenommenen Versuche zu dem Resultate, dass ein Geschmack auf","page":201},{"file":"p0202.txt","language":"de","ocr_de":"202 y. Vintschgau, Geschmackssinn. 3. Cap. Geschmackswahrnehmung.\nallen denselben vermittelnden Stellen die gleiche Erregung hervorruft, das Bittere wurde \u00fcberall gleichm\u00e4ssig als bitter, das Sauere \u00fcberall als sauer, das S\u00fcsse \u00fcberall als s\u00fcss empfunden. Stich findet es auch aus theoretischen Gr\u00fcnden sonderbar, dass Stoffe die auf einer bestimmten geschmacksvermittelnden Stelle einen bestimmten Geschmack haben, auf einer anderen solchen Stelle einen anderen Geschmack haben sollten.\nSchirmer (cit. S. 157) spricht sich ebenfalls zu Folge eigener Beobachtungen gegen die Angaben Horn\u2019s und Picht\u2019s aus und zwar auf Grund der Annahme, dass wir unser Urtheil \u00fcber einen Geschmack aus dem Gesammteindrucke aller von den Geschmackstr\u00e4gern erhaltenen Empfindungen bilden und dass, wenn wir mit der Zungenwurzel allein \u00fcber eine Geschmacksempfindung urthei-len sollen, aus mangelnder Uebung Irrth\u00fcmer unterlaufen k\u00f6nnen. \u2014 Wir k\u00f6nnen uns aber mit dieser Ansicht Schirmer\u2019s nicht befreunden. Es ist unzweifelhaft, dass wenn wir eine Substanz kosten und \u00fcber ihren Geschmack ein Urtheil f\u00e4llen wollen, wir dasselbe nicht aus dem ersten Eindruck, sondern aus jenen Eindr\u00fccken sch\u00f6pfen, welche die Substanz auf allen Theilen des Geschmacksorgans hervorruft, ja in solchen F\u00e4llen ziehen wir nicht bloss den Geschmackssondern auch den Geruchs- und den Gef\u00fchlssinn zu Rathe. Dies hat aber mit unserer Frage nichts zu thun. Die mangelnde Uebung am hinteren Theil der Zunge k\u00f6nnen wir ebenfalls nicht gelten lassen, weil gerade am Zungengrunde das Geschmacksorgan am meisten entwickelt ist und wir uns auch im gew\u00f6hnlichen Leben vorzugsweise auf die Aussage dieses Zungentheiles verlassen.\nInzani und Lussana (Sui nervi etc. cit. S. 173), welche in der Trennung der Geschmacksf\u00e4higkeit des vorderen und hinteren Thei-les der Zunge bedeutend weiter als alle \u00fcbrigen Physiologen gehen, geben auch an, dass ein und dieselbe Substanz auf der Zungenspitze Geschmacksempfindungen hervorruft, die verschieden sind von jenen, welche dieselbe Substanz am Zungengrund erregt. Sie f\u00fchren auch als Beweis die Versuche mit den acht in unserer Tabelle (siehe S. 199) bezeichneten Substanzen an.\nWir haben hiermit ersch\u00f6pft, was bis jetzt \u00fcber diesen Gegenstand bekannt ist, denn die \u00fcbrigen Physiologen haben sich dar\u00fcber entweder gar nicht oder h\u00f6chst reservirt ausgesprochen. Nur w\u00e4re noch zu erw\u00e4hnen, dass Fick [(cit. S. 192) S. 86 Note] angibt, er h\u00e4tte selber den Eindruck erhalten, als ob \u201enicht gar zu verd\u00fcnnte Schwefels\u00e4ure\u201c auf der Zungenspitze s\u00fcsslich schmecke. Fick legt aber keinen Nachdruck auf diese nur gelegentlich gemachte Beobachtung. \u2014","page":202},{"file":"p0203.txt","language":"de","ocr_de":"Geschmacksempfindungen an verschiedenen Stellen des Geschmacksorgans. 203\nLudwig1 S. 392 f\u00fchrt in einer kleinen Tabelle 4 Substanzen an; f\u00fcr drei (essigsaures Kali, Alaun und Schwefels. Natron) stimmen seine Angaben mit jenen Guyot\u2019s \u00fcberein; f\u00fcr das Kochsalz wird angegeben, dass dasselbe an der Zungenspitze salzig, am Zungengrunde s\u00fcsslich schmecke. Ludwig kn\u00fcpft daran die Bemerkung, dass der G-esckmackswechsel desselben Stoffes auf verschiedenen Fl\u00e4chen des Geschmacksinnes wohl nicht in der Ausdehnung 'gelte, wie ihn Horn zuerst behauptete, dagegen f\u00fcr einzelne Stoffe namentlich f\u00fcr Salze ausgesprochen genug sei. \u2014 Endlich ersieht man aus einer von Camerer (cit. S. 157) mitgetheilten Tabelle, die jedoch zu einem ganz anderen Zwecke entworfen wurde, dass die Schwefels\u00e4ure an der Zungenspitze von zwei Personen als bitter empfunden wurde; es muss jedoch bemerkt werden, dass eine dieser Personen auch das Wasser dortselbst als bitter angab.\nWenn man die eben mitgetheilten Beobachtungen n\u00e4her betrachtet, so gewinnt man bald die Ueberzeugung, dass eine erneuerte Bearbeitung dieses Gegenstandes h\u00f6chst erw\u00fcnscht w\u00e4re, bei welcher jedoch zuerst ermittelt werden m\u00fcsste, in wie weit der Geschmackssinn an den verschiedenen Orten des Geschmacksorgans entwickelt ist.\nUnter der Voraussetzung, dass der Geschmackssinn nicht f\u00fcr alle vier Hauptgeschm\u00e4cke an allen Orten des Geschmacksorgans gleich gut entwickelt sei, lassen sich eine ganze Reihe der oben mitgetheilten Versuche mit der gr\u00f6ssten Leichtigkeit erkl\u00e4ren, insofern man noch die weitere Annahme macht, dass f\u00fcr jeden Hauptgeschmack eigene specifische Nervenfasern existiren. Von einer ganzen Reihe Salze, wie etwa von den sauren Salzen, w\u00e4re es dann nichts Sonderbares, dass dieselben z. B. an der Zungenspitze den sauren, an der Zungenbasis einen anderen Geschmack erregen; es w\u00e4re weiter nichts auffallendes, dass z. B. einige S\u00e4uren an der Zungenspitze deutlich sauer, am Zungengrund aber anders schmecken sollten, denn wir k\u00f6nnen, wenigstens vor der Hand, keinen Grund finden, der gegen die Annahme spr\u00e4che, dass einige chemische Verbindungen mit zwei oder m\u00f6glicher Weise auch mit mehreren Geschm\u00e4cken versehen seien.\nWir haben hier noch einige besondere Versuche Schirmer\u2019s (cit. S. 157) anzuf\u00fchren, aus denen hervorgeht, dass bei Gemengen von zwei verschiedenen Geschmackserregern dieselben an ein und demselben schmeckenden Orte nicht immer gleich schnell, sondern der eine schneller als der andere wahrgenommen wird. \u2014 Schirmer machte sich\n1 C. Ludwig, Lehrbuch der Physiologie des Menschen. 2. Aufl. Leipzig u. Heidelberg 1858.","page":203},{"file":"p0204.txt","language":"de","ocr_de":"204 y. ViNTSCHGAu. Geschmackssinn. 3. Cap. Geschmackswahrnehmung.\nvon den w\u00e4sserigen L\u00f6sungen der Repr\u00e4sentanten der vier Hauptge-schm\u00e4cke (Kochsalz, Zucker, Essigs\u00e4ure und schwefelsaures Chinin) verschiedene Mischungen, indem er immer je zwei derselben combinirte, und von jeder Combination aber zwei verschiedene Mischungen machte, eine, in welcher die eine, eine zweite, in welcher die andere L\u00f6sung vorherrschte. Auf diese Weise erhielt Schirmer zw\u00f6lf verschiedene Mischungen, und jede wurde dann auf verschiedene schmeckende Stellen applicirt. Aus diesen Versuchen ergab sich Folgendes: Die Zungenspitze nimmt von den in diesen Mischungen enthaltenen Geschm\u00e4cken den einen eher wahr als den anderen, weniger deutlich tritt dies an den Zungenr\u00e4ndern und am Zungengrund hervor; dass der eine oder der andere Geschmack zun\u00e4chst auftritt, h\u00e4ngt nicht von der in der L\u00f6sung vorherrschenden Substanz ab, vielmehr tritt der salzige Geschmack vor dem s\u00fcssen, dieser vor dem saueren, der sauere vor dem bitteren auf. Der zuerst wahrgenommene Geschmack verschwindet auch wieder zuerst, am l\u00e4ngsten bleibt aber der bittere zur\u00fcck. \u2014 Wie die Zunge verh\u00e4lt sich auch der weiche Gaumen, mit dem Unterschiede jedoch, dass der zweite Geschmack nicht rasch wahrnehmbar ist, ja dass derselbe manchmal entgeht, besonders wenn er der schw\u00e4chere ist. \u2014 Der arcus palatoglossus empfindet beide Geschmacksarten zu gleicher Zeit. Der Geschmack der vorherrschenden Substanz wird bisweilen nur allein wahrgenommen und verdr\u00e4ngt den anderen schw\u00e4cheren, besonders wenn jener ein bitterer ist. \u2014 Das Gaumensegel scheint \u00fcberhaupt besonders f\u00fcr das Bittere empfindlich zu sein.\nWir m\u00fcssen aber vor Allem bemerken, dass diese Angaben nicht allgemeine Giltigkeit haben k\u00f6nnen, da, wie wir oben gesehen haben, die von Schirmer untersuchten Gegenden nicht bei allen Menschen einen vollkommen entwickelten Geschmackssinn besitzen und derselbe bei einigen Individuen an gewissen Gegenden, so an der Zungenspitze, den Zungenr\u00e4ndern, am weichen Gaumen etc. sogar vollkommen fehlen kann. Wir k\u00f6nnen ausserdem der Erkl\u00e4rung, welche Schirmer von den von ihm beobachteten Erscheinungen gibt, dass n\u00e4mlich die Geschmacksorgane auf der Zunge mit mehr Schichten vom Epithel bedeckt seien, am Gaumensegel aber mehr zu Tage liegen, gegenw\u00e4rtig, nachdem die Schmeckbecher entdeckt sind, nicht mehr beipflichten; eher l\u00e4sst sich denken, dass dieselben in der specifischen Energie der einzelnen Geschmacksfasern eine befriedigende Erkl\u00e4rung finden k\u00f6nnten.\nII. Die Reactionszeit einer Geschmacksempfindung.\nUeber die Reactionszeit einer Geschmacksempfindung wurden die ersten Versuche von v. Wittich und Dr. Gr\u00fcnhagen1 vorgenommen. \u2014 v. Wittich ben\u00fctzte den sauren Geschmack, welchen der elektrische Strom an der Zungenspitze erregt. Der reizende Strom wurde gleichzeitig mit dem Zeichenstrom durch Umwerfen einer Wippe ge-\n1 v. Wittich, Ueber die Fortleitungsgeschwindigkeit in menschlichen Nerven. Ztschr. f. rat. Med. (3) XXXI.","page":204},{"file":"p0205.txt","language":"de","ocr_de":"Reactionszeit einer Geschmacksempfindung.\n205\nschlossen; v. Wittich berechnete die mittlere Zeit (von der Zunge zur Hand) aus 40 Beobachtungen auf 0,167 Sec.\nZahlreicher sind die Beobachtungen, welche ich mit H\u00f6nig-schmied 1 vornahm. Bei diesen Versuchen wurde die schmeckbare Substanz auf die Zungenspitze oder auf den Zungengrund mit einem Pinsel applicirt, der so eingerichtet war, dass im Moment der Application auch der zeitmessende Strom, dessen Unterbrechung mit der Hand geschah, geschlossen wurde. - Die von uns vorgenommenen Versuche lassen sich in drei Gruppen eintheilen. \u2014 Zu der ersten Gruppe geh\u00f6ren jene Beobachtungen, bei welchen der untersuchten Person genau bekannt war, welche Geschmackssubstanz (Chlornatrium, Zucker, Citronens\u00e4ure und doppeltschwefelsaures Chinin) applicirt wurde; dieser Person fiel also hierbei bloss die Aufgabe zu, den zeitmessenden Strom in jenem Augenblicke zu unterbrechen, in welchem die erste Spur einer deutlichen Geschmacksempfindung auftrat. Die Versuche wurden bei drei Personen an der Zungenspitze, und bei einer auch am Zungengrund vorgenommen. Ausserdem wurde die Reactionszeit f\u00fcr die einfache Ber\u00fchrung der Zungenspitze und des Zungengrundes mit dem Pinsel ermittelt.\nAn der Zungenspitze haben wir folgende Mittelwerthe erhalten.\n\tDie Versuche wurden vorgenommen hei Herrn\t\t\n\tH.\tDr. D.\tFu.\nBer\u00fchrung \t\t0,1507\t0,1251\t0,1742\nChlornatrium ....\t0,1598\t0,597\t\u2014\nZucker\t\t0,1639\t0,752\t0,3502\nS\u00e4ure \t\t0,1676\t\u2014\t\u2014\nChinin\t\t0,2196\t0,993\t\u2014\nAm Zungengrund ergaben die Versuche folgende Mittelwerthe: f\u00fcr die einfache Ber\u00fchrung 0,1409 Sec., f\u00fcr Chlornatrium 0,543 Sec., f\u00fcr Zucker 0,552 Sec., f\u00fcr Chinin 0,502 Sec.\nLetztere Versuche wurden an der vordersten rechten Pap. cir-cumv. vorgenommen, und zwar nur bei Herrn Dr. D.\nAus den mitgetheilten Mittelwerthen ersieht man, dass die einfache Ber\u00fchrung sowohl an der Zungenspitze als auch am Zungengrund immer fr\u00fcher signalisirt wird, als irgend eine Geschmacksempfindung. \u2014 Die Reactionszeiten der verschiedenen Geschm\u00e4cke sind an der Zungenspitze bei verschiedenen Personen sehr verschieden,\n1 M. y. Yintschgau u. J. H\u00f6nigschmied, Versuche \u00fcber die Reactionszeit einer Geschmacksempfindung. 1. Theil im Arch, f\u00fcr die gesammte Physiologie X. ; 2. Theil ebend. XII und 3. Theil ebend. XIV.","page":205},{"file":"p0206.txt","language":"de","ocr_de":"206 v. ViNTscHGAU, Geschmackssinn. 3. Cap. Geschmackswahrnehmung.\nund ausserdem auch bei derselben Person verschieden je nach der angewendeten schmeckbaren Substanz; die Reactionszeit des Bitteren ist dortselbst die l\u00e4ngste. \u2014 Am Zungengrund zeigen die drei gepr\u00fcften Geschm\u00e4cke keinen auffallenden Unterschied in der Reae-tionszeit, sie werden aber immer fr\u00fcher signalisirt, als wenn die Application auf die Zungenspitze stattfindet.\nDie Versuche dieser ersten Gruppe zeigen auch, dass eine gewisse Zeit verstreichen muss, bevor die Erregung der Geschmacksnerven eine solche Intensit\u00e4t erreicht, bei welcher die Geschmacksempfindung eben anf\u00e4ngt deutlich zu werden. Wir k\u00f6nnen uns n\u00e4mlich nach der Analogie mit den \u00fcbrigen Nerven nicht denken, dass der Unterschied zwischen der Signalisirung der einfachen Ber\u00fchrung der Zungenspitze oder des Zungengrundes und jener der Geschmacksempfindung bloss auf Rechnung der Zeit zu setzen sei, welche die schmeckbare Substanz braucht, um bis zu den Stiftchen der Geschmackszellen zu gelangen.\nZu der zweiten Gruppe geh\u00f6ren jene Versuche, bei welchen die untersuchte Person eine im voraus bestimmte schmeckbare Substanz von destillirtem Wasser unterscheiden musste. \u2014 Diese Beobachtungen wurden bloss an der Zungenspitze einer einzigen Person vorgenommen.\nEndlich zur dritten Gruppe geh\u00f6ren jene Versuche, bei welchen die Reactionszeit einer schmeckbaren Substanz bestimmt wurde, wenn der Beobachtete wohl wusste, dass zwei im Voraus bestimmte schmeckbare Substanzen in Anwendung kommen werden, w\u00e4hrend es ihm aber unbekannt war, welche derselben applicirt werden wird, er also zwischen zwei Geschm\u00e4cken zu entscheiden hatte. Auch diese Beobachtungen wurden bloss an der Zungenspitze derselben Person gemacht, bei welcher die Versuche der zw\u00e9iten Gruppe angestellt wurden.\nIn folgender Tabelle stellen wir die Resultate zusammen, welche ich und H\u00f6nigschmied bei den drei an derselben Person angestell-ten Versuchsgruppen erhalten haben.\n*\tEinfache Wahrnehmung der Substanz\t\tUnterscheidung von.\t\t\t\n\t\tWasser\tChlor Natrium\tS\u00e4ure\tZucker\tChinin\nChlornatrium . .\t0,1598\t0,2766\t\u2014\t0,3338\t0,3378\t0,4802\nS\u00e4ure \t\t0,1676\t0,3315\t0,3749\t\u2014\t0,4081\t0,4096\nZucker\t\t0,1639\t0,3840\t0,3688\t0,4373\t\u2014\t0,4224\nChinin\t\t0,2196\t(1.4129\t0,4388\t0,5095\t0 4210\t\u2014","page":206},{"file":"p0207.txt","language":"de","ocr_de":"Die specifische Energie der Geschmacksfasern\n207\nDie Anwendung der Tabelle ist einfach; man braucht bloss im ersten Stab die Bezeichnung der Substanz, deren Reactionszeit man erfahren will und in der ersten Zeile die Bezeichnung der Substanz, mit welcher der Vexirversuch vorgenommen wurde, zu suchen; so findet man an der Stelle, wo der horizontale Stab mit dem vertica-len sich kreuzt, die gesuchte Reactionszeit.\nWir haben aus obiger Tabelle folgendes Gesetz f\u00fcr die Zungenspitze abgeleitet: Wenn man mit destillirtem Wasser und einer schmeckbaren Substanz oder abwechselnd mit zwei schmeckbaren Substanzen Vexirversuche auf der Zungenspitze vornimmt, so wird die Erkennt-nisszeit der einen (bei Vexirversuch en mit Wasser) oder von beiden (bei Vexirversuch en mit zwei schmeckbaren Substanzen) desto l\u00e4nger, je l\u00e4nger die Reactionszeit der Einen der schmeckbaren Substanzen bei einfacher Betupfung ist. \u2014 Es ist jedoch fraglich, ob dieses Gesetz eine allgemeine Giltigkeit hat, ob n\u00e4mlich dasselbe auch f\u00fcr den Zungengrund, an welchem die Geschmacksf\u00e4higkeit am intensivsten entwickelt ist, und wo die Reactionszeiten der einzelnen Gesehm\u00e4cke nur sehr kleine Unterschiede zeigen, aufgestellt werden kann.\nIII. Die specifisclie Energie der Geselimacksfasern.\nMan kann auch f\u00fcr den Geschmackssinn n\u00e4her untersuchen, ob die verschiedenen Geschmacksempfindungen auf einer verschiedenen Erregungsweise ein und derselben Nervenfaser beruhen, oder ob wir f\u00fcr die einzelnen Geschmacksempfindungen eigene Nervenfasern annehmen sollen.\nFick [(cit. S. 192) S. 79] hat zuerst die letzte Hypothese ausgesprochen, ohne sie jedoch n\u00e4her zu verfolgen. Br\u00fccke [(cit. S. 192) S. 243] hat dieselbe als sehr wahrscheinlich hingestellt und Urban-tschitsch (cit. S. 156) sich ihr nicht bloss angeschlossen, sondern auch getrachtet, diese Hypothese mit mehreren Gr\u00fcnden zu st\u00fctzen ; er beruft sich vor Allem darauf, dass die Einschr\u00e4nkung des Geschmacksfeldes in einigen F\u00e4llen nicht gleichm\u00e4ssig f\u00fcr s\u00e4mmt-liche vier Geschmacksarten eintritt, sondern nur f\u00fcr eine bestimmte Substanz. \u2014 In j\u00fcngster Zeit habe ich1 ebenfalls versucht, diese Annahme n\u00e4her zu begr\u00fcnden.\nDie Hypothese, dass eigene Geschmacksfasern f\u00fcr jede Geschmacksart vorhanden seien, bietet den Vortheil, uns eine ganze Reihe von Erscheinungen zu erkl\u00e4ren, die wir am Geschmacks-\n1 M. v. Yintschgau, Beitr\u00e4ge zur Physiologie des Geschmackssinnes. 3. Theil im Arch. f. d. gesammte Physiologie XX. S. 225.","page":207},{"file":"p0208.txt","language":"de","ocr_de":"208 v. Vintschgau, Geschmackssinn. 3. Cap. Geschmackswahrnehmung.\nsinn beobachten. \u2014 Es ist gut, der K\u00fcrze halber die Ausdr\u00fccke schmeckende Nervenfasern oder s\u00fcss, bitter schmeckende Nervenfasern etc. zu ben\u00fctzen und zwar in demselben Sinne, wie man von motorischen, sensitiven, hemmenden Nervenfasern spricht.\nBei dieser Hypothese gen\u00fcgt es vorauszusetzen, dass an einer Stelle des Geschmacksorgans die verschiedenen Arten von Geschmacksfasern nicht in gleicher Anzahl vorhanden sind um die Beobachtung zu erkl\u00e4ren, dass nicht alle Geschm\u00e4cke mit gleicher Feinheit unterschieden werden. \u2014 Wenn wir mit Beziehung auf diese Hypothese annehmen, dass die einzelnen Gattungen von Geschmacksfasern an einer Stelle in geringer Anzahl vorhanden sind, so wird es uns verst\u00e4ndlich, warum Geschm\u00e4cke deutlicher hervortreten, sobald man die ganze Stelle mit der schmeckbaren Substanz bestreicht, als wenn man bloss eine beschr\u00e4nkte Stelle derselben betupft. \u2014 Auf Grund derselben Voraussetzung, dass n\u00e4mlich eine Gattung Geschmacksfasern in einer Region nur in geringer Anzahl vorkomme, erhalten wir auch die Erkl\u00e4rung, wesshalb der betreffende Geschmack leichter unterschieden wird, wenn die Vexirversuche bloss mit Wasser, als wenn dieselben mit einer anderen schmeckbaren Substanz vorgenommen werden. \u2014 Wenn wir weiters annehmen, dass die bitter schmeckenden Fasern an der Zungenspitze in geringerer Anzahl Vorkommen als alle \u00fcbrigen Gattungen von Geschmacksfasern, so verstehen wir auch, weshalb die Reactionszeit f\u00fcr das Bittere dortselbst l\u00e4nger ausf\u00e4llt, als bei den \u00fcbrigen Geschm\u00e4cken, w\u00e4hrend dagegen am Zungengrund, an welchem alle Gattungen Geschmacksfasern in grosser Anzahl zu treffen sind, alle Geschm\u00e4cke beinahe dieselbe Reactionszeit haben. \u2014 Es ist endlich leicht mit Hilfe derselben Hypothese zu erkl\u00e4ren, wie es Vorkommen kann, dass eine und dieselbe Substanz an der Zungenspitze einen bestimmten Geschmack und am Zungengrund wieder einen anderen Geschmack verr\u00e4th, nur muss man selbstverst\u00e4ndlich auch annehmen, dass diese Substanz zwei oder mehr Geschm\u00e4cke besitze.\nDa nun diese Hypothese von eigenen Gattungen Geschmacksfa-sem im Stande ist, so verschiedenartige Erscheinungen zu erkl\u00e4ren, eo ist es klar, dass dieselbe eine grosse Berechtigung besitzt.\nAn dieselbe kn\u00fcpft sich aber die weitere Frage \u00fcber die Zahl der Fasergattungen, die man unterscheiden soll. \u2014 Es gen\u00fcgt nur folgende vier Arten anzunehmen: sauer, s\u00fcss, bitter und salzig schmeckende Fasern. Dass diese vier Arten wirklich Vorkommen, glaube ich aus denVersuchen, die ich an meiner Zungenspitze vornahm (cit. S. 157), entnehmen zu m\u00fcssen, denn sonst w\u00e4re es vollkommen unerkl\u00e4rlich, warum ich, wie schon oben S. 157 an-","page":208},{"file":"p0209.txt","language":"de","ocr_de":"Intensit\u00e4t einer Geschmacksempfindung. Menge des wirksamen K\u00f6rpers. 209\ngef\u00fchrt wurde, mit der Zungenspitze alle vier Geschm\u00e4cke nicht gleich gut wahrnehmen konnte, da doch ganz sicher an meiner Zungenspitze sauer und s\u00fcss schmeckende Fasern Vorkommen.\nEine Vermehrung der Faserarten ist ganz \u00fcberfl\u00fcssig, denn mit Beiziehung von Intensit\u00e4tsunterschieden der einzelnen Geschm\u00e4cke lassen sich unz\u00e4hlige Geschmacksarten denken.1\nIV. Die Intensit\u00e4t einer Geschmacksempfindung.\nDie Intensit\u00e4t einer Geschmacksempfindung h\u00e4ngt gewiss von einer ganzen Reihe von Bedingungen ab. Wir werden nun einige dieser Bedingungen n\u00e4her besprechen.\nI. Die Quantit\u00e4t des wirksamen K\u00f6rpers.\nAuf zweifache Weise hat man versucht, die geringste Menge eines schmeckbaren K\u00f6rpers zu ermitteln, welche noch hinreicht, eine deutliche Geschmacksempfindung hervorzurufen. Man hat n\u00e4mlich die schmeckbare L\u00f6sung bloss auf eine beschr\u00e4nkte Stelle des Geschmacksorgans applicirt, oder man hat ein bestimmtes Volumen der L\u00f6sung in den Mund eingef\u00fchrt. Bei beiden Methoden wurden die L\u00f6sungen so weit verd\u00fcnnt bis der entsprechende Geschmack entweder nicht mehr deutlich auftrat oder bis die Zahl der unrichtigen jene der richtigen Angaben bedeutend \u00fcberstieg.\nF\u00fcr die erste Methode hat man die Zungenspitze angewendet als die zug\u00e4nglichere Stelle und sobald daselbst der Geschmack voll-\n1 Wir wollen hier ein auffallendes Verhalten der Geschmacksorgane mittheilen, welches von Jacubowitsch [Zur Geschmacksempfindung. Medicinsky Wiestnik*1872. Kr. 52 (Russisch). Hofmann u. Schwalbe\u2019s Jahresber. I. S. 572. 1872] bei einem lepr\u00f6sen Kosaken beobachtet wurde. Brachte man bittere Substanzen (Chinin) oder saure (verd\u00fcnnte Schwefels\u00e4ure) auf die Zunge, so hatte der Kranke keine Geschmacksempfindung, nur in letzterem Falle kam mitunter ein K\u00e4ltegef\u00fchl zum Vorschein. Dagegen unterschied der Kranke s\u00fcsse (Zucker) oder salzige (Kochsalz) Substanzen sehr gut. Wenn man Combinationen von Salz mit Chinin oder Schwefels\u00e4ure und Zucker zur Probe anwandte, so hatte der Kranke statt salzig bitteren nur bitteren, und im zweiten Falle nur s\u00fcssen Geschmack. Diese Alienation des Geschmackes blieb constant w\u00e4hrend des ganzen Verlaufes der Krankheit. Ich habe diese Beobachtung hier mitgetheilt, weil dieselbe gewiss von Interesse ist; ich kann aber einige Bemerkungen nicht unterdr\u00fccken, die vielleicht, wenn die Originalarbeit mir zug\u00e4nglich w\u00e4re, sich als \u00fcberfl\u00fcssig herausgestellt h\u00e4tten. Es ist wenigstens im Referate nicht angegeben, an welcher Stelle der Zunge der Geschmack gepr\u00fcft wurde ; weiter wird anfangs gesagt, dass das Chinin nicht, wohl aber das Kochsalz geschmeckt wurde, w\u00e4hrend bei einer Mischung von Salz mit Chinin der Kranke nur einen bitteren Geschmack hatte ; endlich vermisse ich die Angabe \u00fcber den Geschmack im gesunden Zustande, oder wenn der Kranke starb, eine Angabe \u00fcber die Ergebnisse der Sektion.\nHandbuch der Physiologie. Bd. III a.\n14","page":209},{"file":"p0210.txt","language":"de","ocr_de":"210 v. Vintschgatj, Geschmackssinn. 3. Cap. Geschmackswahrnehmung.\nst\u00e4ndig entwickelt ist, kann man gegen diese Wahl nichts ein wenden, obwohl die Pap. circumv. oder die Pap. fol. die geeigneteren Stellen w\u00e4ren. Es ist aber zu bemerken, dass die minimale Menge, die man auf diese Weise ermittelt, doch noch immer etwas gr\u00f6sser ausfallen muss als jene Menge, die in der That die Nerven erregt, weil nicht das ganze angewendete Fl\u00fcssigkeitsvolum mit den Endorganen der Geschmacksnerven in Ber\u00fchrung kommen kann.\nDerselbe Uebelstand tritt selbstverst\u00e4ndlich auch bei Anwendung der zweiten Methode ein, dazu gesellt sich noch ein anderer. Die in den Mund eingef\u00fchrte Fl\u00fcssigkeitsmenge vermischt sich mit dem Speichel und erf\u00e4hrt dadurch eine Verd\u00fcnnung, die um so mehr ins Gewicht fallen muss je kleiner das Volumen der eingef\u00fchrten L\u00f6sung ist. Ausserdem werden bei dieser zweiten Methode andere Umst\u00e4nde von Bedeutung sein. Man kann n\u00e4mlich die in den Mund aufgenommene L\u00f6sung ruhig halten und auf den ersten Eindruck achtgeben; dabei ist man aber nicht sicher, dass die schmeckbare Fl\u00fcssigkeit mit allen schmeckenden Theilen in Ber\u00fchrung kommt, so dass die Empfindung sehr schwach sein oder auch g\u00e4nzlich fehlen kann. Wird aber die aufgenommene L\u00f6sung bewegt, so wird zwar der Geschmack eher hervortreten, dabei aber kommt es gewiss vor, dass nicht bloss neue Theile des Geschmacksorgans mit der Fl\u00fcssigkeit in Ber\u00fchrung gelangen, sondern auch dass Nerven, welche schon einmal erregt wurden, mehrere Male hintereinander erregt werden. Aus dieser Auseinandersetzung geht hervor, dass die bis jetzt erhaltenen Zahlen wohl eine ann\u00e4hernde aber keine absolute Richtigkeit beanspruchen k\u00f6nnen; trotzdem liefern sie aber den Beweis, dass eine h\u00f6chst geringe Menge des schmeckenden K\u00f6rpers gen\u00fcgt, um eine Geschmacksempfindung hervorzurufen, und dass diese minimale Quantit\u00e4t- nicht bei allen schmeckbaren K\u00f6rpern dieselbe ist.\nDie ersten Versuche in diesem Gebiete verdanken wir Valentin (cit. S. 196).\nEr nahm bald eine gr\u00f6ssere bald eine kleinere Menge Fl\u00fcssigkeit in den Mund; bei zweifelhafter Geschmacksempfindung machte er auch eine Gegenprobe mit destillirtem Wasser. Die von Valentin gepi\u00fcften Substanzen sind Rohrzucker, weisser Syrup, Kochsalz, Schwefels\u00e4ure,. Alo\u00ebextraet und basisch schwefelsaures Chinin. Den weissen Syrup werden wir nicht ber\u00fccksichtigen, weil derselbe ohnehin im Wesentlichen wie der Zucker sich verhielt, von den \u00fcbrigen Substanzen f\u00fchren wir bloss die kleinsten Mengen an, die noch eine Geschmacksempfindung hervorriefen.\nZucker. Eine Zuckerl\u00f6sung mit einem Zuckergehalt von Vs 3 oder richtiger 1,2 % gab, selbst wenn 20 Ccm. derselben, die 0,24 Grm. Zucker f\u00fchrten, genommen wurden, einen so schwach s\u00fcssen Geschmack, dass","page":210},{"file":"p0211.txt","language":"de","ocr_de":"Menge des wirksamen K\u00f6rpers.\n211\nValentin denselben, wenn ihm die Natur der L\u00f6sung unbekannt gewesen w\u00e4re, nicht bemerkt haben w\u00fcrde.\nKochsalz. Waren nur V213 Salz in dem destillirten Wasser aufgel\u00f6st, so reichte 1l/2 Ccm. hin um einen deutlichen, wenn auch schwachen Salzgeschmack hervorzurufen. Enthielt sie aber l/426 Kochsalz, so musste Valentin 12 Ccm. in den Mund nehmen, um einen \u00e4usserst schwachen und selbst dann kaum merklichen Salzgeschmack aufzufinden.\nSchwefels\u00e4ure. Der s\u00e4uerliche Geschmack liess sich in einer Fl\u00fcssigkeit die l/i00000 wasserfreie Schwefels\u00e4ure dem Gewichte nach einschloss, bei genauer Aufmerksamkeit wahrnehmen ; f\u00fchrte sie dagegen nur Vioooooo, so konnte kein Unterschied im Vergleich mit destillirtem Wasser aufgefunden werden; dieses schmeckte h\u00f6chstens etwas weniger zusammenziehend.\nAlo\u00ebextract. % Ccm. einer L\u00f6sung, die nur V323 trockenen Alo\u00eb-extractes enthielt, rief schon einen anhaltenden gallig-bitteren Geschmack hervor. Eine Mischung, die nur A/i 2500 enthielt, verrieth noch den Alo\u00eb-geschmack,\u2019 wenn 10 Ccm. genommen wurden; wurde die Verd\u00fcnnung bis zu 1 900000 gebracht, so trat bei der Vergleichung mit destillirtem Wasser ein schwacher Nachgeschmack nach Alo\u00eb auf.\nBasisch schwefelsaures Chinin. Valentin erkannte mit Deutlichkeit den bitteren Geschmack, wenn das Wasser lj3 3000 Chinin salz enthielt; f\u00fchrte es dagegen nur Vioooooo, so konnte Valentin h\u00f6chstens bei sehr genauer Pr\u00fcfung eine Spur von einiger Bitterkeit bemerken.\nDie gepr\u00fcften Substanzen lassen sich nach der Art und Weise wie sie mit der Verd\u00fcnnung ihre F\u00e4higkeit auf die Geschmacksorgane zu wirken verlieren, folgendermaassen ordnen : Zucker, Kochsalz, Alo\u00ebextract, basisch schwefelsaures Chinin und Schwefels\u00e4ure.\nAus den von Valentin mitgetheilten Zahlen l\u00e4sst sich wohl die kleinste absolute Menge berechnen, welche gen\u00fcgend ist, den Geschmack unter den gegebenen Bedingungen zu erregen. Diese ab-soluten'Zahlen haben aber keinen Werth, da ja nur ein sehr kleiner Bruchtheil jener Substanzmenge wirklich mit den End Organen in Ber\u00fchrung gekommen sein kann.\nValentin hat bei seinen Versuchen die Beobachtung gemacht, dass die kleinste noch schmeckbare Menge nicht gefunden wird, wenn man sich der m\u00f6glichst st\u00e4rksten Verd\u00fcnnung bedient, wohl aber l\u00e4sst sich dieselbe leichter finden, wenn man die erforderliche Minimalquantit\u00e4t einer dichteren L\u00f6sung anwendet.\nDies geht aus folgenden Zahlen hervor: von einer Zuckerl\u00f6sung, die 2,4 \u00b0/o Zucker f\u00fchrt, gen\u00fcgt 1 Ccm. mit 22 Mgrm., um den s\u00fcssen Geschmack auf das Deutlichste hervorzurufen; wird aber die Mischung auf 1,2% gebracht, so geben 20 Ccm. mit 240 Mgrm. keinen sogleich auffallenden Zuckergeschmack. \u2014 Von einer Kochsalzl\u00f6sung die 0,47 % Koch-\n14*","page":211},{"file":"p0212.txt","language":"de","ocr_de":"212 v. Vintschgau, Geschmackssinn. 3. Cap. Geschmackswahrnehmung.\nsalz f\u00fchrt, gen\u00fcgen 1,5 Ccm. mit 6Mgrm. damit der vollst\u00e4ndige Salzgeschmack empfunden werde. Wird aber die Verd\u00fcnnung auf lj4% getrieben, dann erregen erst 29 Mgrm. in 12 Ccm. einen kaum bemerkbaren Salzgeschmack.\nDie Erkl\u00e4rung dieser Erscheinung liegt nach Valentin in Folgendem: Damit eine kr\u00e4ftige, bewusste Empfindung zu Stande komme, gen\u00fcgt eine hinreichend starke Anregung von wenigen Nervenfasern ; ist aber die Verd\u00fcnnung eine grosse, dann werden die einzelnen Fasern nur wenig angesprochen, es muss deshalb eine gr\u00f6ssere Anzahl derselben angeregt werden, um den bewussten Geschmack hervorzurufen; man ist somit gen\u00f6thigt, eine gr\u00f6ssere Quantit\u00e4t Fl\u00fcssigkeit einzuf\u00fchren, die dann absolut eine gr\u00f6ssere Menge des L\u00f6sungsk\u00f6rpers enth\u00e4lt.\nNebst Valentin hat sich auch Camerer mit diesem Gegenstand befasst und seine diesbez\u00fcglichen Beobachtungen in zwei Abhandlungen niedergelegt. \u2014 Camerer hat aber bloss das Kochsalz einer Untersuchung unterworfen. Camerer1 bereitete sich 5 verschieden verd\u00fcnnte Kochsalzl\u00f6sungen durch Aufl\u00f6sen dieses Salzes in Schneewasser, nahm jedesmal nur je 30 Ccm. in den Mund und liess Zunge und Fl\u00fcssigkeit m\u00f6glichst ruhig; nach erfolgter Empfindung wurde die Fl\u00fcssigkeit ausgespieen. Die Versuche wurden an zwei Personen nach der Methode der richtigen und falschen F\u00e4lle vorgenommen. In folgender Tabelle sind die Resultate Camerer\u2019s zusammengestellt und zwar gleichzeitig f\u00fcr beide Versuchspersonen.\nIn der verschluckten Fl\u00fcssigkeit enthaltene Salzmenge in Milli gr.\tVerd\u00fcnnung des Salzes\tZahl der richtigen Empfindungen in Proe. aller F\u00e4lle\n4,8\tt 6 250\t8,7\n9,5\t1 \u25a03T5V\t48,7\n14,3\tV\u00fcTs\t79,7\n19,1\tl 1 5 TT)\t91,5\n28,6\tT\u00dcT\u00cf\u00cf\t98,7 1\nWie nicht anders zu erwarten war, ersieht man aus vorstehender Tabelle, dass mit Zunahme der Concentration die Anzahl der richtigen F\u00e4lle zunimmt, und dass die Anzahl derselben rascher w\u00e4chst als die Concentration der L\u00f6sung.\nL Camerer, Die Grenzen der Schmeckbarkeit von Chlornatrium in w\u00e4sseriger L\u00f6sung. Arch. f. d. gesammte Physiologie. II. S. 322 u. folg.","page":212},{"file":"p0213.txt","language":"de","ocr_de":"Menge des wirksamen K\u00f6rpers.\n213\nCamerer hat auch den Einfluss der Temperatur n\u00e4her studirt; da aber seine Versuche wenig zahlreich und, wie er selbst bemerkt, mit manchen unvermeidlichen Fehlerquellen behaftet sind, gelangte er nur zur Best\u00e4tigung der t\u00e4glichen Erfahrung, dass zwischen 10\u00b0 und 20\u00b0C. am besten geschmeckt wird.\nEndlich hat Camerer beobachtet, dass jene L\u00f6sungen, welche gegen das Ende einer Versuchsreihe geschmeckt werden, einen Vorzug haben gegen jene, die am Beginn derselben Leihe geschmeckt werden, und dass jene L\u00f6sungen, welche unmittelbar nach der Application von Wasser geschmeckt werden, einen Vorzug denen gegen\u00fcber haben, welche st\u00e4rkeren L\u00f6sungen unmittelbar folgten.\nWenn man die Ergebnisse Camerer\u2019s mit jenen Valentin\u2019s bez\u00fcglich des Kochsalzes vergleicht, so findet man, dass bei Valentin 12 Ccm. der L\u00f6sung mit 1/413 Substanz einen schwachen kaum merklichen Salzgeschmack hervorriefen, obwohl in den gebrauchten 12 Ccm. 29 Mgrm. Kochsalz enthalten waren, w\u00e4hrend bei den Versuchen von Camerer 30 Ccm. der L\u00f6sung mit V1049 immer einen salzigen Geschmack verursachten. Die absolute Menge Kochsalz war 28,6 Mgrm., also genau wie bei Valentin; es darf jedoch nicht \u00fcbersehen werden, dass bei Camerer auch 30 Ccm. einer L\u00f6sung mit i/;U58 in der H\u00e4lfte der F\u00e4lle eine Geschmacksempfindung erregten. Die absolute Menge war im letzten Falle nur 9,5 Mgrm. Kochsalz. Aus dieser Zusammenstellung geht hervor, dass wesentliche individuelle Verschiedenheiten vorzukommen scheinen.\nCamerer (eit. S. 157) hat in der zweiten Arbeit versucht, die Grenzen der Schmeckbarkeit des Kochsalzes f\u00fcr eine beschr\u00e4nkte Stelle der Zungenspitze zu ermitteln. Auf die Zungenspitze wurde eine kurze Glasr\u00f6hre aufgesetzt, deren Durchmesser 7 Mm. betrug und bis auf die H\u00f6he von 5 Mm. mit der L\u00f6sung gef\u00fcllt wurde. Diese Versuche ergaben, dass bei einer Concentration der L\u00f6sung von 0,0039 ungef\u00e4hr 70 \u00b0/o, dass jedoch auch bei einer Verd\u00fcnnung von 0,00089 noch einige (12 \u00b0/o) richtige Angaben Vorkommen.\nCamerer suchte auch die schw\u00e4chste Kochsalzl\u00f6sung zu ermitteln, welche von einer einzigen Pap. fungiformis noch erkannt wird. Auch diese Versuche wurden zuerst mit einer kurzen Glasr\u00f6hre vorgenommen, deren um die Papille gelegtes Ende eine elliptische Gestalt hatte und deren gr\u00f6sste Axe nur 2 Mm. betrug. Eine L\u00f6sung mit 0,0062 Kochsalz wurde in 88 % der F\u00e4lle, dagegen eine solche von 0,0021 niemals erkannt.\nEndlich bestimmte Camerer das minimale Volum einer Kochsalzl\u00f6sung, welches noch eine Empfindung hervorruft. Das Volumen","page":213},{"file":"p0214.txt","language":"de","ocr_de":"214 v. Vintschgau, Geschmackssinn. 3. Cap. Geschmackswahrnehmung.\nder gebrauchten Fl\u00fcssigkeit wurde nach einem Verfahren bestimmt, welches dem von Vieroedt zur Ermittlung des Blutvolums bei der Bestimmung der Blutk\u00f6rperchenzahl angewendeten Verfahren analog war. Die Zungenspitze wurde so viel als m\u00f6glich mit Fliesspapier getrocknet und auf eine Pap. fung. ein Tropfen Fl\u00fcssigkeit gelegt, welcher 10 und mehr Sekunden auf der H\u00f6he derselben ohne Ab-fliessen blieb.\nEs ergab sich nun, dass, wenn in 0,0303 Cmm. 0,0096 Mgrm. Kochsalz enthalten sind, in ungef\u00e4hr 3 4 der F\u00e4lle richtige Angaben er-erfolgten; waren aber nur 0,0024 Mgrm. vorhanden, dann sank die Zahl der richtigen Angaben auf 8 % der Versuche. Nach der Ansicht Camerer\u2019s betr\u00e4gt die Kochsalzmenge, welche beim Betupfen einer Papille mit einem Krystall ausreicht, um die Empfindung des Salzigen hervorzurufen, immer noch weniger als 0,0024 Mgrm.\nEs sei schliesslich bemerkt, dass in Vierordt\u2019s Physiologie1 eine Tabelle bez\u00fcglich der Schmeckbarkeitsgrenzen des Chinins nach Versuchen von Camerer enthalten ist, bei welchen 30 Ccm. Chininl\u00f6sung in den Mund genommen wurden. Aus den mitgetheilten Zahlen geht hervor, dass bei einer Verd\u00fcnnung von V103400 nur in 13 der Versuche das Bittere erkannt wurde, bei einer Verd\u00fcnnung aber von \\34000 schon in 9,io der F\u00e4lle richtige Angaben gemacht wurden. Die absolute Menge Chinins war im ersten Falle 0,029 im zweiten 0,089 Mgrm.\nEs kann an dieser Stelle nur angedeutet werden, dass Keppler2 eine Reihe Versuche vornahm, um die fact is ch en Leistungen des Geschmackssinnes in der Unterschieds empfindlichkeit f\u00fcr die vier Hauptgesehm\u00e4cke zu ermitteln und um zu erfahren, ob auf diesem Sinnesgebiet das Weber - FECHXER\u2019sche Gesetz massgebend ist. Die Versuche Keppler\u2019s ergaben nur, dass die Unterschiedsempfindlichkeit des Geschmackssinnes hinter den \u00fcbrigen Sinnen erheblich zur\u00fcckstehe,, eine Auswerthung seiner Leistungen jedoch nicht unm\u00f6glich sei; dagegen stellt Keppler die Giltigkeit des WEBER-FECHXER\u2019schen Gesetzes f\u00fcr das Gebiet des Geschmackssinnes in Abrede. Fechner3 aber, gest\u00fctzt auf die von Keppler angef\u00fchrten Versuche, deren Ergebnisse er umrechnete, behauptet, dass die mit Kochsalz erhaltenen Resultate so gut mit dem genannten Gesetze in Uebereinstimmung seien als man es nach der Schwierigkeit dieser Versuche \u00fcberhaupt nur erwarten k\u00f6nne, w\u00e4hrend die mit den \u00fcbrigen Substanzen angestellten Versuche zur Pr\u00fcfung des Gesetzes nicht geeignet w\u00e4ren.\n1\tVierordt, Grundriss der Physiologie des Menschen. 4.Aufl. T\u00fcbingen 1871.\n2\tEr. Keppler. Das Unterscheidungsverm\u00f6gen des Geschmacksinnes f\u00fcr Con-centrationsdifferenzen der schmeckbaren K\u00f6rper. Arch. f. d. ges..Physiol. II. 1869.\n3\tG. T. Fechner, In Sachen der Psychophysik. Leipzig 1877.","page":214},{"file":"p0215.txt","language":"de","ocr_de":"Grosse der erregten Fl\u00e4che.\n215\n2. Die Gr\u00f6sse der erregten Fl\u00e4che.\nAus cler t\u00e4glichen Erfahrung geht schon hervor, dass, wenn ein schmeckbarer K\u00f6rper auf eine sehr beschr\u00e4nkte Zungenfl\u00e4che appli-cirt wird, dessen Geschmack wohl hinreichend deutlich, wenn auch nicht sehr intensiv, hervortritt, vorausgesetzt, dass alle \u00fcbrigen Bedingungen vorhanden sind ; es gen\u00fcgt aber, denselben auf eine gr\u00f6ssere Fl\u00e4che der geschmacksf\u00e4higen Theile auszubreiten, damit dessen Geschmack sehr intensiv auftrete und kleine Geschmacksabstufungen und Unterschiede genauer aufgefasst werden k\u00f6nnen. Wir thun dies immer, wenn wir eine Substanz kosten wollen und erf\u00fcllen dabei noch eine andere Bedingung, die bald zur Sprache kommen wird.\nWissenschaftliche Untersuchungen \u00fcber diesen Gegenstand sind noch sehr\u2018wenige und die meisten auch nur nebenbei angestellt worden. Sowohl die Versuche zur Ermittlung der kleinsten Quantit\u00e4t einer schmeckbaren Substanz, die noch im Stande ist, eine Geschmacksempfindung zu erregen (siehe oben S. 209 u. fl.), wie auch die von milan meiner Zungenspitze vorgenommenen Versuche (cit. S. 157), aus welchen hervorging, dass ich bei einer sehr beschr\u00e4nkten Application der Geschmacksstoffe die Geschm\u00e4cke seltener erkannte, als wenn die ganze Zungenspitze bestrichen wurde, liefern schon den Beweis, dass der Geschmackseindruck um so st\u00e4rker ausf\u00e4llt, je gr\u00f6sser die erregte Oberfl\u00e4che ist.\nDie besten Beobachtungen sind jedoch jene von Camerer (cit. S. 157}, da er sich die direkte Aufgabe stellte, den Einfluss, welchen die Gr\u00f6sse der gereizten Zungenfl\u00e4che auf die Intensit\u00e4t des Geschmackes aus\u00fcbt, zu pr\u00fcfen.\nEr wendete folgende Methode an: Zwei kleine Glasr\u00f6hren wurden in einer gr\u00f6sseren so befestigt, dass die freien glatt abgeschnittenen Enden aus dem gr\u00f6sseren Rohr ungef\u00e4hr 2 Ctm. herausragten und sich in einer Ebene unmittelbar nebeneinander befanden. Die freien Enden der R\u00f6hrchen wurden so auf die Zungenspitze aufgesetzt, dass das eine rechts, das andere links von der Mittellinie stand. Durch Eingiessen von Fl\u00fcssigkeit in dass grosse Rohr f\u00fcllten sich auch die zwei kleinen. Es wurde nun abwechselnd bald ein Rohr allein, bald beide offen gelassen; im ersten Fall war die von der Fl\u00fcssigkeit ber\u00fchrte Zungenfl\u00e4che halb so gross wie im zweiten, und endlich hat Camerer von derselben L\u00f6sung, mit welcher er die R\u00f6hrchen f\u00fcllte, 30 Ccm. frei in den Mund genommen und nach stattgehabter Empfindung ausgespieen.\nBei Anwendung von vier Concentrationen der Kochsalzl\u00f6sung (0,000954; 0,000636; 0,000318; 0,000159) ergaben nun die Versuche,","page":215},{"file":"p0216.txt","language":"de","ocr_de":"216 v. Vintschgau, Gesehmackssinn. 3. Cap. Geschmackswahrnehmung.\ndass bei der dritten Methode (30 Ccm. der L\u00f6sung in den Mund aufgenommen) die meisten, bei der ersten (nur eine R\u00f6hre offen) die wenigsten richtigen F\u00e4lle, n\u00e4mlich Erkennung des Geschmackes Vorkommen. Mit zunehmender Verd\u00fcnnung der L\u00f6sung nahm auch die Zahl der unrichtigen F\u00e4lle, n\u00e4mlich jener, in welchen das Kochsalz nicht erkannt wurde, zu.\nEbenso lassen sich jene Versuche Camerer\u2019s (eit. S. 157) verwenden, die er mit einzelnen Pap. fungiformes vornahm.\nCamerer ben\u00fctzte dazu zwei kurze Glasr\u00f6hrchen, beide hatten an dem einen Ende einen Durchmesser von 1 Ctm. ; das andere zur Aufnahme der Papillen bestimmte Ende hatte die Form einer Ellipse, deren gr\u00f6sster Durchmesser bei der ersten R\u00f6hre 2 Mm., bei der zweiten R\u00f6hre 4 Mm. betrug, w\u00e4hrend der kleinste Durchmesser der Ellipse dieser zweiten R\u00f6hre 2 \u2014 5 Mm. ausmachte. Die erste R\u00f6hre wurde f\u00fcr eine einzige Papille, die zweite f\u00fcr 2, 3 und 4 Papillen verwendet.\nDie Versuche wurden mit zwei Salzl\u00f6sungen vorgenommen, n\u00e4mlich 0,0025 oder fhoo und 0,0021 oder brie. Bei beiden L\u00f6sungen nahm im Allgemeinen die Zahl der richtigen Angaben mit der Zahl der erregten Papillen zu; bei Anwendung jedoch der ersten Concen-trationen wuchs die Zahl der richtigen F\u00e4lle ann\u00e4hernd proportional mit der Zahl der gereizten Papillen wie aus folgender kleiner Tabelle hervorgeht.\nConcentration der L\u00f6sung 0,0025\nProeent der TJrtheile\t\tAnzahl der PapiUen innerhalb der R\u00f6hre\nrichtig\tunrichtig\t\n32\t38\t1\n50\t26\t2\n66\t18\t3\n74\t20\t4\n3. Die mechanischen Bedingungen.\nEs gibt einige mechanische Bedingungen, welche von Einfluss auf die Intensit\u00e4t des Geschmackes werden. Dieselben sind : Bewegung der schmeckbaren Substanz in der Mundh\u00f6hle und Anpressung der schmeckenden Theile gegen andere Theile. Beide Bedingungen werden bei der Intention zum Schmecken (Kosten einer Substanz, genaue Pr\u00fcfung ihres Geschmackes) erf\u00fcllt. Wenn man z. B. eine Fl\u00fcssigkeit (Wein) schmecken will, so wird dieselbe nicht","page":216},{"file":"p0217.txt","language":"de","ocr_de":"Mechanische Bedingungen.\n217\nruhig im Munde gehalten, sondern im Gegentheile mehr oder weniger bewegt, wodurch sie mit immer neuen Geschmacksfl\u00e4chen in Ber\u00fchrung kommt. In Folge hiervon wird nicht bloss die Intensit\u00e4t des Geschmackes erh\u00f6ht, sondern es treten auch die feineren Abstufungen desselben deutlicher hervor. Ausserdem ist zu erw\u00e4hnen, dass die Substanzen, welche rasch verschluckt werden, den Geschmack gar nicht oder nur sehr wenig erregen.\nAuf die Bedingung, dass der schmeckbare K\u00f6rper gegen die schmeckenden Stellen gepresst werde, damit die Qualit\u00e4t und Intensit\u00e4t des Geschmackes gut wahrzunehmen sei, hat schon Guyot [(eit, S. 157) S. 38] aufmerksam gemacht. \u2014 J. M\u00fcller [(cit. S. 196) S. 493], welcher ebenfalls darauf hinweist, dass der Geschmack durch wiederholtes Andr\u00fccken, Reiben und Bewegen der schmeckbaren Substanz zwischen Gaumen und Zunge gesch\u00e4rft wird, glaubte, dass man zur Erkl\u00e4rung der Erscheinung entweder annehmen m\u00fcsse, dass der mit Impetus verbundene Eindruck st\u00e4rker werde, oder dass die schmeckenden Theile schnell abgestumpft w\u00fcrden und desshalb die Bewegung n\u00f6thig sei, um das Schmeckbare immer auf neue noch frische oder unerm\u00fcdete Theilchen zu bringen. \u2014 Raspail1 behauptet sogar, dass wir durch das einfache Eintauchen der Zungenspitze in eine Zuckerl\u00f6sung ohne die Mundtheile oder die Gef\u00e4ssw\u00e4nde zu ber\u00fchren , bloss den Eindruck der K\u00e4lte oder der Fl\u00fcssigkeit, niemals aber eine Geschmacksempfindung haben.\nAuf seine Erkl\u00e4rung brauchen wir nicht einzugehen, da er die Ansicht aufstellt, dass Zunge, Fl\u00fcssigkeit und der fremde K\u00f6rper, gegen welchen die Zunge gepresst wird, eine Art Voi/rA\u2019sche S\u00e4ule bilde. \u2014\nValentin (cit. S. 196) betrachtet ebenfalls die Bewegung und die Reibung als eine Hauptbedingung des Schmeckens, da fein gepulverter Zucker auf den hintersten Theil der Zunge gestreut keine Geschmacksempfindung hervorruft, wenn nicht eine Schluckbewegung vorgenommen wird, und sieht somit die reibende Bewegung als noth-wendig zur Hervorrufung einer Geschmacksempfindung an. \u2014 Die meisten Physiologen haben den erw\u00e4hnten Umstand als sehr wichtig f\u00fcr die Wahrnehmung der Geschm\u00e4cke angef\u00fchrt, meistens jedoch vermieden eine Erkl\u00e4rung zu geben. \u2014 Fick (cit. S. 192) wirft bloss folgende Fragen auf, ohne dieselben zu beantworten: Erleichtert die Reibung und der Druck den schmeckbaren Substanzen den Zutritt zu den Nervenenden? oder versetzt er die Nervenenden selbst in\n1 TU KP Am, Das Organ des Geschmacks. Froriep\u2019s neue Not. Nr. 98. (V. Nr. 10) Februar 1838. S. 149\u2014152.","page":217},{"file":"p0218.txt","language":"de","ocr_de":"218 v. Vintschgau. Geschmackssinn. 3. Cap. Geschmackswahrnehmung.\neinen erregbaren Zustand? \u2014 Funke (cit. S. 156) sucht in beiden Umst\u00e4nden die Erkl\u00e4rung der Erscheinung.\nWir haben schon oben (S. 217) die Bedeutung der Bewegung hervorgehoben ; hier w\u00e4re nur noch auf die schon von J. M\u00fcller (cit. S. 196) angedeutete M\u00f6glichkeit hinzuweisen, dass die Geschmacksnerven recht bald erm\u00fcden, ein Umstand, der den Nutzen der Bewegung der Fl\u00fcssigkeit augenscheinlich machen w\u00fcrde.\nDie Bedeutung des Druckes ist nach meinem Daf\u00fcrhalten bloss eine mechanische, damit die schmeckende Fl\u00fcssigkeit durch jene schmalen Spalten (Spalten der Pap. foliata und Wall der Pap. cir-curnv.) in welchen die Poren der Schmeckbecher m\u00fcnden in die Poren selbst eindringe und so die Stiftchen erreiche. Diese Erkl\u00e4rung macht uns den Versuch Rasp ail\u2019s leicht verst\u00e4ndlich. Durch das Eintauchen der Zungenspitze in eine Zuckerl\u00f6sung dringt wohl diese bis in die N\u00e4he des Porus jener Schmeckbecher, die sich an den Pap. fungiformes befinden, wahrscheinlich aber so langsam und in so geringer Menge, dass die Geschmacksempfindung eine sehr schwache bleibt, und in Folge der gleichzeitigen Temperatur- und Gef\u00fchlsempfindung \u00fcbersehen wird ; sobald aber die Zunge an die Glaswand angedr\u00fcckt wird, so dringt eine gr\u00f6ssere Menge Fl\u00fcssigkeit bis zu den Stiftchen und die Geschmacksempfindung wird nun so stark, dass sie leichter von der gleichzeitig auftretenden Gef\u00fchlsempfindung unterschieden werden kann ; dass die Geschmacksnerven durch den Druck in eine erh\u00f6hte Erregbarkeit versetzt werden, brauchen wir nicht anzunehmen, so lange wir mit der eben angef\u00fchrten Erkl\u00e4rung aus-kommen k\u00f6nnen.\n4. Der Erregbarkeitszustand der Nerven.\nNach der Analogie mit den \u00fcbrigen Nerven k\u00f6nnen wir die Ver-mutkung aussprechen, dass der Erregbarkeitszustand der Geschmacksnerven einen Einfluss auf die Intensit\u00e4t der Geschm\u00e4cke aus\u00fcben werde. Die K\u00e4lte und die W\u00e4rme \u00e4ndern bekanntlich die Erregbarkeit der Nerven und dem entsprechend hat man auch gefunden, dass die Geschmacksf\u00e4higkeit der Zunge sich \u00e4ndert, je nachdem deren Temperatur erniedrigt oder erh\u00f6ht ist. \u2014 Luchtmans (cit. S. 160) ist der erste, welcher darauf aufmerksam machte, dass durch K\u00e4lte die Wahrnehmung der Geschm\u00e4cke vermindert wird; wir verdanken jedoch E. H. Weber 1 die ersten streng wissenschaftlichen Ver-\n1 E. H. Weber. Ueber den Einfluss der Erw\u00e4rmung und Erk\u00e4ltung der Nerven auf ihr Leitungsverm\u00f6gen. Arch. f. Anat. u Phys. 1S4T. S. 342. Vergleiche auch Tastsinn und Gemeingef\u00fchl in Wagner\u2019s Handw\u00f6rterbuch. III. 2. Abth.","page":218},{"file":"p0219.txt","language":"de","ocr_de":"Erregbarkeitszustand der Nerven. Contrast der Gesclim\u00e4cke.\n219\nsuche in dieser Richtung. Weber wies n\u00e4mlich nach, dass, wenn die Zunge Vl 2 oder 1 Min. oder noch l\u00e4nger in Wasser von 40 bis 42\u00b0 R. oder wenn dieselbe ebensolange in einem aus zerstossenem Eise und Wasser gemachten Brei eingetaucht war, der s\u00fcsse Geschmack des Zuckers nicht mehr wahrgenommen wird. \u2014 Die Beobachtungen Weber\u2019s wurden in Bezug auf die K\u00e4lte vop Guyot 1 best\u00e4tigt, welcher angibt, dass der bittere Geschmack von Colombo nur sehr wenig wahrgenommen wird, wenn die K\u00e4lte auf die Mundschleimhaut eingewirkt hatte.\nWie aber im gew\u00f6hnlichen Leben durch eine Aenderung des Erregbarkeitszustandes der Nerven die Geschmacksf\u00e4higkeit sich \u00e4ndert, dar\u00fcber haben wir keine Erfahrungen.\nAusser den oben angef\u00fchrten sind gewiss noch andere Umst\u00e4nde von Bedeutung, nicht bloss f\u00fcr die Intensit\u00e4t einer Geschmacksempfindung, sondern auch \u00fcberhaupt f\u00fcr die Wahrnehmung der Gesclim\u00e4cke. Diese Umst\u00e4nde sind uns nur sehr oberfl\u00e4chlich bekannt und wir besitzen dar\u00fcber gar keine wissenschaftlichen Untersuchungen. Es kann z. B. nicht gel\u00e4ugnet werden, dass die Zust\u00e4nde der verschiedenen absondernden Dr\u00fcsen der Mundh\u00f6hle, und ihrer Secrete, die Trockenheit der Mundh\u00f6hle, gelinde Entz\u00fcndungen ihrer Schleimhaut, vielleicht auch der Zustand des Epithelial\u00fcberzuges (Zungenbeleg) von Einfluss sein k\u00f6nnen. Auch das Menstruum, in welchem die Geschmacksstoffe aufgel\u00f6st sind, scheint von Bedeutung zu sein, wie die Versuche Camerer\u2019s (cit. S. 157) es wahrscheinlich machen, indem dieser beobachtet hat, dass bei Aufl\u00f6sung von Kochsalz in arabischem Gummi eine etwas gr\u00f6ssere Quantit\u00e4t des Salzes nothwendig war, um einen deutlichen Salzgeschmack zu haben, als bei der Aufl\u00f6sung in blossem Wasser.\nY. Contrast der Gesclim\u00e4cke.\nDie Lehre der Contraste, welche in der Physiologie des Gesichtssinnes eine sehr hohe Entwicklung erfahren hat, ist bei dem Geschmackssinne nicht \u00fcber das Wenige hinausgekommen, was uns die t\u00e4gliche Erfahrung zeigt, dass n\u00e4mlich die Geschmacksnerven, wenn sie durch einen bestimmten Geschmack erregt wurden, f\u00fcr andere Gesclim\u00e4cke entweder empfindlicher oder auch weniger empfindlich sind. \u2014 Nach J. M\u00fcller [(cit. S. 196) S. 493] soll z. B. der Geschmack des K\u00e4ses jenen f\u00fcr den Wein erh\u00f6hen, der Geschmack des letzten wird dagegen durch das S\u00fcsse verdorben. Nach dem Kauen von Kalmuswurzel schmeckte J. M\u00fcller Kaffee und Milch s\u00e4uerlich. \u2014 Nach\nl Guyot, Note sur l\u2019anesthesie du sens du go\u00fbt (Extrait). Comptes rendus des\ns\u00e9ances de l\u2019acad\u00e9mie des sciences. XXXXII. p. 1143. Paris Janvier-Juin 1856.","page":219},{"file":"p0220.txt","language":"de","ocr_de":"220 v. ViNTSCHGAU, Geschmackssinn. 3. Cap. Geschmackswahrnehmung.\nValentin [(cit. S. 196) S. 304] scheint es, dass ein Wettstreit der verschiedenen Geschmacksstellen m\u00f6glich sei, denn wenn man eine saure Masse auf die eine, und eine bittere auf die andere H\u00e4lfte der Zungenwurzel bringt, so gelingt es bisweilen, den einen Eindruck vor dem anderen nach Willk\u00fcr zu bevorzugen.\nWissenschaftliche Untersuchungen \u00fcber den Contrast der Ge-schm\u00fccke besitzen wir nicht und eine n\u00e4here Untersuchung besonders im Sinne der specifischen Energie der Geschmacksfasern w\u00e4re sehr erw\u00fcnscht.\nVI. Compensation der Gesclmi\u00e4oke.1\nEbenso d\u00fcrftig sind unsere Kenntnisse \u00fcber die Compensation der Geschm\u00e4cke. \u2014 Luchtmans (cit, S. 160) nahm wohl eine ganze Reihe von Versuchen vor um zu sehen, wie der Geschmack sich \u00e4ndert, wenn man zwei Geschm\u00e4cke mit einander mischt. Seine Versuche sind aber f\u00fcr uns-kaum brauchbar, da er meistens Tincturen oder Infusa als Stammfl\u00fcssigkeiten anwendete, zu welchen er die verschiedensten Substanzen hinzugab.\nGewisse Geschmackseindr\u00fccke k\u00f6nnen einander compensiren, ohne dass dabei die chemischen Eigenschaften der erregenden K\u00f6rper einander sich compensiren. Es wird z. B. sehr h\u00e4ufig Zucker angewendet, um den sauren Geschmack zu corrigiren. Da Zucker nicht im Stande ist, die S\u00e4ure zu neutralisiren, und da wir auch nicht annehmen k\u00f6nnen, dass der Zucker die eine Art von Nerven, diejenigen n\u00e4mlich, mit welchen wir sauer schmecken, weniger erregbar f\u00fcr S\u00e4ure mache, so ist Br\u00fccke (cit. S. 192) der Anschauung dass die Erregungszust\u00e4nde im Centralorgan einander compensiren. Diese Anschauungsweise findet nach Br\u00fccke auch dadurch eine Best\u00e4tigung, dass die Geschmacksempfindung als solche bei einer derartigen Compensation nicht schw\u00e4cher wird. Wenn S\u00e4uren durch Zucker corrigirt werden, so erleidet die Geschmacksempfindung dadurch keine Abschw\u00e4chung, wir finden unsere Zunge nicht weniger afficirt, aber die Geschmacksempfindung wird weniger unangenehm, weniger l\u00e4stig. Auffallend bleibt es doch immerhin, dass das Bittere nicht leicht compensirt werden kann. \u2014 Gef\u00fchlsempfindungen k\u00f6nnen oft den Geschmack verdecken, nur auf diese Weise l\u00e4sst sich erkl\u00e4ren, wie der Zusatz von Pfeffer, Senf etc. sehr h\u00e4ufig den eigentlichen Geschmack einer Substanz zu verdr\u00e4ngen scheint.\n1 Vergleiche auch oben S. 203 u. folg, die Versuche von Schirmer.","page":220},{"file":"p0221.txt","language":"de","ocr_de":"Compensation der Geschm\u00e4cke. Nackdauer der Geschm\u00e4cke.\n221\nYII. Nachdauer der Geschm\u00e4cke.\nUeber die Nachdauer der Geschm\u00e4cke wissen wir nicht mehr, als uns die t\u00e4gliche Erfahrung lehrt; \u00fcber deren Ursachen haben wir zwei verschiedene Hypothesen.\nBidder [(cit. S. 166) S. 10\u201411] findet in dem Nachgeschmack eine gewisse Analogie mit den Nachbildern im Auge. Die erste und urspr\u00fcngliche Ver\u00e4nderung der Geschmacksnerven wird als bestimmte Geschmacksempfindung dem Bewusstsein kund gegeben, bei der R\u00fcckkehr in den urspr\u00fcnglichen Zustand d. h. zur Ruhe laufen in den Geschmacksnerven gewisse Ver\u00e4nderungen ab, die ebenfalls dem Sen-sorium und zwar in der specifischen Energie zugeleitet, aber als etwas von der ersten Empfindung Abweichendes wahrgenommen werden. Bidder glaubt sich zu dieser Erkl\u00e4rung veranlasst, da der Nachgeschmack auch nach sorgf\u00e4ltiger Abtrocknung der Zunge fortdauert. Fick (cit. S. 192) glaubt dagegen, dass der Nachgeschmack einfach in einem wirklichen Zur\u00fcckbleiben kleiner Quantit\u00e4ten der schmeckbaren Substanz begr\u00fcndet sei, die aus den zahlreichen capill\u00e4ren Vertiefungen der Zungenschleimhaut nicht leicht vollst\u00e4ndig zu entfernen sind.\nDer Nachgeschmack tritt am deutlichsten in den hinteren Partien der Zunge, also dort, wo die capill\u00e4ren Spalten am zahlreichsten Vorkommen, hervor.\nEin Abklingen der Geschm\u00e4cke, wie dies bei den Nachbildern geschieht, wurde bis jetzt nicht mit Sicherheit beobachtet. Valentin (cit. S. 196) gibt wohl an, dass einige K\u00f6rper wie z. B. gerbstoffhaltige Substanzen, aromatische Substanzen (Calmus, Baldrian), einige Weine, Liqueure einen Nachgeschmack zur\u00fccklassen, welcher von dem urspr\u00fcnglichen abweicht. Valentin setzt jedoch hinzu, die nachtr\u00e4glichen Geschmacksempfindungen k\u00f6nnten m\u00f6glicherweise davon herr\u00fchren, dass entweder einzelne Bestandteile der gekosteten Verbindungen erst sp\u00e4ter sich aufl\u00f6sen, oder dass ihre Wirkungen als die schw\u00e4cheren im Anf\u00e4nge unterdr\u00fcckt werden.\nReine Geschmacksstoffe erzeugen wohl deutliche Nachempfindungen, die aber mit dem urspr\u00fcnglichen Geschmack identisch sind, so dass man h\u00f6chstens mit den positiven gleichgef\u00e4rbten Nachbildern eine Analogie finden k\u00f6nnte. Eine solche Analogie hat jedoch kaum einen Werth, so lange man nicht mit voller Sicherheit das Zur\u00fcckbleiben von Geschmacksstoffen auszuschliessen im Stande ist. Eine Abtrocknung der Zunge, wie sie Bidder anwendete, ist gewiss nicht geeignet diesen Nachweis zu erbringen.","page":221},{"file":"p0222.txt","language":"de","ocr_de":"222 v. Vintschgau, Geschmackssinn. 3. Cap. Geschmackswahrnehmung.\nTill. Verfeinerung des Gfesclimackes.\nDass der Geschmack analog den \u00fcbrigen Sinnesorganen durch Uebung eine Verfeinerung erfahren k\u00f6nne l\u00e4sst sich nicht in Abrede stellen; die t\u00e4gliche Beobachtung an Wein-, Caffee-, Theeschmeckern best\u00e4tigt es.1\nMan kann jedoch die Bemerkung nicht unterdr\u00fccken, dass in sehr vielen F\u00e4llen auch der Geruchs- und Gef\u00fchlssinn im Spiele sind. Beobachtungen, die sich streng auf den Geschmackssinn beschr\u00e4nken, fehlen g\u00e4nzlich.\nEs wird auch behauptet (Hyrtl2 S. 416), dass der Geschmack der einzige Sinn sei, der mit dem Alter besser wird, unter Kindern gibt es wohl K\u00e4scher f\u00fcr S\u00fcssigkeiten, aber keine Gourmands f\u00fcr eine feine K\u00fcche.\nAuch eine Abstumpfung des Geschmackssinnes in Folge \u00f6fterer Wiederholung desselben Geschmackseindruckes wird von Einigen [Valentin (eit. S. 196), Carpenter (1. c.), Longet (cit. S. 158)] angenommen.\nIX. Subjective Geschmacksempfindungen.\nCloquet3 S. 237 f\u00fchrt folgende ihm vom Prof. Dupuytren gemachte Mittheilung an; letzterer habe Milch in die Adern eines Hundes eingespritzt, worauf das Thier sich derart bewegte, als ob die Milch mit seiner Zunge in Ber\u00fchrung gekommen w\u00e4re. Daran kn\u00fcpft Cloquet bloss die Bemerkung, diese Erfahrung scheine zu beweisen, dass der Geschmackssinn seine Quelle im Inneren der Organe selbst haben k\u00f6nne. \u2014 Nach J. M\u00fcller [(cit. S. 196) S. 493] r\u00fchrt dieser Versuch von Magendie her; er h\u00e4lt es f\u00fcr wahrscheinlich, dass Ver\u00e4nderungen des Geschmackes und eigentkiimlicke Ge-schm\u00e4cke durch innere Ver\u00e4nderungen der Nerven entstehen k\u00f6nnen; sie seien aber schwer von denjenigen Geschm\u00e4cken zu trennen, die von objectiven Ursachen, n\u00e4mlich durch Ver\u00e4nderungen in dem Mundschleim entstehen. J. M\u00fcller z\u00e4hlt den Ekel, welcher durch mechanischen Reiz der Zungenwurzel hervorgerufen wird, dann die Empfindung, welche bei dem fr\u00fcher erw\u00e4hnten Versuche Henle\u2019s\n1\tVergleiche auch Carpenter in Todd Cyclopaedia of Anatomy and Physiology. IV. Part. II. London 1849-1852.\n2\tJ. Hyrtl, Handbuch der topographischen Anatomie. 5. Aufl. Wien 1865.\n3\tH. Cloquet, Osphr\u00e9siologie oder Lehre von den Ger\u00fcchen, von dem Geruchssinn und den Geruchs Organen und von deren Krankheiter.. Aus dem Franz\u00f6sischen \u00fcbersetzt. Weimar 1824.","page":222},{"file":"p0223.txt","language":"de","ocr_de":"Verfeinerung des Geschmackes. Subjective Geschmacksempfindungen. 223\n(siehe oben S. 188) entsteht, ja sogar den Geschmack, welcher bei elektrischer Reizung der Zunge auftritt, zu den subjectiven Geschmacksempfindungen.\nR. Wagner (Lehrb. etc. cit. S. 156) verschluckte rasch 4 Grm. Salpeter, welche so eingeh\u00fcllt waren, dass im Augenblick des Ver-schluckens keine Spur von salzigem Geschmack entstehen konnte ; er beobachtete sodann, dass dieser Geschmack deutlich ohne Aufstossen etwa 10 bis 15 Minuten nachher auftrat. \u2014 Dieser Versuch k\u00f6nnte als Analogon zu dem oben mitgetheilten Experiment von Dupuytren (Magendie) angesehen werden, wenn nicht die M\u00f6glichkeit vorhanden w\u00e4re, dass der Salpeter durch die Speicheldr\u00fcsen, wenn auch in geringer Quantit\u00e4t, secernirt wurde.\nBidder [(cit. S. 166) S. 11] nimmt wohl an, dass subjective Ge-schm\u00e4cke m\u00f6glicherweise entstehen k\u00f6nnen, wie z. B. bei dem blossen Anblick gewisser Objecte oder bei der blossen Vorstellung, f\u00fcgt aber hinzu, dass solche Empfindungen vorzugsweise bei krankhaften Ver\u00e4nderungen des Darmkanals und der Mundh\u00f6hle Vorkommen, so dass wieder die Abh\u00e4ngigkeit vieler scheinbar subjectiver Geschmacksempfindungen von einer ver\u00e4nderten Qualit\u00e4t der Mundfl\u00fcssigkeit nicht ausgeschlossen ist. \u2014 Valentin (eit. S. 196) bestreitet wegen der Analogie mit den \u00fcbrigen Sinnesorganen nicht die M\u00f6glichkeit von subjectiven Geschmacksempfindungen, l\u00e4sst aber den Versuch Dupuytren\u2019s (Magendie) nicht als Beweis daf\u00fcr gelten, da es nicht ausgeschlossen ist, dass schmeckbare Verbindungen mit der Ern\u00e4hrungsfl\u00fcssigkeit oder mit dem Speichel austreten, und die Aufmerksamkeit des Thieres gefesselt haben. Valentin kann nicht umhin zu bemerken, dass in vielen F\u00e4llen f\u00fcr scheinbar subjective Geschmacksempfindungen eine objective Ursache zu finden sei. \u2014\nRomberg [(cit. S. 195) S. 140] bemerkt, dass keine Beispiele von gustatorischer An\u00e4sthesie existiren, \u201ewo, bei vorhandener Leitungsunf\u00e4higkeit, Geschmacksempfindungen centralen Ursprungs beobachtet worden sind.\u201c Der Analogie nach jedoch lassen sich die unter gewissen Verh\u00e4ltnissen, z. B. in der Hysterie, Hypochondrie, im Irrsinn u. s. w. vorkommenden Geschmacksempfindungen nicht anders deuten, als wie die optischen Phantasmen. \u2014 Endlich sei noch angef\u00fchrt, dass nach Duval\u2019s Angabe (cit. S. 191) Cl. Bernard in die Venen eines Hundes Coloquinthen injicirte, worauf der Hund alle jene Zeichen gegeben haben soll, welche er gegeben h\u00e4tte, wenn die bittere Substanz auf seine Zunge direct applicirt worden w\u00e4re. Dasselbe soll Frerichs beobachtet haben, als er die Galle in die Venen eines Hundes einspritzte. Gegen diese Versuche l\u00e4sst sich","page":223},{"file":"p0224.txt","language":"de","ocr_de":"224 v. ViNTSCHGAu, Geschmackssinn. 3. Cap. Geschmackswakrnehmung.\nselbstverst\u00e4ndlich dieselbe Einwendung erheben, wie gegen den Versuch von Dupuytren.\nWir besitzen somit weder sichere Versuche noch Beobachtungen, aus welchen das unzweifelhafte Vorkommen von subjeetiven Geschmacksempfindungen abgeleitet werden k\u00f6nnte, andererseits aber kann deren M\u00f6glichkeit auch nicht bestritten werden.","page":224},{"file":"p0225.txt","language":"de","ocr_de":"PHYSIOLOGIE DES GERUCHSSINNES.\nEINLEITUNG.\nDie Physiologie des Geruchssinnes ist ein bis jetzt noch sehr wenig bearbeitetes Gebiet der Forschung und man kann wohl behaupten, dass mit Ausnahme von jenen Folgerungen, welche aus den anatomischen Thatsachen abgeleitet werden k\u00f6nnen, Alles \u00fcbrige auf mehr oder weniger vereinzelten Beobachtungen und Erfahrungen beruht, welche meistens eines innigen Zusammenhanges entbehren. \u2014 Chemie und Physik haben uns bei dem Geruchssinne bis jetzt im Stich gelassen; Versuche an Thieren k\u00f6nnen, wie \u00fcberhaupt bei den Sinnesorganen, auch hier nur in sehr beschr\u00e4nkter Richtung vorgenommen werden; die Beobachtungen endlich an gesunden oder kranken Menschen, von welchen wir die wichtigsten Ausk\u00fcnfte erhalten m\u00fcssten, sind bis jetzt nur in sp\u00e4rlicher Anzahl angestellt worden, und in nicht wenigen F\u00e4llen ist eine Entscheidung zwischen Wahrheit und Dichtung ungemein schwer.\nBeim Ger\u00fcche wie beim Geschmacke finden wir, dass manche Empfindungen, die als Geruchsempfindungen bezeichnet werden, nicht als solche, oder wenigstens nicht ausschliesslich als solche gelten k\u00f6nnen, Beweis davon die so oft gebrauchten Ausdr\u00fccke eines stechenden, eines scharfen Geruches etc., welche dahin deuten, dass man es mit einer Gef\u00fchlsempfindung zu thun hat.\nDer Geruchssinn wird von Theilchen erregt, welche aus den riechenden Substanzen ausstr\u00f6men. Unsere Kenntnisse aber \u00fcber die riechenden Theilchen sind noch immer so geringf\u00fcgig, dass wir wohl folgende Worte, welche Cloquet1 vor mehr als einem halben Jahrhundert aussprach, mit voller Beruhigung, unterschreiben\n1 H. Cloquet, Osphr\u00e9siologie oder Lehre von den Ger\u00fcchen, von dem Geruchssinne und den Geruchsorganen und von deren Krankheiten. Aus dem Franz\u00f6sischen \u00fcbersetzt. Weimar 1S24.\nHandbuch der Physiologie. Bd. HIa.\n15","page":225},{"file":"p0226.txt","language":"de","ocr_de":"226\nv. Vintschgau, Geruchssinn. 1. Cap. Geruchsorgan.\nk\u00f6nnen: \u201eUnter Allem, was auf unsere Sinne wirkt, sind die Dinge, welche den Geruch ansprechen, am wenigsten gekannt, obwohl ihr Eindruck auf unseren thierischen Haushalt stark und tief ist, und sie gewissermaassen materieller sind als andere/{\nERSTES CAPITEL.\nDas Geruchsorgan.\nI. Anatomische Gebilde des Geruclisorgans.\n1. Die RiechsehIeimhaut.\nDenjenigen Theil der Nasenschleimhaut, welcher die obere Partie der Nasenh\u00f6hle auskleidet und durch eine braungelbe Farbe, sowie als Ausbreitungsgebiet des Olfactorius sich auszeichnet, nennt man die Geruchs- oder die Riechschleimhaut, und die entsprechende Nasengegend Regio olfactoria; der \u00fcbrige Theil der Schleimhaut dagegen wird einfach ScHNEiDER\u2019sche Haut (K\u00f6lliker1 2) und die entsprechende Nasengegend Regio respiratoria genannt. (Vergleiche auch sp\u00e4ter S. 245.)\nEcker 2 hat in der Regio olfactoria des Menschen eine Stelle mit dem Namen locus luteus belegt, weil dieselbe eine saturirte gelbe F\u00e4rbung zeigt, es scheint aber, dass weder die Ausdehnung dieser Stelle noch ihr Vorkommen etwas constantes sei (Welker3, M. Schultze4 Luschka5).\nFast gleichzeitig haben Eckhardt6 und Ecker7, ersterer beim\n1\tK\u00f6lliker, Mieroscopische Anatomie oder Gewebelehre des Menschen II. 2. H\u00e4lfte. S. 764. Leipzig 1854.\n2\tEcker, Ueber die Geruchsschleimhaut des Menschen. Ztschr. f. wissensch. Zool. VIII. S. 303. 1857.\n3\tWelcker, Untersuchung der Retinazapfen und des Riechhautepithels bei einem Hingerichteten. Ztschr. f. rat. Med. (3) XX. 1863.\n4\tM. Schultze, Ueber die Endigungsweise d. Geruchsnerven u. die Epithelialgebilde der Nasenschleimhaut. Berl. Acad. 13.Nov. 1856. Separatabdruck. Derselbe, Das Epithelium der Riechschleimhaut des Menschen. Centralbl. f. d. med. Wiss. 1864. Nr. 25. S. 385.\n5\tLuschka, Das Epithelium der Riechschleimhaut des Menschen. Centralbl. f. d. med. Wiss. 1864. Nr. 22. S. 337.\n6\tEckhardt, Beitr\u00e4ge zur Anatomie und Physiologie Heft I. 1855.\n7\tEcker, Berichte \u00fcb. die Verhandlungen der Gesellschaft f\u00fcr Bef\u00f6rderung der Naturwissenschaften zu Freiburg im Br. No. 12. Nov. 1855. Nach Henle u. Meissner\u2019s Jahresber. 1856.","page":226},{"file":"p0227.txt","language":"de","ocr_de":"Anatomische Gebilde. Die Riech Schleimhaut.\n227\nFrosche, letzterer beim Menschen und einigen S\u00e4ugethieren in der Regio olfactoria zwei verschiedene Zellenformen beschrieben. Die n\u00e4here Schilderung derselben, sowie ihre Unterscheidung in Riech- und Epithelzellen r\u00fchrt von M. Schultze her.1\nAlle Histologen haben diese Bezeichnungen angenommen und sich auch der Ansicht M. Schultze\u2019s angeschlossen, dass bloss die Riechzellen mit den End\u00e4sten des Geruchsnerven sich verbinden (siehe auch sp\u00e4ter S. 232).\nBez\u00fcglich einer n\u00e4heren Schilderung der beiden Zellenformen m\u00fcssen wir auf die Lehrb\u00fccher \u00fcber Histologie und auf die sp\u00e4ter noch anzuf\u00fchrenden besonderen Arbeiten verweisen. Dagegen d\u00fcrfen wir hier einige andere Punkte nicht \u00fcbergehen.\nExnek2 hat wohl die herk\u00f6mmlichen Bezeichnungen beider Zellenformen beibehalten, aber die Ansicht aufgestellt und vertheidigt, dass Ueberg\u00e4nge von einer Zellenform in die andere Vorkommen. Er sucht nachzuweisen, dass alle jene Unterscheidungsmerkmale, welche M. Schultze f\u00fcr beide Zellenformen bez\u00fcglich des Zellenkernes, sowie des peripheren und des centralen Fortsatzes aufstellte, nicht so exclusiv sind, um beide Zellenformen von einander trennen zu k\u00f6nnen, ferner dass beide Zellenarten sich mit den Olfactoriusfasern verbinden (siehe sp\u00e4ter S. 232).\nEine ganze Reihe Forscher haben sich damit besch\u00e4ftigt, die Riechschleimhaut bei verschiedenen Thieren zu untersuchen, in Folge dessen wurden die Angaben Exner\u2019s mehr oder weniger bestritten.\nEs ist hier nicht der Ort auf die Angaben der einzelnen Forscher einzugehen und wir m\u00fcssen uns mit der Anf\u00fchrung der Literaturquellen und der untersuchten Thiere sowie mit einigen Bemerkungen begn\u00fcgen.\nGrimm3 (St\u00f6re). \u2014 Babuchin4 hatte schon fr\u00fcher angegeben, dass der periphere Fortsatz der Riechzellen beim Proteus aus zwei Substanzen bestehe, n\u00e4mlich aus einer \u00e4usseren, welche unter dem Einfl\u00fcsse gewisser\n1\tM. Schultze, Ueber die Endigungsweise etc. cit. S. 226. Derselbe. Untersuchungen \u00fcber den Bau der Nasenschleimhaut, namentl. die Structur u. Endigungsweise der Geruchsnerven bei dem Menschen und den Wirbelthieren. Abhandlungen der naturforschenden Gesellschaft zu Halle VII. Halle 1863.\n2\tS. Exner, Untersuchungen \u00fcb. die Riechschleimhaut des Frosches. Sitzgsber. d. Wiener Acad. 2. Abth. LXIII. S. 44 u. f. 1871. Derselbe, Weitere Studien \u00fcber die Structur der Riechschleimhaut bei Wirbelthieren. Sitzgsber. d. Wiener Acad. 3. Abth. LXV. S. 7 u.f. 1872.\n3\tGrimm, Ueber das Geruchsorgan der St\u00f6re. Vorl\u00e4ufige Mittheilung. G\u00f6ttinger Nachrichten 1872. S. 537. Derselbe, Ueber die Nervenendigung im Geruchsorgane der St\u00f6re. Arbeiten der St. Petersburger Gesellschaft der Naturforscher, redigirt von Beketoff IV. 1. Lief. 1873 (Russisch). Vergl. Hofmann und Schwalbe\u2019s Jahresber. II. Literatur 1873. Leipzig 1875.\n4\tBabuchin. Das Geruchsorgan. Strieker\u2019s Handbuch der Lehre von den Geweben II. Leipzig 1872.\u2019\n15*","page":227},{"file":"p0228.txt","language":"de","ocr_de":"228\ny. Vintschgau, Geruchssinn. 1. Cap. Geruchsorgan.\nAgentien anschwelle, und aus einem inneren Faden, welcher dabei unver\u00e4ndert bleibe. Grimm (1. c.) beschreibt nun an den Riechzellen der St\u00f6re einen centralen in Ueberosmiums\u00e4ure sich dunkler f\u00e4rbenden Faden , welcher am Kern vor\u00fcber zum peripheren Ende der Zelle zieht. Kur w\u00e4re noch hinzuzuf\u00fcgen, dass Grimm einen gleichen Faden auch in breiteren Zellen fand, welche gleichsam eine vermittelnde Stellung zwischen Cylinder- und Riechzellen einzunehmen scheinen.\nLangerhans1 (Petromyzon und Ammocoetes). \u2014 Newell Martin2 (Salamander, Frosch, Hund). \u2014 Paschutin3 (Frosch). \u2014 Cisoff4 5 (Frosch und Kaninchen). \u2014 v. Brunn 5 (Hund, Katze, Kaninchen, Schaf, Kalb, Frosch, Salamander), v. Brunn beschreibt bei S\u00e4ugethier en eine glashelle strukturlose Membrana limitans olfactoria, welche die freie Oberfl\u00e4che beider Zellarten bedeckt, aber den Enden der Riechzellen gegen\u00fcber mit feinen Oeffnungen (Poren) versehen sein soll, so dass nur die Riechzellen der directen Einwirkung der Riechstoffe ausgesetzt w\u00e4ren, v. Brunn trachtet auch den Einwand zu beseitigen, als h\u00e4tte er es nur mit Schleimgerinnungen zu tliun gehabt. Sidky 0 hat das Vorkommen dieser Membran best\u00e4tigt, Exner7 8 und L\u00f6wes betrachten dieselbe als ein Kunstproduct. \u2014 Colasanti9 (Frosch). \u2014 Pereyaslawzeff Sophie 10 (Zahlreiche Fische des Mittelmeeres aber besonders Solea impar und Lo-phius piscatorius). \u2014 F\u00f6ttinger11 fand bei Petromyzon fluviatilis und Planeri nur eine Zellenform. \u2014 Ich habe mich absichtlich so allgemein ausgedr\u00fcckt, weil die Original-Abhandlung dieses Forschers mir nicht zur Verf\u00fcgung stand; im Jahresbericht wird angegeben \u201especifisclie Riech-zellen\u201c; Exner (siehe Text) dagegen sagt Epithelzellen. \u2014 Sidky Mahmoud6 (Schaf, Schwein, Hund, Triton). \u2014 L\u00f6wes (Kaninchen). \u2014 Fe-\n1\tLangerhans , Unters, \u00fcber Petromyzon Planeri. Bericht der naturf. Gesellschaft zu Freiburg im Br. VI. 1873. Vergl. Hofmann u. Schwalbe\u2019s Jahresber. 1873.\n2\tNewell Martin , Notes on the structure of the olfactory mucous membrane. Journ. of anat. and physiol. VIII. Nov. 1873. Vgl. Hofmann u. Schwalbe\u2019s Jahresber. III. Literatur 1874.\n3\tV. Paschutin. Ueber den Bau der Schleimhaut der Regio olfactoria des Frosches. Ber. d. s\u00e4chs. Ges. d. Wiss. S. 257. 1873.\n4\tCisoef, Zur Kenntniss der Regio olfactoria. Centralbl. f. d. njed. Wiss. 1874. Nr. 44. S. 689.\n5\tv. Brunn, Die Membrana limitans olfactoria. Centralbl. f. d. med. Wiss. 1874. Nr. 45. S. 709. Derselbe, Untersuchungen \u00fcber das Riechepithel. Arch. f. microsc. Anat. XL S. 46A 1875.\n6\tSidky Mahmoud , Recherches anatomo-microscopiques sur la muqueuse olfactive. Th\u00e8se de Paris 1877 (Ref. in Revue des sc. m\u00e9d. XI. 1. p. 71). Vergl. Hofmann und Schwalbe\u2019s Jahresber. VI. Literatur 1877.\n7\tS. Exner, Fortgesetzte Studien \u00fcber die Endigungsweise des Geruchsnerven. Dritte Abhandlung. Sitzgsber. d. Wiener Acad. 3. Abth. LXXVI. 1877.\n8\tL\u00f6we, Beitr\u00e4ge zur Anatomie der Nase und Mundh\u00f6hle. Berlin 1878. Vergl.\nCentralbl. f. d. med. Wiss. 1879. Nr. 8. S. 132 und Hofmann und Schwalbe\u2019s Jahresb. VII. Literatur 1878. 1. Abth.\t.\t#\t.\n9\tColasanti, Untersuchungen \u00fcber die Durchschneidung des N. olfactorms bei\nFr\u00f6schen. Arch. f. Anat. u. Physiol. 1875. S. 469.\t.\n10\tPereyaslawzeff Sophie, Vorl\u00e4ufige Mittheilungen \u00fcber die Nase der h ische. Diss. Z\u00fcrich 1876.\n11\tF\u00f6ttinger, Rech. s. la structure de l\u2019epiderme des Cyclost. et quelques mots s. 1. cellules olfactives. Bull. d. l\u2019acad. d. Belg. 1876. Vgl. Hofmann u. Schwalbe\u2019s Jahresber. V. Literatur 1876. 1. Abth.","page":228},{"file":"p0229.txt","language":"de","ocr_de":"Anatomische Gebilde. Die Riechschleimhaut.\n229\nlisch1 2 (Pferd). \u2014 S. M. Pereslawcewa 2 (Zahlreiche Fische). Verfasserin fand die Uebergangsformen von Riechzellen zu Cylinderzellen bei Scor-paena in sehr geringer Menge, in gr\u00f6sserer Anzahl dagegen bei den Chondropterygiern, bei allen \u00fcbrigen von ihr untersuchten Fischen fehlten die Uebergangsformen.\nExner (cit. S. 228) betrat nun, um seine Ansicht zu vertheidigen, zwei andere Wege.\nDie Beobachtungen von F\u00f6ttinger (cit. S. 228) hatten ergeben, dass in der Riechschleimhaut von Petromyzon fluviatilis und Planeri nur die von M. Schultze beschriebenen Epithelzellen Vorkommen, w\u00e4hrend dagegen vorher Langerhans (cit. S. 228) bei denselben Tkieren ein Riechepithel gefunden hatte, welches von dem der \u00fcbrigen Thiere sich nicht wesentlich unterscheidet. Exner untersuchte deshalb Petromyzon marinus, Petromyzon fluviatilis und dessen Larve (Ammocoetes branchialis) und fand bei dem Riechepithel dieser Thiere die Eigenth\u00fcmlichkeit, dass die typischen von M. Schultze beschriebenen Zellenformen nicht ohne weiteres in ihnen aufzufinden sind, dieselben aber doch sowohl bei den ausgebildeten Species wie auch bei der Larvenform nicht unbetr\u00e4chtliche Differenzen zeigen.\nExner wendete sich daher an die Kaulquappe, um die Entwicklung des Riechepithels zu studiren und fand, dass bei derselben die Uebergangsformen des Riechepithels viel zahlreicher Vorkommen als bei den schon entwickelten Thieren. Auf Grund dieser Beobachtung kommt er zur Ansicht, dass bei den von ihm untersuchten Larvenformen der Batrachier die Epithelzellen (nach M. Schultze) in ihrem Jugendzustand den Riechzellen (nach M. Schultze) vollkommen gleichen, so dass letztere nur ein Entwicklungsstadium der ersteren bilden w\u00fcrden. Exner zieht daraus auch den weiteren Schluss, dass die \u201eRiechzelle\u201c des erwachsenen Thieres nur eine j\u00fcngere Form der \u201eEpithelzelle\u201c sei, es trete n\u00e4mlich, wenn die Zelle die Riechzellenform erreicht hat, ein Stillstand oder doch eine bedeutende Verz\u00f6gerung des Wachsthums ein. Vielleicht auch gesch\u00e4he es, dass die Zellen in diesem Stadium so lange verblieben, bis ihnen durch das zu Grundegehen von alten Zellen Platz geschafft wird.\nDer andere von Exner beigebrachte Beweis beruht auf der Ver-\n1\tFelisch, Beitrag zur Histologie d. Schleimh\u00e4ute in den Lufth\u00f6hlen d. Pferdekopfes. Diss. und Arch. f. w. u. pract. Thierheilkunde von M\u00fcller u. Sch\u00fctz IV. Vgl. Hofmann u. Schwalbe\u2019s Jahresber. VII. Literatur 1878. 1. Abth.\n2\tS. M. Pereslawcewa, Ueber die Structur und die Form des Geruchsorganes bei den Fischen. Arbeiten aus der St. Petersb. Gesellschaft der Naturforscher unter Redaction von A. Beketoff IX. S. 36\u201449. Sitzungsprotocolle der zool. Section vom 11. Febr. 1878 (Russisch), citirt nach Hofmann und Schwalbe\u2019s Jahresber. VII. Literatur 1878.","page":229},{"file":"p0230.txt","language":"de","ocr_de":"230\nv. Yintschgau, Geruchssinn. 1. Cap. Geruchsorgan.\n\u00e4nderung, welche das Riechepithel nach Durchsehneidung des Olfac-torius bei Fr\u00f6schen erleidet (siehe auch unten S. 242). Zwei Monate nach der Operation findet man n\u00e4mlich in der Riechschleimhaut bloss ein gew\u00f6hnliches Cylinderepithel.\nWir k\u00f6nnen hier eine allgemeine Bemerkung nicht unterdr\u00fccken, n\u00e4mlich, dass die Ergebnisse der anatomischen Untersuchungen an Fischen und Amphibien sich nicht ohne weiteres auf die V\u00f6gel und S\u00e4ugethiere \u00fcbertragen lassen, es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Endorgane des Olfactorius etwas verschieden sich gestalten, je nachdem die Thiere in Wasser oder in der Luft, oder in beiden leben, da, wie sp\u00e4ter (siehe unten S. 257) ausf\u00fchrlich mitgetheilt werden soll, der Mensch nicht im Stande ist zu riechen, wenn die Fase mit einer riechenden Fl\u00fcssigkeit gef\u00fcllt wird.\nWir haben nun das Vorkommen von Wimperhaaren in der Riechschleimhaut n\u00e4her zu ber\u00fccksichtigen.\nMensch und S\u00e4ugethiere. \u2014 Todd und Bowman1 haben zuerst erw\u00e4hnt, dass an der Geruchsschleimhaut keine Flimmerhaare zu finden sind.\nGegenbaur, Leydig und H. M\u00fcller2, Ecker (Berichte etc. cit. S. 226), Welcker (cit. S. 226), Luschka (cit. S. 226), Seeberg3, Henle und Ehlers4 haben in der Regio olfactoria des Menschen cilientragende Zellen gefunden. Ecker (Ueber die Geruchsschleim-etc. cit. S. 226) hat aber sp\u00e4ter in dem von ihm genannten Locus luteus keine flimmernde Bewegung beobachtet, und nach M. Schultze (cit. S. 227) ist die Regio olfactoria des Menschen und der S\u00e4ugethiere cilienlos; Frey5, Note S. 639, fand dieselbe bei Menschen in nicht unbetr\u00e4chtlicher Ausdehnung ebenfalls ohne Wimpern. Ba-buchin (cit. S. 227) hat sich der Ansicht von M. Schultze angeschlossen. Hoyer6 7 f\u00fchrt an, dass die Riechschleimbaut der S\u00e4ugethiere nicht flimmere und Felisch (cit. S. 229) konnte beim Pferd keine Wimpern finden. Reichert 7 und in neuester Zeit auch L\u00f6we\n1\tTodd und Bowman , Physiological anatomy and physiology of man II. citirt nach M. Schultze, Untersuchungen \u00fcber den Bau der Nasenschleimhaut.\n2\tGegenbaur, Leydig und H. M\u00fcller, Bericht \u00fcber einige an der Leiche eines Enthaupteten angestellte Beobachtungen. W\u00fcrzburger Yerhandl. Y. S. 17. 1855.\n3\tSeeberg, Disquis. microscop. de textura membranae pituitariae nasi. Dorpat 1856. S. 25, citirt nach Henle\u2019s Handbuch d. Eingeweidelehre und Henle u. Meissner\u2019s Jahresher. 1856. S. 27.\n4\tHenle und Ehlers in Henle\u2019s Handbuch der Eingeweidelehre des Menschen. 2. Aufl. S. 872. Braunschweig 1873.\n5\tFrey, Handb. d. Histologie u. Histochemied. Menschen. 4. Aufl. Leipzig 1874.\n6\tHoyer, Ueber die microscopischen Yerh\u00e4ltnisse der Nasenschleimhaut verschiedener Thiere und des Menschen. Arch. f. Anat. u. Physiol. 1860. S. 50 u. f.\n7\tReichert. Bericht \u00fcber die Fortschritte der microscop. Anatomie im J. 1855. Arch. f. Anat. u. Physiol. 1856. S. 41.","page":230},{"file":"p0231.txt","language":"de","ocr_de":"Anatomische Gebilde. Die Riechschleimhaut.\n231\n(cit. S. 228) behaupten dagegen, dass die Regio olfactoria des Kaninchens flimmere. Exner1 fand, dass sowohl die Epithelzellen als auch die Riechzellen wimpernlos sind.\nExner (1. c.) bekam jedoch h\u00e4ufig Bilder, die darauf hindeuteten, dass den freien R\u00e4ndern der Zelle ein Saum aufsitzt, welcher die gr\u00f6sste Aehnlichkeit mit zu Grunde gegangenen Wimperhaaren besitzt; nach Exner \u201eist also die M\u00f6glichkeit nicht ausgeschlossen, dass dieses Epithel doch Wimpern tr\u00e4gt\u201c (S. 24). Es sei aber erw\u00e4hnt, dass M. Sch\u00fcltze (Ueber die Endigungsweise etc. cit. S. 226) auch bei S\u00e4ugethieren an den Endfl\u00e4chen der Riechzellen Gebilde beschrieben hat, die er f\u00fcr analog mit den Riechh\u00e4rchen hielt. Diese Gebilde wurden aber sp\u00e4ter sowohl von Sch\u00fcltze selber (Untersuchungen etc. cit. S. 227) als auch von Hoyer [(cit. S. 230) S. 57] als Kunstproducte aufgefasst, und als solche sind nach M. Sch\u00fcltze (1. c.) auch jene Gebilde zu betrachten, welche Balogh2 (S. 470) an dem Riechepithel (Epithel und Riechzellen) des Schafes beschrieben hat.\nWir m\u00fcssen aber hier noch erw\u00e4hnen, dass M. Sch\u00fcltze Angaben gemacht hat, die vielleicht im Stande sind, die verschiedenen Beobachtungen an Menschen zu vereinigen. M. Sch\u00fcltze hatte schon sowohl in seiner ersten Mittheilung (cit. S. 226) als auch in seiner ausf\u00fchrlichen Abhandlung [(cit. S. 227) S. 71 und 76] erw\u00e4hnt, dass er beim Menschen wiederholt Gruppen wimpernloser Epithelzellen mit eingelagerten Riech zellen beobachtet habe, welche in Form von Inseln oder Flecken zwischen den Wimperzellen sich vorf\u00e4nden ; sp\u00e4ter (Das Epithelium etc. cit. S. 226) hat er diese Beobachtung wiederum best\u00e4tigt gefunden und f\u00fcgt noch hinzu, es sei aber, da individuelle Verschiedenheiten vorzukommen scheinen, jetzt Aufgabe, bei k\u00fcnftigen Untersuchungen, wo m\u00f6glich die im Leben zu beobachtende Sch\u00e4rfe des Geruchsverm\u00f6gens mit in Ber\u00fccksichtigung zu ziehen.\nV\u00f6gel, Amphibien und Reptilien. \u2014 M. Sch\u00fcltze (Untersuchungen etc. cit. S. 227) beschreibt drei verschiedene Arten von Riechh\u00e4rchen in der Regio olfactoria dieser Thiere n\u00e4mlich 1. ganz lange, starre, vollkommen unbewegliche, 2. mittellange, hie und da schwache Bewegungen zeigende und 3. k\u00fcrzere, deutlich schwingende H\u00e4rchen. Diese H\u00e4rchen finden sich aber bloss auf den Riechzellen und deshalb hat M. Sch\u00fcltze dieselben \u201eRiechh\u00e4rchen\u201c genannt (S. 34). Von den l\u00e4ngeren und steifen steht je eines, von den k\u00fcrzeren stehen 6 bis 10 auf den Zellen. \u2014 Exner (cit. S. 227) macht bloss Angaben \u00fcber den Frosch und die Schildkr\u00f6te; die V\u00f6gel hat er nicht in dieser Richtung untersucht; er fand, dass die H\u00e4rchen nicht\n1\tExner, Weitere Studien \u00fcber die Structur etc. Sitzungsber. der Wiener Acad. 3. Abth. LXXVI. 1877.\n2\tBalogh. Das Jacobson\u2019sche Organ des Schafes. Sitzgsber. d. Wiener Acad. XXXXII. S. 449. 1861.","page":231},{"file":"p0232.txt","language":"de","ocr_de":"232\nv. ViNTSCHGAu, Geruchssinn. l.Cap. Geruchsorgan.\nbloss auf den Riechzellen, sondern auch auf den Epithelzellen der Riechschleimhaut Vorkommen. Beim Proteus (Babuchin cit. S. 227) tragen die Riechzellen feine lange Cilien, die Epithelzellen dagegen einen Saum von feinen P\u00fcnktchen. Ich vermutke, dass letztere eher Artefacte waren.\nFische. \u2014 M. Schultze (Untersuchungen etc. cit. S. 227) untersuchte eine Reihe S\u00fcsswasserfische und einige Plagiostomen; bei den ersten fand er keine H\u00e4rchen, bei den letzten die Cylinderzellen mit Wimperhaaren, die Riechzellen dagegen ganz frei. \u2014 Babuchin [(1. c.) S. 970] meldet, dass die geruchspercipirenden Stellen bei Plagiostomen mit flimmernden Epithelien bedeckt sind; und Exner (cit, S. 231) fand, dass bei Knorpelfischen die Epithelzellen tief eingesetzte Wimperhaare tragen. \u2014 Bei Petromyzon fluviatilis fanden Langerhans (cit. S. 228), F\u00f6ttinger (cit. S. 228) und Exner (cit. S. 228) Wimperhaare; und von Ammocoetes branchialis sagt Exner bloss: \u201eim Wesentlichen findet man hier dieselben Verh\u00e4ltnisse, wie beim reifen Petromyzon\u201c. Die Zellen von Petromyzon marinus scheinen nach Exner (1. c.) Haare zu tragen, dieselben sind aber sehr verg\u00e4nglich. \u2014 Nach Grimm (cit. S. 227) tragen die Fadenzellen (Riechzellen) bei den St\u00f6ren lange fast borstenartige Haare.\n2. Zusammenhang der Nervenfasern mit dem Riechepithel.\nDie schwierige Frage der anatomischen Verbindung der Nervenfasern mit dem Riechepithel ist noch nicht mit vollkommener Sicherheit gel\u00f6st.\nM. Schultze (cit. S. 227) und Babuchin (1. c.) haben auf Gr\u00fcnde gest\u00fctzt, die hier nicht weiter auseinander gesetzt werden k\u00f6nnen, die Vermuthung ausgesprochen, dass die Olfactoriusfasern sich mit den Riechzellen verbinden. \u2014 Exner (cit. S. 227) behauptet, dass sowohl die Riech- als auch die Epithelzellen \u2014 welche, wie oben angef\u00fchrt wurde, nach ihm keine differenten Gebilde sind \u2014 auf eine eigenthiimliche Weise mit den Olfactoriusfasern Zusammenh\u00e4ngen.\nExner beschreibt n\u00e4mlich ein subepitheliales Netzwerk, dessen Balken die gr\u00f6sste Aehnlickkeit mit den Epithelialforts\u00e4tzen besitzen, und in dessen Maschen Kerne liegen, welche jenen der Riechzellen gleichen. Die centralen Forts\u00e4tze der Epithel- und Riechzellen gehen in dieses Maschenwerk \u00fcber, welches eigentlich von den Forts\u00e4tzen der Epithelzellen gebildet wird, w\u00e4hrend die Forts\u00e4tze der Riechzellen sich in das Maschenwerk einpflanzen; ihr Eintritt ist n\u00e4mlich mit einem schwarzen P\u00fcnktchen (Ueberosmiums\u00e4urepr\u00e4parate) be-","page":232},{"file":"p0233.txt","language":"de","ocr_de":"Zusammenhang der Nervenfasern mit dem Riechepithel.\n233\nzeichnet. Die Olfactoriusfasern l\u00f6sen sich in dem Netzwerk auf und bei Menschen sieht man oft die centralen Forts\u00e4tze der Epithelial- und der Riechzellen \u201ewie es scheint\u201c [(cit. S. 231) S. 33] direct aus den Nerven hervorgehen. Exner selbst (cit. S. 228) sagt S. 184, dass es un-gemein schwer sei, den Zusammenhang der Nerven mit dem Netz der Epithelialforts\u00e4tze zu voller Evidenz zu demonstriren. Aber auch diese Angaben Exner\u2019s haben einen lebhaften Widerspruch gefunden, welcher eine Replik von Seite Exner\u2019s (cit. S. 228) hervorrief, deren Hauptresultate schon oben mitgetheilt wurden.\nBez\u00fcglich der Beobachtungen der Widersacher Exner\u2019s m\u00fcssen wir uns hier mit kurzen Andeutungen begn\u00fcgen.\nGrimm (cit. S. 227) stellt eine Verbindung der Cylinderzellen (Epithelzellen) mit den Nerven entschieden in Abrede, dagegen habe er den unmittelbaren Zusammenhang des inneren Riechzellenfortsatzes mit den Fibrillen des Olfactorius, wenn auch selten, beobachtet.\nPaschutin (cit. S. 228) beschreibt wohl ein subepitheliales Gewebe, dasselbe sei aber nicht nerv\u00f6ser Natur. Nach Paschutin sammeln sich die centralen Forts\u00e4tze der Riechzellen zu einzelnen B\u00fcndeln, welche sich umbiegen, um quer zwischen den centralen Forts\u00e4tzen der Epithelzellen zu verlaufen; in der N\u00e4he des subepithelialen Bindegewebes erfahren diese B\u00fcndel eine neue Biegung, um in dem unterliegenden Gewebe als marklose Nerven zu erscheinen.\nCisoff (cit. S. 228) erhielt durch Isolation \u201ed\u00fcnne Nervenb\u00fcndel im Zusammenhang mit Riechzellen\u201c. Das subepitheliale Gewebe ist glasig durchscheinend, die Contouren der einzelnen Gebilde sehr verschwommen, so dass ein Urtheil \u00fcber den Zusammenhang zwischen Zellen und Nervenb\u00fcndeln sich nicht f\u00e4llen l\u00e4sst. Nach Entfernung des Epitheliums sieht man B\u00fcndel von Olfactoriusfasern \u00fcber das subepitheliale Gewebe hervorragen.\nv. Brunn (cit. S. 228) hat wohl bei Salamandra unter der Epithelschicht ein Netzwerk beobachtet, in welchem die centralen Forts\u00e4tze der Riechzellen endigen, aber eine Verbindung der Olfactoriusfasern mit dem Netzwerk hat v. Brunn nicht gefunden.\nPereyaslawzeff (cit. S. 228) hat nur bei wenigen Fischen Andeutungen einer besonderen Subepithelialschicht (Exner) gesehen; das Epithel ist meistens scharf von dem darunter liegenden Bindegewebe abgegrenzt, und die Olfactoriusfasern gehen in der Regel unmittelbar aus dem Bindegewebe in das Epithel \u00fcber, um hier als Riechzellen zu endigen.\nL\u00f6we (cit. S. 228) hat bei Kaninchen den subepithelialen Plexus nicht beobachtet, aber auch die Verbindung der Riechzellen mit den Nervenfasern hat sich der Wahrnehmung entzogen.\nAuf die besondere Struktur des Bulbus olfactorius, auf das Jacob-soN\u2019sche Organ, zu welchen F\u00e4den des Olfactorius gehen und auf die Dr\u00fcsen der Nasenschleimhaut kann hier nicht eingegangen werden.","page":233},{"file":"p0234.txt","language":"de","ocr_de":"234\ny. Vintschgatt, Geruchssinn. 1. Cap. Geruchsorgan.\nII. Der Greruchsnei\u2019T.\n1. Ermittelung des Geruchsnerven.\nDas erste Paar der Gekirnnerven, der Olfactorins ist der specifische Nerv f\u00fcr die Geruchsempfinclungen. Nur allm\u00e4hlich konnte sich diese Ansicht Bahn brechen und auch in unseren Tagen fehlt es nicht an Physiologen, welche sich gegen dieselbe aussprechen.\nDer M\u00f6nch Theophilus Protospatharius zu Ende des VIII. Jahrhunderts scheint der erste gewesen zu sein, welcher in einer griechisch geschriebenen Abhandlung \u00fcber die Theile des menschlichen K\u00f6rpers die genannten Organe als Greruchsorgane erkannte, dabei aber auch die Ansicht aussprach, dass dieselben zwar w\u00e4hrend der Einathmung die riechbaren D\u00fcnste zum Gehirne leiteten, mit der ausgeathmeten Luft aber zugleich die \u00fcberfl\u00fcssigen Feuchtigkeiten aus demselben fortf\u00fchrten. Diese Ansicht konnte gegen die Meinung des Galenus, dass der Geruchssinn in den Grosshirnh\u00f6hlen sitze, und dass die riechbaren Stofftkeilchen durch die L\u00f6cher der Siebplatte in dieselben gelange, nicht auf kommen.\nN. Massa (1536) beschrieb zuerst den Durchgang der Geruchsnerven durch die lamina cribrosa und ihre Verbreitung in der Schleimhaut. Achillini, Gabriel de Zerbis und Vessali\u00fcs haben diese Organe als Nerven erkannt ; letzterer betrachtete die Geruchsnerven als allein dem Ger\u00fcche dienend und l\u00e4ugnete den zweiten Theil der Behauptung von Protospatharius.\nWir m\u00fcssen in Bezug auf n\u00e4here geschichtliche Daten auf das Werk von Longet 1 und vorzugsweise auf jenes von Cloquet (cit. S. 225) verweisen.\nCloquet f\u00fchrt uns in einer Note seiner ausgezeichneten Abhandlung eine ganze Reihe von Autoren vor, von welchen einige die Olfactorii f\u00fcr Geruchswerkzeuge erkannten, ja sogar f\u00fcr Nerven hielten, sich aber von der Ansicht des Galenus nicht losmachen konnten, andere dagegen, welche wohl dieselben als Riechwerkzeuge, nicht aber f\u00fcr Nerven gelten liessen. \u2014 Schneider ben\u00fctzte eine Beobachtung des Bolognesischen Professors Eustachius Rudius um das Jahr 1600, welcher von einem jungen Mann erz\u00e4hlte, der von Geburt an kein Geruchsverm\u00f6gen hatte und nach seinem Tode ohne Geruchsnerven befunden wurde, um eben diese Nerven als Geruchsnerven zu bezeichnen; er beschrieb auch ihre Verbreitung in der Nasenschleimhaut. \u2014 Diese Beobachtungen gen\u00fcgten aber nicht um dem Olfactorius seine Stellung zu sichern, da Diemerbroek und Mery die Riechf\u00e4higkeit in das f\u00fcnfte Paar verlegten. \u2014 Die meisten Physiologen vertheidigten jedoch die Ansicht, dass der Olfactorius f\u00fcr die Geruchsempfindungen bestimmt sei.\nI Longet, Anatomie und Physiologie des Nervensystems, \u00fcbersetzt von Dr. J. A. Hein. II. Leipzig 1849.","page":234},{"file":"p0235.txt","language":"de","ocr_de":"Der Geruchsiierv.\n235\nBellingeri1 1818 betrachtet wohl den Olfactorius als Geruchsnerven, macht aber einen Unterschied zwischen olfactus animalis et naturalis, vel ab instinctu.2 Er hat \u00fcbrigens mit Klarheit und Einfachheit den mechanischen Act des Riechens angedeutet. Bellingeri f\u00fchrt weiter an, dass bei einer Erkrankung des f\u00fcnften Paares der Geruch noch unversehrt war. Es ist wohl wahr, dass Bellingeri auch dem Trigeminus eine Bedeutung f\u00fcr den Geruch zuschreibt, aber nur f\u00fcr jenen Geruch, den er als den nat\u00fcrlichen (naturalis) oder vom Instinct abh\u00e4ngigen auffasst. Wir brauchen uns jedoch mit letzterer Ansicht nicht weiter zu befassen.\nCloquet 1824 [(cit. S. 225) S. 79] betrachtet die Nasenh\u00f6hle und deren Schleimhaut als den Sitz des Geruchsorgans und S. 173 sagt er ganz deutlich: \u201edie Nerven der Schleimhaut sind offenbar von zweierlei Arten, einige dienen zum Riechen, dies sind die Zweige der Geruchsnerven oder des ersten Paares, die andern dienen das Leben in der Haut zu erhalten\u201c.\nMagendie, obwohl zu seiner Zeit von allen Physiologen das erste Paar als Geruchsnerv angesehen wurde, hat dennoch versucht die alte Ansicht von Diemerbroek und Mery wieder aufzustellen und trachtete vom Jahre 1824 an, auch durch Versuche den Nachweis zu liefern, dass der Trigeminus f\u00fcr die Perception der Ger\u00fcche bestimmt sei.3\nBei der folgenden Schilderung der Angaben Magendie\u2019s werde ich mich vorzugsweise an seine letzte Schrift, Vorlesungen u. s. w. (cit. Note 3) halten, und mich nur manchmal auf die fr\u00fcheren beziehen m\u00fcssen.\nMagendie durchschnitt den Trigeminus in der Sch\u00e4delh\u00f6hle, worauf der Geruchssinn mit Aether, am h\u00e4ufigsten aber mit Ammoniak gepr\u00fcft\n1\tBellingeri, Diss. inauguralis quam publice defendebat in regio Athenaeo Anno 1818 die IXmaji. Augustae Taurinorum. p. 162 u. f.\n2\tVerum puto, distinctionem esse ponendam inter olfactum animalem et naturalem, vel ab instinctu. Animalis igitur olfactus, quo sensu corporum odores dignosci-mus, percipimus, comparamus, a primo pari regitur; hinc quum grate aliquid olfacere cupimus vel odorem quemcumque distinguere volumus, vehementer ore clauso, per-que nares inspiramus, ut odori halitus sursum ascendant, et usque ad productiones primi paris adveniant.\n3\tMagendie hat an mehreren Orten \u00fcber die Function des Olfactorius sich ausgesprochen. Wir geben im Folgenden das Verzeichniss seiner diessbez\u00fcglichen Ver\u00f6ffentlichungen. Derselbe, Le nerf olfactif est-il l\u2019organe de l\u2019odorat? Exp\u00e9riences sur cette question. Magendie\u2019s Journ. d. physiol, exp\u00e9r. et. pathol. IV. p. 169\u2014176. Paris 1824. Derselbe, De l\u2019influence de la cinqui\u00e8me paire de nerfs sur la nutrition et les fonctions de l\u2019oeil. Magendie\u2019s Journ. de physiol, exp\u00e9r. et pathol. IV. p. 176\u2014182. Paris 1824. Derselbe, Suite des exp\u00e9riences sur les fonctions de la cinqui\u00e8me paire de nerfs lue \u00e0 l\u2019Academie des sciences le 3. nov. 1824. Magendie\u2019s Journ. de physiol, exp\u00e9r. et pathol. IV. p. 302. Paris 1824. Derselbe, Lehrbuch der Physiologie. Ueber-setzt von Els\u00e4sser. 3. Aufl. T\u00fcbingen 1834. Derselbe, Vorlesungen \u00fcber das Nervensystem und seine Krankheiten. Uebersetzt von Dr. Gustav Krupp. Leipzig 1841.","page":235},{"file":"p0236.txt","language":"de","ocr_de":"236\nv. Vintschgau, Geruchssinn. 1. Cap. Geruclisorgan.\nwurde; die Thiere blieben ganz ruhig. Er traute-sieh nicht aus diesen Versuchen den Schluss zu ziehen, dass \u201eder Geruch seinen Sitz in den Aesten des f\u00fcnften Paares hat\u201c, sondern bloss, \u201edass diese Aeste an dieser Function durch ihre Verbindung mit den Aesten des Geruchsnerven Theil nehmen\u201c, S. 382. Schon fr\u00fcher iSuite etc. eit. S. 235) hatte Magendie etwas Aehnliches ge\u00e4ussert, aber auch hinzugef\u00fcgt, dass die 01-factorii eine specielle Empfindlichkeit bez\u00fcglich der riechenden K\u00f6rper haben k\u00f6nnen. \u2014 In einer anderen Schrift (Lehrbuch etc. eit. S. 235) 1834 hatte Magendie sogar die wichtige Angabe gemacht, dass bei Menschen der Geruch fehlen und doch die allgemeine Empfindlichkeit fort-bestehen kann. V\u00f6gel, an welchen er (Le nerf olfactif etc. cit. S. 235) die Gehirnhemisph\u00e4ren entfernte, hatten die Empfindlichkeit der Nasenschleim-haut behalten, f\u00fcr starke Ger\u00fcche waren sie aber unempfindlich. \u2014 Magendie fand (Le nerf olfactif etc. cit. S. 235), dass der blossgelegte 01-factorius auf mechanische Reize unempfindlich ist, und bei dessen Betupf-ung mit Ammoniak der Hund nur deshalb reagirte, weil die Substanz bis zur Unterfl\u00e4che des Nerven gelangte. Der Geruchsnerv besitzt somit kein Tastverm\u00f6gen. Er fand ferner, dass nach Durchschneidung der 01-factorii die Empfindlichkeit der Nasenschleimhaut unver\u00e4ndert bleibt und wird somit, gest\u00fctzt auf seine Versuche mit Durchschneidung des Trigeminus, zu dem richtigen Schluss gef\u00fchrt, dass nach der eben erw\u00e4hnten Operation die Empfindlichkeit der Nasenh\u00f6hle g\u00e4nzlich vernichtet ist, dieselbe erleide dagegen nach der Durchschneidung der Olfactorii keine Aenderung (S. 384).\nMagendie zieht auch die anatomische Verbreitung der Geruchsnerven in Betracht und ist gezwungen zu sagen, dass, wenn man sich bloss auf die anatomischen Thatsachen st\u00fctzen w\u00fcrde, so k\u00f6nnte man nicht zweifeln, dass die Olfactorii die Geruchsnerven seien (S. 391), ihm gen\u00fcgen aber die Ergebnisse der Anatomie nicht. Er schneidet deshalb die Olfactorii durch, pr\u00fcft den Geruchssinn mit Essig\u00e4ther, mit Ammoniak, macht auch einen Versuch mit K\u00e4se, den er dem Kinne des Hundes n\u00e4hert, und weil nun der Hund auf die ersten Substanzen reagirt und sich des K\u00e4ses bem\u00e4chtigt, so soll das Thier noch riechen.\nMagendie (S. 394) bindet hierauf dem operirten Hunde, die Augen zu und stellt nun mit demselben mehrere neue Versuche an, n\u00e4mlich mit K\u00e4se, mit im Papier eingewickeltem Fleisch [vorher (Le nerf olfact. etc. cit. S. 235) hatte Magendie einen gleichen Versuch jedoch ohne Zubinden der Augen als nicht hinreichend beweisend gefundenl], und mit Fleisch, welches mit Tabak bestreut ist; die ersten Gegenst\u00e4nde werden gefressen, nicht aber der letzte.\nMagendie (S. 394) gedenkt auch der Einw\u00fcrfe, die man gegen die Anwendung von Ammoniak erhoben hatte und bemerkt, dass die Versuche ebenso mit DiPPEifschen und Lavendel\u00f6l gelingen, welche Substanzen nicht auf die Nasenschleimhaut wirken. \u2014 Dagegen aber finden wir an einer andern Stelle (Lehrbuch etc. cit. S. 235), dass, wenn er Versuche\n1 Mais je ne regarde pas cette tentative comme suffisemment probante, car, dans d\u2019autres circonstances il m\u2019a paru manquer d\u2019odorat pour trouver les aliments que je mettais pr\u00e8s de lui \u00e0 son insu.","page":236},{"file":"p0237.txt","language":"de","ocr_de":"Der Geruchsnerv.\n237\nmit schwachen Ger\u00fcchen von Speisen u. s. w. anstellen wollte, keine ganz sicheren Resultate zu erhalten waren.\nF\u00fcr Magendie [(Vorlesungen etc. cit. S. 235) S. 395] stehen die Geruchsnerven in derselben Kategorie wie die Gl. pituitaria, pinealis, das Corpus callosum etc. deren Function uns v\u00f6llig unbekannt ist.\nW. Rapp1 vertheidigt ebenfalls die Ansicht, dass der Olfactorius die Verrichtung als Sinnesnerve mit den Zweigen des Trigeminus, die in der Nasenschleimhaut endigen, theile.\nEin Jahr nachdem Magendie seine ersten Mittheilungen ver\u00f6ffentlichte, trat Eschricht2 auf, um die Angaben des franz\u00f6sischen Physiologen zu bek\u00e4mpfen.\nEschricht f\u00fchrt eine ganze Reihe Beobachtungen \u00e4lterer Forscher \u00fcber Mangel des Geruchssinnes mit gleichzeitigem Fehlen oder Degeneration der Olfactorien, wie auch \u00fcber die Durchschneidung des Olfactorius bei Thieren an, und spricht sich gegen die Substanzen aus, welche Magendie anwendete, um den Geruchssinn nach Zerst\u00f6rung des Olfactorius zu pr\u00fcfen.\nVon nun an vermehrte sich sehr rasch die Zahl der Physiologen, welche gegen Magendie auftraten, so Bell3 (S. 134), welcher die Anwendung des Ammoniaks tadelte, J. Bishop4 5 6 (S. 132) der einen Fall von Trigeminusl\u00e4hmung mit vollkommener Erhaltung der Geruchsf\u00e4higkeit beschrieb; Els\u00e4sser der Uebersetzer des Lehrbuches von Magendie in der Note XIX b. p. 351; J. M\u00fcller 5 (S. 754) und Dug\u00e9sA\nEs sei hier erw\u00e4hnt, dass sowohl Dug\u00e9s (1. c.) als auch Picht7 keine Geruchswahrnehmungen hatten; beide geben aber \u00fcbereinstimmend an, dass ihre Nasenschleimhaut durch die D\u00e4mpfe von Essigs\u00e4ure, Ammoniak und dergl. Substanzen erregt wurde, welche die bekannten Empfindungen und Reflexwirkungen hervorriefen.\nPresat8 (1838) beschrieb einen Fall, bei welchem beide Olfac-\n1\tW. Rapp, Die Verrichtungen des f\u00fcnften Hirnnervenpaares. S. 1 u. f. Leipzig\n1832.\n2\tF. Eschricht , De functionibus Nervorum faciei et Olfactus organi. Disser-tatio. Hafniae 1825.\n3\tC. Bell , Physiologische u. pathologische Untersuchungen d. Nervensystems. Aus dem Englischen \u00fcbersetzt von M. H. Romberg. S. 134. Berlin 1832.\n4\tJ. Bishop in London medical gazette. Decemb. 1833. Auszug im Arch. f. Anat. u. Physiol. 1834. Jahresber. \u00fcber die Fortschritte der anat. physiol. Wissenschaften im Jahre 1833. S. 132.\n5\tJ. M\u00fcller, Handbuch der Physiologie des Menschen I. 2. Aufl. Coblenz 1S35.\n6\tA. Dug\u00e8s, Trait\u00e9 de Physiol, compar\u00e9e de l\u2019homme et des animaux. I. Montpellier 1838.\n7\tF. Picht , De gustus et olfactus nexu praesertim argumentis pathologicis et experimentis illustrato. Diss. Berolini 1829.\n8\tPresat. Fall, wo die Geruchsnerven fehlten. Schmidt\u2019s Jahrb. 1839. XXII. S. 170 aus L\u2019Exp\u00e9rience No. 21. 1838.","page":237},{"file":"p0238.txt","language":"de","ocr_de":"238\nv. Vint sch gau, Geruchssinn. 1. Cap. Geruchsorgan.\ntorii fehlten, das Verhalten des Geruchssinnes w\u00e4hrend des Lebens konnte allerdings erst nachtr\u00e4glich durch Befragen der Verwandten ermittelt werden, soll aber gemangelt haben.\nValentin1 hat sich gegen die Angaben Magendie\u2019s ausgesprochen und ebenso gegen die Versuche Gianuzzi\u2019s, von welchen wir sp\u00e4ter reden werden (siehe unten S. 240).\nValentin [(De functionibus etc. cit. Note 1) S. 10] hat eigene Versuche vorgenommen, um die Erfahrungen Magendie\u2019s \u00fcber den Olfactorius zu pr\u00fcfen, und diesen Nerven bei Kaninchen durchschnitten. Reizung des Olfactorius veranlasst nirgends eine Bewegung, auch nicht eine Reflexbewegung, seine Durchschneidung l\u00e4sst die allgemeine Empfindlichkeit der Nase unver\u00e4ndert; der Geruchssinn ist aber vollkommen vernichtet. Die Versuche Valentin\u2019s bestanden darin, dass er ein todtes Kaninchen auf einen Tisch legte, auf welchem sich ein operirtes und ein gesundes Kaninchen befanden, beide hatten verbundene Augen, das zweite schn\u00fc-felte an dem todten Kaninchen, das erste aber k\u00fcmmerte sich nicht darum, wenn es auch dasselbe ber\u00fchrte.\nBidder2 (S. 916) und mit ihm Wagner3 sprechen sich ganz entschieden f\u00fcr die Geruchsfunction des Olfactorius aus.\nBeide Forscher st\u00fctzen sich 1) auf Versuche bei Thieren. Kaninchen nach Durchschneidung der Olfactorii k\u00f6nnen die st\u00e4rksten Ger\u00fcche nicht wahrnehmen, w\u00e4hrend die gew\u00f6hnliche Sensibilit\u00e4t unversehrt ist; 2) auf die vergleichende Anatomie, da Thiere mit scharfem Ger\u00fcche auch einen sehr entwickelten Olfactorius besitzen ; 3) auf pathologische F\u00e4lle. Bei Personen, die w\u00e4hrend des Lebens den Geruch verloren hatten, fand man die Olfactorii degenerirt oder fehlend; bei Personen mit unangenehmen, subjectiven Ger\u00fcchen fand man Ver\u00e4nderungen im Gehirn oder an den Wurzeln der Riechnerven. 4) Endlich darauf, dass bei Personen ohne Geruchssinn der Trigeminus noch auf Reize antwortet.\nWagner [(cit. Note 3) S. 348] f\u00fcgt noch hinzu, dass ihm zwei Personen, Bruder und Schwester, bekannt sind, die kein Geruchsverm\u00f6gen haben und doch auf Ammoniak reagiren. Die Eltern und eine Schwester derselben zeigen normale Verh\u00e4ltnisse.\nLonget4 hat sich sehr entschieden gegen die Ansicht und die Angaben Magendie\u2019s ausgesprochen und entlehnte wieder seine Argumente aus pathologischen F\u00e4llen, aus der vergleichenden Anatomie, theilweise auch aus der Thatsache, dass die Ger\u00fcche nur dann\n1\tValentin, De functionibus nervorum cerebralium et nervi sympathici. Libri quattuor. Bernae et Sangalli Helvetiorum 1839. Derselbe, Lehrbuch der Physiologie des Menschen II. 2. Abth. Braunschweig 1848. Derselbe, Versuch einer physiologischen Pathologie der Nerven. 2. Abth. Leipzig und Heidelberg 1864.\n2\tBidder, Riechen in Wagner\u2019s Handw\u00f6rterbuch der Physiologie II. Braunschweig 1844.\n3\tR. Wagner, Lehrbuch der speciellen Physiologie. 3. Aufl. Leipzig 1845.\n4\tLonget, Anatomie und Physiologie des Nervensystems, \u00fcbersetzt von Dr. J. A. Hein. II. Leipzig 1849. Derselbe, Trait\u00e9 de Physiologie III. 3. Edition. Paris 1869.","page":238},{"file":"p0239.txt","language":"de","ocr_de":"Der Geruchsnerv.\n239\nwahrgenommen werden, wenn dieselben den oberen Theil der Nasenh\u00f6hle treffen. Longet kann alle Versuche Magendie\u2019s nicht gelten lassen, auch nicht den Versuch, mit in Papier eingewickeltem Fleisch, da Hunde die Gewohnheit haben, geballtes Papier aufzumachen.\nMalherbe1 2 1852 kam dagegen der Ansicht von Magendie zu Hilfe und leitet die Geruchsempfindungen vom Trigeminus ab ; er will sogar, dass die Gaumenschleimhaut im Stande sei, die verschiedenen Ger\u00fcche wie der Blaus\u00e4ure, der M\u00fcnze, der Opiumtinctur wahrzunehmen; es scheint aber, dass er bei seinen Beobachtungen die Ber\u00fchrung der D\u00e4mpfe mit der Nasenschleimhaut nicht ber\u00fccksichtigt hat.\nBernard 2 (S. 226 u. fl.) hat sich auch mit dieser Frage besch\u00e4ftigt; er kritisirt den Versuch Magendie\u2019s mit Ammoniak und von dem Versuche mit in Papier eingewickeltem Fleisch sagt er, dass derselbe noch von Niemand wiederholt worden sei; Bernard f\u00fchrt wohl pathologische F\u00e4lle an, setzt aber hinzu, dass dieselben nicht sicher genug seien. Dieser Physiolog \u00e4ussert sich dahin, dass die Annahme, derzufolge der Olfactorius Geruchsnerv und der Trigeminus sensitiver Nerv sei, nur auf die Analogie mit dem Gesichtssinne sich st\u00fctze, er leugnet wohl nicht, dass der Olfactorius eine Bedeutung f\u00fcr den Geruch1 besitze, er wisse aber nicht, worin dieselbe bestehe und schliesst mit der Bemerkung, dass die Bedeutung des Olfactorius f\u00fcr den Geruchssinn noch nicht mit Sicherheit ermittelt sei. \u2014 Es muss gewiss h\u00f6chst auffallend sein, dass ein so ausgezeichneter Physiolog wie Bernard eine so reservirte Meinung \u00e4ussert. Wir k\u00f6nnen die Angaben Bernard\u2019s nicht verlassen ohne anzuf\u00fchren, dass er [(1. c.) S. 95] den N. naso-palatinus unempfindlich, den N. in-fraorbitalis dagegen sehr empfindlich fand und so dahin gef\u00fchrt wurde, die Frage aufzuwerfen, ob nicht der Trigeminus den Geruch theil-weise besorge.\nSchiff3 unterwarf die Frage, ob das erste Paar das Riechverm\u00f6gen vermittle, einer erneuerten experimentellen Untersuchung und gelangte zu dem Schluss \u201eder Olfactorius ist also ein Nerv\u201c.\nSchiff ben\u00fctzte, wie Biffi4, neugeborne Hunde, da diese die Durchschneidung der Olfactorii sehr gut vertragen. Fr\u00f6sche lassen\n1\tMalherbe, Sur les propri\u00e9t\u00e9s olfactives de la muqueuse palatine. Journ. des connaissances m\u00e9dicales Sept. 1852. p. 487. Aus Canstatt\u2019s Jahresber. f. d. Jahr 1852. I. S. 189.\n2\tBernard , Le\u00e7ons sur la Physiologie et la Pathologie du Systeme nerveux II. Paris 1858.\n3\tSchief, Der erste Hirnnerv ist der Geruchsnerv. Molesch. Unters. VI. S. 254.\n1859.\n4\tSchiff hat nicht angegeben, in welcher Zeitschrift Biffi seine Beobachtungen mittheilte.","page":239},{"file":"p0240.txt","language":"de","ocr_de":"240\nv. Vintschgau, Geruchssinn. 1. Cap. Geruchsorgan.\nsich nicht verwenden, da dieselben keine befriedigenden Resultate geben. Schiff bat zu seinen Versuchen f\u00fcnf s\u00e4ugende Hunde ben\u00fctzt, an zweien schnitt er den Tractus olfactorius, an einem den Bulbus olfactorius und an einem anderen das vorderste Ende des Bulbus durch. An dem f\u00fcnften Hund wurden der Vergleichung wegen bloss die vorderen Hirnlappen bis in die N\u00e4he des Tractus olfactorius durchgeschnitten. Dieser letzte Hund verhielt sich wie ein gesunder, die anderen vier waren aber geruchslos, dieselben waren nicht im Stande, die Zitzen der Mutter zu finden, \u2014 eine Beobachtung, welche schon Biffi gemacht hat \u2014 sie konnten auch nicht ein fremdes M\u00e4nnchen von ihrer Mutter unterscheiden, sie soffen wohl die Milch, Hessen aber das Brod und das Fleisch stehen, das sich darin befand. Wenn das Gef\u00e4ss, welches die Milch enthielt, mit einem Papier bedeckt war, entfernten die Hunde das Papier nicht, um die Milch zu saufen. Sie tranken die Milch auch, wenn der Rand des Milchgef\u00e4sses mit Tabackjauche beschmiert war. Befand sich die Milch in einem anderen Gef\u00e4ss als dem gew\u00f6hnlichen, so Hessen die operirten Hunde erstere stehen. Trockenes Fleisch oder Brod wurden von den Hunden nur dann gefressen, wenn diese Substanzen mit dem eigenen Speichel befeuchtet waren, schweflige S\u00e4ure incommodirte sie nicht, Ammoniak und Aether machten die Hunde den Kopf wegwenden und niesen, die Wirkung trat langsam und sp\u00e4t ein; Chloroform oder Aether erzeugte Speichelfluss und die Essigs\u00e4ure erregte nur in sehr concentrirtem Zustand und sehr langsam Widerwillen.\nGianuzzi 1 erhielt bei Durchschneidung der Olfactorii einige Resultate, welche die Ansicht von Magendie zu unterst\u00fctzen scheinen, n\u00e4mlich dass die Empfindlichkeit f\u00fcr Ger\u00fcche nach dieser Operation nicht gest\u00f6rt sei; die Versuche von Pr\u00e9vost haben aber die Angaben Gianuzzi\u2019s nicht best\u00e4tigt (siehe sp\u00e4ter).\nVulpian'1 2 (S. 661, Note) theilt mit, dass bei alten Leuten der Geruch fehle und dass bei denselben gew\u00f6hnlich eine beinahe vollst\u00e4ndige Atrophie der Processus olfactorii zu finden sei. Pr\u00e9vost hat auf Veranlassung Vulpian\u2019s dar\u00fcber der Soci\u00e9t\u00e9 de Biologie3 Mittheilungen gemacht. \u2014 Ferner hat Vulpian [(1. c.) S. 882] mit Phili-paux bei Jagdhunden die Bulbi olfactorii zerst\u00f6rt, die so operirten Hunde waren, obwohl sie gefastet hatten, nicht im Stande das im Laboratorium versteckte Fleisch zu finden.\n1\tGianuzzi, Recherches physiologiques sur les nerfs de l\u2019Olfaction. Compt. rend. d. 1. soc. d. biologie 1863. V. 3. s\u00e9ri\u00e9, p. 97. Citirt nach Milne Edwars, Le\u00e7ons sur la Physiol, etc. XI. p. 471.\n2\tVulpian, Le\u00e7ons sur la Physiologie g\u00e9n\u00e9rale et compar\u00e9e du syst\u00e8me nerveux. Paris 1866.\n3\tJ. L. Pr\u00e9vost, Atrophie des nerfs olfactifs fr\u00e9quente chez les vieillards et correspondant avec la diminution ou la perte du sens de l\u2019odorat. M\u00e9m. de la soc. de biologie 1866. III. 4. Serie, p. 69. Citirt nach Milne Edwars, Le\u00e7ons sur la Physiologie etc. XI. p. 470.","page":240},{"file":"p0241.txt","language":"de","ocr_de":"Der Geruchsnerv.\n241\nPr\u00e9vost 1 fand, dass die Durchschneidung des N. nasopalatinus weniger schmerzhaft als jene des N. infraorbitalis und N. dentalis sei und da Bernard (siehe oben S. 239) glaubte, dass der N. nasopalatinus eine Bedeutung f\u00fcr die Wahrnehmung der Ger\u00fcche besitze, so hat Pr\u00e9vost einige Versuche an Hunden vorgenommen und zwar mit Exstirpation beider Ggl. spheno - palatina. Das Riechverm\u00f6gen wurde mit Fleisch, mit Ammoniak, mit Benzin und mit Aether gepr\u00fcft. Pr\u00e9vost gelangte zu dem Resultate, dass die Entfernung jener Ganglien keine wesentliche St\u00f6rung weder des Geruches noch des Gef\u00fchles an der Riechschleimhaut bedingt. \u2014 Auch die Angaben Gianuzzi\u2019s (siehe oben S. 240) wurden von Pr\u00e9vost1 2 3 einer experimentellen Pr\u00fcfung unterworfen, aber nicht best\u00e4tigt gefunden. Nach der vollst\u00e4ndigen Durchschneidung der Olfactorii war immer auch der Geruch vollst\u00e4ndig erloschen.\nAlthaus 3 (S. 565) f\u00fchrt eine Beobachtung von L\u00e4hmung beider Trigemini an, der Geruchssinn war bei dem Kranken vollkommen normal, die Nasenschleimhaut dagegen vollst\u00e4ndig unempfindlich. \u2014 Diese Beobachtung spricht ebenfalls daf\u00fcr, dass der Olfactorius der Geruchsnerv ist.\nWenn man die Versuche von Valentin, von Schiff und von Pr\u00e9vost in Erw\u00e4gung zieht, die eben beweisen, dass nach Zerst\u00f6rung der Olfactorii auch der Geruchssinn vernichtet ist, wenn man weiter die verschiedenen Beobachtungen an Menschen ber\u00fccksichtigt, bei welchen constatirt ist, dass nach Degeneration der Olfactorii in Folge von verschiedenen Erkrankungen das Geruchsverm\u00f6gen entweder vermindert oder sogar abolirt ist, wenn man in Erw\u00e4gung zieht, dass auch beim Geruchsorgan ganz eigenth\u00fcmlich geformte Endgebilde vorhanden sind, welche bloss an jenen Stellen des Organs Vorkommen, an welchen die Geruchsnerven sich verbreiten, und welche als Angriffspunkte f\u00fcr die specifischen Reize dienen, und wenn man endlich ber\u00fccksichtigt, dass nach Durchschneidung des Olfactorius das Riechepithel, wenigstens bei Fr\u00f6schen, ganz eigenth\u00fcmliche Ver\u00e4nderungen erleidet (siehe sp\u00e4ter S. 242), so wird man nicht mehr zweifeln, dass das erste Nervenpaar, der Olfactorius, ein specifischer Nerv ist, und zwar f\u00fcr die Geruchsreize. Es sei auch bemerkt, dass\n1\tJ. L. Pr\u00e9vost , Recherches anatomiques et physiologiques sur le ganglion spheno-palatin. Arch. d. physiol, norm, et pathol. I. p. 7\u201421 und 207\u2014232. 1868.\n2\tJ. L. Pr\u00e9vost, Note relative aux fonctions des nerfs de la premi\u00e8re paire. Arch, des sciences XXII. Citirt nach R. Virchow und A. Hirsch, Jahresber. \u00fcber die Leistungen und Fortschritte etc. IV. Jahrg. Bericht f. d. Jahr 1869. I. Berlin 1870.\n3\tJ. Althaus, Zur Physiologie und Pathologie des Trigeminus. Deutsch. Arch, f. klin. Med. VII. S. 563. 1870.\nHandbuch der Physiologie. Bd. III a.\n16","page":241},{"file":"p0242.txt","language":"de","ocr_de":"242\ny. Vintschgau, Geruchssinn. 1. Cap. Geruchsorgan.\ndie directe mechanische und chemische Reizung des Olfactorius bei Thieren weder Schmerz\u00e4usserung noch Reflexbewegungen hervorruft.\nWie fr\u00fcher bei der Physiologie des Geschmackssinnes (III. 2. S. 179) erw\u00e4hnt wurde, soll nach Fermer1 das Geruchscentrum in dem Girus uncinatus liegen.\n2. Methoden der Durchschneidung des N. Olfactorius.\nValentin (De functionibus etc. cit. S. 238), Magendie (Vorlesungen etc. cit. S. 235), Schiff (Der erste Hirnnerv etc. cit. S. 239) haben Methoden beschrieben, die sie anwandten, um die Olfactorii bei S\u00e4ugethie-ren zu durchschneiden oder zu zerst\u00f6ren. \u2014 Im Allgemeinen werden die Weichtheile des vorderen Seh\u00e4deltheils parallel zur Mittellinie und etwas seitlich von derselben, um den Sinus frontalis zu vermeiden, bis zum Knochen durchgetrennt, der Knochen trepanirt und durch die gemachte Oeffnung mittels einer Nadel oder eines Messerchen die Olfactorii oder die Ganglia olfactoria durchgeschnitten (vgl. Cyon2 S. 510).\nColasanti (cit. S. 228) hat die Geruchsnerven bei Fr\u00f6schen durchgeschnitten, indem er eine Staarnadel von oben her in den Sch\u00e4del des Frosches einstach und zwar genau in der Medianlinie zwischen den beiden Aug\u00e4pfeln an einer Stelle, die etwa der Grenze zwischen dem vorderen und den beiden hinteren Dritteln des Augapfels entspricht. Mittels seitlichen Bewegungen der durch die kn\u00f6cherne Sch\u00e4deldecke eingef\u00fchrten Staarnadel gelingt es ganz sicher, die beiderseitigen Geruchsnerven zu durchschneiden.\nExner (cit. S. 228) hat nach Er\u00f6ffnung des vordersten Antheils der Sch\u00e4delh\u00f6hle beim Frosche mit einer Scheere die Tracti olfactorii, wo sie unter dem Grosshirn hervortreten, durchgeschnitten, und die Stelle, an welcher die Aeste des Olfactorius durch die Knochen treten, auf das Sorgf\u00e4ltigste von jeder Nervenmasse gereinigt.\n3. Anatomische Folgen der Durch schnei dung des Olfactorius.\nSchiff [Der erste Hirnnerv etc. (cit. S. 239)] konnte an dem peripheren Theile des bei Hunden durchgeschnittenen Olfactorius keine Degeneration beobachten. Die Olfactoriusfasern verhielten sich gegen die gew\u00f6hnlichen Reagentien wie im normalen Zustande.\nColasanti (cit. S. 228) fand ebenfalls bei Fr\u00f6schen nach der genannten Operation weder eine Ver\u00e4nderung in den Nervenfasern noch in den die Riechschleimhaut bedeckenden Zellen.\nHoffmann3 beobachtete dagegen bei seinen Versuchen an Ka-\n1\tD. Ferrier, Die Functionen des Gehirnes. Uebers. von Dr. H. Obersteiner. Braunschweig 1879.\n2\tE. Cyon, Methodik d. physiologischen Experimente u. Vivisectionen Giessen u. St. Petersburg 1876.\n3\tC. K. Hoffmann, Diss. inaug. Amsterdam 1866. Vergl. Henle und Meissner\u2019s Jahresber. f. d. J. 1866.","page":242},{"file":"p0243.txt","language":"de","ocr_de":"Durchschneidung d. Olfactorius. Mechanische Einrichtungen d. Nasenh\u00f6hle. 243\nnincken und Fr\u00f6schen, class mit den Nervenfasern auch die Epitkel-und die Riechzellen gleichm\u00e4ssig von der Fettentartung betroffen werden.\nDie von Hoffmann an Fr\u00f6schen gemachten Beobachtungen wurden von Exner (cit. S. 228) best\u00e4tigt, welcher eben angibt, dass beide Zellarten und die Nervenfasern zuerst eine fettige Degeneration erleiden, und dass nach zwei Monaten an Stelle des durch eigen-tk\u00fcmliche Flimmerhaare und verk\u00e4ltnissm\u00e4ssig immense H\u00f6he ausgezeichneten Riechepithels des Frosches ein massig hohes, keinerlei hervorragende Eigenschaften darbietendes, flimmerloses Cylinderepi-thel vorgefunden wird. Die Riechzellen (M. Schultze) wandeln sich, indem sie zugleich k\u00fcrzer werden, in jene Ersatzzellen um, die man auch in anderen Cylinderepithelien findet. Bei Kaninchen dagegen gelangte Exner zu keinem Resultat, er hat jedoch den Gegenstand bei diesen\u2019Thieren nicht weiter verfolgt.\nIII. Mechanische Einrichtungen der Nasenh\u00f6hle.\n1. Vorbemerkungen.\nBeim Auge und beim Geh\u00f6r finden wir complicirte Einrichtungen, um den ad\u00e4quaten Reiz bis zur Nervenendigung zu leiten, aber auch beim Geruchsorgan sind einige mechanische Vorkehrungen getroffen, mittels welchen die mit Riechstoffen geschw\u00e4ngerte Luft bis zur Riechschleimhaut gelangen kann. Bidder (cit. S. 238).\nDas Riechbare muss durch eine Luftstr\u00f6mung der Nase zu g e f\u00fch r t werden. Bringt man z. B. eine stark riechende Substanz (Ammoniak, Campher) unter die Nase, so wird man, so lange der Athem angehalten, oder bloss durch den Mund respirirt wird, keinen Geruch wahrnehmen. [Bidder (cit. S. 238), Wagner (cit. S. 238), J. M\u00fcller (cit. S. 237), Longet.1 2] Wir k\u00f6nnen diese Verkaltungsmassregel auch ben\u00fctzen, wenn wir durch eine \u00fcbelriechende Atmosph\u00e4re gehen. Longet (1. c.) gibt an, dass, wenn wir die Geruchsempfindung vermindern wollen, wir zuerst eine starke Exspiration ausf\u00fchren, und hierauf durch den Mund inspiriren, dabei soll sich der weiche Gaumen heben und so die Bewegung der Luft innerhalb der Nase vermindern.\nWeiss 2 hat, um die Geruchsempfindung willk\u00fcrlich zu unterdr\u00fccken,\n1\tLonget, Trait\u00e9 de Physiologie III. 3. Ed. Paris 1869.\n2\tWeiss, \u00dceb. ein Verfahren, die Geruchsempfindung nach Belieben zu sistiren. Oesterr. Zeitschrift f\u00fcr Heilkunde. Nr. 13. 1866, nach Jahresber. \u00fcber die Leistungen und Fortschritte in der gesammten Medicin von B. Virchow u. A. Hirsch. I. S. 134. 1866.\n16*","page":243},{"file":"p0244.txt","language":"de","ocr_de":"244\nv. Yintschgau, Geruchssinn. 1. Cap. Geruchsorgan.\nden jedenfalls schwer auszuf\u00fchrenden Vorschlag gemacht, den Zugang zur Nasenh\u00f6hle durch das Gaumensegel zu verschliessen; unwillk\u00fcrlich \u00fcben wir diese Praxis beim Schlucken, Gurgeln u. s. w., willk\u00fcrlich nach Weiss\u2019 Rath durch fl\u00fcsterndes Aussprechen von p nach tiefer Inspiration.\nNach Hutin 1 soll die Anwachsung des weichen Gaumens an der hinteren Wand der Pharynxh\u00f6hle Anosmie erzeugen.\nDass auch bei unterdr\u00fcckter In- uncl Exspiration die riechenden Theilchen in die Nase eindringen, kann man sehr leicht dadurch beweisen, dass unter die Nase solche Stoffe gehalten werden, welche gleichzeitig auch die Gef\u00fchlsnerven erregen; in einem solchen Fall beobachtet man alle jene Erscheinungen (Stechen, Prickeln, Thr\u00e4nen-absonderung), welche eben von den sensitiven Nerven abh\u00e4ngen [Bidder (cit. S. 238), Valentin'* 2, Picht (cit. S. 237), Dug\u00e9s (cit. S. 237)]. Aber auch beim gew\u00f6hnlichen Athmen ist die Geruchsempfindung nicht sehr deutlich \u2014 besonders bei schwach riechenden Stoffen \u2014 erst, wenn wir eine tiefe Inspiration und noch mehr, wenn wir hintereinander mehrere kurze und tiefe Inspirationen ausf\u00fchren, tritt die Geruchsempfindung deutlich hervor.\nBidder [(cit. S. 238) S. 920] und Fick3 (S. 100) f\u00fchren an, dass bei jeder kr\u00e4ftigen Einathmung die Nasenl\u00f6cher sich erweitern, und diese Erweiterung der Nasenl\u00f6cher f\u00f6rdert \u00fcberhaupt das Riechen insofern, als dadurch der ganze Luftstrom verst\u00e4rkt wird. Auch Valentin [(cit. Note 2) S. 286] gibt an, dass beim Aufriechen oder Schn\u00fcffeln die Nasenl\u00f6cher sich erweitern.\nWir m\u00fcssen aber hier erw\u00e4hnen, dass Bell [(cit. S. 237) S. 133] Folgendes anf\u00fchrt: \u201eIn jedem Nasenloch befinden sich zwei kreisf\u00f6rmige Oeffnungen, von denen die innere etwas \u00fcber einen halben Zoll von der \u00e4usseren absteht. Der innere Ring dehnt sich beim vollen Einathmen aus und kommt niedriger zu stehen ; beim Riechen dagegen wird er verengt und in die H\u00f6he gezogen. Diese Ver\u00e4nderung in der Gestalt und Beziehung des \u00e4usseren und inneren Nasenloches wird durch eine die Knorpel bewegende Action der Muskeln bewirkt, wodurch der Luftstrom intensiv verst\u00e4rkt und aufw\u00e4rts nach dem Sitz des Geruchssinnes getrieben wird.\u201c\nEs sei hier bemerkt, dass man das Vorhandensein der inneren Oeffnung an sich selber mittels eines Spiegels sehr gut beobachten kann. Dieselbe tritt besonders deutlich zum Vorschein, wenn beim\nt Hutin, angef. von Poinsot, Olfaction in Nouveau dictionnaire de m\u00e9decine et de Chirurgie pratiques XXIV. 1877.\n2\tValentin, Lehrbuch der Physiologie des Menschen II. 2. Abtheilung Braunschweig 1848.\n3\tFick, Lehrbuch der Anatomie und Physiologie der Sinnesorgane. Lahr 1864.","page":244},{"file":"p0245.txt","language":"de","ocr_de":"Anatomische Verh\u00e4ltnisse der Nasenh\u00f6hle.\n245\nruhigen Athmen die Oberlippe und mit ihr die Nasenscheidewand herabgezogen wird, macht man nun zugleich Respirationsbewegungen wie beim Schn\u00fcffeln, so wird man deutlich sehen, wie durch das Einsinken des Nasenfl\u00fcgels die innere Oeffnung etwas enger wird; dass dieselbe zugleich auch h\u00f6her zu stehen komme, konnte ich bei mir nicht beobachten. Ausserdem kann man sich auf sehr verschiedene Weise \u00fcberzeugen, dass beim tiefen Einathmen durch die Nase die Nasenl\u00f6cher sich nicht erweitern, sie \u00e4ndern entweder ihre Gestalt gar nicht oder sie werden etwas enger.\nDiday1 hat ebenfalls eine Verengerung der Nasenl\u00f6cher wahrgenommen und Funke2 machte eine \u00e4hnliche Beobachtung an sich selbst und an Hunden. Braune und Clasen3 geben sogar an, dass bei kurzen und heftigen Inspirationen die Nasenl\u00f6cher fast bis zum v\u00f6lligen Verschluss gebracht werden k\u00f6nnten, wenn die Muskeln nicht die Nasenfl\u00fcgel feststellen w\u00fcrden und man k\u00f6nne die Wirkung dieser Muskeln bei Dyspnoe sehen. Diday4, um die Wichtigkeit der Verengerung des Nasenloches f\u00fcr das Riechen zu beweisen, theilt mit, dass, wenn man durch eine Glasr\u00f6hre, welche das Nasenloch erweitert, die mit einem Geruch beladene Luft inspirirt, fast gar keine Geruchsempfindung zu Stande kommt.\n2. Die anatomischen Verh\u00e4ltnisse der Nasenh\u00f6hle.\nWir m\u00fcssen nun auf einige anatomische Verh\u00e4ltnisse n\u00e4her eingehen, welche vorzugsweise von H. Meyer5) (vgl. auch Fick [cit. S. 244]) n\u00e4her ber\u00fccksichtigt wurden.\nAn einem Querschnitt der Nasenh\u00f6hle lassen sich zwei von einander abgegrenzte Theile leicht unterscheiden, der obere Theil stellt eine schmale Spalte dar, welche seitlich von der Lamina turbinalis des Siebbeins und der Nasenscheidewand begrenzt wird. In der Schleimhaut, welche die W\u00e4nde dieser Spalte \u00fcberzieht, finden wir die Ver\u00e4stelungen des Olfac-torius und deshalb wird diese Spalte die Geruchs spalte, Fissura olfactoria genannt. Den unteren Theil, der bedeutend ger\u00e4umiger ist als der obere, und ein wenig von der in ihn hineinragenden unteren Muschel beengt wird, nennt man auch den Luftweg, Athmungsweg, Luftgang, Ductus a\u00ebriferus im engeren Sinne. \u2014 Die Geruchs-\nm\n1\tDiday. M\u00e9moire sur les appareils musculaires annex\u00e9s aux organes des sens. Gaz. m\u00e9d. de Paris 1838. Angef\u00fchrt nach Longet, Trait\u00e9 etc. (cit. S. 243).\n2\tFunke, Lehrbuch der Physiologie IL 3. Aufl. Leipzig 1860.\n3\tW. Braune und F. E. Clasen, Die Nebenh\u00f6hlen der menschlichen Nase in ihrer Bedeutung f\u00fcr den Mechanismus des Riechens. Ztschr. f\u00fcr Anat. u. Entwicklungsgeschichte II. S. lu. folg. 1876.\n4\tAngef\u00fchrt nachPoiNSOT, Olfaction in Nouveau etc. cit. S. 244, und Todd, The Cyclopaedia IV. Part. I. p. 552. London 1847\u201449.\n5\tH. MeYER, Lehrbuch der Anatomie des Menschen. 2. Aufl. S. 617 u. folg. Leipzig 1861.","page":245},{"file":"p0246.txt","language":"de","ocr_de":"246\nV. Vintschgau, Geruchssinn. 1. Cap. Geruchsorgan.\nspalte und der Athmungsweg stehen mit einander in Communication durch eine verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig sehr enge Spalte, welche von dem unteren, nur in seinem vorderen Theil nach aussen umrollten, horizontalen Rand der mittleren Muschel und von der an dieser Stelle fast nie fehlenden Verdickung der Scheidewand begrenzt wird. \u2014 Der untere horizontale Rand der mittleren Muschel steigt vorn schief nach aufw\u00e4rts (aufsteigender Rand) und an seinem oberen Ende beginnt ein rundlicher Vorsprung (Nasend\u00e4mm \u2014 Agger na si), welcher nach abw\u00e4rts sich umbiegt, dann dem Nasenr\u00fccken parallel verl\u00e4uft, zugleich flacher wird und sich bis gegen das vordere Ende des Nasenloches erstreckt; das untere Ende des Nasendammes kann auch an der eigenen Nase mittels eines Spiegels gesehen werden. \u2014 Dieser Damm, welcher einen nach oben convexen Bogen beschreibt, bildet somit die Grenze zweier Rinnen, einer hinteren breiteren (Sulcus nasal is), die ziemlich breit ist und in den Luftgang f\u00fchrt, und einer schm\u00e4leren vorderen zwischen Nasenr\u00fccken und Nasendamm, welche in die Riechspalte f\u00fchrt. \u2014 Es sei noch erw\u00e4hnt, dass die Nebenh\u00f6hlen der Nase (Highmors-, Stirn-, Keilbeinh\u00f6hlen und die Siebbeinzellen) nach ihrer Ausm\u00fcndung in die Nasenh\u00f6hle sich in zwei Gruppen theilen lassen. Die hinteren Siebbeinzellen und die Keilbeinh\u00f6hlen m\u00fcnden in den oberen (Fissura ethmoidalis superior s. Meatus narium superior), die Stirn- und die Kieferh\u00f6hlen, sowie die vorderen Siebbeinzellen in den mittleren Nasengang (Fissura ethmoidalis inferior s. Meatus narium m\u00e9dius). Wir k\u00f6nnen uns hier auf keine weiteren anatomischen Schilderungen einlassen und verweisen auf das oben S. 245 citirte Lehrbuch von Meyer und auf die Abhandlung von Braune und Clasen (cit. S. 245), in welcher die n\u00e4heren Verh\u00e4ltnisse der Einm\u00fcndungen der verschiedenen Nebenh\u00f6hlen geschildert werden.\n3. Der Luftstrom durch die Nase.\nIm normalen Leben gehen bekanntlich durch die Nasenh\u00f6hle abwechselnd zwei Luftstr\u00f6mungen: der Einathmungs-strom von'den Nasenl\u00f6chern zu den Choanen und der Ausathin un g s str\u00f6m in umgekehrter Richtung. \u2014 Bei der Einathmung str\u00f6mt die Luft zuerst in einer Richtung ein, welche senkrecht auf die Ebene der Nasenl\u00f6cher ist; dann muss dieser Strom umbiegen, um durch die Choanen in die Pharynxh\u00f6hle zu gelangen. Zu der Geruchsspalte selbst kann nur eine sehr geringe Menge Luft gelangen, da der Athmungsweg ziemlich breit ist und der Luftstrom, welcher durch den sulcus nasalis fliesst, von der trompetenartigen Oeffnung des vorderen aufsteigenden Randes der mittleren Muschel (Apertura conchae mediae) aufgefangen und direct in den Pharynx geleitet wird. Ein kleiner Theil aber der Einathmungsluft wird in die Rinne, welche oberhalb des Nasendammes unmittelbar am Nasenr\u00fccken sich befindet, str\u00f6men und so in die Geruchsspalte gelangen.\nBei der Ausathmung schl\u00e4gt dagegen der Luftstrom fast aus-","page":246},{"file":"p0247.txt","language":"de","ocr_de":"Luftstrom durch die Nase. Riechen.\n247\nschliesslich den Athmungsweg ein, weil die Geruchsspalte hierbei von jenem beinahe vollst\u00e4ndig abgesperrt ist. Die Geruchsspalte wird n\u00e4mlich durch den Keilbeink\u00f6rper wie durch einen Schirm gesch\u00fctzt [Fick (cit. S. 244)]; ausserdem liegt das hintere Ende der mittleren Muschel dem oberen Rande der Choanen sehr nahe und \u00fcber demselben befindet sich noch ein kleiner Raum, durch welchen der Luftstrom nach oben durch die Geruchsspalte dringen k\u00f6nnte. Der kleine Theil des Luftstromes nun, welcher diesen Weg einschl\u00e4gt, gelangt in den oberen Nasengang, welch\u2019 letzterer hinten weiter ist wie vorn und in die H\u00f6hle der hinteren Siebbeinzellen \u00fcbergeht. In Folge hiervon muss auch der zuletzt erw\u00e4hnte Luftantheil nach unten abgeleitet werden, so dass auch von diesem partiellen Strom nicht viel in die Geruchsspalte eintreten kann.\n4. Deductionen aus den mechanischen Einrichtungen der Naseiih\u00f6hle.\nAus den eben geschilderten Verh\u00e4ltnissen lassen sich die meisten Erscheinungen erkl\u00e4ren, die wir beim Riechen beobachten.\nDer Riechact ist regelm\u00e4ssig an die Einathmung gekn\u00fcpft und je mehr Luft wir einziehen, um so intensiver ist der Sinneseindruck, wir schliessen deshalb den Mund um alle Luft sammt den Riechtheil-chen durch die Nase passiren zu lassen. Der mit riechenden Theil-chen beladene Ausathmungsstrom erzeugt nur eine schwache Geruchsempfindung, ganz ausgeschlossen ist eine solche allerdings nicht, da wir beim Ructus sehr oft eine deutliche Geruchsempfindung haben.\nLudwig1 bemerkt, dass bei einiger Aufmerksamkeit der Unterschied im Verbreitungsbezirk der mit Macht eingezogenen und aus-gestossenen Luft deutlich wahrgenommen werden k\u00f6nne. W\u00e4hrend im ersten Fall der Strom deutlich bis gegen die Decke der Nase aufsteige, beschr\u00e4nke er sich im zweiten auf den unteren und mittleren Nasengang,\nHaller 2 3, B\u00e9rard 3 haben die M\u00f6glichkeit des Riechens beim Aus-athmen geleugnet. Cl. Perrault4, Debrou5, Longet (cit. S. 243), Poinsot 6\n1\tC. Ludwig, Lehrbuch der Physiologie des Menschen I. 2. Aufl. Leipzig und Heidelberg 1856.\n2\tHaller, Elem. Physiologiae corporis humani Y. p. 173. Lausannae 1769.\n3\tB\u00e9rard, Olfaction in Dictionnaire demed\u00e9cine XXn. Paris 1840, angef\u00fchrt nach Longet, Trait\u00e9 etc. (cit. S. 243).\n4\tCl. Perrault, M\u00e9canique des animaux III. p. 341. 1. partie chap. III. des Oeuvres de physique et de m\u00e9canique. Amsterdam 1727, angef\u00fchrt nach Longet, Trait\u00e9 etc. (cit. S. 243).\n5\tDebrou , Peut-on percevoir des odeurs qui arrivent dans le nez par l\u2019ouverture post\u00e9rieure des fosses nasales? Th\u00e8se inaug. Paris 1841. 31. Ao\u00fbt. No. 266, angef\u00fchrt nach Poinsot, Olfaction etc. (cit. Note 6).\n6\tPoinsot, Olfaction in Nouveau dictionnaire de m\u00e9decine et de chirurgie pratiques XXIY. 1877.","page":247},{"file":"p0248.txt","language":"de","ocr_de":"248\nv. Vintschgau, Geruchssinn. l.Cap. Geruchsorgan.\ntheilen die Ansicht, dass auch beim Ausathmen eine Geruchsempfindung, wenn auch schw\u00e4cher zu Stande komme.\nDebrou f\u00fchrt folgenden Versuch an; er trank Orangenbl\u00fcthenwasser (eau affaiblie de fleurs d\u2019oranger), welches den Geschmack nicht erregt; gleich nachher exspirirte er durch die Nase und der Geruch trat nun deutlich hervor. Wenn er die Nasenfl\u00fcgel vor der Exspiration zusammenpresste, so fand er, dass die Empfindung in demselben Moment, in welchem er die Nasenfl\u00fcgel wieder losliess, st\u00e4rker wurde; nach Debrou\u2019s Ansicht deshalb, weil die riechenden Theilchen sich mittlerweile in der Nase gesammelt hatten und nun einen k\u00fcnstlichen Strom herstellten, \u00e4hnlich (?) dem beim normalen Riechen (flairant).\nAuch Bidder1 (S. 25) hatte beobachtet, dass, wenn man ein St\u00fcck Campher in den Mund nimmt, beim Ausathmen durch die Nase ein schwacher Geruch wahrgenommen wird.\nLonget (cit. S. 243) f\u00fchrt zwei Beobachtungen an Kranken (Magenkrebs mit einem sehr stinkenden Erbrechen bei dem einen, Lungengangr\u00e4n beim zweiten) an, welche anfangs, wenn sie durch die Nase exspirirten, den \u00fcblen Geruch wahrnahmen, sp\u00e4ter aber nicht mehr. Endlich berichtet noch dieser Forscher, dass wir beim Genuss von Substanzen, welche sowohl auf den Geschmack als auch auf den Geruch wirken, bei der Exspiration die Geruchsempfindung haben, welche aber fehlt, sobald die Nase geschlossen wird (vgl. auch Geschmackssinn S. 146).\nDass der Geruch von Seite Kranker oder von Individuen, welche stark riechende Substanzen gemessen, nicht fortw\u00e4hrend wahrgenommen wird, r\u00fchrt davon her, dass die lang andauernde Erregung die Empfindung wesentlich vermindert.\nDiejenige Luft, welche durch den vorderen Theil der Nasenl\u00f6cher einstr\u00f6mt, ist f\u00fcr das Riechen wesentlicher als jene, welche durch den hinteren Theil derselben eindringt. \u2014 Fick (cit. S. 244) steckte ein Kautschukr\u00f6hrchen mit einem Ende in die Nase mit dem anderen in den Hals einer Flasche, welche eine stark riechende Fl\u00fcssigkeit enthielt und athmete dann ein. Wurde das R\u00f6hrchen in den hinteren Theil des Nasenloches eingef\u00fchrt, mit der Oef\u00eenung gegen die mittlere oder gar gegen die untere Muschel gerichtet, so konnte fast gar kein Geruch wahrgenommen werden; wurde dagegen die R\u00f6hre vorne ganz dicht am Nasenr\u00fccken liegend eingef\u00fchrt, so dass ihre Oeffnung oberhalb des Nasendammes in der fr\u00fcher S. 246 angef\u00fchrten Rinne sich befand, dann war der Geruch in voller Intensit\u00e4t vorhanden. \u2014 Verstopft man das Nasenloch an seinem hinteren Theil, dann ist der Geruch nicht wesentlich beeintr\u00e4chtigt, wird aber dasselbe nur an seiner vordersten Partie verschlossen, dann ist der Geruch immer sehr schwach. \u2014 Daraus l\u00e4sst es sich vielleicht erkl\u00e4-\n1 Bidder, Neue Beobachtungen \u00fcb. die Bewegungen des weichen Gaumens und \u00fcber den Geruchssinn. Dorpat 1838.","page":248},{"file":"p0249.txt","language":"de","ocr_de":"Riechen.\n249\nren, warum der Verlust der Nase sehr h\u00e4ufig Geruchslosigkeit nach sich zieht. [Vergl. auch Cloquet (cit. S. 225) S. 233.] B\u00e9clard1 hat bei Menschen nach Zerst\u00f6rung der Nase Anosmie beobachtet; B\u00e9rard (cit. S. 247) sah jedoch einige Ausnahmen. Cloquet (1. c.) f\u00fchrt auch an, dass solche Personen, welche die Nase verloren haben, den Geruch wieder bekommen, wenn man ihnen ein R\u00f6hrchen in die Nasengruben einf\u00fchrt, oder eine k\u00fcnstliche Nase ansetzt.\nNach Fick (cit. S. 244) lassen sich vor der Hand durch die angef\u00fchrten mechanischen Einrichtungen einige Erfahrungen Bidder\u2019s nicht erkl\u00e4ren. \u2014 \u201eWenn\u201c, sagt Bidder [(cit. S. 238) S. 920] [vergl. auch Bidder (cit. S. 248) S. 25] \u201eein Strom riechbarer Luft so in die Nase geleitet wird, dass er nicht direct die untere Muschel trifft, z. B. Campherd\u00fcnste durch die Spitze eines Trichters, so wird die Geruchsempfindung um so schw\u00e4cher werden, je tiefer die Spitze in die Nasenh\u00f6hle eingebracht wird, je mehr also die Ausbreitung der Luft im Vordertheil der Nase und an der unteren Muschel verhindert ist\u201c. Fick [(cit, S. 244) S. 100 Note] vermuthet, dass Bidder die Spitze des Trichters bei diesen Versuchen nie ganz vorn dicht an den Nasenr\u00fccken gelegt habe.\nBidder hat weiter Folgendes mitgetheilt: Dasselbe St\u00fcckchen Campher, das, unter die Nase gehalten, die lebhafteste Geruchsempfindung erregt, h\u00f6rt sogleich in dieser Weise zu wirken auf, sobald man es in die Nase einf\u00fchrt, indem in letzterem Falle nur die Affection der Gef\u00fchlsnerven sich erh\u00e4lt, \u2014 Dieser Versuch k\u00f6nnte vielleicht eine Erkl\u00e4rung darin finden, dass Bidder das Campherst\u00fcck in die hintere Partie des Nasenloches eingef\u00fchrt hat.\nDie eben mitgetheilte Beobachtung Bidder\u2019s erinnert an eine Angabe Cloquet\u2019s (cit. S. 225), derzufolge schon Galenus beobachtet hatte, dass selbst dann, wenn die Nasenh\u00f6hlen mit einer riechenden Substanz angef\u00fcllt sind, nur bei tiefem Einatlimen der Sinneseindruck stattfindet.\nEin pathologischer Fall hat Bidder [(cit. S. 238) S. 9212] Gelegenheit geboten einen Versuch anzustellen, dessen Erkl\u00e4rung jedoch noch nicht gegeben ist. Bei einem Manne war in Folge Exstirpation einer Geschwulst die ganze rechte Nasenh\u00e4lfte und der hintere obere Theil der Nasenscheidewand entfernt worden, so dass die beiden oberen Muscheln der linken Seite frei dalagen. Durch das linke noch erhaltene Nasenloch konnte dieser Mann ganz wohl riechen;\n1\tB\u00e9clard angef\u00fchrt nach Longet in Trait\u00e9 etc. cit. p. 243.\n2\tF\u00fcr die ausf\u00fchrliche Beschreibung vergl. Bidder, Neue Beobachtungen etc, (cit. S. 248).","page":249},{"file":"p0250.txt","language":"de","ocr_de":"250\nv. Vintschgau, Geruckssinn. 1. Cap. Geruchsorgan.\nwurde dieses aber geschlossen, so dass der Luftstrom nur durch die k\u00fcnstliche Oeffnung und also unmittelbar zu den beiden oberen Muscheln gelangen konnte, so fand keine Geruchsempfindung statt.\nEbenso unerkl\u00e4rlich ist die weitere Angabe Bidder\u2019s [Riechen etc. (cit. S. 238) S. 923 und Neue Beobachtungen etc. (cit. S. 248) S. 23], dass eine durch andere Mittel als durch das Athmen erzeugte Str\u00f6mung riechbarer Luft keine Geruchsempfindung veranlasse ; man beobachte dies z. B. wenn man in eine Injectionsspritze stark riechende Substanzen giebt und durch Niederdr\u00fccken des Stempels die damit impr\u00e4gnirte Luft in die Nase treibt. Vielleicht ist es m\u00f6glich, dass Bidder auch bei diesen Versuchen die Oeffnung der Injectionsspritze bloss an den hinteren Theil des Nasenloches appli-cirt hat.\nBidder hat die eben erw\u00e4hnten Versuche vorgenommen, weil Bischoff 1 die Ansicht vertheidigte, dass wenigstens bei Thieren auch ein auf andere Weise, n\u00e4mlich nicht durch die Respiration bewegter Luftstrom, welcher mit riechenden Stoffen beladen ist, eine Geruchsempfindung zu erregen vermag, sobald dieser Luftstrom die innere Nase trifft.\nBidder [(Riechen etc. cit. S. 238) S. 922] f\u00fchlt sich aus seinen verschiedenen Versuchen veranlasst zu behaupten, dass die untere Muschel ,,an der specifischen Geruchsempfindung\u201c einen ganz unbestreitbaren Antheil habe. Fick (cit. S. 244) bemerkt aber, dass diese Ansicht durch die von Bidder mitgetheilten Erfahrungen noch nicht gen\u00fcgend bewiesen sei, soviel gehe jedoch aus denselben hervor, dass ein besonderer Mechanismus des Luftstromes f\u00fcr den Riechakt noth-wendig ist. (Ueber die Bedeutung der unteren Muschel vergleiche auch sp\u00e4ter S. 251.)\n5. Die Nebenh\u00f6hlen der Nase.\nDie Nebenh\u00f6hlen der Nase dienen gewiss nicht zur Perception der Ger\u00fcche. Die anatomische Beobachtung, dass der Olfactorius keine Zweige zur Schleimhaut derselben sendet, w\u00e4re hinreichend, um die angef\u00fchrte Behauptung zu begr\u00fcnden; wir besitzen aber auch directe Versuche, welche beweisen, dass, wenn die Riechstoffe mit der Schleimhaut der Nebenh\u00f6hlen in Ber\u00fchrung kommen, gar keine Geruchsempfindung zu Stande kommt.\n1 Bischoff, Encycl. W\u00f6rterbuch der med. Wissenschaften. Herausg. zu Berlin XIV. Artikel Geruchssinn. S. 439. angef\u00fchrt nach Bidder. Neue Beobachtungen etc. (cit. S. 248).","page":250},{"file":"p0251.txt","language":"de","ocr_de":"Nebenh\u00f6hlen der Nase.\n251\nDechamps 1 injicirte Riechstoffe in die ge\u00f6ffnete Stirnh\u00f6hle, Richerand 1 2 3, Bidder [(eit. S. 248) S. 26], Hyrtl 3 haben Riechstoffe in die ge\u00f6ffnete Highmorsh\u00f6hle eingef\u00fchrt. Die Patienten hatten keine Geruchsempfindung.\nUeber die physiologische Bedeutung dieser H\u00f6hlen sind, jedoch die Acten noch nicht geschlossen.\nJ. M\u00fcller [(eit. S. 237) II, S. 487] scheint den Nebenh\u00f6hlen der Nase bloss die mechanische Bedeutung einer Erleichterung des Gewichtes des Gesichtsskeletes zuzuschreiben, eine Ansicht, welche auch von Henle4 (S. 856) ausgesprochen wird. Braune und Clasen (eit. S. 245) haben berechnet, dass, wenn die Nebenh\u00f6hlen der Nase mit spongi\u00f6ser Knochensubstanz ausgef\u00fcllt w\u00e4ren, der Kopf um etwa l\u00b0o st\u00e4rker belastet sein w\u00fcrde ; dies h\u00e4tte immerhin eine Bedeutung, da die Mehrbelastung nicht den gesammten Kopf gleichm\u00e4ssig betreffen w\u00fcrde, sondern ziemlich weit nach vorn zu liegen k\u00e4me.\nBidder [Neue Beobachtungen etc. (cit. S. 248) S. 26 und Riechen etc. (cit. S. 238)] \u00e4ussert die Ansicht, dass die Bedeutung der Nebenh\u00f6hlen in der Erhaltung des normalen Feuchtigkeitsgrades der Nasenschleimhaut zu liegen scheine, da bei jeder Kopfstellung aus einem oder dem anderen dieser Hilfsr\u00e4ume das Sekret in die Nasenh\u00f6hle abfliessen k\u00f6nne.5 6 Dieser Ansicht hat sich auch Hyrtl0 angeschlossen. Braune und Clasen (cit. S. 245) sprechen sich aus anatomischen Gr\u00fcnden gegen eine solche Auffassung aus.\nF\u00fcr Valentin [(cit. S. 244) S. 289] ist der Nutzen der Nebenh\u00f6hlen der Nase noch v\u00f6llig unbekannt und da dieselben erst zur Zeit der Geschlechtsreife ihre vollkommene Ausbildung erlangen, w\u00e4hrend der Geruchssinn schon fr\u00fcher den n\u00f6thigen Grad von Sch\u00e4rfe erreicht, so k\u00f6nne man mit Recht vermuthen, dass die Nebenh\u00f6hlen keine Hauptrolle f\u00fcr das Riechen \u00fcbernehmen.\nNach Meyer [(cit. S. 245) S. 622] haben die Nebenh\u00f6hlen dieselbe Bedeutung wie die untere Muschel, sie erw\u00e4rmen n\u00e4mlich die inspi-rirte Luft, ehe sie in den Kehlkopf gelangt; die untere Muschel er-\n1\tDeschamps, Des maladies des fosses nasales et de leur sinus, p. 62. Paris 1803, angef\u00fchrt nach Longet, Trait\u00e9 etc. (cit. S. 243).\n2\tRicherand. El\u00e9ments de physiologie IL 10. Ed. p. 272. Paris 1833, angef\u00fchrt nach Longet, Trait\u00e9 etc. (cit. S. 243).\n3\tHyrtl, Lehrbuch der Anatomie des Menschen. 2. Aufl. S. 399. Wien 1851.\n4\tHenle, Handb. der Eingeweidelehre des Menschen. 2. Aufl. Braunschweig\n1873.\n5\tMalacarne (I sistemi e la reciproca loro influenza. Padova 1803), Weinhold (Ideen \u00fcber die abnormen Metamorphosen der Highmorsh\u00f6hle. S. 31. Leipzig 1810), Trevirantjs (Biologie YI. S. 262) halten die Nebenh\u00f6hlen der Nase nur f\u00fcr ein grosses Absonderungsorgan (angef\u00fchrt nach Eble, Versuch einer pragmatischen Geschichte der Anatomie und Physiologie vom Jahre 1800\u20141825. Wien 1836).\n6\tHyrtl, Handbuch d. topographischen Anatomie I. 5. Aufl. S. 299. Wien 1865.","page":251},{"file":"p0252.txt","language":"de","ocr_de":"252\ny. Vintschgau, Geruchssinn. 1. Cap. Geruchsorgan.\nw\u00e4rme die Luft direct, die Nebenh\u00f6hlen dagegen indirect durch Beimengung erw\u00e4rmter Luft.\nHilton1 2 hat die Ansicht aufgestellt, dass die Nebenh\u00f6hlen in directes Beziehung zu dem Mechanismus des Riechens stehen. \u2014 E. Weber (nach Braune und Clasen) sprach in seinen Vorlesungen die Vermuthung aus, dass die Higmorsh\u00f6hle wegen ihrer Einm\u00fcndung in die Regio olfactoria in Beziehung zum Riechen stehen m\u00fcsse. \u2014 B\u00e9rard 2 behauptet, dass die Sinus dazu dienen, um die mit Ger\u00fcchen beladene Luft in alle Nasenr\u00e4ume zu leiten, und wenn, nachdem wir bereits aufgeh\u00f6rt haben zu riechen, sp\u00e4ter wieder ein Geruch auftritt, so r\u00fchre dies wahrscheinlich davon her, dass die riechende Luft, welche in die Sinus gelangt ist, nun aus denselben ausstr\u00f6mt.\nBraune und Clasen haben die Ansicht von Hilton und Weber angenommen. Sie massen am lebenden Menschen, indem sie ein Manometer luftdicht in das eine Nasenloch einf\u00fchrten, den negativen Druck, welcher, wenn unter verschiedenen Bedingungen \u2014 bei ge\u00f6ffnetem oder geschlossenem Munde, bei Ver\u00e4nderungen des noch freien Nasenloches \u2014 inspirirt wird, innerhalb der Nasenh\u00f6hle auftritt. Zugleich stellten sie auch Controlversuche an der Leiche an, indem sie je ein Manometer in ein Nasenloch und in eine Oberkieferh\u00f6hle einf\u00fchrten. Durch diese Versuche fanden sie, dass mit der Inspiration eine Luftverd\u00fcnnung sowohl in der Nasenh\u00f6hle, wie auch in den Nebenh\u00f6hlen zu Stande kommt, und dass der Grad dieser Verd\u00fcnnung von der Tiefe und Schnelligkeit der Atkembewegung abh\u00e4ngt. Daraus haben die Verfasser den weiteren Schluss gezogen, dass indem die Luft allm\u00e4hlig wieder in die zuvor unter negativen Druck befindlichen Nebenh\u00f6hlen eindringt und das Gleichgewicht herstellt, in Folge der Lage der Verbindungsg\u00e4nge der Neb\u00e9nh\u00f4hlen die gesammte Regio olfactoria bestrichen wird. Die gerade nach aufw\u00e4rts f\u00fchrende Richtung der Nasenl\u00f6cher beg\u00fcnstige noch diese Str\u00f6mung.\nDer von den Verfassern gezogene Schluss scheint mir indess nicht ganz gerechtfertigt; so lange n\u00e4mlich die Inspiration dauert, dauert auch das Auspumpen der Luft aus den Nebenh\u00f6hlen, das Gleichgewicht kann somit erst nach Vollendung der Inspiration hergestellt werden, wir haben aber eine sehr deutliche Geruchsempfindung schon gleich im Beginne der Inspiration.\n1\tHilton, Notes of the developmental and functional relations of certain portions of the cranium. London 1855, angef\u00fchrt nach Braune und Clasen (cit. S. 245).\n2\tB\u00e9rard, Olfaction etc. (cit. S. 247). Vergleiche auchPoiNSOT, Olfaction etc. (cit. S. 247).","page":252},{"file":"p0253.txt","language":"de","ocr_de":"2. Cap. Die Reize f\u00fcr das Geruchsorgan. Elektrische Reize.\n253\nZWEITES CAPITEL.\nDie Reize f\u00fcr das Geruchsorgan.\nI. Elektrische Reize.\nUnsere Kenntnisse Uber die Erregung einer Geruchsempfindimg durch elektrische Reize sind noch h\u00f6chst sp\u00e4rlich und auch die wenigen positiven Beobachtungen, die wir besitzen, sind nicht \u00fcber jeden Zweifel erhaben.\nVolta1 in seinen Nuove osservazioni sull\u2019 elettricit\u00e0 animale, ! ver\u00f6ffentlicht im Giornale fisico-medico del Signor Brugnatelli, Novembre 1792) sagt,'dass er vergebens versucht habe, den Geh\u00f6rs- und Geruchssinn mit Elektricit\u00e4t zu reizen. \u2014 Auch in seinem Brief an Banks, 2 3 1800, erw\u00e4hnt Volta, dass es ihm unm\u00f6glich war, mit der S\u00e4ule den Geruchssinn zu erregen. Er hatte wohl in der Nase ein Kribeln (picotement) mehr oder wenig schmerzhaft und Bewegungen (commotions) mehr oder weniger ausgedehnt, je nachdem der Strom mehr oder weniger stark war. \u2014 Den Grund des negativen Resultates sucht Volta darin, dass die Geruchsnerven nur durch Reize erregt werden, welche durch die Luft sich fortpflanzen und f\u00e4hig sind, den Nerv auf geeignete Weise zu erregen.\nC. H. Pfaff5 6 (S. 147) konnte mit einfacher Armatur keine Geruchsempfindung erhalten und nur S. 312 sagt er, dass die durch Elektricit\u00e4t erzeugte Geruchsempfindung die meiste Aehnlichkeit mit derjenigen habe, welche der Phosphor erregt. In diesem Falle handelt es sich aber blos um die Reibungselektricit\u00e4t und nicht um directe Reizung des Olfactorius. \u2014 Pfaff hat auch im Jahre 1828 4 (S. 739) lange nachdem Ritter seine Beobachtungen mitgetlieilt hatte, erw\u00e4hnt, dass die Einwirkung der galvanischen Kette ohne merklichen Erfolg auf das Geruchs- und Geh\u00f6rsorgan bleibt, sofern n\u00e4mlich von Erregung der diesen Sinnen zukommenden specifisehen Empfindungen die Rede ist.\nFowler 5 1796 (S. 116) und Humboldt 6 (S. 321\u2014322) hatten auf elektrische Reize keine Geruchsempfindung. Letzterer konnte wohl, wenn\n1\tCollezione delle operc del cav. conte Alessandro Volta II parte I. Firenze\n1816.\n2\tCollezione etc. II parte II.\n3\tC. H. Pfaff, Ueber thierische Elektricit\u00e4t und Reizbarkeit. Ein Beitrag zu den neuesten Entdeckungen \u00fcber diese Gegenst\u00e4nde. Leipzig 1795.\n4\tGehler\u2019s physikalisches W\u00f6rterbuch, neu bearbeitet von Brandes, Gmelin, H\u00f6rner, Muncke, Pfaff IV. 2. Abth. Leipzig 1828. Artikel Galvanismus.\n5\tA. Monro und R. Fowler, Abhandlung \u00fcber thierische Elektricit\u00e4t und ihren Einfluss auf das Nervensystem. Leipzig 1796.\n6\tF. A. von Humboldt , Versuche \u00fcber die gereizte Muskel- und Nervenfaser, nebst Vermuthungen \u00fcber den chemischen Process des Lebens in der Thier- u. Pflanzenwelt I. Posen u. Berlin 1797.","page":253},{"file":"p0254.txt","language":"de","ocr_de":"254 v. Vintschgatj, Geruchssinn. 2. Cap. Reize f\u00fcr das Geruchsorgan.\ner eine Zinkstange zwei Linien tief an die innere Zwischenwand der Nasenl\u00f6cher einf\u00fchrte und dieselbe mit einer auf der Zunge befindlichen Silbermtinze in Ber\u00fchrung brachte, einen sonderbaren Kitzel, von K\u00e4lte begleitet, in der Nase bemerken, sowie Dr\u00fccken im Kopfe und eine Neigung zum Niesen, wenn er den Versuch fortsetzte. Humboldt bemerkt aber ganz richtig, dass \u201ediese Empfindungen\u201c blos dem allgemein verbreiteten \u201eSinn des Gef\u00fchls\u201c angeh\u00f6ren.\nWir gelangen nun zu Ritter, welcher bei elektrischer Reizung des Geruchsorgans ganz eigenth\u00fcmliche Erscheinungen beobachtete.\nDie diesbez\u00fcgliche erste Arbeit Ritter\u2019s erschien im Jahre 1798.1 In dieser beschreibt er, wie er ein St\u00fcck Reissblei und ein St\u00fcck Zink so tief als m\u00f6glich in die Nasenh\u00f6hle einf\u00fchrte, sanft an die Nasenwand andr\u00fcckte und dann beide Metalle mit einander verband. Er hatte sowohl beim Schliessen der Armatur als auch w\u00e4hrend des Geschlossenseins derselben eigenth\u00fcmliche Empfindungen, jedoch keine Geruchsempfindungen. Er vergleicht diese Empfindungen in der Nase mit jenen, die man hat, wenn man in die Sonne sieht, oder wenn man Tabak schnupft. Wenn der Versuch lange dauerte, dann blieb in der Nase f\u00fcr l\u00e4ngere Zeit eine Empfindung zur\u00fcck, die der bei dem gew\u00f6hnlichen Schnupfen sehr \u00e4hnlich ist. Ritter f\u00fcgt noch hinzu : \u201e Ich \u00fcberlasse es Jedem, nach Anstellung dieses leicht zu machenden Versuchs zu entscheiden, ob die Nase dabei blos als Organ des Gemeingef\u00fchls oder zugleich als Geruchsorgan afficirt werde. \u201c Obwohl die beschriebenen Erscheinungen gewiss nur Gef\u00fchlsempfindungen sind, so scheint doch Ritter geneigt zu sein, dieselben von der Erregung der Geruchsnerven abzuleiten. In der eben citirten Abhandlung spricht er sich nicht bestimmt aus, wohl aber in jener, die er im Jahre 1801 2 (S. 460\u2014462) ver\u00f6ffentlichte: \u201eVersuche mit der Batterie haben mich indessen bewogen, wirklich f\u00fcr das letztere (Geruchsorgan) zu entscheiden\u201c; und nun beschreibt Ritter die Versuche, die er mit einer VoLTA\u2019schen S\u00e4ule von 20 Lagen Zink und Kupfer anstellte. Die Enden der Batterie bestanden aus abgerundeten, geh\u00f6rig starken Eisendr\u00e4hten, welche in die beiden Oeffnungen der Nase bis zu einer betr\u00e4chtlichen H\u00f6he hinauf gef\u00fchrt wurden. Die Empfindungen, welche Ritter hatte, passen aber nicht so sehr auf eine Geruchs-, als vielmehr auf eine Gef\u00fchlsempfindling. Er spricht n\u00e4mlich von einem heftigen, dr\u00fcckenden Schmerz auf der Zinkseite, von einer unausstehlich stechenden und schneidenden Empfindung auf der Silberseite; er spricht von einem heftigen Drang zum Niesen, welcher \u201eausdr\u00fccklich nur auf der Silberseite oder in der Nasenh\u00f6hle, die mit dem Silberdrahte der Batterie in Verbindung steht\u201c, wahrnehmbar ist. \u201eAuf der Zinkseite kann man eben so deutlich ausser dem das Gemeingef\u00fchl angehenden Schmerze .. . eine Modification der Nase als Organ des Geruchs wahrnehmen, diese aber ist keineswegs so niesenerregend wie jene, sondern geht\n1\tJ. W. Ritter, Beweis, dass ein best\u00e4ndiger Galvanismus den Lebensprocess in dem Thierreich begleite nebst neuen Versuchen und Bemerkungen \u00fcber den Galvanismus. Weimar 1798.\n2\tJ. W. Ritter, Versuche und Bemerkungen \u00fcber den Galvanismus der VoLTA\u2019schen Batterie. 2. Brief. Wirkung des Galvanismus der VoLTA\u2019schen Batterie auf menschliche Sinneswerkzeuge. Gilbert\u2019s Annal, d. Physik VIL S. 448. Halle 1801.","page":254},{"file":"p0255.txt","language":"de","ocr_de":"Elektrische Reize.\n255\nvielmehr auf das gerade Gegentheil von jenem aus.M \u2014 Ich glaube, dass man es auch bei diesen Beobachtungen Ritter\u2019s nur mit Gef\u00fchls-empfindungen zu thun hat. \u2014 Ritter wiederholte die Versuche in der Art, dass er den einen Draht der Batterie in der Hand hielt, den anderen in eine Nasen\u00f6ffnung f\u00fchrte. Wird die Silberseite der Batterie in die Nase gef\u00fchrt, dann hat man \u201eeinen grossen Drang zum Niesen\u201c, f\u00fchrt man nun rasch die Zinkseite in die Nase, so wird die Disposition dieses Organs zum Niesen allm\u00e4hlich aufgehoben \u201eund so ganz aus ihr entfernt, dass kein Gedanke darin mehr zur\u00fcckbleibt und doch ist w\u00e4hrend dessen die Nase der Einwirkung der Batterie so gut ausgesetzt wie vorhin.\u201c Endlich erw\u00e4hnt Ritter, dass die Empfindung an der Silberseite der Batterie einige Aehnlichkeit mit der hat, \u201ewelche der Geruch des Ammoniaks in der Nase erregt\u201c. Nur diese letzte Erscheinung kann f\u00fcr eine Geruchsempfindung sprechen. Aber auch in einer sp\u00e4teren Abhandlung 1 spricht Ritter fortw\u00e4hrend von schlagen, von stechen und schneiden und niemals von einer eigentlichen Geruchsempfindung. \u2014 In einer letzten Schrift2 3 endlich, in welcher auch von der Umkehrung der Empfindungen beim \u00d6effnen der Batterie die Rede ist, schildert Ritter die Erscheinungen mit folgenden Worten: \u201eIn der Nase erregt der negative Pol einen Drang zum Niesen, endlich dieses selbst, und zuweilen eine Spur von Geruch nach Ammoniak. Der positive Pol hingegen hebt die vorhandene F\u00e4higkeit zum Niesen auf, und bringt \u00fcberhaupt eine Abstumpfung der Nase, wie etwa durch oxygenirte Salzs\u00e4ure, hervor. Zuweilen hat man selbst deutlich eine Art von saurem Geruch. Beide Wirkungen halten mit dem Geschlossenbleiben der Kette an, und jede geht bei der Trennung in die ihr entgegengesetzte \u00fcber.\u201c\nAusser Volta, v. Humboldt, Fowler, Ritter, die wir oben angef\u00fchrt haben, erw\u00e4hnt Du Bois - Reymond 3 noch folgende Forscher, die sich mit diesem Gegenst\u00e4nde befassten: S. Cavallo4 5, ein Ungenannter im Monthly review for January 1797, der Uebersetzer Cavallo\u2019s J. M. W. Baumann, welche eine Geruchsempfindung wahrgenommen haben sollen, und Grapengiesser, welcher keinen Geruch wahrnahm.\nDer Ungenannte und Baumann 5 haben bei absteigendem Strom einen fauligen Geruch wahrgenommen, was, wie Du Bois-Reymond bemerkt, sich sichtlich mit der RiTTER\u2019schen Angabe von der ammoniakalischen Natur dieses Geruches vereinigen l\u00e4sst. Grapengiesser6 hat blos die niesenerregende von einem stechenden und schneidenden Schmerz begleitete Wirkung des absteigenden Stromes best\u00e4tigt, w\u00e4hrend der anders gerich-\n1\tJ. W. Ritter, Beitr\u00e4ge zur n\u00e4heren Kenntniss des Galvanismus und der Resultate seiner Untersuchung II. 2. St\u00fcck. Jena 1802.\n2\tJ. W. Ritter, Beitr\u00e4ge etc. II. 3. 4. und letztes St\u00fcck. Jena 1805.\n3\tE. Du Bois - Reymond, Untersuchungen \u00fcber thierische Elektricit\u00e4t I. S. 285 die Note. Berlin 1848.\n4\tS. Cavallo, Vollst\u00e4ndige Abhandl. der theoretischen u. praktischen Elektricit\u00e4t u. s. w. Aus dem Englischen 1797. II. S. 287 Anm.\n5\tJ. M. W. Baumann in S. Cavallo, Vollst\u00e4ndige Abhandl. etc. siehe oben.\n6\tGrapengiesser. Versuche, den Galvanismus zur Heilung einiger Krankheiten anzuwenden. S. 52. Berlin 1801.","page":255},{"file":"p0256.txt","language":"de","ocr_de":"256 y. Vintschgau, Geruchssinn. 2. Cap. Reize f\u00fcr das Geruchsorgan.\ntete Strom mehr einen dr\u00fcckenden Schmerz ohne alle Neigung zum Niesen hervorbrachte.\nJ. M\u00fcller (cit. S. 237) sagt, f\u00fcr die Erregung der Geruchsnerven durch die Elektricit\u00e4t spreche die allgemein bekannte Erfahrung, dass die Entwicklung der Elektricit\u00e4t mittels der Elektrisirmaschine von einem Phosphorgeruch begleitet ist. \u2014 Es muss aber bemerkt werden, dass, wie Sch\u00f6nbein 1 zuerst nachwies, dieser Geruch von Ozon herr\u00fchrt und somit haben wir es hiebei nicht mit einer elektrischen Reizung des Geruchsnerven zu thun. \u2014 J. M\u00fcller vermuth et, dass der schwache ammonia-kalische Geruch, den Ritter bei Anwendung der Elektricit\u00e4t wahrnahm, eine Gef\u00fchlsempfindung gewesen sei.\nDer neueste Bearbeiter dieses Gegenstandes ist Rosenthal1 2. Er liess sich die Nase nach der Methode von Weber, die sp\u00e4ter angef\u00fchrt werden soll, mit Wasser anf\u00fcllen und leitete dadurch den Strom zum Olfactorius. Er kann nicht sagen, dass er dabei etwas gerochen h\u00e4tte; der Schmerz ist heftig und der Auffassung einer Geruchsempfindung, wenn eine solche vorhanden, nicht g\u00fcnstig. Er meint, dass der Verlust des Geruches (s. unten S. 258) beim Anf\u00fcllen der Nase mit Wasser den Versuch nicht beeintr\u00e4chtigen k\u00f6nne, da dem Strome der Weg zu den tiefer liegenden Stellen des Olfactorius offen steht, auf welche doch das Wasser keinen Einfluss haben kann.\nEs sei endlich noch erw\u00e4hnt, dass Althaus (cit. S. 241) bei einem Manne mit beiderseitiger Trigeminus - L\u00e4hmung beobachtet hat, dass bei Application eines geh\u00f6rig starken constanten Stromes auf die Schleimhaut der Nase eine phosphorartige Geruchsempfindung entstand; Althaus berichtet noch weiter, dass auch bei Application eines sehr starken Stromes auf verschiedene Punkte der empfindungslosen Gesichtshaut ebenfalls ein geringer phosphoriger Geruch auftrat.\nII. Mechanische Reize.\nIm Jahre 1835 schrieb J. M\u00fcller [(cit. S. 237) I, S. 759], dass es ungewiss sei, ob die Geruchsnerven bei mechanischer Reizung einen Geruch vermitteln. Es sei nicht bekannt, dass Ersch\u00fctterungen der Luft, welche bis zum Geruchsnerven gelangen, eine Geruchsempfindung erregen k\u00f6nnen.\nBald darauf (1839) hat Valentin [De functionibus nervorum etc. (cit. S. 238) S. 11] angef\u00fchrt, dass eine mechanische Reizung des Olfactorius eine Geruchsempfindung errege; auch sp\u00e4ter [Lehrbuch der speciellen Physiologie (cit. S. 238) S. 292] f\u00fchrte Valentin an, dass das heftige Schn\u00e4uzen oder jede starke Ersch\u00fctterung der Geruchs-werkzeuge im Stande sei, bei ihm eine subjective Riecliempfindung\n1\tSch\u00f6nbein, Untersuchungen \u00fcber das Wesen des Geruches, welcher sich in Folge gewisser chemischer Wirkungen offenbart. Aus einem Brief des Herrn Sch\u00f6nbein an Herrn Arago. Froriep\u2019s neue Not. Nr. 305 (Nr. 19 des XIV. Bd.) Juni 1840. S. 292.\n2\tJ. Rosenthal, Ueber d. elektr. Geschmack im Ai ch. f. Anat. u. Physiol. 1860.","page":256},{"file":"p0257.txt","language":"de","ocr_de":"Mechanische, thermische und specifische Reize.\n257\nhervorzurufen, welche nicht ganz angenehm sei, und eine Zeit lang anhalte. Valentin berichtet weiter, dass bei ihm eine objective Geruchsempfindung von wechselndem bisweilen aber angenehmem Charakter entstehe, wenn er seine Nasenfl\u00fcgel zusammendr\u00fccke und hierauf rasch losschnellen lasse. Diese Beobachtung gelang Valentin auch, wenn er an Schnupfen litt.\nEs ist dies auch die einzige derartige Angabe die wir besitzen. Fr\u00f6hlich1 (1851), welcher die Versuche genau nach der Methode Valentin\u2019s wiederholte, hatte gar keine Empfindung.\nIII. Thermische Reize.\nWeber'2 hat die Nasenh\u00f6hle mit Wasser gef\u00fcllt, er nahm dabei keinen Geruch wahr, wenn auch die Temperatur desselben 0\u00b0 oder + 50\u00b0 betrug, so dass man daraus schliessen muss, dass unter den angef\u00fchrten Bedingungen Temperaturschwankungen von betr\u00e4chtlichem Umfange keine Erregung der Geruchsnerven zur Folge haben.\nIV. Der specifische Reiz.\nDie Geruchsstoffe, die Ger\u00fcche, sind der ad\u00e4quate, der specifische Reiz f\u00fcr die Geruchsnerven; damit aber die Ger\u00fcche auf den Olfactorius einwirken k\u00f6nnen, ist es nothwendig, dass dieselben entweder schon in Gasform sich befinden, oder dass sie sich bei irgend einer Temperatur verfl\u00fcchtigen k\u00f6nnen.\nArsen z. B. ist bei gew\u00f6hnlicher Temperatur fest und geruchlos, bei dunkler Rothgltihhitze verfl\u00fcchtigt es sich und sein Dampf besitzt einen eigenthtimlichen sehr intensiven Geruch (Knoblauchgeruch).\nWir m\u00fcssen aber alsogleich bemerken, dass nicht alle gasf\u00f6rmigen K\u00f6rper und nicht alle Substanzen, die sich verfl\u00fcchtigen lassen, auch riechbar sind. Dagegen wissen wir gegenw\u00e4rtig, dass beim Menschen (und wahrscheinlich auch bei allen in der Luft lebenden Wirbelthieren) ein tropfbarer K\u00f6rper, der einen Riechstoff enth\u00e4lt und mit der Nasenschleimhaut in Ber\u00fchrung kommt, gar keine Geruchsempfindung erregt, und dass die Schleimhaut der Regio olfac-toria, wenn sie von einer, scheinbar auch unsch\u00e4dlichen Fl\u00fcssigkeit benetzt wird, die F\u00e4higkeit, Geruchseindr\u00fccke aufzunehmen, auf kurze Zeit verliert.\n1\tFr\u00f6hlich, Ueb. einige Modificationen d. Geruchssinnes. Sitzgsber. d. Wiener Acad. math, naturw. Classe VI. S. 322. 1851.\n2\tE. H Weber, Ueber den Einfluss der Erw\u00e4rmung und Erk\u00e4ltung der Kerven auf ihr Leitungsverm\u00f6gen. Arch. f. Anat. u. Physiol. 1847. S. 342.\nHandbuch der Physiologie. Bd. \u00cf\u00cfIa.\n17","page":257},{"file":"p0258.txt","language":"de","ocr_de":"' 258\ny. Vintschgau, Geruchssinn. 2. Cap. Reize f\u00fcr das Geruchsorgan.\nTourtual1 (1827) hat zuerst den ersten Theil dieses Satzes bewiesen.\nTourtual, welcher \u201eeiner mit destillirtem Wasser vermischten Salzs\u00e4ure , eines mit fixer Luft geschw\u00e4ngerten Wassers, einer w\u00e4sserigen L\u00f6sung der Vitriolnaphtha und der vers\u00fcssten Salpeters\u00e4ure\u201c sich bediente, und diese w\u00e4sserigen L\u00f6sungen so hoch als m\u00f6glich in die Nase einspritzte, konnte keine Geruchsempfindung erhalten ; er zog auch daraus den Schluss, dass der Geruch an die Gasform gebunden ist.\nDie Beobachtungen Tourtual\u2019s blieben unbeachtet, so dass J. M\u00fcller [(eit. S. 237) II. S. 267] (1835) noch schreibt, es sei unbekannt, ob die tropfbar fl\u00fcssigen K\u00f6rper eine Geruchsempfindung hervorrufen k\u00f6nnen. \u2014 Bidder [(eit. S. 238) S. 923] aber erw\u00e4hnt, dass der Geruch durch Endosmose nicht entstehen k\u00f6nne, weil ein Riechstoff in gel\u00f6ster Form keine solche Empfindung veranlasse.\nDie wichtigsten und entscheidendsten Versuche wurden aber von E. H. Weber (cit. S. 257) (1847) vorgenommen, und er lieferte den Beweis f\u00fcr den ganzen oben angef\u00fchrten Satz.\nE. H. Weber hat folgende Methode angewendet: Der Kopf befindet sich in tiberh\u00e4ngender Stellung, so dass die Nasenl\u00f6cher nach aufw\u00e4rts gerichtet sind; die F\u00fcllung der Nase geschieht durch eine zugespitzte mit Fl\u00fcssigkeit gef\u00fcllte Glasr\u00f6hre. \u2014 Weber bemerkte, dass bei Anwendung von Wasser zwischen 0 und 50 0 C. die F\u00e4higkeit zum Riechen, auch wenn er das Wasser alsogleich auslaufen liess und sich schnaubte, in dem Grade unterdr\u00fcckt wurde, dass weder Eau de Cologne noch Acid, aceticum destill. gerochen wurde. Nach 1/2 oder nach 1 Min. stellte sich ein sehr schwacher, kaum merklicher Geruch wieder ein, der nach 1 V2 M. etwas zunahm, aber erst nach 2 V2 M. wieder so vollkommen geworden war, dass man das Geruchsverm\u00f6gen f\u00fcr hergestellt erkl\u00e4ren konnte. \u2014 Zuckerwasser hebt den Geruch ebenso auf wie reines Wasser. \u2014 So lange der Geruch noch fehlt, verursacht Eau de Cologne bisweilen eine Empfindung von Spiritus am Gaumen oder Schlunde; Ammoniak macht einen stechenden Eindruck in der N\u00e4he der Nasenl\u00f6cher, ferner am Boden der Nase, am Schlunde und Gaumen. \u2014 Eben so wichtig ist folgender Versuch Weber\u2019s: Die Nasenh\u00f6hle wird mit einer lauwarmen Fl\u00fcssigkeit, bestehend aus 1 Theil Eau de Cologne und 11 Theilen Wasser gef\u00fcllt. Der Geruch des Eau de Cologne wird zwar in dem Augenblicke wahrgenommen, wo die Fl\u00fcssigkeit in die Nase einstr\u00f6mt, nicht aber, wenn die Nasenh\u00f6hlen damit gef\u00fcllt sind. Nach Entleerung der Nase ist der Geruch ebenso verloren wie durch reines Wasser.\nDie Versuche Weber\u2019s wurden von Valentin2 wiederholt und best\u00e4tigt, und dabei noch folgende Beobachtungen gemacht: Nach Entleerung der Nasenh\u00f6hle nehmen zuerst die Tastnerven ihre Th\u00e4-tigkeit wieder auf.\n1\tTourtual, Die Sinne des Menschen in den wechselseitigen Beziehungen ihres psychischen und organischen Lebens. M\u00fcnster 1827.\n2\tValentin, Lehrb. der Physiol, des Menschen II. 2. Abth. Braunschweig 1848.","page":258},{"file":"p0259.txt","language":"de","ocr_de":"Der specifische Heiz.\n259\nVergleichende Versuche, die Valentin mit Essigs\u00e4ure, Aether und Ammoniak machte, scheinen anzudeuten, dass diese drei K\u00f6rper gewisse Verschiedenheiten darbieten; der eigent\u00fcmliche Geruch des Aethers und der Essigs\u00e4ure wurde fr\u00fcher als der des Ammoniaks unterschieden, letzteres wirkt nur stechend. Diese Stoffe, welche die Tastnerven der Nase zugleich anregen , scheinen auch wieder fr\u00fcher als Stoffe, welche diese Nebenwirkung, wie z. B. Moschus, nicht haben, die regelrechten Empfindungen zu wecken.\nDer letzte Forscher, welcher \u00fcber diesen Gegenstand eigene Versuche anstellte ist Fr\u00f6hlich (cit. S. 257). Das eingespritzte Wasser hatte die Temperatur von 20\u00b0 C. Fr\u00f6hlich f\u00fchlte einen Schmerz in der Gegend der Stirnh\u00f6hle und der hinteren Fl\u00e4che des weichen Gaumens. Valentin (cit. S. 258), welcher ebenfalls einmal ein eigen-th\u00fcmliches schmerzhaftes Gef\u00fchl in der Gegend der rechten Stirnh\u00f6hle sp\u00fcrte, vermutket, dass das Wasser bis dorthin eingedrungen sei.\nNach Entfernung des Wassers war Fr\u00f6hlich h\u00f6chstens f\u00fcr */2 M. f\u00fcr alle Geruchseindr\u00fccke unempf\u00e4nglich, selbst f\u00fcr Essigs\u00e4ure und Ammoniak; das Geruchsverm\u00f6gen kehrte bald wieder zur\u00fcck, blieb jedoch f\u00fcr l\u00e4ngere Zeit etwas geschw\u00e4cht. \u2014 Bei Lichtenfels 1 w\u00e4hrte die Ge-ruchslosigkeit an 5 Min., die Geruchsschw\u00e4che nahezu ^2 St. \u2014 Bei einem dritten jungen Manne nahm die Sch\u00e4rfe des Geruches nur wenig ab und dieser roch sehr bald Knoblauch, Assa foetida etc. ganz deutlich.\nDie Beobachtungen von Weber, Valentin und Fr\u00f6hlich scheinen anzudeuten, dass nicht bei Allen die Geruckslosigkeit gleich lang anh\u00e4lt und wahrscheinlich sind einige noch nicht ermittelte Nebenumst\u00e4nde von Bedeutung. Diese Vermutkung wird von der Beobachtung Fr\u00f6hlich\u2019s (cit. S. 257) unterst\u00fctzt, dass bei Benutzung von Alkohol, der mit 10 Volumina Wasser verd\u00fcnnt war, die Geruchsst\u00f6rung nur in geringerem Maasse auftrat. Der Versuch ist zwar schmerzhaft, der Schmerz st\u00f6rt jedoch die Beobachtung nicht.\nFr\u00f6hlich konnte nach dem Versuch auf kurze Zeit gar nicht riechen; bei Lichtenfels war der Geruch nur geschw\u00e4cht, so dass in den ersten Augenblicken Ol. lavandulae, aurantiorum, bergamo, valerianae, Assa foetida etc. nicht deutlich unterschieden wurden. Die Sch\u00e4rfe des Geruches kehrte bald zur\u00fcck, ja beide Beobachter waren f\u00fcr manche der angef\u00fchrten Ger\u00fcche auf einige Zeit noch empf\u00e4nglicher als im normalen Zustande ; Essigs\u00e4ure und Ammoniak wurden in k\u00fcrzester Zeit ebenfalls sehr gut gerochen.\nWir haben jetzt die Frage zu untersuchen, wie die Geruchslosig-keit und die Undeutlichkeit des Geruches nach Entfernung des Wassers aus der Nasenh\u00f6hle zu erkl\u00e4ren sind.\nWeber (cit. S. 257) erkl\u00e4rte diese Erscheinungen durch Imbibi-\n1 Fr\u00f6hlich, Ueber einige Modificationen etc. cit. S. 257.\n17*","page":259},{"file":"p0260.txt","language":"de","ocr_de":"260 v. Vintschgau, Geruchssinn. 2. Cap. Reize f\u00fcr das Geruchsorgan.\ntion der Zellen mit Wasser \u2014 Valentin (cit. S. 258) sagt, dass die Wasserschickt, welche die Nasenschleimkaut bedeckt, die Tk\u00e4tig\u2019keit der in ihr sich verbreitenden Nerven f\u00fcr einige Zeit aufhebt \u2014 Fr\u00f6hlich (cit. S. 257) sucht die Erkl\u00e4rung in einem mechanischen Hinderniss, weil es scheine, als ob die fraglichen Erscheinungen mit der g\u00e4nzlichen Entfernung des eingespritzten Wassers verschw\u00e4nden und weil nachgewiesen wurde, dass die Geruchsempfindung an die directe Einwirkung der mit riechenden Partikelchen impr\u00e4gnirten Luft auf die Schleimhaut gebunden ist. Die Wasserschicht soll nun nach Fr\u00f6hlich als ein hindernder Zwischenk\u00f6rper betrachtet werden; mit der Abnahme dieser Schicht w\u00e4chst auch verk\u00e4ltnissm\u00e4ssig schnell die Geruchsempfindung. \u2014 Es ist aber m\u00f6glich, dass beide Ursachen gleichzeitig mitwirken, n\u00e4mlich dass in Folge der Einwirkung des Wassers die Riechzellen etwas anschwellen, und dass die Wasserschicht das Eindringen der Ger\u00fcche bis zu den Riechzellen verhindert. Bekanntlich bewirkt Schnupfen dieselbe Erscheinung, n\u00e4mlich eine Verminderung, ja sogar eine g\u00e4nzliche Aufhebung der Geruchsf\u00e4higkeit; auch diese Erscheinung l\u00e4sst sich dadurch erkl\u00e4ren, dass eine Fl\u00fcssigkeitsschickt die Oberfl\u00e4che der Riechschleimhaut bedeckt ; anderseits w\u00e4re aber auch zu bemerken, dass bei trockener Nase, wie z. B. im ersten Stadium des Katarrhs, bei Einwirkung grosser K\u00e4lte oder grosser Hitze, sowie beim Atlimen in einer staubigen Atmosph\u00e4re der Geruch ebenfalls geschw\u00e4cht wird. Der verminderte Geruchssinn beim Katarrh der Nasenschleimhaut kann auch darin eine Erkl\u00e4rung finden, dass die Nasenschleimhaut dabei mehr oder weniger angeschwollen ist, wodurch der Zutritt der mit Ger\u00fcchen geschw\u00e4ngerten Luft bis zur Riechschleimhaut gehemmt ist ; dass eine solche Hemmung vorkomme ist sehr wahrscheinlich, da bei der Coryza auch die Respiration durch die Nase beeintr\u00e4chtigt ist. *\nEine Frage, die wir an dieser Stelle nur ber\u00fchren wollen, ist, ob die Fische einen Geruch besitzen.\nBei allen Fischen fand man Geruchsorgane (vergl. Stannius 1 und M. Edwars 1 2) und ausserdem zeigen die Endorgane des Olfactorius mit jenen der S\u00e4ugethiere eine grosse Aehnlichkeit. Nach diesen anatomischen Erfahrungen wird man kaum den Fischen den Geruch absprechen wollen. Ausserdem sind Erfahrungen bekannt, aus welchen hervorgeht, dass die Fische thats\u00e4clilich riechen (vgl. M. Edwars 1. c.). Man hat wohl den Fischen deshalb den Geruchssinn abgesprochen, weil dieselben\n1\tv. Siebold und Stannius, Handbuch der Zootomie. 2. Theil, die Wirbelthiere von H. Stannius. 2. Aufl. 1. Heft, Zootomie der Fische. Berlin 1854.\n2\tMilne Edwars . Le\u00e7ons sur la physiologie et l\u2019anatomie compar\u00e9e XI. Paris\n1876.","page":260},{"file":"p0261.txt","language":"de","ocr_de":"Der specifische Reiz. Beschaffenheit der riechenden Stoffe.\n261\nsich durch einen un\u00e4chten K\u00f6der t\u00e4uschen lassen. Br\u00fccke 1 meint aber,, in solchen F\u00e4llen w\u00fcrden die Fische den Koder sehen und deshalb nach demselben springen.\nNach den vorher S. 258 mitgetheilten Erfahrungen von Tourtual, Weber u. a. muss aber behauptet werden, dass der Geruchssinn der Fische ganz andere F\u00e4higkeiten besitzt als jener, der in der Luft athmenden Thiere, derselbe muss n\u00e4mlich die F\u00e4higkeit haben, von Geruchsstoffen erregt zu werden, welche in Wasser aufgel\u00f6st oder vielleicht auch einfach suspendirt sind.\n1. Beschaffenheit der riechenden Stoffe und Bedingungen f\u00fcr die Entwicklung des Geruches.\nDie Eigenschaften, welche eine Substanz besitzen muss um riechbar zu sein, sind uns vollst\u00e4ndig unbekannt. Die Physiologen beschr\u00e4nken sich bloss auf die Anf\u00fchrung der Bedingungen, welche die Entwicklung der Ger\u00fcche beg\u00fcnstigen oder hemmen.\nCloquet (cit. S. 225), auf welchen wir immer zur\u00fcckgreifen m\u00fcssen, sobald es sich um die Geschichte der Physiologie des Geruches handelt, gibt uns die Ansichten der fr\u00fcheren Forscher \u00fcber diesen Gegenstand an, die wir hier wohl \u00fcbergehen k\u00f6nnen. \u2014 Cloquet selbst \u00e4ussert sich (S. 29), dass wir im Grunde nur so viel wissen, dass viele K\u00f6rper die Eigenschaft besitzen, aus ihrem Schoosse \u00e4usserst d\u00fcnne Theilchen zu entlassen, dass diese Theilchen eine Art Atmosph\u00e4re, deren Dichtigkeit mit der Entfernung von dem riechenden K\u00f6rper abnimmt, um letzteren bilden, und dass endlich solche Theilchen sich immer fort in die umgebende Luft verbreiten. Die Luft ist somit das Verbreitungsmittel der riechenden Stoffe. Cloquet (vgl. auch Valentin [cit. S. 258]) theilt auch eine Beobachtung von Hughens und Papin mit, derzufolge eine Rosenknospe unter einem luftleeren Glasrecipienten 14 Tage noch ihren ganzen Duft bewahrte, den sie aber, aufs Neue in die Atmosph\u00e4re gebracht, in weniger als 2 Stunden verlor. Dasselbe ergab ein Versuch mit Erdbeeren.\nDie Ansicht, dass die riechenden K\u00f6rper fortw\u00e4hrend von ihrer Substanz Partikelchen in die Luft abgeben, ist diejenige, welche von den meisten Physiologen vertreten wird (Dum\u00e9ril1 2, Bidder [cit. S. 238], Longet [cit. S. 243], Li\u00e9geois 3).\nEs gab jedoch Forscher, welche die Behauptung vertheidigten, dass in den riechenden K\u00f6rpern Schwingungen Vorkommen, und dass diese Schwingungen sich einem umgebenden Aether mittheilen und so bis zu \u2022dem Riechorgane gelangen (vgl. dar\u00fcber Longet [cit. S. 243], Poinsot [cit. S. 247], Carpenter4).\n1\tBr\u00fccke, Vorlesungen \u00fcber Physiologie II. 2. Aufl. Wien 1876.\n2\tDum\u00e9ril, Von der Natur u. physiologischen Wirkung der Ger\u00fcche. Froriep\u2019s neue Not. Nr. 532. (Nr. 4 des XXV. Bd.) S. 58. Januar 1843.\n3\tLi\u00e9geois , M\u00e9moire sur les mouvements de certains corps organiques \u00e0 la surface de l\u2019eau et sur les applications qu\u2019on peut en faire \u00e0 la th\u00e9orie des odeurs. Arch, de physiol, norm, etpathol. I. 1868.\n4\tCarpenter , Smell in Todd\u2019s Cyclopaedia of anatomy and physiology IV. Part. I. London 1847\u201449.","page":261},{"file":"p0262.txt","language":"de","ocr_de":"262 v. Vintschgau, Geruchssinn. 2. Cap. Reize f\u00fcr das Geruchsorgan.\nJe fl\u00fcchtiger (Bidder [eit. S. 238]) ein Stoff ist, desto rascher lind weiter verbreitet er sich in der Atmosph\u00e4re ; Campher, Moschus u. d. m. machen sich daher schon aus betr\u00e4chtlicher Entfernung bemerklich und zwar auch bei vollkommen ruhiger Luft, so dass ihre Verbreitung nicht auf anderweitig entstandener Luftstr\u00f6mung beruht. \u2014 Die Luftstr\u00f6mungen bef\u00f6rdern jedoch wesentlich die Verbreitung der Ger\u00fcche (Longet [cit. S. 243]).\nAusserdem beobachtet man, dass, je fl\u00fcchtiger ein Stoff d. h. je gr\u00f6sser sein Bestreben nach rascher Ausbreitung und feiner Vertheilung ist, desto schneller auch der von ihm ausstr\u00f6mende Geruch verschwindet; es gibt aber riechbare Stoffe, die sowohl sehr fl\u00fcchtig als auch sehr andauernd riechend sind, namentlich Moschus.\nCloquet (cit. S. 225), Bidder (cit. S. 238), Valentin (cit. S. 258), Longet (cit. S. 243), Poinsot (cit. S. 247) haben eine Reihe von Umst\u00e4nden angef\u00fchrt, unter welchen das Riechbare sich am leichtesten entwickelt. Es gibt n\u00e4mlich riechende K\u00f6rper, deren Substanz sich unaufh\u00f6rlich ganz oder theilweise verfl\u00fcchtigt, andere dagegen, die nur unter gewissen Umst\u00e4nden riechend werden; so z. B. gibt es Pflanzen, welche entweder blos bei Tag oder blos bei der Nacht duften, oder auch nur des Morgens. Einige Pflanzen riechen, wenn sie getrocknet werden; ein allgemein bekanntes Beispiel hiervon ist das frisch geschnittene Heu. Aromatische Kr\u00e4uter besitzen im trockenen Zustande nur einen schwachen Geruch, werden sie aber angefeuchtet, so riechen sie hingegen ziemlich stark. \u2014 Bitumenhaltige Stoffe haben keinen Geruch in trockenem, einen deutlichen in feuchtem Zustande. Die Feuchtigkeit scheint somit das Ausstr\u00f6men des Riechbaren zu beg\u00fcnstigen und dies ist um so mehr der Fall, wenn das Verdunsten durch eine m\u00e4ssige Temperatur unterst\u00fctzt wird; Hitze vernichtet das Riechbare, und eine niedere Temperatur verhindert das Ausstr\u00f6men desselben; diese untere Grenze ist bei verschiedenen Stoffen verschieden.\nBei der Reibung entstehen h\u00e4ufig Ger\u00fcche, so z. B. bei gewissen Steinen und bei Knochen, wenn diese durchs\u00e4gt werden ; Besch\u00e4digungen von riechenden Blumen bedingen dagegen ein rascheres Verschwinden des Geruches.\nSo werthvoll nun auch alle eben angef\u00fchrten einzelnen Angaben sind, so geben sie uns jedoch gar keinen Aufschluss \u00fcber das Riechbare selbst; eher l\u00e4sst sich ein solcher wenigstens f\u00fcr die Zukunft von jenen Beobachtungen erwarten, die wir nun mittheilen werden.\nRomieu 1 hat zuerst bemerkt, dass kleine St\u00fccke von Campher auf der Oberfl\u00e4che des Wassers in eine rotirende Bewegung gerathen. Dieselbe Erscheinung wurde auch von Lichtenberg2 beobachtet. Volta1 2 3 und Brugnatelli4 haben solche Bewegungen an verschiedenen anderen\n1\tRomieu, M\u00e9moires de l\u2019Acad\u00e9mie des sciences 1756, angef\u00fchrt nach Li\u00e9geois citirt S. 261.\n2\tLichtenberg, Li\u00e9geois hat keine Quellenangabe gemacht.\n3\tVolta, Bulletin de la soci\u00e9t\u00e9 philomatique I.. angef\u00fchrt nach Li\u00e9geois (1. c.).\n4\tBrugnatelli, Bulletin de la soci\u00e9t\u00e9 philomatique I., angef\u00fchrt nach Li\u00e9geois\n(1. c.).","page":262},{"file":"p0263.txt","language":"de","ocr_de":"Beschaffenheit der riechenden Stoffe.\n263\nK\u00f6rpern beschrieben; B\u00e9n\u00e9dict Pr\u00e9vost de Geneve 1 scheint jedoch der erste gewesen zu sein, welcher solche Bewegungen mit der Entwicklung des Riechbaren aus riechenden K\u00f6rpern in Zusammenhang brachte. Nachher wurden auch von Venturi1 2, Serullas3 und Dutrochet4 \u00fcber diesen Gegenstand mehrere Angaben ver\u00f6ffentlicht.\nB. Pr\u00e9vost beschrieb zwei Erscheinungen, welche bei riechenden Substanzen wahrnehmbar sind und nannte die bei diesen Versuchen angewendete Methode Odoroskopie. Er beobachtete n\u00e4mlich:\n1)\tdass riechende Substanzen auf der Oberfl\u00e4che des Wassers sich bewegen, analog wie dies bereits vom Campher erw\u00e4hnt wurde;\n2)\tdass eine sehr d\u00fcnne Schicht Wassers, welche auf einem wohl gereinigten Teller oder Glas sich befindet, zur\u00fcckweicht sobald man eine gewisse Menge pulverisirten Camphers auf dieselbe legt.\nIn neuester Zeit verdanken wir Li\u00e9geois eine Reihe Beobachtungen \u00fcber diesen Gegenstand. \u2014 Dieser vermehrte die odorosko-pischen Beobachtungen von B. Pr\u00e9vost noch um zwei n\u00e4mlich: 1) rasche Trennung von fein gepulverten riechenden Theilchen, die sich auf der Oberfl\u00e4che von Wasser befinden; 2) Hemmung der Bewegung des Camphers und vorzugsweise der Bernsteins\u00e4ure sobald ein riechender K\u00f6rper mit dem Wasser in Ber\u00fchrung kommt, auf welchem jene Substanzen sich bewegen.\nLi\u00e9geois fand, dass die Angaben von B. Pr\u00e9vost ganz richtig sind, sobald es sich um riechende K\u00f6rper handelte, die aus dem Pflanzen- und Thierreiche stammten. Er pr\u00fcfte nicht weniger als 200 riechende Substanzen, und fand keine einzige, welche der einen oder der anderen odoroskopischen Beobachtung von Pr\u00e9vost nicht entsprochen h\u00e4tte. \u2014 Die riechenden K\u00f6rper aus dem Mineralreiche entsprechen nach Li\u00e9geois dem allgemeinen Gesetze nicht, weder Ammoniak, noch Schwefelwasserstoff, noch Phosphorwasserstoff veranlassen eine Bewegung ; auf der anderen Seite gibt es einige K\u00f6rper als Schwefels\u00e4ure, Kali, Natron etc., welche eine Bewegung darbieten, und endlich fand Li\u00e9geois einige K\u00f6rper aus dem Thier- und Pflanzenreich, welche keinen Geruch besitzen und doch die eine oder die andere der zwei von B. Pr\u00e9vost angegebenen Erscheinungen\n1\tB\u00e9n\u00e9dict Pr\u00e9vost, Divers moyens de rendre sensibles \u00e0 la vue les \u00e9manations des corps odorants. Diese Abhandlung wurde im J. 1799 der Acad\u00e9mie des sciences vorgelegt, und davon hat Fourcroy (Ann. de chim. etphys. XXXI, XXXIV et XL: Bulletin de la soci\u00e9t\u00e9 philomatique I.) einen Auszug ver\u00f6ffentlicht, angef\u00fchrt nach Li\u00e9geois (1. c.).\n2\tVenturi, Li\u00e9geois hat keine Quellenangabe angef\u00fchrt.\n3\tSerullas, Journ. de physique XCI. p. 172, angef\u00fchrt nach Li\u00e9geois (1. c.).\n4\tDutrochet, Acad\u00e9mie des sciences XII. p. 2. 29. 126. 598, angef\u00fchrt nach Li\u00e9geois (1. c.).","page":263},{"file":"p0264.txt","language":"de","ocr_de":"264 y. ViNTscHGAu, Geruchssinn. 2. Cap. Reize f\u00fcr das Geruclisorgan.\nzeigten; solche K\u00f6rper sind nach Li\u00e9geois die fixen Oele, das Atropin, das Schwefels\u00e4ure Atropin, die Bernsteins\u00e4ure. Diese Substanzen sollen einen Geruch entwickeln, wenn man sie in den Mund nimmt.\nB. Pr\u00e9vost (cit. S. 263) erkl\u00e4rte die Bewegung der riechenden Stoffe an der Oberfl\u00e4che des Wassers durch die Wirkung eines elastischen K\u00f6rpers, welcher von den riechenden Substanzen aus in die Luft sich verbreitet; es w\u00fcrde sich also um einen wirklichen R\u00fcckschlag analog dem der Feuerwaffen handeln. Li\u00e9geois dagegen nahm die Ansicht Venturi\u2019s an und meint, die Bewegung des Camphers und anderer K\u00f6rper auf der Oberfl\u00e4che des Wassers entstehe dadurch, dass von den feinen Unregelm\u00e4ssigkeiten des kleinen Campherstiickes fortw\u00e4hrend eine \u00f6lige Fl\u00fcssigkeit ausstr\u00f6me, die sich in einer sehr d\u00fcnnen Schicht an der Oberfl\u00e4che des Wassers ausbreite, das kleine Campherst\u00fcck nach r\u00fcckw\u00e4rts treibe und so dasselbe in rotirende Bewegung versetze. Li\u00e9geois f\u00fchrt auch eine Reihe Beobachtungen an, um seine Erkl\u00e4rung zu bekr\u00e4ftigen ; an der Stelle z. B., an welcher sich das Wasser von dem kleinen St\u00fcck Campher entfernt, soll am Teller eine d\u00fcnne Schicht Zur\u00fcckbleiben, welche anfangs irisirend sei, sp\u00e4ter eine schmutzig-weisse Farbe besitze.\nEine ganze Reihe Substanzen, wie z. B. alle Essenzen, die Harze, die Balsame, die riechenden Pflanzen u. s. w., hemmen die Bewegungen des Camphers sobald dieselben in geringer Menge in dasselbe Wasser gebracht werden. \u2014 Samen von Angelica, von Coriander, welche mit Aether oder mit Alkohol impr\u00e4gnirt waren, zeigten dieselbe Bewegung wie der Campher, und diese Bewegung ist von der Verdampfung unabh\u00e4ngig.\nLi\u00e9geois endlich f\u00fchrt uns eine Reihe Beobachtungen vor, aus welchen hervorgeht, dass das Oel, welches sich in efner d\u00fcnnen Schicht auf der Oberfl\u00e4che des Wassers befindet, fortw\u00e4hrend in Form sehr kleiner Theilchen von dem verdampfenden Wasser mitgerissen wird; dasselbe wird auch beim Campher beobachtet, welcher in Form eines feinen Pulvers auf der Oberfl\u00e4che des Wassers schwimmt. Aether gab dasselbe Resultat, weniger sicher waren die Beobachtungen mit Alkohol und mit Essigs\u00e4ure, und ganz negativ fielen sie mit Ammoniak oder Schwefelwasserstoff aus.\nLi\u00e9geois gelangt zu dem Resultat, dass von den riechenden K\u00f6rpern, besonders wenn dieselben sich in Ber\u00fchrung mit Wasser befinden, fortw\u00e4hrend kleine Theilchen in die Atmosph\u00e4re sich verbreiten, welche zu unserer Riechschleimhaut gelangen und so die Geruchsorgane erregen.","page":264},{"file":"p0265.txt","language":"de","ocr_de":"Beschaffenheit der riechenden Stoffe.\n265\nH\u00f6chst interessante Beobachtungen hat Tyndall 1 \u00fcber die Absorption gemacht, welche der Duft einiger riechender Substanzen auf die strahlende W\u00e4rme aus\u00fcbt.\nWir m\u00fcssen es unterlassen, auf eine n\u00e4here Schilderung der Untersuchungsmethoden einzugehen und uns mit der Bemerkung begn\u00fcgen, dass ein kleiner mit dem \u00e4therischen Oel der zu untersuchenden Substanz befeuchteter Papiercylinder in ein Glasrohr eingef\u00fchrt und der Duft der Papierrolle mittels trockener atmosph\u00e4rischer Luft in die vorher luftleer gemachte Versuchsr\u00f6hre geleitet wurde.\nDie W\u00e4rmeabsorption einer Atmosph\u00e4re trockener Luft wurde als Einheit angenommen, so dass jede hinzukommende Absorption, welche die Versuche zeigten, auf Rechnung der in der Luft enthaltenen Wohlger\u00fcche kam.\nWir lassen nun die kleine von Tyndall mitgetheilte Tabelle\nfolgen :\nNamen\tAbsorption\nPatchouli\t.\t.\t30\nSandelholz\t.\t.\t32\nGeranium\t.\t.\t33\nNelken\u00f6l\t.\t.\t33,5\nRosen\u00f6l .\t.\t.\t36,5\nBergamott\t.\t.\t44\nNeroli\t.\t.\t47\nLavendel.\t. . 60\nTyndall stellte noch einige\nNamen\tAbsorption\nCitronen\u00f6l\t.\t.\t65\nOrangen\u00f6l\t.\t.\t67\nThymian\t. . 68\nRosmarin\t.\t.\t74\nLorbeer\u00f6l\t. . 80\nKamillen .\t.\t.\t87\nCassia\u00d6l .\t.\t.\t109\nSpike .\t.\t.\t.\t355\nAnis .\t.\t.\t.\t372\n^ersuche mit aromatischen Kr\u00e4u-\ntern an, die nach der gew\u00f6hnlichen Ausdrucksweise trocken, d. h. nicht gr\u00fcn sondern verwelkt waren; ausserdem liess er durch die R\u00f6hre, in welcher dieselben sich befanden, vor dem Versuche einige Minuten lang trockene Luft durchstreichen. Die von ihm erhaltenen\nResultate sind:\nThymian zeigte eine 33 mal gr\u00f6ssere Wirkung als die \u00fcber ihn\ngeleitete Luft,\nPfefferm\u00fcnze wirkte 34 mal\tso\tstark\tals\tdie\tLuft,\nFrauenm\u00fcnze wirkte 3 8 mal\tso\tstark\tals\tdie\tLuft,\nLavendel wirkte 32 mal\tso\tstark\tals\tdie\tLuft,\nWermuth wirkte 41 mal\tso\tstark\tals\tdie\tLuft,\nZimmet wirkte 53 mal\tso\tstark\tals\tdie\tLuft.\nTyndall f\u00fcgt hinzu, dass diese Resultate durch die Einwirkung\n1 J. Tyndall, Die W\u00e4rme betrachtet als eine Art der Bewegung. Autorisirte deutsche Ausgabe, herausgegeben durch H. Helmholtz und G. Wiedemann nach der f\u00fcnften Auflage des Originals. 3. Aufl. Braunschweig 1875.","page":265},{"file":"p0266.txt","language":"de","ocr_de":"266\ny. Vint SCHG au, Geruchssinn. 2. Cap. Reize f\u00fcr das Geruchsorgan.\nder Wasserd\u00e4mpfe complicirt worden sein k\u00f6nnen; die Menge der letzteren muss indess unmerklich gewesen sein.\nDie Beobachtungen von B. Pr\u00e9vost, erweitert durch jene von Li\u00e9geois und die Erfahrungen Tyndall\u2019s, m\u00fcssen als die ersten Anf\u00e4nge einer physikalischen Untersuchung \u00fcber die D\u00fcfte und der Art ihrer Entwicklung betrachtet werden.\nEs gen\u00fcgt zu erw\u00e4hnen, dass zuerst Stark1 und nachher Dum\u00earil 2 Beobachtungen ver\u00f6ffentlicht haben, um zu zeigen, dass derselbe Stoff, je nach der Farbe, mehr oder weniger die Ger\u00fcche aufnimmt.\n2. Eint heil img der Ger\u00fcche.\nVor Allem ist es nothwendig zu bemerken, dass sehr h\u00e4ufig Geruchs- und Gef\u00fchlsempfindungen gleichzeitig erregt werden, und dass der Sprachgebrauch diese beiden gleichzeitig auftretenden Empfindungen sehr selten auseinanderh\u00e4lt. Nur wenn man eigens hierauf achtgibt oder gewisse Vorsichten anwendet, ist es m\u00f6glich, beide Empfindungen zu trennen. Es kann dies dadurch geschehen, dass man Substanzen, welche beide Wirkungen hervorzurufen im Stande sind, z. B. Ammoniak, Essigs\u00e4ure etc. bei angehaltenem Athem in die N\u00e4he der Nase bringt; ihre D\u00e4mpfe reizen dann die Nasenschleimhaut und rufen die vom Trigeminus abh\u00e4ngigen Reflexe (Thr\u00e4-nenlaufen, Niesen etc.) hervor, ohne dass die Substanzen gerochen werden. Solche mit dem Ger\u00fcche sich combinirende Gef\u00fchlsempfindungen werden auch als \u00e4tzender, stechender, scharfer Geruch etc. bezeichnet.\nBei Einf\u00fchrung von Substanzen in die Mundh\u00f6hle kommt es, wie schon bei Besprechung des Geschmackssinnes angef\u00fchrt wurde, sehr h\u00e4ufig vor, dass eine Geruchsempfindung dem Geschmacke zugeschrieben wird, dagegen kommt es entweder gar nicht oder nur h\u00f6chst selten vor, dass eine Geschmacksempfindung f\u00fcr einen Geruch gehalten wird. Von der faulig-s\u00fcsslichen Empfindung die man hat, wenn man Schwefelwasserstoff einschn\u00fcffelt, ist, nach Stich3, wahrscheinlich nur das Faulige Geruch, das S\u00fcssliche aber Geschmack. Wir finden jedoch, dass im gew\u00f6hnlichen Leben einige Ger\u00fcche mit\n1\tJ. Stark zu Edinburg, Historischer Bericht und Experimente in Betreff des Einflusses der Farbe auf W\u00e4rme, Niederschlagung vonThau und Ger\u00fcchen. Froriep\u2019s neue Not. Nr. 899 (Nr. 19 des XLI Bd.) August 1834. Aus The Edinburgh new philosophical Journal. April-Juli 1834.\n2\tA. Dumeril, Des odeurs, th\u00e8se Fac. des sciences de Paris 1843; angef\u00fchrt nach Milke Edwars, Le\u00e7ons etc. cit. p. 260.\n3\tA. Stich, Ueber die Schmeckbarkeit der Gase. Annal, des Charit\u00e9-Kranken-hauses etc. 8. Jahrg. l.Heft. Berlin 1857.","page":266},{"file":"p0267.txt","language":"de","ocr_de":"Eintheiluug der Ger\u00fcche.\n267\nBezeichnungen beleg! werden, welche von den Geschmacksempfindungen entlehnt sind, wie z. B. s\u00fcsser, sauerer Geruch u. d. m.\nEs ist aber n\u00f6thig noch eine andere Bemerkung einzuf\u00fcgen ; es gibt n\u00e4mlich Substanzen, welche je nach der Menge, in welcher dieselben auf die Nerven einwirken, verschiedene Geruchsempfindungen bedingen sollen (Ludwig1); es scheinen jedoch bloss jene Substanzen zu sein, welche gleichzeitig die Geruchs- und die Gef\u00fchlsnerven erregen k\u00f6nnen; so soll die Butters\u00e4ure [Fick (cit. S. 244)] in verd\u00fcnntem Zustand den widerlichen Geruch nach ranziger Butter her-vorrufen, concentrirt dagegen eine stechend s\u00e4uerliche Empfindung erzeugen.\nEs ist sehr wahrscheinlich, dass viele K\u00f6rper, welche f\u00fcr den Menschen keinen Geruch besitzen f\u00fcr die Thiere dagegen riechend sind.\nDie Emtheilung der Ger\u00fcche in angenehme und unangenehme oder jene in Wohlgeruch und Gestank ist eine bloss subjective. Die erstere Eintheilung ist eine noch schwierigere als die zweite, da bei der Beurtheilung, ob ein Geruch angenehm oder unangenehm ist, nicht bloss sehr viele individuelle Unterschiede zu finden sind, sondern auch merkw\u00fcrdige Unterschiede bei einem und demselben Individuum auftreten, je nach dem Zustande, in welchem sich dasselbe befindet. Die Liebhaberei f\u00fcr die einzelnen Ger\u00fcche spielt auch eine nicht zu untersch\u00e4tzende Rolle; hysterische Personen lieben den Geruch von verbrannten Federn [Wagner (cit. S. 238), J. M\u00fcller (cit. S. 237)] aber auch bei nicht hysterischen Personen k\u00f6nnen Unterschiede Vorkommen (J. M\u00fcller 1. c.). F\u00fcr manche ist der Geruch von Reseda nicht sehr sublim und mehr krautartig, wie Blumenbach anf\u00fchrt; J. M\u00fcller selbst befand sich in diesem Falle. Einige lieben die Assa foetida, andere den Bibergeil, andere die Valeriana, sehr viele den Geruch von altem K\u00e4se, den haut go\u00fbt des Wildbrets [Valentin (cit. S. 258) Hyrtl2].\nCloquet [(cit. S. 225) S. 44 u. 45] f\u00fchrt eine ganze Reihe von Beispielen an, um zu zeigen, wie die einzelnen Individuen in dieser Richtung h\u00f6chst verschieden sein k\u00f6nnen; wir finden in diesem Werke (S. 74 u. fl.) auch eine ganze Reihe von Angaben \u00fcber Neigungen und Abneigungen f\u00fcr die verschiedenen Ger\u00fcche.\nWir m\u00fcssen ferner bemerken (vergl. Cloquet (1. c.), Zenneck 3),\n1\tLudwig, Lehrt\u00bb, der Physiologie des Menschen I. 2. Aufl. Leipzig u. Heidelberg 1858.\n2\tHyrtl, Handbuch der topographischen Anatomie. 5. Aufl. Wien 1865.\n3\tZenneck, Von \u00e4hnlichen Ger\u00fcchen. Buchner\u2019s Repertorium f. d. Pharmacie XXXIX. S. 215. N\u00fcrnberg 1831.","page":267},{"file":"p0268.txt","language":"de","ocr_de":"268 v. Vintschgatt, Geruchssinn. 2. Cap. Beize f\u00fcr das Geruchsorgan.\ndass wir nicht einmal Namen f\u00fcr die verschiedenen Ger\u00fcche besitzen, so dass wir gen\u00f6thigt sind, dieselben nach irgend einem K\u00f6rper zu bezeichnen, dem sie eigenth\u00fcmlich sind und dessen wir uns bei der Empfindung des gleichen oder \u00e4hnlichen Geruchscharakters erinnern.\nEndlich sei noch angef\u00fchrt, dass sehr wahrscheinlich manche Ger\u00fcche unter sich in einem Gegens\u00e4tze stehen, und dass auch hier Consonanzen und Dissonanzen Vorkommen, im Einzelnen ist jedoch dar\u00fcber nichts bekannt. [Vergl. J. M\u00fcller (cit. S. 237) und Bidder (cit. S. 238)].\nAus dem Gesagten geht hervor, dass eine Eintheilung der Ger\u00fcche kaum m\u00f6glich ist, deshalb finden wir auch, dass alle neueren Physiologen sich wohl geh\u00fctet haben, eine solche zu geben, und wir begn\u00fcgen uns ebenfalls mit der Angabe, dass Linn\u00e9 (1759), Haller (1769), Lorry (1785), Fourcroy (1798) Classificationen der Ger\u00fcche angef\u00fchrt haben, die aber sehr mangelhaft sind. [Um n\u00e4here Details vergl. Cloquet Osphr\u00e9siologie (cit. S. 225) und Longet Trait\u00e9 etc. (cit. S. 243)].\nZenneck (cit. S. 267) hat ein alphabetisches Verzeichniss von Ger\u00fcchen angegeben, die sich bei verschiedenen K\u00f6rpern mehr oder weniger \u00e4hnlich zeigen.\nDagegen m\u00fcssen wir aber einen Forscher, n\u00e4mlich Fr\u00f6hlich (cit. S. 257) n\u00e4her anf\u00fchren, welcher ebenfalls eine Gruppirung der Ger\u00fcche versuchte. \u2014 Die Charaktere der zwei Hauptclassen, die er aufstellte, k\u00f6nnen von Seite der Physiologen kaum angefochten werden, da Fr\u00f6hlich\u2019s Eintheilung auf der Thatsache beruht, dass der Olfactorius der Geruchsnerv, der Trigeminus bloss der Gef\u00fchlsnerv der Nase ist.\nDie erste Hauptclasse begreift jene Riechstoffe, welche reine Geruchseindr\u00fccke bewirken: hierher geh\u00f6ren die meisten \u00e4therischen Oele, Harze, Balsame etc. Man k\u00f6nnte dieselben auch nach Fr\u00f6hlich duftende Ger\u00fcche nennen. Sie rufen keine Reflexbewegungen hervor.\nDie zweite Hauptclasse umfasst die scharfen Riechstoffe d. h. diejenigen, welche verm\u00f6ge ihrer chemischen Eigenschaften neben der Geruchsempfindung noch eine gr\u00f6ssere oder geringere Irritation der Schleimhaut der Nase her vorrufen, wie z. B. Chlor, Jod, Brom, Salpeters\u00e4ure, Essigs\u00e4ure, Benzoes\u00e4ure, Ammoniak, Senf\u00f6l, Meer-rettig u. s. w. Diese sind im Stande Reflexbewegungen hervorzurufen.\nEndlich erw\u00e4hnt Fr\u00f6hlich noch eine Gruppe von Substanzen, welche in Gasform sich befinden, dennoch aber keine eigentlichen","page":268},{"file":"p0269.txt","language":"de","ocr_de":"Eintheilung der Ger\u00fcche.\n269\nGeruchsempfindungen, sondern nur Gef\u00fchlseindr\u00fccke bewirken. Als Repr\u00e4sentant dieser Gruppe ist die Kohlens\u00e4ure zu betrachten.\nFr\u00f6hlich versuchte auch eine Anzahl Ger\u00fcche, die der ersten Classe angeh\u00f6ren, noch weiter zu gruppiren. Er ordnete dieselben ihrer Aehnlichkeit entsprechend in Reihen an, so dass die nebeneinanderstehenden Glieder nur mit einiger Aufmerksamkeit unterschieden werden konnten, w\u00e4hrend die entfernteren Glieder und namentlich die Endglieder ziemlich differente, auch dem Unge\u00fcbten auffallende Eindr\u00fccke hervorriefen.\nWir glauben aber, dass diese Einreihung nur dann einen allgemeinen Werth haben kann, wenn die angef\u00fchrten Ger\u00fcche bei verschiedenen Individuen gepr\u00fcft worden w\u00e4ren, und ausserdem begreifen die Reihen nicht alle Ger\u00fcche, die wir kennen. Es darf jedoch nicht \u00fcbersehen werden, dass Fr\u00f6hlich ausdr\u00fccklich sagt, er habe diese Anordnung der Ger\u00fcche nur deshalb getroffen um f\u00fcr die Sch\u00e4rfe und die Deutlichkeit des Riechens, w\u00e4hrend den weiter unten (S. 276) anzuf\u00fchrenden Intoxicationsversuchen, einen wenn auch sehr mangelhaften Maassstab zu erhalten.\nDie einzelnen Riechstoffe wurden mit einer hinreichenden Menge Amyluin verrieben, damit sie s\u00e4mmtlich, soweit sich diess beurtheilen liess, von ziemlich gleicher Intensit\u00e4t waren. Dieselben wurden in kleinen wohl verschlossenen Probefl\u00e4schchen aufbewahrt.\nWir geben diese Reihen, wie sie von Fr\u00f6hlich aufgestellt wurden.\nErste Reihe:\n1.\tOleum aeth. terebinthinae,\t4. Oleum aeth. Cumini,\n2.\t.,\t\u201e Juniperi.\t5.\t,,\t\u201e Carvi.\n3.\t\u201e\t\u201e Cayeputi,\nZweite Reihe:\n1.\tGummi Ladanum,\t4.\tBaisamum peruvianum.\n2.\tStyrax,\t5.\tResina Benzoe,\n3.\tResina Quajacis,\t6.\tVanille.\nDritte Reihe:\n1.\tOleum\tRosmarini,\t3.\tOleum Orygani,\n2.\t\u201e\tLavandulae,\t4.\t\u201e Thymi.\nVierte Reihe:\n1. Oleum Aurantiorum,\t2. Oleum de Bergamo.\nF\u00fcnfte Reihe:\n1. Herba Patchouli,\t2.\tValeriana celtica.\nSechste Reihe:\n1. Knoblauch, 2. Assa foetida, 3. Schwefelkohlenstoff.\nIn keine der angef\u00fchrten Reihen, ebenso wenig unter sich selbst zu ordnen waren:\n1.\tOleum\tCaryophillorum,\t3.\tIris florentina,\n2.\t\u201e\tCinnamomi,\t4.\tMoschus.","page":269},{"file":"p0270.txt","language":"de","ocr_de":"270\nv. Yintschgatj, Geruchssinn. 3. Cap. Geruchswahrnehmung.\nDie sechste Reihe umfasst die Uebergangsglieder der ersten zur zweiten Hauptclasse.\nBei Anstellung solcher Versuche sind einige Vorsichten nothwendig. \u2014 Es d\u00fcrfen nicht alle Reihen nach einander gepr\u00fcft werden, da sonst Erm\u00fcdung eintritt und das Urtheil ungemein geschw\u00e4cht wird. \u2014 Es muss eine gewisse Reihenfolge eingehalten werden; es finden sich n\u00e4mlich unter den angef\u00fchrten einige Riechstoffe, welche verm\u00f6ge ihres intensiven Geruches die darauffolgenden tibert\u00e4uben; d. h. sie bringen einen so heftigen Geruchseindruck hervor, dass das Geruchsorgan auf l\u00e4ngere oder k\u00fcrzere Dauer zur Perception anderer Ger\u00fcche untauglich wird. Wenn z. B. Valeriana celtica gerochen wurde, so konnte darauf der so nahestehende Geruch von Patschouli nicht wahrgenommen werden, wohl aber erregte Valeriana nach Patschouli noch einen sehr lebhaften Eindruck. Am meisten und l\u00e4ngsten \u00fcbert\u00e4uben Ol. caryophillorum und cin-namomi, weniger Valeriana, am wenigsten Iris. Diese Beobachtung gilt aber bloss f\u00fcr jene Individuen, deren Geruchsorgane an st\u00e4rkere Eindr\u00fccke nicht gewohnt sind, w\u00e4hrend auffallender Weise Individuen, welche, wie die Apotheker und Parfumeurs in einem, m\u00f6chte man sagen Chaos von Riechstoffen sich aufhalten, dennoch f\u00fcr geringe Geruchsdifferenzen sehr empf\u00e4nglich sind.\nDRITTES CAPITEL.\nDie Greruchswahrnehmung.\nI. Feinheit des Geruchssinnes.\nUeber die Feinheit des Geruchssinnes bei Menschen und Thie-ren ist eine grosse Anzahl von Beobachtungen ver\u00f6ffentlicht worden, wir m\u00fcssen uns jedoch \u00fcber diesen Gegenstand eine grosse Reserve auferlegen, theils um gewisse Grenzen nicht zu \u00fcberschreiten, theils weil es sich dabei oft um specielle Beobachtungen handelt, aus welchen bis jetzt keine allgemeinen Gesichtspunkte gewonnen werden konnten.\nUnter Geruchsfeinkeit versteht man das Verm\u00f6gen kleine Geruchsunterschiede wahrzunehmen, w\u00e4hrend man dagegen als Geruch s sch\u00e4rfe die F\u00e4higkeit bezeichnet, eine sehr geringe Menge eines Riechstoffes wahrzunehmen. Die beiden Ausdr\u00fccke werden je-","page":270},{"file":"p0271.txt","language":"de","ocr_de":"Feinheit des Geruchssinnes.\n271\ndoch sehr oft mit einander verwechselt, da auch meistens die Sch\u00e4rfe mit der Feinheit zusammenf\u00e4llt.\nEs darf nicht \u00fcbersehen werden, dass die Geruchswelt bei den verschiedenen Thieren eine sehr verschiedene ist [J. M\u00fcller (cit. S. 237) I. S. 759 und IL S. 488J. Die Welt der Ger\u00fcche eines Pflanzenfressers ist gewiss eine ganz andere als jene eines Fleischfressers, und jene des Menschen ist gewiss eine andere als jene der Thiere; beim Menschen scheint dieselbe jedoch mehr gleichf\u00f6rmig ausgebildet zu sein.\nCloquet [(cit. S. 225) S. 8 u. fl. und S. 74 u. fl.] f\u00fchrt eine ganze Reihe von Angaben an, theils um die Geruchsfeinheit und Geruchssch\u00e4rfe bei Thieren zu beweisen, theils um zu zeigen, wie die Ger\u00fcche den Thieren bald angenehm bald unangenehm sein k\u00f6nnen.\nDie Mittheilungen, dass auch der Mensch bez\u00fcglich seiner Geruchssch\u00e4rfe und Geruchsfeinheit den Thieren nicht immer nachsteht, sind ebenfalls nicht sp\u00e4rlich [Valentin (cit. S. 244) S. 289, Wagner (cit. S. 238) S. 348, Hyrtl (cit. S. 267) I. S. 309]. Nur w\u00e4re zu bemerken, wie Bidder (cit. S. 238) richtig anf\u00fchrt, dass bei den Nordamerikanischen Wilden der Geruchssinn durch die Uebung gesteigert wird.\nD\u00f6nhoff 1 hat einige Beobachtungen an Bienen und Hunden bekannt gemacht, welche deren Geruchsfeinheit beweisen.\nEs kann von Interesse sein zu erinnern, dass jede Thiergattung, ja sogar jedes Individuum einen eigenen Geruch ausstr\u00f6mt (Cloquet [cit. S. 226] S. 40 und 42 und D\u00f6nhoff [1. c.]). Gustav J\u00e4ger1 2 hat neuerdings die Aufmerksamkeit der Naturforscher auf den specifischen Geschmack und Geruch der Thiere hingelenkt und m\u00f6chte nun diese Beobachtungen zu phylogenetischen und ontogenetischen Untersuchungen benutzt wissen.\nNach den Beobachtungen von Landr\u00e9-Beauvais (Cloquet [cit. S. 225] S. 40) scheint es, dass bei Menschen dieser eigene Geruch von dem Himmelsstrich, von den Nahrungsmitteln, von der Besch\u00e4ftigung u. s. w. abh\u00e4ngig sei.\nDurch die Uebung l\u00e4sst sich die Feinheit des Geruchssinnes weiter entwickeln, und es wird angef\u00fchrt [Bidder (cit. S. 238), Dug\u00e9s (cit. S. 237), Valentin (cit. S. 244)], dass Apotheker Geruchsunterschiede wahrnehmen k\u00f6nnen, welche Anderen ganz entgehen. Aerzte und Krankenw\u00e4rter sollen f\u00fcr Ausd\u00fcnstungen bei den verschiedenen Ausschl\u00e4gen besonders empfindlich werden.\n1\tD\u00f6nhoff, Beitr\u00e4ge zur Physiologie. Arch. f. Anat. u. Physiol. 1874. S. 753.\n2\tG. J\u00e4ger, Ueber die Bedeutung des Geschmacks- und Geruchsstoffes. Ztschr. f. wissensch. Zool. XXVII. Leipzig 1876.","page":271},{"file":"p0272.txt","language":"de","ocr_de":"272\nv. Vintschgau, Geruchssinn. 3. Cap. Geruchswahrnehmung.\nMilne Edwars 1 (S. 457) bemerkt mit Recht, dass, wenn die Aufmerksamkeit des Menschen vorzugsweise oder ausschliesslich (Beobachtung von Wardropp1 2) auf den Geruchssinn concentrirt ist, dieser dann eine sehr grosse Feinheit erreichen kann.\nEs w\u00e4re endlich zu erw\u00e4hnen [Bidder (cit. S. 238), Valentin (cit. S. 244)], dass kleine Kinder wahrscheinlich schw\u00e4cher riechen als Erwachsene, sie verhalten sich wenigstens passiver gegen die verschiedenartigsten Ausd\u00fcnstungen.\nIn wie weit es zul\u00e4ssig ist, das Pigment der Riechschleimhaut mit dem Ger\u00fcche in Beziehung zu bringen, wie Ogle3 auf Grund verschiedener Erfahrungen dies versucht hat, m\u00fcssen k\u00fcnftige Forschungen entscheiden.\nII. Die \u00dfeactionszeit einer Geriichsempflndung.\nWir besitzen dar\u00fcber gar keine Erfahrungen. Bidder [(cit. S. 238) S. 925] schrieb zu einer Zeit, in welcher noch keine Versuche \u00fcber die Reactionszeit einer Empfindung angestellt waren, Folgendes: Die Zeit, die zu einer deutlichen Wahrnehmung irgend eines Riechbaren erforderlich ist, ist viel l\u00e4nger als die zum vollst\u00e4ndigen Erfassen eines Gesichtsoder Geh\u00f6rseindruckes, w\u00e4hrend hier schon f'o Sec. hinreichen kann, wird man dort unter einigen Secunden schwerlich ins Reine kommen.\nEs ist aber sehr wahrscheinlich, dass, wenn es einmal gelingen sollte, Methoden ausfindig zu machen, welche gestatten, die Reactionszeit einer Geruchsempfindung genau zu ermitteln, man finden wird, dass auch diese Zeit nur Bruchtheile einer Secunde betr\u00e4gt.\nIII. Die specifisclie Energie der Geruclisfaserii.\nNur als allgemeine Hypothese in Folge der Analogie mit den \u00fcbrigen Sinnesorganen d\u00fcrfen wir auch hier die specifische Energie-der einzelnen Geruchsfasern annehmen. Hermann4 (S. 415) hat diese Ansicht ausgesprochen und Br\u00fccke (cit. S. 261) nimmt ebenfalls als wahrscheinlich an, dass die verschiedenen Ger\u00fcche darauf beruhen, dass verschiedene Nervenfasern st\u00e4rker erregt werden; letztere sollen wieder mit verschiedenen Centralgebilden in Verbindung stehen, deren Erregung in uns verschiedene Geruchsempfindungen hervorruft.\n1\tH. Milne Edwars , Le\u00e7ons sur la physiologie et l\u2019anatomie compar\u00e9e de l\u2019homme et des animaux XI. Paris 1876.\n2\tWardropp theilt n\u00e4mlich mit, dass James Mitchell , welcher von seiner Geburt an blind, taub und stumm war, die einzelnen Personen dadurch erkannte, dass er dieselben beschn\u00fcffelte.\n3\tW. Ogle , Anosmia. Cases \u00fclustrating the physiology and pathology of the sens of smell. Medico-chirurgical transactions LIII. p. 263, angef\u00fchrt nach Henle u. Meissner\u2019s Jahresber. 1870. S. 314.\n4\tHermann, Grundriss der Physiologie des Menschen. 4. Aufl. Berlin 1872.","page":272},{"file":"p0273.txt","language":"de","ocr_de":"Intensit\u00e4t einer Geruchsempfindung. Menge des wirksamen K\u00f6rpers. 273\nEs fehlt uns aber jeder Anhaltspunkt; um zu bestimmen; wie viele Arten von Geruchsfasern anzunehmen seien, und wir werden wahrscheinlich erst dann \u00fcber diese allgemeine Andeutung weiter gehen k\u00f6nnen, wenn es einmal gelingen wird, die einzelnen Ger\u00fcche auf irgend eine Weise ihrer Analogie nach zu classificiren, wenn z. B. eine grosse Reihe von Individuen bez\u00fcglich ihres Verm\u00f6gens, die einzelnen Ger\u00fcche zu unterscheiden, untersucht sein wird.\nIV. Intensit\u00e4t einer Greruchsempflndung*\nDie Intensit\u00e4t einer Geruchsempfindung h\u00e4ngt von einer Reihe von Bedingungen ab, die wir nun besprechen werden.\n1. Menge des wirksamen K\u00f6rpers.\nWir m\u00fcssen vor Allem bemerken, dass es geradezu unm\u00f6glich ist, die Menge des riechenden Stoffes zu bestimmen, welche gleichzeitig auf die Geruchsnerven einwirkt. Man muss sich deshalb mit einer ann\u00e4hernden Bestimmung begn\u00fcgen, indem man jene Menge der riechenden Substanz bestimmt, welche in einem gegebenen bei einer Einathmung durch die Nase streichenden Luftvolumen enthalten ist. [Ludwig (cit. S. 267), Fick (cit. S. 244)].\nDie einzigen Bestimmungen, die wir \u00fcber diesen Punkt besitzen, r\u00fchren von Valentin (cit. S. 244) her, welcher seine Versuche mit Clemens vornahm.\nWir verzichten auf die Angabe der von Valentin angewendeten Methoden, um jene kleine Quantit\u00e4t des riechenden Stoffes zu bestimmen, welche in einem bestimmten Luftvolumen enthalten war, und beschr\u00e4nken uns blos auf die Mittheilung der von ihm erhaltenen Resultate. Wir k\u00f6nnen um so eher von der Beschreibung der Methoden absehen, als ohnehin die Zahlen keinen absoluten Werth haben und blos dazu dienen, um zu zeigen, wie klein die Quantit\u00e4t eines riechenden Stoffes sein kann, die noch eine Geruchsempfindung hervorruft.\n1.\tBrom. Ein Luftraum, der im g\u00fcnstigsten Falle V200000 Bromdampf einschloss, roch noch sehr stark nach Brom und zwar im ersten Augenblicke auffallend unangenehm. Da 1 Ccm. Luft hier h\u00f6chstens V30000 eines Milligramm Brom f\u00fchrte und wir annehmen k\u00f6nnen, dass 50 Ccm. Luft die Nase passirt haben, bis der Eindruck aufgefasst wurde, so ergibt sich, dass h\u00f6chstens V600 Mgrm. Brom, wahrscheinlich aber noch weniger hinreicht, den eigenth\u00fcmlichen Geruch dieses K\u00f6rpers auf das Deutlichste zum Bewusstsein zu bringen.\n2.\tPhosphorwasserstoff. Enth\u00e4lt die Atmosph\u00e4re 1/55000 dieses Gases, so zeigte sich ein sehr starker Knoblauchgeruch im ersten Augenblicke und ein schw\u00e4cherer in der Folge. Berechnet man wiederum das Verh\u00e4ltniss f\u00fcr 50 Ccm. Luft, so ergibt sich, dass 1/50 Mgrm. mehr als\nHandbuch der Physiologie. Bd. HIa.\t18","page":273},{"file":"p0274.txt","language":"de","ocr_de":"274\ny. ViNTECHGATT, Geruchssinn. 3. Cap. Geruchswahrnehmung.\nhinreichend ist ^ um den Knoblauchgeruch des Phosphorwasserstoffes mit grosser St\u00e4rke hervorzurufen.\n3.\tSchwefelwasserstoff. Eine Luftmasse, die weniger als l/nooooo ihres Umfanges an Schwefelwasserstoff f\u00fchrte, liess im Anf\u00e4nge noch einen schwachen Geruch von diesem Gase erkennen. Valentin berechnete, dass weniger als Vsooo Mgrm. Schwefelwasserstoff hinreicht, um einen schwachen Geruch nach faulen Eiern zu veranlassen.\n4.\tAmmoniak Es steht den \u00fcbrigen von Valentin gepr\u00fcften Riechk\u00f6rpern bedeutend nach. Wenn die Atmosph\u00e4re 733000 Ammoniakd\u00e4mpfe enthielt, konnte es Valentin nicht mehr riechen. Ein mit Salzs\u00e4ure befeuchteter Glasstab erzeugte aber hier noch sehr deutlich weisse Nebel.\n5.\tMoschus. Es wurde ein Auszug mit absolutem Alkohol benutzt, der Alkohol hatte weniger als 1 Mgrm. aufgel\u00f6st und dabei wohl einen grossen Theil, nicht aber allen Riechstoff des Moschus und wahrscheinlich auch noch andere Bestandtlieile desselben aufgenommen. Valentin nimmt an, dass die Wahrnehmbarkeit dann ungef\u00e4hr ihre Grenze erreiche, wenn im Ganzen weniger als V2000000 Mgrm. jenes Weingeistauszuges dargeboten wurde.\n6.\tRosen\u00f6l. Eine Luftmasse, welche f\u00fcr jeden Ccm. nur V2000000 Mgrm. enthielt, hatte noch einen schwachen Rosengeruch f\u00fcr kurze Zeit gezeigt. Daraus berechnet Valentin, dass V20000 Mgrm. hinreicht, um eine deutliche Empfindung zu haben. Bedenkt man, dass auch das feinste Rosen\u00f6l zu einem sehr grossen Theil aus einem geruchlosen fetten Oele besteht, so ergibt sich, dass wahrscheinlich der eigentliche Riechstoff des fl\u00fcchtigen Antheils noch viel weniger betragen muss.\n7.\tPfefferm\u00fcnz\u00f6l. ^'i70000 Mgrm. des Oeles auf je 1 Ccm. Luft erregt einen schwachen aber nicht zu verkennenden Pfefferm\u00fcnzegeruch. Daraus berechnete Valentin, dass weniger als 71700 Mgrm. gen\u00fcgt, um die eigenthtimliche Geruchsempfindung des Oeles hervorzurufen.\n8.\tWurm kr aut \u00f6l. Ein Luftraum, der Vuooo Mgrm. des Wurmkraut\u00f6ls auf den Ccm. enthielt, verbreitete den bekannten unangenehmen Geruch dieses Oels in durchdringender Weise.\n9.\tNelken\u00f6l. Wurden 5 Mgrm. Nelken\u00f6l in einen Ballon von 55,66 Liter eingetropft, so dass ungef\u00e4hr V10000 Mgrm. einem Ccm. der Luft entsprachen, so roch der Ballon durch mehr als 3 Monate nach Gew\u00fcrznelken und zwar keineswegs in unbedeutendem Grade.\nWenn wir auch, wie oben erw\u00e4hnt, den von Valentin angef\u00fchrten Zahlen keine absolute Giltigkeit zuschreiben k\u00f6nnen, so sind dieselben doch gen\u00fcgend, um zu beweisen, dass die verschiedenen riechbaren Stoffe unter gleichen mechanischen Bedingungen den Geruchssinn in sehr verschiedenem Grade erregen; die Riechstoffe lassen sich n\u00e4mlich ihrer verschiedenen Wirksamkeit entsprechend in einer Scala anordnen, deren unterste Stufe Phosphorwasserstoff und Ammoniak bilden, die oberste dagegen von Moschus repr\u00e4sentirt wird.","page":274},{"file":"p0275.txt","language":"de","ocr_de":"Grosse der erregten Fl\u00e4che.\n275\nAusserdem zeigen die Versuche Valentin\u2019s, dass eine grosse Feinheit der Geruchsreaction besteht.\nNach Valentin\u2019s Meinung soll auch f\u00fcr die Ger\u00fcche das Gesetz gelten, dass von verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig concentrirteren Riechstoffen geringere Mengen n\u00f6thig sind, um eine Empfindung anzuregen, als von verd\u00fcnnteren Mischungen. Es w\u00fcrde sich also in dieser Beziehung bei den Ger\u00fcchen ein \u00e4hnliches Verhalten zeigen, wie bei den Geschm\u00e4ckern (Vergl. Geschmackssinn S. 211).\nEs w\u00e4re endlich zu erw\u00e4hnen, dass die Geruchsintensit\u00e4t bei demselben riechbaren Stoffe von der Menge abh\u00e4ngt, in welcher er dem Geruchsnerven dargeboten wird. Je mehr eines Riechstoffes in der Volumseinheit Luft, welche der Geruchsschleimhaut zugef\u00fchrt wird, enthalten ist, desto st\u00e4rker werden wir den Stoff riechen. Es scheint aber, dass, wenn die Menge der riechenden Substanz sehr gross ist, dann die Beschaffenheit der Empfindung sich \u00e4ndere. Valentin (1. c.) gibt n\u00e4mlich an, dass ein Moschusbeutel einen qualitativ anderen Eindruck errege als der Moschus, der in der Atmosph\u00e4re sich verbreitet, und dass die Annehmlichkeit der Ger\u00fcche erst mit einer gewissen Verd\u00fcnnung der Riechstoffe aufzutreten pflege; gr\u00f6ssere Massen von Nelken\u00f6l riechen unangenehm, kleine dagegen angenehm.\nEs wird auch angegeben, dass Personen mit weiten Nasenl\u00f6chern und mit langer vorstehender Nase in der Regel besser riechen, als Personen mit enger und kleiner Nase, weil bei den ersten eine gr\u00f6ssere Quantit\u00e4t Luft in die Nase eingezogen werden kann; Thiere mit ger\u00e4umigen Nasenh\u00f6hlen und ausgebildeten Muscheln sollen einen sch\u00e4rferen Geruch besitzen, wahrscheinlich weil die Luft mehr vertheilt wird und dadurch eine gr\u00f6ssere Quantit\u00e4t der riechenden Theilchen mit der Membrana olfactoria in Ber\u00fchrung kommt. \u2014 Wir haben diese Angaben blos der Vollst\u00e4ndigkeit wegen angef\u00fchrt, ohne denselben jedoch vor der Hand viel Werth beizulegen (vgl. oben S. 250 u. folg.).\n2. Gr\u00f6sse der erregten Fl\u00e4che.\nEs scheint, dass die Intensit\u00e4t der Geruchsempfindung von der Zahl der gleichzeitig erregten Nervenelemente abh\u00e4nge, oder mit anderen Worten von der gr\u00f6sseren oder kleineren Oberfl\u00e4che, auf welche die Riechstoffe einwirken. Wir besitzen aber dar\u00fcber keine di-recten Versuche und es l\u00e4sst sich nur sagen, dass wir mit beiden Nasenl\u00f6chern meistens besser als mit einem riechen, obgleich auch in letzterem Falle der Geruch kaum wesentlich geschw\u00e4cht erscheint, und die Beurtheilung der specifischen Verschiedenheit des Geroche-\n18*","page":275},{"file":"p0276.txt","language":"de","ocr_de":"276\nv. Vintschgau, Geruchssinn. 3. Cap. Geruchswahrnehmung.\nnen ungetr\u00fcbt bleibt. Wichtiger ist die Beobachtung, dass beim Aus-athmen die Ger\u00fcche weniger deutlich wahrgenommen werden, weil wie oben S. 246 auseinandergesetzt wurde, von der ausgeathmeten Luft nur eine sehr beschr\u00e4nkte Partie der Riechschleimhaut bestrichen wird.\n3. ILrreybarkeilszustand der Nerven.\nDen Beweis f\u00fcr die Behauptung, dass die Geruchsintensit\u00e4t von dem Erregbarkeitszustand der Nerven abh\u00e4nge, liefern die Verstimmung des Geruchssinnes bei Nervenkrankheiten, vorzugsweise aber die Beobachtungen von Fr\u00f6hlich \u00fcber die Ver\u00e4nderungen der Geruchswahrnehmungen bei allgemeiner Vergiftung und speciell bei der \u00f6rtlichen Vergiftung des Olfactorius.\nA. Vergiftung des Olfactorius.\nDie Ver\u00e4nderungen, welche der Geruchssinn in Folge der Wirkung einiger Gifte erleidet, sind von Fr\u00f6hlich (eit. S. 257) untersucht worden.\nDie Beobachtungen Fr\u00f6hlich\u2019s scheinen aber ganz in Vergessenheit gerathen zu sein, da auch Hermann an keiner Stelle seines Lehrbuches der experimentellen Toxikologie, Berlin 1874, davon Erw\u00e4hnung thut.\nFr\u00f6hlich untersuchte die Ver\u00e4nderungen des Geruchssinnes sowohl nach \u00f6rtlicher Einwirkung von Giften auf die Nasenschleimhaut, wie auch nach einer allgemeinen Vergiftung.\nDie \u00f6rtliche Vergiftung des Olfactorius wurde von Fr\u00f6hlich durch Morphium und durch Strychnin versucht.\n1.\tMorphium. 5 Cgrm. Acet. morphii wurden mit Zucker verrieben und geschnupft, wobei man verhinderte, dass der Schleim abfloss. Der Geruch erlitt nur eine geringe Schw\u00e4chung; f\u00fcr kurze Zeit wurde zwar Ammoniak sehr wenig empfunden, die meisten reinen Ger\u00fcche wurden aber gut unterschieden, obgleich die Zeit, welche verging, bis das Urtheil gef\u00e4llt werden konnte, eine l\u00e4ngere war; nur Ol. thymi und orygani wurden nicht erkannt und letzteres f\u00fcr Ol. menthae piperitae gehalten. Nach 12 Stunden war auch nicht eine Spur von einer Intoxication des Sinnesnerven zu bemerken.\nInteressant ist die Angabe Fr\u00f6hlich\u2019s, dass er 2 Stunden nach dem Versuche eine sehr schwache subjective Empfindung \u00e4hnlich dem Ger\u00fcche von frisch gesottenem Leime hatte.\n2.\tStrychnin. 1 Cgrm. Strychnin mit 1 Grm. Zucker verrieben wurde geschnupft und 20 Min. lang in der Nase behalten; es trat eine profuse Schleimsecretion ein. Sowohl Fr\u00f6hlich als Lichtenfels, welcher sich demselben Versuche unterzog, bemerkten innerhalb der ersten Viertelstunde","page":276},{"file":"p0277.txt","language":"de","ocr_de":"Erregbarkeitszustand der Nerven. Vergiftung des Olfactorius.\n277\n\u201eeine auffallende Versch\u00e4rfung des Geruches (siehe auch unten S.278 u.fl.F 50 Min. sp\u00e4ter wurden aber Riechstoffe noch erkannt, welche in so bedeutender Verd\u00fcnnung vorhanden waren, dass dieselben nie im normalen Zustande gerochen wurden. Die Nasenschleimhaut wurde viel empfindlicher, Ammoniakd\u00e4mpfe wurden sehr schmerzhaft empfunden.\u201c Sowohl die Th\u00e4tigkeit des Trigeminus als jene des Olfactorius war gesteigert. Durch 8 Tage dauerte ein \u00e4usserst profuser Katarrh. Das Geruchsver-m\u00f6gen war w\u00e4hrend dieser ganzen Zeit unglaublich gesch\u00e4rft.\nF\u00fcr die allgemeine Vergiftung wurden das Tabakrauchen, Alkohol, Chloroform, Atropin, Daturin, Morphin und Strychnin angewendet. Die Beobachtungen wurden sowohl an Fr\u00f6hlich als auch an Lichtenfels angestellt.\n1.\tDas Tabakrauchen erzeugte gar keine Wirkung auf den Olfactorius.\n2.\tAlkohol. Es wurden 200 Grm. einer Fl\u00fcssigkeit getrunken, welche 40 Grm. absoluten Alkohol enthielt. Nach 10 Min. war die Wirkung des Alkohols f\u00fchlbar ; die reinen Geruchseindr\u00fccke wurden sehr gut,, scheinbar sogar besser als im normalen Zustande aufgefasst, w\u00e4hrend f\u00fcr die scharfen Geruchseindr\u00fccke das Gef\u00fchl abgestumpft war. Nach 50 Min. war das Geruchsorgan auch f\u00fcr die reinen Geruchseindr\u00fccke weniger empf\u00e4nglich, das Urtheil ungemein verlangsamt und die sich ber\u00fchrenden Glieder der von Riechstoffen gebildeten Reihen (siehe oben S. 269) wurden nur schwierig unterschieden. Die Ammoniakd\u00e4mpfe wurden kaum bemerkt, obwohl h\u00e4ufiges Niesen eintrat.\n3.\tChloroform. Nach Fr\u00f6hlich wird der Olfactorius durch die Narkose nur sehr wenig und auf kurze Zeit afficirt, w\u00e4hrend Gerdy1 2 die Meinung \u00e4usserte, dass durch die Narkose mit Aether der Geruch gar nicht beeintr\u00e4chtigt werde. Gleich nach dem Erwachen aus der Chloroformnarkose hat man beobachtet, dass eine gr\u00f6ssere oder kleinere Unempfindlichkeit f\u00fcr alle Geruchseindr\u00fccke vorhanden war; das Unterscheidungsverm\u00f6gen der Ger\u00fcche war jedoch aufgehoben, so dass Guajak nicht erkannt und Origanum f\u00fcr Mentha erkl\u00e4rt wurde. Kurze Zeit darauf aber war die Empfindlichkeit f\u00fcr alle reinen Ger\u00fcche ungemein gross, so dass die Beobachter meinten besser zu riechen als im normalen Zustande. Essigs\u00e4ure und Ammoniak wurden durch lange Zeit nur sehr schwach empfunden.\nUm das Eindringen der Chloroformd\u00e4mpfe in die Nasenh\u00f6hlen w\u00e4hrend der Narkotisirung zu verhindern, wurden die Nasenfl\u00fcgel fest com-primirt; ob aber jede Ber\u00fchrung der Chloroformd\u00e4mpfe mit der Riechschleimhaut dadurch verhindert wurde, muss bezweifelt werden.\nDie Function des Trigeminus wird mehr und auf l\u00e4ngere Zeit (jedoch kaum \u00fcber ^ Stunde) gest\u00f6rt. Fr\u00f6hlich meint aber, dass die gr\u00f6ssere Sch\u00e4rfe des Geruchsorgans nach Alkohol- und Chloroformwir-\n1\tGerdy , Inspiration des vapeurs d\u2019\u00e9ther comme moyen de supprimer la douleur dans les operations chirurgicales. Archives g\u00e9n\u00e9rales de m\u00e9decine XIII. 4. Serie, p. 265. Paris 1347.\n2\tGerdy gibt aber nicht an, wie er die Versuche v\u00f6rnahm.","page":277},{"file":"p0278.txt","language":"de","ocr_de":"278\ty. Yentschgau, Geruchssinn. 3. Cap. Geruchswahrnehmung.\nkung nur eine scheinbare sei und zwar durch den Vergleich mit den \u00fcbrigen, in Folge der Intoxication etwas abgestumpften Sinnesorganen.\n4.\tAtropin; Daturin. Nach Einwirkung von 5 Mgrm. Atropin konnte Lichtenfels die Essigs\u00e4ure nicht riechen; auch 2l/2 Stunden sp\u00e4ter wurden die Ger\u00fcche verwechselt und einige Stunden sp\u00e4ter zeigte sich immer noch eine gewisse Unempfindlichkeit f\u00fcr alle Ger\u00fcche. Nach Einwirkung von 5 Mgrm. Daturin konnte Fr\u00f6hlich 1 Stunde darnach die Ger\u00fcche ihrer Verschiedenheit nach unterscheiden, jedoch keine genaue Bestimmung derselben vornehmen, es kamen selbst Geruchsverwechselungen vor und auch f\u00fcr Essigs\u00e4ure und Ammoniak war er weniger empfindlich. Geruchslosigkeit trat aber nicht ein. \u2014 Fr\u00f6hlich meint, dass die beobachteten Erscheinungen nicht so sehr von einer Functionsst\u00f6rung des Olfactorius als vielmehr von der Secretionsst\u00f6rung der Nasenschleimhaut abh\u00e4ngen, weil beide Substanzen Trockenheit der Schleimhaut her-beifiihren. Die Empfindlichkeit der Tastnerven nach Atropin und Daturin ist nicht geschw\u00e4cht.\n5.\tMorphin. ll% Stunde nach Anwendung von 8 Cgrm. Morphin wurde von Fr\u00f6hlich die Essigs\u00e4ure schw\u00e4cher und alienirt, das Ammoniak viel weniger, aber in geringer Menge nicht unangenehm empfunden. F\u00fcr die reinen Geruchseindr\u00fccke war das Unterscheidungsverm\u00f6gen bedeutend geschw\u00e4cht, es kamen viele Verwechselungen vor. Alle Riechstoffe, selbst solche von bedeutender Intensit\u00e4t, schienen ihm in weiter Ferne zu sein, wenn sie auch unmittelbar unter der Nase sich befanden. 3 Stunden sp\u00e4ter hatte die Wirkung den H\u00f6hepunkt erreicht. Die scharfen Riechstoffe wurden gar nicht mehr erkannt und die Verwechselung der reinen Ger\u00fcche war eine \u201ewahrhaft chaotische\u201c. Hierbei aber wurde an der Nasenschleimhaut gar keine Ver\u00e4nderung beobachtet. Fr\u00f6hlich S. 334 sagt, \u201ees ist dies der einzige mir bekannte Fall einer bedeutenden Narkose des N. olfactorius\u201c.\n6.\tStrychnin. Vor allem wurde die Normalentfernung bestimmt, in welcher gewisse Ger\u00fcche noch erkannt werden konnten. Diese Entfernung wurde bei m\u00f6glichst ruhiger Atmosph\u00e4re in der Art ermittelt, dass Fl\u00e4schchen, welche die Riechstoffe enthielten, einem Lineale entlang der Nase zugef\u00fchrt wurden, dabei wurden die Fl\u00e4schchen erst ge\u00f6ffnet, wenn sie sich am Lineale in der Richtung der Nase befanden; in derselben Richtung geschah auch die Ann\u00e4herung und zwar nicht allzu langsam, um nicht durch l\u00e4ngeres Offenhalten der Fl\u00e4schchen die Ger\u00fcche in der Atmosph\u00e4re sich verbreiten zu lassen. Fr\u00f6hlich gibt als Normalentfernungen :\nNelken\u00f6l\tLavandel\u00f6l\nf\u00fcr Fr\u00f6hlich\t140\t160 Mm.\nf\u00fcr Lichtenfels\t105\t120\t\u201e\nDie Fehlergr\u00f6sse betrug im Maximum 40 Mm. Fr\u00f6hlich nahm 2 Cgrm., Lichtenfels nur 1 Cgrm. Strychnin, bei beiden waren die Erscheinungen dieselben. \u2014 Schon 30 Min. nach Einverleibung dieser Stoffe war der Geruchssinn ausserordentlich gesch\u00e4rft, \u201e die Geruchsempfindungen wurden","page":278},{"file":"p0279.txt","language":"de","ocr_de":"Vergiftung des Olfactorius.\n279\nviel deutlicher und pr\u00e4ciser aufgefasst und machten einen \u00e4usserst angenehmen Eindruck\u201c. \u2014 Alle Ger\u00fcche rochen lieblich duftend und sogar die widerw\u00e4rtigen (Assa foetida, Knoblauch, Valeriana celtica) machten keinen unangenehmen Eindruck, obwohl ihr eigenth\u00fcmlicher Geruch nicht zu verkennen war, doch war derselbe ebenso wie der von Styrax, Bals, peruvianum etc. alienirt.\nBei \u00f6rtlicher Einwirkung des Strychnins nahm die Sch\u00e4rfe um das Dreifache, bei der allgemeinen Einwirkung um das Doppelte zu.\nWir haben fr\u00fcher (S. 276) gesehen, dass bei der \u00f6rtlichen Einwirkung des Strychnins trotz der profusen Schleimsecretion die gesteigerte Geruchssch\u00e4rfe nicht abnahm, ausserdem war die Empfindlichkeit der Schleimhaut so gesteigert, dass einigermaassen scharfe Ger\u00fcche (Essigs\u00e4ure, Ammoniak, Tabak) Schmerzen bewirkten.\nWir geben hier die kleinen Tabellen von Fr\u00f6hlich.\nNach dem \u00f6rtlichen Gebrauch von Strychnin.\n\u2022 Fr\u00f6hlich.\t\t\tLichtenfels.\t\t\nZeit, welche seit dem Beginne des Versuchs verflossen.\tLavandel\u00f6l 1 Normal (160)\tNelken\u00f6l | Normal ( 140)\tZeit, welche seit dem Beginne des Versuchs verflossen.\tLavandel\u00f6l Normal (120)\tNelken\u00f6l Normal (105)\n10 Minuten\t\t\t140 mm.\t15 Minuten\t\u2014\t180 mm.\n25\t205 mm.\t\u2014\t15\t\u201e\t\u2014\t160 mm.\n\u2014\t\u2014\t\u2014\t05 CO\t225mm.\t\u2014\n45\t,,\t\u2014\t270mm.\t45\t\u201e\t\u2014\t310 mm.\n50\t\u201e\t400 mm.\t\u2014\t50\t\u201e\t315mm.\t\u2014\n8 Stunden\t330 mm.\t300 mm.\t8 Stunden\t290mm.\t270 mm.\nNach dem innerlichen Gebrauch von Strychnin; Riechstoff: Nelken\u00f6l.\n\tNormalbe- stimmung (Mittel)\tEine Stunde nach dem Einnehmen\tTags darauf nach 17 Stunden\nFr\u00f6hlich R. Lichtenfels\t140 mm. 105 mm.\t300 mm. 350 mm.\t245 mm. 215mm.\nDa die Geruchssch\u00e4rfe blos subjectiver Natur ist, so ist dieselbe auch sehr schwer zu bestimmen, ausserdem ist es kaum m\u00f6glich, genau die Grenze der Entfernung auszumitteln, in welcher die Ger\u00fcche anfangen, auf den Olfactorius zu wirken ; Fr\u00f6hlich gibt dies wohl zu, bemerkt aber, dass solche Fehler, bei welchen die Entfernungen das Doppelte oder Dreifache betragen, nicht denkbar sind. Bez\u00fcglich der Versuche, bei welchen eine \u00f6rtliche Affection angestrebt wurde, liesse sich wohl auch die Einwendung erheben, dass durch Resorption eine allgemeine Wirkung h\u00e4tte entstehen k\u00f6nnen. Eine solche allgemeine Wirkung ist aber nach Fr\u00f6hlich ausgeschlossen, weil mit Ausnahme eines geringen Kopfschmerzes weder eine Steigerung der Pulsfrequenz, noch eine St\u00f6rung der motori-","page":279},{"file":"p0280.txt","language":"de","ocr_de":"280\ny. Vintschgatj, Geruchssinn. 3. Cap. Geruchs Wahrnehmung.\nsehen Nerven beobachtet wurde; ferner die Wirkung auf jenes Nasenloch beschr\u00e4nkt blieb, an welchem die Anwendung stattfand.\nFr\u00f6hlich betrachtet die St\u00f6rungen des Geruchssinnes bei der \u00f6rtlichen Application von Morphium, sowie bei der allgemeinen Vergiftung mit Atropin und Daturin als gr\u00f6sstentheils abh\u00e4ngig von der abnormen Beschaffenheit der Schleimhaut, und somit von einer St\u00f6rung in der Mechanik des Riechens. \u2014 Nur die bei innerer Anwendung des Morphiums auftretende Verwechselung aller Ger\u00fcche und die bei innerlichem und \u00e4usserlichem Gebrauch des Strychnins stattfindende Verst\u00e4rkung der Geruchssch\u00e4rfe wird von Fr\u00f6hlich mit Bestimmtheit als eine Affection des Olfactorius angesehen. \u2014 Der Olfactorius ist nach Fr\u00f6hlich von allen Nerven am schwierigsten in seiner Function zu st\u00f6ren, w\u00e4hrend der Trigeminus sehr leicht und beinahe bei jedem Versuche nicht unbedeutend afficirt wird.\n4. Die Str\u00f6mung der mit Ger\u00fcchen beladenen Luft durch die Nase.\nEs wurde schon oben S. 243 und S. 247 angegeben, dass eine Geruchsempfindung nur dann zu Stande kommt, wenn die riechenden Theilchen in einem Luftstrom dem Geruchsorgan zugef\u00fchrt werden ; damit jedoch eine dauernde Geruchsempfindung unterhalten werde, ist es aber auch unerl\u00e4sslich, dass immer neue Theilchen des erregenden K\u00f6rpers mit dem Endorgane in Ber\u00fchrung kommen ; der Erfolg ist hierbei desto gr\u00f6sser, je schneller der Wechsel der Theilchen geschieht, d. h. je schneller der Strom sich bewegt. Wenn wir somit deutlich riechen wollen, ziehen wir die Luft mit einer tiefen Inspiration in die Nase oder wir machen auch wiederholte kleine Inspirationen. Der Mensch und vorzugsweise die Thiere ben\u00fctzen diese letzte Art beim sogenannten Sp\u00fcren, Schn\u00fcffeln, Schnobern. Man sagt deshalb auch, dass das Sp\u00fcren auf einem willk\u00fcrlichen Einziehen der Luft beruhe, im Gegensatz vom Wittern, bei welchem die Geruchsempfindung mehr durch das Einstr\u00f6men der vom Winde in die Nasenl\u00f6cher getriebenen Luft erregt wird (Bischoff1). Cloquet (cit. S. 225) jedoch nennt auch das Wittern ein th\u00e4tiges, ein durch den Willen genauer und bestimmter gemachtes Riechen; selbstverst\u00e4ndlich erstreckt sich der Einfluss des Willens bloss auf die Athmungswerkzeuge und nicht auf den Riechsinn als solchen. Auch Bidder [(cit. S. 248) S. 23] schliesst sich im Allgemeinen der Ansicht\n1 Bischoff, Encyclop\u00e4disches W\u00f6rterbuch der med. Wissensch. XIV.. herausgegeben zu Berlin. Artikel Geruchssinn. S. 459.; angef\u00fchrt nach Bidder, Neue Beobachtungen etc. cit. S. 248.","page":280},{"file":"p0281.txt","language":"de","ocr_de":"Luftstr\u00f6m, d. d.Nase. Zust. d. Riechschleimliaut. Ab stumpf, d. Geruchssinns. 281\nCloquet\u2019s an, da er bemerkt zu haben glaubt, dass Hunde selbst beim Wittern, wenn sie die Nase dem entgegenkommenden Luftstrome zuwenden, kurze und schnell aufeinander folgende Athemz\u00fcge machen. \u2014 Sobald der Strom durch die Nase zu fliessen aufh\u00f6rt, dann verschwindet auch beinahe sofort der Geruch, obwohl die Nase noch immer mit den riechenden Theilchen gef\u00fcllt ist. Demgem\u00e4ss finden wir auch, dass, wenn die ganze umgebende Luft mit einem Riechstoff gleichm\u00e4ssig geschw\u00e4ngert ist, bei dem ersten Athemzug der Geruch in seiner vollen Intensit\u00e4t auftritt, dann verschwindet, sich aber wieder einstellt, wenn wir den n\u00e4chsten Athemzug ausf\u00fchren, woraus auch hervorgeht, dass diese Erscheinung nicht von einer Erm\u00fcdung des Olfactorius abh\u00e4ngen kann.\nFick (cit. S. 244) stellt, um dies zu erkl\u00e4ren, die Hypothese auf, dass alle riechbaren Substanzen die Eigenschaft besitzen von der Geruchsschleimhaut rasch absorbirt zu werden, und da der schmale Luftraum im Geruchsorgan von beiden Seiten von Schleimhaut umgeben ist, so k\u00f6nnen die riechbaren Theilchen sehr rasch absorbirt werden. Unter dieser Voraussetzung muss die Geruchsempfindung fast gleichzeitig mit der Bewegung der Luft auf h\u00f6ren, sobald man noch eine andere wahrscheinliche Annahme hinzuf\u00fcgt, dass n\u00e4mlich die riechbaren Stoffe, wenn sie in der Fl\u00fcssigkeit der Nasenschleimhaut gel\u00f6st sind, die Nervenenden nicht mehr erregen k\u00f6nnen.\n5. Zustand der Hiechschleimhaut und der dieselbe umgebenden\nTheile.\nDie mitgetheilten Beobachtungen von Tourtual, Weber und Fr\u00f6hlich (siehe oben S. 258 und S. 259) zeigen hinreichend deutlich, dass auch eine verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig geringf\u00fcgige Ver\u00e4nderung der Riech-Schleimhaut nicht bloss die Geruchsintensit\u00e4t vermindert, sondern \u00fcberhaupt die Wahrnehmung der Ger\u00fcche f\u00fcr eine verschieden lange Zeit beeintr\u00e4chtigt. Andererseits ist ebenfalls klar,' dass, sobald die mechanischen Bedingungen des Luftzutrittes zu der Regio olfactoria ung\u00fcnstig werden, auch der Geruch geschw\u00e4cht oder vollst\u00e4ndig auf-gehofyen werden kann, ohne dass die Riechschleimhaut dabei noth-wendiger Weise eine Ver\u00e4nderung erlitten zu haben braucht.\nV. Abstumpfung des Geruchssinnes.\nWir f\u00fcgen hier noch einige Betrachtungen \u00fcber die Abstumpfung des Geruchssinnes hinzu.","page":281},{"file":"p0282.txt","language":"de","ocr_de":"282\ny. ViNTSCHGAu, Geruchssinn. 3. Cap. Geruchswahrnehmung.\nWenn das Geruchsorgan durch einige Zeit sehr intensiven Ger\u00fcchen ausgesetzt ist, dann findet man, dass der Geruchssinn f\u00fcr solche Ger\u00fcche abgestumpft ist; nur in dieser Weise l\u00e4sst sich erkl\u00e4ren, dass gewisse Handwerker, wie z. B. Kloakenfeger, Gerber, Leimsieder etc. mit der Zeit ganz indifferent gegen den ekelhaften Geruch ihres Gewerbes sind; wie Krebskranke die Ausd\u00fcnstungen der Krebsgeschw\u00fcre, Anatomen und Chirurgen die stinkende Luft der Sectionss\u00e4le nicht mehr wahrnehmen.\nDer Geruchssinn kann aber nicht bloss f\u00fcr Gest\u00e4nke, sondern auch f\u00fcr Wohlger\u00fcche abgestumpft werden, und wir finden einige Beispiele verzeichnet bei Valentin [(cit. S. 258) S. 290] und Hyrtl [(cit. S. 267) I, S. 308].\nEs scheint aber auch, dass der Geruchssinn durch die Einwirkung von starken Ger\u00fcchen vollst\u00e4ndig vernichtet werden k\u00f6nne; man findet wenigstens dar\u00fcber eine diesbez\u00fcgliche Angabe verzeichnet.\nGraves 1 erz\u00e4hlt von einem Hauptmann in Yeomanry Corps, welcher bei der Entleerung eines grossen Abzugsteiches die Aufsicht f\u00fchrte, dabei den abscheulichen Ausfl\u00fcssen ausgesetzt war und von dem Gestank ausserordentlich zu leiden hatte. Am folgenden Tage bemerkte er, dass er keinen Geruch mehr hatte, und von da an blieb er dieses Sinnes v\u00f6llig beraubt.\nVI. Gleichzeitige Einwirkung von zwei Ger\u00fcchen.\nUnsere Kenntnisse \u00fcber diesen Gegenstand beschr\u00e4nken sich auf die Angaben Valentin\u2019s (cit. S. 258), welcher folgende Beobachtungen mittheilt: Wirken ein st\u00e4rkerer und ein schw\u00e4cherer Geruch gleichzeitig ein, so wird dieser von jenem \u00fcbert\u00e4ubt. Bringt man ein Gl\u00e4schen mit Schwefel\u00e4ther vor das eine und eine Schachtel mit chemischen Z\u00fcndh\u00f6lzchen vor das andere Nasenloch, so nimmt man meistens nur die Ausd\u00fcnstung des Aethers wahr. Verwendet man Aether und peruanischen Balsam zu diesem Versuche, so kann man nach Belieben den einen oder den anderen Geruch mit vorz\u00fcglicher Deutlichkeit auffassen. \u2014 Diese Versuche zeigen somit, dass die beiden verschiedenen Empfindungen im Bewusstsein sich nicht zu einer mittleren vermischen.\nValentin findet darin eine Erinnerung an den Wettstreit der Gesichtseindr\u00fccke.\n1 Graves. Dublin Journal of Medical and Chemical Science. Sept. 1834. ; angef\u00fchrt nach Froriep\u2019s neue Not. XLII. Nr. 918. S. 255. 1834.","page":282},{"file":"p0283.txt","language":"de","ocr_de":"Gleichzeitige Einwirkung von zwei Ger\u00fcchen. Wirkung auf das Centralorgan. 283\nYII. Wirkung der Ger\u00fcche auf das Centralorgan.\nCloquet (cit. S. 225) bespricht im Y. Capitel, S. 49\u201466, die Wirkung der Ger\u00fcche, und hat eine ganze Reihe von F\u00e4llen \u00fcber die Wirkung der angenehmen und unangenehmen Ger\u00fcche zusammengestellt. Ich kann aber die Bemerkung nicht unterdr\u00fccken, dass eine sehr strenge kritische Pr\u00fcfung dieser Angaben besonders der \u00e4lteren gewiss am Platze w\u00e4re. \u2014 Es kann wohl nicht gel\u00e4ugnet werden, dass Ger\u00fcche verschiedenartige Erscheinungen hervorzubringen im Stande sind, und wenn hierbei manchmal wohl auch die Einbildungskraft bedeutend im Spiele sein mag, so l\u00e4sst sich dies doch nicht f\u00fcr alle F\u00e4lle behaupten. Es liegen mir eigene Erfahrungen voj, welche zeigen, dass in Folge von Ger\u00fcchen verschiedene Erscheinungen hervortreten k\u00f6nnen.\nWenn ich vor etlichen Jahren bei einer Apotheke vorbeiging, in welcher Ricinussamen gepresst wurden, hatte ich in Folge des bis auf die Strasse sich verbreitenden Geruches ein Ekelgef\u00fchl, welches sich manchmal bis zur Brechneigung steigerte. \u2014 Als ich mich in einem Zimmer befand, in welchem viele Campherd\u00e4mpfe vorhanden waren, wurde ich von Kopfschmerz und leichter Brechneigung befallen. \u2014 Es ist mir ein Herr bekannt, welcher durch den Geruch von Aepfeln Kopfschmerzen bekommt; geruchlose Aepfel vertr\u00e4gt er sehr gut.\nDass in Folge der Einwirkung von Ger\u00fcchen verschiedene Erscheinungen hervortreten, wird auch von anderen Physiologen angef\u00fchrt, so z. B. Valentin (De functionibus etc. und Lehrbuch etc. cit. S. 238); Wagner (cit. S. 238); Bidder [(cit. S. 238) S. 924].\nBidder macht auch darauf aufmerksam, dass Riechstoffe, welche mit der Luft in die Lungen gelangen, absorbirt werden und somit auch entferntere Wirkungen veranlassen k\u00f6nnen, woraus zu erkl\u00e4ren ist, wie schon das Riechen abf\u00fchrender Mittel, z. B. Rhabarber, Durchfall erzeugen kann und die weisse Niesswurzel ebenfalls schon durch ihren Geruch Erbrechen hervorzurufen im Stande ist.\nEs kann gewiss nicht geleugnet werden, dass die Ger\u00fcche ausserordentlich m\u00e4chtig auf das Centralnervensystem wirken und dass dieselben auch auf das Geschlechtsleben einen bedeutenden Einfluss aus\u00fcben. Cloquet [(cit. S. 225), Cap. VI, S. 66\u201474], welcher die Verbindung des Riechsinnes mit den verschiedenen Verrichtungen des K\u00f6rpers bespricht, erw\u00e4hnt auch eine ganze Reihe Beobachtungen nicht bloss an Thieren, sondern auch an Menschen, um eben die Wirkung der Ger\u00fcche auf das Geschlechtsleben zu beweisen. Die Be-","page":283},{"file":"p0284.txt","language":"de","ocr_de":"284\nv. Vintschgau, Geruchssinn. 3. Cap. Geruchswahrnehmung.\nobachtungen an Menschen bed\u00fcrfen aber nach meinem Erachten einer strengeren Schichtung ; man darf dabei nicht \u00fcbersehen, dass die Geruchsempfindungen mit Seelenzust\u00e4nden innig verkn\u00fcpft sind, und somit auch leicht auf den geschlechtlichen Trieb des Menschen einzuwirken im Stande sein d\u00fcrften.\nDie Nasenschleimhaut wird sehr h\u00e4ufig benutzt um Reize zu ap-pliciren, z. B. um bei Asphyxie und Syncope Belebungsversuche vorzunehmen. Wenn sich auch nicht in Abrede stellen l\u00e4sst, dass durch die angewendeten Mittel sehr h\u00e4ufig die Geruchsnerven erregt werden \u2014 und diese bieten einen sehr g\u00fcnstigen Angriffspunkt, weil dabei in der Regel s\u00e4mmtliche Fasern eines ganzen starken Nerven-paares in Erregung versetzt werden \u2014 so darf man doch nicht vergessen, dass meistens solche Mittel angewendet werden, die auch auf die sensitiven Nerven wirken, und dass namentlich der hierbei erregte Trigeminus ein Nerv ist, welcher sehr leicht Reflexe ausl\u00f6st.\nVIII. Nachempfindung von Ger\u00fcchen.\nUnsere Kenntnisse \u00fcber diesen Gegenstand sind noch immer im h\u00f6chsten Grade mangelhaft.\nJ. M\u00fcller [(eit. S. 237) II, S. 488] sagt, dass solche Nachempfindungen nicht bekannt seien, obgleich sie schwerlich fehlen d\u00fcrften; eine reine Beobachtung sei aber schwer. Der oft sehr lange in der Nase verharrende Cadavergeruch nach Sectiopen k\u00f6nne nicht f\u00fcr einen Beweis der Nachempfindung gehalten werden, da er wahrscheinlich objectiv sei, n\u00e4mlich von Aufl\u00f6sung des Riechstoffes in dem Nasenschleim herr\u00fchren k\u00f6nne. Es ist aber kaum denkbar, dass die vermeinte Aufl\u00f6sung in dem Nasenschleim die Ursache dieser Erscheinung sei, eher kann man mit Valentin [(cit. S. 258) S. 291] denken, dass die mit Gestank geschw\u00e4ngerte Luft in der Nase (?) oder vielleicht in den Nebenh\u00f6hlen verblieben sei.\nHermann (cit. S. 272) f\u00fchrt an, dass bei ihm nach gewissen lebhaften Ger\u00fcchen, z. B. den von einem Cadaver herr\u00fchrenden, jede innerhalb einiger Stunden folgende unangenehme Geruchsempfindung auf das Deutlichste den Charakter der ersten habe.\nEs darf aber nicht \u00fcbersehen werden, dass die Kleider, die Haut und die Haare die Ger\u00fcche sehr lange zur\u00fcckbehalten, auf welche Umst\u00e4nde immer die gr\u00f6sste Aufmerksamkeit gerichtet werden muss, sobald es sich um Nachempfindungen von Ger\u00fcchen handelt.","page":284},{"file":"p0285.txt","language":"de","ocr_de":"Nachempfindung. Subjective Empfindungen.\n285\nIX. Subjective (xeruclisempfindungen.\nCloquet [(cit. S. 225) S. 237] f\u00fchrt folgenden Versuch von Dupuytren an: Dieser spritzte in die Adern eines Hundes eine riechende Substanz, \u201eder Hund \u00f6ffnete die N\u00fcstern, hob den Kopf und lief umher, als wollte er die Stelle auswittern, wo der Geruch herk\u00e4me. Der Name dessen, der die Versuche anstellte, spricht f\u00fcr ihre Wahrheit\u201c. Es ist zu bedauern, dass nicht angef\u00fchrt wurde, welcher Geruchsstoff eingespritzt wurde, die M\u00f6glichkeit aber, dass die Riechstoffe in die Ausathmungsluft \u00fcbertreten und auf diese Weise von den Geruchswerkzeugen wahrgenommen wurden [Valentin (cit. S. 258) S. 392] ist nicht ausgeschlossen.\nDass subjective Geruchsempfindungen, n\u00e4mlich Erregung der Geruchsnerven aus inneren Ursachen, Vorkommen, wird von sehr vielen Physiologen angenommen. [Cloquet (1. c.) S. 236 ; J. M\u00fcller (cit. S. 237) I, S. 759; Valentin (De functionibus etc. cit. S. 238); Romberg1, S. 139; Bidder (cit. S. 238) S. 924.] Wir finden in den eben citirten Werken eine ganze Reihe Beobachtungen angef\u00fchrt.\nLudwig (cit. S. 267) l\u00e4ugnet wohl nicht die M\u00f6glichkeit, dass Geruchsempfindungen entstehen k\u00f6nnen, ohne dass in der Luft ein Geruch vorhanden sei, er glaubt jedoch, dass die meisten derartigen Erscheinungen durch die Gegenwart von Riechstoffen in den Lungen, in der Mundh\u00f6hle oder in der Nase bedingt seien, welche aus dem Blute oder auf irgend eine andere Weise in diese Organe gelangten, seltener ereigne es sich, dass im Hirn Zust\u00e4nde eintreten, welche zum Geruch Veranlassung geben. Tr\u00e4ume, in welchen der Geruch eine Rolle spielt, k\u00e4men gewiss sehr selten vor. \u2014 Auch Fick (cit. S. 244) ist sehr misstrauisch gegen subjective Geruchsempfindungen und bemerkt, dass es etwas missliches sei, eine allgemeine physiologische Lehre ganz allein auf einige Aussagen von Kranken \u00fcber ihre eigenen Zust\u00e4nde zu gr\u00fcnden.\nWenn es auch ganz richtig ist, dass im Allgemeinen alle Erz\u00e4hlungen von Kranken \u00fcber subjective Empfindungen mit einem gewissen Misstrauen aufgenommen werden m\u00fcssen, so ist doch zu erw\u00e4hnen, dass F\u00e4lle beobachtet wurden, bei welchen die Patienten w\u00e4hrend des Lebens \u00fcber subjective Ger\u00fcche geklagt haben und nach dem Tode einer oder beide Geruchsnerven in Folge von Geschw\u00fclsten oder in Folge anderweitiger Ursachen mehr oder weniger comprimirt gefunden wurden. [Vergl. die oben S. 284 angef\u00fchrten\n1 Romberg, Lehrb. der Nervenkrankheiten des Menschen. 2. Aufl. Berlin 1851.","page":285},{"file":"p0286.txt","language":"de","ocr_de":"286\ny. Yintschgau, Geruchssinn. 3. Cap. Geruchswahrnehmung.\nQuellen und Lockemann l]. Ausserdem sei erw\u00e4hnt, dass Fr\u00f6hlich [(cit. S. 257) S. 337] mit Bestimmtheit sagt, er habe nach dem Einschnupfen von Morphin eine wohl sehr schwache aber deutliche subjective Geruchsempfindung gehabt, die w\u00e4hrend der ganzen Versuchszeit fortdauerte. Fr\u00f6hlich erw\u00e4hnt weiter, dass alle anderen Sinnesorgane mit Ausnahme des Geschmackssinnes solchen T\u00e4uschungen ausgesetzt waren.\n1 Lockemann , Zur Casuistik der Geruchsanomalien. Ztschr. f. rat. Med. (3) XII. 1861.","page":286}],"identifier":"lit19188","issued":"1880","language":"de","pages":"143-286","startpages":"143","title":"Zweiter Theil: Physiologie des Geschmacksinns und des Geruchssinns","type":"Book Section"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:06:58.549684+00:00"}